Margie 08 – Gewinn und Verlust

Ich machte sie miteinander bekannt und sie gaben sich die Hand. Respektvoll wie mir schien. Dazu kam, dass Angelo so sehr zu diesem Fahrzeug passte. Ich konnte ihn mir in einem Panda oder Fiesta einfach nicht vorstellen, und dem Gesicht meiner drei Freunde nach dachten die genauso.
Damit kam irgendwie auch nicht die Standardfrage „gehört der dir?“ zustande. Die gingen davon aus, dass Angelo tatsächlich der Eigentümer des Porsches war

Wir schnappten dann unsere Sachen aus dem Auto und trugen sie hin zu dem Platz, wo sich die drei schon niedergelassen hatten. Was noch in den Wagen gewandert war: Ein Grill. Irgendwie ein Wunder, wie Angelo den da reingepackt hatte.
Eigentlich war mir das nicht so recht, Rauch sah man von weitem und irgendwann würden wir doch einmal erwischt. Aber ich sagte dazu nichts, es würde schon nichts passieren.

Kaum hatten wir unsere Sachen ausgeladen, begann ich einen Hals zu kriegen. Keine fünfzig Meter weg spielte sich etwas ab. Getöse nämlich. Wenigstens 15 oder 20 Halbwüchsige tollten dort herum.
Die Weiber kreischten heiser und die Jungen grölten unerbittlich. Und die waren auch noch so frech gewesen und mit vier Autos fast bis ans Wasser gefahren. Das ging nur, wenn man das Tor öffnete und das war meines Wissens trotz Alterschwäche stabil genug und zudem abgeschlossen.
Ein Feuer prasselte und die waren scheinbar schon jetzt ziemlich angetrunken. Ein Krach ohne Ende und das heute. Wo ich Angelo doch vorgeschwärmt hatte, wie ruhig es im Grunde hier war.
Darum sah ich ihn dann ganz verzweifelt an und zog die Schultern hoch. Er blickte kurz zu denen hinüber und dann… lief er einfach drauflos. Zielsicher genau dort hinein in das Getümmel.
Mir blieb fast das Herz stehen. Sollte ich ihm nachlaufen? Die würden mit Sicherheit auf ihn losgehen und in Nullkommanichts.. ich wagte es nicht auszudenken.

»Was hat er vor?«, fragte Jo dann auch, meine Freunde blickten ihm ebenfalls nach wie einem Geist.

»Wenn ich das wüsste.«

»Die kenn ich. Flüchtig. Ziemlich rabiates Pack ausm Nachbardorf. Wenn der mal jetzt nicht einen Fehler macht.«, warf Alex ins Gespräch.

»Willst ihm nicht.. irgendwie helfen? Ich mein, es ist ja dein Freund..«, kam dann Felix hinterher.

Klar, mein Freund. Aber sollte ich mich wegen ihm zu Brei schlagen lassen? Schon auf diese Entfernung waren das doch Baumstämme und die würden mit Sicherheit nicht lange fackeln. Und Angelo.. der musste wissen was er tat. Meine Seele wollte ihm helfen, aber mein Fleisch blieb ungerührt auf der Stelle stehen.
Jetzt war er bei denen angelangt. Man sah an seinen Armen dass er redete. Sie bildeten einen Halbkreis um ihn, die Weiber hatten sich etwas Abseits verzogen und beobachteten die Szene. Mir wurde mit jeder Sekunde mulmiger.
Wenn sie jetzt auf ihn einschlugen hätte er nicht die geringste Chance. Aber nichts dergleichen geschah. Was redete er nur mit denen? Und warum warteten sie so lange? Er zeigte ein paar Mal in unsere Richtung, woraufhin mir noch elender wurde.
Erst würden sie ihn überrennen wie eine Dampfwalze und dann würden wir drankommen.
Nichts. Die rührten sich nicht. Plötzlich drehte sich Angelo um und kam zurück. Und was machten die dort? Sie löschten das Feuer mit Sand, die Weiber begannen ihre Handtücher einzusammeln,
Unrat wurde aufgelesen und noch ehe Angelo wieder bei uns war fuhr der erste Wagen vom Gelände.

Angelos Blick war völlig frei von Zorn oder Wut. Es sah eher aus, als wäre eben mal pinkeln gewesen. Er machte sich ohne ein Wort daran, den Grill aufzustellen, wobei ich ihm dann augenblicklich half.

»Ähm.. darf ich fragen was du denen erzählt hast?«

Er sah mich gar nicht an, sondern steckte eine der Stützen in den Grill.

»Was soll ich gesagt haben? Dass sie hier nichts zu suchen haben.«

Ich grinste, allerdings eher ungläubig.

»So. Und die sind dann einfach weg. So ohne.. Meuterei. Nur weil du es ihnen gesagt hast.«

»So ist es. Gib mir mal die andere Stütze.«

Inzwischen waren auch meine drei Freunde näher gekommen. Sie starrten Angelo an.

»Ihr könnt ruhig mithelfen. Da drüben steht die Holzkohle..«

Ich reichte ihm die Stütze. »Nun sag schon, wie hast du das angestellt?«

Er schraubte die Stütze fest. »Sie sind eingebrochen, auf Privatgelände. Und ich hab ihnen gesagt dass ihr hier mit den Handys und Kameras steht, ihre Áutonummern hättet und ein Fehlgriff, dann würdet ihr die Polizei rufen.«

Ich stellte mich auf und ließ die nächste Stütze, die ich ihm reichen wollte, einfach fallen. »Du hast was? Ohne uns das zu sagen..«

Er grinste mich an. »Hättest du eine andere Lösung gehabt? Komm, gib mir die Stütze, auf drei Beinen kann das Ding nicht stehen.«

Widerwillig folgte ich.

»Ja Klasse. Du verjagst sie so quasi und wir.. haben Schiss und bleiben schön artig hier..«

»Klar. Wir dürfen das auch.«

»Was soll das denn heißen?«

»Du hättest vielleicht mal das Schild am Eingangstor drüben lesen sollen. Dann wäre dir unter günstigen Umständen der Name des Besitzers der Kiesgrube aufgefallen.«

Dann dämmerte es mir, langsam, aber es kam Licht in die Sache. Mit einem Mal fiel es wie Schuppen vor meine Augen. Klar, daher kannte ich diesen Namen. Ich bückte mich, ganz nah war ich dann an seinem Gesicht.

»Dann willst du damit sagen, dass.. dieses Gelände…«

»So ist es. Und nun komm, lass uns die Getränke kalt stellen.«

Ich blies die Luft aus und betrachtete meine Freunde, die noch immer völlig perplex herumstanden.

»Was ist denn nu?«, fragte Felix mich dann auch.

»Hm, es sieht so aus als wären wir lange Zeiten erst mal völlig alleine hier. Wenn das der Herr dort..«, dabei zeigte ich auf Angelo, »..genehmigt.«

Nun schien die Verwirrung komplett.

»Also. Ihr habt es gehört, Getränke ins Wasser. Wir wollen ja keine warme Brühe trinken.«

Mengenmäßig, also den Sachen nach, die Angelo mitgenommen hatte, war mir dann auch einiges klar. Er rechnete damit, dass Felix, Jo und Alex auch hier sein würden. Allerdings ohne Anhang.

»Wo sind eigentlich eure Freundinnen?«, wollte ich dann von Alex wissen.

»Denen ist’s definitiv zu heiß. Und wegen der Mücken.. die sind lieber zu Hause geblieben.«

Ich blieb stehen und hielt ihn am Arm fest. »Alle drei? Das ist.. etwas seltsam, findest du nicht?«

Alex kam ganz nah an mich heran und flüsterte.

»Und du? Findest du… das da«, damit nickte er mit dem Kopf zu Angelo hin, »nicht auch seltsam? Ralf, was ist in dich gefahren? Felix hat erzählt, du hättest einen Freund. Gut, das ist ja okay, aber du… bist doch nicht wirklich schwul, oder? Und der dort.. egal wie.. ist es doch auch nicht.«

Das hatte gesessen, und zwar voll. Ich musste die passenden Worte finden, denn nun erst fiel auf dass er und Jo etwas reserviert mir gegenüber erschienen waren. Und dass die Weiber nicht hier waren, das war keine Ausgeburt der Hitze.
Die gingen mir aus dem Weg, zumindest kam mir das am logischsten vor. Bemerkenswert nur, warum die Jungs dann überhaupt hier erschienen waren. Eines jedoch stand fest: Ich stieß bei ihnen auf Widerstand. Ich wusste es eigentlich, nur war eben die Hoffnung.. egal, ich musste da jetzt durch.
Um meiner und um Angelos Willen. Ohne eine Antwort zu geben lief ich zu Felix, der zusammen mit Angelo die Getränkte ins Wasser legte. Ich tippte ihn auf die Schulter.
»Felix, hast du mal ne Sekunde?« Seinem Blick nach ahnte er bereits was ich von ihm wollte und er wurde leicht rot.

Wir gingen ein Stück am Ufer entlang.

»Wie haben es die beiden.. oder auch alle.. aufgenommen?«

Felix schien mit sich zu hadern. Dann sah er wohl, dass es keine Ausflüchte geben konnte.

»Ziemlich geknickt. Ums mal so zu sagen, die glauben mir nicht.«

Okay, wenigstens das. Nun lag es doch an mir, reinen Tisch zu machen. Aber jetzt, in den Vorbereitungen für einen bestimmt gelungenen Nachmittag? Ja, es musste jetzt sein, alles andere wäre Heuchelei gewesen.
Entweder sie standen zu mir und Angelo oder eben nicht.

»Haben sie, außer dass sie dir nicht glauben, noch etwas anderes gesagt?«

Felix schien diese Frage hochnotpeinlich gewesen zu sein. Er sah mir nicht wie sonst in die Augen, sondern zu Boden und schob verlegen ein Steinchen zwischen den Füßen herum. »Sie meinten, wenn es stimmt, dann wollen sie.. nichts mehr mit dir zu tun haben.«

Diese Worte taten weh, verdammt weh, aber sie waren wenigstens ehrlich.

»Und du? Was ist mit dir?«

Nun sah er mich doch wieder an.

»Mir ist das egal, es stört mich nicht.«

»Eine Frage habe ich noch: Wieso sind die oder besser, seid ihr jetzt hier, obwohl ihr damit habt rechnen müssen, dass ich auch komme?«

»Sie wollen es wissen. Sie warten darauf dass du es ihnen selber sagst, weil.. na ja, sie mir ja nicht glauben wollen.«

Ich sah zu den beiden hinüber. Sie standen am Zaun, hatten die Arme verschränkt und beobachteten uns. Gut, dann musste ich da durch, was mir nicht leicht fallen sollte. Sie hatten Angelo kennen gelernt, ich musste also keine Person erfinden.
Die war da, völlig real. Ich biss mir auf die Lippen und marschierte auf sie zu. Sie ließen die Arme sinken und verfolgten jeden meiner Schritte bis ich bei ihnen war.
Wozu viele Worte, dachte ich, sie haben Augen im Kopf. Darum deutete ich nur zu Angelo hin, der mittlerweile damit beschäftigt war, die Grillkohle in die Wanne zu kippen. Mir war völlig klar dass er wusste was da gerade passierte, aber er hielt sich raus.
Er kannte meine Freunde nicht und er überließ es mir, die Sache zu regeln. Einerseits wurmte mich das, denn es betraf ihn genauso; andererseits hatte er womöglich Recht.
Mir blieb eh keine Wahl und sie standen vor der Entscheidung. Wollte ich sie kampflos ziehen lassen wenn sie sich völlig gegen mich stellten? Ja, ich musste. „Tief Luft holen und dann durch,“ befahlen meine Stimmen. Hier gab es keine gute und keine schlechte. Es gab nur diesen einen Weg.

»Das ist übrigens mein Freund,« brachte ich dann mit etwas zitternder Stimme hervor. Vorgestellt hatte ich sie schon gegenseitig, aber eben nicht von einem Freund gesprochen.

»Das haben wir bereits mitbekommen«, fauchte Joachim.

Gut, wenn einer konsequent gegen Schwule war, dann er. Von ihm waren in der Vergangenheit manchmal etwas anrüchige Bemerkungen gekommen. Und seine Eltern, na ja, denen würde ich am ehesten den berühmten Scheiterhaufen zutrauen.

»Aber was heißt, „mein Freund?“«, wollte er dann auch genauer wissen.

Klar gab es Unterschiede zwischen einem Freund und meinem Freund, aber wozu lange herumfaseln? Sie waren alt genug, auch wenn sie jetzt ziemlich kindisch reagierten.

»Mein Freund in dem Sinne, dass wir uns gernhaben«, versuchte ich es auf den Punkt zu bringen.

So doof konnten sie nicht sein um das nicht zu kapieren. Ich wollte mich an dieser Stelle keiner weiteren Diskussion stellen. Jo und Alex sahen sich kurz an und nickten.

»Na gut, deine Sache. Aber wenn das so ist, sind wir fertig mit dir«, sagte Alex wie so nebenbei, dann gingen sie zu ihren Sachen und packten zusammen.

Mehr hatten sie auch gar nicht zu sagen brauchen, diese Worte beinhalteten alles.

„Leb wohl, mach’s gut, brauchst dich nicht wieder blicken lassen und bleib uns vom Leib.“

Angelo beobachtete sie ebenfalls, tat aber nichts. Nun gut, was auch hätte es geholfen?
Ich wurde wütend und traurig zugleich. Irgendwie entschwand mit den zweien plötzlich ein großer und wichtiger Teil meiner Jugend, meines Lebens bis hierher eigentlich.
Felix stand etwas unschlüssig Abseits und sah den beiden beim packen zu. Mir war völlig klar was das jetzt für ihn bedeutete. Blieb er hier, entschied er sich für mich, ging er mit, wäre es aus mit der Freundschaft zu mir. Ich ging zu ihm hin.

»Felix, geh mit ihnen. Wir können doch auch so noch Freunde bleiben, aber wenn du jetzt hier bleibst, sind sie weg. Auch für dich.«

Er sah mich nicht an, seine Augen verfolgten die beiden wie sie mit ihrem Gepäck zum Loch im Zaun stapften.

»Bitte Felix, geh..«

Nun drehte er sich zu mir um und heftete seine Augen an meine.

»Nein, ich werde unsere Freundschaft nicht heucheln. Das tun die beiden da. Sie sind so… ach, ich weiß auch nicht.«

»Denk an deine Freundin, Felix.. es ist nicht gut..«

Plötzlich wurde er laut, so hatte ich ihn noch nie erlebt. Er ging einen Schritt zurück.

»Es ist nicht gut, sagst du?«

Er war so laut, dass die zwei an ihren Rädern zu uns herübersahen.

»Ich finde es nicht gut dass die beiden dort den Schwanz einziehen und so tun als wären sie in allem Recht der Welt. Sie verkriechen sich vor sich selber, das finde ich nicht gut. Sie treten das Recht des Menschen, so zu leben wie er mag, mit den Füßen. Und wofür? Für Gott? Im Leben nicht, denn der ist auch auf deiner Seite. Verlogen ist das und ich.. kann auch auf sie verzichten.«

Alex und Jo bestiegen schleunigst ihre Räder und schon wenige Augenblicke später waren sie hinter den Büschen verschwunden.

»Felix, das hättest du.. nicht zu machen brauchen.«

Aber er antwortete nicht, sondern ging zu Angelo hin, der sich mittlerweile neben den Grill in den Sand gesetzt hatte und rauchte. Ich konnte mir denken dass ihm diese Szene trotz allem nachging. Aber er musste sich nicht dafür rechtfertigen.
Ich folgte Felix und als wir zu Angelo kamen, stand er auf. Was für Blicke tauschten denn die beiden jetzt grade? Sie musterten sich scheinbar, so wie ein Torero seinen Stier. Wie musste man dieses Gegenüber einschätzen?
Etwas zögerlich, dann entschlossen streckte Felix seine Hand zu Angelo aus.

»Tut mir leid, dieses Theater war unnötig, eigentlich.. aber ich hab nichts gegen Ralf oder dich. Ich hab eben nichts gegen Schwule. Wenn die beiden damit nicht klarkommen ist es ihre Sache.«

Angelo lächelte und gab ihm die Hand. »Ich weiß nicht ob es unnötig war. Vielleicht denken sie jetzt erst darüber nach.«

Sollte ich mich freuen, dass wenigstens Felix auf unserer Seite stand? In dem Augenblick freute mich auf jeden Fall Felix’ Offenheit. Sein Mut, gegen die beiden zu wettern und dem Mut, alles wegen mir hinzuschmeißen. Insbesondere würde ihn jetzt einiges erwarten, ich kannte Iris gut genug. Aber das war nicht meine Sache.

»Nein, das werden sie nicht. Sie dürfen sich ja gar nicht anders entscheiden. Wenn ihre Eltern erfahren dass sie Kontakt zu Schwulen haben können sie sich auf etwas gefasst machen. Das geht von Hausarrest bis zur täglichen Beichte. Ich kenn sie gut genug.«

»Und Iris?«, wollte ich dann doch wissen. Immerhin glaubte ich bis dahin, dass sich die beiden wirklich liebten.

»Die wird es wissen noch bevor ich zu Hause bin. Und das Theater ist dort ähnlich. Es ist keine Großstadt hier, wo man so ohne weiteres Händchenhaltend spazieren gehen kann. Es ist eine Todsünde, hier herrscht noch Zucht und Ordnung.«

»Und was ist mit deinen Eltern? Die werden das ja auch bald wissen«, gab Angelo zu bedenken.

»Ja, das ist mir klar. Sie sind zwar auch konservativ. Aber für sie ist es sicher kein Drama, solang ich selbst nicht davon betroffen bin.«

Dabei blinzelte er schelmisch.

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