Das Boycamp II – Teil 7

»München hat zwei zu vier gewonnen«, rief ihm Bode zu. Immerhin, er wollte sich ja am Vorabend die Ergebnisse ansehen.

Stefan blieb dort stehen und schlug die Zeitung auf. Es war so nicht zu erkennen auf welcher Seite er gerade las, obwohl das die Betreuer dem Anschein nach gerne gewusst hätten.
»Na ja, war scheint’s nicht so erfrischend«, sagte er nach einigen Minuten, faltete die Zeitung wieder zusammen und legte sie auf den Tisch zurück.

Er setzte sich wieder an seinen Platz. »Es steht genauso in der Zeitung wie du gesagt hast«, flüsterte Stefan Nico so zu, dass es auch Erkan hören konnte. »Aber es gibt keine Details. Umfragen in der Bevölkerung haben sie gemacht, das ja. Rausbekommen haben sie dabei nichts. Auch in der näheren Verwandtschaft gibt’s keine Verdächtigen «

Kurz darauf kam Stein zu ihnen an den Tisch. »Also, heute Morgen ist eigentlich ganz gutes Wetter, mit dem Schuppen seid ihr ja gestern gut vorangekommen. Darum eine kleine Dienstplan-Änderung. Mir ist aufgefallen, dass einige von euch ganz gern mal ´nen Sprint einlegen. Im Zuge der körperlichen Ertüchtigung«, dabei grinste er schelmisch, »schlage ich einen Waldlauf vor. Herr Bode und ich werden euch dabei begleiten. Es wird kein Marathon, keine Angst, aber auch kein Spaziergang. Geht euch also Laufschuhe anziehen und vergesst nicht, eure Wäsche vor die Zelte zu stellen. Herr Meier fährt heute in die Wäscherei.«

Die Jungen sahen sich etwas ratlos an, aber es half kein meutern. Unter anderem galt es ja, unauffällig zu bleiben. Jeder war sicher, dass Erkan die Nacht über einem Plan gegrübelt hatte und das Ergebnis würde er ihnen bei passender Gelegenheit schon präsentieren.

Stein hielt ein gemäßigtes Tempo ein, noch hatten die Jungen keine Probleme mitzuhalten. Bode und Rick bildeten den Abschluss der Gruppe, die sich nach einer halben Stunde nun allmählich bergauf bewegte. Eine Unterhaltung war dabei nicht mehr möglich, zu sehr mussten die Jungen ihre Atemluft dosieren. Es bedurfte aber eh keiner Erläuterung, sie nahmen denselben Weg wie auf ihrem Orientierungsmarsch. Ziel könnte immerhin der alte Bahnhof sein, aber weder Stein noch Bode hatten sich beim Start dazu geäußert. Auch nicht dazu, wie lange der Lauf gehen sollte.

Stein blieb stehen und hielt die Arme hoch. »Stopp. Wir machen ´ne kleine Pause.«

Keuchend ließen sich die Jungen neben dem Bahndamm ins Gras fallen. Nach der üblichen Raucherpause war keinem von ihnen, einzig der Durst begann sie zu quälen. Augenblicke bevor deshalb allgemeine Unruhe aufkam, drangen Motorgeräusche aus dem Wald und kurz darauf tauchte ein weißer Pick-Up auf. Alexander als Fahrer war sehr schnell ausgemacht und der erblickte sieben strahlende Gesichter. Bode und Stein schienen das gewusst zu haben, denn eine Überraschung war ihnen nicht anzusehen.

Alexander parkte den Wagen direkt neben der rastenden Gruppe und stieg aus. »Hi Leute. Könnt´ mir denken, dass ihr richtig Durst habt. Na denn, auf der Ladefläche ist genug für alle, nur zu.«

»Wenn wir dich nicht hätten..«, rief Erkan und die anderen klatschten Beifall.

»Dann wär’s ein anderer«, gab Alexander zurück, kletterte auf die Ladefläche und schüttete etwas Wasser in einen Napf. »Komm, Rick, du bist hier nicht ausgeschlossen.«

Mit einem Satz sprang der Husky auf die Pritsche und begann das Wasser zu schlabbern. Auch die Jungen griffen sich die Flaschen aus den Kästen und stürzten das kühle Nass hinunter. Bode und Stein hielten sich noch etwas zurück, nur verhalten nahmen sie sich eine Flasche.

»Ich muss mal eben«, sagte Erkan, nachdem er sein Leergut zurückgestellt hatte.

»Aha. Oben rein, unten raus. Geht aber schnell bei dir«, ulkte Nico, »aber bei der Gelegenheit…« Er stand auf und folgte Erkan an den Waldrand.

Nico fischte seinen Schwanz aus der Hose und beobachtete den Urinstrahl, »Halten die uns damit in Schach?«

Erkan schielte zu ihm hin, einen Augenblick schien er an etwas anderes zu denken… »Ähm, du meinst wegen dem Lauf hier und Alexanders Auftritt?«

»Immerhin denkbar. Laut Dienstplan hätten wir heute Morgen Gruppenstunde gehabt. Eigentlich gibt’s keinen Grund warum das ausfallen musste. Wegen dem Wetter bestimmt nicht, so herrlich schön isses nun auch wieder nicht.« Nico schüttelte seinen Schwanz ab und warf Erkan nun auch einen Seitenblick unterhalb der Gürtellinie zu. Jetzt war er es, dessen Gedanken in eine ganz andere Richtung gingen. Stefan… Nico drehte sich um und sah seinen Freund auf sie zukommen. »Hast dir schon Gedanken gemacht… ich mein… wegen einem Plan oder so?«

Erkan wartete, bis Stefan bei ihnen war. »Ja, hab ich. Aber ich möchte das mit allen besprechen, schließlich geht das hier jeden was an.«

Stefan trat ein paar Schritte weiter in das dichte Unterholz, es bereitete ihm hin und wieder Probleme im Beisein anderer zu urinieren. Dann kam kein Tropfen, selbst wenn es ihn noch so drückte.
»Hey, kommt mal…«, rief er plötzlich. Sekunden später standen Erkan und Nico bei ihm.

»Was ist los?«

Stefan zeigte vor sich in das dichte Gebüsch. »Da vorn… was kann das sein?«

Erkan ging einen Schritt weiter vor. »Müll, was sonst? Die schmeißen doch alles..« Seine Augen verkleinerten sich plötzlich, ohne weitere Worte stieg er über die dichten Sträucher, ging in die Hocke um nicht im Gesicht verkratzt zu werden. Dann verharrte er.

Nico trat neben ihn. »Was ist?«

»Weiß nicht, sieht mir jetzt nicht nach Müll aus. Kann natürlich sein, aber wart mal.« Erkan nahm in Kauf, dass ihn das Gestrüpp an den Händen zerkratzte, weit streckte er einen Arm aus um an den Gegenstand zu kommen, der weiter vor ihm auf dem Boden lag. Nico konnte erst erkennen was Erkan aufgehoben hatte als er sich zu ihm umdrehte. »Hier..« In seiner Hand hielt er einen rosafarbenen Stoffhasen. »Der liegt noch nicht lange hier… ist noch wie neu.«

»Wer schmeißt ein neues Stofftier in den Wald… und verloren kann das an dieser Stelle auch niemand haben.«

Die drei Jungen hielten die Luft an. Ein Zufall konnte das nicht sein, es würde auch von der Gegend her passen.

»Der gehört… Tobias?«

Erkan zog die Schultern hoch. »Das ist natürlich möglich. Nur, wenn ja, wie kommt das hier hin? Niemand konnte den Hasen vom Weg hier reinschmeißen, dazu ist das Gestrüpp zu dicht. Und extra hier hinein tragen, das ist völlig absurd.«

Stefan kämpfte mit den Tränen. Er hatte als Junge auch so ein Stofftier und es bedeute ihm damals sehr viel. Kein Weg und keine Nacht, die er ohne Fips, seinem Knuddeläffchen, verbracht hätte. »Dann ist Tobias hier gewesen… und hat ihn verloren? Mit Sicherheit aber nicht weggeworfen.« Der Gedanke, dass dieser Hase Tobias’ einziger treuer Begleiter war und er nun ohne ihn irgendwo eingesperrt ausharren musste, machte nicht nur Stefan wütend. »Jetzt wird’s wirklich Zeit, dass etwas passiert. Man hält das ja nicht aus«, schimpfte er zornig.

»Meine Worte. Aber da hinten naht Ungemach. Stein und Bode sind neugierig geworden… wir haben uns zu lange hier aufgehalten.«

»Was machen wir mit dem Hasen? Zeigen wir ihnen den?«

»Oh ja, ich will ihre Gesichter sehen. Und ihr passt auf wie sie reagieren.«

Sie kehrten um und gingen den beiden Betreuern entgegen. Erkan als erster trug den Stoffhasen so, dass sie ihn nicht gleich sehen konnten.

»Wir dachten schon euch ist etwas passiert.«

»Nicht direkt, Herr Stein. Hier, das haben wir dahinten im Wald gefunden.«

Während er den Hasen vor sich hielt, studierte er sehr genau die Blicke der beiden. Aber entweder sie waren auf alles gefasst oder sie verstanden es vorzüglich sich zu verstellen.

»Oh, was die Leute alles wegwerfen… na, dann hast ja was für die einsamen Nächte«, grinste Stein und knuffte Bode in die Seite. Der lächelte ebenfalls und nichts deutete auf Überraschung oder Verlegenheit hin. Es hatte fast den Anschein, als würden die beiden tatsächlich nichts damit zu tun haben.

Die drei Jungen nahmen diese Beobachtung mit Genugtuung zur Kenntnis. Erkans Plan fußte mit Sicherheit auch auf die Möglichkeit, dass die beiden wirklich nichts mit der Sache zu tun hatten, dennoch galt es jetzt zu handeln. Und kein Augenblick war geeigneter dafür als dieser.

Klaus, Mirko, Bernd und Lutz lagen faul im Gras, die Zwangspause kam jedem gelegen. Erkan stellte sich zwischen sie und hob den Stoffhasen in die Höhe. »So, Leute. Es ist genug Zeit vertrödelt worden. Dieser Hase gehört mit ganz großer Wahrscheinlichkeit dem kleinen Tobias, der noch immer irgendwo eingesperrt ist.« Er wandte sich nun an Stein und Bode. »Und unserem Befinden nach tut sich einfach nichts. Die Sache mit dem Lösegeld ist schiefgegangen, Rademann scheint Zeit gewinnen zu wollen und narrt die Polizei. Wir sind der Meinung, der Kleine ist hier irgendwo versteckt. Was auch aufgefallen ist: Der Stoffhase ist trocken. Es wäre sicherlich vermessen zu glauben, das dass Zufall ist. Seit wir hier herumhängen haben wir nicht einen Spaziergänger gesehen, geschweige denn Kinder.«

In den Köpfen der beiden Betreuer schien es zu arbeiten. Woran, das hätten die Jungen gern gewusst. Keiner sagte zunächst ein Wort, Stein und Bode sollten sich jetzt dazu äußern.

»Okay, Jungs, wir sehen ein, dass ihr einen Hals habt wegen der ganzen Geschichte. Aber wir müssen uns strikt da raushalten, das Leben des Jungen steht möglicherweise auf dem Spiel. Wir wissen nicht wann das Lösegeld übergeben werden soll, und wir wissen nicht wo und wer. Wir wissen eigentlich gar nichts. Und im Übrigen geht es uns auch nichts an. Wir sind nicht die Polizei und Kraft meines Amtes verbiete ich euch jetzt ganz einfach, irgendwelche Dinge zu tun die damit zusammenhängen. Ihr wisst warum ihr hier seid, und das ist Programm; sonst nichts. Sollte also jemand auf die absurde Idee kommen, sich in irgendeiner Art und Weise da einzumischen… der oder diejenigen können dann schon mal ihre Koffer packen. Ich sage das jetzt nicht weil mir das alles Gleichgültig ist, aber ich hab hier ´ne Verantwortung, besonders euch gegenüber und von daher läuft da nichts, okay? Letztlich ist davon auszugehen, dass der oder die Täter gefährlich sind. Also, ich denk ich hab mich deutlich genug ausgedrückt. Erkan, gib mir bitte das Stofftier, ich werde es persönlich weiterleiten.«

Mehr musste Stein nicht predigen um zu verdeutlichen, wie ernst er es mit seinen Ausführungen meinte und schlagartig kehrte das Misstrauen der Jungen ihm gegenüber wieder zurück. Bode hatte nur zugehört, ab und zu mit dem Kopf genickt. Nun blickte er zufrieden drein und war anscheinend mit jedem Wort seines Chefs zufrieden. Jetzt schwand zumindest die Hoffnung, von ihm irgendeine Art der Unterstützung zu erfahren.

Erkan begann innerlich zu kochen, er hatte es sich wesentlich leichter vorgestellt. Immerhin war einer seiner Pläne, die Betreuer dezent unter Druck zu setzen. Nun hatte Stein den Spieß gehörig umgedreht. Auf legale Weise war nun nichts mehr zu machen und alles was er sich sonst ausgedacht hatte, würde im geheimen laufen müssen. Aber ohne einen einzigen Betreuer auf ihrer Seite ein schier heilloses Unterfangen. Trotzdem gab er nicht auf. Es musste eben eine Änderung der Pläne her, auch wenn ihm jetzt nicht die Zeit dazu blieb. Er spürte die Blicke der Jungen auf sich, sie erwarteten mit Sicherheit seinen Einwand. Aber jetzt und hier schien es nicht angebracht zu sein.

Alexander war bereits während Steins Standpauke zurückgefahren, er hatte nur kurz signalisiert dass er sich um das Mittagessen kümmern müsse.

Nun setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung, wenn auch wesentlich lustloser. Stein nahm einen schmalen Pfad in den Wald, wobei es sich allem Anschein nach um eine Abkürzung zum Camp handelte. Denn schon nach einer halben Stunde, in der es überwiegend bergab ging, erreichten sie ihre Zelte.

Stein wartete, bis sich alle am Sammelplatz um ihn geschart hatten. »Das war schon mal nicht schlecht. Vielleicht schaffen wir ja noch mal den Weg bis hin zum Verladebahnhof. Euren Vorgängern ist das jedenfalls geglückt. Okay, weiteres Vorgehen: Ihr könnt euch jetzt duschen gehen, danach Mittagessen und heute Nachmittag Putz- und Flickstunde.«

Die Jungen sahen sich mit großen Augen an.

»Was soll das denn heißen?«, wollte Klaus wissen, während sich Stefan zu Nico beugte und ihm nahe ins Ohr flüsterte: »Könnt man das L in dem Satz nicht weglassen?«

»Stefan, du Schwein…«, entwich es Nico etwas zu laut, so dass Stein zu ihnen blickte.

»Könnt ihr vielleicht mal kurz zuhören? Danke. Also wenn ihr euch mal eure Zelte anseht und das Gelände drum herum… Erst mal aufräumen, wenn gewünscht kann auch umgezogen werden. Bringt eure Klamotten in Ordnung und vor allem das Gelände. Papier, Kippen, alles was so herumfliegt. Wenn ihr damit fertig seid könnt ihr Werkzeug empfangen und das Gestrüpp rund um den Platz etwas stutzen.«

Klaus nickte. »Hätte auch schlimmer kommen können«, grinste er.

»Erkan, wolltest du nicht bei Lutz einziehen?«

»Jep, wenn der mag«, antwortete er in Lutz’ Richtung.

»Von mir aus. Hab nichts dagegen«, bekam er von ihm als Antwort.

»Gut, das müsst ihr unter euch ausmachen. Also, duschen und essen. Mahlzeit.« Damit verabschiedete sich Stein, gefolgt von Bode und Rick.

»Da gehen sie hin. Man bin ich gespannt was der Stein mit dem Hasen macht.«

»Der wird ihn sicher abgeben.«

»Mirko, ich weiß nicht. Wenn man das bloß kontrollieren könnte. Mir ist nicht wohl bei all dem hier.«

»Was ist nun mit deinen Plänen?«, wollte Klaus wissen, wonach sich alle Augen auf Erkan richteten.

»Irgendwie dumm gelaufen. Ich muss mir was anderes einfallen lassen. Es sei denn, alle stehen geschlossen hinter mir. Ich frag mich nämlich, ob es das Leben dieses kleinen Jungen nicht wert ist, hier rauszufliegen.«

»Aber wenn die nun schon alles abgewickelt haben… Vielleicht ist Tobias ja schon längst wieder zu Hause.«

Nico sah Stefan an. »Ich werd das gleich raushaben«, sagte er und zückte sein Handy, während sich die Gruppe auf den Weg zum duschen begab.

»Zweimal am Tag unters Wasser… ist gar nicht so gesund«, maulte Mirko unterwegs.

»Mann, sei froh, andere duschen einmal im Monat… Auch nicht das Wahre.«

Mirko rümpfte die Nase. »Bäh.«

»Und, hast was rausgefunden?«, fragte Erkan während sie sich im Unkleideraum auszogen.

»Nur das was Gestern schon drin stand. Wenn der Junge frei wäre, dann würde das überall stehen, der Fall hat nämlich inzwischen bundesweit Aufsehen erregt.«

»Also wird er noch immer irgendwo festgehalten…«

»Bestimmt. Aber ich denk, Stein hat Recht. Wir können gar nichts machen, selbst wenn wir wollten.«

»Nico, dieser Schneider ist ´ne Schlüsselfigur. Der und Rademann. Das Fahrrad… die Tasche des Jungen mit den Spielsachen. Irgendwo müssen die das Zeug doch versteckt haben.«

»Erkan, der Wald ist riesig hier und wenn es noch so ein paar Verstecke gibt wie diese Grube da oben, wo willst denn da suchen?«
Ohne es eigentlich zu wollen stiegen Erkan und Nico unter eine Dusche, es wäre viel zu auffällig gewesen wenn sie sich hier lautstark unterhalten hätten. Der Gefahr, dass all ihr Tun beobachtet werden könnte, wollten sie sich nicht aussetzen. Stefan schloss sich ihnen kurzerhand an, auch wenn es damit mehr als eng in der Duschkabine wurde.

»Stefan, wo würdest du ein Fahrrad verschwinden lassen – zum Beispiel?«

»Notfalls eingraben. So ein Kinderfahrrad ist ja kein Panzer.«

Damit erübrigten sich andere Fragen, denn wenn diese Lösung gewählt wurde gab es tatsächlich keine Chance.

»Aber es stimmt, wir müssen unbedingt ein Auge auf diesen Schneider haben. Denkt dran, nachher Alexander unsere Handynummern zu geben. Der kriegt am ehesten mit was hier läuft.«

Erkan donnerte seine Hand auf Stefans Rücken, dass es nur so klatschte. »Klasse Idee, wirklich.«

»Hey, aber deswegen musst du mich nicht in der Mitte auseinander hauen.«

»Ähm… ich will ja nix sagen, aber drei Jungs unter einer Dusche… noch dazu wenn das zwei schwule Typen und ein Bi sind«, stellte Nico amüsiert fest.

Erkan grinste schelmisch, dann kniff er gleichzeitig in Nicos und Stefans Brustwarzen. »Jau, da könnt man schlimme Gedanken kriegen.«
Wenig später war eine gehörige Wasserschlacht im Gange, in die sich auch die anderen einmischten und die nur durch den einsetzenden Hunger der Jungen beendet wurde.

Für eine Überraschung sorgte Bernd während dem Mittagessen. Fast, als würde er mit seinem Teller reden, kündigte er in ruhigem Ton an, das Camp verlassen zu wollen.

Klaus ließ die Gabel fallen. »Was sagst du da? Bernd, mach das nicht. Und vor allem – warum? Du kannst danach deine Lehre weitermachen… Aber wenn du jetzt abbrichst kannst das voll vergessen.«

Auch die anderen kapierten nun, um was es bei dem leisen Gespräch zwischen den beiden ging.

»Hab keinen Bock mehr. Wandern, Joggen, Bretter rausreißen… und dann dieses Affentheater überhaupt. Ich werd schon was finden, irgendwie.«

Nico rührte in seinem Essen. »Bernd, tu das bitte nicht. Das hier wird sich schon klären und an alles andere kann man sich doch gewöhnen.«

»Ich nicht, Nico. Ist eben nicht meine Welt. Sorry.« Damit warf er seine Gabel auf den Teller, um an den Tisch der Betreuer zu gehen. Offenbar war seine Entscheidung schon früher gefallen. Nico hatte schon vorher irgendwie den Eindruck gehabt, dass sich Bernd weitgehend aus allem herausgehalten hatte. Nun schien es, dass es kein Zurück für ihn gab.

»Schade, er war zwar ein bisschen ruhig, aber angenehm. Diese Gruppe… Mal sehen wer in den drei Wochen überhaupt noch übrig ist«, sagte Klaus und beobachtete mit den anderen zusammen, wie Bernd mit Stein redete. Dessen Blick verfinsterte sich zusehends und er redete ziemlich aufgeregt auf Bernd ein. Aber von dem kam nur ein entschlossenes Kopfschütteln.

Nach fünf Minuten kehrte er zu seinem Platz zurück. »So, ist amtlich. Heut Mittag fährt mich Meier zum Bahnhof. Macht euch keinen Kopf wegen mir und im Übrigen drück ich euch die Daumen, dass ihr da was in die Gänge kriegt. Wir sehen uns noch.«
Mit diesen Worten stand er auf und steuerte auf die Küche zu, um sich auch von Alexander zu verabschieden.

»Tja, dann lasst uns mal Bestandsaufnahme machen«, sagte Erkan trocken und deutete mit dem Zeigefinger auf jeden der Jungen. »Nico, Mirko, Stefan, Klaus, Lutz und meine Wenigkeit… Nicht grad die Riesentruppe die da übrig geblieben ist.« Er betrachtete jeden mit einem merkwürdig scharfen Blick. »Wer ist nun wohl der nächste? Wollen wir ´ne Wette abschließen?«

Nico schüttelte den Kopf. »Ha, ha. Dann darfst du gleich mal anfangen.«

Erkan zwinkerte ihm zu. »Hm, vielleicht… wir alle?« Dann grinste er frech und breit.

»Ja, das haut vielleicht hin«, antwortete Klaus, »wir müssen ihnen nur noch ´nen Grund liefern.«

Die anderen verstanden sofort und nun schien es besiegelt zu sein. Keiner der Jungen hatte Einwände, keiner versuchte die Planung, wie immer sie nun auch aussehen würde, in Zweifel zu ziehen.

Plötzlich stand Stein an ihrem Tisch. »Also, ihr habt es ja mitgekriegt, Bernd wird uns noch heute verlassen. Ich sag’s ja ungern, aber das ist jedes Mal mit einem ungeheuren Schreibkram verbunden der mir beziehungsweise uns Betreuern ´ne Menge Arbeit beschert. Sollte nun also noch einer von euch mit dem Gedanken spielen, lieber in den Knast zu wandern oder andere dergleichen Sachen zu bevorzugen, dann möge er das bitte jetzt sagen. Leo Meier braucht dann nicht ständig hin- und her zu fahren.« Steins Stimme verhieß nichts Gutes, er meinte es ernst und er wollte offenbar, dass es genauso verstanden wurde. Aber keiner der Jungen schien mit so einem Gedanken zu spielen. Entweder sie hatten sich schon völlig darauf eingeschossen die Merkwürdigkeiten hier aufzuklären oder sie wollten tatsächlich nicht das Leben in freier Natur mit dem Knast tauschen. Nico konnte es egal sein, wichtig war, dass der Rest blieb. Und wenn es zu einem Rausschmiss kam musste er die Wette mit Erkan teilen: Dann nämlich würden sie alle gehen.

»Herr Stein, so wie es aussieht will sonst keiner diesen gemütlichen Ort verlassen. Aber was alle trotzdem gerne wissen wollten: Was gibt’s denn nun in Sachen Webcam? Man hört so gar nichts mehr… Und Stefans Unterwäsche ist auch noch nicht wieder aufgetaucht. Gibt’s da etwas Neues?«

Nico bekam kurz eine Gänsehaut. Erkans Fragen waren vom ersten bis zum letzen Satz nichts als der reinste Vorwurf, was allein schon seine Stimmlage deutlich machte. Nico beobachtete Steins Gesichtszüge. Wenn er jetzt zu lange mit einer Antwort brauchen würde…

Stein drehte einen Stuhl an ihrem Tisch um und setzte sich, lässig die Arme auf die Lehne gestützt. »Also, wie ihr wisst haben wir eine Falle aufgestellt, nebenan im Putzraum. Aber es ist niemand mehr dort erschienen, die ganze Zeit nicht.«

»Gibt es deshalb einen Grund, warum man nicht weiter nach dem Übeltäter sucht? Ich mein, von alleine kann sich die Webcam ja nicht dort oben versteckt haben«, warf Stefan ein, den die Sache mit seiner Unterwäsche jetzt wieder aufzuregen begann.

»Wir haben alles mögliche getan, glaubt mir. Es gibt nicht die geringste Spur.«

»Und was ist mit Jörg Schneider?«
Steins Blick wurde einen Moment lang unsicher. »Schneider… was hat… wie kommt ihr denn auf den?«

»Wir wissen dass er hier Betreuer war und wir wissen auch warum er geflogen ist. Fragen Sie nicht woher, es ist jedenfalls Tatsache. Und so langsam sind wir diese Heimlichtuereien satt. Wir werden die Sache selbst…«, versuchte Erkan seinen und den Standpunkt der anderen zu verdeutlichen.

Stein hob die Hände. »Nichts werdet ihr, ich hab es glaub ich ziemlich deutlich gesagt.«

»Wissen Sie, es ist nämlich auch so, dass keiner von uns das geringste Interesse daran hat, Abends erst mal fremdes Sperma vom Schlafsack zu putzen.«

Nico hob den Daumen in seiner Hand. Das müsste ein Volltreffer gewesen sein.

»Was meinst du damit, Erkan?« Steins Frage klang ehrlich, er wusste davon ja nichts, eigentlich.

»Na, so wie ich es sage. Da wichst einer in die Zelte wenn wir nicht da sind. Und der Geier weiß, was der sich noch alles einfallen lässt.«

Stein schluckte, seine braune Gesichtsfarbe wurde ein Tick blasser. »Was sagst du da? Wann und wo….«

»Spielt das eine Rolle? Vielleicht sollten wir einfach jetzt mal rübergehen und nachsehen. Immerhin möglich dass der Kerl inzwischen wieder dort war.«

»Das ist allerdings…«

»Und dann dieser Schneider. Sie meinten, es ginge uns nichts an warum er gehen musste. Aber nachdem wir den Grund wissen, wird die Sache etwas delikat, finden Sie nicht auch? Ich glaub in manchen Dingen nämlich nicht an Zufälle. Und das hier wäre ein ziemlich riesiger.«

Erkans Stimme zeugte von wilder Entschlossenheit und seine Absicht war klar. Er begann, Stein in die Enge zu treiben. Stück für Stück musste er wissen um was es hier ging.

Der Betreuer stand auf, drehte den Stuhl wieder um nahm seine fast schon berühmte, militärische Haltung ein. Aufrecht, sicher und bestimmend, so stand er vor dem Tisch. »Gut. Wir können folgenden Deal ausmachen: Einer von euch wird von nun an immer bei den Zelten bleiben, Rick wird auch dabei sein. Wechselt euch ab, wie ihr das macht ist mir egal. Irgendwann werden diese Dinge aufhören wenn derjenige merkt dass er keine Chance mehr hat.«

Diesen Vorschlag zur Genüge fanden die Jungs akzeptabel. Zwar war es nicht der große Knaller, aber immerhin würden sie dem Spanner sein weiteres Umtreiben versauen.

Erkan scharte die Jungen um sich, nachdem sie am Camp angekommen waren. »Schön. Der Stein hat uns ein Stück von der Leine gelassen und wir sollten das nutzen. Gehen wir davon aus, dass er nichts damit zu tun hat und somit niemanden warnen kann, stehen die Chancen dieses Schwein zu kriegen gar nicht mal schlecht. Rick wird uns allerdings nur nützen, wenn es ein Fremder ist. Schneider ist nicht fremd, Rademann auch nicht. Also müssen wir uns wahrscheinlich so ziemlich auf uns selbst verlassen.«

»Und wenn Stein doch dahintersteckt werden wir auf der Lauer verschimmeln, weil keiner kommt«, gab Stefan zu bedenken.

»Dieses Risiko müssen wir eben eingehen. Trotz allem darf der Rest halt nicht schlafen. Augen auf sag ich nur. Nico, kannst du mal nachforschen was mit dem Tobias ist?«

»Kann ich, ja. Aber was nutzt uns das… Stein wirft uns raus wenn er mitkriegt…«

»Blabla, was soll er mitkriegen? Dass du mit deinem Handy im Internet surfst?«

»Nein, aber er hat uns wenigstens den kleinen Finger gegeben und nun greifen wir irgendwie nach der ganzen Hand…«

»Genau, Nico. Halbschwanger geht nun mal nicht und in der Situation sind wir. Also, was ist?«

»Okay, ich geh nachschauen«, erwiderte Nico etwas unwillig, dennoch hatte Erkan am Ende Recht. Man musste einfach davon ausgehen dass das alles zusammenhing und es nicht viel nutzen würde, wenn sie hier nur den Wichser und Unterwäschedieb dingsfest machen würden.

Bernd hatte sich aus diesen Gesprächen herausgehalten und währenddessen seine Sachen gepackt.

»Na, jetzt lässt du mich allein da hausen.«

»Tut mir leid, Klaus, aber ich kann und ich will nicht länger hier bleiben. Dennoch, ich drück euch die Daumen, was immer ihr jetzt auch ausheckt. Ich würde schon gern mitmachen, aber… es ist nicht mein Ding irgendwie. Lieber freiwillig gehen als rausgeschmissen werden. Beides ist schon blöd, aber so kann man mir nicht noch was zusätzlich anhängen.«

»Daran solls liegen? Nicht wirklich, oder? Wie hast du neulich abends mal gesagt? Wenn ich so einen Typ erwischen würde… so Typen die kleinen Jungs was antun…«

Bernd blickte ernst. »Das ist es, Klaus. Angenommen wir könnten da was ausrichten und ich bekäme den unter die Finger… Ich glaub niemand könnte mich vor einer Riesendummheit bewahren. Ich kenne mich. Es ist besser ich komm gar nicht erst in die Verlegenheit.«

Klaus nickte und half ihm, seinen Schlafsack zusammenzurollen.

Nico rief Erkan und Stefan zu sich. »Also ich hab nichts Neues erfahren wegen Tobias. Mittlerweile schreibt aber auch schon die Boulevardpresse von dem Fall. Das Übliche halt… Aber der Kleine ist immer noch nicht frei.«

»Schlecht, sehr schlecht. Woran hängt das denn nur?«

»Vielleicht schreiben sie auch nicht was wirklich los ist, Erkan.«

Bernds Abschied verlief im wesentlichen Gefühlsbetonter als der Raffaels. Man kannte sich etwas länger und Bernd war ohne Zweifel ein Mensch den man gern um sich hatte. Schnell verließ er nach der Zeremonie das Camp in Richtung Hauptgebäude und versuchte trotz allem, seine Gefühle dabei nicht zu zeigen.

»Hm, jetzt ist wieder einer alleine im Zelt. Bald langt ein großes und…«

»Erkan, es reicht. Niemand geht mehr jetzt, höchstens wir alle«, grummelte Nico.

»Verdammt aber auch.«

»Beruhige dich. Wir sind zu sechst und es gibt keinen Grund jetzt den Kopf in den Sand zu stecken.«

Mirko und Klaus standen etwas abseits und diskutierten. »Also ich für meinen Teil kann schon alleine bleiben.«

»Ich auch. Ist mehr Platz.«

»Aha, keine Zusammenlegung?«, erfasste Nico die Situation und gesellte sich zu den beiden…

»Nee, keine. Aber wir denken das ist keine Katastrophe.«

»Gut, eure Sache. Ich denke wir sollten jetzt mal zusehen wie wir die Sache angehen. Ich schlage vor dass wir eine Art Wachdienst einteilen. Was haltet ihr von einer Ablösung alle zwei Stunden?«

Allgemeines nicken machte eine Abstimmung über Nicos Vorschlag überflüssig. Er holte einen Block aus seinem Zelt und schrieb die Namen auf, dahinter die Uhrzeiten. »Geht ja genau auf. Vier Wachen während des Tages, damit ist jeder nur alle zwei Tage einmal dran… bis wir Erfolg haben.«

»Hm, schön und gut«, warf Klaus ein, »aber was ist Nachts? Ich mein, wenn er rauskriegt, dass wir Tagsüber aufpassen…?«

»Ach Klausi, ich denke nicht dass der das wagt.«

»Niemand nennt mich Klausi«, beschwerte er sich bei Erkan, nicht ohne ein verlegenes Grinsen.»Aber könnten wir ihm nicht… so eine Art Falle stellen?«

»Und wie sieht deine Falle aus?«

»Ein Wäscheseil. Zwischen zwei Bäume und jeder hängt da ´nen Slip von sich auf…«

Nico prustete los, Stefan und Mirko ebenfalls.

Nur Erkan stimmte nicht mit ein. »So ganz verkehrt ist es aber nicht.«

»Ja Klasse. Sollen wir dann auch noch nachts Wache schieben? Darauf hab ich aber keinen Bock«, mokierte sich Mirko.

»Stimmt. Das können wir kaum leisten, aber lasst mich trotzdem darüber nachdenken«, beendete Erkan die Diskussion. »Denkt dran, eure schmutzige Wäsche zusammenzupacken, Leo sammelt sie ja heute ein. Und achtet drauf was ihr reinsteckt… besonders Unterwäsche. Am Ende haben wir nämlich keine mehr…«

Wäre es nicht so ernst gewesen, hätten die Jungen sicher darüber gelacht, aber nun nickten sie nur zustimmend.

Den Rest des Nachmittags verbrachten sie damit, das Innenleben der Zelte einigermaßen in Ordnung zu bringen und dicht gewordenes Gestrüpp um den Platz und ihren Zelten zu entfernen.

Außerdem zog Erkan bei Lutz ein. Gemeinsam bauten sie sein Zelt ab.

»Ich hoffe ja nur, dass du nicht schnarchst«, bemerkte Lutz dabei.

»Nun, das wirst du schnell heraus haben. Bis jetzt allerdings hat sich noch keiner bei mir beschwert.«

»Keiner?«, hakte Lutz mit nachdenklichem Gesicht nach.

Erkan grinste nur. »Komm, wir haben noch zu tun.«

»Wenn wir uns jetzt schon so häuslich einrichten, ich denke das mit dem Doppelbett können wir beibehalten«, bemerkte Stefan und verstaute herumfliegende Kleidungstücke am Kopfende.

»Jep, gute Idee. Die da draußen wissen Bescheid und jeden Abend das Prozedere…«

»Jeden Abend, das klingt aber schwer nach Entzug.«

»Ah, du nicht?«, lachte Nico und kniff Stefan in den Hintern, den er ihm, wenn auch nicht absichtlich aber dennoch verlockend, entgegenstreckte.

»Hey, das gilt nicht«, rief Stefan und zuckte zusammen.

»Und ob das gilt. Ich denke es ist an der Zeit, einige Besitztümer zu klären.«

»Besitztümer? An mir?«

»Und umgekehrt. Ich werd mal ´ne Liste machen von deinen Körperteilen, die ich mir in dem Zusammenhang…«

»….was du gerne als Besitz hättest ist aber nicht zu verkaufen. Nur zu leihen. Und auch nur dann, wenn der Besitzer das will beziehungsweise wenn er Lust dazu hat«, unterbrach ihn Stefan.

»Aha. Leihen also.«

»Genau. Kein Besitzrecht.«

Nico warf sich auf den Rücken seines Freundes und beide landeten auf dem ausgebreiteten Schlafsack. »Na gut, aber ich weiß nicht ob ich immer erst fragen will ob mir mein Freund etwas leihen möchte«, flüsterte er Stefan ins Ohr und streichelte seinen Hals.

»Nico… lass das… du machst mich… man kann ja nicht vernünftig arbeiten.«

»Was hältst denn von ´ner kleinen Pause?«

»Nico, spinnst du? Jetzt doch nicht…«

»Ah, keine Lust?«

»Doch, aber…«

Nico ließ von ihm ab, drehte sich um und sah aus dem Zelt. Offenbar hatten die anderen die Idee mit einem Päuschen auch, es war keiner zu sehen und zu hören. Langsam zog er den Reißverschluss des Zeltes zu.

Stimmen und Geräusche drangen nach einiger Zeit in das Zelt, offenbar war die Pause der anderen beendet.

Stefan ließ sich von Nico herunterrollen. »Also eigentlich war jetzt gar keine Öffnungszeit im Leihamt…«

»Ja klar. Sind das nicht Beamte die dort Dienst tun?«, flüsterte Nico noch leicht benommen.

Stefan kitzelte ihn mit dem Zeigefinger an der Nasenspitze. »Und was möchtest du damit sagen? Dass Beamte faul und Arbeitsscheu sind? Das will ich in dem Falle aber überhört haben. Oder willst du behaupten, dass eins von den beiden Eigenschaften in der letzten halben Stunde zugetroffen hat?«

Nico grinste frech. »Nun ja, auch über die Qualität der Arbeit lässt sich noch vorzüglich diskutieren…« Er jammerte auf, als ihm Stefan jetzt in die Nase kniff.

»Das werd ich mir merken, du….«

Rasch zog Nico Stefans Kopf an seinen und erstickte jedes weitere Wort in einem innigen, liebevollen Kuss.

»Ist da drinnen alles okay oder sind die Bewohner gar nicht da?«

»Erkan. Er ist ja ganz lieb, aber manchmal…«, flüsterte Nico und rief dann nach draußen: »Ja, es ist alles okay und ja, die Bewohner sind zu Hause.«

»Schön. Was immer ihr auch treibt oder getrieben habt, ich möcht gern mit euch reden, falls es genehm ist.«

Nico zog den Reißverschluss auf. »Es ist nun genehm. Wir kommen.«

Mirko, Klaus und Lutz saßen auf dem Baumstamm im Camp und rauchten. Sie hatten inzwischen ihre Parkas angezogen.

»Das große Frieren Teil eins hat begonnen«, grummelte Klaus und zog tief an der Zigarette, unterstützt vom zustimmend nickenden Mirko.

»Ach Leute, es sind hier im September schon Eisbären erfroren, schon gehört?«

»Mir ist unverständlich, wieso ein Südländer wie du hier nicht umkommt«, erwiderte Mirko Erkans bissige Bemerkung.

»Das nennt man Anpassung, mein Lieber. Okay, kommen wir zu wichtigeren Dingen. Ich hab mir alles noch mal genau überlegt. Ohne das Camp zu verlassen haben wir gar keine Chance und das bedeutet, dass wir einen Rausschmiss riskieren. Wenn wir also etwas unternehmen – nur noch mal abschließend – dann alle zusammen mit eben diesem Risiko. Wer jetzt noch abspringen möchte, ich bin keinem böse.«
Erkan hoffte, dass sich keiner melden würde, aber nun war er hundertprozentig sicher. »Wenn Aktionen laufen, dann eh bei Nacht. Ich glaub nicht, dass unsere lieben Herren Betreuer dann ein Auge auf uns hier haben.«

Klaus fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. »Bei Nacht… Gut und schön. Aber Nachts isses dunkel, auch hier in dieser Gegend.«

»Nico, was sagst du dazu?«

»Nun gut. Ich hab heut Mittag auch nach dem Wetter geguckt im Internet. Es wird etwas kälter, okay, aber dafür keine Wolken und der Mond nimmt weiter zu. In drei Tagen ist Vollmond und dann kann man mitten in der Nacht Zeitung lesen.«

»Lutz hat noch die Lampe..«

»… ohne Batterien, Erkan«, unterbrach er.

»Hm, stimmt ja. Also es muss auch ohne gehen. Dabei fällt mir ein… Dass mir keiner sein Handy vergisst. Jeder nimmt seins morgen früh mit zum laden, im Schuppen gibt’s ´ne Mehrfachsteckdose. Und nach Möglichkeit nicht alle auf einmal da reinlatschen, man muss es nicht herausfordern. Und Lutz, ich nehme an, dass du auch noch das Fernglas hast.«

»Jep, hab noch alles, auch die Karte. Und übrigens – das ist ein Nachtglas.«

Erkan nickte befriedigt. »Um so besser.«

»Vielleicht erfahren wir ja nun noch was du eigentlich vorhast«, drängelte Mirko.

»Ja. Es ist wohl alles etwas vage, aber ich denke wir sollten keine noch so kleine Chance auslassen. Wir müssen uns aufteilen, alle zusammen macht keinen Sinn. Also hört mal zu…«

Kein Lüftchen regte sich, keine störenden Geräusche umgaben die Jungen und so war es, nicht weit weg im Schutze der dichten Büsche ein Leichtes, die Gespräche ohne Probleme mit anzuhören. Neugierig verfolgten zwei Ohren- und Augenpaare das Geschehen auf dem kleinen Platz im Camp.

Das Abendessen ging fast schweigend über die Bühne. Nico schielte ab und zu an den Tisch der Betreuer, denn dass die Jungen praktisch nichts redeten war mit Sicherheit höchstverdächtig. Aber Stein und Co schienen es nicht zu registrieren, und wenn ließen sie sich zumindest nichts anmerken. Erkans Pläne schwirrten in ihren Köpfen und jeder hatte irgendwie einen Part. Diese Dinge beschäftigten jeden einzelnen und aufkommende Fragen konnten nun nicht einfach gestellt werden. Fest stand aber, dass es in jener kommenden Nacht losgehen sollte. Sie stimmten alle mit Erkan überein, dass zunächst nur nach Hinweisen gesucht werden sollte. Irgendwo musste es einfach Spuren geben, und schienen sie auch noch so unwichtig. Ob die Aufteilung in drei Zweiergruppen sinnvoll war musste sich noch herausstellen, klang aber erst einmal vernünftig. Gemäß der Abmachung sollte Klaus während der Zeit das Camp im Auge behalten, während Mirko nach Verdächtigem rund um das Hauptgebäude Ausschau halten sollte. Der einzige Unsicherheitsfaktor war Rick, denn der war ja hauptamtlicher Bewacher des Geländes. Unter Umständen konnte er ohne es zu wollen die Aktion gefährden. Aber Erkan wollte und musste dieses Risiko eingehen. »Lasst den Hund einfach Hund sein«, predigte er deshalb bei der Eröffnung seiner Pläne. »Ich denke, wenn er nicht gerade bellt wird das Ganze gar nicht bemerkt. Kaum zu erwarten dass einer der Betreuer Nachtwache hält.«

Rick lag unter dem Tisch zu Steins Füßen und seine Ohren spielten unablässig. Nico überlegte, ob der Husky Gedanken lesen konnte, verwarf diese Option dann aber lächelnd. Dennoch wünschte er sich, der Hund könnte in der Nacht bei ihnen sein.

Wider Erwarten eröffnete Stein, nachdem er wie meistens nach dem Essen an den Tisch der Jungen gekommen war, dass es an diesem Abend ein kleines Gruppenfest geben sollte. »Ihr seid zwar jeden Tag zusammen irgendwie, aber Gruppenfeiern haben den Charakter, euch noch ein bisschen näher zu bringen. Und da Ausnahmen die Regel bestätigen und das Ganze schließlich etwas tröge wäre, gibt’s für jeden heute Abend Bier. Nicht bis zum umfallen, aber wir sind schließlich auch keine Monster. Im Übrigen sind solche Abende Dienst, das heißt, ihr müsst daran teilnehmen. Unter den gebotenen Umständen aber denk ich, dass keiner fern bleiben möchte.«

Verhaltener Applaus füllte den Speiseraum, Erkan war kurz davor, grün zu werden im Gesicht. Er neigte seinen Kopf zu Nico. »Ich glaube, die ahnen was, todsicher. Wenn das nämlich Zufall ist, fresse ich ´nen Besen.«

Nico schlug zum Zeichen seiner gleichen Meinung die Augen auf und nieder. Es stimmte, das konnte kein Zufall sein.

»Es ist freilich Tradition, dass an solchen Gruppenaktivitäten auch die Betreuer teilnehmen. Nicht zur Kontrolle, sondern ebenfalls zum besseren Kennlernen.«

Das saß. Wenn alle versammelt waren, machte es überhaupt keinen Sinn auf Pirsch zu gehen. Nico stieß Stefan in die Seite und erntete einen ziemlich enttäuschten Blick, der denen der anderen Jungen in nichts nachstand.

»Dann eben morgen Nacht«, flüsterte Erkan Nico zornig zu.

»Damit ihr nicht darben müsst, gibt’s auch was zu Knabbern«, hellte Alexander die Stimmung auf. Irgendwie hatte der Junge die Gabe, immer in dem Augenblick tätig zu werden, wenn die Stimmung gegen Nullpunkt sank. Wiederum Beifall, darunter auch ein paar zustimmende Rufe.

»Okay, wir werden uns um Sieben an der Feuerstelle treffen. Ich schlage ein richtig gemütliches Feuerchen vor und ihr wisst ja, was da zu tun ist.«

Klar wussten sie es. Holz sammeln, anzünden, gemütlich machen. Trotz allem begann sich die Stimmung der Jungs langsam aufzuhellen. Der Gedanke, endlich ein paar Stunden nicht daran denken zu müssen warum sie hier waren und vielleicht auch die unliebsamen Ereignisse zumindest in den Hintergrund zu stellen, ließ sie später mit einigem Eifer nach Holz suchen.

»Hmjam, ein Bierchen oder zwei… drei… Schon nicht verkehrt«, meinte dann auch Klaus, als er sein gesammeltes Holz in die noch kalte Feuerstelle warf. »Wenn da jetzt noch ein paar Dorfweiber zugegen wären… man könnt sich glatt dran gewöhnen.«

»Au ja, das wär’s. Haben ja auch noch´n kuscheliges Plätzen frei im Zelt…«, ergänzte Mirko

Nico und Stefan sahen sich grinsend an, was von Erkan sofort bemerkt und interpretiert wurde. »Da seid ihr ja ziemlich aus dem Schneider… Weiß grad nicht ob ich euch beneiden soll.«

»Ach, du Türke. Klar dass du das nicht weißt…, aber ich sag’s dir: Du bist tierisch neidisch, gib’s einfach zu.«

»Nichts geb ich zu«, grinste er zurück und tat, als würde ihn das Thema nicht weiter interessieren, in dem er das Holz in der Feuerstelle gleichmäßig zu verteilen begann.

»Wo bleibt eigentlich der versprochene Alk?«

»Kommt noch, Mirko. Alexander wäre schließlich der Letzte, der uns hier im Stich lässt.«

Kaum hatte es Lutz ausgesprochen, sahen sie im letzten Dämmerlicht Alexander mit einem ziemlich klapprigen Leiterwagen hinter sich herziehend auf sich zukommen.

»Na bitte. Wenn man vom Teufel… ähm… vom Engel spricht…«

Alexanders Ankunft wurde wiederum mit Beifall und Rufen begrüßt. Spontan stiefelte Erkan auf ihn zu, legte freundschaftlich seinen Arm um die Schulter und half ihm, den Wagen zu ziehen. Neugierig schielte er auf die Ladefläche des Antiquaren Gefährts. »Aha, das stimmt einen doch richtig fröhlich, Alex. Du bleibst doch auch?«

»Klar muss ich bleiben. Das Festchen ist für alle hier.«

Währenddessen hatten Nico und Klaus das Feuer an verschiedenen Stellen angezündet. Dank längerer Trockenheit breiteten sich die Flammen schnell aus und hüllten die nähere Umgebung in wohlige Wärme. Als wären sie davon angelockt worden, tauchten dann auch Falk Stein, Rainer Bode, Leo Meier und schließlich als Letzter im Gespann Charles Rademann auf. Ein nacheinander folgendes „Hallo“ wurde von den Jungen erwidert, kurz darauf ließen sich die Betreuer verstreut auf den Baumstämmen rings um die Feuerstelle nieder. Zwar sah das fürchterlich geplant aus, aber die Gruppe nahm gelassen hin, dass fast immer einer der Betreuer zwischen ihnen saß und somit vertrauliche Gespräche untereinander kaum möglich waren. Es war im Grunde auch nicht nötig, denn dieser Abend sollte ja mehr oder weniger vergnüglich werden.
Alexander übernahm die Funktion eines Kellners, völlig freiwillig wie er versicherte, und teilte jedem eine Flasche Bier aus. Es hatte wie nicht anders zu erwarten war die richtige Temperatur und sehr lange dauerte es nicht, bis die erste Flaschen leer waren. Ein richtiges Gespräch kam nicht in Gang, aber darauf schien eigentlich jeder zu warten. Die Frage war eben nur, wer mit was anfing.

»Aber wenn wir jetzt gleich „Im Frühtau zu Berge“ anstimmen müssen, werd ich etwas knatschig«, gab dann Mirko von sich. Er tat das ungeniert laut, so dass es jeder verstehen konnte und erntete von jedem ein ziemlich breites Grinsen. Nico hatte sich sehr eng an Stefan gedrängt und beide sahen darin kein Problem. Rechts von ihnen saß Rainer Bode, links hatte sich Stein seinen Platz gesucht. Rademann saß ihnen gegenüber und durch die jetzt hohen, lodernden Flammen praktisch nicht sichtbar. Einen Schwulenhasser gab es in der Gruppe nicht mehr und offenbar hatten sich die anderen mittlerweile so an die beiden Freunde gewöhnt, dass es bereits nicht mehr auffiel wenn sie sich einmal näher kamen. Einzig Erkans Blick verriet ein wenig Neid, wenn auch nur sehr verhalten.
Nico beobachtete die Betreuer, aber irgendwie schien ihm, dass da keine richtige Stimmung aufkommen würde. Er fand es schade, im Grunde hatte er sich diesen Abend etwas anders vorgestellt. Was war Schuld daran? Musste man das bereits als offenes Misstrauen werten? Wussten die doch, was an diesem Abend beziehungsweise in der Nacht laufen sollte? Denkbar, durchaus. Woher sie es wussten war nicht ganz klar, aber unmöglich natürlich nicht. Die Sekunde, in der Nico an einen Maulwurf in der Gruppe dachte, verwarf er so schnell wie sie gekommen war.
»Stefan, du sollst mich jetzt nicht verrückt machen«, sagte er plötzlich.

Sein Freund sah ihn mit großen Augen an. »Hä?«

»Lass doch deine Finger da hinten weg«, fauchte Nico mit einem diabolischen Grinsen im Gesicht.

Spontan hielt Stefan seine Arme über den Kopf. »Wenn du kein Bier verträgst, dann lass es«, flüsterte er süffisant, »ich hab meine Krallen jedenfalls bei mir.«

Erschrocken drehte sich Nico um und seufzte. »Oh, könnt es sein dass Rick… auch Männer liebt?«, lachte er und fuhr dem Hund, der Grund für diese irrtümliche Annahme war, durchs Fell.

»Aha, aber immer bin ich’s«, tuckte Stefan künstlich.

Nico lehnte seinen Kopf auf Stefans Brust. »Nein mein Schatz, nicht immer. Aber meistens…« Ihm war nach einem Kuss. Einem zärtlichen, langen Zungenkuss und ihm war nach Berührung. Er fieberte förmlich nach jedem Quadratmillimeter Haut seines Freundes. Die enthemmende Wirkung des Alkohols steuerte nicht gerade zur Vernunft bei. Aber schließlich gab er sich damit zufrieden, seinen Kopf auf der Brust angelehnt zu lassen und seine Hand in Stefans Hemd zu schieben. »Hilft gegen kalte Finger«, versuchte er die doch ungewöhnliche Berührung zu rechtfertigen.

Stefan sagte nichts, legte seinen Arm um Nico und lehnte seinen Kopf auf dessen strubbelige Haare.

»Also, irgendwie ist das ein müder Verein«, unterbrach Rainer Bode die nur vom Prasseln des Feuers gestörte Ruhe. »Seid ihr Bettreif oder was ist los?«, versuchte er anscheinend, ein Gespräch in Gang zu bringen. Fast ungläubige Blicke waren die momentane Reaktion, worauf er resigniert die Schultern hochzog. »Na gut, dann wenigstens mal ein Prost in die Runde«, rief er anschließend und hob seine Flasche in die Luft. Die anderen taten es ihm nach, prosteten ihm zu und ließen das Bier durch ihre Kehlen hinabrauschen.

Nach einigen weiteren Schweigeminuten räusperte sich Stein plötzlich. »Also, ich denk ich kenn den Grund eurer Nachdenklichkeit. Darum kurz ein paar Worte zu all den Dingen hier, die euch offenbar suspekt vorkommen und irgendwie auch meine Stimmung beeinflussen.«

Sofort horchte jeder in der Gruppe auf, lediglich die Betreuer reagierten kaum. Nico vermutete, dass diese Ansprache nicht ganz so spontan stattfand wie das jetzt aussehen sollte. Aber es war egal, Stein wollte etwas sagen zu den Vorgängen und das war immerhin schon etwas.

»Ich kann natürlich nur wiederholen, was ich eh schon gesagt habe und was somit eigentlich jeder weiß. Wir haben in Sachen Kleiderdieb, dem… Zeltbeschmutzer und der Webcam keine Fortschritte gemacht, es ist uns nichts Verdächtiges aufgefallen. Natürlich bleiben wir dran an der Sache, aber so wie es aussieht….

»Zeltbeschmutzer…«, rief Erkan erregt. »Diese Sau wichst auf unsere Sachen und Sie reden von beschmutzen.«

»Beruhige dich. Ja, klar, so kann man’s auch sagen, aber…«

»Kann es sein, dass ihr die Sache etwas zu leicht nehmt? Herr Stein, so lange diese Dinge nicht aufgeklärt sind…«

Stein hob die Hand, zum Zeichen dass Erkan ruhig sein sollte. »Ich bin euch entgegen gekommen, das wisst ihr. Habe erlaubt, dass ständig jemand bei den Zelten sein darf um aufzupassen. Nur, wenn ich jetzt richtig zähle, sitzen alle gemütlich hier.«

Erkan hatte plötzlich das Gefühl, als ziehe ihm jemand ein Brett über den Kopf. Er stand auf. »Hieß es nicht, dass diese heimelige Gruppenfeier Dienst ist? Dienst für alle?«

Betretenes Schweigen breitete sich wie kalter Nebel um die Gruppe.

»Ja, das stimmt. Aber wenn IHR eure Aufgabe, die ihr euch im Übrigen selbst gestellt habt, nicht ernst nehmt? Ich hätte erwartet dass einer kommt und wenigstens fragt was mit der Wache passieren soll. Also bitte keinen solch haltlosen Vorwurf.«

Nico überzog eine Gänsehaut. Stein hatte Recht, in jedem Punkt. Das war nicht gut, überhaupt nicht. Somit musste Stein und auch die anderen Betreuer schließlich denken, dass sie weiter nichts als meutern würden, ohne wirklich ernsten Hintergrund. Die Situation war im Augenblick weiter nichts als oberpeinlich. Vor allem aber, wie sollten sie jetzt auf diesen berechtigten Vorwurf reagieren? Jetzt und in Zukunft? Sie waren dabei, es sich selbst zu vermasseln und es musste sofort geklärt werden.
Erkan hatte sich wieder gesetzt, dem was Stein ihm gesagt hatte gab es nichts entgegenzusetzen. Schlimmer als alles aber war, dass die Betreuer nun davon ausgehen mussten, dass man den Schuldigen in ihren eigenen Reihen suchte. Denn wenn die alle schön hier versammelt waren, brauchte man ja gar nicht auf die Zelte aufzupassen. Auch wenn sie so nicht dachten, Nico spürte dass etwas geschehen musste. »Also ich denke das war einfach Schlamperei von uns. Niemand dachte an die Wache als es hieß, es findet ein Gruppenabend statt.« Zwar wollte er noch mehr sagen, beließ es aber zunächst bei dieser Form der Entschuldigung.

»Nico, ich hab nichts anderes vermutet, wahrscheinlich wäre es uns hier genauso gegangen. Aber das ändert letztlich nichts an der Tatsache, dass ihr nicht mitgedacht habt.«

Verdutzt sahen sich die Jungen an. Worauf wollte Stein hinaus?

»Ums klar auszudrücken – angenommen euer Arbeitgeber trägt euch was auf, egal was. Und diese Arbeit ist sehr wichtig für die Firma. Dann kommt der Chef mittendrin und lädt euch zu einem Umtrunk ein, wie auch immer. Was macht ihr in dem Fall?« Stein ließ die Frage einfach im Raum stehen.

»Mittrinken, was sonst«, antwortete Mirko als erster.

»Jau. Müsste man erst mal so einen Chef haben«, belustigte sich Klaus, wobei ihm allgemeines Gelächter sicher war.

»Sonst noch ein Vorschlag? Nico, Stefan, Erkan?«

Die drei sahen sich an, zu einer vernünftigen Antwort kam keiner, obwohl praktisch feststand dass es eine geben musste. Stein war ein verwegener Hund, und nun kamen wieder seine psychologischen Fähigkeiten zum Vorschein. Nico gefiel diese Art, weil sie ernst und doch ungezwungen stattfand. Typisch Stein eben.

»Gut, ich werde es euch sagen. Der Chef hat euch die Aufgabe zugetragen, dass ihr einen unbeschrankten Bahnübergang sichern sollt.«

Die Augen der Jungen wurden riesengroß.

»Moment, so einfach kann man das nicht vergleichen«, warf Klaus sofort ein.

»Eben, da geht es ja wohl um Leben und Tod. Der Fall hier ist anders angesiedelt…«

Stein blieb völlig ruhig. »Sicher, Stefan?«

»Türlich…« Erkans weitere geplante Worte erstarben schlagartig und in dem Augenblick wo ihm klar wurde worauf Stein hinauswollte dämmerte es auch bei den anderen.

»Egal wie ich darüber denke, ihr selbst wart es doch die dem kleinen Tobias helfen wolltet, oder nicht?«

Stein sprach nur aus was sich die Jungen eh schon dachten, er hatte es ihnen nur noch einmal verdeutlicht.

Nico wurde unwohl, denn damit hatte er sie zum zweiten Mal innerhalb von Minuten erwischt.

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