Up and away – Teil 2

5.

Mein Vater erklärte dem Taxi-Fahrer also kurz und knapp wo wir hin mussten und schon ging es los.

Und zack – schon wieder wurde so ein altes Vorurteil bestätigt, nämlich dass Taxifahrer nicht gerade zurückhaltend fahren um es mal milde auszudrücken und wir hatten scheinbar genau den richtigen für diesen Job erwischt. Ich sah Sven nur kurz an, er sah mich nur kurz an und grinste dann nur noch „Na hoffentlich kommen wir da wieder heil raus …“

Soviel sei schon

mal vorweggenommen, wir kamen heil an. Es ging einmal quer durch die ganze Stadt wobei ich aus dem Staunen wirklich kaum noch heraus kam. Ich hatte noch nie so eine große und vor allem so eine imposante Stadt gesehen. Natürlich hatten wir uns mehr als nur informiert – Sven und ich hatten jeden Schnipsel Informationen über L.A. gesammelt und uns auf jede mögliche Art vorbereitet aber das hier war dann doch anders gewesen – es war die Realität und nicht irgendein Reiseprospekt.

Ich weiß nicht wie lange es dauerte, bis wir endlich da waren ob es nun eine halbe Stunde, eine Stunde oder zwei oder drei waren, ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Die ganze Stadt war einfach so … so riesig.

Wir kamen also in irgendeinem kleinen Vorort von L.A. an und ehe wir uns versahen hielt das Taxi schon an, mein Vater sah noch einmal kurz auf seine Karte dann in die Umgebung.

„Okay … wir sind da. Leute: Das da ist unser Haus.“

Ich sah in die Richtung, in die sein Arm zeigte und musste erst einmal kurz Luft schnappen – das sollte unser Haus sein? Das war kein Haus in dem Sinne wie ich mir ein Haus vorgestellt hatte, das war ein kleiner Palast.

So wie ich das von außen sehen konnte hatte es zwei Etagen und eine Grundfläche von mindestens … ich würde mal sagen … Okay, schätzen war nie meine Stärke gewesen es war auf jeden Fall sehr groß. Daneben ein kleiner Garten und zwei große Garagen. Es war eigentlich alles da, was man sich nur wünschen konnte – sogar der Basketballkorb, den man ja auch unzähligen Filmen kennt, hing vor der Garage. Ich weiß nicht wieso aber dieses kleine Teil brachte mich zum lachen und wenn ich mir Sven ansah, schien es ihm nicht anders zu gehen.

Während er kurz Luft holte meinte er nur „Hast du den Basketballkorb gesehen?“ Jetzt kam ich aus dem Lachen wirklich kaum raus, nickte nur wild mit dem Kopf und wir beide konnten einfach nicht mehr und lagen bald vor Lachen auf dem Boden. Meine Eltern guckten etwas verdutzt.

„Sagt mal Kinder, geht es euch gut?“, fragte meine Mutter.

„Ja, doch eigentlich schon“, lächelte ich, als ich schon wieder einigermaßen zur Ruhe gekommen war, „aber der Korb da hinten ist wirklich albern. Steht hier irgendwo eine Camera und hier läuft sowas wie ‚America live‘ oder was?“

Nun musste auch meine Mutter mitlachen. Als auch sie sich wieder gefangen hatte meinte mein Vater nur, ob wir den nicht auch langsam mal hineingehen wollten? Nun, das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen und meiner Mutter und meinem Bruder ging es scheinbar auch nicht anders denn die gingen jetzt auch schnellen Schrittes in Richtung Eingangstür.

Mein Vater hatte natürlich in seiner ihm eigenen Art die Haustürschlüssel wieder irgendwo in seinem Aktenkoffer vergraben und so dauerte es eine ganze Weile bis er soweit war uns die Tür zu öffnen. Während dieser Zeit ließ ich meinen Blick ein bisschen durch die Nachbarschaft schweifen, schließlich musste man sich ja vergewissern mit wem man es so zu tun hat.

Die Häuser links und rechts neben unserem schienen schon bezogen zu sein wogegen die weiteren direkt auf der anderen Straßenseite noch ziemlich kahl aussahen. Scheinbar war das ganze Viertel erst vor kurzem aus dem Boden gestampft worden und so verwunderte es kaum, dass noch alle mehr oder weniger im Begriffe des Einziehen waren. Das war sie also, unsere neue Nachbarschaft. Ich fragte mich, was wohl für Leute in den Häusern wohnten, ich fragte mich ob sie vielleicht Kinder in meinem Alter hatten und ob ich dort Freunde finden konnte. Vielleicht sogar den »einen Freund«. Aber ich kam gar nicht dazu all zu sehr darüber nachzudenken denn Paps hatte es tatsächlich geschafft und die Schlüssel gefunden.

Da standen wir also nun im Flur unseres neuen Hauses und staunten nicht schlecht – ich hätte es mir nicht besser erträumen können, das klassische amerikanische Filmhaus irgendwie. Küche direkt links zur Straße, das Wohnzimmer hinten durch, zwei Badezimmer direkt rechts und in der Mitte des Flures die Treppe nach oben und in den Keller.

„Welcome home“, meinte mein Vater mit einem breites Grinsen auf seinem Gesicht und meine Mutter schloss sich ihm an.

Die beiden hatten auch gut lachen, schließlich kannten sie das Haus – zumindestens auf dem Reißbrett – schon. Sven und mich hingegen hatten die beiden vollkommen im Dunkeln gelassen darüber was uns erwartete und dementsprechend überrascht waren wir beide gewesen.

Wir vier legten also erstmal unser Gepäck ab und sahen uns im unteren Stockwerk um. Mein Vater der die Hauptarbeit mit dem Architekten zusammen geleistet hatte begann schon munter uns die Küche zu zeigen. Da merkte man mal wieder, dass er drei Semester Architektur studiert hatte bevor er dann doch in den IT-Sektor gewechselt war. So ab und zu kamen bei ihm doch noch diese technischen Spezifikationen durch mit denen eigentlich niemand von uns etwas anfangen konnte aber wir mussten ihn ja schließlich auch mal ein bisschen mit seinem Wissen angeben lassen.

Als er aber merkte, dass wir ihn in der Hinsicht ein bisschen erzählen ließen und leise vor uns hin tuschelten erkannte auch er, dass er nicht drei potentielle Käufer vor sich hatte sondern seine Familie, der er ihr neues Haus zeigen sollte und so schaltete er auch erstaunlich schnell wieder auf den guten und lieben Familienvater um.

Die Küche selbst war wirklich so, wie man sich das ganze nur wünschen konnte : Einen großen Herd mitten im Raum, wie man das aus amerikanischen Küchen eigentlich häufiger kennt als aus Deutschland mit einem großen Esstisch in der hinteren Ecke und noch einigen anderen Annehmlichkeiten, wie Microwelle mit Grill, diversen Schränken und allem möglichen anderen Equipment.

Was uns überraschte war, dass man das Wohnzimmer nicht nur vom Flur sondern auch von einer zweiten Türe in der Küche erreichen konnte.

„Praktisch, dann kannst du ja abends immer direkt die leeren Gläser wegbringen und musst sie nicht ewig auf dem Tisch stehen lassen“, grinst mich Sven an.

Als wenn ich seine leeren Gläser entsorgen würde, da hatte er sich aber gewaltig in mir getäuscht.

Unser Rundgang ging also weiter durch das Wohnzimmer was man eigentlich ohne Probleme auch wieder rum in mehrere Zimmer unterteilen könnte denn ein großes Bücherregal in der Mitte teilte den Raum fast perfekt in der Mitte ab und trotzdem war noch genug Platz zum Vorbeigehen da gewesen. Einfach traumhaft.

Die ganze hintere Front des Zimmers bildete eine Glastüre, die einen wunderbaren Blick auf die Terrasse mit Swimmingpool freigab. Moment … was hatte ich da gerade gesehen? Eine Terrasse mit Swimmingpool ? Paps hatte also doch nicht übertrieben, der Pool war tatsächlich da.

„Paps du hast nicht zufällig eine Bank überfallen? Wie kannst du dir das alles leisten?“, fragte ich immer noch etwas verdutzt.

Es war schließlich nicht so gewesen, dass Geldsachen bei uns in der Familie ein großes Geheimnis waren. Ich machte ab und zu mit meinem PC für meine Eltern ein paar Berechnungen was die Steuer anging und daher kannte ich das Einkommen meines Vaters und für ein Haus diesen Ausmaßes hätte es definitiv nicht gereicht, es sei denn die Amerikaner verkaufen ihre Häuser genauso billig wie Hamburger.

„Nein nicht ganz“, lachte er „aber die Firma möchte eben, dass ich und besonders meine Familie sich wohl fühlen hier in unserem neuen Haus. Sieh es mal so, wenn es euch gut geht, dann steigt auch meine Laune richtig?“

„Richtig“, antwortete ich.

Diese Logik hatte etwas.

„Siehst du, und wenn es mir gut geht, dann kann ich besser arbeiten und wenn ich besser arbeiten kann bringe ich meinem Chef mehr Profit. So einfach ist das Ganze.“

Das ganze verblüffte mich schon ein bisschen aber es machte tatsächlich Sinn. Na ja eigentlich konnte es mir ja auch egal sein, wieso seine Firma ihm so ein Spitzenhaus finanzierte solange ich darin wohnen konnte.

Bei unserem Rundgang waren wir inzwischen im Keller angekommen, der im Gegensatz zu Wohnzimmer und Küche, die schon komplett eingerichtet waren, noch ziemlich leer aussah.

„Wir wissen noch nicht so ganz, was wir hier unten unterbringen werden“, meinte meine Mutter, „in dem hinteren Raum ist auf jeden Fall schon ein kleiner Party-Keller, wenn ihr mal irgendwelche Feten geben wollt.“

Na das gefiel mir doch schon wieder super. Kaum angekommen schon wieder ans Feiern denken – eigentlich hatte ich sowas nur von Sven erwartet und nicht von meiner Mutter.

In dem Moment fiel mir aber noch etwas anderes auf.

 „Ehm Paps, wie kommt es eigentlich, dass wir überhaupt einen Keller haben? Ich meine, das ist ja nun etwas, dass man in Amerika nicht gerade häufig findet“

Es schien sein Architektenherz zu freuen, dass mir diese Kleinigkeit aufgefallen war denn er antwortete direkt ziemlich enthusiastisch.

„Ja da hast du natürlich Recht und das war auch das einzige, wo ich einen guten Haufen Geld zuzahlen musste. Ich bin es nun mal gewöhnt einen Keller zu haben und da wollte ich auch hier nicht drauf verzichten. Außerdem muss doch ihre Mutter irgendwo auch ihre ganzen Vorräte unterbringen oder?“

„Na also, ob das in dem großen Haus nötig ist wage ich aber doch sehr zu bezweifeln“, schaltete sich Sven ein und in Nullkommanix entbrannte eine Grundsatzdiskussion über den Keller.

Nichts Weltbewegendes eher ein paar kleine nette Ideen von jedem wie und was man in einem Keller alles machen bzw. nicht machen konnte.

Als wir dieses kleine Gespräch beendet haben gingen wir noch einmal ins Erdgeschoss und sahen uns das Schlafzimmer meiner Eltern an. Hier wiederum hatte ich sehr schnell das Gefühl nicht in einem amerikanischen sondern in einem guten deutschen Schlafzimmer angekommen zu sein. Wieso ? Eine genaue Erklärung dafür hatte ich auch nicht aber es sah eben einfach alles so vertraut aus – im Gegensatz zum Rest des Hauses.

Doch meine Eltern merkten natürlich auch, dass Sven und ich schon die ganze Zeit eigentlich nur daran dachten endlich unsere Zimmer zu sehen und so machten gingen wir dann auch endlich in die erste Etage hoch, die wie mein Vater so nett nebenbei bemerkte, das Reich von mir und Sven sein sollte.

Nachdem wir oben angekommen waren merkten wir sofort, dass das Wort »Reich« auch gar nicht mal so übertrieben war. Die erste Etage teilte sich ziemlich gleichmäßig in drei Räume auf: Ein großes Badezimmer direkt wenn man die Treppe hochkam und je ein Zimmer links und rechts. Ein für Sven und eins für mich wie sich der schlaue Leser bereits gedacht haben wird.

Wir gingen also in Svens Zimmer und blieben erstmal ziemlich baff in der Tür stehen – was war denn das  Mal ganz abgesehen davon, dass dieses Zimmer alleine schon fast die Größe unserer alten Wohnung hatte (na ja vielleicht doch nicht ganz sooooo groß) bemerkten wir, dass alles an Einrichtung auch schon drinstand. Und mit allem meine ich alles, vom Bett über diverse Schränke und Regale bis hin zu Stereoanlage und Fernseher. Sven bekam seinen Mund gar nicht zu und seit langer Zeit erlebte ich ihn mal wieder totenstill – auch mal eine neue Erfahrung.

„Paps?“, fragte er leise.

„Ja mein Sohn“, grinste dieser zurück.

„Ist das alles für mich?“

 Sven konnte es scheinbar wirklich kaum glauben.

„Nein wie kommst du denn darauf? Das hier ist doch nur das Gästezimmer, wenn du irgendwann mal jemanden mit nach Hause bringen willst … Mensch natürlich ist das für dich!“

„DANKE!!“, rief Sven und fiel meinem Vater um den Hals wie ein kleiner Junge, der eben erfahren hat, dass er heute in den Zoo gehen darf.

Dann traute er sich langsam Schritt für Schritt in sein neues Zimmer und sah sich zögerlich um.

„Vielleicht sollten wir dich ein bisschen alleine lassen“, meinte meine Mutter.

Sven schien das gar nicht so ganz mitbekommen zu haben denn nach ein paar Sekunden meinte er nur kurz „Ehm was?“

„Schon gut“, lachte meine Mutter und machte sich auf den Weg nach draußen.

Ich folgte ihr, denn ich war nun auch neugierig auf mein Zimmer gewesen. Wie gesagt, das lag direkt gegenüber von Svens Zimmer und so hatten wir es nicht sehr weit. Vorsichtig machte ich meine Tür auf, schon ein bisschen ahnend, was mich erwartete und trotzdem überwältigte mich das ganze dann doch.

Auch mein Zimmer war komplett eingerichtet wenn auch in einem etwas anderen Stil als das von Sven aber deshalb nicht weniger toll. Ich konnte auch erstmal ein paar Sekunden nicht anders als erstmal staunend davor zustehen und das ganze auf mich wirken zu lassen.

„Paps?“, fragte ich nun leise

„Och nein nicht noch einer …“, lachte er aber da war es schon zu spät ich hatte ihm auch schon eine riesengroße Umarmung verpasst.

„Immer diese Sentimentalitäten“, sagte er und schüttelte seinen Kopf leicht, aber ich denke er genoss es genauso wie wir das ganze hier genossen.

„Und was ist mit mir?“, meinte meine Mutter und versuchte dabei einen weinerlichen Tonfall aufzulegen.

Das hätte sie besser nicht gesagt, denn ehe sie sich versah hatte sich mich auch schon um ihren Hals liegen.

„Uhhh ja Stef ist ja gut, so meinte ich das dann auch wieder nicht“, lachte sie aber ich erklärte ihr, dass sie das eben einfach verdient hätte.

Wie schon bei Sven meinte meine Mutter jetzt auch es sei vielleicht besser, wenn ich mir mein neues Zimmer mal alleine etwas näher ansehen würde und so stand ich dann auch da – alleine in meinem neuen Zuhause für die nächsten Jahre. Ich muss schon zugeben, das ganze hatte mich wirklich mehr mitgenommen als ich gedacht hatte, mit so einen tollen Einstieg hatte ich wirklich nicht gerechnet.

Ich sah mich zum ersten Mal gründlich um und entdeckte neben einem großen Doppelbett (hatten meine Eltern da vielleicht schon mitgedacht?) und einer riesigen Anlage noch ein paar andere Kleinigkeiten, die mich schon ein bisschen überraschten. Da standen eine kleine amerikanische Flagge auf dem Schrank direkt neben der Tür und ein paar andere „Amerika-Gimmicks“.

Als ich meinen Vater später darauf ansprach meinte er, das Zimmer sei eine Komplett-Ausstattung gewesen und diese Sachen gehörten eben einfach dazu. In dem Moment aber kam mir das ganze ziemlich komisch vor – eben als sei ich irgendwie in das Zimmer eines amerikanischen Teenagers eingebrochen. Aber gerade das machte auch wieder den ganz besonderen Reiz des ganzen aus – mir gefiel einfach alles perfekt.

Nach ungefähr einer Viertelstunde passierte dann auch das, was eigentlich unvermeidlich war, ich bekam Besuch von meinem älteren Bruder.

„Na kleiner Bruder, was denkst du?“, fragte er mich, als er seinen Kopf zur Tür hereinstrecke.

„Was soll ich wohl denken?,“ antwortete ich, „kann man Perfektion jemals tatsächlich erleben? Wenn ja, dann bin ich wohl gerade dabei.“

Er grinste mich an und meinte dann nur, dass er sowas ähnliches auch schon gedacht hatte. Wir saßen noch ein bisschen auf meiner neuen Couch und unterhielten uns einfach darüber, was wir alles schon in den Schränken gefunden hatten. Schon interessant, was da alles zusammenkam.

Nach einer ganzen Zeit hörten wir meine Mutter von unter rufen, dass das Essen fertig sei und wenn wir es denn einrichten könnten auch herzlich dazu eingeladen wären.

„Wir kommen gleich“, rief ich nach unten zurück.

„Und ? Schon mal daran gedacht, wann du es Mama und Paps sagen wirst?“, fragte mich Sven. Ich konnte mir schon denken worauf er hinaus wollte aber fragte trotzdem noch mal nach:

„Was sagen?“

„Na ganz einfach, dass sie von dir keinen Enkelkinder zu erwarten haben. Du solltest dir damit nicht mehr all zuviel Zeit lassen, denn gerade jetzt haben wir alle die Chance noch mal komplett von vorne anzufangen – auch du“

„Ja du hast schon Recht. Ich denke irgendwann in den nächsten Tagen werden sie es schon erfahren.“

„Du wirst das schon machen“, meinte Sven und gab mir einen leichten Klaps auf die Schulter „und jetzt komme lass uns essen gehen ich habe schon richtigen Kohldampf bekommen von den ganzen neuen Eindrücken hier.“

So machten wir beide uns also auf dem Weg nach unten in die Küche und auf dem Weg dahin rochen wir schon, dass meine Mutter scheinbar wieder ihre Spezialgericht aufgetischt hatte: Spaghetti Bolognese!

Wir landeten zwar zuerst anstatt in der Küche im Badezimmer aber nachdem wir uns dort lachend wieder umgedreht hatte saßen wir auch nach ein paar Sekunden schön gemütlich am Küchentisch und warteten darauf, dass unsere Köchin das „Feld“ freigab.

Nun wie nicht anders zu erwarten war täuschten Sven und ich uns nicht und es gab tatsächlich Spaghetti. Während des Essens sprachen wir eigentlich nur über das neue Haus, wie toll wir es doch alle fänden und so weiter und so fort. Ich weiß nicht wieso, ob es das Essen war oder die Tatsache, dass ich in einem anderen Land war und mich irgendwie offener fühlte aber ich dachte mir, dass es jetzt vielleicht ein guter Moment wäre meinen Eltern zu erzählen, dass ich schwul bin.

Der Himmel weiß, was mich zu dieser Entscheidung getrieben hat aber ich nahm es mir fest für diesen Abend vor. Ich konnte schon merken, wie meine Hände langsam schwitzig wurden und ich auch sonst ziemlich unruhig wurde aber jetzt wollte ich auch nicht zurück.

Als wir mit dem Essen fertig waren setzten wir uns ins Wohnzimmer an den Tisch, wie wir das eigentlich oft nach dem Abendessen machen.

‚So jetzt oder nie‘ dachte ich mir und als meine Eltern gerade eine kleine Pause in ihrer Diskussion um die Politik von Richard Nixon machten (wieso sie überhaupt über Nixon diskutierten weiß ich auch bis heute noch nicht) schluckte ich einmal tief und fing an zu reden.

„Mama, Paps ich möchte euch noch etwas sagen …“ an Svens Blick konnte ich erkennen, dass zumindestens er schon sehr genau wusste worauf ich hinaus wollte doch jetzt wollte und konnte ich nicht mehr zurück

„Ich glaube …“, mist jetzt hatte ich mich selbst verplappert – ich glaubte doch nicht, dass ich schwul war ich wusste es, „nein ich glaube nicht, ich bin mir sicher, dass ich … dass ich schwul bin“

So, es war raus. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Für einen Augenblick schien es, als sei die Zeit wie angehalten, denn niemand sagte ein Wort oder bewegte sich bis mein Vater wieder das Wort ergriff: „Bist du dir sicher?“

Das war eine der Fragen, die ich erwartet hatte und auf die ich eine ganz klare Antwort hatte doch ich kam gar nicht dazu sie zu geben denn meine Mutter nahm mir sozusagen die Worte aus dem Mund, „natürlich ist der Junge sicher ansonsten hättest du uns wohl kaum davon erzählt oder ?“

Das ganze entbehrte nicht einer gewissen Logik und so konnte ich nichts anderes als nicken.

„Okay“, meinte mein Vater, „aber von dir können wir doch noch Enkelkinder erwarten oder Sven?“

Ich wusste zuerst nicht, ob ich diesen Satz jetzt positiv oder negativ bewerten sollte und Sven schien das auch nicht so ganz zu wissen denn er sah meinen Vater auch nur etwas fragend an. Wiederum war es jetzt meine Mutter, die das ganze etwas löste.

„Jetzt hör aber auf, Steffen hat uns gerade etwas für ihn sehr Wichtiges mitgeteilt und du machst dich lustig darüber“

„Ich mache mich nicht lustig“, grinste mein Vater etwas verteidigend, „aber ich darf ihm doch wohl zeigen, dass man das ganze auch ein bisschen mit Humor nehmen kann und ihm so ein bisschen die Angst nehmen oder?“

Diese Äußerung nun wieder beruhigte mich auf eine Art, die ich vorher nicht so ganz für möglich gehalten hatte. Meinen Vater hatte ich also schon auf meiner Seite jetzt war ich mir nur was meine Mutter anging nicht so sicher … ich wusste nicht so ganz, was ich aus ihren Äußerungen machen sollte.

„Du hast also kein Problem damit?“

Diese Frage hätte eigentlich von mir an meinen Vater kommen sollen aber sie kam von meiner Mutter – so ganz verstand ich immer noch nicht, was hier ablief.

„Nein natürlich habe ich kein Problem damit. Wieso denn auch? Du kennst doch Frederik oder?“, meine Mutter nickte nur kurz. Frederik war ein Mitarbeiter meines Vaters, mit dem er vor einiger Zeit ziemlich eng zusammenarbeiten musste aber der schon vor einiger Zeit nach München versetzt worden war, „ja der war doch auch schwul“.

Bitte was? Das war mir nun auch neu gewesen aber brachte mir ja eigentlich nur Vorteile, denn mein Vater kam wirklich gut mit ihm aus.

„Und wie sieht das bei dir aus?“, fragte mein Vater nun meine Mutter zurück, Das Ganze machte einen fast schon fremdartigen Eindruck auf mich – meine Eltern unterhielten sich über mein Schwulsein ohne mich dabei auch nur anzusehen …

„Ein Problem? Ich? Eine Mutter sollte ihren Sohn so nehmen wie er ist habe ich mal irgendwo gelesen und genau das werde ich auch machen. Außerdem was würde es mir bringen, wenn ich ihn nicht so akzeptieren würde wie er ist? Er ist mein Sohn und das ist doch wohl das wichtigste.“

Wow ! Die Sache war also klar gewesen: Meine Familie stand voll hinter mir. Ich konnte es selber kaum glauben.

„Ehm … also entschuldigt bitte, wenn ich euch unterbreche aber ihr redet hier über mich und ich fände es nicht schlecht, wenn ich vielleicht auch mal mitreden dürfte“, warf ich ein.

„Oh Steffen …“, meine Eltern mussten beide anfangen zu lachen, als sie erkannten, dass ich recht hatte und sie tatsächlich mehr oder weniger an mir vorbei geredet hatten.

Nun ja und wenn meine Eltern lachen, dann kann ich gar nicht anders als mitzulachen, das ist schon fast eine Reflexreaktion.

Nachdem wir uns also wieder beruhigt hatten meinte meine Mutter nur, dass ich ja jetzt wohl gehört hätte, wie die beiden darüber denken. Ich konnte nur mit einem Grinsen nicken.

„Ja, das habe ich jetzt gehört und kann eigentlich nur Danke sagen“

Ich dachte eigentlich, dass das Gespräch damit langsam ein Ende finden würde doch das genaue Gegenteil trat ein. Das war der Beginn von einigen Stunden wirklich angeregte Diskussionen über eigentlich alle Themen, die mit dem Schwulsein und mit mir zu tun haben. Ich glaube ich hatte noch nie so offen mit meiner Familie gesprochen und ehe wir uns versahen war es schon 23:00 geworden und meine Eltern meinten, dass sie das gerne noch weiterdiskutieren würden aber eigentlich inzwischen nach dem stressigen Flug dann doch ganz gerne ins Bett gehen würden.

Da es mir und Sven ja auch nicht anders ging entschlossen wir also auch uns langsam mal fertig fürs Bett zu machen. Wir sagten meinen Eltern also gute Nacht und machten uns auf den Weg nach oben. Als wir die Treppe halb hinauf gegangen waren gab mir Sven einen leichten Schubs in die Rippen und meinte nur „Ich hatte dir zwar gesagt, dass du das nicht auf die lange Bank schieben sollst aber so schnell hatte ich dann auch nicht damit gerechnet, dass du damit loslegst.“

„Na es hat doch was gebracht, oder?“ grinste ich zurück.

„Das auf jeden Fall ! Gute Nacht kleiner Bruder.“

„Nacht Sven“, sagte ich und damit verschwanden wir beide in unseren Zimmern.

Ich zog mich um und legte mich dann – zum ersten Mal – in mein neues Bett. Während ich noch darüber nachdachte, was ich da gerade eigentlich geleistet hatte schlief ich auch schon ein … der Flug war wohl doch anstrengender, als ich gedacht hatte.

Der erste Tag in Amerika war also gut gelaufen. Nun war ich gespannt, wie es weitergehen würde…

6.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wusste ich im ersten Moment gar nicht so genau, wo ich eigentlich war, aber nachdem ich das Licht eingeschaltet hatte musste ich ein bisschen über mich selber grinsen – so ein Umzug ist eben doch nicht so einfach in den Kopf rein zubekommen.

Die innere Uhr und der innere Rhythmus ging eben immer noch nach deutschen Gewohnheiten. Nun ja, was sollte es das wird sich auch schon noch legen dachte ich mir und begab mich erstmal ins Badezimmer.

Na ja eigentlich wollte ich mich ins Badezimmer begeben doch dort angekommen durfte ich feststellen, dass ich nicht der Einzige war, der auf diese Idee gekommen war. Sven war schon munter dabei sich lauthals die Zähne zu putzen – ganz nebenbei ein Bild für die Götter wie er sich die Zähne putze und gleichzeitig versuchte Michael Jackson zu imitieren.

Auf jeden Fall machte ich mich daraufhin erstmal wieder auf den Weg in mein Zimmer und testete ein bisschen die amerikanischen Radiosender der Region aus. Ein paar waren dabei, die nicht so ganz mein Geschmack waren aber im großen und ganzen gab es eine doch recht gute Auswahl für einen Teenager, der nicht gerade auf zu ausgefallene Sachen stand und das konnte man von mir nun wirklich nicht behaupten. Ich denke mal, ich bin der Traumkunde der Musikindustrie – breit gefächertes Interesse und eigentlich keine besondere Ablehnung gegen irgendwas. Na ja schon eine Ablehnung gegen ganz extremes aber das gilt ja sowieso nicht.

Wie nicht anders zu erwarten war, wurde Sven auch irgendwann mal im Badezimmer fertig und ich hatte unser neues kleines Reich für mich alleine.

Die tägliche Morgenroutine verlief ohne irgendein besonders interessantes Ereignis, wenn man davon absieht, dass ich mir einen ziemlich großen Schwall Wasser über meine Unterhose gekippt hatte – tja, man sollte eben nicht allzu wild an die Sache heran gehen.

Als ich also fertig war und mich komplett angezogen hatte begann ich die letzten Kleinigkeiten, die ich im Flugzeug noch mitgenommen hatte auszupacken und an freie Stellen im Zimmer einzuordnen – gar nicht so einfach denn dieses Zimmer schien wirklich in Komplettausstattung also auch inklusive aller möglichen Kleinigkeiten geliefert worden zu sein.

Nun gut ich fand tatsächlich noch die passenden Plätze für alle meine Kleinigkeiten, Andenken, Souvenirs und was sich nicht alles an Kram die letzten Jahre angesammelt hatte. Dass ich kaum etwas weg schmeißen kann und alles Mögliche aufheben muss machte die ganze Sache nicht leichter.

Ich hatte schon fast alles an seinem Platz, da fiel mir in meiner Schreibtischmappe ein Brief auf. ‚Mein Gott der Brief von Nico!!‘ dachte ich mir – den hatte ich ja wirklich total vergessen.

Mit ziemlicher Begeisterung machte ich ihn auf und sah, dass er eine ganze Menge aufgeschrieben hatte. Ich las mir also den Brief durch eigentlich nicht richtig wissend, was er mir denn eigentlich mitteilen wollte – er hatte sich ja an dem letzten Abend ziemlich in Schweigen darüber gehüllt.

„Lieber Steffen

So, jetzt hast du also endlich erreicht, wovon du immer geträumt hast was? Ich glaube die Hälfte der Schule beneidet dich schon darum, dass du es geschafft hast endlich mal dahin zu kommen, wo wir doch irgendwie alle hinwollen. Ich gönne es dir auf jeden Fall. Trotzdem finde ich es unheimlich schade, dass du nicht mehr hier bist – ich habe meinen besten Freund verloren und weiß eigentlich im Moment nicht so richtig, was ich mit mir anfangen soll. Wenn ich mit dir zusammen war hatte ich immer unheimlich viel Spass und hab mich immer riesig amüsiert aber jetzt? Ach Steffen ich weiß nicht so recht, was ich machen soll. Die anderen Jungs in der Schule sind irgendwie alle nicht das, was ich mir unter einem richtigen Freund vorstelle.Vielleicht liegt das aber auch an was anderem – Steffen ich glaube ich habe dir nie erzählt das ich schwul bin, ich weiß auch nicht warum. Vielleicht hatte ich Angst, dass es zwischen uns dann nicht mehr so gut laufen würde wie vorher, vielleicht hatte ich Angst, dass es irgendjemand sonst erfährt, ach Steffen ich weiß nicht wie du darüber denkst aber ich denke wir beide hätten ein gutes Paar abgegeben. Ich meine ich weiß, wir wären nie ein Paar geworden, denn die Chance, dass du auch auf Jungs stehst ist ungefähr 1 zu 15 und die Chance, dass du dir dann ausgerechnet mich aussuchst ist noch geringer aber ich hab immer davon geträumt einmal mit dir zusammen sein zu können und werde wohl auch weiterhin von dir träumen. Du bist der erste der erfährt, dass ich schwul bin und glaub mir ich habe lange überlegt ob ich es dir schreiben sollte oder nicht, aber ich denke du hast ein Recht darauf es zu erfahren. Wir beide hatten soviel Spass miteinander und ich vermisse dich wirklich.Ich fände es wirklich schade, wenn wir beide uns total aus den Augen verlieren. Also wenn du mich nicht für total verrückt hältst dann schreib mir wenigstens ab und zu okay?

Ich vermisse dich!

Dein Nico“

Mir rollten die Tränen die Wangen runter, als ich die letzten Sätze von ihm las – wieso?

Wieso musste es so laufen?

Wieso haben Nico und ich uns nie richtig ausgesprochen?

Wieso ist es nie so verlaufen, wie man es im Internet in diesen Geschichten lesen kann?

Wieso saßen wir beide nicht irgendwann irgendwo zusammen und haben uns ausgesprochen?

Wieso sind wir nicht zusammen gekommen und vor allem wieso bin ich jetzt so unheimlich weit weg von Nico?

Ich konnte es nicht verstehen. Ich war traurig und vor allem war ich wütend. Ich war wütend, dass ich nicht den Mut hatte mit Nico zu reden und ich war wütend, weil ich das jetzt auch nicht mehr nachholen konnte. Ich seufzte einmal kurz und setzte mich auf mein Bett.

Nach ein paar Minuten in denen ich einfach nur in den Raum hineinstarrte merkte ich wie mir schon wieder die Tränen in die Augen schossen und diesmal konnte ich nichts dagegen machen, ich weinte wie ein kleines Kind.

Wieso musste die Welt nur so ungeheuer gemein sein?

7.

Nach ungefähr einer halben Stunde oder auch einer Stunde, ich hatte in dem Moment so ziemlich jedes Zeitgefühl verloren, riefen meine Eltern von unten, dass wir doch endlich mal zum Frühstückstisch kommen sollten.

‚Auch das noch‘ dachte ich mir. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und machte mich auf den Weg nach unten. Dort angekommen tat ich also meine »Pflicht« als Sohn und frühstückte mit meiner Familie. Wir redeten ein bisschen über das neue Haus und was wir sonst noch alles interessant fanden doch so richtig beteiligen wollte ich mich eigentlich gar nicht. Ich war noch immer viel zu mitgenommen von dem, was Nico mir geschrieben hatte.

Als wir mit dem Frühstück fertig waren machte ich mich wieder auf den Weg in mein Zimmer um die letzten Sachen auszupacken. ‚Vielleicht lenkt mich das ganze ein wenig ab‘ dachte ich mir und tatsächlich ein bisschen half es auch, jedoch nicht sehr viel.

Nach kurzer Zeit hörte ich wie die Tür aufging und da meine Eltern wie schon gesagt nie einfach so hereinkommen konnte es nur mal wieder Sven sein. Ich sagte kurz „Hallo“ und machte weiter mit dem Auspacken. Sven legte seinen Arm um meine Schulter und fragte nur kurz „Hey kleiner Bruder, was ist los?“

„Wieso, was soll los sein?“, fragte ich und versuchte mich normal anzuhören.

„Jetzt hör aber auf du solltest wissen, dass ich dich besser kenne als jeder andere und so wie du dich eben am Tisch benommen hast ist irgendwas los mit dir – also was liegt dir auf dem Herzen?“

Mein Bruder – er kannte mich tatsächlich besser als jeder andere, manchmal dachte ich sogar er kannte mich besser als ich mich selbst kannte. Wie auch immer, ich stand kurz auf ging zu meinem Schreibtisch und kam dann mit Nicos Brief zurück. Er hatte ihn zwar eigentlich nur für mich geschrieben aber er kannte mein Verhältnis zu meinem Bruder und ich glaube es wäre ihm auch recht gewesen also hielt ich Sven den Brief vor die Nase und sagte oder vielmehr schluchzte „Hier das ist los.“

Sven nahm sich den Brief und las ihn sich durch. Als er fertig war legte er den Brief zurück von wo ich ihn genommen hatte und nahm mich in den Arm „Ich … Steffen … du … Nico?“ Ich nickte nur kurz

„Oh Mann … das tut mir leid“. Svens Berührungen und seine Worte blieben nicht ohne Wirkung. Ich begann wieder zu weinen und diesmal noch schlimmer als vor dem Frühstück. Ich weiß nicht wie lange, aber ich saß eine ganze Weile einfach nur mit Sven auf meinem Bett und weinte mich aus.

Was mich erstaunte war, dass das mir wirklich zu helfen schien. Als ich mich wieder ein bisschen erholt hatte fühlte ich mich schon eine ganze Ecke besser.

Sven und ich sprachen noch ein bisschen über Nico, über mich und über die letzten Jahre. Ich glaube durch Sven lernte ich an diesem Vormittag ein bisschen das, was ich mit Nico erlebt hatte neu zu bewerten – es war einfach schön darüber nachzudenken was wir zusammen angestellt hatten. Klar ich war immer noch traurig aber nicht mehr auf die Art und Weise, wie ich es noch eine Stunde vorher war.

Irgendwann gegen Mittag machte sich Sven wieder auf den Weg in sein Zimmer.

„Danke Svens“, rief ich ihm hinterher und er zeigt mir mit einem Augenblinzeln, das schon alles wieder werden würde – Hoffentlich.

Ich stand also wieder alleine da und versuchte die ganzen Eindrücke, die ich aus Nicos Brief und aus dem Gespräch mit Sven bekommen hatte noch etwas zu verarbeiten als ich mir selber sagte, dass ich irgendwas machen müsste – ich wusste nicht was aber ich wollte nicht einfach nur zuhause Rumsitzen und vor mich hin leiden.

Ich beschloss also ein bisschen unsere Nachbarschaft zu erkunden – eigentlich etwas, das man ja sowieso als erstes in seiner neuen Umgebung tun sollte. Ich zog mir also meine Schuhe an und rief meinen Eltern im Rausgehen noch zu, dass ich mal für eine Stunde oder so unterwegs sein würde. Meine Mutter rief mir noch irgendwas hinterher, dass ich aber nicht mehr so ganz mitbekam und daher einfach ignoriert habe – eigentlich sonst nicht meine Art aber ich brauchte einfach mal ein bisschen Zeit für mich.

Die ersten paar Minuten hatte ich wirklich das Gefühl in irgendeinem Film zu sein denn alles sah wirklich genauso aus, wie man es von einem Wohnviertel irgendwo in L.A. her schon kennt. Nahezu endlose Reihen von Häusern, die alle zwar verschieden aber doch irgendwo gleich aussehen – aber mir gefiel das Ganze.

Ich stellte mir vor, was wohl für verschiedene Menschen hinter den Türen wohnen würden und irgendwie munterte mich das ganze wieder ein bisschen auf.

Nicht sehr weit von unserem Haus entfernt hatte ich jetzt also schon die verschiedensten »wichtigen« Punkte in der Nachbarschaft erkundet : Die Pizzeria, oder besser gesagt die Pizzerien denn es gab ihrer gleich drei im Umkreis von vielleicht zwei Kilometern (da fragt man sich schon ob die alle überleben können aber das schien scheinbar nicht das Problem zu sein), einen mittelgroßen Supermarkt, der mich zumindestens vom äußeren Erscheinen her an unsere Aldi-Märkte erinnerte, dann zwei Auto-Werkstätten, einen richtig schönen und großen Park und noch einige andere interessante Sachen – alles in allem fühlte ich mich schon fast wie zuhause.

Ich war schon wieder auf dem Weg nach Hause und eigentlich wieder in einer richtig guten Laune, als mich auf dem Weg ein Mädchen ansprach, das dem Aussehen nach zu Urteilen nicht sehr viel älter als ich gewesen sein dürfte. Sie wollte von mir wissen, wie sie von hier aus am besten zu irgendeiner Straße kam an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Ich versuchte ihr also in meinem noch immer mit guten deutschen Akzent behefteten Englisch klarzumachen, dass ich auch erst seit kurzem in dieser Gegend wohnte und daher was die Straßen anging wahrscheinlich noch weniger Ahnung hatte als sie.

Wir beide kamen ein bisschen ins Gespräch und ich erfuhr, dass sie Sheila hieß, ein Jahr älter war als ich und vor ungefähr einem halben Jahr mit ihren Eltern aus Oklahoma City hierher nach Californien gezogen war. Wir gingen eine ganze Weile zusammen durch die Gegend bis ich zuhause angekommen war. Sheila verabschiedete sich von mir aber drohte mir an mich auch irgendwann mal besuchen zu kommen – ich hatte nichts dagegen schließlich war ich neu in der Gegend und da kann man jede Unterstützung gebrauchen, die man kriegen kann.

Eine neue Freundin hatte ich also schon gefunden – der Tag konnte also gar nicht so schlecht gelaufen sein.

Die nächsten zwei Wochen in unserem neuen Heim gingen erstaunlich schnell vorbei. Sven und ich begannen zunehmend uns aus dem Haus zu trauen und lernten so nach und nach auch unsere Nachbarn ein bisschen kennen – zumindestens diejenigen, die schon eingezogen waren denn in unserer Straße standen noch einige Häuser leer.

Scheinbar waren wir nicht die einzigen „Nicht-Amerikaner“, die in diesem Teil der Stadt wohnten denn direkt neben uns wohnte eine holländische Familie (und ich hatte schon gedacht diesen Akzent nie wieder hören zu müssen *g*), die ebenfalls zwei Kinder hatten nur waren das leider keine süßen Boys sondern zwei Mädchen gewesen. Nicht das ich etwas gegen Mädchen hätte (im normalen freundschaftlichen Sinne gesehen) aber diese beiden waren dann doch ziemliche Nervensägen aber was soll man von zwei 13 und 14 jährigen Girls auch schon erwarten außer den tollsten Anhimmelungen für Nick Carter & Co ?

Noch ein Haus weiter wohnte eine spanische Familie, deren »Hausherrin« wir erstaunt feststellten auch noch in der Abteilung meines Vaters arbeiten würde – wahrscheinlich würden wir also die Gonzales‘ (welch ein Name) noch öfters zu sehen bekommen.

Ein paar Häuser weiter sah es da schon sehr viel besser aus, was die potentiellen Freunde für Sven und mich anging, ein (ausnahmsweise mal amerikanisches) Ehepaar mit ihren beiden Jungs, 16 Jahre und eineiige Zwillinge. Wobei noch verschlimmernd hinzukommt, dass die beiden sich wirklich exakt gleich anzogen und man so wirklich keine Möglichkeit hatte sie zu unterscheiden. Wer weiß, vielleicht würde ich auch noch dahinter kommen.

Viel Kontakt hatte ich zu den beiden zwar nicht, aber da sich das Leben in der „Baker Street“ (Wo war nur Sherlock Holmes?) zu einem viel größeren Maße auf der Straße oder in den Vorgärten abspielte als ich das aus Deutschland gewöhnt war, lernte man eben den einen oder anderen schon recht gut kennen – für nachbarschaftliche Verhältnisse.

Meine Antwort an Nico hatte ich inzwischen auch abgeschickt und was ich noch eine Woche vorher kaum für möglich gehalten hatte, ich fühlte mich gut dabei. Okay, ich würde Nico so wie es aussah wahrscheinlich nie mehr wieder sehen aber trotzdem war ich froh endlich jemanden zu haben, mit dem ich vollkommen offen über das Thema reden konnte und der vor allem genauso empfand wie ich. Klar, mit Sven konnte ich auch über alles reden aber es ist nun mal so, dass man als Schwuler mit einem anderen Schwulen immer noch sehr viel besser reden kann als mit irgendeinem mehr oder weniger Außenstehenden.

Wie gesagt die zwei Wochen waren unheimlich schön und es gab viel neues für uns alle zu entdecken doch irgendwann kam ja auch der Punkt, an dem wir wieder in die Schule mussten – eigentlich der Punkt auf den ich mich gleichermaßen freute wie fürchtete. Es war sowohl die Chance für mich noch mal komplett von vorne anzufangen, neue Freunde zu finden und vielleicht sogar den einen Freund fürs Leben. Doch was war, wenn ich es vermasseln würde und mir direkt in den ersten Tagen alles verbauen würde? Daran wollte ich eigentlich gar nicht denken sondern ich versuchte mich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren.

Als wir – noch während der Ferien – einmal kurz zur Schule fuhren um überhaupt zu sehen wo wir denn die nächsten Jahre verbringen würden fiel mir auf, dass das Gebäude zumindest von außen eigentlich nicht so aussah, wie ich mir eine High School vorgestellt hatte. Ich weiß selber nicht genau aber irgendwie war es anders gewesen, vielleicht weil es nicht besonders groß und alt sondern eher klein und modern gehalten war : Einfach schön eben.

Der Moment meines »ersten Schultages« rückte immer näher und ich wurde immer nervöser. Der einzige Trost den ich hatte war, dass Sam und Robb (die beiden Zwillinge) mit mir in eine Stufe gehen würden und ich zumindestens was das angeht nicht mehr als ganz Fremder dort auftauchen würde. Ein kleiner Trost zugegeben – aber immerhin.

Als ich am letzten Ferienabend schlafen ging träumte ich ziemlich verrückte Sache über alles das, was in der Schule passieren könnte. Ich weiß gar nicht mehr genau was mir alles im Kopf herumspukte aber plötzlich stand Nico in der Schule vor mir und ich hatte das Gefühl ihn nicht erreichen zu können weil er immer wenn ich auf ihn zukam einen Schritt zurückging. Schweißgebadet wachte ich am nächsten Morgen auf – 6:00, noch zwei Stunden…

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