Alex
Peter sackte vor meinen Augen zusammen, bewusstlos. Eine leichte Panik überkam mich und Mum war auf einem Termin. Ich verfluchte meine Gedankenlosigkeit. Vermutlich hatte er genau die richtigen Schlüsse aus meinen unüberlegten Worten gezogen. Zumindest erklärte das seinen Zusammenbruch. Ich hatte eine spontane Idee, die hoffentlich kein weiterer Reinfall war.
Er wollte Peter helfen, dann sollte er nun eine Chance bekommen. Ich trug Peter in mein Bett und griff nach meinem Handy. Es klingelte ewig, bevor jemand dran ging.
„Wer stört? Ja, so ist okay. Woah, das sieht toll aus. Hallo? Jemand dran?“
„Ja, hier ist Alex. Alex Reed.“
„Na, das ist ja eine Überraschung. Wie geht es euch?“
„Hast du Zeit? Peter ist … naja, er könnte jetzt deine Hilfe gebrauchen. Er weiß alles und… bitte komm her.“
„Ich bin gleich da. Wirklich, ich renne los, bis gleich!“ Dominik legte sofort auf.
Die nächsten zwanzig Minuten verbrachte ich mit Warten. Peter reagierte nicht auf mich, aber sein Puls war relativ normal, also kein körperlicher Grund zur Sorge.
Es klingelte an der Tür. Gehetzte blaue Augen und ein hellbrauner Haarschopf erwarteten mich.
„Ja? Willst du zu meiner Mutter? Die ist nicht da.“
Mein Gegenüber sah mich verständnislos an. „Was ist mit ihm?“
Die Stimme kam mir bekannt vor. Aber sie passte nicht zu dem Bild in meinen Kopf. „Dominik?“
„Live und in Farbe, auch wenn es weniger ist“, grinste er.
„Oh, steht dir. Du siehst so … normal aus.“ ich ließ ihn vorbei und führte ihn die Treppe hinauf.
„Da liegt er. Ich hab nicht aufgepasst und was Blödes gesagt. Er weiß von Josh und ich glaube auch er hat das mit seinem Freund begriffen. Plötzlich ist er umgekippt.“
Dominik seufzte und setzte sich auf die Bettkante. „Ich hab also wieder Konkurrenz. Armer Pete. Verliebt sein ist doof, wenn man jemanden nicht bekommen kann.“ Er griff vorsichtig nach Peters Hand und streichelte sanft darüber.
Ich fühlte mich in dem Moment überflüssig. „Stört es dich, wenn ich euch allein lasse?“
„Ehrlich gesagt: ja!“ Sein unsicherer Blick streifte mich. „Ich bin doch eigentlich völlig fremd für ihn und hab ihn neulich ziemlich überfallen. Ihr kennt euch und er vertraut dir, oder?“
Von seinem unglaublichen Selbstbewusstsein war fast nichts übrig. Er wirkte nervös und irgendwie auch verängstigt.
„Ja, bis heute hat er mir auf jeden Fall vertraut.“
„Ey, es ist doch nicht deine Schuld, dass sein Schwarm nicht an ihm interessiert ist.“
„Ich hätte es ihm aber anders beibringen müssen.“
„Oh man, Männer, echt. Es ist passiert, verschwende deine Zeit nicht mit der ‚was-wäre-wenn‘-Scheiße. Lass uns das Ding lieber wieder ausbügeln.“
Er fand langsam zu seiner gewohnten Form zurück.
„Was ist eigentlich mit dir passiert?“ Ich war schon ziemlich neugierig wegen seiner ‚Verwandlung‘. Normale Klamotten, normale Haarfarbe und auch ein ziemlich angepasster Kurzhaarschnitt.
Sein Blick fiel auf Peter. „Also, ich dachte es fällt ihm vielleicht leichter sich an mich zu gewöhnen, wenn ich etwas normaler wirke. Oder bin. Ich bin ja nicht abnormal, klar?“ Seine Stimme bekam einen lauernden Unterton. Ich nickte.
„Ich hatte eine kleine Erleuchtung, wenn du so willst und mich mit nem guten Freund ausgesprochen. Du kennst ihn, Luka.“ Luka also. Ich fand die Verbindung der beiden interessant.
„Jedenfalls, ach… ich weiß auch nicht. War wohl ne Schnapsidee, oder?“
„Warum das denn? Du siehst toll aus.“
„Ach, findest du?“ Er grinste anzüglich. „Weiß deine Freundin darüber Bescheid? Aber sorry, ich bin nicht zu haben.“
„Schwachkopf“, grummelte ich grinsend. Ich fand ihn schon faszinierend, auf eine nicht sexuelle Art und Weise. Eine Freundschaft war durchaus denkbar.
„Selber Schwachkopf“, murmelte jemand unterhalb von Dominik. „Was ist passiert?“
Peter wurde langsam wieder wach, kuschelte sich an Dominik und öffnete nur langsam die Augen.
„Alex, hab ich das vorhin geträumt?“
„Ich fürchte nicht.“ Er wirkte etwas irritiert, sah sich um und mir in die Augen. Seine Finger tasteten an Dominiks Hüfte herum. Er richtet seinen Blick wieder auf mich und rückte geschoßartig zur Wand.
„Wer bist du?“
Dominik seufzte theatralisch. „Und schon wieder. Aber vermutlich würde mich jetzt sogar mein eigener Vater wegen Einbruchs verhaften, wenn ich in meinem Zimmer säße.“
Die Stimme, der Hinweis mit dem Verhaften und das schräge Grinsen auf Domis Gesicht schienen Peters graue Zellen zu erreichen.
„Oh Dominik? Bist du das wirklich? Was machst du hier?“
„Dein Kumpel hat mich angerufen und kurz erzählt was passiert war. Und da es meinem Pete nicht gut geht, tja, ich bin gerannt so schnell ich konnte.“
Er wickelte mein Bruderherz sichtbar um den Finger, Peter entspannte sich langsam, auch wenn der traurige Ausdruck seiner Augen noch sehr deutlich sichtbar war. Schüchtern rückte er wieder etwas näher an den ‚Ex-Punk‘ heran.
„Du siehst toll aus“, flüsterte er. Diesmal gab es keine freche Antwort, Dominik lächelte verlegen und errötete leicht.
Plötzlich durchbrach mein Handy die kuschelige Atmosphäre.
Florian
„Gut, dann ist das auch geklärt. Hat noch jemand Fragen?“ Direktor Baumann blickte in die überschaubare Runde. „Gut. Herr Dietz, ich danke Ihnen vorab schon einmal für die Kooperation bei dem Projekt. Damit beginnt ‚Homosexuelle und Schule‘. Einen schönen Feierabend, meine Herren.“ Die Lehrerrunde schloss mit dem obligatorischen Klopfen auf dem Tisch.
Vor der Tür erwartete mich ein sichtlich verstörter Josh.
„Schatz, was ist los?“
„Wir sitzen in der Klemme. Simon Warnebrink hat eine Aufzeichnung von unserem Gespräch mit Linda, draußen im Pausenhof.“
„Shit.“
„Flo, wenn ich ihm nicht die Klausur für Englisch gebe, dann schickt er es an alle. Wir sind geliefert!“
Ich seufzte. „Was für eine kleine Mistratte. Der ist mir in der ersten Stunde schon aufgefallen. Ich hab noch nie einen arroganteren Kotzbrocken erlebt.“
„Was nun?“ Josh sah mich verzweifelt an und mir war es gerade ziemlich egal, ob uns jemand sehen könnte. Ich schloss ihn in meine Arme und er schluchzte leise.
„Was ist denn … Joshua, alles in Ordnung bei Ihnen?“ Direktor Baumann trat aus dem Lehrerzimmer. Mein Schatz schüttelte verhalten den Kopf.
„Wir müssen unter vier Augen mit Ihnen reden, sofort.“
„Natürlich, Herr Dietz, folgen sie mir in mein Büro.“
Der Direktor schloss die Tür hinter sich und deutete auf die Stühle vor seinem Schreibtisch. Josh ließ zu keinem Zeitpunkt meine Hand los.
„Es scheint ja sehr wichtig zu sein.“
Josh nickte und schilderte seine Begegnung sehr ausführlich.
„Mein lieber Scholli, der Herr Warnebrink. Ich hatte ja schon befürchtet, dass ihre Beziehung nicht nur auf Gegenliebe stoßen würde, aber das schockiert mich. Und dann noch Erpressung. Nun denn, auf zum Angriff. Sie beide haben meine volle Unterstützung. Morgen rufe ich eine Sonderkonferenz zusammen. Der Unterricht wird in den ersten beiden Stunden ausfallen müssen. Das Kollegium sollte informiert sein. Simon wird vorläufig suspendiert. Herr Dietz, unser Projekt beginnt ab sofort.“
„Herr Direktor, was wird danach? Ich will keinen Ärger hier und habe, ehrlich gesagt, Angst vor den Reaktionen meiner Mitschüler.“ Josh erinnerte mich in diesem Moment an die Tage im Krankenhaus, wo er, aus Selbstzweifeln heraus, einen Zusammenbruch hatte.
„Natürlich verstehe ich Ihre Angst, Joshua. Aber wie heißt es so schön: ‚Angriff ist die beste Verteidigung‘. Und außerdem starten wir ein Toleranzprojekt. Übergriffe werden hart geahndet. Herr Dietz kann sie gerne in die Details einweihen. Aber Sie müssen verstehen, dass wir Erpressung und Anstiftung zum Betrug nicht einfach ignorieren können. Meine Schule ist immer noch ein Gymnasium und keine JVA, wo Erpressungen unter Insassen an der Tagesordnung sind.“
„Okay“, kam es kleinlaut von Josh.
Wir verabschiedeten uns von unserem Direx und trotteten zum Auto. Josh wurde jedoch immer langsamer und seine Miene hellte sich plötzlich auf.
„Angriff ist die beste Verteidigung, er hat Recht.“
Mein Kleiner griff nach seinem Handy und wählte.
„Hi Alex, Josh hier. Ja, ich habe eine Idee für den Namen.“ Er umriss kurz das Geschehene.
„Richtig, ein mieser kleiner… Jedenfalls schlägt Baumann einen Frontalangriff vor. Was denkst du über ‚Out Now!‘?“
Ich hörte Alex durch das Telefon lachen.
„Okay, dann bespreche ich das mal mit den anderen. Jo, danke, Kumpel.“
Er strahlte mich an. „Alex hat mich nach einem Namen für die Band gefragt. ‚Out Now!‘ ist mein Vorschlag. Er findet es ‚geil‘. Man, der hat sich vor Lachen überhaupt nicht mehr eingekriegt.“
„Hey, das ist eine fantastische Idee. Ich rede morgen mit Baumann darüber. Er wird begeistert sein, es passt super zum Toleranzprojekt.“
Die Stimmung entspannte sich wieder ein wenig, zumindest bis zum Auto. Der rechte Außenspiegel hing lose in der Verankerung und eine Visitenkarte steckte in der Fensterdichtung. Josh schnappte sich wutentbrannt die Karte und wurde wieder blass. Wortlos reichte er sie herüber.
‚Hi Schwuchtelchen, denk an unsere Abmachung. Und wegen der ‚Verschönerung‘ des Autos: kein Wort zu jemandem, oder ihr seid fällig.‘ prangte auf der Rückseite. Die Karte selber war von Simon. So ein Mistkerl.
„Keine Sorge, dafür zahlt er.“ Ich steckte die Karte ein, Baumann würde sich mit Sicherheit dafür interessieren. Die kleine Kröte hatte uns jetzt auch einen schönen Beweis geliefert.
Dominik
Alex bog sich gerade vor Lachen und beendete kurz darauf das Telefonat. Peter sah ihn fragend an und das Grinsen verschwand sofort aus seinem Gesicht.
„Was war denn so komisch?“, wollte ich wissen.
Er druckste herum. „Das war Josh.“
Peter verspannte sofort und ich strich ihm durch die rotblonden Zotteln.
„Ach, ich kann es auch gleich sagen, die Katze ist ja aus dem Sack. Ein Schüler hat Wind von Josh und dem neuen Referendar bekommen und erpresst ihn. Simon will die Englischklausuren haben, sonst lässt der Arsch die Bombe platzen.“
Ich wurde hellhörig. Simon? Arsch?
„Simon heißt nicht zuuuufällig Warnebrink, oder?“
„Doch. Du kennst ihn?“
„Ob ich diese kleine Schlampe kenne? Wir haben mal gevö…“, ich sah Peter an, „wir hatten mal ein zeitlich sehr begrenzte Episode. Absolutes Oberarschloch. Der schreit noch Befehle wenn er gefickt wird. Totaler Abturn.“ Ich schlug mir mit der Hand vor den Mund. Peter hatte für diese Ausdrucksweise nicht besonders viel übrig, seinem Gesicht nach zu urteilen.
Alex überging diesen Fehler gekonnt. „Simon ist schwul? Wer hätte das gedacht. Ich dachte immer, dass alle Homos nette Kerle sind. Zumindest die, die ich kennen gelernt habe sind voll okay.“
Peter seufzte. „Dann werde ich mich wohl daran gewöhnen müssen… Dietz und Josh. Eigentlich ändert sich ja nichts.“
Ich betrachtete ihn nachdenklich. „Du kannst auf mich zählen. Ich bin zwar nicht Josh, aber …“ Meine Stimme wollte für den Moment nicht weiter. Mein Interesse an Peter wuchs ständig, ich war definitiv in ihn verknallt. Aber gegen Josh fühlte ich mich so verloren. Alex schenkte mir einen zuversichtlichen Blick und riss die Situation an sich.
„Jedenfalls ist Josh ein Name für die Band eingefallen. ‚Out Now!‘, ziemlich geiler Name und auch eine klasse Unterstützung für ein neues Projekt an der Schule. Es geht um Toleranz für Schwule an unserem ehrwürdigen Gymnasium. Der Direx legt sich mit Feuereifer ins Zeug. Und das Arschloch wird mächtig Druck kriegen.“
„Ach ja, Simon. Ich biete meine Hilfe an, mit der Schlampe habe ich eh noch eine Rechnung offen. Und falls ihr einen absolut begnadeten und extrem gut aussehenden Pianisten braucht, ich stehe zur Verfügung.“
„Hey cool, aber die Position an den Tasten hat ein Kumpel von mir, Luka.“
„Shiiiiit, Luka! Den hab ich ganz vergessen.“ Bevor ich etwas erklären konnte, bimmelte auch schon mein Handy. Die Stunde war schon längst rum.
„Sorry sorry sorry, ich konnte nicht mehr warten. Ein Notfall.“
„Du und deine Notfälle. Man, erst scheuchst du mich rum, verplanst meinen Nachmittag und dann haust du einfach ab. Was soll der Mist? Ich bin doch nicht dein Spielzeug“, donnerte es aus dem Hörer.
„Luka, bitte, lass uns später reden. Ich bin grad noch bei Alex und Peter.“
„Oh. Dann war es wohl wirklich wichtig?“
„Ja Luke, es war wirklich sehr wichtig.“
„Du … oh man, okay. Du machst mich manchmal einfach nur wahnsinnig.“
„Das hoff ich doch, mein Süßer. Bis später, Küsschen“, flötete ich.
Zwei fassungslose Augenpaare starrten mich an. Alex fand seine Sprache zuerst wieder.
„Sag jetzt nicht Luka spielt auch in eurem Verein?“
„Ups“, entfuhr es mir. Ich wedelte übertrieben tuntig mit den Armen und rief „Überraaaaschung!“
„Der Name wird ja immer passender… Luka und Josh. Ich glaub jetzt überrascht mich nix mehr.“
Ich grinste. „Auch nicht, wenn ich dir sage, dass ihr drei Schwestern im Team habt, mindestens?“
Alex schüttelte den Kopf und Peter lachte schallend. Ein durchaus hübscher Anblick.
„Ein Hoch auf die Schwesternschaft der Konzerttucken“, ergänzte ich trocken.
Linda
Die SMS von Josh überraschte mich unangenehm. ‚Du hattest Recht, wir wurden belauscht.“
Eigentlich war ich ja auf dem Weg zu Alex, entschied mich aber für einen Abstecher zu Dietz. Irgendwas musste da ja vorgefallen sein, sonst hätte er nichts darüber wissen können. Ich schickte meinem Süßen eine kurze Nachricht, dass ich mich verspäten würde.
Nach ein paar Minuten bog ich um die Ecke und sah bereits Joshs Auto unter der Laterne stehen. Jemand schlich vom Haus in Richtung Fahrzeug und wirkte irgendwie verdächtig auf mich. Helle Haare wehten umher und die Person kniete neben seinem Wagen nieder. Etwas in der Hand glänzte und ich erkannte die Unbekannte. Es war Jenny. Ich rannte auf sie zu und brüllte aus Leibeskräften.
„Was immer du vorhast, lass es!“
Sie starrte mich hasserfüllt an und das glänzende Teil in ihrer Hand entpuppte sich als Taschenmesser.
„Das wird mir dieser dreckige Schwanzlutscher büßen!“
Von dem Lärm angelockt öffnete sich die Haustür und Josh trat heraus. Jenny kreischte schrill und wandte sich von mir ab. Mit dem Messer nach vorne stürzte sie auf ihren völlig geschockten Ex-Freund zu.