Ableitungen und ähnliche Unfälle 3 – Teil 2

Alex

Josh hatte uns einige Minuten zuvor wieder verlassen und Linda betüdelte unseren Sorgengast, während ich mich wieder um meine Bücher kümmerte. Kurz darauf ertönte die Türglocke. Ich vermutete das Josh etwas vergessen hatte und erlebte eine Überraschung.

„Was willst du denn hier?“

„Reinkommen vielleicht? Scheinbar hab ich ja sonst keine echten Freunde mehr.“

Luka sah mich beinahe schon lauernd an.

„Zumindest spart mir das einen Weg, ich wollte eh noch mit dir reden.“

Das Gespräch wollte ich nicht zwischen Tür und Angel führen und trat zur Seite, um ihn direkt in die Küche zu führen. Dabei blieb auch Peter nicht unbemerkt, welcher gerade in ein leises Gespräch mit meiner Süßen vertieft war.

„Wer ist denn der Schnuckel gewesen? Er kommt mir irgendwie bekannt vor.“

„Sag mal, tickst du eigentlich noch ganz richtig? Was sollte die Aktion mit Guido?“

„Wenn sich der Penner gleich an meinen Ex wirft, dann hat er selber Schuld. Wahrscheinlich hatten die vorher auch schon was laufen.“

Ich bedachte Luka mit einem ungläubigen Blick.

„Glaubst du das, was du da von dir gibst, wirklich? Guido hat nichts mit Hendrik, nie gehabt.“

„Das ich nicht lache. Woher willst du das wissen?“

Mein Gegenüber lachte verächtlich.

„Weil sie es mir gesagt haben und ich glaube ihnen, im Gegensatz zu dir.“

„Warum sollte ich auch, Hendrik hat mich schließlich betrogen.“

„Ja, hat er. Aber er hat dich nicht belogen, oder sehe ich da was falsch?“, seufzte ich und rieb mir über die Schläfen.

„Ach egal. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Wer ist das?“

„Nein, es ist nicht egal. Das du einen Fehler gemacht hast, kannst du nicht durch Ignoranz ausräumen. Guido hätte dich auch anzeigen können. Hat dir die Scheiße damals nicht auch gereicht? Wir hatten alle genug davon. Im Übrigen: es ist Peter.“

„Echt? Wow. Aber was macht er hier?“

„Luka, ich hab keine Lust mit dir über Peter zu reden. Warum bist du hier?“

Linda schob ihren Kopf in die Tür und warf uns einen besorgten Blick zu.

„Alles okay hier?“

„Ja, Schatz, wir kommen klar.“

Meine Freundin zog sich wieder zurück, blieb aber misstrauisch.

„Weiß es eigentlich jeder? Der arme Guido hat sich wohl bei allen hübsch ausgeheult.“

Mir reichte es.

„Entweder reden wir jetzt vernünftig, oder du darfst gehen. Wir hatten heute unser vorerst letztes Bandtreffen und es war nicht zu übersehen, was du mit ihm angestellt hast.“

„Vielleicht hab ich etwas überreagiert“, räumte er ein.

„Vielleicht? Okay, Luka, ich weiß nicht was du hier bezwecken willst. Am Besten ist du gehst wieder.“

Das Gespräch machte keinen Sinn und auf die Spielchen hatte ich absolut keine Lust. Er zögerte einen Moment und die Selbstsicherheit bröckelte ein wenig.

„Warte. Ich hatte gestern mit jemandem Sex.“

„Herzlichen Glückwunsch. Sehr aufschlussreich.“

Ich stand auf und wollte die Küche verlassen.

„Alex, es war ein Fehler. Ich wollte mich rächen und es ging nach hinten los. Danach haben wir Hendrik und Guido getroffen. Ich bin ausgetickt, hab gedacht die Beiden hätten was miteinander. Ich hab meinen Ausrutscher bereut und fühlte mich schon wieder verraten.“

Er seufzte.

“Und du warst der Einzige, der mir jetzt noch einfiel. Domi ging auch nicht ans Telefon, deshalb bin ich hergekommen.“

„Du bist ein Vollidiot, weißt du das?“

„Für einen angehenden Psychologen bist du ziemlich undiplomatisch“, kam es mit einem leichten Grinsen zurück.

„Ich werde auch Psychologe für Kinder, nicht für Kindsköpfe.“

Mein Ärger verrauchte ein wenig. „Aber wie soll ich dir helfen, was erwartest du von mir?“

„Mit Hendrik reden?“

Seine erwartungsvollen Augen ruhten auf mir. Ich schüttelte mit dem Kopf.

„Sorry, aber nein. Er wollte mit dir reden und du hast abgelehnt. Die Suppe von gestern musst du selber auslöffeln.“

„Aber…“

„Nichts ‚aber’. Du kannst nicht mit einer Bazooka im Porzellanladen rumballern und hoffen, dass jemand mit einer Tube Kleber hinter dir aufräumt.“

Es folgte ein mutloses Seufzen.

„Verdammt. Okay, ich rede mit ihm.“

„Und Guido. Du hast ihn ziemlich verunstaltet, eine Entschuldigung ist das Mindeste.“

Luka zuckte leicht zusammen.

„Du weißt, dass er mich ohne Weiteres kalt machen kann, oder? Ich hab ihn nur überrascht.“

„Er schien deutlich versöhnlicher als Hendrik. Aber schlaf erst mal eine Nacht drüber und überleg dir, wie du es angehen willst.“

„Okay. Aber jetzt sag doch mal, was ist mit Peter? Warum ist er hier?“

Das Thema wollte ich in dem Augenblick nicht vor ihm ausbreiten und sagte ihm das auch.

„Sorry, aber dass geht dich nichts an. Frag ihn selber, aber nicht mehr heute, verstanden?“

Luka hob abwehrend die Hände.

„Okay, okay. Scheint ja was Größeres zu sein. Na dann, ich mach mich auf den Heimweg. Und danke.“

„Gern geschehen. Mach‘s gut.“

Mein Kumpel verließ die Küche und verabschiedete sich kurz von Linda und Peter. Ein paar Minuten später betrat auch ich die Wohnstube.

„Alles okay? Es war teilweise echt laut bei euch.“

Peter wusste um die Situation bei unseren Freunden und betrachtete mich nachdenklich.

„Ja, ich denke schon. Luka will jetzt doch mit Hendrik reden. Vielleicht kommt es wieder in Ordnung, keine Ahnung.“

„Woher der Sinneswandel?“, wollte Linda wissen.

Sollte ich ihr darauf antworten? In Hinblick auf Peter schien es nicht die beste Idee zu sein, damit er nicht noch vorschnelle Rückschlüsse zog und sich, in Bezug auf Domi, in irgendetwas verrannte. Doch mein Zögern weckte nur noch mehr Interesse.

„Also, Luka hat sich gerächt, könnte man sagen. Par pari referre. Es scheint ihm die Augen für die Prioritäten geöffnet zu haben.“

Zwei Paar Augen fokussierten mich fragend.

„Was will uns mein süßer Gelehrter damit sagen?“, kicherte Linda.

„Ups, sorry. Gleiches mit Gleichem vergelten.“

Nun kam die Botschaft an und Peters Reaktion war erschreckend vorhersehbar. Der Film in seinem Kopf stand auf seiner Stirn geschrieben.

„Dominik kannst du nicht mit Luka vergleichen“, warf ich deshalb schnell ein.

Der Satz schien sich zu einer Art Mantra zu entwickeln. Peter stand auf und ging langsam auf seinen Gästebereich zu, drehte sich vor der Tür aber nochmals um.

„Ich weiß. Lass uns morgen reden, ich bin ziemlich müde. Gute Nacht.“

„Gute Nacht!“, riefen Linda und ich gleichzeitig.

„Willst du noch lernen, oder gehen wir ins Bett? Ich würde noch gerne etwas kuscheln.“

Lernen stand nicht mehr zur Debatte, dafür kreiste zu viel durch meinen Kopf.

„Kuscheln klingt großartig“, lächelte ich sie deswegen an.

„Zerbrich dir nicht den Kopf, du machst das alles wirklich toll. Ich bin stolz auf dich, mein kleiner Bär.“

Sie zwickte mir in die verschwindend kleine Speckfalte an der Hüfte.

„Ich bin kein Bär“, maulte ich trotzig zurück, doch sie grinste nur. Bald darauf lagen wir, gemütlich eingekuschelt, im Schlafzimmer.

*-*-*

Dominik

„Wie fühlst du dich?“

Doro hatte sich besorgt über mich gebeugt. Ein furchtbarer Migräneanfall hielt mich seit dem frühen Morgen im Bett gefangen, doch die Medikamente wirkten allmählich.

„Irgendwann verlässt mich jeder. Erst Mama, jetzt Peter. Ist okay, ich finde mich schon damit ab.“

Meine Stiefmutter wirkte etwas hilflos.

„Das stimmt doch gar nicht. Deine Mutter wäre stolz auf dich, wie du dein Leben gemeistert hast. Für den Unfall konnte niemand etwas. Ich will sie dir auch nicht ersetzen, aber wir sind immer für dich da. Du hast eine Familie, die dich liebt.“

„Ich vermisse sie. Warum ist das Leben immer so unfair? Egal wie glücklich man ist, irgendwann geht alles kaputt. Ohne diese dummen Gefühle wäre alles viel besser. Dann wäre es mir egal, dass Peter einen anderen liebt.“

„Tut er das denn?“, fragte sie leise.

„Warum sollte er sonst seinem Lover alles erzählt haben? Und dieser dreiste Penner ruft auch noch bei uns an. Was soll ich denn sonst denken?“

Je länger ich darüber nachdachte, desto endgültiger erschien mir die Situation. Peter hatte sich absolut distanziert verhalten, wollte mich nicht einmal mehr anfassen.

„Du hast ihn nicht bei seiner Rückkehr erlebt. Er war so abweisend.“

„Du solltest mit ihm reden und dich nicht in irgendwelchen Vermutungen verlieren.“

Behutsam strich Doro über meine Wange.

„Er ist aber weg. Du weißt doch, dass ich es gestern versuchen wollte, aber er war nicht da.“

„Dann sollten wir vielleicht nochmals nachsehen?“

„Okay“, antwortete ich knapp.

Doro stand auf.

„Ich bin unten, mach dich ruhig etwas frisch, dann können wir fahren.“

Ich verließ das Zimmer kurz nach ihr und ging in das Bad. Meine verheulten Augen blickten mir mitleidig aus dem Spiegel entgegen und ich wusch das Brennen mit einer Ladung kalten Wassers weg.

„Wir können dann“, verkündete ich, nachdem ich Doro in der Küche gefunden hatte. Kommentarlos hielt sie mir ein Nutella-Brötchen hin.

Eigentlich hatte ich keinen Hunger, aber die Schokolade wirkte verlockend. Zaghaft biss ich hinein und sie schenkte mir ein befriedigtes Lächeln, als der kleine Happen verschwunden war.

„Ja, jetzt können wir“, meinte sie dann noch.

Die kleine Wohnung war noch immer verlassen und alles unverändert, so wie gestern. Doro stand hinter mir und hielt ihre Hände auf meinen Schultern, während ich etwas verloren in das Wohnzimmer starrte.

„Siehst du? Er ist weg.“

Etwas besorgt betrachtete ich die Reisetasche. Ging es ihm gut?

„Ich hab da eine Idee, wer vielleicht mehr weiß“, versuchte sie mir Mut zu machen. Doro zückte ihr Handy und verschwand im Treppenhaus.

Dann bemerkte ich das kleine Lämpchen am Anrufbeantworter und drückte die Abspieltaste.

Die Stimme erkannte ich sofort, es war dieser Justin. Mein Englisch war zwar ganz brauchbar, aber mit dem Tempo und dem starken Akzent kam ich nicht ganz zurecht. Doch die Botschaft war trotzdem sehr deutlich, er sagte irgendwas von ‚nicht erreichen’, ‚Sorgen machen’ und am Ende zwei Worte, die meinen Magen verkrampfen ließen: ‚next flight’.

Aufgebracht schoss ich aus der Wohnung und knallte die Tür hinter mir zu. Doro sah mich erschrocken an.

„Vergiss es, sein Lover kommt her. Ich will ihn nie wieder sehen!“

*-*-*

Guido

Seit dem Zwischenfall im Rainbows, hatte Hendrik es vorgezogen, mir Gesellschaft zu leisten. Nachdem er keine weiteren Versuche unternommen hatte, mit mir intim zu werden, gestattete ich es ihm auch.

Da er, im Gegensatz zu mir, sogar etwas vom Kochen verstand, genoss ich die Abwechslung vom üblichen TK-Fraß, den ich mir sonst immer hinein pfiff. Doch als er auch noch anfing zu putzen, da stoppte ich ihn.

„Hendrik, jetzt hör mal auf damit. Ich brauch keine Putzfrau. Kochen reicht schon, du bist immerhin mein Gast.“

„Ich muss mich aber beschäftigen“, antwortete er abwesend, ohne aufzusehen, während er im Bad die Fliesen weiter abwusch.

„Na gut. Wie du willst. Dafür bekommst du aber fünf Euro pro Stunde.“

Es funktionierte. Mein Kumpel hielt inne und warf mir einen säuerlichen Blick zu.

„Hältst du mich für deine Putzfrau, oder was?“, schnauzte er mich an.

Ich musste lachen.

„Sag ich doch.“

Er streckte mir die Zunge raus und stimmte in mein Lachen ein.

„Kleiner, wir finden schon eine bessere Ablenkung als das hier“, meinte ich zuversichtlich.

„Wie wäre es mit etwas Musik? Mein Proberaum bei den Eltern ist ziemlich verlassen.“

„Du hast Recht, gute Idee. Aber ich mach das hier jetzt noch fertig, ist nicht mehr viel.“

„Dickkopf“, murmelte ich und ließ ihn gewähren.

Ich setzte mich auf die Couch, aber die Ruhe hielt nur kurz vor, bis das Telefon klingelte.

„Sandmann, wer stört?“

„Hi Guido. Ich bin’s, Luka.“

„Ach, sieh mal einer an. Und was verschafft mir die Ehre?“, fauchte ich ins Telefon.

„Ich will mich bei dir entschuldigen. Die Aktion war daneben.“

„Wirklich? Es fühlt sich aber nach einem Treffer an, daneben geht anders.“

Luka zögerte einen Moment, bis er wieder etwas sagte. Ich war gespannt, wie er reagieren würde, denn ich war nicht wirklich noch sauer deswegen.

„Okay. Ich hab es versaut, tut mir leid, ich belästige dich nicht mehr.“

„Luka, warte! Entschuldigung angenommen.“

„Danke.“

Die Erleichterung war nicht zu überhören.

„Woher der Sinneswandel?“

„Alex“, antwortete er knapp.

Das war aber auch wieder typisch für unseren Psychologen.

„Weißt du vielleicht wo Hendrik steckt? Ich muss unbedingt mit ihm reden.“

„Wir sind später bei meinen Eltern und wollen Musik machen.“

Dass sich der Kleine, seit dem Discobesuch, bei mir eingenistet hatte und Krankenschwester spielte, verschwieg ich lieber.

„Denkst du, er…“

Luka sprach nicht weiter.

„Keine Ahnung. Sei in einer Stunde da und versuch es. Wir schafften es tatsächlich nach einer Stunde zu meinen Eltern, wo Luka bereits wartete und nervös vor dem Haus auf und ab lief. Auch Hendrik sah ihn sofort und seine Miene versteinerte.

„Was will der denn hier?“, fragte er mich.

„Er hat sich bei mir entschuldigt und will mit dir reden.“

„Aber ich nicht mit ihm. Er ist zu weit gegangen. Wenn du ihm verzeihen willst: okay. Aber ich nicht.“

Der Holländer riss die Tür auf und lief auf das Haus zu. Luka ging sofort auf ihn zu, doch sein Ex stieß ihn einfach zur Seite und blieb vor dem Eingang stehen, wo er uns demonstrativ den Rücken zuwandte. Eilig kämpfte ich mich aus dem Gurt und folgte den beiden.

„Hendrik, bitte lass es mich doch erklären!“

Luka legte seine Hände auf die Schultern des zierlichen Bassisten, doch dieser drehte sich ruckartig um und landete eine halbherzige Ohrfeige, die –körperlich- kaum weh getan haben durfte.

„Erklär es doch deinem Lover. Weißt du, mir ist klar, dass ich einen Fehler gemacht habe. Aber du hast dich verändert, früher hättest du niemals einen Freund geschlagen. Vielleicht war die Trennung überfällig.“

Der Kleinere schleuderte die Worte mit absoluter Kälte heraus.

„Aber Guido hat es mir verziehen, lass mich dir doch erklären warum das passiert ist“, flehte Luka ihn an, während ich hilflos daneben stand. Die Sache mussten beide alleine klären.

„Es interessiert mich nicht mehr! Wenn er das hinnimmt: gut. Ich kann und will es nicht.“

Hendrik suchte meinen Blick.

„Lass mich rein, ich will ihn nicht mehr sehen!“

Wortlos schloss ich die Tür auf und der blonde Bassist verschwand im Haus.

„Er beruhigt sich wieder“, gab ich mit wenig Überzeugung von mir.

Luka ließ sich geknickt auf der Treppe nieder.

„Du solltest ihn besser kennen. Hast du zufällig Kippen einstecken?“

Ich fischte die Schachtel aus meiner Jacke und hielt sie ihm hin. Eine Zigarette kam mir ebenfalls gerade recht. Die ersten Züge genossen wir schweigend.

„Oh man, dein Auge sieht wirklich nicht gut aus. Sorry“, begann er.

„Geschenkt. Aber versuch das noch mal und ich breche dich in der Mitte durch.“

Ein Schaudern lief durch seinen Körper, denn ich meinte es absolut ernst.

„Hattest du eigentlich was mit dem Typen aus dem Rainbows?“

„Wie kommst du da drauf?“

„Es war zwar nur ein Schuss ins Blaue, aber bei ‚Lover’ hast du gezuckt“, stellte ich sachlich fest.

Luka richtete seinen Blick auf die Steintreppe.

„Ja, ein missglückter Racheversuch. Auch ein Grund, warum ich so mies drauf war. Aber als ich euch sah, da konnte ich nicht widerstehen und zog die Show absichtlich weiter durch.“

„Totaler Kindergarten…“, seufzte ich.

Er lachte bitter auf.

„So ähnlich hat Alex es auch formuliert. Ich bin so dämlich.“

Selbsterkenntnis war ja, redensartlich betrachtet, ein erster Schritt zu Besserung.

„Da kann ich dir nicht widersprechen“, entgegnete ich deswegen und schnippte den glimmenden Zigarettenstummel in das nahe Gebüsch.

„Soll ich noch mal mit ihm reden?“

„Es macht wahrscheinlich keinen Sinn, vor allem nicht jetzt, aber ich wäre dir dankbar.“

Luka erhob sich.

„Ich geh dann mal. Viel Spaß beim Jammern.“

„Danke, bis dann.“

Auf dem Weg in den Keller übermannte mich die Sorge um Hendrik, denn es war verdächtig still.

„Hendrik?“, rief ich fragend in den dämmrigen Gang, die Antwort blieb aus. Die Erklärung folgte dann im Probenraum. Der Arme hockte am Keyboard, das Gesicht auf der Tastatur: er schlief.

Vorsichtig rüttelte ich an seiner Schulter und er schrak auf. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie erschöpft er wirklich aussah. „Sag mal, hast du in den letzten zwei Nächten überhaupt geschlafen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Hab ich etwa geschnarcht?“, versuchte ich ihn aufzumuntern und er lächelte müde.

„Nein, du schläfst ruhiger als die Meisten, die ich kenne.“

„Wir finden schon was, damit du wieder besser schläfst. Und die Grübelei hört auch irgendwann wieder auf.“

Er schien nachzudenken und in seine Augen trat ein Ausdruck, den ich nicht deuten wollte.

„Es liegt nicht am rumgrübeln, ich habe dich beobachtet“, räumte er ein und stand auf.

„Sex hilft übrigens ganz toll, bei Schlafstörungen. Ich glaube, ich hab mich in dich verknallt.“

Vergeblich suchte ich nach Anzeichen dafür, dass er einen Scherz gemacht hatte. Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, die mich zutiefst verwirrte.

*-*-*

Peter

Alex und ich gingen gerade Linda zur Hand, die heute ziemlich kurzatmig war. Das Baby setzte ihr ziemlich zu. Dementsprechend scheuchte sie uns auch herum. Mein Freund flüsterte mir immer mal einen Kommentar über seinen ‚Feldwebel’ zu, der mich zum Lachen brachte.

Das Jahr in den Staaten hatte nichts verändert, er war noch immer mein ‚großer Bruder’. Wir räumten gerade die Bügelwäsche in den Schrank, da klingelte, wie so oft, sein Handy.

„Hallo Mama“, beantwortete er den Anruf.

Dann sah er mich an.

„Ich weiß wo er steckt“, kam eine ausweichende Antwort.

Er hielt kurz das Mikro zu und sprach mich direkt an.

„Domi ist verzweifelt auf der Suche nach dir, macht sich große Sorgen.“

„Sag ihr, dass es mir gut geht, kein Grund zur Sorge.“

„Nein, mach dir keine Gedanken. Peter geht es gut, den Umständen entsprechend… Ja, ich frage ihn, ob er sich mit Domi treffen will.“

Ich schüttelte ängstlich den Kopf und er rollte mit den Augen. Die Antwort schien ihm nicht zu gefallen und ich musste ihm auch Recht geben.

„Wieso rede ich komisch? … Ich rede mit ihm, okay?“

Es entstand eine kurze Pause

„Was ist bei euch los? Wer kommt? … Ja, melde dich, Tschüß!“

Alex sah mich ernst an.

„Wo ist dein Handy?“

„Ich glaub zuhause, irgendwo am Sofa. Ich hab es nicht mitgenommen, als du mich hergebracht hattest.“

Er atmete tief durch.

„Herzlichen Glückwunsch, sieht so aus, als ob du Besuch aus den Staaten bekommst. Der Name ‚Justin’ sagt dir ja was.“

Bevor meine Beine den Dienst versagen konnten, war Alex stützend zur Stelle und bugsierte mich zur Couch.

„Fuck!“

Mein Freund, oder Ex-Freund musste es mitbekommen haben und hatte wahrscheinlich die falschen Schlüsse gezogen.

„Wie hat Domi reagiert?“

„Laut. Ziemlich laut.“

Vereinzelte Tränen bahnten sich wieder einen Weg an die Oberfläche. Wie sollte ich die Beziehung wieder retten, wenn jetzt auch noch Justin herkam?

„Peter, welchen Grund könnte der Kerl haben, um hier her zu kommen?“

„Er kennt meine Vorgeschichte. Von der SMS hab ich dir erzählt und er hat wahrscheinlich hat er versucht mich zu erreichen. Ging nur nicht, ohne mein Handy.“

Ich seufzte.

„Bringst du mich zu Wohnung? Ich brauche mein Handy.“

„Ja, klar. Ich sag nur Linda Bescheid.“

Er wollte aufstehen, doch sie kam gerade ins Zimmer.

„Hier seid ihr. Alex, du wolltest dich doch um den Korb im Keller kümmern!“

Sie war noch immer ziemlich gereizt, die Hormone hatten sie völlig im Griff.

„Bald, Schatz. Wir müssen nur eben weg, ein Notfall“, lenkte er ein.

„Was denn für ein Notfall?“, fragte sie skeptisch.

„Peter erlebt gerade ein zweites Pearl Harbor. Wir wollen uns wirklich nicht drücken, ich erkläre es dir später, okay?“

Seine Worte lösten offenbar ihren Mutterkomplex aus und sofort wurde die Schwangere versöhnlicher.

„Oh, schlimme Neuigkeiten?“

Ich nickte matt.

„Können wir später darüber reden? Ich brauche mein Handy, es liegt daheim.“

„Klar, mein Kleiner, beeilt euch.“

Die Stimmungsschwankungen waren extrem unheimlich. Alex griff nach meiner Hand und schleifte mich zum Ausgang, nicht ohne seiner Freundin einen Abschiedskuss zu geben. Die Haustür fiel hinter uns ins Schloss.

„Ich liebe sie ja wirklich, aber momentan ist es furchtbar. Sei froh, dass du so was nicht durchmachen muss.“

„Jeder hat so sein Päckchen zu tragen“, entgegnete ich.

„Sorry“, nuschelte er.

„Aber ich kann nicht immer nur intelligente Kommentare von mir geben. Hey, dass ist kein Vorwurf, guck mich nicht so an.“

„Du hast ja Recht… wir erwarten manchmal zu viel von dir.“

„Peter, hör mir mal zu: ich bin wirklich gerne für euch da. Für dich, Linda und wer sonst Hilfe braucht. Aber auch mir können Dinge über den Kopf wachsen. Domi und du bereiten mir einiges Kopfzerbrechen und ich suche fieberhaft nach einer Lösung, wie wir die Sache positiv aus der Welt schaffen können.“

„Ich weiß, danke. Du musst dich da nicht so hineinhängen. Alleine die Tatsache, dass ich bei euch sein kann hilft mir.“

„Es ist aber keine Lösung auf Dauer. Wir sind nicht diejenigen, die du brauchst. Und jetzt lass es gut sein, wir brauchen dein Handy. Vielleicht kannst du den Besuch noch verhindern.“

Alex zerrte mich regelrecht zu seinem Wagen und fuhr in einer Geschwindigkeit, dass ich mich im Sitz festkrallen musste. Er schien wirklich sehr besorgt. Mit zittrigen Fingern schloss ich bald darauf die Tür der kleinen Wohnung auf.

Der Anrufbeantworter brachte uns nicht weiter, Justins Anruf vom Vortag enthielt nur vage Hinweise, kein Wort darüber, wann er sich aufmachen wollte. Mein Handy fand ich dann in der Sofaritze, kaum sichtbar zwischen den Polstern verborgen.

Die letzte SMS machte meine Hoffnungen zunichte.

„Alex… Justin hat vor zwei Stunden von der Flugzeugtoilette geschrieben. Er landet in einer Stunde.“

Niemals zuvor hatte ich meinen Freund so blass erlebt, wie er in diesem Moment wurde. Und zum ersten Mal erlebte ich, wie er die Nerven verlor.

„Man, wie konntest du dieses verdammte Handy nur vergessen?“, fuhr er mich an.

Er lief im Flur auf und ab.

„Was machen wir jetzt“, sagte er mehr zu sich selbst.

„Justin hat nicht die Adresse, wir könnten so tun als…“

„Nein! Die Situation gerät vielleicht außer Kontrolle, aber das kannst du ihm nicht antun. SCHEISSE!“

Mit einem Mal wurde mir bewusst, was ich ihm eigentlich zumutete. Er hatte alle Hände voll mit seinem Studium, arbeitete zwischendurch, um den Haushalt aufzubessern, versorgte seine schwangere Freundin, hielt die längste Zeit die Band zusammen und hatte sich immer um die Probleme seiner Freunde gekümmert.

Nun schien er sein Limit erreicht zu haben. Und ich hatte ihn nicht einmal gefragt, wie es ihm überhaupt ging. Er brauchte Hilfe und mir fiel eine Person ein, die das bewerkstelligen konnte: Joshua.

Die beiden waren dicke Freunde und mein ehemaliger Schwarm hatte genug erlebt, um sich nicht so leicht aus der Bahn werfen zu lassen.

„Alex“, ich stellte mich in den Weg und umarmte ihn.

Mit Schrecken stellte ich fest, dass er zu zittern angefangen hatte.

„Wir sollten Josh fragen, ob er uns treffen kann. Du hast schon soviel für mich getan, ich kann das überhaupt nicht mehr gutmachen.“

„Ach rede keinen Mist. Du schuldest mir doch nichts, ich mag Domi und dich eben sehr. Wir sind eine Familie“, antwortete er schon etwas ruhiger.

„Du hast doch selber schon genug Stress.“

„Kann sein“, brummelte er.

„Okay, ich ruf ihn an, warte.“

„Nein, ich mach das schon. Setzt dich einen Moment auf die Couch und entspann dich ein wenig. Im Kühlschrank dürfte auch noch was zu trinken sein.“

„Okay. Ein paar Minuten Ruhe könnten nicht schaden.“

Er machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer.

„Alex?“

„Ja?“

„Du bist der beste Freund, den man sich vorstellen kann. Danke.“

Endlich kehrte ein kleines Lächeln auf sein Gesicht zurück. Josh meldete sich sofort und ich erzählte ihm alles, was die letzten Stunden ergeben hatten. Er verschwand kurz, um mit seinem Chef zu reden.

„Kein Thema“, meldete er sich zurück.

„Ich hab genügend Überstunden und wir sind gut besetzt. Wir treffen uns dann am Flughafen.“

Ich überbrachte Alex die Neuigkeiten.

„Dann lass uns mal fahren, sonst kommen wir zu spät.“

Die kommende Verstärkung schien ihm neue Energie zu geben. Am Flughafen wartete Josh bereits vor dem Eingang, in voller Uniform und lässig an seinen Wagen gelehnt. Bei meiner Abreise fuhr er noch seinen alten Wagen von damals, jetzt besaß er einen sportlichen kleinen Flitzer.

Er umarmte uns herzlich und ich kam in den Genuss seines angenehmen Geruchs. Sogar Alex ließ sich ein wenig in die Umarmung fallen.

„Sorry, Jungs, aber zum Umziehen hat die Zeit nicht gereicht. Hoffentlich erschrecke ich euren Gast nicht.“

„Besser wäre es“, murmelte ich.

„Jetzt lass mal den Kopf nicht hängen. Die Situation ist zwar nicht optimal, aber es sorgt sich jemand um dich. Sowas ist auch etwas wert.“

Unser Polizist fand aber auch an allem etwas Positives.

„Domi wird sich freuen.“

Mein Versuch eines Gegenarguments brachte mir ein aufmunterndes Lächeln ein.

„Jetzt mal langsam, einen Schritt nach dem anderen. Ich würde mir erst dann Sorgen machen, wenn Domi überhaupt nicht mehr darauf reagiert.“

„Wie geht es ihm?“

Josh büßte etwas von seiner Coolness ein.

„Schlecht. Manfred macht sich ziemliche Sorgen. Aber das zeigt doch, wie sehr er noch an dir hängt.“ Er richtete das Wort an Alex und mich. „Ihr wisst doch selber, wie impulsiv er manchmal sein kann.“

Mein ‚großer Bruder’ warf einen Blick auf seine Uhr.

„Wir sollten dann mal rein, die Stunde ist fast um.“

Meine Nervosität wuchs ins Unermessliche. Vor wenigen Tagen hatte ich noch gehofft, dass ich Justin nie wieder sehen würde. Josh lief voran und Alex blieb dicht neben mir. Laut Anzeige war der Flieger aus Miami schon vor 30 Minuten gelandet und wir steuerten direkt auf das Gate zu.

Wie es der Zufall so wollte, war es das gleiche Gate wie bei mir. Es kamen nur noch vereinzelt Passagiere aus der Ankunftshalle, der Flieger schien nicht sehr voll gewesen zu sein. Etwas abseits saß jemand auf einer Bank, mit dem Rücken zu uns.

Die Jacke kam mir sehr bekannt vor. Ich deutete in seine Richtung.

„No, he’s not here, but what did I expect? Bye mum, love you.”

Seine Stimme klang erschöpft. Als er das Telefon in die Tasche packen wollte, drehte er sich zur Seite und sah uns.

„Pete?“

Er schien es nicht fassen zu können und seine Erleichterung hielt auch nicht lange vor, nachdem er Alex und Josh erblickte. Besonders Josh schien ihn zu erschrecken, wie dieser den Besuch aus Amerika mit neutraler Miene musterte.

Das Gesamtpaket aus Uniform und Polizistenblick konnte einem Respekt einflössen.

„Hi Justin, was machst du hier?“, fragte ich auf Englisch.

„Ich hatte Angst um dich, du Idiot! Aber warum kommst du mit der Polizei?“

Wieder ging der Blick nervös zu Josh.

„Ich bin ein Freund von Peter, Joshua“, stellte er sich ebenfalls in perfektem Schulenglisch vor.

„Und das ist Alexander.“

Justins Augen wurden riesig, von den beiden hatte ich ihm viel erzählt.

„Dann bist du wohl ihn guten Händen, oder?“

„Ja, in den besten Händen“, antwortete ich.

„Darf ich dich wenigstens umarmen, oder werde ich dann verhaftet?“

Josh versuchte vergeblich ein Lächeln zu unterdrücken.

„Witziger Bursche“, sagte er dann auf Deutsch, zu Alex gewandt.

Genau das war mein Problem. Justin hatte mich mit seinen witzigen Sprüchen immer wieder aus dem Loch gezogen, wenn Domi mir wieder schmerzhaft fehlte.

„Okay, komm her“, forderte ich ihn auf. Es wurde eine sehr kurze Umarmung.

„Du trägst die Kette immer noch?“

„Justin, du kannst nicht bleiben. Es wird alles nur noch schlimmer! Das hier ist eine verdammte Schnapsidee von dir gewesen!“

„Vielleicht, aber ich hab mir echt Sorgen gemacht! Verstehst du das nicht?“

„Doch, natürlich. Aber du kannst nichts an der Sache ändern. Ich möchte Domi zurück und deine Anwesenheit macht es nicht besser.“

„Dann hättest du mir die dämliche SMS nicht schicken sollen“, schrie er mich an und hielt mir anklagend sein Handy unter die Nase.

„Beruhigt euch“, mischte sich Joshua ein.

„Das bringt uns nicht weiter.“

Sein Gesicht zeigte wieder keine Regung, doch in seinen Augen konnte ich sehen, dass es in ihm arbeitete.

„Der nächste Flieger geht in drei Tagen. Vorher sind alle ausgebucht. Aber mach dir keine Gedanken, ich suche mir ein Hotel, erkunde ein wenig die Stadt und behellige dich nicht weiter.“

„Nein“, entgegnete ich bestimmt.

„Dadurch wird es auch nicht besser, im Gegenteil.“ Ich fühlte mich schuldig.

„Wartet mal kurz.“

Josh drehte sich um und ging ein paar Schritte zur Seite, wo er sein Telefon zückte. Kurz darauf kam er zurück.

„Florian ist einverstanden, dass er in unser Gästezimmer kann. In der neuen Wohnung ist reichlich Platz.“

Von einem Umzug wusste ich nichts. Ich kam mir richtig schäbig vor, wie wenig ich mitbekommen hatte, während ich mich im Selbstmitleid gesuhlt hatte.

„Das kann ich nicht annehmen“, wehrte sich der Amerikaner.

„Ein Nein akzeptiere ich nicht, es ist die beste Lösung für alle. Peter wird nicht wollen, dass du auch noch Geld für ein Zimmer ausgibst.“

„Stimmt.“

Josh hatte Recht.

„Okay. Ich hab dann wohl keine Wahl“, stellte er fest.

Damit war alles geregelt und wir machten uns an die Aufteilung. Alex und ich fuhren erst mal zu Linda zurück und Justin ging mit Joshua. Vorher versprach er mir noch, dass er sich mit Manfred und Dominik unterhalten würde, um die Situation zu erklären.

Während der Heimfahrt schwieg der werdende Vater und dachte im Stillen über alles nach. Da mir auch nicht nach Reden zumute war, passte es ganz gut.

„Mit euch wird es echt nie langweilig.“

Linda seufzte besorgt, nachdem wir ihr alles erzählt hatten.

„Alles schön und gut“, meldete sich Alex zu Wort, „aber mit einer Sache hab ich ein Problem. Peter, du solltest versuchen mit Domi zu reden, nicht Josh. Es ist schließlich eine Sache zwischen euch, zu viel Einmischung von außen ist nicht gut.“

„Schatz, bring mir nur den Korb nach oben und dann fahrt zu deiner Mutter. Den Rest schaffe ich alleine.“

Keine zehn Minuten später waren wir auf dem Weg zu Doro und mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich hoffte inständig, dass Domi zu einem Gespräch bereit war.

„Alex, geht es dir eigentlich wieder besser?“

Mir war nicht entgangen, dass er sich in der letzten Stunde ziemlich zurückgehalten hatte.

„Passt schon“, lächelte er mich an.

„Keine Angst, es geht schon wieder. Aber ich mache drei Kreuze, wenn die Sache vorbei ist.“

Und schon steuerten wir die Einfahrt unseres Ziels an.

*-*-*

Guido

„Hendrik, verarsch mich nicht!“ Er war noch ein Stück näher an mich herangetreten und ich wurde nervös.

„Tu ich nicht. Du bist immer für mich da, wenn es mal kriselt und jetzt, wo Luka Vergangenheit ist, hab ich genauer darüber nachgedacht.“ Es schien ihm wirklich ernst zu sein.

„Das macht doch alles keinen Sinn. Kleiner, neulich hast du mir noch geschworen, dass du Luka liebst!“

„Ich hab mich getäuscht. Es lief schon seit einiger Zeit nicht mehr richtig. Oder warum hätte ich mich sonst auf Antonio eingelassen? Du spukst mir schon eine ganze Weile durch den Kopf, es ist halt passiert!“

„Du weißt aber, dass ich hauptsächlich auf Frauen stehe!“

Mir gingen die Argumente aus.

„Ja“, seufzte er.

„Aber auch darüber hab ich nachgedacht. Wann hattest du deine letzte Beziehung mit einer Frau?“

„Das weißt du doch. Kurz nach dem Konzert, da war ich ein halbes Jahr mit Maria zusammen.“

„Das liegt fast vier Jahre zurück.“

Es war allerdings eine Tatsache. Ich hatte fast vergessen, wie schnell die Zeit vergangen war. Genau genommen war ich seit dreieinhalb Jahren Single, mit regelmäßigen One-Night-Stands.

„Und seither, hast du es eher mit Jungs oder Mädels getrieben?“, fuhr er fort und kam einen Schritt näher.

„Guido, du weißt ich kenne die Antwort.“

Und wieder hatte er Recht. Aber die Jungs waren einfach unkomplizierter, wenn man sie einfach auf Sex ansprach. Bei manch einem Mädel hatte ich dafür des Öfteren eine Ohrfeige kassiert.

„Aber ich hab mich nie in einen verliebt!“

„Vielleicht hast du Angst davor?“ Hendrik kam noch näher und ich konnte nicht mehr zurückweichen, die Wand blockierte meinen Rückzugsweg. Seine Augen blickten mich beinahe hypnotisch an.

„Blödsinn, ich hab doch davor keine Angst.“

Der Schweiß auf meiner Stirn strafte die Worte Lügen.

„Dann sag mir, dass dir das nicht gefällt.“

Urplötzlich lagen seine Arme in meinem Nacken und er zog mich zu einem Kuss heran, der mir die Sinne raubte. Zärtlich und süß waren die Lippen, die vorsichtig meinen Mund erkundeten.

Völlig perplex gewährte ich der forschenden Zunge einlass. Ich realisierte nicht einmal mehr, dass er den Kuss kurz unterbrach, um mir das Shirt über den Kopf zu ziehen. Erst als die warmen Lippen an meinen Brustwaren knabberten ‚erwachte’ ich aus meiner Starre.

„Hendrik, nicht.“

„Pssscht“, machte er und griff vorsichtig prüfend an meinen Schritt.

Seine Berührung kribbelte und mir wurde bewusst, dass ich einen gewaltigen Ständer hatte. Innerhalb von Sekunden hing meine Jeans auf Kniehöhe und die warme Mundhöhle glitt über mein bestes Stück.

Damit brach er den letzten Funken Widerstand in mir. Atemlos zog ich ihn nach oben und drängte ihn unter wilden Küssen in die kleine Sitzecke. Stück für Stück landeten unsere Klamotten auf dem Fußboden.

Umständlich legten wir uns auf das viel zu kleine Sofa und verwöhnten uns gegenseitig mit dem Mund. Der Höhepunkt kam schnell, bei uns beiden. Der Geschmack seines warmen Safts war süßlich.

Atemlos legte er sich auf mich und wir küssten uns, seine Hände streichelten beständig über meinen Körper. Langsam kehrte mein Verstand zurück.

„Oh Scheisse.“

„Hat es dir nicht gefallen?“

Hendriks Selbstsicherheit war verschwunden und wich der Angst vor meiner Reaktion.

„Ich weiß nicht… doch, ich glaub schon. Aber es darf nicht sein…“

Etwas hastig befreite ich mich aus seiner Umarmung und zog mich an.

„Sorry, ich muss das erst mal verdauen.“

„Guido, ich hab mich wirklich in dich verliebt“, kam es verzweifelt.

„Das ist für mich keine einmalige Sache gewesen, wenn du es zulässt.“

„Gib mir etwas Zeit.“

Tatsächlich konnte ich nicht sagen, was gerade in mir vorging. Der Sex mit Hendrik unterschied sich gravierend von meinen bisherigen Erfahrungen. Lag es vielleicht daran, dass wir uns schon so lange kannten, oder war da mehr?

„Es wäre besser, wenn du erst mal zu deinen Eltern gehst. Tut mir leid.“

„Verstehe. Schon okay.“

Er zog sich ebenfalls an und kam zum Abschied auf mich zu. Seine Umarmung wehrte ich mit einem Kopfschütteln ab. Fluchtartig rannte er aus dem Haus. Wie hatte er meine Prinzipien so schnell über Bord werfen können?

Ich brauchte dringend jemanden zum Reden und ging gedanklich durch die Liste meiner engsten Freunde. Luka… ich lachte, genau, der wäre jetzt exakt der Richtige dafür. Alex wollte ich nicht auch noch mit meinen Problemen zu texten, der hatte selber genug um die Ohren.

Außerdem würde er mich in diesem Fall nicht wirklich verstehen können. Also blieb nur eine Möglichkeit übrig. Nach einem Blick auf die Uhr schickte ich eine SMS.

‚Hallo Josh, hast du nach Feierabend etwas Zeit für mich? Gruß, Guido.’

Er hatte schließlich mal eine ähnliche Situation durchgemacht, wenn auch nicht völlig vergleichbar. Und nun war er, mit Florian zusammen, einer der glücklichsten Menschen die ich kannte. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

‚Ich bin daheim, komm vorbei.’

Das brauchte er mir nicht zweimal sagen und ich fuhr los.

Florian öffnete die Tür.

„Hi. Joshi ist gerade noch schnell duschen, setz dich ruhig zu uns.“

Uns? In der Küche erwartete mich ein fremdes Gesicht.

„Justin, das hier ist Guido, ein guter Freund von uns“, stellte er mich auf Englisch vor.

„Justin ist für ein paar Tage hier, bis er nach Miami zurückfliegt.“

„Miami?“, wiederholte ich fragend.

Da kam doch Peter gerade her. Mir fiel die seltsame Andeutung vom Bandtreff ein, die Alex gemacht hatte.

„Ja. Ich will nicht zu weit ins Detail gehen, aber es gibt einen weiteren Krisenherd“, erklärte der attraktive Lehrer.

„Sag nicht… Domi und Peter auch?“

Der Besucher horchte bei den Namen auf.

„Sag nicht, es sei so wie es aussieht.“

„Es ist so“, antwortete er knapp.

Zum Glück betrat jetzt auch Joshua den Raum.

„Hey Guido, was gibt es?“

„Können wir uns… unter vier Augen unterhalten?“

„Ja, natürlich“, meinte er etwas irritiert.

„Komm mit ins Arbeitszimmer.“

Er schloss die Tür hinter uns.

„Ich stecke in der Klemme“, platzte ich heraus.

„Was ist passiert?“

„Wie hast du damals gemerkt, dass du in einen Mann verliebt warst?“

Er hob eine Augenbraue.

„Magenkribbeln, feuchte Hände und ne Menge Schwachsinn, bis ich es endlich akzeptiert hatte. Worauf willst du hinaus?“

Ich erzählte ihm von dem Gespräch mit Luka und der katastrophal entglittenen Sache mit Hendrik.

„Guido, ich weiß nicht wie ich dir helfen soll. Theoretisch wusste ich früh, dass Florian mein Mann fürs Leben ist. Ich musste nur noch dazu stehen. Das ist bei dir nicht das Thema. Was empfindest du für ihn?“

„Ich mag Hendrik, wirklich. Aber ich hab mir nie Gedanken um Sex, oder um eine Beziehung mit ihm gemacht, stand nicht zur Debatte. Dieser Fehler setzt die ganze Freundschaft aufs Spiel. Und wie Luka reagiert, daran will ich erst recht nicht denken.“

„Luka hat die Beziehung offiziell beendet. Und für Hendrik gibt es kein zurück, wenn ich dich richtig verstanden habe.“

Ich kam mir fast vor wie bei einem Verhör. Sein Gesicht ließ keine Rückschlüsse auf seine Gedanken zu. „Ja, denke schon.“

„Es ist vielleicht ein wenig früh, aber ich brauch ein Bier. Willst du auch?“

Innerhalb von Sekunden wechselte er von Polizist zu Privatmensch und lächelte mich mitleidig an.

„Gerne.“

Kurz darauf kehrte er mit zwei kalten Flaschen Gerstensaft zurück und prostete mir zu.

„Ich hab eine Idee“, meinte mein Freund und ging zum Büroschrank.

Dort griff er in einen CD-Sammelordner und blätterte durch die Seiten, bis er, mit einem triumphierenden Grinsen, eine einzelne CD aus der Mappe zog.

„Komm mal zu mir rüber“, forderte er mich auf.

Der Computer fuhr hoch und ich konnte einen Blick auf die silberne Scheibe werfen.

‚Out Now! – Sommergig Freibad’.

Auf dem Datenträger tummelten sich hunderte von Bildern von unserer Band, die während eines Auftrittes beim Sommerfest des Freibads, vor zwei Jahren, geschossen wurden. Die Einzelaufnahmen waren in Ordnern abgespeichert.

Ohne zu zögern wählte Josh den Ordner von Hendrik. Ich erinnerte mich noch sehr gut an diesen Tag, es war unheimlich heiß und drückend gewesen. Binnen Minuten waren wir bis auf die Haut nass geschwitzt.

Einige der Bilder zeigten Hendrik, wie er konzentriert auf seinem Bass spielte. Dann folgten ein paar Schnappschüsse von der kurzen Spielpause. Unser Bassist hatte sein T-Shirt bereits in die Ecke gefeuert und der nackte Oberkörper glänzte im Sonnenlicht, während er gerade eine Flasche Wasser auf Ex leerte.

Beim nächsten Bild musste ich lachen. Er hatte die Kamera entdeckt und präsentierte sich in einer coolen Rockpose, mit seinem unwiderstehlichen Lächeln und halbem Schlafzimmerblick in die Linse schauend. Plötzlich lachte Josh neben mir.

„Was ist los?“

„Nix. Du starrst das Bild jetzt seit geschlagenen fünf Minuten an und grinst vor dich hin.“

Ich wurde rot.

„Mach dir nichts draus. Es ist wirklich eines der geilsten Bilder überhaupt. Sogar Alex hat sich kaum noch eingekriegt, als er das Bild gesehen hat. Der Kleine ist aber auch verdammt fotogen.“

„Im Moment nicht ganz. Die verheulten Augen stehen ihm nicht besonders.“

„Aber du findest ihn schon ziemlich süß, oder?“

Die Direktheit der Frage überraschte mich etwas.

„Jetzt guck nicht so, Guido. Warum um den heißen Brei herumreden?“

„Jaaaa“, antwortete ich etwas zögerlich.

„Natürlich finde ich ihn süß. Wer denn nicht?“

„Geht mir auch so. Aber ich bin nicht in ihn verknallt. Wie fandest du denn den Sex mit ihm?“

„Abartig geil“, schoss ich los, ohne auch nur eine Sekunde drüber nachzudenken.

„Oh man…“

„Prost!“

Unvermittelt baumelte eine Flasche vor meiner Nase. Wir stießen am und tranken ein paar Schlucke.

„Ohne dir zu Nahe treten zu wollen, aber du hast schon einiges für ihn übrig“, setzte er das Gespräch fort.

„Aber wie kann das sein? Wir sind schon so ewig lang befreundet.“

Josh grinste plötzlich und räusperte sich.

„Wir waren wie Geschwister in all den Jahren!“

Er hatte angefangen zu singen und ich wollte verdammt sein, den Song kannte ich natürlich und stimmte mit in den Refrain.

„Tausendmal berührt, tausendmal ist nix passiert. Tausend und eine Nacht, und es hat ZOOM gemacht.“

Wir lachten herzhaft los und Florian steckte irritiert den Kopf zur Tür herein.

„Alles klar bei euch?“

„Alles Super! Dein Mann ist ein Genie!“

Meine Stimmung hatte sich schlagartig verbessert.

„Ich weiß“, gab er lächelnd zurück und ließ uns wieder allein.

„Und, was denkst du jetzt?“

Mein Kumpel nippte wieder am Bier.

„Ich denke, du könntest die Singerei professionell betreiben.“

„Na danke“, zwinkerte er.

„Die Karriere hab ich erst vor Kurzem beendet. Du weißt aber, dass ich was anderes gemeint habe.“

„Alles war so vertraut, und jetzt ist alles neu“, zitierte ich die letzte Zeile der letzten Strophe des Liedes.

„Ja. Es kann einem am Anfang richtig Angst machen, aber manchmal lohnt es sich auch.“

Stumm ließ ich die letzte Zeit Revue passieren. Seit der Trennung von Luka hatte ich mich verstärkt um Hendrik gekümmert. Ständig war er in der Nähe und ich musste zugeben, dass er mir jetzt gerade fehlte. Zumal er im Moment todunglücklich sein musste und ich diesmal Schuld hatte.

„Erde an Guido!“ Josh stupste mich vorsichtig an.

„Äh, was?“

„Ich hab gesagt, dass du jetzt nach Hause gehst und dich umziehst, weil wir Justin und dich zum Essen einladen.“

„Das ist doch nicht nötig“, protestierte ich.

„Ich weiß. In einer Stunde holen wir dich ab.“

Mein Freund nahm mich noch einen Moment in den Arm, dann verabschiedete ich mich von allen.

*-*-*

Josh

Den aktuellen Tag zählte ich zu den verrücktesten der letzten Zeit. Mein spontaner Einfall mit Justin, ihn für die Tage bei uns unterzubringen, war eine Sache. Peter schien erleichtert in dem Wissen, dass seine Bekanntschaft in guten Händen war.

Aber Guido setzte dem Ganzen wirklich die Krone auf. Sein Beschützerverhalten bei Hendrik war mir schon länger suspekt. Die Freude darüber wäre dennoch größer gewesen, wenn Luka da nicht auch noch drin gesteckt hätte.

„Was war denn bei euch gerade los?“, fragte Flo, als ich in die Küche zurückging.

Mittlerweile unterhielten wir uns nur noch auf Englisch, damit Justin sich nicht so ausgeschlossen vorkam.

„Hendrik hat sich in Guido verknallt. Und so wie es aussieht, könnte der Funken in beide Richtungen übergesprungen sein.“

„Er betont doch immer, dass er sich nur mit Frauen längerfristig einlässt.“

„Haltungen ändern sich, oder hast du unseren Anfang schon vergessen?“, neckte ich ihn.

„Wie könnte ich!“

Justin sah uns etwas ratlos an und Florian erklärte in ein paar Worten, wie die Sache mit uns ins Rollen kam, fast schon im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei umriss er auch kurz die Situation zwischen Luka, Hendrik und Guido.

„Ihr Deutschen habt echt einen Faible für komplizierte Beziehungen“, kommentierte unser Gast.

„Wo du auch deinen zu Beitrag geleistet hast“, lenkte ich das Gespräch wieder in die Richtung, die es vor dem Besuch von Guido hatte.

Der Amerikaner tat mir wirklich leid. Er war bis über beide Ohren in Peter verschossen und wusste um seine Chancenlosigkeit. Wie man es auch betrachtete, in diesen zwei Dreieckskonstellationen gab es jeweils mindestens einen Verlierer.

Im ersten Fall war es eindeutig Luka, aber hier standen die Karten noch offen.

„Versteh das jetzt nicht als Vorwurf, manchmal passieren einfach Dinge, über die man die Kontrolle verlieren kann.“

Natürlich gab es auch dafür ein gutes Beispiel aus der Vergangenheit und ich erzählte ihm von dem ‚französischen’ Ausrutscher, als ich noch mit Jenny zusammen war.

Justins „Holy shit!“ kam aus tiefster Überzeugung.

„Ich wusste nicht, dass es noch komplizierter geht.“

„Glaub mir, dass war erst die Spitze des Eisbergs“, meldete sich nun auch Florian zu Wort.

„Die ganze Geschichte wurde noch viel schlimmer.“

„Ja“, unterbrach ich ihn, „es ist sogar eine verdammt lange Geschichte, aber wir haben keine Zeit. In 45 Minuten holen wir Guido ab, ich lade euch drei zum Essen ein.“

„Das kann ich nicht annehmen!“

„Darauf nimmt Josh keine Rücksicht“, grinste Flo.

„Danke, Schatz.“

Damit war die Sache beschlossen. Was keiner ahnte war, dass wir, hoffentlich, nicht zu Viert bleiben würden. Hendrik wollte ich auch dabei haben. Es steckte auch ein kleiner, eigennütziger Anschlag dahinter.

Es blieben nur noch wenige Tage bis zum Geburtstag meines Mannes, der Dreißigste. Dafür wollte ich natürlich auch die Band zusammentrommeln. In meinem Kopf bildete sich bereits der ein oder andere Plan, der Domi und Peter mit einschloss.

Amor hatte eindeutig ein paar Nachhilfestunden nötig.

*-*-*

Alex

Mit jedem Schritt, den wir auf die Tür zu machten, wurde Peter unruhiger.

„Ich pack das nicht, mir wird schlecht.“

„Willst du ihn lieber aufgeben?“, fragte ich eine Spur zu scharf.

Ich hatte mittlerweile richtiges Kopfweh, weil die Grenzen zum Mitdenken erreicht waren. Möglicherweise hing ich mich zu sehr in die Sache rein, fühlte mich aber, nichtsdestotrotz, für ihn verantwortlich. Ein Überbleibsel aus der Vergangenheit. Auf keinen Fall wollte ich ihn wieder so unglücklich erleben, wie er es damals war.

„Nein. Es tut mir leid, du tust alles für mich und ich mach alles kaputt.“

„Oh bitte, Peter! Jetzt rede dir hier nicht auch noch einen Schuldkomplex ein! Es ist doch normal, dass es dir schwer fällt, alles ist noch so frisch. Dazu die lange Trennung. Aber du musst um Domi kämpfen, wenn du ihn nicht doch verlieren willst. Vielleicht ist er im Moment nicht fair zu dir, aber lass dich davon nicht entmutigen. Du hast ihm mit der Sache wirklich sehr weh getan.“

Der letzte Satz hatte Peter hart getroffen, aber er durfte sich vor den Tatsachen nicht verschließen. Schönrederei half nicht mehr. Meine Mutter nahm uns dann die Entscheidung, ob wir bleiben oder gehen, ab. Sie stand in der offenen Haustür.

„Hallo, ihr beiden“, begrüßte sie uns.

„Hi, Mum.“

Peter murmelte nur ein schwer verständliches ‚Hi’ und richtete den Blick auf den Boden.

„Kommt doch rein.“

Ich klopfte meinem Ziehbruder auf die Schulter und nickte ihm aufmunternd zu. Die letzten Schritte zum Haus benötigten eine kleine Ewigkeit.

„Du siehst gut aus“, startete sie einen Gesprächsversuch.

Ein mehr als verkrampftes ‚Danke’ war die einzige Antwort. Peter hypnotisierte weiterhin den Fußboden, auf der Suche nach Schlupflöchern.

Mama räusperte sich vernehmlich.

„Wenn du mir nicht sofort eine angemessene Begrüßungsumarmung gibst, dann werde ich ernsthaft böse.“

Endlich löste sich der Knoten und ich betrachtete die Zwei in ihrer innigen Umarmung. Peter hielt die Augen geschlossen und schniefte leise vor sich hin.

„Mensch, Junge… was machst du nur für Sachen? Da lässt man dich mal ein Jahr aus den Augen…“

Mein Freund heulte jetzt richtig und ich verzog mich in Richtung Wohnzimmer, da die Szene auch mir die ersten Tränen in die Augen trieb. Dort saß Dominik auf der Couch und blickte mit leeren Augen in Richtung Hausflur.

„Hallo Stiefbrüderchen.“

„Ich will ihn nicht sehen“, kam es matt vom Sofa.

Er griff nach der dampfenden Tasse Kakao auf dem Tisch und ich konnte deutlich sehen, wie stark seine Finger zitterten.

„Darf ich mich zu dir setzen?“

Domi zuckte mit den Schultern.

„Und warum warst du gestern in der Wohnung?“

Mein Stiefbruder schwieg, aber ich wusste ja von meiner Mutter, dass er Peter sprechen wollte.

„Er kann nichts dafür, dass Justin hergekommen ist.“

„Jetzt schon?“

„Er ist vor fast zwei Stunden gelandet und kommt bis zum Rückflug bei Joshua unter.“

„Und was will der hier? Hat er nicht schon genug kaputt gemacht?“

„Er hat sich Sorgen gemacht, genau wie du.“

„Na toll, dann ist ja alles wieder gut“, antwortete der Kleine sarkastisch und stellte die Tasse etwas unsanft zurück.

Die Flecken wischte er mit den Ärmeln seines dünnen Sweatshirts auf.

„Peter liebt dich. Ich will ihn aber nicht verteidigen, er hat einen Fehler gemacht.“

„Ich sag’s ja, alles in bester Ordnung. Er hat mich betrogen, entschuldigt sich und sofort ist wieder Friede, Freude, Eierkuchen. Oder? So läuft das halt. Sieht man ja bei Luka und Hendrik. Die sind ja auch wieder ganz dicke miteinander. War ja auch nur ein winzig-kleiner Fehler.“

Seine Stimme wurde immer lauter und seine verzweifelte Wut brach an die Oberfläche.

„Domi, ich verstehe…“

„Nein!“, schrie er mich an.

„So funktioniert es eben nicht! Und spar dir deine Psychotricks, ich fühle mich derzeit nicht therapierbar.“

Er sprang von der Couch auf und blieb in der Tür zum Flur stehen.

„Lass mich raten“, machte er seinem Zorn nun bei Peter Luft.

„Du liebst nur mich, du vermisst mich unendlich, ich soll zurückkommen. Kommt die Zusammenfassung hin?“

Er ließ meinem Freund keine Chance zur Antwort.

„Erzähl es deinem Justin, dass kannst du doch so gut!“

Unter die letzten Worte mischte sich, neben der Wut, eine tiefe Traurigkeit. Doch Dominik schien sich nicht die Blöße geben zu wollen, vor uns in Tränen auszubrechen und verschwand im Eilschritt in der oberen Etage.

„Gib ihm Zeit“, redete Mum auf Peter ein, der sich entkräftet an der Wand abstützen musste.

„Wozu denn? Er hat seinen Punkt doch ganz deutlich klargemacht. Für ihn ist es erledigt.“

Ersah mich mit versteinertem Gesicht an.

„Alex, bring mich bitte nach Hause. Zu mir nach Hause. Ich will allein sein.“

„Hältst du das für eine gute Idee?“, fragte ich vorsichtig.

„Viel schlechter als deine ‚guten’ Ideen kann es auch nicht sein. Ach, mach dir keine Mühe, ich laufe. So weit ist es nicht. Bye, Doro.“

Peter ging tatsächlich und ich wollte hinterher, doch Mama hielt mich zurück. „Lass ihn gehen und vertrau ihm. Das hat er eben nicht so gemeint.“

„Ich weiß“, antwortete ich.

„Mir wächst die Sache über den Kopf. Ich hab kaum noch Reserven, um richtig nachzudenken.“

„Dann gönn dir jetzt eine kleine Auszeit. Mach Ferien vom Stress.“

Das war einer der Lieblingssprüche meiner Mutter.

„Ha, du bist gut… ich häng mittlerweile im Skript nach, Linda ist momentan ziemlich launisch… da kann ich jetzt nicht so einfach raus.“

„Mein lieber Sohn, hiermit befehle ich dir den Rest des Tages Pause zu machen. Du fährst ins Wellnessbad, gehst in die Sauna und schwimmst ein paar Runden. Danach sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Um Linda kümmere ich mich. Immerhin hab ich eine Ahnung, was die Arme gerade durchmacht. Die Hormone sind die Hölle.“

„Okay, okay. Du hast gewonnen. Könnte wirklich nicht schaden. Aber ich gehe jetzt noch einmal zu Dominik und entschuldige mich für die Einmischung.“

„Versuch dein Glück, er ist im Moment ziemlich bockig… verständlicher Weise.“

Tief durchatmend machte ich mich auf den Weg in die Höhle des Löwen und klopfte vorsichtig an der Tür.

„Domi, darf ich reinkommen? Ich möchte mich entschuldigen.“

„Du weißt, wie die Klinke funktioniert“, kam es mit einem herzzerreißenden Schluchzer zurück.

Nach dem Spruch wusste ich nicht, ob ich lachen oder mit heulen sollte. Sein Anblick versetzte mir einen kleinen Stich und ich korrigierte die Raumbezeichnung zu ‚die Höhle des schniefenden Löwenbabies’.

Er hatte sich eng zusammengerollt, die Knie fast bis zur Brust gezogen.

„Domi, es tut mir leid. Ich will dich nicht unter Druck setzen oder irgendwie bequatschen. Ich mach mir halt Sorgen um euch beide.“

Er entwirrte seinen Körper und ging in eine halb liegende Position über.

„Ständig will irgendwer über meine Gefühle quatschen, oder mir sagen, was Peter oder ich denken, denken sollen. Wenigstens du könntest die Klappe halten und mich einfach mal in den Arm nehmen. Ist das etwa zu viel verlangt?“

Mein Stiefbruder war wirklich erstaunlich. Selbst Rotz und Wasser heulend konnte er noch seine Witzchen reißen, seine Mundwinkel zuckten kurz nach oben. Natürlich kam ich seiner Aufforderung nach und setzte mich auf das Bett, wo er dann seinen Kopf in meinen Schoß bettete.

„Das Schlimme ist ja, dass du völlig Recht hattest“, meinte er nach einer Weile, mit geschlossenen Augen.

„Ich möchte zu ihm zurück, weiß aber nicht, wie ich damit umgehen soll. Als du gesagt hast, dass dieser Ami hier sei, da ist mir eine Sicherung durchgebrannt.“

„Das wollte ich nicht.“

„Du sollst die Klappe halten!“

Er grinste leicht.

„Na geht doch. Es tut manchmal ganz gut, wenn jemand einfach nur zuhört. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass ausgerechnet mein Froschkönig so einen Scheiss macht.“

Es klopfte an der Tür.

„Jungs, ich fahre zu Linda. Kommt ihr klar?“

„Ja!“, rief Domi zurück.

„Und Alex, ich will dich nicht vor heute Abend dort auftauchen sehen. Bis dann.“

„Du hast Hausverbot bei Linda?“

„Nein. Nicht direkt. Mama hat mir befohlen im Wellnessbad zu entspannen. Sauna und so. Ferien vom Stress, du kennst ja den Spruch.“

„Aber du willst nicht, richtig?“

„Nicht wirklich, auch wenn es eine gute Idee wäre. Ich häng da eh wieder meinen Gedanken nach.“

„Nimmst du mich mit? Sauna klingt nach einem vernünftigen Vorschlag.“

Er wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht, neue kamen nicht mehr hinzu.

„Gerne. Mit dir zusammen macht es bestimmt mehr Spaß.“

„Abgemacht. Aber eine Bedingung habe ich noch: Probleme sind Tabu. Kein Wort, okay?“

„Der Vorschlag ist noch besser“, lächelte ich ihn erleichtert an.

Langsam fragte ich mich, wer hier wen tröstete. In Rekordtempo hatte Domi seine Sachen zusammengepackt und ich lieh mir eine Badehose aus. Meine eigene durfte ich ja nicht holen.

Die Hitze der Sauna schmolz den kleinen Sorgenberg auf angenehme Weise weg. Mit geschlossenen Augen genoss ich den automatisierten Aufguss.

„So entspannt hast du schon länger nicht ausgesehen“, kommentierte Domi, der mich eingehend musterte.

„Das tut aber auch verdammt gut“, seufzte ich zufrieden.

Plötzlich erinnerte ich mich an etwas, worüber Josh vor einiger Zeit gesprochen hatte.

„Sag mal, hast du am Samstag schon was vor?“

„Vermutlich nicht, warum fragst du?“

„Florian feiert sein drittes Jahrzehnt und Joshua möchte, dass wir ein wenig Musik machen. Ursprünglich… naja, Luka fällt aus. Vielleicht könntest du…“

„Gebongt. Lassen wir es krachen.“

Er blinzelte fast schon vergnügt. Blieb nur zu hoffen, dass unser Freund die anderen erreicht hatte. Aber ob Hendrik mitmachen würde war zu bezweifeln. Mit etwas Glück hätten wir Guido auf unserer Seite.

„Jetzt guck nicht wieder so verkniffen, entspann dich. Die Party wird bestimmt toll. Die beiden haben sich das verdient.“

„Es könnte sein, dass auch P…“

„Tabuthema“, unterbrach er mich harsch.

„Komm, jetzt kalt duschen und dann schwimmen wir ne Runde.

Nach dem Eiswasser zogen wir uns die Badehosen über und Domi jagte mich regelrecht durchs Becken. Eine angenehme Erschöpfung mischte sich unter meine Atemlosigkeit.

„Gott was bist du schlecht in Form“, grinste er mich an.

„Naja, ich bin ganz schön fett geworden, verglichen mit früher.“

„Ach Blödsinn. Im Rainbows würden sich einige Jungs die Finger nach dir lecken, glaub mir. Das da“, er zeigte auf einen extrem behaarten Herren, geschätzte Mitte fünfzig und dicker Bierwampe, „das ist fett.“

„Ich dachte, ihr Homos steht nur auf Muskeln und flache Bäuche?“, zwinkerte ich ihm zu.

„Drauf stehen ist das eine. Aber guck dich mal in der Szene um, da geht der Trend langsam zum Fettdepot. Jeder will die schlanken Jungs haben, aber selber was dafür tun will kaum einer. Es ist ne Schande. Du bist jedenfalls noch völlig im ‚Schlank-Segment’. Glaub mir, ich hab da ein bisschen mehr Ahnung.“

„Danke, Brüderchen. Es kann trotzdem nicht schaden, wenn ich wieder mehr Sport machen würde.“

„Ich habe auch nichts Gegenteiliges behauptet“, lachte er mir frech ins Gesicht, bevor er mir eine Ladung Wasser entgegen spritzte und blitzschnell davon schwamm.

„Na warte, du kleines Aas“, knurrte ich ihm hinterher und nahm die Verfolgung auf.

Doch von dem Braunschopf fehlte jede Spur.

„Zu langsam“, drang seine Stimme von hinten an mein Ohr und im nächsten Moment sprang er mir in den Rücken.

Der Schwung reichte, dass das Federgewicht mich unter Wasser tunken konnte. Es entstand eine ausgelassene Balgerei, bis ich irgendwann japsend kapitulierte. Schnaufend ließ ich mich auf eine der Liegen am Beckenrand fallen, Domi nahm die Nächste.

„Das gibt einen blauen Fleck“, meinte er und betastete seinen Oberarm, „harter Ellbogen, mein Lieber.“

„Selber Schuld, du hast mir gegen das Schienbein getreten.“

„Das war ein Unfall!“, protestierte er.

„Der Ellbogen auch. Und nochmals danke fürs Mitkommen. Ich hatte schon lange nicht mehr so einen Spaß.“

„Freundschaft funktioniert in zwei Richtungen. Das müsstest du eigentlich wissen, Herr Psychologe. Mal was anderes: meinst du, Josh könnte für die Feier ein richtiges Klavier auftreiben? Mir sind die Teile lieber als diese seelenlosen Keyboards. Die Elektrodinger mit den blinkenden Lichtern kann ja fast jeder Honk bedienen.“

„Hast Recht, ich frag ihn mal. Vielleicht reicht die Zeit noch.“

Wir genossen noch ein wenig das Licht der UV-Lampen über uns, bis uns eine Durchsage zum Verlassen des Schwimmbads aufforderte. Die letzten Stunden waren rasend schnell verflogen. Meine Mutter hatte sich für ihren Befehl einen Blumenstrauß verdient und Domi einen großen Kakao mit Sahne. Ich lachte leise auf.

„Was ist los?“

Mein Stiefbruder kämpfte gerade mit dem engen Ärmel seines Shirts.

„Lust auf Sahnekakao?“

„Das fragst du noch? Los, mach hin, ich hab plötzlich Durst.“

Es tat richtig gut, ihn mal wieder so ausgelassen zu erleben. Es bestand immer noch Hoffnung für das Paar. Das Café lag nur wenige Autominuten von der Therme entfernt und wir machten es uns auf der Terrasse gemütlich.

Während wir auf Kakao und mein Bitter-Lemon warteten, zückte ich mein Telefon und rief Joshua an, um ihm Domis Vorschlag zu unterbreiten. Er war von der Idee ganz angetan und glaubte sich zu erinnern, dass im Aufenthaltsraum ein Klavier herumstand, das schon ewig nicht mehr benutzt wurde.

„Du kannst morgen aufs Revier, Josh denkt, dass er dort das Klavier ausleihen könnte. Allerdings ist es wohl schon etwas älter und er weiß nicht, ob es noch richtig gestimmt ist.“

„Hey, kein Thema. Ich spiel die Teile nicht nur, ich kann sie sogar stimmen. Ich schau es mir gerne an.“

Etwas später setzte ich Dominik am Haus meiner Eltern ab und wir umarmten uns zur Verabschiedung. Der Tag hatte uns beiden gut getan. Dementsprechend gut gelaunt begrüßte ich dann auch Linda.

Meiner Mutter hatte sich kurz vorher auf den Weg gemacht und wir waren völlig allein.

„Schön, dass es dir besser geht. Hoffentlich hast du dich nicht zu sehr gelangweilt.“

Sie kuschelte sich an mich heran.

„Nein, du wirst es nicht glauben, aber Dominik kam mit. Wir hatten einen Riesenspaß zusammen. Aber lass uns jetzt nicht davon reden. Hörst du das?“

Ich spitzte meine Ohren und hielt sie forschend in den Raum.

„Ich höre nichts.“

Linda lauschte angestrengt.

„Wirklich nicht?“

Mein Grinsen verwirrte sie.

„Komisch. Ach, stimmt, wir sind allein, nur und ich. Aber wir könnten zur Abwechslung ein wenig laut sein, oder?“

Nun verstand sie meine Anspielung und zwinkerte mir zu.

„Hmmm, die Idee gefällt mir. Du solltest öfter in die Sauna gehen.“

Wir löschten die Lampen im Wohnzimmer und starteten in eine befriedigende Nachtruhe durch.

*-*-*

Hendrik

Wieso hatte ich mich nur von Joshua überreden lassen? Mir war nicht nach Essen gehen, nachdem ich Guido endgültig vertrieben hatte. Aber er musste doch etwas für mich empfinden! Ständig diese, beinahe zärtliche, Fürsorge, mit der er sich um mich gekümmert hatte. Selbst Luka hatte mich vor dem Ausrutscher nicht so zuvorkommend behandelt.

Und beim Sex, nachdem sein Widerstand gebrochen war, –was mir im Übrigen sehr leicht gelang- fiel er wie ausgehungert über mich her. Er schob lieber Luka als weiteren Grund vor, warum es nicht gehen könnte.

„Männer sind solche Idioten“, fluchte ich zu meiner Mutter, „Prinzipien statt Gefühle, das ist doch nicht normal!“

„Du bist noch jung, es wird sich ganz sicher jemand für dich finden“, kam die –äußerst geistreiche- Antwort.

„Das hilft mir jetzt total, Mama.“

Ich stand wieder kurz vor einem Heulkrampf. Alles machte ich falsch.

„Ich muss los, sonst ist der Bus weg.“

Josh tat so geheimnisvoll und ich war ein wenig neugierig, was er denn Wichtiges mit mir zu bereden hatte, dass es ein Essen im Restaurant rechtfertigte, zu dem ich auch noch eingeladen war.

Nach kurzer Fahrt stand ich auch schon vor dem Laden. Drinnen sah es sehr gemütlich aus und ich erspähte Joshua schon durch die Tür. Offenbar waren noch andere dabei. Ich trat durch die Tür und er machte eine vorsichtige Geste, ich solle noch warten.

Meine Augen weiteten sich, als ich die Person erkannte, die mit dem Rücken zu mir saß. Guido war völlig in die Karte vertieft. ‚Was für ein beschissenes Spiel wird das?’ fragte ich mich und machte Anstalten das Restaurant zu verlassen, aber Josh erkannte die Absicht und schüttelte kurz, aber energisch den Kopf.

Dann winkte er mich heran, deutete mir aber, noch ein wenig im Hintergrund zu bleiben. Florian grinste auch so seltsam. Der Lehrer stieß seinen Mann dezent an.

„Hast du schon eine Idee, was du haben möchtest?“

„Hmm, ich glaube ich nehme erst mal einen Hendrik. Guido, was ist mit dir?“

Joshua lächelte mich vergnügt an.

„Ja, klingt gut“, brummte mein Schwarm.

Dann sah er aus der Karte auf.

„Komm, lass die Spielchen. Du weißt, wie gerne ich jetzt mit ihm reden würde.“

„Dann bestell dir doch einen.“

Ich sortierte noch den letzten Satz, bevor ich ahnte, was für ein Film hier gerade lief. Sogar der Unbekannte, der neben Guido saß, hatte sich mittlerweile zu mir umgedreht. Florians Blicke war zu eindeutig.

„Ja toll… ich bestelle also einen Hendrik. Und nun?“

„Deine Bestellung ist da“, flüsterte ich und spürte den Kloß im Hals.

Mein Lieblingsdrummer schoss herum und betrachtete mich ungläubig. Er rang sich ein ehrliches Lächeln ab, bevor er aufsprang und mich in den Arm nahm.

„Lass uns nachher reden, wenn wir bei mir sind. Es gibt wohl einiges zu besprechen“, wisperte er in mein Ohr.

Guido löste sich von mir und drückte liebevoll meine Hand, bevor er mich am Kopfende, neben ihm, Platz nehmen ließ. Irgendwie konnte ich mir keinen rechten Reim auf die Sache machen. Was wollte er denn besprechen? Seine Signale waren etwas widersprüchlich.

Dann wurde mir der Besucher vorgestellt und ich staunte nicht schlecht, was da für eine Geschichte hinter steckte. Das unsere Gespräche auf Englisch geführt wurden war etwas befremdlich, aber ich gewöhnte mich bald daran. Dieser Justin schien ein netter Typ zu sein und bei genauerem Hinsehen bestand sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Dominik.

Nach dem Essen verschwand Florian auf der Toilette und Josh wandte sich an Guido und mich. „Jungs, ich hab eine Bitte an euch. Am Samstag wird Florian dreißig und ich möchte euch dabei haben, wenn ihr Zeit habt.

Als Überraschung gibt es Musik von uns. Alex und Dominik haben zugesagt.“

„Ich bin dabei“, antwortete mein Nebenmann.

„Natürlich kannst du auch auf mich zählen“, schloss ich mich an.

„Nicht so schnell“, warf Josh ein.

„Ich freu mich ja, dass ihr mitmachen wollt, aber ich muss auch Luka einladen. Ob er kommt ist nicht sicher, doch ihr solltet Bescheid wissen.“

Ich warf einen fragenden Blick zu Guido, doch er nickte nach einem kurzen Zögern.

„Wir können uns zur Not auch etwas zurückhalten, denke ich.“

Vielleicht war ich an dem Abend etwas schwer von Begriff, denn bis zu diesem Zeitpunkt ging ich eigentlich eher davon aus, dass wir erst mal Freunde bleiben würden, ohne einen konkreten Plan für später, womit ich hätte leben können. Doch der eine Satz brachte dieses Bild ins Wanken.

„Zurückhalten? Heißt das… du willst…?“

„Später, Kleiner.“

Sein Lächeln war Antwort genug.

Dieses ‚Später’ kam früher als gedacht, da Josh müde wurde und für ihn Frühschicht auf dem Plan stand. Aber er wollte versuchen, den Rest der Woche frei zu bekommen, damit mehr Zeit für die Planung und seinen Gast zur Verfügung stand.

Florian hatte es als Lehrkraft nicht so einfach mit Urlaub. So endete dieser Abend doch wieder in Guidos Wohnung.

„Du hast deine Meinung geändert?“, fragte ich ihn, kaum das die Tür hinter uns geschlossen war.

„Mit ein wenig Hilfe von Josh. Er kann Dinge ziemlich gut auf den Punkt bringen. Hör mir einfach kurz zu. Also, ich bin mir relativ sicher, dass ich tatsächlich etwas mehr für dich empfinde, als ich vorher gedacht hatte. Du hattest auch mit allem Recht, was du heute Mittag gesagt hast, mit den Beziehungen, den Mädels und den Jungs.“

„Aber?“

Dieses Wort schwang deutlich mit und wirkte beklemmend auf mich.

„Luka. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Wir haben so was wie Frieden geschlossen und als ich in den Keller kam, da wollte ich mit dir über ihn sprechen, er hatte mich darum gebeten. Weil er dich liebt.“

„Ich will ihn aber nicht zurück!“, entgegnete ich heftig.

Sein Blick wurde deutlich ernster.

„Bist du dir wirklich sicher, dass du es nicht nur deswegen sagst, weil du sauer auf ihn bist? Wenn ja, dann werde ich das heute als einmalige Sache verbuchen. Aber ich kann mich nicht auf dich einlassen, wenn du in absehbarer Zeit zu ihm zurück gehst. Sei bitte ehrlich zu dir selbst, bevor ich mich wirklich endgültig in dich verliebe.“

Während der Ansprache traten Tränen in seine Augen. Trotz der umständlichen Formulierung war ich sicher, dass es um ihn schon geschehen war. Ich zog ihn zu mir heran und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen.

Seine Hand kraulte leicht über meinen Nacken und er lehnte seine Stirn gegen meine.

„Absolut sicher. Luka ist Geschichte.“

Die Erleichterung breitete sich spürbar von ihm aus. Noch immer Stirn an Stirn gelehnt, schloss er die Augen und lachte mit einem strahlenden Lächeln auf. Nun war er es, der meinen Kuss suchte, ohne die Gier vom Mittag, nur zärtliche Wärme.

Nach einigen Minuten mussten wir unterbrechen, um wieder Luft zu schnappen. Bei der Gelegenheit fragte ich ihn, wie das Gespräch mit Josh abgelaufen sei, dass es diesen Sinneswandel bewirken konnte.

Er erzählte mir jedes Detail, bis wir irgendwann, in inniger Umarmung, lachend auf der Couch landeten. Ich stand echt in Joshuas Schuld. Ich genoss das warme Gefühl seiner Arme, während ich meinen Rücken an seine Brust gelehnt hatte.

Immer wieder berührten seine Lippen zärtlich meinen Hals, bis er plötzlich mein Hemd aufknöpfte, welches ich extra fürs Essen angezogen hatte. Fast schon übervorsichtig erkundeten seine Finger meine nackte Haut unter dem Stoff.

„Woran denkst du?“, fragte ich mit einem wohligen Seufzen.

„Daran, das du keine Brüste hast“, kicherte er und zwickte leicht in meinen harten Nippel, was ich mit einem erregten Keuchen kommentierte, „aber das geht in Ordnung.“

Seine Zähne tasteten über mein Ohrläppchen. Die Knabberei und die unzähligen kleinen Küsse machten mich total kribbelig. Guido war nicht nur der Typ für den schnellen, aber heftigen Quickie, sondern auch ein begnadeter Verführer.

Immer fester schlossen sich seine Arme um meine Brust und auch das Saugen an meiner Halsbeuge wurde intensiver. Sein Schritt presste sich hart gegen meine Jeans.

„Schlaf mit mir“, flüsterte ich.

Statt einer Antwort schob er das Hemd von meiner Schulter und leckte über den oberen Bereich des Schlüsselbeins.

„Bitte, Guido, ich halt das nicht mehr aus.“

Meine Hose saß viel zu eng.

„Noch nicht“, brummte er kurz und der warme Atem kitzelte mein Schulterblatt.

„Guidoooooo“, quengelte ich, „ich platze gleich.“

„Nein, du redest nur zuviel.“

Er beugte sich etwas vor und verschloss mir postwendend den Mund mit seinen Lippen. Als er dann mit der Hand über die Innenseite meines Oberschenkels streichelte, war alles zu spät: mit einem lauten Stöhnen entlud ich mich in die Unterwäsche.

„Ups“, grinste er, machte aber unbeirrt weiter.

Mein ganzer Körper stand unter Spannung und jede Berührung jagte kitzelige Schauer durch die Nervenbahnen. Irgendwie hielt er damit die Spannung des Orgasmus aufrecht, die in ihrer Stärke nicht nachlassen wollte. Ein leises Wimmern quälte sich aus meiner Kehle.

Ein genuscheltes „Süß“, war seine einzige Reaktion darauf. Sowas hatte ich noch nie erlebt: trotz des Höhepunkts wurde mein Ständer eher noch härter als vorher. Die Feuchtigkeit meines Samens zeichnete sich als dunkler Fleck auf dem blauen Stoff ab.

„Komm, raus aus den Klamotten“, forderte er mich auf.

Hastig sprang ich von der Couch und wäre beinahe nach vorne gekippt, wenn mein neuer Freund mich nicht festgehalten hätte. All meine Kraft schien sich nur noch auf meine Körpermitte zu konzentrieren. Deswegen musste er mir auch beim Ausziehen helfen.

„Alles okay mit dir?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Würdest du mich jetzt bitte endlich ficken? Ich krepiere sonst noch!“

Wortlos führte er mich ins Schlafzimmer, wo er sich unendlich langsam auszog und mich dabei frech angrinste. Ich wusste nicht, wie er so kontrolliert bleiben konnte, denn seine eigene Erregung war überdeutlich sichtbar.

Endlich griff er in die Schublade vom Nachttisch und zauberte eine kleine Tube hervor, mit der er uns gründlich vorbereitete. Dann war es soweit, ich spürte seinen sanften Kuss auf meinen Lippen und den kurzen Schmerz, als er eindrang und… guckte irritiert zur Seite, wo er schwer atmend neben mir lag und mich liebevoll an der Brust streichelte.

Ich fühlte mich befriedigt und entspannt wie nie zuvor. Doch irgendwie fehlte mir ein ganzes Stück in der Erinnerung und ich bekam ein schlechtes Gewissen.

„Sag nicht, ich bin eingeschlafen?“

„Wie kommst du denn da drauf? Kleiner, du warst voll dabei.“

Nun war er es, der mich etwas verwirrt ansah.

„Shit.“

Ich fing an zu lachen.

„Das war dann mein erster Sex-Blackout.“

Guido rückte an Stückchen näher und lächelte mich zärtlich an.

„Also, soweit ich es beurteilen kann, hast du es sehr genossen. Aber gib mir eine Minute, dann können wir es gerne wiederholen.“

In dieser Nacht folgten noch einige Wiederholungen, ohne weitere Blackouts, bis wir im Morgengrauen erschöpft einschliefen.

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