Homophobie unter Jugendlichen
(Anmerkung von Schulle am Schluss des Berichtes)
Bericht der Deutschen Welle Akademie
In Deutschland sind homophobe Einstellungen unter Jugendlichen immer noch weit verbreitet. Dabei spielt der religiöse Hintergrund eine wichtige Rolle.
So lehnen vor allem junge Muslime homosexuelle Lebensformen ab.
In patriarchalen Strukturen, in denen traditionelle Geschlechterrollen vorherrschen, wird dem Diskurs über sexuelle Identität, Selbstbestimmung und Homosexualität zumeist mit Vorurteilen und Tabuisierung begegnet. Auch wenn Homosexuellenfeindlichkeit ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, zeigen empirische Studien jedoch auch sehr deutlich, dass homosexuelle Einstellungen in muslimischen Milieus signifikant höher sind als im Gesamtdurchschnitt.
Auf einer Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung ging es dieser Tage darum, wie mit homosexuellenfeindlichen Einstellungen umgegangen werden kann.
Viele muslimische Jugendliche lehnen Homosexualität ab
Zwischen 2007 und 2011 wurden mehrere Studien zu Einstellungen von Jugendlichen zur Homosexualität erstellt. So veröffentlichte im Jahr 2007 Sozialpsychologe Bernd Simon von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel seine Studie „Einstellungen zur Homosexualität“. Die vergleichende Untersuchung wurde im Rahmen eines Projektes des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland durchgeführt und vom Bundesfamilienministerium finanziert.
Für die Studie wurden 922 Berliner Gymnasiasten und Gesamtschüler im Alter von 14 bis 20 Jahren zu ihren Einstellungen gegenüber Schwulen und Lesben befragt.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass homosexuellenfeindliche Einstellungen unter Jugendlichen sehr weit verbreitet sind, doch unterschiedlich intensiv, sagt Jörg Steinert, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg: „So stimmten 47,7 Prozent der männlichen Jugendlichen ohne Migrationsintergrund der Aussage zu ‚Wenn sich zwei schwule Männer auf der Straße küssen, finde ich das abstoßend‘. Unter den russischstämmigen Schülern waren es 75,8 Prozent, unter den Türkeistämmigen 78.9 Prozent.“ Schülerinnen äußerten sich weniger ablehnend als ihre männlichen Altersgenossen, wobei aber die Ablehnung bei den russischstämmigen und Türkeistämmigen jungen Frauen nach Ansicht Steinerts noch relativ hoch war.
Diskriminierung und Homophobie hängen zusammen
Zu den Ergebnissen der Studie zählte laut Steinert auch, dass je mehr traditionelle Männlichkeitsbilder akzeptiert würden, desto stärker die Ablehnung Homosexueller sei. Hinzu kommt, dass je mehr Jugendliche sich diskriminiert fühlen, sie umso homosexuellenfeindlicher sind. Andererseits sei zu erkennen: „Je mehr Kontakte zu Lesben und Schwulen bestehen, desto weniger homosexuellenfeindliche Einstellungen sind unter Jugendlichen verbreitet.“
Was den Zusammenhang von Religiosität und Homosexuellenfeindlichkeit in Deutschland betrifft, so ist dieser nach den Ergebnissen der Studie bei Türkeistämmigen jungen gläubigen Menschen am stärksten ausgeprägt: „Je religiöser die jungen muslimischen Menschen sind, desto homosexuellenfeindlicher sind sie.“ Dieser Zusammenhang finde sich aber auch bei den russischstämmigen Jugendlichen und bei polnischen Jugendlichen, sagt Jörg Steinert vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg. Bei den Jugendlichen ohne Migrationsintergrund war der Zusammenhang von christlicher Religiosität und Homosexuellenfeindlichkeit zwar feststellbar, aber weniger stark ausgeprägt.
Man könnte nun annehmen, dass der Bildungsgrad eine Rolle bei der Homosexuellenfeindlichkeit spielt. Dies ist laut Steinert jedoch keineswegs der Fall: „Schaut man die verschiedenen Schulformen an, so wird deutlich, dass eine formal bessere Bildung keine durchschlagende Wirkung hat bei der Akzeptanz von Grundwerten.“
Religionspädagogin Rabeya Müller, die vor mehr als 30 Jahren zum Islam konvertierte, ist stellvertretende Vorsitzende des Zentrums für Islamische Frauenforschung und -förderung und Vorstandsmitglied des Liberal-Islamischen Bundes. Sie ist keineswegs überrascht von den Ergebnissen der Umfragen, wenn es beispielsweise um den Kuss von Homosexuellen auf der Straße geht: „Grundsätzlich ist es vom islamischen Denken her auch so, dass man Zärtlichkeiten, Handlungen, die einen bestimmten Intimbereich betreffen, wahrscheinlich lieber in diesem Intimbereich lässt und in der Öffentlichkeit nicht austauscht.“ Andererseits vertritt Rabeya Müller die Ansicht, jeder Mensch habe das Recht, seiner Liebe, seiner Zärtlichkeit Ausdruck zu verleihen.
Schwule junge Muslime sogar von Zwangsverheiratung bedroht
Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg leistet über mehrere Projekte Beratung für Homosexuelle. Auch junge Muslime kommen zur Beratung. Das Spektrum der Ratsuchenden sei groß, sagt Ulrich Keßler, Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes:
„Teilweise kommen junge Schwule mit ihren Müttern, bei denen dann die Mütter wissen wollen: Was ist mit dem Jungen denn los? Ist das eine Krankheit, kann man da etwas dagegen tun?“ Ein extremes Beispiel seien junge Männer, die von Zwangsverheiratung bedroht sind: „Das ist also nicht nur ein Phänomen von Frauen, auch junge Männer werden zwangsverheiratet.“
Der Psychologe Ahmad Mansour, der sich beim Jugendprojekt „Heroes“ in Berlin engagiert, versucht zu erklären, warum muslimische junge Männer möglichst im Alter von 30 Jahren verheiratet sein sollten: „Es handelt sich hier um eine kollektive Gesellschaft. Sie hat sehr klare Regeln, denen alle zu folgen haben. Der Selbstentfaltungsmechanismus, was wir in westlichen Kulturen sehen, dass Menschen mit 18 oder 20 ihr eigenes Leben suchen, ihre eigene Identität suchen, ist bei kollektiven Gesellschaften überhaupt nicht vorhanden.“
Mansour erteilte jungen Muslimen noch einen wichtigen Ratschlag: „Bitte benutzen Sie das Wort ‚Sex‘ nicht, sondern suchen Sie etwas anderes, zum Beispiel ‚Beziehung zum Körper‘, ‚Körperentdeckung‘ oder so ähnlich.“ Der Psychologe fügt noch hinzu: „Es geht nicht darum, ob die Frau Jungfrau ist oder nicht. Es geht darum, ob die Menschen, ihr Umfeld, das wissen oder nicht. Wenn die Menschen im Umfeld es wissen, dann ist es die Katastrophe. Und bei Schwulen und Lesben ist es genauso.“
Religionspädagogin Rabeya Müller sprach von einem sehr orthodox-konservativen traditionellen Mainstream in der islamischen Gemeinschaft in Deutschland, was den Eindruck vermittle, dass ausschließlich eine bestimmte Sicht auf den Koran die einzig richtige wäre.
Thema „Homosexualität“ gehört auch in Lehrpläne für islamischen Religionsunterricht
Angesichts eines breiten Spektrums islamischen Lebens in Deutschland hält es Rabeya Müller für besonders wichtig, „dass in das Currriculum für den islamischen Religionsunterricht genauso wie in das Curriculum für die Imamausbildung an der Hochschule dieses Thema Homosexualität unbedingt hineingehört“.
Auch Islamwissenschaftler Andreas Ismail Mohr ist sich sicher, „dass im Laufe der Zeit durch diese Studenten, die ja dann irgendwann mal in Gemeinden arbeiten werden als Imame, als Religionslehrer, dass dann doch durchsickert zur Basis, dass man das etwas liberaler sehen kann, dass man die Heiligen Texte, auch wenn man daran glaubt, hinterfragen kann“.
Bekir Alboğa, Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime
Bekir Alboğa, Dialogbeauftragter von DITIB (Dachverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion), dem mitgliederstärksten islamischen Verband in Deutschland, unterscheidet zwischen Handlungen, die im Islam verboten sind, die empfohlen sind und die erlaubt sind: „Religiös betrachtet, wird – auf die Bibel gestützt – die Homosexualität als Handlung zu den verbotenen Handlungen gezählt. Allerdings ist eine strafbare Verfolgung nicht vorgeschrieben“. Für die Muslime in Deutschland gelte das Gesetz der Bundesrepublik, betont Alboğa: „Deswegen, wenn ein Muslim einen Homosexuellen diskriminieren würde, würde er gegen das Gesetz handeln. Und das können wir als Muslime nicht zulassen, nicht für gut halten.“
Müller lobt diese Aussagen, weiß aber auch, dass solche Äußerungen an der Basis, also in den Moscheen, nicht gut ankommen. Es müsse eine Diskussionskultur zu diesen Themen aufgebaut werden, nicht nur in Bezug zur Frage der Homosexualität. Jugendliche aus einer „Ehrenkultur“ müssten lernen, nachzudenken über Unterdrückung im Namen der Ehre und über Gleichberechtigung.
Über Selbstbestimmung in den Schulen reden
Ahmad Mansour, der sich beim Jugendprojekt „Heroes“ in Berlin engagiert, findet, dass über sexuelle Selbstbestimmung in den Schulen geredet werden müsse: „Weil die meisten, die aus diesen Kulturen kommen, das nicht gelernt haben. Es ist nicht in ihrer Erziehung vorgesehen, dass sie Fragen stellen, dass sie bestimmte Regeln, bestimmte Verhaltenswissen infrage stellen.“
Ein Beispiel, das Mut macht, ist das Projekt „Jung, muslimisch, aktiv“ des Berliner Innensenats. Daran beteiligen sich 150 bis 200 junge Muslime. Auch Themen wie sexuelle Identität, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung werden dort besprochen und kritisch hinterfragt, sagt Jamel Aydin: „Dort ist die Jugend viel weiter als die ältere Generation.“
Kommentar von Schulle
Ein doch sehr interessanter Bericht, der aufzeigt, dass zum Thema Integration in unser Land, noch einiges getan werden muss. Man kann nur hoffen, dass in den Schulen, Kirchen und Gesellschaft ein schnelles handeln und Umdenken stattfindet. Ich verurteile nicht das „Andersdenken“ denn so würde ich mich in die gleichen Fußstapfen begeben, wie jene die Schwule, Lesben und andersdenkende angreifen oder beschimpfen. Jedoch muss auch in den Kirchen, egal ob Evangelischer oder Katholischer Kirche dieses Thema diskutiert werden und nicht von vorne herein eine Verurteilung erfolgen, nur weil es Menschen gibt, die nicht die von der Religion vorgegebenen Werte lebt.
Dass dieses ein langer und schwerer weg sein wird, zeigt der Umgang mit der Pille und anderen Verhütungsmitteln. Unglaublich, denn es sterben in vielen Ländern Menschen an HIV und anderen Krankheiten, weil die Katholische Kirche sich nicht an den neuzeitlichen Möglichkeiten der Verhütung verschließt. Also, man kann sehen auch in unserer Gesellschaft gibt es einiges zu tun.
Um den Bogen wieder zu dem Bericht zu schlagen, möchte ich doch mal eine These aufmachen. Warum gibt es unter den ausländischen Jugendlichen so viele Männer die sich auf den blauen Seiten bewegen und in dem Profil „Bi“ stehen haben? Sicherlich gibt es auch diese geschlechtliche Ausrichtung, warum auch nicht, nur soll diese über die tatsächliche Richtung hinwegtäuschen? Ich kann es nicht sagen, leider beschäftigt man sich mit diesem Thema viel zu wenig.
Wir dürfen nur nicht in Versuchung geraten, anders Denkende zu verurteilen, sondern durch Aufklärung dazu beitragen, ein Zusammenleben der unterschiedlichen Lebensstile und eine Akzeptanz zu fördern.
Das in Berlin eine Aufklärungsstudie durchgeführt wurde, also da wo die meisten Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern leben, zeigt umso mehr, die Thematik gilt für das gesamte Bundesgebiet.
Ich bin gespannt ob dieser Beitrag gelesen wird, ich hoffe es, auch dass ein Umdenken bei dem einen oder anderen stattfindet.
In diesem Sinne:
Sei kein Dummi, benutz ein Gummi!!!
2 Kommentare
Super Artikel. Würde gern mehr Beitraege zu der Thematik lesen.
Der Bericht zeigt auf, das noch sehr viel zu tun ist. Unter Tun verstehe ich, sich in der Öffentlichkeit für Gleichbehandlung, Toleranz und Akzeptanz von Minderheiten einzusetzen, wann immer das erforderlich ist.
Du hast in allen Punkten meine volle Zustimmung
Gruß
Hermann