07. Türchen – Samtpfote und Engelshaar

Schweigend waren wir eine Weile gegangen, als sich die Bäume vor uns auftaten und den Blick frei gaben, auf einen wunderschönen See. Das Licht der untergehenden Sonne schimmerte auf der Wasseroberfläche.

„Und? Was sagst du?“, fragte Tilly.

„Schön…“

„Schön… schööööön?“ Ist das alles was du dazu zu sagen hast?“, empörte sich Tilly spielerisch.

Verträumt sah ich auf das Wasser, ergriffen vom Glänzen der Sonne.

„Ist ja gut… sehr schön ja…!“

„Pffft… du Romanzentöter. Wenn du hier mit deiner Freundin stehen würdest, die würde dir etwas erzählen.“

„Ich… ich habe keine Freundin.“

„Das war doch jetzt nur hypothetisch gemeint. Stell dir vor… du stehst hier mit deiner…“

„Sicherlich nicht“, unterbrach ich ihn leise.

„Jetzt stell dich doch nicht so an, was ist daran so schwer, sich dass mit einem Mädchen vorzustellen? Also komm, stell dich hier hin, schau in die Sonne, auf das Wasser und denke daran, du hast ein süßes Mädchen im Arm.“

Ich rollte mit den Augen und sah Tilly genervt an.

„Boah du Tülle… komm her.“

Tilly griff mich am Arm und zog mich nach vorne. Dann nahm er meinen Arm und legte ihn um sich. Sein lockiger Kopf wanderte auf meine Schulter.

„Und?“

Ich roch Tillys frisch gewaschenes Haar und seine Nähe, ließ mir einen Schauder über den Rücken wandern. Meine Knie wurden weich.

„Ja. Lass dich etwas gehen, genauso und was sagst du jetzt.“

„Traumhaft schön….genial…“

Ich verfiel ins Träumen.

„Habe ich doch gleich gesagt, dass man diesen Anblick mit schön nicht abspeisen kann.“

Irgendwie hörte ich Tilly nicht mehr richtig, ich sah in das glutrot der Sonne, genoss Tillys Nähe.

„HE, du kannst mich wieder loslassen… Jens… Erde an Jens… he, man du wirst schwer.“

*-*-*

Was macht der da nur. Krabbelt wie ein Kater auf alle vieren unter den Tisch. Das muss ich mir doch mal genauer ansehen. Mit einem Sprung war ich neben ihm auf dem Boden und schmiegte mich vorsichtig an ihm vorbei.

 

„He Mika, willst du mir helfen?“

Klar, ich drück dir den Stecker in die Nase und du leuchtest wie ein Rauschgoldengel!

„Das ist nicht nett, Mika, so etwas denkt man nicht.“

Ruckartig blieb ich stehen. Woher wusste er was ich dachte?

„Es gibt eben Dinge, die kann man nicht erklären. Hallo ich bin Jonas.“

Er kraulte mich zwischen den Ohren und ich konnte nicht anders und schnurrte.

„Jetzt lass mich aber fertig machen, sonst kommt dein Herrchen zurück und sein Computer geht noch nicht.“

*-*-*

Ich wachte aus meinem Tagtraum auf, ließ sofort Tilly los und nahm Abstand von ihm.

„Was war das jetzt?“, fragte er.

„Entschuldige…, ich geh zurück… mir…“, brach ich den Satz ab und lief zurück.

„Jens, jetzt warte doch…“, rief mir Tilly hinterher.

Da hatte ich ja einen schönen Eindruck hinterlassen und das auch noch vor jemand, den ich überhaupt nicht kannte. Ich traute mich nicht, mein Kopf zu drehen, aus Angst, Gerrit oder Tilly würden das sehen.

Mein Gang beschleunigte sich und hinter der nächsten Biegung, fing ich an zu rennen. Wenig später, erreichte ich wieder das Gelände des Internats. Kurzatmig blieb ich stehen, schnappte wie wild nach Luft, vielleicht sollte ich einen Sportkurs belegen.

Scher atmend schleppte mich zur Eingangstür und betrat wieder das Haus. Komisch, jetzt waren doch so viele im Haus und doch war keiner im Flur zu sehen. Vielleicht besser so. Ich ging die Treppe hinauf, den Flur entlang und wollte meine Tür öffnen.

Sie war verschlossen. Dann schien Jonas schon fertig zu sein und war gegangen. Ich zog meinen Schlüssel aus der Hosentasche und schloss auf. Drinnen erwartete mich natürlich Mika.

Nanu, warum hatte Herrchen so einen knall roten Kopf? Irgendwas stimmte hier nicht. Es ging nicht mit rechten Dingen hier zu.

Ich warf meine Jacke über den Stuhl, nahm nur kurz den aufgebauten Computer wahr und ließ mich dann erschöpft aufs Bett fallen. Mika sprang ebenfalls aufs Bett und stellte seine Pfote auf meinen Arm.

Was ist den los mit dir? Warum hast du so einen roten Kopf?

„Ach Mika, was mach ich bloß? Soll ich mich hier auch wieder in meinem Zimmer verkriechen, wie zu Hause.

Warum versteht er mich nicht, Jonas hat es doch auch gekonnt.

Ich drehte mich zur Seite und vergrub mich in mein Kopfkissen. Was sagte ich jetzt nur, wenn Tilly nachfragte, warum ich so reagiert hatte? Das ist mal wieder ein toller Start. Gleich im Anlauf voll ins erste Fettnäpfchen.

Ich spürte wie Mika auf mich kletterte und langsam meinem Kopf lief.

„Du hast die Probleme nicht, hast anscheinend schon deine Freunde gefunden“, murmelte ich.

Ja, da gibt es so eine nette Katzendame, die mich überall herum geführt hat und einigen vorgestellt hat. Aber was für Probleme hast du?

„Ab und zu wünsche ich mir jemand anderes zu sein, aber das ist halt nicht möglich.“

Jemand anders? Du bist mein Herrchen, ein gutes Herrchen, ich will niemand anderen!

Ich schaute Mika in die Augen.

„Man könnte meinen du verstehst mich…“

Tu ich doch!

Ich kraulte ihn zwischen den Ohren und Mika fing an zu schnurren. Doch dann spitze er die Ohren und wenige Sekunden später klopfte es. Ich seufzte und krabbelte vom Bett. Bestimmt würde Tilly vor der Tür stehen.

Schweren Herzens öffnete ich die Tür und war überrascht in Fines Gesicht zu schauen.

„Hallo“, sagte ich verwundert und gab den Platz im Türrahmen frei, damit Fine eintreten konnte.

„Hallo…“

Fine schaute sich kurz um und setzte sich dann neben Mika aufs Bett.

„Was für ein Problem hast du?“, fragte Fine plötzlich und schaute mich durchdringend an.

Ich schloss die Tür und wich ihrem Blick an.

„Ich weiß du bist neu hier, das bringt einige Schwierigkeiten mit sich, aber auch so eine Art Neuanfang. Weißt, jeder der hier ist hat irgendwie sein Päckchen zu tragen, Probleme mit zu Hause oder seiner Umwelt.“

Ich setzte mich auf den Bürostuhl und ließ den Kopf hängen.

„Aber hier haben wir die Möglichkeit aus unseren Ängsten und Problemen auszubrechen!“

„Und… und warum sagst du mir das jetzt?“, fragte ich leise.

„Eben stand ein total verwirrter Tilly mit Gerrit im Schlepptau vor mir und hatte riesen Angst einen Fehler gemacht zu haben.“

„Hat er nicht…“, kam es fast flüsternd vor mir.

„Weißt du Jens, hier läuft alles bisschen anders, wie du schon bemerkt hast. Nutz die Chance etwas zu ändern…“, sagte Fine ebenso leise und legte ihre Hand auf meine, „es gibt welche hier, die haben es nicht gemacht und…“

Sie stockte und ich sah sie an.

„Tut mir Leid, Fine… ich wollte niemandem kränken oder verwirren… es ist alles so schwer…ich wollte nicht hier her… meine Mutter hat das einfach bestimmt.“

„Sie wollte dir sicher nur Gutes tun… man jetzt rede ich schon selber wie meine Mutter. Hör mal Jens, wenn etwas ist, du kannst jederzeit zu mir kommen und reden, okay.“

Ich nickte.

„Ich kann mir denken, dass du dich ausgeschlossen fühlst und zu Hause keine richtigen Freunde hattest.“

„Wo… woher weißt du?“

„Weil es hier vielen so ging, als sie aufs Internat kamen.“

„Dir auch?“

„Unter anderem… Zu Hause war ich der Freak unter dem Mädels, keiner wollte etwas mit mir zu tun haben.“

„Aber du bist doch nett… zuvorkommend…“

„Hör mit den Schmeicheleien auf, bekomme ich genug von Direx.“

Ich musste leicht lächeln.

„Siehst, geht doch, so gefällst du mir viel besser.“

Ich beschloss einen schweren Entschluss und atmete tief durch.

„Wie… wie reagiert man hier… auf Schwule?“, fragte ich stotternd.

Fine schaute mich wieder durchdringend an, aber zog ihre Hand nicht zurück, sie ruhte immer noch auf der meinen.

„Normal!“

„Was heißt normal.“

„Sie werden nicht ausgegrenzt.“

„Mit dir zusammen mindestens fünf“, sagte sie mit einem Lächeln.

Klar musste die zu dieser Schlussfolgerung kommen, wenn ich so etwas fragte. Ich spürte die Hitze in mir aufsteigen, meine Magen fühlte sich flau an, ich zitterte.

„Also hatte Tilly Recht.“

„Mit was…?“

Was will die eigentlich von meinem Herrchen, könnte mich doch auch mal streicheln. Hat ewig seine Hand in der Hand… he bin auch noch da.

Mika stupste Fine in die Seite. Sie drehte ihren Kopf und ließ meine Hand los.

„Du bist ja auch ein Goldiger, machst das deinem Herrchen nach?“, meinte Fine zu Mika.

Nein, der hat das von mir abgeschaut. Sie grinste und streichelte mir über den Kopf. Ob sie mich auch verstanden hatte?

Fine widmete sich wieder mir.

„Er meinte, du hast ein großes Problem, dass du mit dir herumschleppst, dass hat er dir gleich angesehen.“

„Ist er Hellseher?“

„So etwas in der Art…“

Ich atmete wieder lange durch.

„Und?“, fragte Fine.

„Was und?“

„Wann wirst du es den anderen sagen?“

„Du meinst…?“

„Ja, klar, somit gibt es keine Missverständnisse mehr und keine Probleme.“

„Wenn das so leicht wäre…“

„Es mir zu sagen war doch auch leicht.“

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