Wünsche werden manchmal wahr

Diese Geschichte ist frei erfunden und eventuelle Ähnlichkeiten mit realen Personen sind nicht gewollt und rein zufällig. Weitere Veröffentlichungen bedürfen meiner ausdrücklichen Genehmigung.

Brrr. Kalt. Zitternd schloss ich die Wohnungstür. Winter…einfach nicht meine Jahreszeit. Überall die hektischen Menschen in der Stadt, die panisch versuchen, ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen. …und habe ich den Schnee und die Kälte erwähnt? Es war der 23.12., also quasi fünf vor zwölf …. im Weihnachtseinkaufs- und Feststressmarathon.

Wer jetzt noch bei diesem Wetter unterwegs war, um Einkäufe für das Fest zu tätigen, der war wirklich nicht zu beneiden. Der Winter herrschte mit rauer Hand, das Thermometer zeigte vier Grad minus, es wehte ein heftiger Wind und es schneite. Ich war froh, nach diesem langen Tag, es war fast 16:00 Uhr und ich war seit 05:00 Uhr auf den Beinen, endlich zu Hause zu sein.

In dem kleinen Korridor meiner Einliegerwohnung, die im Hause meiner Eltern in einem Kölner Nobelviertel lag, zog ich Mantel und Schuhe aus, hängte den Mantel an die Garderobe und stellte die nassen Schuhe auf ein extra dafür zusammengefaltetes, altes Handtuch zum Trocknen auf den Boden ab. Meine Füße waren eiskalt und die Socken feucht, kalt und klamm. Ich werde gleich die handgestrickten Socken anziehen, die ich von meiner Oma bekommen habe. Dann wird sich meine Fußtemperatur bald wieder normalisieren.

Sicher ist es jetzt an der Zeit, mich erst einmal vorzustellen. Nun, ich heiße Georg Meiser, bin 23 Jahre alt und studiere Medizin. Das liegt wohl in unserer Familie, doch davon später. Ich bin 1,88 m groß, 78 kg schwer und habe dunkelbraunes, lockiges Haar, das ich aber ziemlich kurz trage. Ich bin relativ sportlich, betreibe ich doch seit meinem zehnten Lebensjahr regelmäßig zweimal in der Woche Karate und gehe fast jeden Tag eine Stunde im hauseigenen Schwimmbad im Kellergeschoss unseres Hauses schwimmen. Sauna und Whirlpool gibt es da auch und einen kleinen, aber fein eingerichteten Fitnessraum.

Georg ist nicht gerade ein toller Name und seit meiner Schulzeit rufen mich alle meine Freunde und Freundinnen Djortsch, die englische Sprechweise von Georg und auch wenn es meinen Eltern anfangs sehr missfiel, setzte sich die Sprachweise im Laufe der Jahre durch. Auch meine Eltern nennen mich heute immer Djortsch und nicht Georg. Damit kann ich gut leben, ist mir Djortsch doch wesentlich lieber wie Georg, das hört sich so heilig an und das bin ich ja nun absolut nicht und will es auch nicht werden.

Familiäre Rückblende

Meine Eltern sind ziemlich reich, mein Vater ist Professor und Leiter der Frauenklinik an der Uni in Köln und meine Mutter ist als Augenärztin Mitinhaberin einer Gemeinschaftspraxis. Meine vier Jahre ältere Schwester ist seit 17 Monaten mit einem Kieferchirurgen verheiratet und im siebten Monat schwanger. Sie studiert ebenfalls, aber nix Medizinisches, sondern auf Lehramt, und hat ihr erstes Staatsexamen schon bestanden.

Sie wohnen etwas weiter draußen in Köln Fühlingen. Ihr seht also, dass wir viele Mediziner haben in der Familie.

Es gab übrigens noch mehr, was meinen Eltern anfangs nicht gar nicht gefiel, was sie aber im Laufe der letzten fünf Jahre akzeptiert und auch ganz gut verarbeitet haben. Als ich ihnen nämlich vor fünf Jahren kurz vor Ostern sagte, dass ich wohl eher einen Mann zum Partner nehmen würde als dass sie eine Schwiegertochter bekämen, waren sie sehr sauer und hatten Riesenprobleme, das zu akzeptieren. Mein Vater sprach in den nächsten Wochen kaum mit mir und meine Mutter weinte öfter und suchte nach einem Schuldigen für diesen schlimmen,

außergewöhnlichen Missstand, wie sie es nannte. Meine Schwester hingegen hatte keine Probleme mit meiner sexuellen Orientierung und hat mir immer beigestanden, wenn es mir mal nicht gut ging.

Es dauerte einige Zeit und die Lektüre einiger Bücher zum Thema „Schwulsein“ und diverse Gespräche und Auseinandersetzungen, bis sie einsahen, dass die Tatsache, sich nicht genügend persönlich um mich gekümmert zu haben, nicht Schuld daran ist, dass ich schwul bin. Nachdem ich sie dann noch auf die Internetseite von „ Nickstories.de“ geleitet habe und sie sich ein wenig durch die dort veröffentlichten Stories über Coming Out und schwules Empfinden gelesen hatten, waren ein erstes Verständnis und auch großes Nach- und Umdenken angesagt.

Langsam, aber stetig wurde es besser und auch mein Vater begann den Tatsachen ins Auge zu schauen und er bemühte sich redlich, die Gegebenheiten zu akzeptieren und wieder der Vater zu sein, der er eigentlich immer sein wollte. Ich muss sagen, dass die Verhältnisse heute

genauso gut oder eher besser sind als sie es vor meinem Outing waren. Sie lieben mich so wie ich bin, und ich sie dafür mehr als früher. Da ich ein sehr guter Schüler war, mein Abi machte ich mit 18 Jahren, ich weder Drogen noch übermäßig Alkohol konsumierte und ein ganz normales Teenieleben führte, gab es auch keinerlei andere Probleme mit denen sie sich auseinandersetzen mussten.

Ich will aber trotzdem nicht vergessen, wie beschissen ich mich nach der Offenbarung und den ersten Reaktionen meiner Eltern fühlte, und wenn ich damals nicht meine erste, große Liebe gehabt hätte, an die ich mich klammern konnte, dann wäre es wohl eine Katastrophe geworden. Die erste, große Liebe, Tobias hieß er und sah echt toll aus, war zwei Jahre älter als ich. Das Ganze hielt gerade mal fünf Monate in denen ich auf Wolke sieben schwebte, dann wurde ich von heute auf morgen einfach zu den Akten gelegt. „Der nächste bitte“, lautete wohl seine Devise.

Sein Statement dazu war: „Freu dich, so lange war ich noch nie mit einem Typen zusammen, aber jetzt hab ich nen Neuen, also Tschüss.“ Er entkam nur mit großer Mühe der geworfenen Kristallvase, die beim Aufschlag auf die zugezogene Tür zerschellte und eine hässliche Macke in der Tür hinterließ (die ist immer noch da). An seinem Kopf hätte mir die Macke damals besser gefallen. Die wenigen Sachen von ihm, die noch in meiner Wohnung waren, diverse Kleider und ein paar persönliche Hygienesachen, verbrannte ich mit Genuss und großer, innerer Befriedigung auf unserer Grillfeuerstelle im Garten. Shit happens!

Für mich brach eine Welt zusammen. Ich fiel in ein tiefes Loch und dachte ernsthaft darüber nach, ob mein Leben überhaupt noch einen Sinn hatte, so traf mich diese Niedertracht. Gerade noch rechtzeitig steckte mich mein Vater, der meinen Seelenzustand wohl richtig erkannt hatte, in ein Praktikum in eine Kölner Klinik, deren Chefarzt und medizinischer Direktor sein bester Freund und mein Patenonkel, Gerd Lüdtke, war.

Und um mich richtig auf Trab zu halten, wurde ich auf der Kinderstation eingesetzt. Nach genau 72 Stunden hatte ich meine Seelenkrise überwunden. Täglich zu sehen, wie die kleinen, tapferen Patienten mit ihren oft sehr schweren, teils lebensbedrohenden Leiden fertig wurden, zeigte mir, dass Tobias, dieser Scheißkerl, es nicht wert war, weiter über ihn nachzudenken oder ihm in irgendeiner Weise nachzuweinen. Hier gab es wichtigere Dinge und was war schon Liebeskummer im Vergleich zu dem Leid, das man hier erlebte. Meine Niedergeschlagenheit machte einer gesunden Wut auf ihn und auch ein bisschen auf mich selber Platz und bald ging es mir wieder wesentlich besser.

Pläne und Erfahrungen

Während dieses Praktikums, welches als Vorpraktikum zum Studiengang Medizin anerkannt wurde, nahm ich mir fest vor, Kinderarzt zu werden. Meine Eltern unterstützten mich in meinem Vorhaben, auch wenn mein Vater früher einmal gehofft hatte, dass ich entweder Frauenarzt oder aber doch Augenmediziner werden würde. Ich konnte mich aber beim besten Willen nicht mit dem Gedanken anfreunden, Frauenarzt zu werden, was ihr sicher verstehen werdet, und Ambitionen zum Augenarzt hatte ich ebenfalls keine. Beide waren froh, dass ich wieder der war, der nicht vor jedem Problem einfach davonläuft.

Als mein Studium begann, wollte und durfte ich weiterhin jede freie Zeit nutzen und in der Kinderklinik mithelfen. So verbrachte ich einen Großteil meiner Wochenenden und auch der Semesterferien dort, lernte sehr viel und man hatte mich dort auch sehr gerne dabei. Ich bekam auch etwas Geld für meine Arbeit, so dass ich nicht ausschließlich auf das Geld meiner Eltern angewiesen war. Auf diese Art lernte ich enorm viele praktische Dinge, was meinem Studium natürlich auch zu Gute kam. Auf Beziehungen hatte ich echt keinen Bock im Moment und auf so genannte Einmalabenteuer war ich auch nicht aus. So gab es in dieser Zeit außer fünf gegen Willi (oder Djortschi) keinerlei Abenteuer auf sexuellem Gebiet und mancher Mönch wäre stolz gewesen, hätte er ein so keusches Leben sein eigen genannt.

Die Ärzte und das Pflegeteam waren alle sehr in Ordnung und ich fühlte mich sehr wohl dort. Die meisten der Mitarbeiter wussten mittlerweile auch, dass ich schwul war, und es gab keinen, der irgendwelche doofen Sprüche oder Bemerkungen machte, vielleicht auch deshalb, weil sie wussten, dass der Chef mein Pate war. Bei den meisten war es aber ehrlich und von Herzen und ich fühlte mich in diesem Team gut aufgehoben. Ich mochte sie und sie mochten mich und mit den Kleinen kam ich besonders gut aus.

Bei besonders schwierigen Fällen schickten mich die Pfleger und Schwestern immer mit der Bemerkung: „Dir und deinem Charme können selbst die kleinen Tyrannen nicht lange widerstehen“, und es gelang mir auch in den meisten Fällen ein Vertrauensverhältnis mit den

kleinen, kranken Rackern herzustellen. Ich mochte die Kinder sehr und auch sie mochten mich, und so kam es, dass ich das Gefühl hatte, hier eine Lebensaufgabe gefunden zu haben.

Manchmal gab es natürlich auch sehr traurige Tage, nämlich immer dann, wenn es nicht gelang einen unserer kleinen Schützlinge von seiner Krankheit zu heilen und wir im Kampf gegen den Tod unterlagen. Dann waren wir niedergeschlagen und still und mancher vergoss Tränen um die verstorbenen Kleinen, die uns ans Herz gewachsen waren. Immer wenn es dazu kam, versuchten wir uns gegenseitig zu trösten und wieder aufzurichten, um uns mit aller Energie denen zu widmen, deren Kampf um die Gesundheit noch voll im Gange war.

Wenn dann einer unserer kleinen Engel aus Köln war, ließ ich es mir nicht nehmen an seiner Beisetzung teilzunehmen. Erst danach war ich in der Lage innerlich loszulassen und die Tatsache zu akzeptieren, das Er oder Sie halt nicht mehr bei uns war. Anschließend ging ich dann nach Hause und ertränkte meinen Kummer in einer Flasche Rotwein. Am Tag danach ging dann bald alles wieder im Alltagstrott unter und es kehrte bald die tägliche Routine zurück.

Zusätzliche Aufgaben, November 2006

Vor einigen Wochen, es war so Anfang November, fragte mich der Chef des Hauses, der ja auch mein Patenonkel war, ob ich bereit wäre, für etwa vier Wochenenden Dienst von Freitag bis Sonntags, jeweils eine Zwölf-Stunden-Schicht, auf der Intensivstation zu machen, weil dort auf Grund von Krankheit ein Engpass beim Personal wäre, und das vor allem am Wochenende. Es sollte freitags mit der Nachtschicht beginnen und Sonntagmorgen enden.

Da er der Chef war und ich meinem Patenonkel eh nicht nein sagen konnte, willigte ich ein und wurde von ihm persönlich dorthin begleitet und vorgestellt. Er wusste auch um meine Veranlagung und war einer derer, die meinen Eltern zugeredet hatten, mich so zu akzeptieren wie ich war. Er mochte mich und ich hatte ihn auch gern, weil er einfach ein toller Freund war, ein väterlicher Freund wohlgemerkt, und er hatte mich immer unterstützt, wo er nur konnte.

Da ich bereits im 9. Semester war und nach dem 10. Semester eh als Arzt im Praktikum für ein Jahr klinischen Dienst absolvieren musste, hatte ich genügend Kenntnisse, um Intensivpatienten zu betreuen.

Auf der Intensivstation waren maximal acht Patienten untergebracht, deren meist lebensbedrohliche Leiden sehr unterschiedlicher Art waren. Auch wenn Herz-Kreislauferkrankungen den größten Teil ausmachten, gab es auch Unfall- oder andere Patienten. Immer zwei Patienten wurden von einer Pflegekraft betreut, so dass eine ständige Überwachung gewährleistet war. Also fing ich am 3.11. abends um 18:00 mit der Spätschicht an.

Am dritten Wochenende meiner Tätigkeit, als ich auf die Station kam, am Freitag, den17.11. gegen 18:00 Uhr, sah ich einen Patienten, der etwa 20 Jahre alt war, und der offensichtlich einen Unfall erlitten hatte. Mein Vorgänger erklärte mir, dass der junge Mann nach einer schweren Hirnblutung operiert worden war und seit Montagnacht hier lag. Er würde nun mein zweiter Patient für die nächsten Stunden. Sein Kopf war stark bandagiert und ich sah nur sein schmales, bleiches Gesicht. Die Augen waren geschlossen, der Mund leicht geöffnet und in der Nase steckte ein Schlauch

Es gab etwas in seinem Gesicht, das mich trotz Schlauch und leicht herunter hängender, rechter Gesichtspartie faszinierte, das mich immer wieder hinsehen ließ, und irgendwann, betrachtete ich es aus der Nähe. Mit dem Finger, ich konnte einfach nicht anders, fuhr ich an seinen Augenbrauen entlang, berühre seine Nase und streiche mit den Fingerspitzen über seine Lippen. „Er ist hübsch, sehr hübsch, ein wunderschönes Gesicht hat er und lange dichte dunkle Wimpern“, dachte ich und streichelte zart seine Wangen. Er hatte eine sehr ansprechende Figur, und da es auf der Intensivstation keine Bettdecke gibt, konnte ich alles an ihm betrachten. Die Proportionen seines Körpers waren sportlich, er war einfach schön, für mich sogar wunderschön. Ich war sehr aufgeregt und konnte nicht aufhören, sein Gesicht zu streicheln und ihn zu betrachten. Mein Herz klopfte und ich hatte ein starkes Kribbelgefühl im Bauch.

Das Piepen der Überwachungsgeräte riss mich aus meinen Gedanken Schnell stellte ich fest, dass der andere Patient im Bett nebenan offensichtlich Probleme hatte. Sofort, wenn auch leicht widerwillig, eilte ich nach nebenan, um festzustellen was los war. Der Patient war ein Infarktpatient, Mitte 40 und korpulent. Aus dem Krankenblatt wusste ich, dass das schon sein zweiter Infarkt war. Ich klingelte nach dem diensthabenden Arzt, da ich bestimmte Maßnahmen noch nicht machen durfte. Der Arzt kam schnell und injizierte nach Lage der Dinge Adrenalin. Die Sauerstoffzufuhr wurde erhöht und ein kreislaufstabilisierendes Medikament in die Infusionslösung gespritzt.

Nach kurzer Zeit normalisierte sich die Lage, der Patient atmete wieder ruhig und die Geräte arbeiteten wieder im grünen Bereich. „Der Patient muss dringend einen Bypass erhalten“, sagte der Arzt zu mir. „Ich werde darauf drängen, dass er am Montag operiert wird. Es ist allerhöchste Zeit. Einen dritten Infarkt wird er wohl kaum überleben. Ich beurteile seinen Zustand als kritisch und wir müssen sehr aufpassen auf ihn. Er ist erst 46 und hat drei Kinder daheim, das Jüngste ist gerade mal neun Jahre alt. Bei der kleinsten Veränderung ruf mich bitte sofort“, sagte er zu mir und ich versprach, mein Möglichstes zu tun.

Das würde mich zwar davon abhalten, meinen jungen und hübschen Patienten zu betrachten und zu streicheln, aber ich wollte natürlich auch nicht, dass der andere Patient stirbt.

Wieder 23.12.2006, ca. 16:15Uhr

Zunächst einmal zurück zur Gegenwart und zurück in meine Wohnung.

Über die ganze Erzählerei um mich und meine Vergangenheit, meine Familie und mein Schwulsein, habe ich es nicht versäumt, meinen großen Wasserkocher zu füllen und einzuschalten. Da wird jetzt mal fix eine Bettflasche (Wärmflasche) gemacht und natürlich noch ein Tee, passend zum Kalender ein Weihnachtstee, angesetzt. Von meinem Opa, der war auch schon Arzt, richtiger Landarzt im Bergischen Land (wen wundert das jetzt), habe ich einen großen Ohrensessel geerbt, so mit echt Leder und verstellbar. Nicht, weil Opa gestorben ist, nein, er hat sich einen Neuen gekauft, so mit elektrischer Verstellung und so, und ich habe dann den Alten abgestaubt.

Der ist zwar im Leder etwas abgewetzt, aber sonst ein Superteil und saubequem und der macht echt was daher. Wenn man sich zurück lehnt, ganz nach hinten, dann kommt unten ein großes Teil zur Unterstützung der Beine herausgeklappt und man liegt echt geil darauf und kann in einer gesunden Schräglage optimal in die Glotze schauen oder einfach nur relaxen. Jeder, der in meine Wohnung kommt, will in diesem Sessel sitzen.

Meistens jedoch liegt dort mein rotbunter Schmusekater Fridolin und erholt sich von seinen nächtlichen Ausflügen, von denen er regelmäßig eine Maus mitbringt und vor der Terrassentür auf der Fußmatte ablegt.

In diesen Sessel verzieh ich mich, nachdem ich Fridolin auf der Couch geparkt habe, jetzt mit der Bettflasche für die eiskalten Füße und dem Weihnachtstee für meine innere Wärme. Behaglich an meinem Tee schlürfend sitze ich zurückgelehnt, das Gefühl der sich langsam erwärmenden Füße genießend, und beginne gleich wieder damit, in die jüngere Vergangenheit abzudriften. Dabei dürft ihr mich gerne begleiten.

In Gedanken wieder am 18.11., Frühmorgens um 03:00Uhr etwa.

Während ich nun wieder am Bett des Jungen saß, überkamen mich lange nicht mehr gehabte Gefühle. Gut, in Tobias war ich schon sehr verliebt gewesen, aber was mich jetzt an Gefühlen überkam, wenn ich dieses Gesicht betrachtete und seine Hand streichelte, war von einer Intensität, die ich noch nie erlebt hatte und die mir bei allem Glücksgefühl auch Angst machte, viel Angst. Hier lag für mich ein Mann, dem ich gerade mit Leib und Seele zu verfallen begann, von dem ich allerdings so gut wie gar nichts wusste und erst recht wusste ich nicht, ob er denn überhaupt schwul war, und wenn, ob er mich überhaupt mochte.

Zugleich bekam ich auch Gewissensbisse, da mein Verhalten für einen zukünftigen Arzt überhaupt nicht korrekt war, streichelte ich doch fortwährend einen Menschen, der mir medizinisch anvertraut war und der nicht in der Lage war, zu entscheiden, ob er meine Zärtlichkeiten, und das waren ja wohl welche, überhaupt wollte.

Ich zog meine Hand zurück, ließ seine gehen und dachte über die ganze Situation nach. Ich schalt mich einen Tor, zu glauben, ich könnte hier etwas erzwingen, das meinen Träumen entspricht. Ich erhob mich, um nach dem Herzpatienten zu sehen. Ich überprüfte seine Geräte, die Werte, und als alles im grünen Bereich war, ging ich zum Bett meines Traumboys zurück.

Ich nahm mir das Krankenblatt, das am unteren Ende des Bettes in einer Klarsichtfolie hing, und las die Angaben, die dort standen. Marvin Trimborn hieß der süße Junge, wohnte in der Dieselstraße 39, gleich beim Güterbahnhof in Kalk, allein, wie die Polizei mitgeteilt hatte. Gefunden wurde er spät am Abend unweit seiner Wohnung auf dem Bürgersteig liegend, nachdem er offensichtlich in Folge einer Hirnblutung bewusstlos geworden war. Die Polizei versuchte nun herauszufinden, ob er nähere Angehörige in Köln hatte. Trimborn war ja eigentlich schon ein typisch kölscher Name, so wie Schmitz und so.

Er musste wohl schon ein bis zwei Stunden dort gelegen haben, denn der Hirndruck und die Blutung hatten neurologische Schäden angerichtet. Wäre er dort letztendlich nicht gefunden worden, wäre er wohl noch im Verlaufe der Nacht seinen Verletzungen erlegen. Die neurologischen Schäden, die bisher festgestellt wurden, waren eine Störung der Motorik der rechten Körperseite. Das war auch im Gesicht zu sehen, da der rechte Mundwinkel, ebenso wie das rechte Augenlid, im Gegensatz zur linken Seite etwas nach unten hing.

Das tat seiner Schönheit und der Anmut seines Gesichts fast keinen Abbruch und wieder stahl sich meine Hand an seine Wange, um sie zärtlich zu streicheln. Er atmete tief und deutlich ein und ein Seufzer kam aus seiner Brust. Ich bekam einen starken Schreck und zog blitzschnell meine Hand zurück. Wieder versuchte sich meine Vernunft gegen meine Gefühle durchzusetzen und ich versuchte mir einzureden, dass ich mich in ein Phantom verliebt hätte.

Ich nahm mir vor, am Ende meiner Schicht in seine persönlichen Sachen zu schauen, die in einem beschrifteten Plastiksack in einem Spind im Vorraum zur Intensivstation lagen.

23.12.2006, 17:15 Uhr

„RingRingRing“! Meine Wohnungsklingel reißt mich aus meinen Träumen, der Tee ist leer und die Füße wieder warm. Hausschuhe anziehend mache ich mich auf den Weg zur Tür, wohl wissend, das es nur jemand aus meiner Familie sein kann, der jetzt bei mir klingelt.

Ich öffne und einen Sieben-Monatsbauch vor sich herschiebend kommt meine Schwester auf mich zu, umarmt, drückt und knuddelt mich nach Strich und Faden, um sich dann gleich in meinem Ohrensessel breit zu machen. „Und, wie geht es meinem glücklich verliebten Bruderherz denn heute, einen Tag vor dem heiligen Abend?“, fragt sie, nachdem sie von mir abgelassen und sich gesetzt hat. „Ich fühl mich gut“, sagte ich, „aber so ganz kann ich alles immer noch nicht glauben.“

„Na, dann warte doch mal bis morgen ab, dann wirst du sehen, dass alles in Ordnung kommt“, antwortet sie und lehnt sich in meinem Supersessel nach hinten. „Ich wollte eigentlich nur fragen, ob ihr beiden über die Feiertage auch zu uns kommen wollt, damit ich mich ein wenig darauf einrichten kann. Papa und Mama kommen am zweiten Feiertag.“

„Nun, das kann ich jetzt so noch nicht sagen, das muss ich erst mit Marvin besprechen. Ich sag dir aber Bescheid, sobald wir uns geeinigt haben. Ich weiß auch nicht, ob ich ihm den ganzen Weihnachtsbesuchsstress schon zumuten kann, er ist noch lange nicht fit und ich bin froh, dass er überhaupt über die Feiertage entlassen wird. Das macht der Onkel Gerd auch nur, weil er weiß, dass die geballte medizinische Kompetenz hier zu Hause ist“, antworte ich mit leichtem Schmunzeln, aber doch nicht ohne den nötigen Ernst.

„Du kannst dich ja auch mit Mama und Papa kurzschließen, dann kommt ihr mit denen. Dann könnt ihr euch chauffieren lassen und du kannst auch etwas trinken, wenn du magst“, gibt sie keine Ruhe.

„Warte bitte einfach ab, Melanie, ich denke, dass das bis morgen Mittag geklärt ist, und dann sag ich dir Bescheid“, entgegne ich. „OK, Djortsch, dann erwarte ich deinen Anruf. Jetzt fahre ich meinen Schatz in der Praxis abholen, für dieses Jahr ist Feierabend und am 27. fahren wir für zehn Tage nach Paris, Shopping für Mutter und Kind. Das wird wohl der letzte Urlaub sein, bevor dann die heiße Phase der Schwangerschaft anfängt. Wir freuen uns sehr auf unser Baby. Tschüss und ruf an“, spricht sie und ist schon auf dem Weg zum Ausgang.

„Tschüss, und sag deinem Holger einen Gruß“, ruf ich noch hinterher, da ist die Tür auch schon ins Schloss gefallen.

Ich beginne zu überlegen, ob noch irgendwas zu tun wäre im Hinblick auf die zu erwartenden Feiertage. Eingekauft habe ich alles von dem ich glaube, dass wir es brauchen würden. Und wenn ich wirklich etwas vergessen habe, konnte ich immer noch oben bei meinen Eltern schnorren, da war eigentlich immer fast alles in ausreichenden Mengen vorhanden, schon weil öfter unangemeldeter Besuch erschien oder meine Eltern spontan Gäste mit nach Hause bringen. Sogar einen eigenen Weihnachtsbaum und den dazugehörenden Schmuck habe ich besorgt, den ersten hier in meiner Wohnung, hauptsächlich Marvin zu Liebe .Ich will nicht, dass er irgendetwas an Weihnachten vermisst. Schmücken wollte ich den Baum mit ihm zusammen.

Wie das, werdet ihr fragen, haben wir etwas versäumt??

Nun, das ist so, morgen würde für mich ein ganz besonderer Tag werden, nicht nur weil Heiligabend war, nein, sondern weil ich morgen am frühen Vormittag in die Klinik fahren würde, um meinen Schatz zu holen und zu mir nach Hause zu bringen. Wir werden die Weihnachts– und Neujahrsfeiertage zusammen verbringen, und auch nach den Festtagen wird er bei mir bleiben, wir hoffen beide für immer.

Nun werdet ihr euch natürlich fragen, was denn in der Zwischenzeit so alles geschehen ist, und wie er denn nun mein Schatz wurde. Ich werde es Euch gleich erzählen, ich mach mir nur

noch schnell einen Weihnachtstee und ich glaube, dieses Mal werde ich ein bisschen Rum oder Cognac hinein machen, davon wird mir besonders warm und das ist bei dem Wetter da draußen ja auch nicht verkehrt.

In die Küche gehend bekomme ich aus den Augenwinkeln mit, das Fridolin an der Balkontür sitzt und darauf wartet, dass ich ihn hinaus lasse. Ich weiß, dass er spätestens in einer Viertelstunde wieder vor der Türe sitzt und um Einlass maunzt. Das ist auch nicht sein Wetter, genauso wenig wie meines. Also öffne ich die Türe einen Spalt, um ihn herauszulassen und um sie umso schneller wieder fest zu zu machen. Brrr… Scheißkälte, mich überläuft es ein wenig.

Nun aber ab in die Küche und Wasser angestellt. Während das Wasser heiß wird, suche ich im Wohnzimmer nach dem Hochprozentigen. Schnell werde ich fündig und nach Durchsicht der Vorräte entscheide ich mich für den rheinischen Klassiker „Asbach Uralt“. Der wird sich in meinem Tee bestimmt gut machen. Das Wasser kocht mittlerweile und der Tee wird aufgeschüttet. Nun gleich den Asbach dazu, nicht zu viel, und zwei Stück Kandis, braunen natürlich. Mmmh, das wird schon was Leckeres werden.

Nach zehn Minuten hat der Tee genug gezogen, die Beutel raus und wieder ab in Opas ehemaligen Sessel.

Wieder in Gedanken am 18.12.2006 gegen Morgen

Bereits nach dem ersten Schluck breitet sich eine wohlige Wärme in meinem Bauch aus und meine Gedanken wandern wieder ein Stück zurück in die Vergangenheit, zurück an das Bett meines Schwarms auf der Intensivstation. Wie bereits erwähnt, kam Marvin montags nach dem zweiten Wochenende, das ich Dienst machte, auf die Intensivstation. Er war frisch operiert und lag in einem künstlichen Koma. Sein Zustand war immer noch ungewiss, da bei jeder Operation am Hirn Nachblutungen möglich waren. Nun war ich, wie schon erwähnt, mehr als nur angetan von dem Liebreiz, den sein Gesicht trotz leicht heruntergezogener, rechter Hälfte für mich hatte, und sein nur leicht bekleideter Körper war einfach perfekt und ließ mich ins Schwärmen kommen.

Die ganze Nacht, die wenigen Momente ausgenommen, in denen ich die Geräte des anderen

Patienten überprüfte, Temperatur und Blutdruck ablas und eintrug, saß ich bei Marvin. Ich hielt seine Hand, streichelte sie, fuhr leicht über sein Gesicht, ließ meine Blicke sanft über seinen Body streicheln, liebkoste ihn in Gedanken und mit den Augen und träumte, wie es sein würde, wenn er wirklich mein Schatz werden würde.

Die Nacht verging und bald würde meine Ablösung kommen und mich von ihm wegreißen.

Es waren noch etwa 30 Minuten bis dahin und trotzdem fiel mir die Trennung von ihm jetzt schon schwer. Ich dachte an die langen zwölf Stunden, die es dauern würde, bis ich wieder hierher an sein Bett kommen würde. Hoffentlich würde nichts passieren in meiner Abwesenheit. Ablösen würde mich heute Morgen Schwester Eva, eine 32-jährige, resolute Frau, die ich gut leiden konnte, und die mich hier von Anfang an ernst genommen hatte. Sie machte seit vier Jahren Dienst auf dieser Station und sie war sehr erfahren und hatte immer alles im Griff. Ich würde sie bei der Übergabe darum bitten, dass sie mir eine Nachricht zukommen lässt, wenn sich bei Marvin etwas verschlechtern würde.

Ich hoffte auf ihr Verständnis, war aber in diesem Augenblick auch bereit, mich zu outen, nur damit sie mein Anliegen auch verstehen könnte. Bei ihr war ich mir fast sicher, dass sie mich verstehen würde und meinen Wunsch bestimmt versteht.

Wieder streichelte ich Marvins Hand und ich hatte das Gefühl, das er mich spüren kann. Der Puls auf dem Messgerät war leicht an gestiegen, von 62 auf 69 und der Blutdruck war von 110 auf 126 geklettert. Alles Werte im normalen Bereich, aber die Tatsache, dass das jetzt während des Streichelns geschah, ließ mich hoffen, dass er das im Unterbewusstsein als schön empfand.

Ich schaute auf die Uhr, Zeit, die Übergabe vorzubereiten. Ich trug noch mal alle angezeigten Werte unseres Herzpatienten und die Werte von Marvin ein und kontrollierte

die Flaschen und Geräte. Draußen hörte ich dann auch schon Eva kommen und kurz darauf betrat sie die Schleuse zur Station. Mit einem gewinnenden Lächeln trat sie kurz darauf ein und begrüßte mich: „Hi, Djortsch, hat du alles im Griff? Guten Morgen. Ich hoffe, du hast mir ein bisschen Arbeit übrig gelassen, sonst geht die Zeit nicht um.“ „Guten Morgen Eva,

schön dich zu sehen. Wir haben zwei Patienten, einen, 20 Jahre, Hirn-OP nach Unfall

und unseren Herzpatienten, der heute Nacht schwer kritisch war. Bei der geringsten Unregelmäßigkeit will der Arzt gerufen werden. Der junge Hirn-Patient rührt mich ganz besonders und ich möchte dich bitten, mich zu verständigen, wenn es ihm schlechter gehen sollte. Könntest du das für mich tun?“, entgegnete ich und sah sie dabei an.

Zunächst betrachtete sie mich mal aufmerksam über den Rand der Brille und ich dachte, sie guckt mir bis ins Herz. Die rechte Augenbraue wanderte nach oben und ein leichtes Schmunzeln hielt Einzug auf ihrem Gesicht. „Da bin ich aber doch etwas überrascht, der hübsche angehende Mediziner hat sich wohl ein bisschen in einen unsere Patienten verguckt.“

Ich bekam automatisch etwas mehr Farbe ins Gesicht und schaute kurz verschämt nach unten.

„Eigentlich sollte mich das jetzt wundern, aber es tut es nicht. Ich habe vermutet, dass du mit Frauen nicht viel anfangen kannst, du hast hier noch keine näher angeschaut, aber hübschen Männer hast du schon öfter mal nachgeschaut.“ Ich wurde noch mehr rot, nickte aber trotzdem zu dem, was sie gesagt hatte. „Dann wollen wir mal schauen, in wen sich unser Djortsch so Hals über Kopf verguckt hat“, sagte sie und trat an Marvins Bett. Aufmerksam musterte sie ihn, schmunzelte und sagte: „Einen guten Geschmack hast du ja, das ist ja ein ganz Hübscher. Dann wollen wir mal alles geben, dass er auch wieder gesund wird. Ich werde gut auf ihn aufpassen und dir Bescheid geben, wenn etwas sein sollte.“

„Danke, du bist echt lieb und wenn ich mich mal revanchieren kann, lass es mich wissen.

Du hast ja bestimmt gehört, dass meine Sippe in der medizinischen Welt von Köln eine große Geige spielt“, erwiderte ich und drückte dankbar ihre Hand.

„Geht einfach mal, wenn aus euch beiden was wird, mit mir und meiner Freundin ins Lulu, eine schwule Superdisco, und gib dort einen aus“, sagte sie lächelnd und outete sich auf ihre Art einfach als lesbisch. „Ich kann dich verstehen und hoffe, dass er auch so ist, wie du es dir wünschst, denn eine unerfüllte Liebe ist schon sehr schlimm für den Betroffenen. Ich weiß dass aus Erfahrung, denn die erste Frau, für die ich echt geschwärmt und in die ich mich mal wahnsinnig verliebt hatte, war nicht lesbisch und das hat mich sehr mitgenommen damals. So, und jetzt ab mit dir, ich werde ihn nicht aus den Augen lassen und wenn du heute Abend wiederkommst, geht es ihm bestimmt schon besser.“

Sie schob mich zur Tür und so ging ich dann in die Schleuse, wechselte die Kleidung und wollte gerade gehen, als mir einfiel, dass ja Marvins Sachen hier unten in einem Schrank in einem beschrifteten Plastiksack lagen. Ich öffnete den Schrank, holte den Sack mit seinem Namen heraus und schüttete die Sachen auf den Boden.

Ein Sportrucksack von Nike, Nike-Schuhe und ein Trainingsanzug mit dem Namen eines bekannten Kölner Handball-Clubs, ein benutztes T-Shirt, ein Geldbeutel und ein Nokia-Handy kamen zum Vorschein, ebenso ein kleiner Schlüsselbund mit drei Schlüsseln, ein Autoschlüssel war nicht dabei.

Ich nahm den Geldbeutel und schaute hinein. Knapp 30,- Euro an Geld und eine Konto-Karte der PaxBank Köln und verschiedene Kassenzettel und eine Telefonkarte älteren Datums.

Weiterhin, und das war das wichtigste, war dort ein Personalausweis mit der Adresse und einer vor gerade mal vier Monaten geänderten, neuen Adresse, eben die Dieselstraße 39, am Kalker Güterbahnhof. Einen Führerschein hatte mein Schwarm auch und aus seinen Papieren ersah ich, das er am 30.12. dieses Jahr Geburtstag hatte und 20 Jahre alt werden würde.

Die erste Adresse lag in der Nähe des Doms, wenn mich nicht alles täuschte, dort, wo auch die Bischöflichen Einrichtungen waren, ihr wisst schon, wo der Erzoberhirte wohnte und arbeitete. Obwohl ich eigentlich müde war und im Hinblick auf die kommende Nachtschicht bei Marvin lieber etwas schlafen sollte, beschloss ich, etwas mehr über diese Adresse in Erfahrung zu bringen. Ich machte mir ein paar Notizen auf meinem Handy, räumte alle Sachen wieder zurück, obwohl ich in Versuchung kam, seinen Wohnungsschlüssel an mich zu nehmen. Aber dann beschloss ich, das erst zu tun, wenn er damit einverstanden war.

Ich zog mich also um und fuhr ins Erdgeschoß. Auf dem Parkplatz kletterte ich hinter das Steuer meines VW-Golfs, Baujahr 2000, den meine Mutter vor drei Jahren ausrangiert hatte.

Das war ein sehr flotter Flitzer mit vielen Extras und auch vielen Pferdchen unter der Haube, aber sie war halt vor drei Jahren auf einen Audi TT umgestiegen und hatte mir den Golf überlassen. Für mich war das ein superpreiswertes Auto, da der Wagen immer noch auf meine Mutter angemeldet war und sie Steuer und Versicherung großzügigerweise übernommen hatte. Dafür benutzte sie ihn ab und an, wenn ihr Auto in der Werkstatt war.

Der morgendliche Berufs- und Schulverkehr war voll im Gange und es dauerte fast eine halbe Stunde, bis ich in der besagten Gegend war. Nachdem ich die Straße einmal rauf und runter gefahren war, suchte ich mir einen Parkplatz und ging zu Fuß zu dem Haus, dessen Nummer in der ersten Adresse gestanden hatte. Es war ein altehrwürdiges Haus, machte einen gepflegten Eindruck und wurde offenbar von mindestens zwei Parteien bewohnt. Ich hatte aus dem Wagen meine Digicam mitgebracht, die hatte ich von Vater zum letzten Weihnachtsfest bekommen und so brauch ich ja wohl nicht zu erwähnen, dass das ein edles Teil war.

Ich möchte nicht, dass ihr mich jetzt hier voll für den Bonzen haltet, der nur das Beste hat und kauft und einen Arsch voll eingebildet ist.

Das bin ich in der Tat nicht, aber ich hatte auch nichts dagegen, dass wir nicht jeden Cent dreimal umdrehen mussten, und wenn meine Eltern Geschenke machten, dann war das eben vom Feinsten. Das glaubten sie sich schuldig zu sein und manchmal wollten sie damit auch zeigen, wie sehr sie ihre Kinder liebten, wenn sie auch relativ selten Zeit für sie hatten.

Ich ging nun erst einmal aufmerksam an dem Haus vorbei, betrachtete auch die Nachbarhäuser und stellte fest, dass das gesamte bischöfliche Umfeld hier angesiedelt war. Das ließ den Schluss zu, wenn Marvin hier gewohnt hatte, das seine Eltern, sprich sein Vater, eng mit dem Bistum und dem Bischof zu tun haben würde. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf und so war ich überrascht, als plötzlich die Tür des Hauses aufging und ein junger Mann in meinem Alter heraus kam, der Marvin ähnlich sah.

Ich nahm die inzwischen schussbereite Cam und knipste das Haus und natürlich auch den jungen Mann. Dem entging das natürlich nicht und er schaute zu mir herüber, musterte mich eingehend, allerdings ohne was zu sagen und als ich nun als Ablenkung ein weiteres Bild nur vom rechten Hausteil machte, hielt er mich wohl für einen Touri, der alte Häuser fotografiert.

Vom Aussehen her könnte er ein Bruder von Marvin sein und ich beschloss ihn wenn es ging ein wenig zu beobachten. Die Camera war schussbereit und ich wartete auf eine Gelegenheit, ein besseres Bild von ihm zu machen.

Allerdings musste ich mein Vorhaben direkt noch mal aufgeben, weil ein Auto am Bordstein anhielt und der junge Mann einstieg. Das Auto fuhr auch gleich wieder los, es gelang mir jedoch, den Wagen und das Kennzeichen mit der Digicam fest zu halten. Ich beschloss, nach Hause zu fahren und zu schlafen. Später würde ich die Bilder ausdrucken und das Bild von dem jungen Mann würde ich mit zu Marvin nehmen. Die Nummer des KFZ werde ich meinem Vater geben, der wird für mich den Halter ermitteln lassen. Der hat einen guten Draht zum Polizeipräsidenten, die sind nämlich zusammen im Lions-Club.

Mir fiel ein, dass Eva gesagt hat, das man das künstliche Koma vielleicht morgen schon aufheben würde, um zu sehen, welche neurologischen Schäden nach der OP noch vorhanden waren, und dann wollte man über die Therapie entscheiden. Es konnte durchaus sein, dass Marvin, falls er erwachte, von der Intensivstation auf die Neurologie verlegt würde. Ich müsste meinen Paten fragen, ob er den Neurologen anweisen könne, für mich eine familienähnliche Besuchsregelung zu gestatten. Dann konnte ich jederzeit zu Marvin gehen und mich um ihn kümmern. Eine Verlegung auf die Chirurgie war aber auch möglich, das musste halt der Chef entscheiden.

Da bisher kein Familienangehöriger aufgetaucht war, würde das bestimmt klappen. Ich wollte, wenn ich ausgeschlafen hatte, meinen Paten gleich anrufen und ihm die ganze Sache erklären.

Selbst auf die Gefahr hin, das Marvin nicht schwul war, wollte ich doch alles für ihn tun, was in meiner Macht stand, natürlich auch immer in der Hoffnung, das er zu den zehn Prozent der Menschen gehörte, zu denen ich auch mich auch zählte.

Was mich aber in Gedanken nicht losließ, war die Tatsache, dass ihn entweder noch keiner seiner Familienangehörigen vermisste hatte, oder aber, dass keiner was mit ihm zu tun haben wollte. Da der Unfall polizeilich aktenkundig war, wobei der eigentliche Unfall wohl nicht, sondern wohl das Auffinden und der Einsatz des Notarztes, konnte ich davon ausgehen, dass die Polizei seine Familie über seinen Zustand und seinen Aufenthaltsort unterrichtet hatte.

Ich wagte die wildesten Spekulationen in Gedanken und versuchte eine Erklärung für das Verhalten der Angehörigen zu finden. Über meine Gedanken hatte ich meinen Golf erreicht und startete in Richtung Wohnung, wo mich Fridolin, mein Kater, schon sehnsüchtig erwartete.

Nach einer heißen Dusche, einem kleinen Frühstück und einigen Streicheleinheiten für Fridolin (den Kater meine ich) ging ich ins Schlafzimmer, ließ den Rollladen runter und kroch ins Bett. Bevor ich einschlafe, muss ich Euch noch was beichten. Als ich Marvins Sachen nachschaute, habe ich sein gebrauchtes T-Shirt aus dem Sportrucksack mitgenommen. An diesem Shirt schnüffelte ich mich in den Schlaf und träumte von Marvin und mir.

Fridolin hatte sich ebenfalls in, beziehungsweise auf mein Bett geschafft und sich neben meinen Beinen zusammen gerollt. Der Traum war erfolgreicher als ich mir das vorgestellt hatte und als ich am Nachmittag um 15:30 aufwachte, konnte ich zunächst mal wieder unter die Dusche springen und das Ergebnis meines auf Marvin bezogenen Traumes von meinem

Körper zu waschen. Retroshort und Schlafshirt waren Persilreif. Das war mir jetzt schon ein paar Jahre, genauer seit der Anfangszeit mit Tobias nicht mehr passiert und ich betrachtete es als ein Zeichen meines Verliebtseins in meinen neuen Traumboy. Mir war das keineswegs

peinlich, warum auch, was ist schon schlimm daran, wenn der Körper auf den Seelenzustand reagiert, und außerdem was in meinem Bett passiert, geht ja auch wohl zur Zeit nur mich was an.

Nachdem ich mich geduscht und angezogen hatte, richtete ich mich für die Nachtschicht,

Zurück zum 23.12.2006, 18.00 Uhr

Die Tasse ist leer und über all meinen Gedanken und der Reise in die jüngere Vergangenheit habe ich auch Fridolin vergessen. Der sitzt draußen in der Kälte vor der Terrassentür und wartet darauf reingelassen zu werden. Ich erhebe mich aus dem Sessel, gehe zur Türe und lass den Kater rein. Mit erhobenem Kopf und steil aufgerichteten Schwanz geht er schmollend an mir vorbei, um in der Küche sein heißgeliebtes Aldifutter zu genießen. Andere Sorten brauche ich nicht zu kaufen, die würde er nur fressen, wenn es ums nackte Überleben geht. Spätestens, wenn er satt ist, wird er wieder zu mir kommen und mit mir schmusen oder mit seinem Lieblingsspielzeug, einer Walnuss, spielen, die er vom Nikolausteller stibitzt hat.

Ich räume die Tasse in die Spülmaschine, gehe zurück ins Wohnzimmer und fahre meinen Rechner hoch. Nachdem alles hochgefahren ist, lese ich zuerst meine E-Mails, es sind nicht so viele, weil ich nicht so der E-Mailschreiber bin und deshalb auch nicht viele zurückkommen. Ich bin eher der Typ, der das Telefon benutzt, um Kontakte aufrecht zu erhalten. Das mochte wohl auch daran liegen, das meine Telefonrechnungen, Festnetz und Mobil, immer von meinen Eltern bezahlt werden.

„Ich weiß, ich weiß, der Typ hat’s echt gut getroffen“, werdet ihr jetzt denken, aber ich nutze das nicht sonderlich aus und die Kosten halten sich durchaus in einem vernünftigen Rahmen.

Dafür bin ich aber des öfteren im Internet und im Chat, bei meiner Lieblingswebseite „Nickstories.de“.

Dort bin ich angemeldet, etwa seit ich 18 Jahre alt bin. Ich war damals rein zufällig auf die Seite gestoßen, als ich nach Geschichten über schwule Jungs gesucht habe. Hier gibt es echt gute Stories, die sich von vielen Geschichten in anderen Kanälen dadurch unterscheiden, dass hier nicht der pure Sex im Pornostil im Vordergrund steht, nein, hier gibt es echt gute Stories in die man sich hinein versetzen kann und bei denen man mit den Hauptpersonen mitfiebert. Coming Out-Stories, Love-Stories, Fantasiegeschichten und Dramen, hier war für jedem Geschmack und für jede Gemütslage etwas zum Lesen und zum miterleben.

Manche Nacht habe ich hier verbracht, habe mit Gilfea in Neros „Drachenblut“ auf dem Rücken des Drachen Mithval gegen die Orks gekämpft, bin mit Rafael im Jugendknast gewesen, habe geliebt und gelitten, bin mit „Juli“ durch Höhen und Tiefen der Liebe und natürlich durch Berlin getigert, kenne die „Erdkinder“ von Hyen, genau so gut wie „PigPen“ und viele, viele andere.

Manche Geschichten las ich einmal, viele zwei- und dreimal und einige mehr als fünfmal. „Streetkids“, „Eingeschneit“, „Kopfgeister“ oder „On Tour“ wurden, einmal angefangen, ohne Unterbrechung (Pinkeln und so ausgenommen) gelesen oder besser gesagt, miterlebt.

Chelsea, Nero und Peter sind einige der Autoren, deren Stories ich mit derselben Begeisterung lese, wie ich als 1zwölfjähriger Karl Mays „Winnetou“ oder Astrid Lindgrens

„Brüder Löwenherz“ gelesen habe

Ich kenne viele Geschichten und ihre Helden in- und auswendig und mag sie, finde mich in ihnen wieder und selbst beim dritten oder vierten Mal kommen mir an bestimmten Stellen manchmal noch ein paar Tränen. Soviel zu den Geschichten, wer sie nicht kennt, ist um einiges ärmer und hat viel versäumt. Mir haben diese Stories viel geholfen und ich möchte sie auch in Zukunft nicht missen.

Es gibt dort auch ein Forum mit vielfältigen, zum Teil ernsten, aber auch sehr lustigen Themen und einen Chat, in dem sich täglich eine ganze Menge netter Jungs und auch Mädels treffen, um mehr oder weniger ernsthafte Gespräche zu führen. Hier bekommt man Hilfe oder Trost, wenn es einem mal nicht gut geht, gute Ratschläge, Musiktipps, oder man hört sich die Probleme anderer an und versucht zu deren Lösung beizutragen.

Das ganze ist ein eingetragener Verein mit einem Vorstand und so und allem, was dazu gehört.

Nicht vergessen will ich die einmal im Monat stattfindende Radiosendung, zu der man sich Musik zu einer bestimmten Themengruppe wünschen kann und in der die beiden Moderatoren und deren Gäste, vor allem die Ratgeberin in allen Lebenslagen, Tante Hilde aus Ösiland, allerhand, meist sehr Lustiges und auch viel Blödsinn von sich geben.

Als erstes schaue ich auf der Startseite, ob eine neue Story online ist, wenn ja, dann ist der Lesestoff für den heutigen Abend schon gesichert. Ich sehe, dass eine neue Story eingestellt

ist. „Weihnachten und andere Bescherungen“ heißt sie und ist schon seit gestern online.

Gestern hatte ich aber keine Gelegenheit abends ins Net zu gehen und so werde ich sie halt heute lesen.

Da ich wahrscheinlich vor Aufregung heute Nacht eh nicht gut schlafen kann, hebe ich mir die Story für später auf. Ich gehe in den Chat, aber es ist noch sehr früh und es sind nur wenige Leute anwesend. Irgendwie bin ich unruhig und kann mich nicht konzentrieren. Also verlasse ich das Internet und fahre den Rechner runter. Da ich noch eine angebrochene Flasche Rotwein habe, hole ich mir ein Glas, schenk mir ein und setze mich wieder in Opas Erbstück. Nachdem ich einen Schluck genommen habe, wandere ich in Gedanken wieder in die Vergangenheit.

18.11.2006, 17:40 Uhr, Samstag

Nach einer zügigen Fahrt und 20 Minuten früher als sonst betrat ich die Stationsschleuse, zog meine sterile Kleidung an und betrat den Stationsbereich. Mein erster Blick galt ihm, Marvin, und erst als ich ihn eingehend betrachtet hatte, meine Hand strich schon wieder unbewusst über seine immer noch leicht gestörte rechte Gesichtshälfte, nahm ich Blickkontakt mit Eva auf. Mir fiel gleich auf, das etwas geschehen sein musste und ich ging zu ihr und begrüßte sie. Sie stand am Bett des Herzpatienten und schaute auf die Geräte, die permanent den jeweiligen Zustand des Patienten anzeigten.

„Hallo Eva, hattest du einen einigermaßen ruhige Schicht?“, fragte ich.

Sie hob die Augenbrauen, blickte mir in die Augen und sagte; „Unser Herzpatient wird gleich

abgeholt und operiert, danach wird er wohl wieder herkommen und es kann sein, das dir eine unruhige Nacht bevorsteht. Wenn der jetzt nicht operiert wird, überlebt er die Nacht nicht mehr. Ich hatte sechsmal über Tag den Arzt hier und vor knapp einer Stunde half nur noch der Defi. Wir mussten ihn reanimieren und jetzt bereiten sie den OP vor. Dein Onkel kommt selber, da weißt du, wie es aussieht. Hoffentlich geht alles gut. Deinem Schwarm geht es langsam besser, es gab nichts Negatives und das EEG normalisiert sich langsam. Dr. Beyer (so hieß der Arzt) will ihn morgen früh aufwachen lassen.“

Wir redeten noch ein bisschen über andere Dinge, sie sagte mir, dass sie morgen früh eine halbe Stunde später kommen wolle und ich sagte selbstverständlich, dass das in Ordnung geht. Als Ausgleich wollte sie mir frische Brötchen mitbringen für mein Sonntagsfrühstück.

Wir gaben uns zum Abschied die Hand und ich dachte für mich, dass wir uns ein gutes Stück näher gekommen waren und dass wir noch gute Freunde würden.

Nun kontrollierte ich zuerst gründlich den Infarktpatienten und als dort alles im grünen Bereich war, ging ich zu meinem Schwarm. Ich kontrollierte das EEG, das EkG, Puls und

Blutdruck und überprüfte den Füllstand der Infusionen. Auch den Urinbeutel kontrollierte ich und bereitete einen frischen vor und verkabelte Marvin mit dem neuen Beutel.

Als ich mit meinen Tätigkeiten fertig war, setzte ich mich zu ihm an die Seite, nahm seine Hand, streichelte sie und erzählte ihm von mir. Ich nannte meinen Namen, wer ich war und was ich so machte und auch, wo ich wohnte. Ich erzählte ihm alles, was mir so gerade einfiel, und ich erzählte ihm auch, dass ich schwul war und mich sehr in ihn verliebt hatte. Dabei streichelte ich fortwährend seine Hand und schaute immer wieder in sein Gesicht.

Nach gut einer halben Stunde ließ ich seine Hand gehen und stand auf, um erneut bei unserem Infarktpatienten alle Werte zu kontrollieren. Der Puls war schwach und auch nicht so richtig regelmäßig, der Blutdruck war an der unteren tolerierbaren Grenze. Ich beschloss den Arzt zu rufen, wollte ich doch hier kein Risiko mehr eingehen. Ich klingelte und kurz drauf kam Dr. Beyer. Ich nannte die Werte und er sagte: „Er wird jetzt sofort in den OP gebracht, die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Wir werden vermutlich drei Bypässe legen müssen und ich hoffe, dass er die OP gut übersteht. Wenn alles klappt, dann wird er in drei bis vier Stunden wieder hierherkommen.“ Er verließ den Intensivbereich und kurz drauf wurde der Patient von zwei OP-Leuten abgeholt. Der OP-Bereich war auf demselben Stockwerk und lag dem Intensivbereich gegenüber, so dass keine großen Entfernungen zu überwinden waren.

Drei bis vier Stunden in denen ich nun Zeit hatte, mich um meinen Schwarm zu kümmern. Ich setzte mich wieder zu ihm und redete ruhig auf ihn ein, dabei seine Hand haltend.

Ich erzählte ihm mein halbes Leben, wie ich gemerkt hatte, dass ich schwul war, wie meine Eltern reagiert hatten und so weiter. Dass er mich nicht hören konnte, störte mich dabei nicht. Mir reichte es zu diesem Zeitpunkt voll und ganz, dass es ihm nicht schlechter ging und das ich einfach nur bei ihm sein konnte.

So verging die Zeit und als ich auf die Uhr schaute, waren bereits vier Stunden vergangen. Ich machte mir nun doch Gedanken um unseren Infarktpatienten. Hoffentlich war alles gut gegangen. Wieder kontrollierte ich alle Werte bei Marvin, wechselte zwei Infusionen aus und spritzte die angeordneten Medikamente in die jeweilige Flasche. Nachdem das auch erledigt war, setzte ich mich wieder hin und nahm Marvins Hand, jetzt war ich aber mit den Gedanken bei dem Herzpatienten und ich dachte an seine Familie, drei Kinder, das Jüngste neun Jahre alt.

Es dauerte und dauerte und nach weiteren eineinhalb Stunden kam ein niedergeschlagener Dr. Beyer und da wusste ich sofort, dass die OP nicht gut verlaufen war. „Wir haben den Mann verloren. Das Herz war in einem sehr schlechten Zustand und als der Chef den Brustraum geöffnet hat und wir das Herz gesehen haben, war uns bewusst, das wir nur wenig Chancen hatten, den Kampf zu gewinnen“, sagte er leise und lehnte sich an die Wand, „Es ist immer wieder niederschmetternd, wenn ein Patient auf dem Tisch bleibt. Manchmal möchte ich dann alles hinwerfen und nie mehr einen OP-Raum betreten.“

Ich wusste zunächst nichts darauf zu antworten und hatte in Ungedanken wieder Marvins Hand genommen und streichelte sie. Dr. Beyers Blicke wanderten von meinem Gesicht auf meine Hände und erst in diesem Augenblick wurde mir bewusst, was ich gerade tat und wer mir dabei zusah. Rotwerden und die Hand loslassen war eins und ich murmelte: „Sorry, ich bin wohl etwas durcheinander jetzt.“

Als ich Dr. Beyer dann wieder in die Augen sah, lächelte er leicht, sah zu Marvin, dann wieder zu mir, sah einige Male so hin und her. Er stieß sich von der Wand ab, kam ans Bett

und stellte sich neben mich und sagte: „ Du kannst dich glücklich schätzen, das wir dich alle schon recht gut kennen und wir auch alle sehr tolerant und aufgeschlossen sind. Du musst aber bedenken, dass es genügend Menschen gibt, die dir mit Freuden aus einer solchen Situation einen Strick drehen würden. Nicht einmal die Tatsache, das du ihn streichelst, nein, die Tatsache, das er bewusstlos ist und weder sein Einverständnis noch seine Ablehnung zu

den Streicheleinheiten geben kann, wäre in einem solchen Falle der Ausschlag gebende Punkt, der dir erhebliche Probleme bereiten könnte.“

„Ich weiß“, erwiderte ich kleinlaut, „ich hatte mich wohl wegen der schlechten Nachricht

nicht genügend unter Kontrolle, und ich weiß auch, dass ich das eigentlich nicht dürfte, weil

er bewusstlos ist. Was wollen Sie jetzt tun?“

„Nun, das beste wird es sein, ihn aufwachen zu lassen, dann kann er selber entscheiden, ob er das mag oder nicht“, erwiderte er mit einem leichten Lächeln. Mir fiel ein Stein vom Herzen, hätte mich das doch jetzt echt in Erklärungsnotstand und Schwierigkeiten bringen können.

„Danke, Dr. Beyer“, sagte ich.

Dr. Beyer machte sich nun an den Infusionen zu schaffen, zog vorsichtig den Schlauch aus der Nase. Dann entfernte er die Flasche, in der wohl das Medikament zur Aufrechterhaltung der Bewusstlosigkeit war und ersetzte sie durch eine Flasche Kochsalzlösung. Dorthinein spritzte er eine kleine Menge eines Gegenmittels, um die Aufwachphase einzuleiten. „So, Djortsch, jetzt wird es nicht mehr all zulange dauern, bis der junge Mann aufwacht. Wenn es soweit ist, rufst du mich bitte.“

„OK, mach ich“, antwortete ich, jetzt schon ein bisschen aufgeregt und angespannt. Was würde sein, wenn er aufwacht? Konnte er alles erkennen, wusste er, wer er war und was passiert war.

Unruhig begann ich, immer wieder auf die Geräte zu schauen, um zu sehen, ob es schon eine Veränderung gab, und immer wieder ging ich dicht ran, um auch ja keine zu versäumen. Vor Aufregung begann ich zu schwitzen und malte mir alle möglichen Reaktion Marvins zu der Tatsache aus, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Der Blutdruck war schon etwas angestiegen, auch der Puls war um fünf Schläge höher als vor her. Es kam mir vor, als wenn sein Gesicht nicht mehr so blass war wie vor einer halben Stunde.

Meine Ungeduld wuchs und meine Nervosität stieg ständig. Die Warterei zerrte an meiner

Seele und ich konnte nicht mehr sitzen bleiben. Ich musste einfach etwas tun, also begann ich wieder, ihn zu streicheln. Ich streichelte abwechselnd seine Wangen und seine Stirn, ebenso seine Hände. Das ging so eine Dreiviertelstunde, als er plötzlich leise stöhnte, den Kopf in meine Richtung drehte und die Augen aufmachte. Zunächst schaute er mich an, ohne eine Reaktion zu zeigen. Ich ließ seine Hand, die ich gerade gestreichelt hatte, aufs Bett gleiten und rief über Knopfdruck nach Dr. Beyer. Es dauerte nur zwei Minuten bis der kam und in diesen zwei Minuten gingen Marvins Blicke im Zimmer umher, um immer wieder zu meinem Gesicht zurückzukehren. Dabei verzog er keine Miene und es waren keinerlei Reaktionen zu sehen.

Mein Mund war trocken und ich brachte vor Aufregung keinen Ton heraus, also sah ich ihn einfach nur an, legte alle meine Empfindungen, die ich für ihn hegte in diesen Blick und wartete auf Dr. Beyer. Als Beyer kam, trat ich etwas vom Bett zurück, um ihm Platz zu machen.

Er stellte sich so hin, dass Marvin ihn sehen konnte, nahm seine Hand und fragte; „Herr Trimborn, können sie mich hören. Wenn sie mich hören können, drücken sie meine Hand.“

Offensichtlich erfolgte die gewünschte Reaktion, denn er sagte weiter: „ Gut so, wenn sie mich sehen können, drücken sie wieder meine Hand.“

23.12.2006, 18:30 Uhr

Mein Mund ist trocken geworden, so sehr beschäftigen mich immer noch die Gedanken an die Ereignisse im November. Als ich einen Schluck trinken will, stelle ich fest, dass das Glas leer ist. Also steh ich aus meinem Sessel auf, um mir noch ein wenig nachzuschenken. Jedes Mal, wenn ich die Zeit Revue passieren lasse, bin ich wieder so aufgedreht wie damals. Mit einem neuen Glas Wein setze ich mich wieder in den Sessel und rufe nach Fridolin. Der kommt auch sogleich, springt auf meinen Schoß, rollt sich zusammen und beginnt zu

schnurren. Ich kraule ihn hinter den Ohren und drifte gedanklich wieder ab in die Vergangenheit.

Wieder zurück auf der Intensivstation, noch 19.11.2006, 02:00 Uhr, Sonntag

Marvin war aufgewacht und Dr. Beyer prüfte seine Reaktionen und sprach mit ihm. Ich war sehr aufgeregt und stand am Fußende des Bettes und sog jede Einzelheit in mich auf. Zum ersten Mal sah ich seine dunklen Augen, die unter den dichten, langen Wimpern fast schwarz wirkten. Seine Augen begannen im Zimmer umher zu schauen, zu suchen, zu versuchen etwas zu erkennen, vielleicht etwas Bekanntes, immer wieder am Gesicht des Doktors hängen bleibend, dann an meinem, auf der Suche nach Vertrautem, nach etwas, das man kennt.

„Herr Trimborn, sie hatten einen Unfall, wissen sie das noch? Können sie sich erinnern, was geschehen ist. Sie haben eine Kopfverletzung davon getragen und mussten operiert werden.

An was können sie sich erinnern“, fragte Dr. Beyer

Marvin schaute weiter mit großen dunklen Augen auf den Doktor und versuchte jetzt etwas zu sagen. Es wurde aber nur ein Krächzen und ich meinte herauszuhören. „Durst“, aber es hätte auch alles andere bedeuten können. „Darf er was trinken?“ fragte ich und schaute Dr. Beyer an. „Ja, gib ihm vorsichtig ein paar Schlucke Tee, sein Hals ist bestimmt ausgetrocknet“, antwortete er und ich machte sofort eine Schnabeltasse mit Tee fertig.

Vorsichtig nahm ich das Oberteil des Bettes und stellte es höher, so das Marvin in eine halb

sitzende Position gelangte. Ich unterfasste mit der Linken sein Kinn und setzte die Schnabeltasse an seinen Mund.

Vorsichtig ließ ich den Tee in seinen Mund laufen und er begann den Tee mit kleinen Schlucken zu trinken. Dabei schaute er mich mit seinen dunklen Samtaugen an, so dass ich beinahe anfing zu zittern. Diese Augen waren einfach Wahnsinn. Nachdem er wohl erstmal genug getrunken hatte, zeigte er mir durch Anheben des Kopfes, dass er nicht mehr weiter trinken wollte. Ich setzte die Tasse ab und wollte sie wegstellen, aber als ich mich wegdrehen wollte, hielt mich seine Hand plötzlich fest.

„Wer bist du?“, kam es langsam, aber einigermaßen gut verständlich aus seinem Mund, „und wo bin ich hier?“, wollte er wissen. Doktor Beyer hatte zwischenzeitlich die Werte kontrolliert und sagte jetzt: „ Djortsch, ich lass euch jetzt allein, ich habe schon seit zwei Stunden Feierabend und muss endlich mal schlafen. Seine Werte sind okay und bei dir denke ich ist er jetzt bestens aufgehoben. Ob du noch einen neuen Zugang bekommst, kann man nicht sagen. Wenn was ist, rufe die 271 an, dort sitzt der Chef, der hat die Bereitschaft heute übernommen.

Sein Zustand ist gut, er ist richtig wach und er kriegt alles mit. Mich braucht ihr jetzt nicht mehr und du bist ja fast schon ein richtiger Arzt und deine Motivation ihm zu helfen ist eh nicht zu Toppen. Rede mit dem Patienten und versuche herauszubekommen, wie und wo er den Unfall hatte. Bis morgen und tschüss.“

„Tschüss, Dr. Beyer, und Danke für alles“, sagte ich und selbst Marvin sagte: „ Tschüss“, ein gutes Zeichen, dafür, dass er alles mitbekommen hatte. Dr. Beyer verließ die Station durch die Schleuse und jetzt war ich mit Ihm allein, mit Ihm, in den ich mich so wahnsinnig verknallt hatte.

„Wer bist du“, wiederholte er seine Frage und schaute mich fragend an. Ich nahm all meinen

Mut zusammen und antwortete: „Ich bin der Djortsch Meiser, eigentlich Georg, aber meine Freunde sagen Djortsch zu mir und ich mache hier Dienst auf der Intensivstation. Eigentlich bin ich Student der Medizin, und mache das hier als Nebenjob und auch als zusätzliche praktische Ausbildung und Erfahrung, hier auf dieser Station nur, weil hier gerade krankheitsbedingter Personalmangel ist. Normalerweise arbeite ich in meiner Freizeit auf der Kinderstation.

Du bist Montagnacht hier eingeliefert worden, nachdem man dich in der Dieselstraße gefunden hat. Heute ist Samstag und du hast in einem künstlichen Koma gelegen, damit sich dein Gehirn von der Operation erholen konnte.

Dort hast du wohl längere Zeit in der Dieselstraße bewusstlos gelegen und dann bist du hier am Kopf operiert worden. Du hattest ein Blutgerinnsel im Kopf und das hat massiv aufs Hirn gedrückt.

Das hat auch einige neurologische Reaktionen ausgelöst, die aber hoffentlich in den nächsten Tagen zurückgehen werden.

Möchtest du mir nicht mal erzählen, was du über deinen Unfall weißt, wie es passiert ist und was der auslösende Moment für die Blutung war. Du musst doch hinterher wahnsinnige Kopfschmerzen gehabt haben.“ Ich machte eine Pause und er schien sehr intensiv zu überlegen.

„Lass mich mal ein wenig überlegen, ich heiße Marvin Trimborn, das weiß ich definitiv und ich bin 20 Jahre alt. Ich spiele Handball im Verein und ich glaube, zu wissen, dass beim Handball am Sonntagabend was gewesen ist.“ Er machte eine Pause und schien intensiv nach zu denken. Nach etwa zwei bis drei Minuten begann er, zunächst etwas stockend, dann flüssiger zu reden: „Ich werde mal versuchen, den Ablauf des Sonntagabend zu schildern“, sagte er leise mit einer jetzt wieder klaren, schönen Stimme.

„Wir hatten ein Handballspiel, bei dem es um wichtige Punkte ging. Ich habe vor vier Monaten den Verein gewechselt, aus persönlichen Gründen, und wir haben am Sonntag gegen meinen alten Verein gespielt. In diesem Verein spielt auch mein älterer Bruder und seit ich nicht mehr zu Hause wohne, verstehen wir uns nicht mehr gut. Er hat bei einem Angriff zu Beginn der zweiten Halbzeit den Ball mit aller Wucht direkt auf mein Gesicht geworfen. Ich konnte mein Gesicht zwar noch wegdrehen, aber der Ball traf mich voll seitlich am Kopf und ich schlug wohl danach auch noch mit dem Kopf voll auf den Boden auf.“

Er holte tief Luft und fragte: „Kannst du mir noch etwas Tee zum Trinken geben, bitte?“

„Natürlich, dafür bin ich ja da, um dich zu versorgen und auf dich aufzupassen“, sagte ich und nahm wieder sein Kinn in meine Linke und führte die Tasse an seinen Mund. Wieder trank er langsam und mit Bedacht und seine Augen sagten mir, wann er genug hatte. Gern hätte ich ihn noch länger gehalten und auch noch mehr mit seinem Gesicht gemacht, aber noch traute ich mich nicht, mich durch Worte oder Gesten zu offenbaren.

„Ich muss wohl kurz bewusstlos gewesen sein, denn als ich wieder denken konnte, lag ich schon außerhalb des Spielfeldes und unser Betreuer war bei mir. Ich hatte Kopfweh und war noch ganz benommen. Das Spiel lief bereits weiter und mein Bruder hatte eine Strafzeit bekommen, denn er saß auf der Bank, würdigte mich aber keines Blickes“, erzählte er. „Warum in aller Welt seid ihr so zerstritten, das er dich absichtlich in Lebensgefahr bringt, er muss doch als Handballer wissen, was ein mit voller Wucht geworfener Ball im Gesicht und am Kopf eines Gegenspielers anrichten kann“, fragte ich Marvin.

Den Blick vor sich auf die Bettdecke gerichtet, sagte er: „Ich weiß nicht, ob ich dir das so sagen kann, was der Auslöser für seine Feindschaft zu mir ist. Es bricht mir fast das Herz, denn wir haben uns immer super gut verstanden und haben vor fünf Monaten noch im selben Verein gespielt.“

„Alles, was du mir sagst, fällt unter die Schweigepflicht und wird selbstverständlich absolut vertraulich behandelt. Wenn es dich erleichtert, darüber zu sprechen, dann tu es einfach. Ich habe für alles Verständnis und höre dir gerne zu“, antwortete ich und sagte dann noch: „Ich

mag dich und würde gern mehr von dir wissen.“ Dabei wurde ich leicht rot im Gesicht und schalt mich innerlich einen Tor, weil mein Mund mal wieder schneller war wie mein Verstand, aber mein Herz jubelte, dass ich den Mut gefunden habe, ihm das zu sagen.

„Komisch, ich mag dich auch und ich habe das Gefühl, ich kenn dich schon lange und kann dir vertrauen. Trotzdem habe ich Angst, mich so einfach zu offenbaren. Als ich das letzte Mal Menschen meines Vertrauens gesagt habe wie ich mich fühle, was ich fühle und empfinde, da ist meine intakte Welt schlagartig in die Brüche gegangen. Deshalb habe ich große Angst, über diese Dinge zu reden“, gab er leise und mit gesenktem Blick als Antwort.

Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, ich analysierte alle gesagten und beobachteten Dinge und der Verdacht, oder besser die Hoffnung, Marvin könnte eventuell schwul sein, nahm rapide zu. Ich überlegte fieberhaft, ob ich ihn einfach so fragen sollte, war mir aber noch nicht so sicher. Trotzdem beschloss ich, der Sache jetzt und hier auf den Grund zu gehen. Sein Zustand war stabil und ich hatte keine Befürchtungen, dass das Gespräch schaden würde.

„Marvin, ich möchte dich jetzt etwas fragen, etwas ganz persönliches, von dem ich glaube, dass es so zutrifft. Du musst selbstverständlich nicht antworten, aber ich wäre sehr froh, wenn du mir vertrauen würdest. Ich habe in den letzten 24 Stunden sehr viel über dich nachgedacht, habe das Haus gesucht, in dem du früher gewohnt hast, habe deinen Bruder gesehen, und habe mich gefragt, warum keiner deiner Angehörigen bis jetzt hier war. Nach Abwägen aller Möglichkeiten bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dich deine Familie verstoßen hat, weil du angeblich anders bis, nicht in ihr erzkatholisches Weltbild passt, vielleicht weil du schwul bist?“

Stille, man könnte eine Stecknadel fallen hören, Schweigen, gesenkter Blick, verlegene Röte bis in die Haarwurzeln.

Ich sage: „Schau mich bitte an und sag mir ob ich Recht habe. Ein Nicken würde mir vorerst genügen“, und beobachtete sein Gesicht genau, aufgeregt und übernervös. Was würde jetzt kommen?

Tränen traten in seine Augen und er legte seine Hände vor sein Gesicht. Dabei wollte die Rechte nicht so recht gehorchen, aber er brachte sie mit großer Kraftanstrengung doch so hoch, dass er sein Gesicht bedecken konnte. Er schluchzte herzzerreißend und ich konnte nicht anders, ich nahm ihn in den Arm und streichelte seinen Nacken.

Ich hielt ihn im Arm und wagte kaum zu atmen, eine Flut an Gefühlen überkam mich und am liebsten hätte ich seine Tränen weggeküsst. Er schluchzte in mein weißes T-Shirt und ich merkte bald, dass seine Tränen durchgingen bis auf meine Haut. Nun hatte ich auch Tränen in den Augen und eine innere Stimme sagte mir, dass ich mit meiner Einschätzung der Lage wohl sehr ins Schwarze getroffen hatte.

Ich sagte kein Wort, sondern hielt ihn einfach nur fest und streichelte ihn. Nach etwa zehn Minuten, gefühlte 20 Minuten, hob er den Kopf aus meinem Shirt und sah mich an. „Bist du auch schwul?“, fragte er und schaute mich mit nassen Augen an. „Ja, Marvin, ich bin auch schwul und ich habe mich in dich verliebt, als ich dich hier zum ersten Mal gesehen habe“, antwortete ich und wollte ihn noch fester an mich ziehen.

Er machte sich jedoch los, sah mich gequält an und stieß hervor; „Aber wir sind doch pervers, abgrundtief schlecht, Abschaum, so haben sie mich bezeichnet, als ich ihnen meine Not geschildert habe. Ich will nicht schwul sein, ich will sein wie mein Bruder. Ich will nicht gehasst, ich will von ihnen geliebt werden, so wie sie mich all die Jahre geliebt haben. Sie hassen mich und mein Bruder hat mich absichtlich gefoult, er wollte mich vielleicht sogar töten, weil ich schwul bin. Warum bin ich schwuuul, sag du es mir und warum bist du schwuuul, das ist alles so ungerecht.“

Wieder hielt er die Hände vor sein Gesicht, so als ob er sich schämen würde und er weinte jetzt bitterlich. Ich nahm ihn wieder in den Arm, obwohl er sich anfangs sträubte, sich dann aber doch gehen ließ und sich an mich drückte.

Ich streichelte ihn und wiegte ihn hin und her, als wäre er ein Baby und sagte zu ihm; „Du bist kein Abschaum, ich bin kein Abschaum und du bist liebenswert. Wenn sie dich nicht lieben können, warum auch immer, so will ich dich lieben. Ich, Marvin, ich liebe dich und dass du und ich schwul sind, dafür können wir nichts. Der Gott, der dich und mich erschaffen hat und an den deine Familie so fest glaubt, der hat das so für uns bestimmt, vielleicht, weil wir ja was Besonderes sind. Wir können nichts für unsere Veranlagung und wir haben sie uns nicht ausgesucht. Wir sind nicht krank und Therapien helfen auch nicht. Versuch es einfach, zu akzeptieren, auch wenn es dir jetzt schwer fällt und sei einfach du selbst. Du bist nicht schlecht und auch kein Abschaum, du bist ein sehr liebenswerter, netter und sehr hübscher junger Mann und ich habe mich unsterblich in dich verliebt und möchte dich für immer festhalten.“

Mittlerweile hatte er die Hände von seinem Gesicht genommen und die Arme um mich gelegt.

Er drückte sich immer noch weinend an mich und sagte mit tränenerstickter Stimme: „Ich würde dir das alles liebend gern glauben, aber sie waren 19 Jahre meine feste Bank und erst als ich fragte, warum ich mich zu Jungs und nicht zu Mädchen hingezogen fühlte, haben sie angefangen mich fertig zu machen. Zuerst sollte ich in ein bayrisches Kloster, eine Therapie machen. Dann sollte ich dem Satan abschwören, der mich besitzen wollte. Sie haben mir alles verboten, was mir irgendwo Freude gemacht hat. Sie nahmen mir den Computer weg und wollten mich im Haus einsperren, fern halten von allen Versuchungen, einfach wegsperren. Ich weiß nicht mehr, wer und was ich bin, was habe ich getan, dass mein eigener Bruder mich tot sehen will. Nur einer hat mir geholfen, Heinz Borchers, er war mein Klassenlehrer im letzten Jahr vor dem Abitur. Er hat mir beigestanden und ihm verdanke ich, dass ich überhaupt noch lebe und dass ich eine eigene Wohnung habe und Unterhalt bekomme. Du musst ihm Bescheid sagen, was passiert ist, bitte.“

„Marvin, ich werde dem Mann persönlich Bescheid geben, aber erst später am Vormittag. Du darfst dich nicht so runter ziehen, du hast gar nichts Böses gemacht oder getan. Du bist nur schwul, das sind viele Millionen Menschen auf dieser Welt; wir sind kein Irrtum Gottes, sondern Menschen wie alle anderen auch, Gute oder Schlechte. Wir sind auf der Welt um zu leben, und auch zu lieben und unsere Liebe ist genauso viel wert wie die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau“, sagte ich zu ihm.

„Mein Vater, er war außer sich, er hat geschrieen, mich geschlagen, meine Mutter hat geweint und mein Bruder hat mich beschimpft als perverse Drecksau, Arschficker und noch viele andere Wörter. Mit einem Schlag war alles Familienleben zerstört und alles nur, weil ich Männer mehr mag als Frauen. Ich weiß nicht, wie ich das verkraften soll. Am liebsten wäre es mir, ich wäre nach dem Unfall gestorben. Dann hätten sie alle wieder Ruhe“, erzählte Marvin weiter.

„So ein Quatsch, so einen Mist will ich von dir nicht mehr hören, du musst dein Leben in die Hand nehmen, nicht wegwerfen. Du musst anfangen, du selber zu sein, zu leben, so wie du es möchtest. Du bist erwachsen, stell dich deinen Aufgaben und nimm das Leben an. Ich würde gern dein Begleiter sein auf dem Weg in die Zukunft, ich möchte dir all die Liebe geben, die du verdient hast. Ich möchte deine Familie sein, mit dir lachen, mit dir weinen und mit dir lieben, ich liebe dich so, wie ich noch nie einen Menschen geliebt habe“, sagte ich und nahm

vorsichtig sein Gesicht in meine Hände und näherte mich langsam mit meinen Lippen seinem Mund. Ganz zärtlich legte ich meine Lippen auf seine, bewusst die Augen in seine versenkend und küsste in weich und mit viel Gefühl.

Im ersten Moment der Berührung wollte er den Kopf zurückziehen, aber ich hielt ihn fest und dann gab er nach und hielt nicht nur still, sondern kam mir leicht entgegen. Wir versanken in einem Kuss, einem keuschen, ohne Zungenspiel, ich wollte ihn nicht überfordern, aber es war der schönste Kuss in meinem 24-jährigen Leben und er hielt bestimmt fünf Minuten. Danach war alles anders, ich war so verliebt, dass ich nicht wusste, wohin mit meinem ganzen Glück und so begann ich ihm von mir zu erzählen, ihn zwischendurch immer wieder kurz auf seine schönen, warmen Lippen zu küssen.

Ich erzählte im von meinem Outing, von meiner ersten Liebe, von der Reaktion meiner Eltern, meiner Schwester und von meinem eigenen Kampf mit der Erkenntnis, schwul zu sein. Ich erklärte ihm, das es den meisten nicht so gut geht, wenn sie entdecken, dass sie sich mehr zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen und dass nicht wenige an der Tatsche zerbrechen und ihr Leben selbst beenden. Ich redete und redete, ihn haltend und streichelnd. Er hatte sich gegen mich gelehnt und seinen Kopf an meine Brust gelegt. Er hörte mir einfach nur zu, ließ sich von mir den Nacken streicheln. Ich erzählte ja nun alles schon zum zweiten Mal, das Schöne daran war aber, dass er mir dieses Mal zuhören konnte.

„Möchtest du noch ein bisschen Tee trinken, Marvin?“ fragte ich ihn, nachdem ich etwa zwei Stunden alles über mich erzählt hatte, was mir so eingefallen war. Er hatte sich mittlerweile beruhigt und schmiegte sich immer noch an mich. „Ja, danke, gib mir noch etwas zu trinken. Meinst du, ich dürfte etwas essen, ich habe Hunger“, sagte er und löste sich von mir. Ich nahm die Schnabeltasse und wollte sie ihm an den Mund setzen, aber er griff nach der Tasse und wollte sie selber in die Hand nehmen. Ich ließ ihn gewähren und beobachtete, wie er mit der Tasse umging und stellte fest, dass die Motorik wohl langsam wieder in einen annähernd normalen Bereich kam. Auch Mundwinkel und Augenlid sahen schon wieder etwas besser aus. Es gab also gute Hoffnung auf baldige Normalität, genaueres würde ein EEG zeigen.

Ich nahm das Telefon, und wählte die 271. „Lüdtke“, meldete sich mein Onkel. „Hier ist Djortsch, Onkel Gerd, der Patient auf der Intensiv ist vor drei Stunden aufgewacht, hat mittlerweile Tee getrunken und hat jetzt Hunger. Meinst du, er darf jetzt schon was essen?“,

fragte ich. „Ich komm mal rüber und schau mir den jungen Mann mal etwas näher an, dann sehen wir weiter. Bis gleich“, sagte er und legte auf.

„Was ist, darf ich?“ fragte Marvin und schaute mich mit seinen großen, dunklen Augen fragend an. „Der Chefarzt, der ist auch mein Patenonkel, der kommt jetzt mal her und schaut nach dir und ich denke, er wird dann entscheiden, ob du was zu Essen bekommst und vor allem, was du essen darfst. Er weiß übrigens, dass ich schwul bin und er hat mich immer unterstützt und hat auch meinen Eltern gehörig den Kopf gewaschen, als sie am Anfang Probleme damit hatten, dass ich schwul bin. Er hat mir damals, als meine erste große Liebe mich verließ, nicht im Stich gelassen und hat mich hier auf der Kinderstation in ein Praktikum

gesteckt, das mich sehr schnell auf andere Gedanken gebracht hat. Wenn du wieder besser dran bist, nehme ich dich mit auf die Kinderstation und zeig‘ dir alles“, sagte ich zu Marvin.

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Onkel Gerd erschien, er begrüßte uns und setzte sich dann zu Marvin auf die Bettkante. Er nahm sein Handgelenk und fühlte den Puls, obwohl er den auch am Gerät hätte ablesen können. Er hat mir einmal erklärt, dass er so einen persönlichen Kontakt mit dem Patienten herstellt und versucht, sein Vertrauen zu gewinnen.

„Herr Trimborn, oder darf ich Marvin zu Ihnen sagen“, fragte er und als Marvin nickte, sagte er: „Marvin, wie fühlen Sie sich, Djortsch sagte, Sie hätten Hunger?“

„Sagen Sie bitte Du zu mir, mit dem Marvin und Sie habe ich meine Probleme“, sagte Marvin. „Ja, ich habe Hunger und möchte gern etwas zum Essen haben, wenn das jetzt geht.“

„Hast du Kopfweh oder ist dir schwindelig?“, fragte Onkel Gerd, immer noch seine Hand am Gelenk festhaltend. „Wenn nicht, dann werde ich sehen, ob ich etwas zum Essen für dich auftreiben kann.“ Marvin schüttelte vorsichtig den Kopf und sagte: „ Nein, es ist mir eigentlich ganz gut und schwindelig ist mir auch nicht.“

„Du hast jetzt fast eine Woche Zeit gehabt, dich von den Folgen des Unfalls und der Operation zu erholen, aber wir wollen mal langsam mit dem Essen anfangen. Eine Suppe wäre wohl das Beste, denn wenn dir danach übel würde, na ja, du weißt ja, dass eine Suppe problemloser wieder raus kommt als ein Steak. Wir wollen das zwar nicht hoffen, aber sicher ist sicher.

Nach Deiner Operation wäre Brechreiz nicht gut und könnte zu Komplikationen führen. Den Tee hast du ja problemlos vertragen, dann denk ich, verträgst du die Suppe auch. Ich geh dann mal wieder, bei Djortsch bist du ja in den besten Händen und er kann dir beim Essen auch behilflich sein“, sagte mein Onkel und erhob sich vom Bett „Ich schau mal, was sich machen lässt.

Bevor ich gehe, werde ich dich mal von den Infusionen und Messgeräten befreien. Sollte es dir in der nächsten Stunde schlechter gehen, ruft ihr mich sofort. Ich denke aber, dass dein Zustand so stabil ist, dass wir das jetzt so machen können. Morgen früh lass ich dich dann verlegen, mal sehen, auf welche Station.

Das werde ich mit dem Neurologen bei der Visite festlegen. Wenn er nichts dagegen hat, dann bringen wir dich auf der Chirurgie unter, die liegt im selben Stockwerk, wie die Kinderstation, auf der sich Djortsch fast täglich am Nachmittag aufhält. Dann kannst du ihm ja dort ein wenig Gesellschaft leisten, wenn du willst.“

Er ging leicht lächelnd hinaus und ließ uns beide allein und ich setzte mich wieder zu Marvin aufs Bett. „Ich bin froh, dass es dir jetzt offensichtlich gut geht, Hunger ist immer ein gutes Zeichen und dein Gesicht, dein hübsches Gesicht, hat wieder Farbe bekommen und die neurologischen Störungen haben sich schon gebessert. Ich denke mal, wenn du heute Vormittag auf eine normale Station kommst, wirst du dich auch gleich besser fühlen. Dort

kannst du dann erstmal baden, und wenn du dich nicht traust, dann bade ich dich am Nachmittag, wenn ich dich besuchen komme. Wenn du dann frisch bist, werde ich dir mal die Kinderstation zeigen und dich mit meinen Schützlingen bekannt machen.

Mal sehen, was Dr. Beyer sagt, wenn er um 08:00 Uhr kommt. Um 06:00 kommt Schwester Eva, eine ganz Liebe und eine tolle Frau, die mit einer anderen Frau zusammen lebt. Also jemand, der durchaus versteht, dass ein Mann auch Männer lieben kann und darf“, sagte ich zu Marvin. „Sie hat gleich erkannt, wie viel du mir bedeutest und dass ich mich in dich verliebt habe.“

Marvin wurde wieder etwas rot im Gesicht, und meinte schüchtern: „Dass das jemand so einfach akzeptiert, ohne blöde oder böse Kommentare, das ist so neu für mich und kaum vorstellbar, es macht mir aber auch Mut, vielleicht bin ich, und auch du, gar kein Abschaum.

Ach, Scheiße, ich weiß im Moment echt nicht, was ich glauben soll.

Mein Herz würde dir gern glauben, aber mein Verstand und der Verband um meinen Kopf sagen mir, dass es viele Menschen gibt, die anders darüber denken. Meine Familie gehört auf jeden Fall zu denen, die uns für minderwertigen, widernatürlichen Abschaum halten, der therapiert oder ausgemerzt werden muss.“

Ich nahm ihn einfach in den Arm und hielt ihn fest. Dann fiel mir aber heiß ein, dass wohl irgendwann demnächst eine Suppe kommen würde und da sah es bestimmt nicht so gut aus, wenn wir eng umschlungen auf dem Bett saßen. „Warum lässt du mich jetzt so schnell wieder los“, fragte Marvin denn auch gleich und ich erklärte ihm, dass ich als Pflegepersonal nicht unbedingt in einer schon eher intimen Lage mit einem Patienten angetroffen werden möchte, weil das unnötigen Ärger geben kann, das wäre aber auch genauso der Fall, wenn er eine junge Frau wäre, man darf das einfach nicht.

„Du weißt ja aus schmerzlicher Erfahrung, dass nicht alle Menschen tolerant genug sind, eine Beziehung unter Männern zu akzeptieren. Hinzu käme hier noch die Tatsache, dass du mir als Patient anvertraut bist, und da darf man das eben auch nicht Und ich möchte mir hier auf der Arbeit keinen Stress einhandeln. Wenn du nicht mehr mein Patient bist, und das ist spätestens dann, wenn du auf einer anderen Station liegst, dann werde ich meine Liebe zu dir nicht mehr verstecken, vorausgesetzt, du bist damit einverstanden“, sagte ich, drückte ihn noch einmal fest.

„Mir fällt ein, dass ich dich ja heute noch gründlich waschen muss, vielleicht kann ich das ja machen, wenn du was gegessen hast. Ich hoffe, dass du dich von mir lieber waschen lässt als später von Eva, oder?“

Eine leichte bis mittelschwere Röte überflutete sein Gesicht und er guckte mich ganz verstört an. „Du meinst, du willst mich nackt ausziehen und überall waschen?“, fragte er. „Ja, was ist denn da dabei?“, fragte ich. „Du warst doch nach dem Handballspiel auch immer duschen, und das mit vielen anderen nackten Männern. Das hat dir offensichtlich wohl nichts ausgemacht, oder?“

„Da war ich aber auch nicht der einzige Nackte und war auch in keinen von denen auch nur ein bisschen verliebt“, sagte er und schaute verschämt nach unten.

„Marvin, heißt das jetzt wirklich, dass du ein bisschen oder auch etwas mehr in mich verliebt bist, oder wie soll ich das jetzt verstehen?“ fragte ich und wagte nicht zu atmen. Ich schaute ihm fest in die Augen, die er wieder auf mein Gesicht gerichtet hat und warte ängstlich auf die Antwort.

„Ja, ich glaube, das heißt es. Ich war noch nie ihn irgendjemanden verliebt, aber ich glaube bei dir ist es so und es scheint auch nicht nur ein bisschen zu sein. Wenn mir meine Gefühle keinen Streich spielen, dann bin ich in dich verliebt, und zwar sehr verliebt. Aber du musst mir etwas Zeit geben, das muss ich erstmal verarbeiten. Nach all dem Kummer, den mir meine Veranlagung bereitet hat, muss ich wohl erstmal lernen, meine Gefühle zu begreifen und sie als etwas Normales, Schönes anzunehmen. Ich werde noch viel Hilfe brauchen, alles so zu akzeptieren und zu leben, wie du es tust. Wenn du mich auch lieb hast, dann wirst du mir und dir Zeit lassen, diese Liebe kennen zu lernen, uns aufeinander zu zu bewegen und die bösen Erfahrungen vergessen machen.“

Ich war tief gerührt und wollte etwas erwidern, aber er sprach weiter und sagte; „Du darfst nicht unterschätzen, dass meine Familie alles tun wird, mich von hier zu vertreiben oder mich vielleicht sogar umzubringen, der so genannte Unfall war mir eine ernsthafte Warnung. Einem schwulen Sohn kann sich mein Vater aus familiären, und aus beruflichen Gründen erst recht, nicht leisten.

Er ist ein hoher kirchlicher Mitarbeiter in einer leitenden Funktion im Bistum und nur der Bischof ist sein Vorgesetzter. Da kommt ein schwuler Sohn nicht gut, und einer, der dann noch uneinsichtig ist und weder einer Therapie noch einem Einzug in ein Kloster zustimmen will, erst recht nicht. Mein Bruder ist ein williges und fanatisches Werkzeug, als Theologiestudent und fanatischer Katholik ist er widerspruchslos bereit, den Willen meines Vaters mich betreffend in die Tat umzusetzen. Ich werde sehr aufpassen müssen, dass sie mich nicht noch einmal an den Rand des Todes bringen können.“

„Nun, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um zu deinem Schutz beizutragen. Wenn meine Schicht zu Ende ist, werde ich versuchen, mehr über deinen Bruder und die Pläne deiner Familie heraus zu bekommen. Mein Vater hat einige Möglichkeiten, Informationen zu beschaffen und auch, wenn nötig, für einen Schutz für dich zu sorgen. Wir werden das schon schaffen. In deine Wohnung gehst du erstmal nicht zurück, wenn du hier entlassen wirst, dann kommst du erstmal zu mir und wir werden zusammen ein schönes Weihnachtsfest feiern“, sagte ich, um ihn zu beruhigen, aber auch, damit er wusste, dass er mit seinen Ängsten nicht alleine war.

Dann fiel mir ein, wenn er ja heute Morgen verlegt würde, brauchte er auch andere Sachen, Unterwäsche, Schlafanzug und vielleicht noch Jogginganzug und Bademantel, Zahnbürste und so weiter. „Wenn du möchtest, hole ich dir aus deiner Wohnung die notwendigen Sachen für die nächsten Tage, wenn du das aber nicht möchtest, dass ich allein in deine Wohnung gehe, dann hol‘ ich dir Sachen von mir“, sagte ich zu ihm.

„Ich möchte von Anfang an keine Geheimnisse vor dir haben und ich habe auch nichts zu verbergen, du kannst meinen Schlüssel nehmen und alle Sachen holen, die ich brauche. Ich weiß ja nicht, wie lange ich hier bleiben muss, aber du kannst ja immer noch mal hin und was holen, wenn was fehlt“, antwortete er und sah mir dabei in die Augen. Ich wollte ihn gerade in den Arm nehmen und küssen, als ich die Schleusentür hörte. Sein Essen kam.

Ich nahm das Essen an der Türe zur Station entgegen. Es war ein Warmhaltegedeck, wie sie in Krankenhäusern üblich sind, und als ich den Deckel aufhob, war eine Cremesuppe, Spargel oder so was darin, noch gut heiß und sogar angenehm duftend.

Da auf der Intensivstation keine Nachtschränke stehen, an denen man ein Teil über das Bett klappen kann als Tisch, hielt ich das Tablett, das ich auf seinem Schoß abgestellt hatte, fest,

damit er ordentlich essen konnte. Leider ging das mit dem rechten Arm noch nicht ganz einwandfrei und so nahm ich dann den Löffel aus seiner Hand und fütterte ihn, was ich natürlich sehr gern machte. „Bis zum Genuss der Weihnachtsgans bei meinen Eltern kannst du deinen Arm wieder richtig gebrauchen. Ab Morgen, auf der Station, beginnen die Reha-Übungen und immer wenn ich zu dir komme, üben wir noch ein wenig.“

Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es schon gleich halb sechs Uhr ist. In einer halben Stunde, halt heute ja erst um halb sieben, würde Eva kommen und mich ablösen und ich würde dann erst mal nach Hause fahren und meinen Eltern beim Frühstück von meinem neuen Glück erzählen. Auch würde ich meinen Vater bitten, zu überlegen, wie wir Marvin vor den Bedrohungen durch seine Familie schützen konnten. Mein Vater, habe ich schon einmal erwähnt, hat wahnsinnige Beziehungen in Köln, auch den Polizeipräsidenten haben wir schon bei uns zu Gast gehabt und viele Leute aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens kennen ihn und er kennt sie. Der Lions-Club verbindet sie und gegenseitige Unterstützung ist selbstverständlich.

Mal sehen, ob da nicht was zu machen war. Außerdem nahm ich mir vor, die Handballclubs, den alten und den neuen zu kontaktieren, um Einzelheiten über das Foul und die Folgen, bzw. deren Einschätzung im Kreis der Mitspieler und der Trainer zu erfahren. Zunächst wollte ich aber nach dem Frühstück die Wohnung meines Schatzes in der Dieselstraße aufsuchen und ihm die notwendigen Sachen holen. Was dann noch fehlte, würde ich bei mir holen oder kaufen. Das ganze Zeug würde ich dann noch schnell in die Klinik bringen, damit er was Vernünftiges zum Anziehen hat, und nicht in dem berühmten OP-Hemdchen und einem Papierslip rumlaufen musste.

„Ich bin satt, Djortsch, danke, dass du mir geholfen hast, so ging es jedenfalls besser“, sagte

Marvin. Ich stellte das Tablett raus in die Schleuse und holte dann das Waschzeug. Als Marvin sah, was ich vorhabe, wurde er leicht rot und fragte: „ Muss das jetzt wirklich sein?“ „Marvin, erstens habe ich das während deiner Bewusstlosigkeit auch schon gemacht, es ist also für mich etwas, was zu meiner Arbeit gehört.“ „Wolltest du nicht fragen, ob ich baden kann?“, sagte er. „Das wäre mir lieber, denn in der Wanne könnte ich mir bestimmte Teile meines Körpers selber waschen, wenn du sie waschen würdest, dann wäre das bestimmt mit Peinlichkeiten verbunden.“

„Es muss dir zwar nicht peinlich sein, was dabei passieren könnte, aber wenn du lieber baden möchtest, wirst du warten müssen, bis du auf eine andere Station verlegt wirst, hier auf Intensiv ist kein Wannenbad. Also entweder Waschen mit Djortsch, oder Baden später mit jemand anderem.“

„Äh, hm, ja, gut, dann eben Waschen mit dir, aber du darfst mich nicht auslachen, wenn sich etwas regt bei mir. Dafür kann ich nichts.“ „Ich werde dich nie auslachen und wenn sich bei dir was regt, kannst du davon ausgehen, dass das bei mir nicht anders ist, mit dem einzigen Unterschied, das ich nicht nackt bin. Also, fangen wir an?“

„Ja, mach, bevor noch diese Eva kommt und alles mitkriegt, was hier beim Waschen abgeht“,

sagte er und schloss einfach die Augen, legte sich zurück und ließ mich gewähren. Ich richtete ihn zunächst wieder auf, wusch sein Gesicht, den Hals und den Nacken. Dann trocknete ich zunächst mal Gesicht und Hals ab, bevor ich begann, seine Brust und seinen Rücken zu waschen.

Ich bemühte mich ernsthaft, das absolut unerotisch zu tun, aber sein Gesichtsausdruck sagte mir trotz geschlossener Augen, dass er das schon etwas genoss.

Ich legte ihn nun zurück und zog die OP-Hose runter und begann, in untenherum, vorn und hinten zu waschen und abzutrocknen. Ich bemühte mich um coole Professionalität, konnte aber nicht verhindern, das meine Tätigkeit Auswirkungen auf Marvin und auf „Klein-Marvin“

hatte, wobei“ klein“ jetzt nur was über das Verhältnis zur wahren Körpergröße aussagt.

Was da vor sich hin stand, konnte sich durchaus sehen lassen und blieb auf mich auch nicht ohne Wirkung. Er ist nicht beschnitten, also musste ich zum Waschen noch etwas mehr Hand anlegen, und als ich dann mit dem Waschlappen an seine empfindlichsten Stellen kam, wurde, von einem tiefen Seufzer begleitet, die Feuchtigkeit im Waschlappen schubweise drastisch mehr und Marvins Gesichtsfarbe näherte sich dem Farbton Ral 3000 (Feuerwehrrot).

Ich tat natürlich so, als wäre nichts passiert, wusch den Waschlappen aus und zog , nach gründlichem Abtrocknen den nicht aus der Calvin Klein Kollektion stammenden Slip wieder hoch, um mich dann der Reinigung der Beine und Füße zu widmen. Als das auch geschehen war, und Marvin immer noch mit geschlossenen Augen dalag, gab ich ihm einfach einen Kuss auf den Mund. „So, mein Kleiner, das war die Reinigung, ich hoffe, es war dir nicht allzu unangenehm“, sagte ich mit leichtem Lächeln im Gesicht.

Ein Auge, das linke, öffnete sich vorsichtig und beäugte mein Gesicht. „Spotte du nur“, kam es über seine Lippen, „mal sehen, wenn ich dich so waschen würde, ich glaube, es würde dir nicht besser ergehen.“

„Wir können das ja bei Gelegenheit mal versuchen und dann sehen wir ja, was passiert“, antwortete ich und piekte mit einem Finger leicht in seinen schönen Bauch. „Jedenfalls gibt’s jetzt auch in meiner Hose einen gewaltigen Aufstand, und das ist mir jetzt aber gar nicht peinlich.“

„Ich muss erstmal lernen, mit dieser Situation umzugehen, und zu akzeptieren, dass sich mein Leben drastisch verändert hat. Vor fünf Monaten zum Schlechten und heute zum Guten, zu etwas, das ich noch gar nicht richtig kenne. Ich wollte es vorher nie für mich wahr haben, dass ich schwul bin, dass ich Männer mag, dass ich jetzt sogar einen Mann liebe. Djortsch, ich bitte dich, spiel nicht mit mir, ich könnte es nicht ertragen, wenn du nicht ehrlich zu mir bist.

Wenn du mich wirklich liebst, dann werde ich dich auch lieben, bedingungslos und wenn es nach mir geht, für immer. Ich fühle Dinge in mir, die ich vorher nie gefühlt habe und deine Nähe macht mich froh. Bitte, lass mich nicht mehr alleine, ich weiß jetzt ganz tief in meinem Herzen, dass ich dich über alles liebe“, sagte er leise zu mir und ich sah Tränen in seinen Augen.

Ich konnte nicht anders, ich musste ihn jetzt in den Arm nehmen und küssen, diesmal begann ich mit der Zunge über seine Lippen zu streichen und nach kurzer Zeit öffnete er zögernd seinen Mund und meine Zunge begann seine zu suchen. Als sich die beiden Zungen trafen, war das wie ein Stromstoß, als würden wir miteinander verschmelzen und um uns versank für einen langen Moment alles in einem rosaroten Nebel.

„Na, das hat ja schneller gefunkt, als ich erwartet habe!!“ EVA !!!!!!!!!!!!!!

Wir fuhren erschrocken auseinander und wurden beide rot (wieder Ral 3000) und ich löste mich von meinem Schatz. „Na, da gratulier‘ ich euch beiden mal von ganzem Herzen, ihr seid ja ein richtiges Traumpaar, würde ich mal sagen. Das müsst ihr mir aber bei Gelegenheit, am besten bei einem Kölsch, erzählen, wie das jetzt so schnell geklappt hat mit euch beiden“, legte Eva gleich noch einen nach.

Ich hatte als erster von uns beiden die Sprache wiedergefunden und begrüßte Eva: „Hallo Eva, schön dich zu sehen, ja, es ist einiges passiert zwischen uns beiden. Darf ich dir meinen Schatz Marvin, aufgewacht und frisch gewaschen, vorstellen, und dir seine weitere Betreuung bis zu seiner Verlegung auf eine andere Station besonders ans Herz legen?“

Marvin, immer noch etwas rot im Gesicht, sagte nun auch: „Guten Morgen, Schwester Eva.“

„Guten Morgen, ihr beiden, und die Schwester lassen wir einfach weg. Sag Eva zu mir, so nennen mich meine Freunde und Djortschis Freund ist auch mein Freund. Hand drauf“, sagte

sie und nahm seine Hand und küsste ihn links und rechts auf die Wange.

„So“, sagte sie, „jetzt schicken wir deinen neuen Schatz mal nach Hause, wie ich ihn kenne, hat er jetzt einen Haufen Dinge zu erledigen und er wird bestimmt nicht ewig wegbleiben. Sieh mal zu Djortsch, dass du etwas für das textile Outfit deines Schatzes besorgst, nicht das er mit Papierhosen und OP-Hemdchen auf eine Station kommt. Hier ist er ja relativ allein, da ist das nicht so wichtig, aber dort ist ja wesendlich mehr los und da sollte er schon nicht negativ auffallen.“

„Das haben wir schon besprochen und das ist das Erste heute Morgen, danach Frühstück mit meinen Eltern, das heute Morgen sehr wichtig ist. Marvin kann dir, wenn er will, ja nachher mal ein bisschen erzählen über das letzte halbe Jahr seines Lebens. Bis bald, ihr beiden.“, sagte ich, um mich dann mit einem Kuss von Marvin und einem Händedruck von Eva zu verabschieden. Es gab einiges zu tun und ich wollte nicht trödeln, wollte ich doch bald wieder bei ihm sein.

In der Schleuse holte ich aus seinen Sachen den Schlüsselbund und nahm auch den Geldbeutel mit seinen Papieren mit. Den Ausweis würde ich zu Hause kopieren und die Daten meinem Vater geben, der konnte sie dann bei Bedarf weitergeben und etwas zum Schutz von Marvin organisieren. Denen wird schon was einfallen, dachte ich für mich.

Nach Erreichen meines fahrbaren Untersatzes machte ich mich auf den Weg zu Marvins Wohnung in der Dieselstraße. Das ist gleich beim Güterbahnhof, nicht gerade allererste Wohngegend, aber auch nicht so teuer. Ich nahm mir vor, ihn mal zu fragen, wie er an die Wohnung gekommen ist, seine Eltern würden die wohl kaum besorgt haben, und wovon er im Moment lebte, interessierte mich auch.

Die Wohnung lag im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses und hatte direkten Ausblick auf den Güterbahnhof mit all seinem Lärm und all seiner Pracht. Das ist nur was für Märklinfans, dachte ich für mich. Sie war relativ spartanisch eingerichtet, hatte zwei Zimmer, eins davon mit integrierter Miniküche und ein Duschbad mit Toilette. Sauber, auch nach einer Woche Abwesenheit und fast nur mit dem Nötigsten eingerichtet, hatte sie doch eine persönliche Note.

Als ich seine Wäsche und Kleider holte, fiel mir auf, das eine Stofftierkatze von Steiff (Knopf im Ohr) im Bett liegt, die Marvin offensichtlich als Kuscheltier benutzte. Die nahm ich selbstverständlich mit, ich dachte, die tut ihm gut, wenn ich nicht bei ihm bin. Im Bad packte ich noch Zahnbürste, Duschzeug und Rasierzeug ein, es sollte ihm an nichts fehlen. Ich hoffte, dass ich nichts vergessen habe, wenn doch, konnte ich ihm ja noch was von mir mitbringen, wenn ich ihn später am Tag wieder besuchen würde. Ich schaute mich noch einmal gründlich um und stellte fest, dass mein Schatz hier absolut nur das Nötigste hatte und ich nahm mir vor, wenn er einverstanden ist, dass er hierher nicht mehr zurückkommen würde. Ich würde ihn darum bitten, bei mir einzuziehen und hoffte, dass er einwilligt.

Als ich die Wohnung verließ, öffnete sich die Tür gegenüber und ein Mann, so um die 70 Jahre, stand dort und schaute mich an. „Guten Morgen“, sagte ich und wiollte ins Treppenhaus verschwinden. „Warten Sie bitte mal“, kam es von ihm und so blieb ich stehen und schaute ihn an. „Ja, bitte, was möchten Sie?“, fragte ich den alten Herrn. „Können Sie mir sagen, wo der nette junge Mann abgeblieben ist, der Herr Trimborn?“, fragte er und schaute mich erwartungsvoll an. „Herr Trimborn hatte einen Unfall, und liegt zur Zeit im Krankenhaus, und wird wohl auch noch ein Weilchen dort bleiben müssen“, sagte ich.

„Das tut mir aber Leid, der ist immer so nett und hilft uns immer“, sagte der Mann, „und erst vorgestern war ein junger Mann hier, der sah Herrn Trimborn ähnlich und der fragte, ob das hier seine Wohnung sei. Vom Hausmeister weiß ich, dass der junge Mann versucht hat, über den Hausmeister in die Wohnung zu gelangen, der hat aber nicht aufgemacht, weil der andere keine Vollmacht von seinem Bruder hatte, und als der Hausmeister wissen wollte, was passiert ist und wo sein Bruder ist, da ist er dann abgehauen.“

„Das war bestimmt sein Bruder, und der ist an dem Unfall von Marvin nicht unschuldig, wenn der noch mal hier auftaucht, dann rufen Sie mich an, hier haben sie meine Karte, da steht meine Nummer drauf. Marvin geht es besser, er ist operiert worden und erst heute Nacht aufgewacht. Ich habe jetzt Sachen für ihn geholt, weil er auf eine andere Station verlegt wird“, antwortete ich. „ Sagen Sie ihm, dass wir ihm alles Gute wünschen und dass er bald wieder gesund wird“, sagte der Mann und ich bedankte mich und sagte, dass ich es ausrichten werde.

Nun aber los, erst zu Marvin und dann nach Hause, Frühstück mit den Altvorderen, und Austausch von wesentlichen Neuigkeiten, von wegen Schwiegersohn und so. Hihi, war mal gespannt, was sie sagen, dass ihr Jüngster noch mal unsterblich verliebt ist. Sie würden sich bestimmt sehr freuen, hoffte ich und mich dabei unterstützen, Marvin vor seiner Sippe und ihrem fanatischen Hass zu schützen. Wie ich meinen Vater kannte, würde er zur Höchstform auflaufen, und das will schon was heißen.

Mit ziemlichem Schwung bog ich auf den Parkplatz an der Klinik ein und hätte beinah noch einen Absperrposten niedergebrettert. Verliebte und Auto fahren, das passt nicht zusammen, oder? Ihr schmunzelt, ist es euch auch schon so ähnlich gegangen? Mit der Tasche mit den Sachen machte ich mich sofort auf den Weg zur Intensivstation, und kam gerade richtig, um Marvin die Sachen zu geben. Er saß schon in einem anderen Bett, das von der Station gebracht wurde und wartete nur noch darauf, dass Eva alle Unterlagen und seine Sachen mit

auf das Bett packte. Eine Schwester und ein Zivi warteten nur darauf, Marvin auf die Chirurgische zu verlegen.

Ich legte seine Tasche mit den Sachen auf sein Bett und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich habe Deine Miezekatze eingepackt, damit du wen hast, wenn ich mal nicht bei dir bin. Viel Grüße und gute Besserung von dem alten Herrn gegenüber soll ich dir sagen, der hat ja richtig von dir geschwärmt.“

Marvin wurde wieder ein bisschen rot, sagte aber dann: „Danke, dass du das alles für mich tust, ich hoffe, ich kann dir das alles wieder gut machen.“ „Papperlapapp“, sagte ich, „was ich bisher getan habe war nichts besonderes und ist selbstverständlich, wenn man sich mag. Ich fahre jetzt erstmal nach Hause und rede beim Frühstück mit meinen Eltern. Wir werden einen Plan machen, wie das alles weitergeht. Denk immer daran, du bist nicht mehr allein und ich werde alles für dich tun, was in meiner Macht liegt.“

„Bitte gib mir noch einen Kuss, bevor du gehst“, flüsterte er an mein Ohr. Ich schaute ihn an und flüsterte zurück: „Gerne, wenn du das willst, das ist eine schöne Erklärung an mich und ich bin so froh, das ich dich finden durfte. Ich liebe Dich.“ Sanft drückte ich meine Lippen auf seinen warmen Mund und diesmal schloss ich die Augen und genoss den Kuss bis in die Haarspitzen. Wenn er mich küsst, versinkt alles um mich rum und erst das Räuspern von Eva holte uns wieder in die Wirklichkeit zurück.

„Ich will ja das junge Glück nicht stören, aber ihr haltet den Betrieb auf und knutschen könnt ihr später immer noch. Außerdem warten hier noch zwei Mitarbeiter darauf, den Marvin auf seine Station zu bringen. Und du Djortsch, mach dich mal nach Hause, und rede mit deinen Eltern. Später kannst du ja dann wieder kommen und Marvin oben besuchen“, wurde ich von Eva hinauskomplimentiert.

Also machte ich mich nach einem weiteren Kuss mit Marvin und einem Knuff von Eva auf den Weg nach Hause, unterwegs besorgte ich noch Brötchen für das gemeinsame Frühstück mit meinen Eltern, Eva hatte zwar wie versprochen welche mitgebracht, aber die werden für uns drei nicht reichen. Wir frühstücken öfters am Sonntag, wenn ich die Zeit dazu habe, und es ist jetzt bald 09:00 Uhr, da werden sie schon munter sein und bestimmt auf die Brötchen warten, die ich mitbringe.

Zu Hause angekommen, klingelte ich gleich oben, ich hatte zwar auch von da einen Schlüssel, den benutze ich aber nur, wenn ich weiß, das keiner zu Hause ist. Man will ja schließlich nicht stören, denn es soll ja auch Leute über 50 geben, die ab und zu noch ein bisschen Gymnastik miteinander treiben und da will man ja nun auch nicht unbedingt reinplatzen.

Meine Mutter öffnete schon fertig angezogen und gut aussehend und meint: „Heute kommt der Brötchenexpress aber etwas später als erwartet, wir wollten gerade schon ein Taxi rufen und in die City zum Frühstück fahren.“ „ Dann hättest du dich aber schwer geärgert hinterher, hättest du doch echt wichtige Neuigkeiten verpasst, das wäre doch fast nicht auszudenken, oder?“, erwiderte ich mit leichtem Grinsen und schob sie zur Tür rein und folgte ihr ins Esszimmer.

Der Tisch war gedeckt, der Kaffee duftete und mein Vater saß hinter der Morgenzeitung und wartete ebenfalls auf die Brötchen. „Hat der Bäcker verpennt, oder warum kommen die Brötchen so spät heute“, sagte er die Zeitung weglegend und blickte mich erwartungsvoll an.

„Der Bäcker ist unschuldig, Schuld hat euer Sohn, der sich wohl Hals über Kopf in einen ganz süßen Jungen verliebt hat und deshalb heute Morgen später als sonst zum Bäcker fahren konnte“, war meine Antwort, denn ich bin halt einer, der immer gern mit der Tür ins Haus fällt.

„Na, das sind aber mal Neuigkeiten am frühen Morgen, da bin ich ja mal gespannt, ob wir einen netten Schwiegersohn bekommen“, wusste mich meine Mutter angenehm zu überraschen. „Wie heißt er denn und wo wohnt er, wann stellst du ihn uns vor?“, fragte sie beim nächsten Atemzug und schaute mich gespannt an. „Mama, drei Fragen auf einmal, mach mal langsam. Er heißt Marvin Trimborn und liegt bei uns auf der Station, das heißt, er lag dort. Jetzt ist er verlegt, ich denke, auf die Chirurgie.“

Ich erzählte ihnen während des Frühstücks alles über Marvin, was ich wusste, über seine Familie, seine Ängste und Sorgen, über unsere Hoffnungen und Pläne und ich wurde nur unterbrochen, wenn mein Vater noch mehr Einzelheiten wissen wollte. Wir waren längst fertig mit Essen, als ich mit meinem Bericht zu Ende war.

„Gut, dass heute Sonntag ist, da werde ich mich mal gleich um ein paar Dinge in dieser Angelegenheit kümmern. Ich schreibe mir mal noch die Daten, die Adressen und die eine Autonummer auf, mal sehen, was ich in Erfahrung bringen kann. Auch um die Handballgeschichte werde ich mich mal kümmern. Du bleibst aus dem Schussfeld, kümmerst dich um deinen Marvin und deine Verpflichtungen auf der Kinderstation. Du musst dort zumindest Absprachen treffen, du weißt doch, das die Patienten fest damit rechnen, dass du am Sonntagnachmittag dort auftauchst und vielleicht lässt es ja Marvins Zustand zu, das er dich dorthin begleitet, notfalls halt im Rollstuhl. Gerd wird schon nichts dagegen haben, denke ich mal“, sagte mein Vater.

Ab da wusste ich Marvins Anliegen in guten Händen und nahm mir vor, meinen Vater gewähren zu lassen. Er wusste genau, was zu tun sein würde und wer wann und wie helfen konnte, alles ins Lot zu bringen. Es freute mich sehr, dass beide sich mit mir freuten und sich voll für Marvin und mich einsetzten.

„Leg dich mal ein paar Stunden ins Bett, mein Junge, und dann fährst du wieder zu ihm und zu den Kleinen. Deine Mutter und ich werden uns mal um die anderen Dinge kümmern und dann werde ich auch noch ein Gespräch mit Gerd führen. Man kann Marvin unter anderem Namen auf einem Einzelzimmer unterbringen, vielleicht sogar auf der Kinderstation. Da wird ihn niemand suchen oder vermuten und er ist dann auch in deiner Nähe, wenn du dort bist“,

meinte mein Vater und erhob sich. „Es gibt viel zu tun, geh du ins Bett“, meinte er in Anlehnung an die Werbung.

Ich ließ mir das jetzt nicht zweimal sagen und suchte meine Wohnung auf. Eine heiße Dusche mit einer kleinen erotischen Einlage, ich musste wohl zu intensiv an die Waschaktion mit Marvin denken, und dann war ich auch schon fertig für ein paar Stunden Matratzenhorchdienst, natürlich nicht ohne Marvins T-Shirt.

Wohlig und mit einem tiefen Glücksgefühl schlief ich ein, um vier Stunden später, gegen 14:00 Uhr und einigermaßen fit, durch den Radiowecker wieder aus dem Schlaf gerissen zu werden.

Aufstehen und Frischmachen, das ging alles sehr flott über die Bühne und bereits eine halbe Stunde nach dem ersten Wecksignal war ich wieder auf dem Weg zur Klinik. Dort angekommen, beschloss ich zuerst, auf die Kinderstation zu gehen und Bescheid zu sagen, dass ich etwas später und wahrscheinlich nicht allein kommen würde.

Ich stellte zunächst fest, dass Schwester Waltraud und Pfleger Norbert Dienst hatten. Mit dabei waren auch noch die Schwesternschülerin Sarah und der Zivi mit dem Namen Boris, zu dem aber alle „Bobbel“ sagten, weil er Boris Becker etwas ähnlich sah.

Ich unterrichtete die im Stationszimmer Anwesenden und erfuhr dabei, dass ein Zimmer am hintersten Ende des Flurs für einen Privatpatienten hergerichtet wurde und ich fragte mich, ob das was mit meinem Schatz zu tun hatte. Ich machte mich dann auf den Weg in die Chirurgie, wo ich meinen Schatz zu finden hoffte. Dort angekommen, meldete ich mich zunächst mal im Stationszimmer und fragte nach Marvin. „Ja, der ist noch hier, wird aber gleich auf eine andere Station verlegt. Der Chef persönlich hat angerufen und das veranlasst“, sagte der Pfleger.

Da ich hier bekannt war, erhielt ich auch problemlos Auskunft und fragte, wer ihn abholen und wann er abgeholt würde. „Nun, ich dachte, dass du ihn jetzt hier abholst, der Chef sagte, er würde das so veranlassen und du wüsstest auch, wohin du ihn bringen sollst. Am besten ist es, du rufst mal auf der 271 an, und fragst nach“, sagte der Pfleger

Ich wählte die 271 und Onkel Gerd meldete sich. „Hi, hier ist Djortsch, ich bin auf der Chirurgie und wollte zu Marvin. Was ist jetzt mit seiner Verlegung?“ fragte ich ihn.

„Djortsch, du bringst Marvin mit all seine Sachen auf eines der Privatzimmer auf der Kinderstation, die habe ich schon informiert und dort wird er solange untergebracht, wie dein Vater und ich es für richtig halten. Er kriegt bis auf weiteres einen festen Zivi zugeteilt, der sich um ihn kümmert und der aufpassen soll, dass niemand unbefugt in Marvins Zimmer kommt. Bring ihn also rüber und hilf ihm beim Einrichten. Er bekommt einen Rollstuhl, soll aber die Kinderstation niemals ohne Begleitung verlassen. Ein zuverlässiger Zivi, der Sohn eines Bekannten, der Junge heißt Sven Krüger, wird sich auf der Kinderstation melden, der soll sich mit dir absprechen, wann er bei Marvin sein soll. Am besten wäre wohl der Vormittag, da bist du ja in der Uni und ansonsten müsst ihr euch halt absprechen. Ich möchte, dass er so wenig wie möglich allein ist. Über Nacht ist die Kinderstation ja zugesperrt, da kann kein Unbefugter rein, und über Tag soll immer einer bei ihm sein.“

„OK, sagte ich, „so find ich das ganz toll und Danke, dass du dich so um ihn, beziehungsweise um uns kümmerst.“ Ich legte auf, packte die Tasche mit den Sachen und ging zu dem Zimmer, in dem Marvin jetzt vorübergehend untergebracht war. „Hallo, da bin ich wieder“, sagte ich zu ihm und begrüßte auch den anderen Patienten mit einem: „Hallo.“ Marvin schaute mich erwartungsvoll an und sagte: „ Ich soll schon wieder verlegt werden, sagte man mir. Was hat das zu bedeuten, gibt es was, was ich nicht weiß?“

„Nein, es ist alles in bester Ordnung, das ist nur eine organisatorische Maßnahme. Wir bringen dich jetzt erstmal dorthin und dann erkläre ich dir die Gründe und helfe dir beim Einräumen. Los geht’s“, sagte ich und schob das Bett in Richtung Tür, seine noch nicht ausgepackte Tasche legte ich unten auf seine Beine. Ich schob das Bett hinaus, über den Flur und dann direkt auf die Kinderstation. Dort angekommen, wurden wir schon erwartet und fast bis zum Ende des langen Korridors geschickt. Hier war das Zimmer 336, ein Einzelzimmer mit Komplettbad und TV und Telefon. Kaum war die Türe hinter uns zugefallen, nahm ich ihn zuerst einmal in den Arm und küsste in sanft auf den Mund.

„Hallo mein Schatz“, sagte ich, „ich habe dich schon vermisst und jetzt erkläre ich dir mal, was los ist. Du bist jetzt in einem Einzelzimmer auf der Kinderstation und wirst auch bis zu deiner Entlassung hier bleiben. Das hat mehrere Gründe. Erstens vermutet dich keiner deiner Verwandten hier auf der Kinderstation und an der Rezeption wirst du auch nicht geführt, das heißt, wenn einer nach dir fragt, dann gibt es keine Auskunft, weil nichts über dich dort steht.

Zweitens bekommst du einen Zivi, der immer bei dir ist, wenn ich nicht in deiner Nähe sein kann und drittens ist die Kinderstation nachts abgeschlossen, damit keine Kids verduften können.

Dadurch ist aber auch gewährleistet, dass kein Unbefugter herein kann. Ich hoffe, dass das in deinem Sinne ist und dir ein gewisses Maß an Sicherheit vermittelt. Außerdem hat das den Vorteil, dass ich, wenn ich nachmittags hier bin, mich um dich, aber auch um die Kinder hier kümmern kann und abends, wenn die Kinder schlafen, dann können wir beide hier noch ein bisschen ungestört kuscheln. Vielleicht stellt mir Onkel Gerd noch ein Bett hier herein, das ich, wenn es mal etwas später geworden ist, gleich hier schlafen kann.“

„Das ist ja echt prima, wie hast du denn das alles so schnell geregelt“, wollte Marvin wissen.

„Ich habe beim Frühstück meinen Eltern von dir und von uns erzählt. Sie freuen sich darauf,

den Schatz ihres Sohnes kennen zu lernen und haben versprochen, alles zu tun, was in ihrer Macht steht um dich, beziehungsweise uns zu schützen und ihre Unterstützung in jeder Beziehung ist uns gewiss. Wie du siehst, war mein Vater schon tätig und hat mit Onkel Gerd die Verlegung auf die Kinderstation organisiert. Er hat sich auch ausgebeten, dass ich mich aus allem raushalte und mich nur um dich und die Kids hier kümmern soll. Wir können sicher sein, das er alle seine Möglichkeiten ausschöpfen wird, dich und mich zu schützen und es wird alles gut werden.“

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Dass ihr euch so um mich kümmert, das ist so lieb und ich bin glücklich, dich bei mir zu haben. Ich bin froh, dich lieben zu dürfen und es wird ständig mehr. Ich beginne, nichts falsches mehr daran zu finden, wenn du mich drückst und mir einen Kuss gibst. Es gibt mir ein gutes Gefühl, ja ich fange schon an es mir zu wünschen, öfter zu wünschen, dass wir uns umarmen und küssen und ich bin mir ganz sicher, dass ich dich wahnsinnig liebe und immer bei dir sein möchte. Du hast mir eine neue Welt erschlossen, du hast mich regelrecht verzaubert, mein großer Magier. Ich liebe dich.“

„Wow, so eine Liebeserklärung hat mir noch niemand gemacht und du machst mich damit unendlich glücklich“, antwortete ich und nahm ihn in die Arme. Unsere Lippen trafen sich und unsere Zungen begannen ein wildes Spiel miteinander, verlangend und nicht mehr so keusch wie noch heute Nacht. Als wir von einander abließen, waren wir beide erregt und

um mich abzulenken, begann ich damit, seine Sachen in den Schrank zu räumen. „Danke“,

sagte er nach einer Weile leise und ich schaute ihn erstaunt an. „Wieso danke, Marvin?“ fragte ich. „Dafür, dass du die Situation jetzt nicht ausgenutzt hast, ich hätte mich nicht gewehrt, wenn du mich ein bisschen verführt hättest, aber vielleicht hätte ich hinterher ein sehr schlechtes Gewissen gehabt. Du hast deiner eigenen Erregung nicht nachgegeben und hast meinen Wunsch, die Sache langsam anzugehen, respektiert. Dafür liebe ich dich noch ein kleines bisschen mehr, wenn das überhaupt noch möglich ist. Du bist das Liebste, das ich kenne und ich bin froh, das du mich liebst“, sagte er leise und schaute mich dabei so an, dass mich ein Kribbeln überlief.

Es klopfte und riss uns so aus unseren Gedanken. „Herein“, rief Marvin und die Tür öffnete sich. Ein junger Mann trat ein: „Hallo, entschuldigt, dass ich störe. Ich bin Sven Krüger und ich bin ab morgen früh hierher abgestellt, um mich um einen Marvin Trimborn zu kümmern. Ich will mich vorab mal vorstellen, weil ich sowieso gerade hier im Haus bin.“ „Hallo, komm herein“, sagte ich. „Ich bin Djortsch Meiser und das ist Marvin Trimborn, der Patient, um den es geht.“ Auch Marvin sagte. „Hallo, guten Tag, dann du bist wohl der Zivi, der mir helfen und der darauf achten soll, das niemand Fremdes in mein Zimmer kommt.“

„Ja, der bin ich und der Chef persönlich hat mich hier eingeteilt. Er kennt meinen Vater gut und mich halt auch und er meint, ich sei der Richtige für diese Aufgabe. Ich will halt von euch wissen, wie mein Dienst hier ablaufen soll und worauf es euch in erster Linie ankommt“, sagte er und schaute uns erwartungsvoll an. Marvin antwortete: „Du musst dich zuerst mit Djortsch absprechen, der kann wohl immer nur nachmittags kommen, da er vormittags auf der Uni ist. Das bedeutet für dich, das du eigentlich Frühdienst hast und am Wochenende wahrscheinlich die meiste Zeit frei hast, weil dann Djortsch hier bei mir ist.“

„Nun, Sven, Marvin hatte einen schweren Unfall, der durch eine Attacke seines Bruders bei einem Handballspiel ausgelöst wurde. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass das mit Vorsatz geschah und wir gehen davon aus, dass die Familie es auch noch ein zweites Mal versuchen könnte, ihm Böses anzutun. Darum liegt er jetzt hier auf der Kinderstation, wo man ihn wohl zuletzt suchen würde und weil ich vormittags in der Woche zur Uni muss, muss jemand bei ihm sein, der aufpasst, das niemand Unbefugtes sein Zimmer betritt, und wenn er sich außerhalb des Zimmers bewegen muss, dann darf er nicht alleine sein. Niemand außer dir und mir und dem Chef natürlich soll ohne weiteres zu ihm gelangen können. Du kannst dir denken, dass wir beide eine große Verantwortung haben und ich muss dich inständig bitten, diese Aufgabe sehr ernst zu nehmen“, erklärte ich ihm den Sachverhalt und die Aufgabe.

Marvin sagte, leicht rot im Gesicht, aber sehr bestimmt: „Es gibt noch was, was du wissen musst, damit du deine Aufgabe auch ernst nimmst. Meine Familie verfolgt mich, weil ich

….. na ja, weil ich schwul bin.“ Schweigen. Dann Marvin wieder: „Wenn du damit ein Problem hast, wenn du Schwule hasst oder sie nicht tolerieren kannst, kannst du diese Aufgabe nicht erfüllen. Djortsch ist der Mann, den ich liebe und mit dem ich nach diesem Krankenhausaufenthalt leben möchte. Ich will dass du das weißt, weil du diese Aufgabe nur erfüllen kannst, wenn du weißt, was ihn und mich verbindet und was meine Leute gegen mich haben. Das ist mir jetzt nicht leicht gefallen, du bist der erste Fremde, dem ich das gesagt habe, und das sagt auch viel darüber aus, ob ich Vertrauen zu dir habe oder nicht. Sag uns jetzt bitte, ob du diese Aufgabe übernehmen willst oder ob du Vorbehalte hast und das lieber nicht machen möchtest?“

Ich war erstaunt, dass hier und jetzt aus seinem Mund zu hören und ich ahnte, dass ihn das eine enorme Überwindung gekostet hatte, sich hier zu outen. Dass er mich dabei auch mit geoutet hatte, war mir eigentlich egal, denn ich würde immer zu ihm stehen und unsere Liebe niemandem gegenüber verleugnen. Die Fronten waren nun geklärt und nun war Sven an der Reihe, seine Meinung und seine Bereitschaft, den Job zu übernehmen oder auch nicht, kund zu tun.

„Also, zuerst mal vielen Dank für dein Vertrauen. Jetzt wird mir auch klar, warum der Chef mich hier bei euch haben will. Er weiß natürlich, dass ich überhaupt kein Problem mit Schwulen habe, weil er nämlich auch weiß, dass mein älterer Bruder schwul ist und ich ein ganz besonders gutes Verhältnis zu diesem Bruder habe.

Unsere Eltern hatten nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch keine Probleme damit und so sind wir alle in der glücklichen Lage, Schwulsein als etwas Normales anzusehen. Das dazu, die Tatsache, dass deine Familie dir nichts Gutes will, betrübt mich ein wenig, wird mich aber nicht davon abhalten, alles für dich und deine Sicherheit zu tun, was ich zu leisten in der Lage bin.

Morgen früh um 6:00 Uhr wird die Kinderstation geöffnet und ab dann werde ich für dich da sein, bis dein Djortsch kommt. Wenn du willst, bringe ich meinen Laptop mit und schließe den an, dass wir ins Internet gehen können. Von meinem Bruder weiß ich, dass es ein paar sehr gute Seiten gibt im Internet, da können wir ja mal reinschauen“, sagte Sven zu Marvin und zu mir.

„Das wäre schön, wenn das klappen würde, ich war schon über zehn Monate nicht mehr im Internet und freue mich jetzt schon darauf“, sagte Marvin.

„Dann lass ich euch mal wieder allein, ich habe noch einiges vor und um 17:00 Uhr bin ich mit meiner Freundin verabredet. Ciao, bis morgen früh“, sagte Sven und war schon auf dem Weg zur Tür.

„Stopp“, rief ich, „warte mal noch einen Moment. Wir müssen noch die Handynummern austauschen, damit wir uns immer abstimmen können, und für den Fall, dass mal einer nicht kann. Auch die Nummer von Marvins Anschluss hier kannst du noch in dein Handy eingeben, dann sind wir untereinander immer erreichbar.“

„Gut, dass du daran gedacht hast, Djortsch“, sagte er und wir tauschten die Nummern und trugen den Anschluss von Marvin ebenfalls noch ins Handy ein. „So“, sagte ich, „jetzt kannst du den Rest des Sonntags genießen, wir freuen uns, dass du mit im Boot sitzt bei uns, und ich hoffe, dass über die Aufgabe hinaus ja vielleicht eine gute Freundschaft daraus wird. Das würde ich mir wünschen.“ „Ich wünsche mir das auch“, sagte Marvin und wünschte Sven dann ebenfalls noch einen schönen Sonntag. Dann waren wir wieder allein und es folgten erstmal eine Umarmung und ein langer, zärtlicher Kuss, der diesmal störungsfrei beendet wurde.

„Schön, dass du da bist“, sagte Marvin, „allein fühle ich mich hier noch etwas unsicher. Wie geht es denn jetzt weiter? Hast du jetzt so was wie Dienst hier, oder was machst du?“

„Nun, ich werde jetzt mal einen feschen Rollstuhl besorgen, und dann gehen wir beide, wenn du willst, meine kleinen Patienten besuchen. Wenn du nicht mit willst, dann musst du ganz allein hier bleiben und dich langweilen. Also, kommst du mit?“, fragte ich ihn und wusste eigentlich die Antwort schon im Voraus.

„Natürlich komme ich mit dir, was soll ich hier allein, ich bin nicht müde und deshalb froh, wenn ich mit darf. Dann geht auch die Zeit schneller rum und das Wichtigste ist, dass ich in deiner Nähe bin“, kam es dann auch wie erwartet von Marvin. Ich gebe ihm aus der Tasche einen Trainingsanzug, den kann er dann mal gegen den Schlafanzug tauschen und dann ging ich zum Stationszimmer, um einen der bunten Rollis zu holen.

Als ich zurückkam, brachte ich noch ein bisschen Richtung in seinen dunklen Haarschopf und half ihm beim Besteigen des fahrbaren Untersatzes. Dann rollte er vor mir her zur Tür, und er konnte sogar den rechten Arm fast wieder normal gebrauchen und wir bewegten uns in Richtung Stationszimmer. Dort angekommen, stellte ich Marvin der anwesenden Schwester Waltraud vor und erklärte kurz, warum er hier auf der Station untergebracht wurde.

Dann erkundigte ich mich, ob mit den Kids alles okay war, oder ob es irgendwo Probleme gab.

„Norbert und Bobbel sind in 312, die drei pubertierenden Jünglinge haben wohl Probleme gehabt, sich auf ein gemeinsames Fernsehprogramm zu einigen“, sagte Waltraud. „Ihr könnt ja mal schauen, ob sie eine Einigung erzielt haben. Außerdem hat der kleine Kai in 315 schon dreimal geklingelt und gefragt, wo du bleibst. Dem geht es heute auch nicht so gut, seine Mutter konnte heute nicht kommen und seine Werte waren heute Morgen auch nicht besonders gut. Der könnte ein bisschen Trost gebrauchen, vielleicht kannst du ihm ja was vorlesen“, sagte Waltraud und ich sagte: „OK, dann schauen wir mal bei den Jungs rein und sind anschließend bei Kai. Wenn nachher das Essen kommt, stellst du bitte Marvins Essen in die 336, ich räume das später wieder weg.“

Wir machten uns auf den Weg zu 312 und an der Tür angekommen, hörten wir schon, dass im Zimmer diskutiert wurde. Ich öffnete die Tür, Marvin fuhr vor und ich betrat nach ihm das Zimmer. Im Bett am Fenster lag Jonas, der war zwölf Jahre alt, aber er war der Größte von den Dreien. Er gab auch gerne den Ton an. In der Mitte lag der 13-jährige Günter, ein ruhiger Typ, ein bisschen Muttersöhnchen und an der Tür lag der 14-jährige David, er dürfte wohl der cleverste von den Dreien sein. Norbert und Bobbel saßen auf den Stühlen am Tisch und

hatten wohl bisher erfolglos probiert, einen Kompromiss in Bezug auf das Fernsehprogramm zu finden.

Hallo, Djortsch“, rief David erfreut, als er mich sah. „Wen hast du denn da mitgebracht?“

Sofort war eine aufmerksame Stille im Zimmer. Alle Augen ruhten auf Marvin und mir. „Das ist Marvin, mein Freund, der liegt zurzeit hier in der Klinik, weil er einen Sportunfall hatte und operiert worden ist. Ihm ist langweilig auf dem Zimmer und er hat mich gebeten, ihn mitzunehmen hier auf die Station, was ich auch gerne gemacht habe.“ „Hallo zusammen“, grüßte Marvin in die Runde und ein mehrfaches „Hallo“ kam zurück.

„Wenn Djortsch ja jetzt da ist, können Bobbel und ich ja gehen und unsere Arbeit tun. Das ist auch wichtiger, als hier fruchtlose Fernsehdiskussionen mit frustrierten Teenagern zu führen“, ließ sich Norbert vernehmen und schob Bobbel vor sich in Richtung Tür. „Macht’s gut, ihr beiden und versucht mal eine Einigung herbeizuführen“, sagte er im Hinausgehen und schon waren die beiden verschwunden.

„Also, Jungs, bevor der Stress hier weiter geht, mache ich euch einen Vorschlag. Ich hole schnell aus meinem Schrank meinen DVD-Player und einen Film und dann guckt ihr denn alle drei in Ruhe und Frieden zusammen. Seid ihr damit einverstanden?“

„Was hast du denn für einen Film, Djortsch“, wollte David wissen. „Ich muss mal sehen, was für euch dabei ist, ich bin gleich wieder da. Marvin bleibt solange hier, ihr könnt euch ja mal vorstellen und ein bisschen was von euch erzählen. Marvin kommt jetzt öfter mit mir hierher. Also, bis gleich.“ Ich ging in den Personalraum, wo jeder der Mitarbeiter einen Schrank hat. Hier holte ich den DVD-Player und suchte einen passenden Film für die drei aus. Meine Wahl fiel auf „Die wilden Kerle“, den ich erst vor kurzem erworben hatte. Ich hoffte, dass sie mit der Auswahl einverstanden waren, „Harry Potter“ hatte ich auch noch, aber den konnten sie später noch gucken oder ein anderes Mal.

Als ich zurückkam, erzählte gerade David, wie er zu seinem gebrochenen Fuß gekommen ist. Vorher hatten wohl die anderen beiden ihre Story erzählt und als David jetzt endete, sagte er an Marvin gewandt: „Und jetzt bist du dran mit erzählen. Deinem Kopfverband nach zu urteilen, hast du wohl eher keine Beinverletzung.“

Alle drei Jungs hatten mehr oder weniger schwere Beinverletzungen durch Unfall und waren nur bedingt mobil und wenn, dann auch nur mit Krücken. Marvin erzählte nun von sich und von seinem Unfall und dass er danach am Kopf operiert worden ist. Ich schloss in der Zeit den Player an und legte die DVD ein. „So, Freunde“, sagte ich, „ihr seht jetzt zusammen den Film „Die wilden Kerle“, viel Spaß und bis später. Marvin und ich gehen jetzt mal nach Kai schauen, dem geht es nicht so gut heute.“ Ich öffnete die Türe und Marvin folgte mir mit dem Rolli nach draußen.

Auf 315 lag der kleine Kai, er war gerade sieben Jahre alt geworden und er hatte Leukämie, eine tückische Blutkrankheit, die aber bei Kindern mittlerweile zu über 80 Prozent geheilt werden kann. Kai hatte schon einige Chemobehandlungen hinter sich und sein Zustand war im Allgemeinen nicht schlecht. Er sollte in ein paar Tagen eine Knochenmarkspende erhalten und wir hofften alle, dass die Krankheit dann besiegt würde. Dass seine Mutter heute nicht kommen konnte, war sehr schlimm für ihn und so war er auch heilfroh, als ich mit Marvin sein Zimmer betrat. „Hallo, Djortsch“, rief er, „schön, dass du endlich da bist. Wen hast du denn da mitgebracht?“

„Hallo, Kai, das ist Marvin, mein Freund, er liegt auch hier im Krankenhaus und er wollte dich unbedingt mal kennen lernen“, antwortete ich und Marvin sagte: „Hallo Kai, schön, dich kennen zu lernen.“ Er fuhr mit dem Rollstuhl bis ans Bett und gab Kai die Hand.

„Soll ich dir etwas vorlesen, Kai?“ fragte Marvin und Kai nickte und sagte: „Ja,gern, sonst macht Djortsch das immer oder Mama, aber du darfst das auch machen. Das Buch liegt da auf der Fensterbank, Djortsch, hole es mal bitte.“ Es war ein Buch mit Märchen des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen und Kai sagte zu Marvin: „Lies mir bitte die Geschichte vom Kaiser und der Nachtigall und dann die von der kleinen Meerjungfrau vor.“

Marvin nahm das Buch aus meiner Hand, blätterte darin und als er das Märchen gefunden hatte, begann er zu lesen. Ich strich ihm leicht durch den Nacken und verließ leise das Zimmer. Für die nächsten 20 Minuten würde ich hier nicht gebraucht, also schaute ich mal kurz bei den Filmboys rein und auch da war Ruhe. Gespannt hingen alle Augen am Bildschirm und so ging ich erstmal ins Stationszimmer. Das Essen würde wohl auch bald kommen, das wir dann später auf die Zimmer verteilen würden. Normal blieb ich immer so lange, bis der Nachtdienst kam.

Das ist um 20:00 Uhr, dann wird auch die Station abgeschlossen. Aber heute würde ich noch ein bis zwei Stunden bei Marvin bleiben, bevor ich nach Hause fuhr, morgen war wieder Uni angesagt und Marvin musste morgen etliche Untersuchungen über sich ergehen lassen. Auch würden sie morgen mit den Reha-Übungen anfangen und die angekratzte Motorik wieder auf Vordermann bringen. Einige unserer kleinen Patienten waren heute auch bei den Eltern zu Hause und die würden wohl in der nächsten Stunde nacheinander wieder eintrudeln.

Im Stationszimmer redete ich mit Norbert über Kai, der wohl Mitte der Woche die Knochenmarkspende erhalten sollte. Spender war sein älterer Bruder, ein 16-jähriger Schüler.

Er hatte sich bereit erklärt für seinen Bruder Knochenmark zu spenden und er würde am Dienstagmorgen hier aufgenommen. Er käme dann zu Kai aufs Zimmer und am Mittwoch

sollte dann der Eingriff stattfinden. Danach würde hoffentlich Kai die Krankheit besiegen können.

Ich ging noch kurz in den Aufenthaltsraum, wo einige unsere Patienten zusammensaßen und

miteinander spielten. Hier ging es relativ ruhig zu, und nachdem sie mich begrüßt hatten, spielten sie weiter. Also machte ich mich wieder auf den Weg zu Marvin und Kai. Marvin war mittlerweile beim zweiten Märchen und Kai horchte aufmerksam zu. Ich setzte mich zu ihm aufs Bett und betrachtete Marvin beim Vorlesen. Es kribbelte in meinem Bauch und ich fühltw mich glücklich, ein Gefühl, dass ich schon lange nicht mehr hatte und das noch nie in meinem Leben so intensiv war. Ich wünschte mir, dass es immer so dablieb, dass wir glücklich waren und blieben.

Später gegen Abend würden wir noch einmal durchgehen und die Betten für die Nacht fertig machen, damit unsere Schützlinge auch gut schlafen konnten. Das Pflegepersonal hier war sehr froh, dass ich so oft hierher kam, um zu helfen und die jungen Kranken bei Laune zu halten.

Gerade als Marvin mit Lesen fertig war, klopfte es an der Tür und der Bruder von Kai kam herein. „Bastian!“, rief Kai und strahlte über das ganze Gesicht. „Hallo Kai, und hallo Djortsch“, und Marvin anschauend sagte Bastian: „und hallo du, guten Tag, oder besser schon guten Abend, ich wollte noch mal nach Kai sehen, weil ja Mama heute nicht kommen konnte.

Wie geht es denn meinem kleinen Bruderherz heute?“

„Jetzt, wo du da bist, geht es mir gut. Marvin, der Freund von Djortsch, der hat mir gerade zwei Märchen vorgelesen. Jetzt, wo du da bist, kannst du mir auch noch eins vorlesen, bis das Essen kommt. Eigentlich habe ich gar keinen richtigen Hunger.“

„Du kannst ja erst mal schauen, was es gibt, und dann sehen wir weiter. Ich bleibe jetzt noch eine Stunde bei dir“, sagte Bastian, und ließ sich von Marvin das Buch geben.

„Wir gehen dann mal, du hast ja jetzt Gesellschaft. Bis nachher“, sagte ich und Marvin die Tür aufhaltend verlassen wir die beiden.

Draußen auf dem Flur fragte Marvin wie krank Kai wäre und ich erklärte ihm kurz, was er hatte, und auch, wie es weiterginge. „Das, was ich dir über unsere Schützlinge erzähle, fällt normalerweise unter die Schweigepflicht, ich gehe aber davon aus, dass du das alles für dich behalten wirst, und wenn du noch länger hier bist, wirst du so einiges erfahren und mitkriegen. Darüber solltest du aber nicht mit Dritten reden.“ „Ich bin keine Plaudertasche, Djortsch Meiser, das musst du dir merken. Bei mir sind sämtliche Geheimnisse so gut aufgehoben wie in der Bank von England“, meinte Marvin mit einem lustigen Unterton in der Stimme und knuffte mich leicht in die Seite.

„Schieb mal bitte den Rolli, mein Schatz, wenn es geht, auf mein Zimmer. Gewisse menschliche Bedürfnisse verlangen ein Aufsuchen der Toilette, ich wäre dir dankbar, wenn du einen Zahn zulegen könntest“, sagte er zu mir und so gab ich halt ein bisschen Gas und lud ihn direkt vor der Toilette ab. Ich ließ ihn allein und ging ins Zimmer zurück. Auf dem Flur waren die typischen Geräusche der Essenverteilung zu hören, also ging ich hinaus, um zu helfen, das Essen auf die Zimmer zu verteilen. Als alles verteilt war, nahm ich Marvins Tablett und kehrte in das Zimmer zurück. Marvin hatte sich zwischenzeitlich aufs Bett gelegt und setzte sich nun auf, um zu sehen, was ich den da Gutes brachte.

Ich richtete den Tisch her und stellte sein Tablett dort ab, damit er am Tisch essen kann. Als er saß, setzte ich mich gegenüber auf den Stuhl und betrachtete ihn. „Ich muss dir noch was sagen, Marvin“, sagte ich und er schaute mir in die Augen. „Vorhin, als der Sven hier war, als du ihm von uns erzählt hast, da war ich richtig stolz auf dich. Ich habe nicht gedacht, das du so schnell in der Lage bist, dich so souverän zu outen und zu sagen, das wir zusammen sind.“

„Es hat mich wohl einiges an Überwindung gekostet“, erwiderte er, „aber das Gefühl, von dir geliebt zu werden, hat mich stark gemacht, stärker als ich es mir noch vor kurzem hätte träumen lassen. Ich liebe dich jedenfalls mehr als alles andere und ich will das auch zeigen, zuerst ein wenig vorsichtig, aber jeden Tag ein bisschen mehr. Mit dir zusammen bin ich jetzt sogar gerne schwul, weil ich dich nur so lieben kann und von dir geliebt werde. Das hätte ich vor zehn Tagen noch nicht für möglich gehalten. Da wäre ich lieber nicht schwul oder tot gewesen.“

Er begann zu essen, und weil ich dasaß und nichts zu essen hatte, stopfte er mir jeden zweiten Bissen in den Mund und wir mampften so lange, bis alles aufgegessen war. „Bist du satt“, fragte ich, „oder soll ich mal schauen, ob wir noch was kriegen können?“ „Mir reicht es, ich bin satt, aber wenn du noch willst, dann geh nur nachsehen“, antwortete er. Da ich aber auch keinen Hunger mehr hatte, sagte ich: „Mir reicht es auch, ich bring noch das Tablett weg und dann komm ich wieder zu dir.“

Als ich zurückkam, hatte Marvin den Fernseher eingeschaltet und zappte ein wenig durch die Programme. Er rutschte an den Bettrand und sagt: „Komm, mein großer Magier, komm an meine Seite, ich möchte dich neben mir haben und deine Wärme spüren.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und legte mich dicht an ihn rutschend auf sein Bett. Er roch an meinen Haaren und wuschelte seine Nase tief in meine halblangen Locken. „Du riechst so gut“, murmelte er in mein Ohr und dann tauchte sein Gesicht ganz dicht vor meinem auf und seine Lippen näherten sich.

Nun spürte ich sie weich und sanft auf meinen und seine Zunge stupste an meinen Mund. Ich öffnete meinen Mund und meine Zunge begrüßte seine und beide begannen einen zärtlichen Ringkampf, einmal hüben und einmal drüben, einfach Wahnsinn. Ein Kuss wie ein Erdbeben, ich wollte, dass er nicht endet, es warunbeschreiblich. Ich schlang meine Arme um seinen Oberkörper, hielt ihn fest und drückte ihn an mich. Es vergingen ein paar Minuten und langsam ging uns beiden die Luft aus

Er löste seine Lippen von meinen und sah mir aus kurzer Entfernung tief in die Augen. Ich versank in diesen großen dunklen Augen wie in einem Meer aus Liebe und ein tiefes Glücksgefühl durchströmte mich.

„Djortsch“, sagte er leise, „ ich weiß nicht, was du mit mir gemacht hast. Du hast mich so verzaubert, dass ich mich selber nicht mehr wiedererkenne. Ich, Marvin Trimborn, liebe einen Mann über alles, etwas, was ich eigentlich nie akzeptieren wollte, gegen das ich mich innerlich immer gewehrt habe, etwas was ich nie durfte. Etwas, für das ich geschlagen und fast umgebracht worden bin, und jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass es niemals enden wird. Ich liebe dich mein Schatz, wie ich noch nie einen Menschen geliebt habe, und ich bin unendlich froh, dass es dich gibt und überglücklich, dass du mich auch lieb hast.“

Und wieder drückte er seine Lippen auf meine und küsste mich. Ich hielt ihn fest im Arm und genoss seine Nähe und seine Zärtlichkeiten und freute mich auf die Zeit, die vor uns lag.

So lagen wir eine Weile beieinander und küssten uns immer wieder.

Es klopfte an der Tür und die Art des Klopfens kam mir sehr bekannt vor. Ich löste mich aus Marvins Armen und stand auf, um zur Türe zu gehen. Als es wieder klopfte, wusste ich genau, wer draußen war, und rief einfach: „Komm ruhig herein, Papa“. Und siehe da, die Tür öffnete sich und mein Vater kam herein, dicht gefolgt natürlich von meiner Mutter, die Neugier hatte ihnen wohl keine Ruhe gelassen, und sie traten beide ins Zimmer. „Guten Abend, junger Mann“, sagte mein Vater auf das Bett zugehend. Dort angekommen gab er Marvin die Hand und sagte: „Herzlich willkommen in unserer Familie, als Freund unseres Sohnes sind Sie uns herzlich willkommen.“ Marvin war ein bisschen rot geworden und als nun meine Mutter ebenfalls nach seiner anderen Hand griff und ihn ebenfalls in der Familie willkommen hieß, wurde er ganz verlegen und ein feuchter Schimmer legte sich auf seine dunklen Augen.

„Nun überfahrt ihn mal nicht gleich so, er muss sich erstmal in seinem neuen Leben zurecht finden und sich daran gewöhnen, das er nicht mehr allein ist“, sagte ich und schaue meinen Schatz an.

Der sagte jetzt aber artig: „ Danke, dass Sie das alles für mich tun und dass Sie mich so liebevoll aufnehmen. Das ist leider nicht selbstverständlich und bedeutet mir deshalb sehr viel. Ich freue mich auch sehr über Ihren Besuch. Der vermittelt mir nämlich das Gefühl, dass ich Ihnen wirklich etwas bedeute. Danke“

Ich stellte die beiden Stühle so hin, dass sich die beiden nebeneinander ans Bett setzen konnten, mit etwas Sicherheitsabstand versteht sich, damit mein Schatz sich nicht bedrängt fühlet.

Ich ging um das Bett herum und stieg von der anderen Seite hinein und setzte mich neben meinen Schatz. Er lehnte sich an mich und ich legte einen Arm um ihn und hielt ihn fest.

„Wir waren schon ein wenig neugierig, Marvin kennen zu lernen, aber wir sind auch hier, um noch ein paar Dinge zu besprechen und einige Zusammenhänge zu klären. Wie ihr beide wisst, habe ich gesagt, dass ich mich darum kümmern werde, zunächst herauszufinden, was Marvins Familie und vor allem seinen Bruder dazu bringt, ihm offensichtlich nach dem Leben zu trachten. Dank umfangreicher Beziehungen habe ich schon einiges herausgefunden. Das ist auch der Tatsache zu verdanken ist, dass der ehemalige Lehrer Heinz Borchers, übrigens ein sehr netter Mann, heute Mittag nach einem telefonischen Kontakt bereit war, sich gleich mit mir zu treffen. Der hat mir dann erzählt, wie er Marvin überredet hat, von zu Hause auszuziehen, um endlich Ruhe vor seiner Familie zu bekommen. Er hat mir auch einiges über die Dinge erzählt, die sich die Familie einfallen ließ, um Marvin wieder, wie sie es sagten „auf den richtigen Weg zu bringen“. Das hat mich alles sehr wütend gemacht und ich werde mir überlegen, ob ich deinem Erzeuger nicht mal einen Besuch abstatten soll.“

„Bitte, tun Sie das nicht, erzählen Sie bitte heute auch nichts über all die Dinge, die ich erleiden musste, das würde mich jetzt wieder sehr aufregen. Ich habe mit Djortsch einen Menschen gefunden, der mich vorbehaltlos mit seinem ganzen Herzen liebt, und das möchte ich im Moment einfach mal erleben, ohne wieder an all die Widerwärtigkeiten denken zu müssen, die man mir angetan hat. Djortsch hat mich dazu gebracht, mich so anzunehmen, wie ich bin und auch Sie haben mir das Gefühl vermittelt, dass Sie mich mögen. In diesem Glücksgefühl möchte ich eine Weile unbeschwert baden und wieder Freude am Leben finden. .Djortsch hat mich gestärkt, hat mein Selbstbewusstsein wieder freigeschaufelt, das unter Komplexen, Schuldgefühlen und Angst begraben war, und irgendwann in naher Zukunft werde ich auch wieder so stark sein, dass ich mich denen stellen kann, die mir soviel Böses wollten, obwohl sie nach außen tun, als hätten sie die wahre Liebe für sich erfunden. Scheinheilig und verlogen sind sie und irgendwann werde ich ihnen das ins Gesicht sagen.“

Wow, das war ja eine beeindruckende Darstellung seines Seelenzustandes und eine, wieder mal eine, ganz tolle Liebeserklärung an mich und zur Belohnung begann ich, an seinem Ohr zu knabbern und mit der Zunge an seinem Ohrläppchen zu spielen. Ich merkte an einem feinen Zittern, das ihm das offensichtlich sehr gefiel, und machte noch ein bisschen weiter damit.

Mittlerweile hatte mein Vater wieder das Wort ergriffen und sagte: „ Wir müssen nicht heute über diese Dinge reden, aber ich möchte euch trotzdem noch berichten, was ich alles in die Wege geleitet habe. Ein mir gut bekannter Privatermittler wird versuchen, einige Einzelheiten über das Handballspiel, über deinen Bruder und auch über deinen Vater und deren Absichten herauszufinden.

Das Kennzeichen des Autos, das Djortsch fotografiert hat, wird überprüft und der Halter wird ebenfalls nach Einzelheiten im Umgang mit deinem Bruder befragt werden. Wir wollen soviel wie möglich herausfinden, vielleicht reicht das ja dann zu einer Anklage oder wir können die Ergebnisse als Druckmittel einsetzen, damit sie dich für immer in Ruhe lassen.“

„Ich lasse Ihnen freie Hand, was die Dinge um meine ehemalige Familie angeht, ich muss aber nicht unbedingt einen von ihnen im Gefängnis sehen. Mir würde es reichen, wenn sie sich aus meinem zukünftigen Leben heraushalten würden und ich endlich mal zur Ruhe kommen kann. Jetzt, wo ich Djortsch gefunden habe, jetzt, wo mein wahres Leben anfängt,

möchte ich die ganze Vergangenheit hinter mir lassen. Ich möchte mich meinem Studium widmen, das ich in den letzten Wochen vernachlässigt habe und ich möchte meine Liebe mit Djortsch leben, endlich einmal glücklich sein nach all diesen schlimmen Erfahrungen“, sagte er leise aber bestimmt, und am Ende des Dialogs hatte er Tränen in den Augen. Was musste seine Seele in der Vergangenheit gelitten haben, es raubte mir fast den Verstand, wenn ich darüber nachdachte.

Ich drückte ihn fest an mich und knabberte weiter an seinem Ohr. „Ich bin jetzt bei dir und wenn du wieder gesund bist, dann ziehst du bei mir ein. Ich möchte für immer mit dir zusammen sein“, flüsterte ich so, dass nur er mich verstand. „Du kannst ruhig laut reden“, kam es da von meiner Mutter, „sonst hast du ja auch keine Geheimnisse vor uns“.

„OK, Mama dann sag ich es noch mal. Ich möchte, dass Marvin, wenn er aus der Klinik entlassen wird, bei mir einzieht. Ich möchte mit ihm zusammen leben, weil ich ihn über alles liebe und wenn du mich fragst, dann hast du, wenn er denn auch will, ab sofort einen Schwiegersohn. Ich hoffe, das euch das so recht ist“, und an Marvin gewandt fragte ich:

„Und, willst du, Marvin?“

„Dein Wunsch macht mich glücklich und auch, wenn das alles in den letzten Tagen ziemlich schnell ging mit dir und mir, ich habe soviel Vertrauen in dich und empfinde eine so große Liebe für dich, dass ich mir das genauso wünsche, dass wir zusammen ziehen wie du es dir wünschst“, antwortete er und drückt sich noch fester gegen mich.

„Nun“, sagte meine Mutter, „dann steht ja eurem gemeinsamen Glück nichts mehr im Wege und du, Marvin, musst nun schnellstens gesund werden, damit wir an Weihnachten zusammen feiern können. Wir lassen euch beide jetzt mal allein, wir wollen noch auf einen Sprung zu Gerd und Doris. Papa will noch hören, wie es jetzt therapiemäßig mit Marvin weitergeht und wie Gerd seine Genesungsaussichten einschätzt.“

Beide standen auf und wünschten uns noch einen schönen Abend, bevor sie das Zimmer verließen. Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass es 18:45 Uhr war und ich fing an, Marvin zu streicheln. Meine Hände streichelten seinen Bauch, fanden nackte Haut unter dem Shirt, zwei kleine, aber harte Brustwarzen und ein paar weiche Haare dazwischen, die ich mit den Fingern durcheinander machte. Gleichzeitig hatte ich begonnen sein linkes Ohr intensiv zu beknabbern und mit der Zunge zu verwöhnen. Er hatte die Augen geschlossen und genoss es, so verwöhnt zu werden. Ich wurde mutiger und ließ meine linke Hand langsam weiter nach unten wandern, spielte an seinem Bauchnabel, umkreiste ihn und streichelte seinen Bauch.

Marvin schnurrte fast so wie Fridolin und mir kam es vor, als würde er sich der streichelnden Hand immer mehr entgegen drücken. Als die ersten zwei Finger unter den Hosenbund rutschten, merkte ich, dass er die Luft anhielt. Unbeirrt dessen schob ich nun meine ganze Hand unter dem Bund durch streichelte den Unterbauch, sein gelegentliches Schnaufen zeigte mir, dass er das wohl genoss und dass seine Erregung stieg.

Meine Finger drangen zu seinen Haaren vor, die in einem schmalen Streifen am Bauchnabel beginnend, eine breiter werdende Spur bis hin zu seinem Schwanz zogen, weich und lockig waren sie, die Haare.

Der Schwanz hingegen war eher hart und hatte sich aufgerichtet, ein Zelt gebaut in seiner Hose. Durch die Haare nach unten streichelnd, berührte ich mit den Fingerspitzen seinen aufgerichteten Luststab und begann, auch seine Eier zu kraulen. Tiefe Seufzer der Lust kamen über seine Lippen und er küsste meinen Hals. So ermutigt, umfasste ich seinen „Kleinen“ jetzt und bewegte meine Hand langsam und gefühlvoll rauf und runter.

Das Schnaufen wurde schnell intensiver und seine Hände griffen fest in das Bettlaken, so als wollte er sich festkrallen, um nicht abzuheben. Kleine Schweißtropfen sah ich auf seiner Stirn, die Augen waren geschlossen und der Mund jetzt stöhnend geöffnet. Dann krampfte er sich zusammen und meine Hand wurde von seinem zuckenden Glied mit einer warmen Spermadusche überflutet. Stöhnend, die Augen immer noch zu, sackte er entspannt auf meine Brust, wohliges Schweigen, dann: „Oh, Djortsch, oh Gott.“ Pause, Schnaufen, sein Kopf hob sich, er schaute mich an, seine Lippen kamen näher, drückten sich auf meine, Tränengeschmack, Seufzen. „Ich liebe dich, das war wunderbar, so etwas habe ich noch nie empfunden. Früher, wenn ich es mal selbst gemacht habe, hatte ich hinterher immer ein schlechtes Gewissen. Sie haben immer gesagt, dass es Sünde ist sich dort anzufassen und außerdem schädlich. Aber das muss ich ja jetzt nicht mehr glauben. Es war so schön, danke Djortsch.“

Ich ließ ihn neben mich aufs Bett gleiten und holte zunächst mal Waschlappen und Handtuch.

Ich wusch kurz seine Lust von meinen Händen ab und ging dann zum Bett, um die Spuren unseres Handelns wegzuwischen. Die Hose hatte aber doch einiges abbekommen und so war ein Hosenwechsel angesagt. Ich holte eine Ersatzhose aus dem Schrank und zusätzlich eine weiße Boxer. „Zieh die drunter, damit die andere Hose sauber bleibt“, sagte ich und half ihm beim Umziehen. Die feuchte oder eher nasse Hose packte ich gleich in die Tasche zurück.

„Du, Djooortsch“, fragte mein Kleiner und zog meinen Namen dabei in die Länge, „was ist denn jetzt mir dir, dein Ding ist doch bestimmt auch steif geworden, oder?“ „Ja sicher, das wäre auch nicht normal, wenn er sich dabei nicht regen würde“, gab ich zur Antwort.

„Duuu, darf ich auch mal bei dir, eh, na ja, du weißt schon, so wie du eben bei mir“, kam es jetzt von ihm. „Du meinst, du willst mir einen runterholen, wichsen, das meinst du doch,

oder?“, fragte ich zurück, erstaunt, dass er das von sich aus jetzt so wollte. Wo er doch in der Vergangenheit eine richtige Klemmschwester war. „Ja, ich möchte dich jetzt auch mal so verwöhnen, wie du mich eben verwöhnt hast, und außerdem habe ich so was noch nie gemacht. Ich möchte wissen, wie das ist, wenn man das Ding von einem anderen streichelt“, antwortete er, nicht ohne seine Gesichtshaut in etwas roterem Teint erscheinen zu lassen.

„Also, wenn du es möchtest, dann will ich es auch, ich freue mich, dass du es willst. Ich werde aber erstmal die Türe absperren, damit ich hier nicht halbnackt von irgendwem überrascht werde“, sagte ich und sperrte die Zimmertüre ab. Da eh nicht mit Besuch zu rechnen war, und vom Pflegepersonal keiner einfach hereinkommen würde, fühlte ich mich jetzt vor Überraschungen sicher. Ich ging wieder zum Bett, öffnete meine Hose und schob sie mit den Shorts runter bis auf die Knie. Mein Schwanz sprang förmlich ins Freie und war auch schon ziemlich nass, nach unserer Aktion vorhin kein Wunder. Nun legte ich mich neben Marvin, der sich zunächst mal alles genau betrachtete. „Du, der ist schön, und klein ist der auch nicht“, sagte er und dann näherte sich seine Hand und begann meinen Bauch zu streicheln. „Du musst mir sagen, wenn ich was falsch mache, Schatz“, sagte er zu mir „Ich habe das noch nie bei jemand gemacht und ich möchte, das es schön für dich ist.“

„Du machst das sehr schön“, sagte ich mit etwas gepresster Stimme, denn ich empfand bei seinen Berührungen Lust pur. Als er dann endlich meinen Harten umfasste und die Hand an ihm auf und ab bewegte, konnte ich mein Stöhnen nicht mehr unterdrücken. Mir war bewusst, dass das schneller vorbei war als mir lieb war, aber das war mir eigentlich scheißegal, wenn er nur weiter machte. „Oh Marvin“, stöhnte ich und nun war ich derjenige, der sich in das Laken krallte.

Nach weiteren höchstens 50 Sekunden kam ich so heftig wie schon ewig nicht mehr und als es vorbei war, nahm ich ihn in den Arm und küsste ihn. „Das war wunderschön, Marvin, und das war erst der Anfang unserer Liebe und unserer Lust. Es wird alles noch viel, viel schöner werden.“

Mittlerweile hatte er mit kreisenden Bewegungen das Ergebnis seines Handelns über meinen Bauch verrieben. Ich stand auf und machte mich auf den Weg ins Bad, was sich mit runtergelassenen Hosen als nicht so einfach erwies. Es musste auch von hinten sehr ulkig ausgesehen haben, denn Marvin konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen, als ich wie ein Pinguin ins Bad watschelte.

Nachdem ich mich gesäubert und wieder angezogen hatte, ging ich zurück zu ihm und legte mich neben ihn. Er drehte sich und legte seinen Kopf auf meine Brust und streichelte mir über den Bauch. „Ich bin jetzt um einige Erfahrungen reicher als vor meinem Unfall, Erfahrungen, die mich gelehrt haben, dass man die Liebe, die man empfindet, nicht unterdrücken soll, dass es eigentlich egal sein sollte, ob ich einen Mann liebe oder eine Frau. Ich liebe dich und habe in den letzten zwei Tagen gelernt, mich so anzunehmen, wie ich bin und wie ich empfinde.

Das liegt wohl daran, dass du mich auch liebst und mir eine Menge von meinem verloren gegangenen Selbstvertrauen, und was noch wichtiger ist, meine Selbstachtung, zurückgegeben hast. Ich liebe mich jetzt so, wie ich bin, weil ich dich liebe. Ich mache mir jetzt keine Vorwürfe mehr, weil ich anders bin, als es meine Familie von mir erwartet“, sagte er.

„Ich bin so froh, dass ich dich rechtzeitig gefunden habe und dass du dich in mich verliebt hast. Ich freue mich auf eine gemeinsame Zukunft, auf ein Leben und eine Liebe mit dir“, antwortete ich und streichelte seine Haare und seinen Nacken.

So lagen wir eine Weile still da, jeder genoss die Nähe des anderen, genoss die sanften Berührungen und wir beide dachten wohl darüber nach, was sich in den letzten drei Tagen alles verändert hat. Irgendwann waren wir wohl einfach eingeschlafen.

Als ich wach wurde und auf die Uhr schaute, waren es schon 22:20 Uhr und eigentlich Zeit, mich mal auf den Weg nach Hause zu machen. Vorsichtig schob ich mich unter Marvins Kopf heraus und ließ ihn auf das Kissen gleiten. Trotz aller Vorsicht wurde er dabei wach und fragte: „Was ist denn los, musst du jetzt schon nach Hause?“ „Es ist schon spät, wir sind eingeschlafen und ich muss morgen früh in die Uni. Ich habe auch heute insgesamt nur vier Stunden geschlafen, da sollte ich jetzt schon gucken, dass ich in mein Bett komme. Du musst auch schlafen, morgen beginnt deine Therapie und die wird bestimmt anstrengend sein.

Außerdem komme ich morgen Mittag wieder und bleibe bis zum Abend. Sei also jetzt nicht traurig, schlaf ein bisschen und träum von mir. Morgen früh, bevor ich in die Vorlesung gehe, rufe ich dich an. Schlaf gut“, sagte ich zu Marvin und küsste ihn lange auf seinen Mund, dabei wuselte ich noch ein bisschen in seinen Haaren.

Fünf Minuten später war ich auf dem Weg zum Auto, nicht ohne der Nachtwache zu sagen, dass sie bei ihrem Rundgang auch mal bei Marvin reinschaut. Ich sagte ihr auch, dass morgen früh ein Zivi mit dem Namen Sven Krüger kommen würde, der sich dann um Marvin kümmern sollte.

Zu Hause angekommen war der erste Weg unter die Dusche, dann machte ich mich fertig für die Nacht. Fridolin kam angemaunzt und spielte die beleidigte Leberwurst. Ich gab ihm noch schnell etwas zum Fressen, dann ging’s aber gleich ins Bett. Beim Einschlafen merkte ich noch, dass Fridolin seinen Platz am Fußende auch bezogen hatte. Dann war ich weggepennt.

23.12. – 19:00h

Wieder ist der Wein im Glas alle, ob ich noch eins trinken soll? Eigentlich wollte ich ja noch die Story lesen bei Nickstories, aber das kann ich ja später noch. Ich stehe auf, geh mit dem Glas in die Küche und schenke mir noch mal ein. Dabei muss ich an Marvin denken, der jetzt allein die letzte Nacht im Krankenhaus verbringen muss. Ich hätte ja auch mal Onkel Gerd fragen können, ob Marvin nicht schon heute mit zu mir kommen darf. Ob ich mal dort anrufe?

Vielleicht später, wenn das Glas leer ist. Ich lasse die letzten Wochen Revue passieren.

Die letzten Wochen sind schnell vergangen und ziemlich gleich im Ablauf gewesen. An den Werktagen ging ich nach einem morgendlichen Anruf bei meinem Schatz froh und gut gelaunt in die Uni, um am Nachmittag noch besser gelaunt zu meinem Schatz zu eilen.

Wir schmusten ein bisschen, auch hatten wir ein bisschen Sex zusammen, Handsex, zu mehr trauten wir uns in der Klinik nicht, und ich wollte auch Marvin am Anfang nicht überfordern. Die meiste Zeit bis 20:00 Uhr waren wir auf der Station, spielten oder lasen vor, trösteten und lachten mit unseren Schützlingen, und nach kurzer Zeit gehörte Marvin einfach mit dazu, so, als ob er schon immer hier gewesen wäre.

Die erste Woche nach dem 19.11. verlief sehr ruhig, die Reha lief an und forderte Marvin ganz schön. Sven Krüger, der Zivi machte seinen Job sehr gut und wir wurden Freunde, Marvin, er und ich. Ihm war nichts zuviel, wenn es darum ging, Marvin zu unterstützen und zu versorgen, und die beiden verstanden sich jeden Tag besser. Oft blieb er mittags, wenn ich kam, einfach noch eine Zeit bei uns und leistete uns Gesellschaft. Seinen Laptop hatte er die ersten zwei Tage bei Marvin gelassen, so dass der im Internet surfen konnte. Dann brachte ich meinen Laptop mit, ich hatte ja noch den Rechner zu Hause.

Marvin meldete sich dann bei Nickstories an und begann, die Stories dort zu lesen. Er las jede freie Minute, das heißt, immer wenn er alleine war, oftmals bis tief in die Nacht und wenn ihm was ganz besonders gefiel, erzählte er mir davon. So stellten wir bald fest, dass er viele Geschichten, die mir sehr gut gefielen, auch sehr gerne mochte. Er erlebte in einigen Stories viele Dinge, die er am eigenen Leib erfahren hatte und diese Geschichten, aber auch die vielen Happyends in anderen Geschichten, führten immer mehr dazu, sich mit sich selbst zu versöhnen, sich zu lieben wie er war, nämlich schwul. Sein Selbstbewusstsein wuchs wieder nach und nach auf ein gutes Maß an. Täglich liebte ich ihn mehr und er sagte mir täglich, dass er mich über alles liebte.

Mein Vater betrieb Nachforschungen und ließ recherchieren, man fand heraus, das der Bruder

noch mal versucht hatte, in Marvins Wohnung zu gelangen, was ihm allerdings nicht gelang, weil die alten Herrschaften gegenüber den Hausmeister verständigten. Der wiederum drohte mit der Polizei und erteilte Marvins Bruder ein Hausverbot. Nachdem der Privatermittler alle in Frage kommenden Personen befragt hatte, kamen mein Vater und er zu dem Schluss, dass es wohl für eine Anzeige reichen würde, da die meisten Zeugen des Unfalls sich übereinstimmend geäußert haben, dass das Foul vorsätzlich ausgeführt wurde, und zusammen mit den anderen Informationen und Fakten aus den fünf Monaten vorher rundete sich das Bild dahingehend ab, dass Marvin gezielt und bewusst verletzt worden war. Man konnte nach dem Sachstand davon ausgehen, dass das Ganze ein Tötungsversuch war.

Mein Vater stellte alles, was an Erkenntnissen gesammelt war, zusammen und machte sich damit auf in die Höhle des Löwen. Er suchte die Familie Trimborn, beziehungsweise den Vater auf seiner Dienststelle auf. Als Professor war es für ihn kein Problem, dort einen Gesprächstermin zu bekommen. Ungeahnt dessen, was auf ihn zukam, empfing ihn Marvins Vater höflich in seinem Büro und bat meinen Vater Platz zu nehmen.

Mein Vater, nach der Begrüßung nach seinem Anliegen befragt, sagte: „Herr Trimborn, ich bin hier, wegen Ihrer Söhne, ich will hier und jetzt mit Ihnen über Ihre Söhne reden.“

„Herr Professor Meiser, ich weiß nicht, warum ich mit Ihnen über meinen Sohn reden soll, der wird nicht Medizin studieren, sondern Theologie, und ich kann mir auch nicht vorstellen,

warum sie sich um meinen Sohn Gedanken machen“, war die etwas hochnäsig vorgetragene Antwort

„Herr Trimborn, ich bin nicht hier, um mit Ihnen Verstecken zu spielen, und wenn ich fertig bin mit meinem Anliegen, werden Sie mit Sicherheit etwas umgänglicher sein mit mir. Ihr

ältester Sohn hat am 12.11. während eines Handballspiels seinen jüngeren Bruder Marvin absichtlich so schwer gefoult, dass der ein Schädelhirntrauma mit einer starken Einblutung erlitten hat, was, wäre Marvin nicht gefunden worden, zu dessen Tod geführt hätte. An

Hand der Ermittlungen glaube ich beweisen zu können, dass Marvin durch seinen älteren Bruder ermordet werden sollte. Das Motiv für diese Tat ist offensichtlich die Tatsache, dass Marvin homosexuell, oder wie man auch sagt, schwul ist. Zu klären wäre dann nur noch vor Gericht, ob Ihr älterer Sohn von sich aus gehandelt hat oder ob er von Ihnen angestiftet worden ist“, knallte ihm mein Vater die Fakten ins Gesicht.

Etwas blasser und sichtlich aufgebracht, erhob sich Herr Trimborn und sagte: „ Was erlauben Sie sich. Sie kommen hier in mein Büro und unterstellen mir, einen Anschlag auf meinen, ich gebe zu, missratenen Sohn geplant und das von meinem anderen Sohn habe ausführen lassen. Ich glaube, es ist besser, Sie verlassen sofort dieses Haus. Ich wüsste nicht, inwiefern ich Ihnen Rechenschaft über meine Familie geben muss.“

„Nun, wenn Sie nicht reden wollen, bitte, Sie haben die Wahl. Wenn ich dieses Zimmer verlasse ohne eine verbindliche Abmachung getroffen zu haben, was Ihr Verhalten gegenüber ihrem Sohn Marvin angeht, führt mein nächster Weg zur Staatsanwaltschaft und der übernächste zu Ihrem Chef. Ich glaube nicht, das der Oberhirte der Erzdiözese Köln einen hohen Mitarbeiter in seinen Reihen duldet, der das Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht beachtet und Hand anlegen lässt an sein eigen Fleisch und Blut, nur weil dieser Sohn schwul

ist, was der sich mit Sicherheit nicht ausgesucht hat“, knallte ihm mein Vater eiskalt vor den Kopf.

Sichtlich beeindruckt und noch blasser fragte Marvins Vater verbissen: „Was wollen Sie?“

„Unterlassen Sie jede Art von Kontakt, das gilt auch oder besonders für Ihren anderen Sohn. Wenn Sie noch einmal in irgendeiner Form gegen Marvin vorgehen, werde ich tätig, und Sie können mir glauben, ich werde Sie und ihren Sohn hinter Gitter bringen, koste es was es wolle. Und darüber hinaus werde ich dafür sorgen, das Sie und ihr scheinheiliges Verhalten auf der Titelseite eines sehr bekannten deutschen Boulevardblattes erscheinen, mit allen Einzelheiten der Drangsalierungen, die der arme Junge von seiner so erzkatholischen Familie

erleiden musste. Ich denke, danach wird dem Bischof nur die Wahl bleiben, sich von einem seiner höchsten Mitarbeiter zu trennen“, sagte mein Vater ruhig aber bestimmt und sein Ton war sehr überzeugend.

„Ihr Verhalten Marvin gegenüber ist in hohem Maße unchristlich und rechtlich gesehen ein Verbrechen. Was sagen Sie denn am Sonntag Ihrem Herrgott, wenn Sie fromm und scheinheilig an die Kommunionbank rennen? Wie können Sie mit einer solchen Tat, mit einem solchen Verhalten leben? Ich werde das nie verstehen und meine Familie wird alles tun, Marvin zu helfen und dafür zu sorgen, dass er seine Familie nicht vermisst“, setzte mein

Vater noch einen drauf.

„Gut, ich sehe ein, dass ich mich ihrer Forderung nicht versagen kann. Wir werden alle Aktivitäten gegenüber Marvin einstellen, er existiert für uns nicht mehr. Wir können mit seiner Abartigkeit nicht leben, aber wir werden uns jetzt mit der Tatsache abfinden müssen,

das wir keinen Einfluss mehr auf ihn ausüben dürfen. Wir überlassen ihn seinen frevelhaften Neigungen und hoffen, dass niemand ihn mit uns in Verbindung bringt und wir nicht unter dieser Abartigkeit leiden müssen“ antwortete Herr Trimborn gepresst und wohl immer noch davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben.

„Da wäre noch was, was zu regeln wäre“, sagte mein Vater. „Sie haben bisher lumpige 460,- Euro monatlich an Ihren Sohn Marvin überwiesen. Wenn ich das Kindergeld, das Sie bekommen, davon abziehe, dann sind das gerade mal schlappe 3o4,- Euro. Das kann so nicht sein.

Der Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle liegt zurzeit glaube ich bei 548,- Euro plus Kindergeld. Das und die Nachzahlung für die letzten fünf Monate überweisen Sie bitte auf Marvins Konto. Ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,- Euro halte ich ebenfalls für angebracht, das können Sie ja dann Ihrem älteren Sohn vom Erbteil abziehen. Die Kontonummer haben Sie ja vor fünf Monaten schon von seinem ehemaligen Lehrer erhalten, der uns übrigens von den vielen „Nettigkeiten“ gegenüber Marvin genauestens in Kenntnis gesetzt hat. Hier ist meine Karte, ich erwarte Ihre Antwort bis spätestens 22.12., also übermorgen, 17:00 Uhr. Bis dahin sollte auch das Finanzielle geregelt sein.“ Mein Vater erhob sich, ging zur Tür und ließ einen sichtlich getroffenen Herrn Trimborn in seinem Büro zurück.

Als er mir von diesem Gespräch erzählte, bat ich ihn, Marvin zunächst nur zu sagen, dass er jetzt Ruhe hätte vor seiner Familie und das mit dem Geld natürlich auch, weil das ja etwas Positives war. Was aber sein Vater über ihn gesagt hatte von wegen Abartigkeit und so, das sollte er so nicht weitergeben.

„Ich werde ihm gar nichts von diesem Gespräch sagen, das überlass ich dir. Du bist jetzt in erster Linie für sein Wohlergehen verantwortlich, wir sind zwar jetzt seine neue Familie, aber du bist sein Schatz, du bist der Mann, den er liebt und du sollst ihm nach und nach all das erzählen, was ich dir jetzt anvertraut habe. Du musst wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist, ihm diese Dinge zu erzählen. Lernt euch zunächst mal richtig kennen und lebt miteinander. Die Zeit und deine Liebe werden dafür sorgen, dass er diese üblen Dinge irgendwann vergisst.

Ich wünsche dir und Marvin alles Glück der Welt und was wir dazu beitragen können, das werden wir tun“, sagte er zu mir und ich musste ihn einfach umarmen, meinen Vater.

Wieder in der Gegenwart, es ist mittlerweile 19:40 Uhr, muss ich ganz intensiv an meinen Schatz denken, der jetzt allein und wohl auch einsam in seinem Klinikbett liegt. Warum liegt er jetzt überhaupt da, warum ist er nicht bei mir. Die paar Stunden, die uns noch vom gemeinsamen Wohnen trennen, die sind doch jetzt eigentlich auch nicht mehr notwendig. Er kann doch jetzt schon bei mir sein.

Meine innere Unruhe wird größer und ich beschließe erst einmal im Krankenhaus anzurufen und mit Marvin zu sprechen. Schnell ist gewählt und bald darauf meldet sich Marvin am Telefon: „Trimborn.“

„Hallo mein Schatz“, sage ich, „ich habe es nicht mehr ausgehalten und will hören, wie es dir geht?“ „Hallo, Djortsch, gut dass du dich meldest, ich vermisse dich so und werde vermutlich die ganze Nacht nicht schlafen können. Warum können wir nicht schon heute

zusammen in deiner Wohnung sein? Ich habe so eine Unruhe in mir, ich weiß nicht warum.

Komm bitte zu mir, ich halte das nicht aus ohne dich.“ Er hört sich aufgewühlt an und ich entschließe mich kurzer Hand, jetzt noch, allen Straßenverhältnissen zum Trotz, zu ihm zu fahren. „Beruhige dich, mein Schatz, ich mach‘ mich auf den Weg zu dir, es kann aber etwas dauern. Bis gleich, Marvin, ich liebe Dich.“ Da fällt mir ein, dass ich wohl ein Taxi nehmen muss, denn nach Tee mit Asbach und Rotwein werde ich nicht mehr selber fahren.

Nachdem ich aufgelegt habe, denke ich kurz nach, nehme mein Handy und wähle die Nummer meines Patenonkels. Hoffentlich ist der zu Hause. Es klingelt und nach dem vierten Mal meldet sich mein Onkel. „Doktor Lüdtke“

„Hallo, Onkel Gerd, hier ist Djortsch, entschuldige die Störung, aber ich habe eine große Bitte.“ „Dann lass mal hören, mein Junge, wenn ich sie erfüllen kann, dann werde ich es tun“, antwortet er. „Ich möchte Marvin jetzt schon holen, ich habe eben mit ihm telefoniert und er ist total durch den Wind. Auf die zwölf Stunden kommt es doch jetzt bestimmt auch nicht mehr an, oder?“

„Nun, aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, im Gegenteil, bei dir hat er Ruhe, und das Gefühl nicht allein zu sein. Nach allem, was er erlebt hat, ist das jetzt sehr wichtig für ihn.

Also hol ihn ab und ich rufe jetzt in der Klinik an und regele das. Und frohe Weihnachten euch beiden, wir sehen uns ja übermorgen bei deinen Eltern. Tschüss Djortsch“

„Dir auch frohe Weihnachten, danke und bis übermorgen und grüß Doris und die ganze Familie von mir“, antworte ich und drücke das Handy mit Freude im Herzen ab. Nun werde ich ihn überraschen und gleich mit zu mir nehmen.

Nun schnell ein Taxi angerufen, noch schneller warm angezogen und warten auf den Personentransporter.

Als es draußen hupt, schnappe ich Geldbeutel und Haustürschlüssel und mache mich auf den Weg zum Taxi.

Das schöne an einem Taxi brauch ich wohl nicht näher zu erwähnen. Wenige Minuten später bog das Taxi auf die Strasse Richtung Stadt und Klinik ein und der Fahrer musste sich sehr auf die Strasse konzentrieren, es war stellenweise sehr glatt. Trotz des winterlichen Wetters waren noch viele Menschen unterwegs und es ging nur langsam voran.

Gedanklich drifte ich wieder zurück. In den letzten zwei Tagen hatten wir viel über unsere Zukunft geredet, Pläne gemacht, auch ein bisschen gesponnen, wie halt Verliebte so sind. Alles ist rosarot und man schwebt ständig auf Wolke 7. Wir hatten aber auch ernste Phasen, in denen wir über die wichtigen Pläne redeten. Marvin wollte seinen jetzigen Studiengang abbrechen und wollte so wie ich Medizin studieren. Das dürfte bei seinem Abiturabschluss und meines Vaters Beziehungen (ja, ja ich weiß, aber es ist halt mal so) kein Problem sein.

Dass er jetzt finanziell besser gestellt war, gab ihm das Gefühl, nicht von mir abhängig zu sein. Das Schmerzensgeld war auch auf seinem Konto angekommen und ein Teil davon sollte dazu dienen, den Führerschein zu beenden, den er vor einigen Monaten aus finanziellen Gründen auf Eis gelegt hatte.

Seine neurologischen Ausfälle sind fast ganz verschwunden und es ist nur eine Frage der Zeit,

bis er wieder voll leistungsfähig ist, wieder Sport machen kann und wir sind froh, das alles so gut ausgegangen ist. Wir werden unser Schwimmbad und die Geräte nutzen, um auch über die Feiertage an seiner Konstitution zu arbeiten. Mittlerweile wissen die meisten auf der Station, dass Marvin mehr als nur ein guter Freund für mich ist, und es ist niemand da, der daraus ein Problem macht.

Die Knochenmarkspende für Kai ist gut verlaufen und die Chancen, gesund zu werden, sind enorm angestiegen. Die Ärzte sind sehr zufrieden mit dem Verlauf, die Werte sind super, es sieht echt gut aus für unseren Schützling. Die meisten Patienten verbringen die Weihnachtstage zu Hause, nur die, deren Zustand einen Urlaub nicht zulässt, verbleiben auf der Station. Marvin und ich haben uns vorgenommen, die Kinder am ersten Weihnachtstag zu besuchen.

23.12. – 20:45h

Endlich haben wir die Klinik erreicht, ich sage dem Fahrer, dass er warten soll, ich will jemand abholen. Zuerst will er nicht, aber ich sage, das er die Uhr weiterlaufen lassen soll und verspreche im auch ein ordentliches Trinkgeld.

Ich eile in die Klinik, zum Aufzug und ab zur Kinderstation. Nach meinem Klingeln, die Station ist ja abends immer abgesperrt, kommt die Nachtschwester und lässt mich rein.

„Der Professor hat uns schon informiert, dass du Marvin abholen kommst. Ich habe ihm Bescheid gesagt und er hat schon gepackt und sitzt im Zimmer wie auf heißen Kohlen“, sagt sie und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Dann geh ich ihn mal holen“, sage ich und mach‘ mich auf den Weg. Als ich die Türe öffne, sehe ich meinen Schatz fertig angezogen, vor sich die gepackte Reisetasche und den eingepackten Laptop, am Tisch sitzen. Seine Blicke zur Tür gerichtet, beginnt er zu strahlen, als er mich sieht. „Komm, du kleiner Ungeduldiger“, sage ich lachend. „Onkel Gerd hat dich entlassen und meiner Obhut unterstellt. Jetzt fahren wir in dein neues Zuhause und ich hoffe, du wirst dich da wohlfühlen.“ Er steht auf, nimmt mich in den Arm und küsst mich. „Ich bin sehr gespannt und freue mich, dass wir jetzt zusammenziehen, komm, lass uns gehen, ich kann es gar nicht erwarten, unsere gemeinsame Wohnung zu sehen“, sagt er und nimmt den Laptop, während ich seine Tasche trage.

Da wir die Kleinen ja übermorgen besuchen wollen, verzichten wir auf einen Abschiedsrundgang, und außerdem wartet ja auch das Taxi. Der Fahrer öffnet den Kofferraum, als er uns kommen sieht und wir legen unsere Sachen hinein. Wir setzen uns

beide nach hinten, Marvin hält meine Hand, und erzählt mir, was noch alles auf der Station los war, seit ich gegangen bin.

Nach fast 35 Minuten Rückfahrt mit einigen Staupausen und viel Verkehr hält das Taxi vor unserem Anwesen. Ich bezahle den Fahrer und gebe ihm 20,- Euro Trinkgeld, wir wünschen ihm beide ein frohes Fest und er fährt zufrieden davon. Ich gehe mit Marvin die Treppe zum Haupteingang hinauf und sage: „Wir sagen noch schnell meinen Eltern Bescheid, dass wir da sind, dann gehen wir runter in mein altes und dein neues Reich und machen es uns gemütlich. Dann lernst du auch endlich Fridolin kennen, von dem ich dir ja schon einiges erzählt habe. Du wirst ihn bestimmt mögen und er dich auch bald, denke ich.“

Ich klingele zweimal kurz hintereinander, dann wissen meine Eltern, dass ich es bin, und es dauert nicht lange und mein Vater öffnet uns die Haustür. „Hallo ihr beiden! Marvin, du bist schon da? Ich denke, du kommst erst morgen. Das ist ja schön, dass ihr jetzt schon da seid. Kommt rein, Mutter wird sich auch freuen.“

Die kommt auch gleich gelaufen, hat sie doch gehört, was mein Vater zur Begrüßung gesagt hat. „Das ist aber schön, das ihr beide da seid“, und dann nimmt sie Marvin in den Arm, drückt ihn, küsst ihn abwechselnd auf die Wangen und sagt: „Willkommen in deinem neuen Zuhause, du bist hier sehr gerne gesehen und wir freuen uns, dass du jetzt da bist. Kommt herein ins Warme, zieht eure Jacken aus. Wir beide, Papa und ich, haben soeben eine Flasche Wein geöffnet und da können wir gleich mal mit euch auf euer Glück anstoßen.“

Nachdem wir abgelegt haben, gehen wir ins Wohnzimmer und setzen uns nebeneinander auf die Couch. „Nachher, wenn wir runter gehen, gehen wir durch die Eingangstür und nicht durch den Keller. Ich möchte dich über meine Schwelle tragen, das soll Glück bringen und hat ja auch Tradition bei Leuten, die sich lieben“, sage ich zu Marvin und gebe ihm einen Kuss.

„Da bin ich mal gespannt, ob du mich auch nicht fallen lässt“, uzt er zurück und erwidert dann meinen Kuss.

Mein Vater hat uns inzwischen eingeschenkt und Mutter hat eine Schüssel mit Gebäck auf den Tisch gestellt. „Auf eine glückliche Zukunft und herzlich willkommen in unserem Haus“,

sagt Vater und Mutter schließt sich den Wünschen an. Wir trinken einen Schluck, es ist ein halbtrockener Rotwein von der Ahr, und Marvin bedankt sich: „Danke für die liebevolle Aufnahme in diesem Haus. Ich habe vor zwei Monaten nicht geglaubt, dass ich einmal wieder so glücklich sein würde, wie ich jetzt bin. Das verdanke ich Djortsch und Ihnen und dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen.“

Wir sitzen eine Weile zusammen und reden über die vergangenen Wochen und auch über die Zukunftspläne Marvins. Mein Vater sagt Marvin die volle Unterstützung beim Wechsel des Studienganges zu und so sehen also alle momentan sehr hoffnungsvoll in die Zukunft.

Ich schaue auf die Uhr und sage: „Es ist schon spät, ich weiß nicht, was mit dir ist, Marvin, aber ich bin müde und möchte in nicht allzu langer Zeit in meinem, jetzt unserem warmen Bett liegen.“ „Ich bin auch müde und außerdem möchte ich noch über die Schwelle getragen werden“, gibt er schmunzelnd zur Antwort. „ Also“, sage ich, „wir gehen dann runter.“

Meine Eltern begleiten uns noch zur Tür und schauen dann von der Treppe aus zu, wie ich die Tasche abstelle, die Türe aufsperre und dann meinen Schatz mitsamt Laptop über die Schwelle trage. Drinnen angekommen, setze ich ihn auf die Couch, gebe ihm einen Kuss und sage feierlich: „Willkommen zu Hause, mein Schatz.“

„Danke, mein Liebster, ich liebe dich und ich bin froh, dass wir zusammen sind“, antwortet er mir. Ich löse mich von ihm und gehe zur Türe, hole seine Tasche rein und schließe ab.

Endlich mit Marvin daheim!

Wir beschließen, zusammen ein Bad zu nehmen und ich schlage vor, das wir den Whirlpool

im Schwimmbadbereich nutzen, um uns ein wenig zu entspannen, bevor wir schlafen gehen.

Der Pool muss natürlich etwas vorheizen, in der Zeit suchen wir frische Shorts und Schlafshirts raus, nehmen Handtücher und duschen uns ab. Dann geht’s hinein in den Whirlpool, dessen entspannenden Effekt wir jetzt ausgiebig genießen. Nach 25 Minuten stelle ich die Düsen ab und wir trocknen uns ab. Bettfertig angezogen gehen wir zurück in die Wohnung und dort auch gleich ins Schlafzimmer. Wir krabbeln in mein großes Bett und kuscheln uns aneinander. Unsere Lippen finden sich und wir versinken in einem langen Kuss.

Fridolin springt aufs Bett und kommt über die Decke langsam aufs Kopfende zu. Wir haben uns voneinander gelöst und beobachten den Kater, der bis zu uns, bis dicht an unsere Gesichter kommt. Er riecht vorsichtig erst an mir, dann an Marvin. Es dauert einen kurzen Augenblick, dann beginnt er zu schnurren und reibt seinen Kopf abwechselnd an meinem und an Marvins Gesicht, der andächtig stillhält und mich dabei anschaut. „Du bist jetzt adoptiert“, sage ich ihm und lache leise. Fridolin hat genug geschmust und rollt sich jetzt am Bettende zusammen. Ich lösche das Licht und schmiege mich dicht an meinen Schatz, atme seinen Geruch ein und spüre seine Wärme und es dauert nicht lange, da sind wir beide eingeschlafen.

Ich träume, dass wir zusammen unter einem schönen Weihnachtsbaum liegen, Lebkuchen essen und Weihnachtstee trinken und uns immer wieder zärtlich küssen.

Es wird bestimmt ein schönes Weihnachtsfest für uns werden.

 

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