Allein Allein – Angst vor der Einsamkeit

Wenn wir beide mit 50 noch keinen Partner haben, tun wir uns zusammen, denn alleine sein ist blöd!

Dieses Versprechen gab ich einen guten Freund vor fünf Jahren. Damals feierten wir seinen 45. Geburtstag und hatten schon so einiges getrunken. Verstanden haben wir uns immer gut, nur irgendwie nie zusammengefunden.

Vielleicht weil wir eigentlich nur Freundewaren und sich nie mehr entwickelt hatte. Ausgerechnet heute holte mich dieses Versprechen ein, da Martins Geburtstagsparty anstand und zwar sein Fünfzigster!

Mein Geburtstag war vor drei Wochen gewesen. Ich hatte mich vor dem Feiern gedrückt und kurzentschlossen einen Kurzurlaub gebucht. Meine Freunde nahmen mir das nicht wirklich übel, da ich sie frühzeitig vorgewarnt hatte.

*-*-*

Doch nun stand ich unentschlossen vor dem Spiegel, band mir die sechste Krawatte um und war nicht wirklich glücklich mit meinem Aussehen.

„Ach Liebchen, du stehst da wie jemand, der gerade seine große Liebe verloren hat“, krächzte mein bester Freund Maik.

„Maik, ich weiß nicht. Vielleicht sollte ich doch eine andere Krawatte nehmen, oder ein anderes Hemd“, versuchte ich mich rauszureden.

„Maike!“, kam es gleich protestierend von meinem Gegenüber, der sich vor mich aufbäumte und seine Hände in die Hüften stemmte, „heute bin ich Maike!“

Ich konnte ein Seufzen kaum unterdrücken und quetschte hervor: „Tut mir Leid, ich vergaß.“

Aber wie hätte ich so etwas vergessen sollen, da Maik ja aufgebrezelt wie eine Frau vor mir stand und eine üppige Oberweite präsentierte. Ich kannte ihn nun schon so lange, doch an dieses Getue konnte und wollte ich mich einfach nicht gewöhnen.

Es war wohl eher die Tatsache, dass ich permanent an Martin denken musste, der soviel ich wusste, genau wie ich immer noch Single war.

„Ach Liebes“, holte Maik mich aus meinen Träumen, „wie bindest du dir denn die Krawatte? Komm her, ich mach das!“

Und schon hatten Maiks schlanke Finger ihren Weg an meinen Hals gefunden, um mir die Krawatte zu Recht zu zupfen.

„So! Perfekt!“, kam es anschließend von Maik und auch wenn ich mich immer noch skeptisch im Spiegel betrachtete, mussten wir nun wohl oder übel los.

Mein BMW stand frisch gewaschen vor der Tür und wie es so sein sollte, fing es natürlich an zu regnen. Maik kramte in seiner Riesentasche nach ein Miniregenschirm und zog mich rasch an sich heran, indem er sich bei mir einhackte. Dann öffnete er den Schirm und ich war sehr erstaunt wie groß der doch war.

Wir gingen rüber zum Auto, wobei ich selbstverständlich Maik die Tür aufhielt, um ihn und sein pompöses Outfit trocken ins Auto zu befördern. Danach stieg ich bei der Fahrerseite ein und sah zu, dass wir hier weg kamen. Schließlich waren wir bereits spät dran und die Party würde bestimmt schon in vollem Gange sein.

Schweren Herzens lenkte ich mein sauberes Auto durch die immer nasser werdenden Straßen, um dabei mit ansehen zu müssen, wie es immer dreckiger wurde. Der nächste Termin in der Waschstraße war somit sicher, wo ich sowieso schon Stammkunde war.

Maik hingegen regte sich über kleine Flecken auf seinem Rock auf und redete wie ein Wasserfall. Trotz dass die Musik leise nebenher lief, bekam ich nur die Hälfte mit, da ich immer noch an Martin denken musste.

Vermutlich machte ich mir ganz um sonst so einen Kopf. Er hatte dieses Versprechen bestimmt schon längst vergessen oder es als Scherz abgehackt. Doch wieso machte ich mir so viele Gedanken darum.

War es nur die Tatsache, dass ich mir schon seit langem wieder eine Beziehung wünschte? Vielleicht hatte ich auch Angst davor alleine zu sterben? Ruckartig hielt ich mit quietschenden Reifen vor einer roten Ampel, wobei Maik mit einem festen Ruck nach vorne gegen die Scheibe geschleudert wurde.

„Aua“, schrie dieser auch gleich auf, „kannst du nicht aufpassen?“

„Oh… Entschuldige…“, stammelte ich zu Recht.

Dabei hätte Maik sich lieber anschnallen sollen, anstatt darauf zu achten, dass sein Outfit nicht zerknitterte. Zum Glück war nichts weiter passiert, außer vielleicht einer kleinen Beule, die nun Maiks Stirn zierte.

Ich hingegen ließ die Worte mir noch einmal leise über die Lippen wandern: „Angst alleine zu sterben.“

Nachdem ich mich dann durchgesetzt und den Gurt über einen protestierenden Maik gelegt hatte, setzen wir unsere Fahrt fort. Die Strecke quer durch die Stadt kannte ich zu gut, da ich sie schon oft gefahren war.

Auch wenn Martin einer von vielen Freunden schien, kannte ich den Weg mit verbundenen Augen. Die Parkplatzsuche erwies sich wie immer schwierig und obwohl ich die Nebenstraßen abfuhr, mussten wir dreimal im Kreis fahren, bis endlich jemand uns seine Parklücke überließ.

Wenigstens hatte es mittlerweile aufgehört zu regnen, so dass wir trockenen Fußes den Weg zu Martins Wohnung hinter uns bringen konnten. Schon mehrere Meter vorher hörte man lautstarke Musik, die regelrecht zum Feiern einlud.

Vielleicht wurde uns gerade deshalb erst nach dem vierten Mal klingeln von einem Bekannten geöffnet.

„Hey“, schrie Philipp uns entgegen und umarmte Maik direkt.

„Hi“, erwiderte ich und bekam auch eine überschwängliche Umarmung zu spüren.

„Martin ist irgendwo im Getümmel“, hörte ich Philipp noch sagen, bevor er auch schon zu weit entfernt war, als dass man ihn hätte verstehen können.

Da Maik mich am Arm hinter sich herzog, mitten rein in die Menschenmenge. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass so viele Leute in Martins Wohnung einen Platz finden. Es schienen unzählbar viele Bekannte und Freunde da zu sein, so dass man eigentlich nur Stückweise vorankam. Bei jedem Zweiten hielt ein längeres Gespräch auf.

Dabei wussten wir nicht einmal, ob wir in die richtige Richtung gingen. Doch nach endlosen Gesprächen und tausenden Umarmungen und Küsschen, sah ich Martin endlich. Er stand auf dem Balkon seiner Wohnung umringt von ein paar Leuten, die eine Zigarette rauchten.

Erst als wir auch den Balkon betraten, sah ich, dass er seinen Arm um einen jungen Mann geschlungen hatte. Dieser schaute etwas herausfordernd und ängstlich zugleich zu Martin. Martin war am erzählen und die anderen hörten ihn aufmerksam zu.

Er unterbrach sein Gespräch nicht, doch bemerkte uns und nickte begrüßend.

„Zum Schluss waren gut 180 Fotos in meiner Kamera. Der CSD war wirklich geil. Alles so bunt und schrill und ich war wie immer mittendrin. Eine wirklich hübsche Transe habe ich fotografiert, weil ihr Blick mich nicht losließ. Sie, oder er hatte wahnsinnig tolle Augen – war einfach schön anzusehen. Die Vielzahl der Eindrücke genoss ich sehr, sonst hatte ich mir nichts vorgenommen. Ich wollte die Cocktails an der brasilianischen Bar testen, das regenbogenfarbende Schlüsselband haben und den dunkelhäutigen mit den Engelsflügeln küssen.“

Alles musste lachen und für einen kurzen Moment hielt Martin inne, nahm einen Schluck von seinem Getränk und sprach dann weiter.

„Als der CSD zu seinem Ende kam, lockte mich zum Schluss, auf dem Weg zum Bahnhof Zoo noch der Tierpark. Ihr wisst ja, Crusingarea! Es war noch hell, so etwa um zwanzig Uhr rum und ich wollte einfach nur ein bisschen schauen.“

Ein Raunen ging durch die Menge und Martin verdrehte die Augen, redete dann aber weiter:

„Suchen musste ich jedenfalls nicht, wie es eben beim CSD so ist, bekam ich auch gleich was zum Spannen. Anschließend setze ich mich noch an den See, genoss die herrliche Luft und betrachtete auf dem Screen die Bilder, die ich geschossen hatte. Doch dann bekam ich Gesellschaft.“

Martins Blick hielt auf den jungen Mann in seinem Arm inne und ein Lächeln spiegelte sich auf seinen Lippen. Sein Gegenüber lies seine Zunge lasziv über seine Lippen streichen und betrachtete jeden in der Runde.

„Er setze sich neben mich und fragte nach einer Zigarette“, kam es weiter von Martin, „bevor der obligatorische Satz von ihm kam, „Suchst du was?“

Ich gab ihm eine Zigarette und betrachtete seine blauen, traurigen Augen und seinen tollen Körper. Ich fand es sehr schade, dass er stricht. Deshalb kam meine Antwort.

„Ich suche nichts.“

Prompt kam die Gegenantwort: Vierzig Euro. Durchaus wäre er die vierzig Euro wert gewesen, aber sein trauriger Blick versetze mir einen Stich ins Herz, so dass mir klar wurde er macht es nur aus Not. Trotzdem wirkte er professionell und unwiderstehlich.

Nein, ich muss gehen, antwortete ich grob und war schon auf dem Sprung. Eine Träne rollte über seine Wange, was mich erstarren ließ.

„Wo wohnst du?“, rief er und ich wunderte mich sehr darüber.

„Hast du einen Platz zum Schlafen?“, fügte er hinzu, was mich seltsam durcheinander brachte.

„Wie heißt du?“, wollte ich von ihm wissen.

„Tobias.“

„Was erwartest du?“, fragte ich nun.

„Du siehst ehrlich aus und ich, ach geh…“, stotterte er.

Mein Mutter – Theresa – Komplex und der Sympathiefaktor hatten gewonnen. Ihr seht ja selbst, wie geil Tobias aussieht und was für tolle Augen er hat. Was Tobias in diesem Moment mit einem knurrenden Geräusch, einem darauffolgenden „Ach ja?“ und einem Tritt gegen Martins Schuh, beantwortete.

Ein kurzer Aufschrei kam noch von Martin, bevor er sein Gespräch fortsetzte.

„Okay, komm mit“, erwiderte ich.

Eine Stunde und dreißig Minuten später waren wir bei mir. Wir tranken viel Bier und aßen leckere Pizza. Es herrschte Schweigen auf dem Balkon, da alle darauf warteten, dass noch etwas kam.

Martin musste grinsen.

„…und JA…, wir hatten Sex!“

„Alter Mann“, sagte Tobias und lachte.

Das war zu viel für mich. Ich riss mich von Maik los, der mich immer noch am Arm festgehalten hatte und stürmte vom Balkon. Mit so etwas hatte ich nun gar nicht gerechnet. Meine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet.

Martin hatte einen Freund – Die Wette war hinfällig – Ich würde für immer alleine sein. Ich drängte mich durch die Menschenmenge nach draußen. Schweißgebadet hielt ich draußen vor der Tür auf der Treppe inne und spürte wie sich dicke Tränen ihren Weg bahnten.

Sie kühlten meine erhitzten Wangen und ließen mich schluchzend auf der Treppe platz nehmen. Ich umklammerte das Geländer, als müsste ich es vorm wegwehen bewahren, da etwas Wind aufgekommen war.

Total in mich versunken bemerkte ich erst spät, dass neben mir Jemand platz genommen hatte. Vergeblich versuchte ich mit den Händen, die immer stärker werdenden Tränen wegzuwischen.

„Langsam“, hörte ich eine vertraute Stimme, „sonst hast du gleich ganz rote Augen.“

Martin umarmte mich, reichte mir ein Taschentuch und legte dann seine freie Hand auf mein Knie. Ich spürte, wie mir mein Herz bis zum Hals schlug und lauschte erneut Martins unwiderstehlicher Stimme.

„Ja, wir hatten Sex. Warum wir im Bett gelandet sind und warum der Sex so toll war? Ich fand ihn jung und attraktiv und er wollte auch mal Sex mit dem Gefühl etwas geliebt zu werden. Seitdem sind wir tolle Freunde.“

Immer wieder wiederhole ich gedanklich den letzten Satz und ließ ihn langsam wirken. Martin hat gar keinen Freund! Ich spüre wie mein Gegenüber den Druck seine Hand auf meiner Schulter verstärkte und mich zaghaft zu sich heran zog.

Seine Lippen kamen langsam näher und so schloss ich allzu gerne meine Augen und ließ geschehen, was geschehen sollte.

Endlich tun wir uns zusammen, denn alleine sein ist blöd!

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1 Kommentar

  1. Tolle Geschichte, die mich berührt hat. Du hast recht – alleine sein ist blöd.

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