In den nächsten Tagen stellte sich so etwas wie Routine ein. Jan brachte wie jeden Tag die Milch zum Sammelpunkt und jedes Mal erfuhr er, dass noch keine anderen Kinder in die Gegend zurückgekehrt sind. Anschließend half er seinem Großvater auf dem Feld oder der Mutter im Stall.
Igor sah er nicht wieder, er war mit seinem Unterleutnant unterwegs, um die Leute auf Spur zu bringen, wie man hier im Ländlichen sagt. Einige alte Bauern jammerten, sagten, sie seien von einer Diktatur zur nächsten gewechselt. Aber der Großvater war anderer Meinung.
Er war kein Kommunist und kein Faschist, er sei Realist, so pflegte er zu sagen. Und Jan wollte so sein wie er. Er sah immer mehr auf zu seinem Großvater, der mit stoischer Ruhe seine Arbeit machte, die Hand und Fuß hatte.
Dann, eines Morgens war er nicht allein bei der Sammelstelle. Der Kommandant und Igor waren im Laden und schienen auf ihm gewartet zu haben. Jan freute sich, als er Igor wiedersah und reichte ihm freudig die Hand. „Jan, wir haben andere Arbeit für dich“, sagte der Kommandant und legte seine Hand auf die schmale Schulter des Jungen.
Jan schaute zu Igor, doch der lächelte, also konnte es so schlimm nicht sein. Er beruhigte sich wieder und nahm eine von den Papyrossies an, die Igor ihm reichte. Sie redeten eine Weile, eigentlich redeten nur der Kommandant und Igor, aber es war lustig, die fremde Sprache zu hören und das Lachen aus ganzer Kehle.
Nach einer Weile ging die Tür zum Laden auf und Bauer Heinrich betrat den Raum. Die Russen wendeten sich augenblicklich zu ihm und ihr Gespräch endete abrupt. „Ach, der Jan, schön dass es so schnell ging“, sagte der Bauer und stellte die vollen Milchkannen auf den Tresen.
„Du kennen Heinrich?“ Igor schaute Jan an. Der nickte nur mit dem Kopf, in seinem Hirn drehten sich allerlei Gedanken. „Du ab morgen neuer Bursche für Heinrich.“ Der Kommandant ließ keinen Zweifel an der Aussage. Jan schaute zu Igor, doch der lächelte nur.
War denen eigentlich klar, was dieser Heinrich für ein Typ war? Jan konnte es nicht fassen. Zuerst redeten die Russen von Schule, dann sollte er den widerlichsten Bauern als Bursche dienen? Jan verstand die Welt nicht mehr.
Er sah zu Bauer Heinrich, der sich seine Knollennase rieb und sich scheinbar amüsierte. Jan kannte ihn eigentlich nur aus Erzählungen, meist denen seines Großvaters. Er war Mitglied in der Partei, aber das schien den Russen nicht zu interessieren.
Die Russen verabschiedeten sich schnell, sie mussten noch einigen Höfen ihre Aufwartung machen. „Du bist morgen pünktlich um 5 Uhr auf dem Wilhelmshof, das wir uns ganz klar verstehen“, und der dicke Heinrich leckte sich bei diesen Worten über die Lippen, als hätte ein Frosch grad eine fette Fliege verspeist.
Jan nickte nur und ging mit hängenden Schultern nach Haus. Dort erzählte er der Großmutter die Neuigkeiten und lief dann zum Feld, um Großvater und Mutter zu helfen. Sie waren zuerst entsetzt darüber, aber gegen den Befehl der Russen konnten sie nichts ausrichten.
Trotz allem konnte Mutter der Sache noch etwas Gutes abgewinnen: Der Bauer Heinrich hat vor, während und den Gerüchten zufolge auch nach dem Krieg noch nie Hunger leiden müssen. Sie versprach sich von der Anstellung ihres Sohnes einige, wenn auch kleine, Happen auf dem sonst kargen Tisch. Auch als Bauern hatten sie zu knapsen, wenn auch nicht ganz so schlimm wie die Bevölkerung in den Städten, oder gar erst die Flüchtlinge.
So begann ein neuer Lebensabschnitt für Jan, den, hätte er gewusst, was auf ihm zukommt, mit allen Mitteln versucht hätte zu verhindern.
Pünktlich um fünf Uhr stand er vor dem Wilhelmhof. Der Bauer war schon am Werkeln und rief aus dem Stall nach ihm. Der Bauer hatte dort 4 Kühe und einen Stier zu stehen. Jan musste sofort anfangen zu melken. Er war diese Arbeit gewohnt, also machte sie ihm nichts aus.
Der Bauer schaute und freute sich darüber, dass er einen so geschickten Burschen hatte. Es war für ihn auch nicht schwer, die Russen davon zu überzeugen, dass er Hilfe brauchte. Seine Frau ist vor einem viertel Jahr gestorben. Der Großvater sagte einmal, dass sie nun endlich erlöst sei, er konnte nicht ahnen, dass diese Bemerkung Jan gehört hatte.
Das Wort Erlösung ging ihm fortan nicht mehr aus dem Kopf. Erlöst durch den Bauern, erlöst von der Last der Arbeit, oder erlöst von den Sorgen? Die beiden hatten zwei Söhne, alle älter als Jan. Der eine war zweiundzwanzig und in Russland gefallen, der andere wäre jetzt neunzehn, aber vermisst. Das letzte Zeichen kam aus dem Ruhrpott, wo seine Einheit aufgerieben wurde.
Dieses Wort ging ihm durch den Kopf, das Melken geschah mechanisch. Er liebt es, an Wörter zu denken, wenn es nur monotone Arbeit zu machen gab. Da konnte er stundenlang auf einem herumkauen. Heute war es das Wort >erlöst<.
Zu spät sah er, dass der grade angefangene Eimer umkippte. Einige Tropfen Milch ergossen sich auf dem Boden. Zu Haus wäre es nicht schlimm gewesen, aber er war nicht daheim. Der Bauer hörte das scheppern des Eimers und sprang wie von der Tarantel gestochen auf.
Er kam um die Kuh herum, vor der Jan saß und sah die kleine Pfütze weißer Flüssigkeit, die sich mit dem Heu mischte. Ohne ein Wort bekam Jan eine Backpfeife verpasst. Die Wange schmerzte ihm, auch hat er sich bei dem harten Schlag auf die Zunge gebissen, aber er unterdrückte jeden Laut.
„Kannst du nicht aufpassen, du Tollpatsch?? Du bist zu nichts zu gebrauchen!“ Jan zuckte zusammen. Solche Behandlung war er nicht gewohnt, aber er wusste, dass der Bauer Recht hatte. Er musste sich auf seine Arbeit konzentrieren und nicht Worten nach einer Bedeutung nachjagen.
Er molk die Kuh zu ende. Der Bauer machte sich auf den Weg zur Sammelstelle, nicht ohne ihn vorher noch mit Arbeit einzudecken. Er schuftete hart, so viele Kühe waren doch eine andere Aufgabe, als die eine, die sie zu Haus hatten, und die Mutter auch immer noch mithalf. Nun hatte er die ganze Arbeit und der Bauer ließ sich bis zum Nachmittag nicht mehr sehen.
Als der Bauer endlich zurückkam, dachte er, dass er gute Arbeit geleistet hatte. Aber kaum war der Bauer wieder auf dem Hof, knallte es schon wieder. Nur eine Kleinigkeit hatte er falsch gemacht, aber es setzte sofort wieder eine Backpfeife. Er hielt still, machte die Arbeit noch einmal und verfluchte sich, dass er es falsch gemacht hatte.
Jan wollte perfekte Arbeit leisten, aber der Versuch scheiterte. Kurz kam ihm der Gedanke, dass der Bauer mit Absicht nach Fehlern suchte, aber diesen Gedanken verwarf er ganz schnell wieder.
So lief die erste Woche, immer wieder hat er etwas nicht richtig gemacht und Prügel bezogen. Zu Haus sagte er nichts davon, sah er sich selbst immer als den Schuldigen. Schließlich waren es auch immer seine Fehler, für die er bestraft wurde.
Im Stillen hoffte er, dass der Bauer und sein Großvater sich nicht treffen würden. Wie würde er denn vor seinem Großvater dastehen, wenn Heinrich sagen würde, wie viel er falsch machen würde? Er hatte gelernt einzustecken, das sollte ihm zugutekommen. Und Bauer Heinrich lächelte in sich hinein, als er merkte, dass Jan so funktionierte, wie er sich das ausgemalt hat. Schon vom ersten Tag an, war er erregt, als Jan auf seinen Hof kam, und es wurde schlimmer, das wusste er.
Nach drei Wochen hatte sich wieder so etwas wie Routine eingespielt. Jan versuchte seine Arbeit so gut zu machen, wie es ging, der Bauer fand immer etwas, um ihn mit Tritten und Prügel zu traktieren. Jan hatte die Nacht nicht gut geschlafen. Schon seit dem ersten Tag auf Wilhelmshof hatte er nicht mehr Hand an sich gelegt, auch in der letzten Nacht kam er vor Müdigkeit nicht dazu .Und so geschah, was geschehen musste. Es passierte an einem Sonnabend.
Er kam auf den Hof und erschrak. Der Bauer tobte wie wild, Wortfetzen flogen durch die Luft, aber er konnte nicht verstehen um was es ging. Also schaute er in den Stall und sah eine Kuh, die auf dem Boden lag. Sie schien Schmerzen zu haben, dieses Benehmen der Kuh kam Jan bekannt vor. Es war vor drei Jahren gewesen, als er sah, wie eine Kuh zu Hause dieses Problem hatte.
Der Großvater ging damals in den Stall und massierte die Kuh, Jan wusste aber nicht mehr, was er genau gemacht hatte. „Ich hol Großvater, der bekommt das wieder hin“, sagte er zu dem Bauer und rannte aus dem Stall.
Nach gut zwei Stunden war es geschafft, der Bauer war wieder glücklich und Jan froh, dass es der Großvater geschafft hatte. Die beiden älteren saßen in der Küche und tranken selbstgemachten Johannisbeerwein, Jan stand im Stall und freute sich, das er mal was richtig gut gemacht hat.
Aber er sollte enttäuscht werden. Er hatte alles richtig gemacht, zu richtig. Der Großvater und Bauer Heinrich hatten über seinen Kopf entschieden, dass er fortan in Wilhelmshof leben sollte. Er sollte das Zimmer des ältesten Sohnes beziehen. Wie konnte Großvater nur zustimmen?
Hat Heinrich etwas versprochen, von dem Jan nichts wusste? Oder war Großvater auf das Argument von Heinrich reingefallen, dass es doch besser sei, wenn Jan hier schliefe, um sich den langen Weg am Morgen und Abend zu ersparen?
Er wusste es nicht, wollte es auch nicht wissen. Also tat Jan das, was er schon immer tat: er gehorchte! Am nächsten Tag fuhr ihn der Großvater nach Wilhelmshof und tratschte noch mit Heinrich. Jan war schon mit dem Melken fertig, als der Großvater sich verabschiedete. Es war Sonntag, da ließ auch der Großvater den Tag mit Ruhe und einem Schluck Wein beginnen.
Der Bauer fuhr die Milch zur Sammelstelle, Jan sollte seine Sachen in das Zimmer vom ältesten Sohn bringen. Er fühlte sich fremd in diesem Raum. Er setzte sich auf das Bett und eine Träne rann ihm aus dem Auge. Das Zimmer unterschied sich nicht so sehr von seinem, ein Schrank ein Bett ein Stuhl und Tisch. Aber doch war es anders. Er hatte das Gefühl in eine andere Welt einzubrechen.
Aber er hatte gelernt sich zu fügen. Auch wenn er sich nicht wohlfühlte. Er verstaute seine Habseligkeiten in dem Schrank, in dem noch die Sachen vom ältesten Sohn hingen. Sorgfältig trenne er sie von den seinen.
Nie würde er diese Sachen anziehen, niemals, das gebot ihm der Respekt. Der Älteste vom Heinrich war schon zu Lebzeiten ein komischer Typ. Er war immer unterwegs, mit einem Buch und Schreibheft, in dem er sich immer Notizen machte. Er saß zwar am Ufer des Kanals, badete aber nie mit. Er war das ganze Gegenteil vom anderen Sohn. Der war immer lustig, und schäkerte immer mit den älteren Mädchen.
Rolf, so hieß der älteste von Heinrich, der an der russischen Front ums Leben kam, war ein stiller Typ, Jan hatte nicht viel mit ihm zu tun, war er doch um Jahre älter. Nun hatte er Rolfs Zimmer bezogen. Er mühte sich, nicht daran zu denken, wem das Zimmer gehört hatte, betrachtete es aus der Ferne und sah sich als sein rechtmäßiger Besitzer, wenn es auch nicht so war.
Bauer Heinrich kam gerade auf den Hof zurück, als Jan fertig war mit ausmisten und Stroh geben. Er hatte sich noch nicht einmal richtig umgesehen, da klatschte die Hand schon wieder ins Gesicht von Jan. Nur eine Kleinigkeit, aber Heinrich schien es Spaß zu machen, seinen Burschen zu züchtigen.
Der Bauer hat sich für den Sonntag etwas sehr Schönes ausgedacht. Er ließ Jan die Heuballen in der Scheune um stapeln. Nicht dass er mitgemacht hätte! Nein, er saß auf einem Bund Heu und beobachtete Jan bei seiner schweißtreibenden Arbeit. Nach und nach leerte er nebenbei zwei Flaschen Wein und begann immer mehr zu diktieren.
Jan ließ alles mit sich machen, inzwischen hatte er sein Hemd ausgezogen und arbeitete mit freiem Oberkörper. Der Bauer wurde etwas ruhiger, aber Jan besorgter. Immer wenn sich ihre Blicke trafen, spürte er Unheilvolles. Er konnte nicht sagen was es war, aber der Blick des Bauern jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
Als er endlich fertig war, der Bauer auch zufrieden gestellt war gab es eine Überraschung! Jan durfte sich Wasser auf dem Herd ansetzen und ein Bad nehmen. Wie üblich war der Ablauf auf allen Höfen in der Gegend gleich.
Blechwanne im Stall – bei Bauer Heinrich war es die Scheune, Wasser holen von der Hofpumpe und dann noch das heiße Wasser aus der Küche. Lappen und Seife hatte Jan von seiner Mutter mitbekommen. Er freute sich nach dieser Arbeit, endlich mal zu baden.
Vielleicht würde er heute auch mal die Zeit haben, um etwas zu machen, was er schon so lange vermisste. Er wollte wieder das Gefühl haben, was er bei Igor hatte. Aber allein, würde er es nie erreichen, das wusste er, aber vielleicht etwas…
Jan zog sich die Hose aus, und ließ sich langsam ins Wasser gleiten. Es war ein herrliches Gefühl. Wie das Wasser ihn in den Arm nahm. Er schloss die Augen und dachte sich an einen fernen Ort, mit Igor, wo sie Kopfsprünge ins Wasser machten und Igor seinen Schwanz in der Hand hielt.
Er griff sich an den schon längst steifen Schwanz, als er ein Geräusch hörte. Jan riss die Augen auf und sah den Bauern vor sich. Der hatte so ein gemeines grinsen auf dem Gesicht, dass die Härte in seiner Hand schlagartig versiegte.
„Steh auf und komm aus der Wanne“, schnauzte der Bauer. Jan blieb nichts anderes üblich, als aus der Wanne zusteigen. Seine Hände hielt er vor seine Scham, die schon ganz klein geworden war. Der Bauer torkelte leicht, als er die Schultern von Jan ergriff und ihn ins Heu drückte.
Er merkte nicht, wie sich unzählige kleiner Halme in seinen Körper bohrten, er zitterte am ganzen Leib. Der Bauer stand hinter ihm, während er auf einen Heuballen geworfen wurde. Er umklammerte den Ballen und wagte sich nicht zu bewegen.
Hinter ihm hörte er Geräusche, die er aber nicht zuordnen konnte. Im Nachhinein wurde ihm bewusst, dass der Bauer seine Hose geöffnet hatte. Er hing über den Strohballen und zitterte vor Erregung. Es war aber keine freudige, sondern eine, die einem das Herz droht rauszureißen.
So sollte es auch kommen. Der dicke, übelriechende Heinrich legte sich auf ihn und dann kam der pure Wahnsinn. Jan schloss die Augen, kniff sie mit einer ungeheuren Gewalt zusammen dass er nur noch Sterne und blitzende Lichter sah.
Er spürte, wie sich der steife Schwanz an seinem Loch zu schaffen machte. Dann gab es einen stechenden Schmerz, dass er dachte die Hölle hat sich geöffnet. Schließlich war er so vom Schmerz gefangen, dass er dachte, die Welt geht unter. Er verlor für einen Moment das Bewusstsein, vielleicht drifteten seine Gedanken auch nur in eine andere – heile – Welt ab.
Als Jan wieder zu sich kam, spürte er, wie etwas Heißes, Ungewohntes seine Darmwände emporschoss. Der Bauer ließ sich auf ihn fallen und sein Gewicht drückte die Halme immer mehr in seine Brust. Er hatte Mühe zu atmen, dazu kam noch dieser übelriechende Geruch aus dem Mund des Bauern.
Der Schmerz verging auch nicht, als Heinrich sein Glied aus seinem Anus zog. Es brannte wie Feuer und er drohte wieder abzukippen. „Steh auf und wasch dich“, waren die einzigen Worte des Bauern, als er sich von ihm gelöst hatte. Jan stiegen die Tränen in die Augen, er ging wie in Trance zur Wanne und ließ seinen geschundenen Körper hineingleiten.
Ich werde alles Großvater sagen, dachte er sich, das darf nie wieder vorkommen! Aber was ihn verwunderte, war einzig die Tatsache, dass er einen Steifen hatte, so wie noch nie zuvor. Aber er konnte und wollte sich keine Erleichterung verschaffen.
In dieser Nacht plagten ihn Alpträume der besten Art. Er sah Igor, wie er an Heinrichs Stelle trat, aber er war viel einfühlsamer. Er sah den Bauer, wie er sich an seinem Großvater verging, er sah Bilder, die nur eine geschundene Seele sehen konnte. Und er sah sich, in einem Licht, das sagte, das ist richtig, aber auch falsch.
Er sah am nächsten Morgen schlecht aus. Die Träume hatte er leider nicht vergessen, immer wieder beschäftigte ihn das Bild, das es richtig war, was der Bauer mit ihm gemacht hat, aber auch falsch.
Der Bauer fuhr seine harte Linie den ganzen Tag weiter, als wäre nichts gewesen. Am Abend sollte er noch in der Küche den Abwasch machen. Er stand vor der Spüle, als er den schlechten Atem roch, der sich von hinten an ihn heranschob.
Jan erstarrte zur Salzsäule, konnte sich nicht mehr bewegen, als er die Hände spürte, die den Bund seiner Hose runterschoben. Er versuchte alles bei vollem Bewusstsein mitzubekommen. Sein Wort, auf das er herumkaute, war Vergebung.
Er wurde über die Spüle gedrückt und spürte, wie Heinrich in ihn eindrang. Er versuchte sich zu lockern, aber es gelang ihm nicht. Die Schmerzen brachten ihn wieder an den Rand der Besinnungslosigkeit. Wieder schoss es ihm heiß den Darm herauf. Das Gefühl fand er gut, die Umstände hasste er.
Jan war hin und hergerissen, als er wieder in „seinem“ Bett lag. Er hasste es, dass der Bauer das mit ihm tat, aber gleichwohl verspürte eine gewisse Erregung. Die zeigte sich in seiner Hand und ließ ihn abspritzen wie noch nie.
Es war Unrecht, was ihm der Bauer antat, da war er sich sicher, aber mit wem konnte er darüber reden? Seinem Großvater konnte er nichts sagen, seiner Großmutter und Mutter auch nicht. Und noch immer war er der einzige Junge im Dorf und der Umgebung.
Ob er den Russen davon erzählen sollte? Igor hatte ein Lächeln auf den Lippen, als Jan erfuhr, dass er zum Bauern sollte. Nein, die konnte er nicht mit hereinziehen. Aber er musste etwas unternehmen, es ging so nicht weiter.
Die Übergriffe des Bauern begannen nun auch schon vormittags. Das schlimmste an der Sache war, das Jan immer mehr abschaltete, den Schmerz vergaß und einen klitzekleinen Gefallen daran fand. Auf jeden Fall konnte er es nicht vermeiden, dass er auch ab und zu kam, ohne dass er Hand angelegt hatte. Zuerst war es ihm peinlich, im Laufe der Wochen war es ihm egal, er betrachtete es als „Lohn“ wenn auch nicht gerechtfertigt.
Als der Bauer während der Ernte sich an einem Tag zuerst besoff, und dann noch Jan rannahm, platze diesem der Kragen. Es musste der Sachen ein Ende gesetzt werden! Er hatte eine gute Strategie entwickelt, die klappen sollte. Er hasste den Bauern, wünschte ihm den Tod.
Und der Stein kam ins Rollen.
Zuerst musste Jan dafür sorgen, dass er wieder zu Haus schlief. Das war aber nicht das Problem, seine Mutter wurde krank und er wollte als Pfleger in der Nacht fungieren. Der Bauer sah darin keinen großen Akt, schließlich war Jan tagsüber immer zu erreichen, was er auch deutlich machte.
Dann musste Jan den richtigen Zeitpunkt abpassen. Die Russen kamen immer regelmäßig zu den Höfen, um sie zu kontrollieren. In zwei Tagen sollten sie wieder auf den Wilhelmshof kommen. Er bereitete alles vor, ließ auch das letzte Mal den Übergriff vom Bauern auf sich zu.
In der Nacht vor der Kontrolle schlich er sich aus dem Haus. Die Nacht war Sternenklar und er hastete zum Wilhelmshof. Vorsichtig spähte er das Gelände aus. Der Bauer war in seinem Schlafzimmer, wie ihm das Licht verriet. Als es endlich erlosch, nach unsagbar langer Zeit, machte er sich mit klopfenden Herzen ans Werk.
Er schlich zum Hoftor und riss die Platte, die die Russen daran befestigt hatten ab. Dann ging er, jedes Geräusch vermeidend aus dem Dunstkreis des Hofes. Mit zitternden Fingern entzündete er das Streichholz und brannte die Platte an.
Immer wieder musste er sie neu anzünden, bis er den gewünschten Erfolg hatte. Die Platte war zur Hälfte verbrannt. Er sammelte mit bloßen Händen die Asche auf und schnappte sich die Platte. Vorsichtig näherte er sich dem Hof, als ihm das Herz fast in die Hose rutschte.
Er sah ein Licht über den Hof tanzen. Schnell ging Jan in Deckung. Dann stellte er fest, dass der Bauer zum Plumpsklo unterwegs war. Hoffentlich würde er die fehlende Platte nicht bemerken. Der Bauer hatte glücklicherweise die Augen nicht richtig offen. Nachdem er mit seinem Geschäft fertig war, tanzte das Licht wieder zum Haus zurück.
Jan kam mit klopfendem Herzen aus seinem Versteck, als das Licht im Schlafzimmer wieder ausging. Er schlich auf den Hof und legte das Schild um den Pfeiler der Einfahrt, so, dass es nicht gleich auffiel. Die Asche streute er daneben und auch ein abgebranntes Streichholz legte er dazu.
Zufrieden, aber noch immer höchst angespannt schlich er zum Plumpsklo. Aus seiner Tasche zog er eine alte Zeitung. Er hatte sie noch nicht gelesen, es wäre ihm auch nicht gelungen. Sie bestand nur aus kyrillischen Buchstaben. Er hatte sie durch Zufall im Straßengraben gefunden. Auf der ersten Seite war ein großes Bild Von Stalin zu sehen.
Er hatte sie nur des Bildes wegen aufgehoben. Aber nun bekam sie einen anderen Zweck. Er hat sie zu Haus in so große Stücke gerissen, das es nicht auffiel, wenn er sie an den Nagel im Plumpsklo hing. Hoffentlich musste einer der Russen aufs Klo, dachte er sich noch. Sonst wäre der zweite Teil seines Plans hinfällig.
Vorsichtig öffnete er die Tür zum Herzchen Haus. Er nahm zwei Blatt vom Nagel, hängte dann die russischen Zeitungsstücke mit dem Konterfei Stalins daran und davor die zwei alten Zeitungsblätter.
Nun galt es, dass der Bauer nicht noch Durchfall in der Nacht bekam. Jan grinste, es war ein zynisches Grinsen. Er schlich sich wieder vom Hof und machte sich auf dem Weg nach Haus.
Großmutter weckte ihn am nächsten Tag. Er war an diesem Morgen ganz durch den Wind. Hoffentlich klappte alles. Im Stillen betete er und hoffte. Auf dem Weg zum Wilhelmhof hörte er schon in der Ferne das Motorengeräusch.
Das konnten nur die Russen sein, die heute schon sehr früh kamen. Das freute ihn, so würden sie sehen, dass er gerade erst kommt. Fast zeitgleich kamen sie am Tor an. Igor winkte ihm freundlich zu und der Kommandant nickte nur. Das Auto hielt im Hof und die Männer stiegen aus.
Jan ging zu ihnen, begrüßte sie und sagte, dass er in den Stall müsse, um zu melken. Er verschwand so unauffällig wie möglich, um sich seine Anspannung nicht anmerken zu lassen. Aus dem Augenwinkel sah er den Bauern, wie er gerade vom Plumpsklo kam, aufgeschreckt durch den Motorenlärm auf seinem Hof.
Jan dachte nicht daran zu melken. Er versteckte sich hinter der Tür um besser beobachten zu können, den Eimer in der Hand, falls sie kommen würden. Der Bauer begrüßte die beiden überschwänglich, fast schon penetrant aufdringlich. Der Unteroffizier schaute sich um, als ob er etwas suchen würde.
Dann ruckte sein Kopf in Richtung Tor und aus seiner versteifenden Körperhaltung konnte man sehen, dass er gefunden hatte, was er suchte. Jan sah, wie der Kopf des Kommandanten rot wurde und er mit merkwürdig steifen Beinen zum Tor ging. Jans Herz hämmerte in der Brust, der Eimer in seiner Hand fing an zu zittern.
Auch der Bauer schaute nun zum Russen, der den Pfeiler der Einfahrt erreicht hatte und sich nach dem angesengten Schild bückte. Dem Bauern entwich alle Farbe aus dem Gesicht. Er ging auf den Kommandanten zu und versuchte ihn zu beschwichtigen und redete und redete. Aber der Kommandant sah nur das halb verbrannte Schild in seinen Händen und sagte kein Ton.
Jan war es unheimlich, fast hätte er nicht auf Igor geachtet, der sich gerade auf dem Weg zum Stall gemacht hatte. Schnell setzte er sich neben die erste Kuh und begann zu melken. Er tat überrascht, als Igor plötzlich neben ihm stand.
„Du mitkommen“, sagte er zu Jan und dieser erhob sich, drückte die Knie durch um nicht zu zittern und folgte ihm. Der Kommandant stand noch immer mit dem Schild in der Hand da. Der Bauer flehte schon fast, dass er ihm doch glauben solle, dass er mit der Sache nicht zu tun habe.
„Wer war das?“ Der Kommandant schaute von einem zum anderen. „Junge, warst du das?“, fragte er mit ernstem Gesicht. Jan schüttelte nur den Kopf. Reden hätte er nicht gekonnt, er hätte sich wahrscheinlich mit seinem Zittern in der Stimme verraten.
Igor und der Kommandant wechselten einige Sätze auf Russisch miteinander. Der Kommandant nickte Igor zu und ein kurzes lächeln huschte über das Gesicht des Unterleutnants. „Du vorhin erst von zu Hause gekommen?“, fragte Igor. Jan schaute ihn an und nickte wieder.
„Du die ganze Nacht zu Hause gewesen?“ Der Kommandant schaute erwartungsvoll. „Ja“, das erste Wort das Jan sagte war leise, aber es war kein Zittern in der Stimme zu hören. Freundlich nickten die Russen dem Jungen zu. Dann wendete sich der Blick zum Bauern, der aschfahl da stand und kein Wort mehr sagte.
„Also warst du es, oder?“, der Kommandant schaute grimmig zum Bauern. Wieder setzte er zu einer Erklärung an, dass ihm da etwas untergejubelt werden sollte, was er nicht gemacht hat. „Der war es!“, und zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf Jan. Dieser ließ sich seine Anspannung nicht anmerken und Schüttelte verneinend den Kopf.
„Schluss!“, die Stimme der Kommandanten klang wie ein Peitschenhieb und sowohl der Bauer, als auch Jan zuckten zusammen. „Wir werden überprüfen und herausfinden“, sagte der Kommandant im fast schon drohenden Ton. Er übergab das Schild Igor und setzte seinen Rundgang über den Hof fort.
Igor tätschelte die Schulter von Jan. „Du wieder an Arbeit gehst“, und lächelte ihn an. Jan machte auf dem Hacken kehrt und lief so schnell wie möglich in den Stall. Er setzte sich wieder und begann mechanisch zu melken. Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
Er verfluchte sich dafür, dass er es gemacht hatte, aber nun war es nicht mehr rückgängig zu machen. Was würden sie mit ihm anstellen, wenn sie herausfanden, dass er es gewesen war? Würden die Russen auch Kinder zur Zwangsarbeit nach Sibirien verschleppen? Man hatte Gerüchte von solchen Sachen gehört, aber genau wusste es auch keiner zu sagen.
Er hatte den halben Eimer voll, da öffnete sich die Stalltür und die drei kamen herein. Fast hätte er wieder den Eimer umgestoßen. Er drehte den Kopf ängstlich um und sah Igor lächeln. Dieses süße Grinsen beruhigte ihn ungemein, eine Wärme machte sich in seiner Brust breit.
Er lächelte kurz zurück und wandte sich wieder der Kuh zu. Keiner der drei wusste, wie das Herz in seiner Brust hämmerte. Nur wer Jan genau kannte, sah wie er zu kämpfen hatte, alles so normal wie möglich aussehen zu lassen. Der Kommandant betrachtete den schmächtigen Jungen und schüttelte leicht seinen Kopf. Es war, als hätte er ein Urteil gefällt, dass er aber nicht preisgab. Die drei gingen durch die Reihen der Tiere und Jan machte so normal weiter, wie es ging, ohne auch nur einmal aufzusehen.
Sie waren fertig und verließen den Stall wieder. Jan atmete auf und machte einen kurzen Moment Pause, um seine Nerven zu beruhigen. Immer wieder ging es ihm durch den Kopf, wie der Bauer voller Hass auf ihn gezeigt hatte.
Jan leerte gerade den Eimer in die Milchkanne aus, als er auf dem Hof hastig und laut gesprochene Worte hörte. Er schlich zur Tür und schaute durch eine Ritze auf den Hof. Dort stand der Kommandant mit einem kleinen Zeitungsstück und schrie den Bauern fast an.
Der wiederum stand da und verstand nichts, da die Worte auf Russisch kamen. Aber der Schrecken war ihm ins Gesicht geschrieben. Jan wusste was geschehen war. Seine Knie gaben nach und fast wäre er gestürzt. Er schnappte sich den Eimer und rannte zur nächsten Kuh. Seine Finger zitterten und die Gedanken jagten kreuz und quer durch seinen Kopf.
Die Tür wurde aufgestoßen und Jan zuckte zusammen. Fast wäre er in Tränen ausgebrochen. „Jan, du kommen raus“, hörte er Igor hinter seinem Rücken rufen. Langsam erhob er sich und mit durchgedrückten Knien ging er nach draußen. Er hatte Angst vor dem, was ihn erwartete. Sie wussten bestimmt, dass er alles gemacht hatte.
Er fühlte sich wie auf dem Weg zum Schafott. Igor hielt das halb verbrannte Schild in der Hand und das Stück Zeitung, mit dem Bildnis von Stalin. „Hast du schon mal gesehen?“ Igor schaute ihm in die Augen. Jan wusste, dass er nun stark sein musste, das wäre seine letzte Chance, den Misshandlungen durch den Bauern zu entgehen.
Er sammelte allen Mut zusammen, sah Igor ins Gesicht und sagte mit bestimmter Stimme: „Nein.“ „Bauer sagt, du willst ihm was anhängen?“ „Ich bin erst heute Morgen hier hergekommen, mit euch zusammen, das hast du doch gesehen?“ Jan kostete der Satz viel Mühe. Fast hätte man die Unsicherheit erkennen können.
„Du also wissen von nichts?“ Jan schaute Igor an und schüttelte verneinend den Kopf. „Gut, ich dir glauben, Kommandant auch. Du wissen, wer es sonst gemacht haben könnte?“ Jan schüttelte wieder den Kopf. „Ich weiß es nicht“, sagte er leise.
Die Tür zum Haus öffnete sich und der Bauer gefolgt vom Unterleutnant kamen heraus. „Der, der war es. Der will mich weghaben, so ist es doch, du Lump! Sei ehrlich!“ Der Bauer war zornesrot. Jan schaute ihn offen ins Gesicht. Igor hatte gesagt, dass sie ihm glaubten, das gab ihm den Mut. „Ich habe nichts gemacht.“
„Gib es zu. Du darfst nicht zulassen, dass sie mich einsperren!“ Fast konnte man das winseln in seiner Stimme hören. Jan sah sich auf dem Strohballen liegen, er spürte wieder den Schmerz, als der Bauer ihn vergewaltigte. „Ich war die ganze Nacht zu Hause. Als ich gestern gegangen bin war noch alles in Ordnung.“ „Nun, gut jetzt, ab in den Wagen“, sagte der Kommandant und schob den Bauer vorwärts.
Er drehte sich noch mal zu Jan. „Du Milch fertigmachen und zur Sammelstelle bringen. Wir dort auf dich warten, alles klar?“ Es war keine Frage, es war ein Befehl und Jan nickte. Er sah zu, wie die drei Männer ins Auto stiegen. Der Bauer schaute mit einem zornig, flehenden Blick zu Jan, aber der verzog keine Miene.
Als das Motorengeräusch kaum noch zu hören war, ließ er sich fallen und schloss die Augen. Tränen rannen aus den Augenwinkeln. Ist es nun vorbei? Die ganze Zeit der Demütigung und der Vergewaltigungen? Hab ich es geschafft? Plötzlich machte sein Herz einen Aussetzer. Was ist, wenn sie ihn wieder freilassen? Mit einem Satz saß er aufrecht. Was wird dann geschehen?
Sein Herz hämmerte wie wild in seiner Brust. Wenn er wieder freikommt, dann macht er mich fertig! Aber dann muss ich verschwinden! Dann muss ich ganz weit weg! Der Plan stand fest! Er würde dann seine Heimat verlassen. Eine andere Möglichkeit hatte er nicht.
Er ging wieder in den Stall und molk die Kühe fertig. Die zwei Kannen konnte er unmöglich allein zur Sammelstelle bringen. Also ging er und spannte das Pferd vor den Wagen. Es war ein komisches Gefühl, alles allein entscheiden zu müssen, aber es machte ihm auch Spaß.
An der Sammelstelle angekommen warteten schon die Russen vor der Tür. Igor lächelte ihm zu und der Kommandant betrachtete ihn genau. Er wurde regelrecht gemustert von ihm. Wieder kroch die Anspannung in seine Knochen. Routiniert nahm er die Kannen vom Wagen und Igor half ihm beim Tragen.
Der Kommandant stand und wiegte den Kopf überlegend hin und her. Als sie beide wieder herauskamen hielt der Unterleutnant Igor am Arm fest und redete mit ihm leise auf Russisch. Jan verstand kein Wort, wusste aber, dass es um ihn ging. Es war ihm unangenehm. Verstohlen stand er da und scharrte mit dem Fuß im Sand.
Mehrmals schauten die Beiden zu ihm, dann tuschelten sie weiter. Igor winke ihn heran. „Du erst mal machen den Hof weiter. Du können?“ Jan nickte nur. „Dann marsch auf Hof, Igor kommen heute Abend vorbei und klären dann Problem weiter.“ Der Kommandant reichte ihm die Hand und Igor klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
Jan hatte es nun sehr eilig von hier wegzukommen. Als er aus dem Dorf raus war, konnte er das erste Mal durchatmen. Sein Plan hatte bisher funktioniert, aber die größte Frage ist noch unbeantwortet. Was passiert, wenn der Bauer wieder zurückkommt?
Von weiten sah er den Großvater auf sich zukommen. Dieser war auch unterwegs zur Sammelstelle. Sie hielten die Wagen nebeneinander und Jan erzählte, was sich ereignet hat. Natürlich ließ er seinen Anteil an der Geschichte aus. Der Großvater schaute ihn aufmerksam an.
„Und du hast damit wirklich nichts zu tun?“ Eine leichte röte zog in Jans Gesicht. Es schmerzte ihn, seinen Großvater anzulügen. Er schüttelte verneinend den Kopf. „Ich sag zu Haus Bescheid, dass du auf dem Wilhelmshof bleibst. Ist etwas zu essen für dich da?“ „Ja, ich werde schon was finden, wenn nicht, kann ich immer noch zu euch kommen.“
„Vergiss nicht die Tiere richtig zu versorgen. Wir treffen uns morgen an der Sammelstelle. Dann erzählst du mir, was der Kommandant weiter vorhat. Sei anständig!“ Jan nickte und beide gaben den Pferden das Zeichen zum Weitergehen.
Jan erledigte alle üblichen Arbeiten auf dem Hof und wartete nun auf Igor. Was hatten sie sich überlegt. Ihm war klar, dass er mit seinen vierzehn Jahren keinen Hof führen konnte. Vielleicht würden sie auch eine Flüchtlingsfamilie auf den Hof setzten. Oder der Bauer kam wieder frei. Aber diesen Gedanken wischte er schnell wieder fort.
Es wurde bereits dunkel, als sich Motorengeräusche bemerkbar machten. Jan ist ein wenig eingenickt, der Tag war sehr aufregend, dann hatte er in der Nacht zuvor kaum geschlafen. Igor stieg aus dem Wagen und begrüßte ihn nochmals.
Sie gingen in die Küche. Plötzlich fühlte sich Jan fremd und falsch in diesem Haus. Eine merkwürdige Stimmung erfasste ihn. Igor erklärte ihm, dass er sich erst mal in den nächsten Tagen um den Hof kümmern sollte. Sie würden nach einer geeigneten Flüchtlingsfamilie Ausschau halten, die dann den Hof übernehmen sollte.
Jan war etwas mulmig zumute. Die Arbeit war kein Problem, aber allein in diesem Haus zu sein schien ihm Kopfzerbrechen zu bereiten. Igor wischte das Argument vom Tisch. „Du doch schon eine Weile hier wohnst, alles kein Problem. Du das schon schaffen. Wenn Probleme, an Sammelstelle sagen, ich dann komme und helfe.“ Das machte Jan Mut, aber da war noch eine Frage, die ihm auf der Seele lag.
„Igor, was wird mit dem Bauer?“ Nun war es raus. Igor schaute ihn groß und verwundert an. „Er hat begangen Verbrechen. Dafür bekommt er Strafe. Er auch in Partei war, ein Faschist. Das wird einfach nicht für ihn.“ Ein Verbrechen war das also? Jan lief es kalt den Rücken runter. Zwar hatte er sich gewünscht, dass dem Bauern ein Denkzettel verpasst wird, aber aus ihm gleich einen Verbrecher zu machen? Das war nicht seine Absicht. Er wurde unsicher. Er hat schwere Schuld auf sich geladen, das wurde ihm nun erst bewusst. Aber er konnte nicht mehr zurück.
„Du haben genug zu essen da?“ Schon stand er auf und öffnete die Schränke um nachzuschauen. Er fand nur etwas Brot, Margarine und einen Zipfel Wurst. „Nicht viel, aber muss weitersuchen.“ Freudige Erregung ergriff Jan und Igor. Zusammen suchten sie das ganze Haus ab. Im Keller dann wurden sie fündig. Hier gab es einige Gläser mit Eingewecktem. Das hat sicher noch die Bäuerin gemacht.
Aber Igor kannte sich aus in den Häusern der Bauern und ihren geheimen Verstecken. Er sah auf dem Boden Schleifspuren, die nur unvollständig verwischt wurden. Er trat an die Kiste heran und schob sie beiseite. An der Wand war ein Brett angemacht, dass er abriss und eine Öffnung tat sich vor ihnen auf.
Sie gingen auf die Knie und leuchteten mit der Petroleumlampe in das Dunkel. Ein Raum war dahinter verborgen. Igor kroch durch das Loch und Jan folgte ihm. Was sie da sahen verschlug ihnen den Atem. Hier hingen Würste und Schinken, so viel, wie Jan noch nie in seinem Leben gesehen hat. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Igor musste auch schlucken. Er nahm einen Kringel Bockwürste vom Haken, riss zwei Stück ab und reichte eine davon Jan.
Der roch erst daran, inhalierte den würzigen Geruch, bevor er herzhaft abbiss. Sie strahlten sich beide an. „Das gut ist“, meinte Igor und Jan hatte von Kauen rote Wangen bekommen. Kauend sah sich Igor im Raum um. In einer Ecke stand eine Kiste, alte Decken lagen darüber. Er nahm sie herunter und sah, dass die Kiste mit einem Schloss gesichert war.
„Hast du irgendwo Schlüssel gesehen?“ Jan schüttelte den Kopf und leckte sich die Finger einzeln ab. „Der Bauer hatte immer einen Schlüsselbund in der Tasche.“ Das wusste Jan, da er einmal aus der Tasche gerutscht war, als der Bauer sich an ihm verging. Du holen Zange oder Brecheisen, dann wir machen auf.“ Man konnte die Vorfreude von Igor fast mit den Händen greifen. Jan kroch durch das Loch zurück und zündete eine zweite Lampe an. Die Streichhölzer nahm er ganz automatisch aus seiner Hosentasche. Heiß und kalt lief es ihm den Rücken runter. Er hatte sie noch in der Tasche, vom Vorabend. Nur gut, dass es keiner gesehen hat! Er schmiss sie in einen Küchenschrank und ging in den Stall, wo eine Metallstange stand.
Als er wieder in den Raum kam, sah er Igor auf dem Boden hocken. Er sah sich den Boden genauer an. Was suchte er da, fragte sich Jan und stellte die Eisenstange ab. „Du holen Schaufel, schnell Junge.“
Jan rannte in die Scheune. Was hatte Igor der Fuchs da gesehen? Für ihn sah der Boden normal aus, es war gestampfter Boden, wie in allen Häusern. Igor begann an einer Stelle zu graben. Nur wenige Zentimeter tief, stieß die Schaufel auf etwas Hartes. Vorsichtig hob er Schaufel um Schaufel die Erde aus dem Loch. Eine Ölige Decke kam zum Vorschein.
Igor schaufelte vorsichtig weiter. Die Petroleumlampen hüllten alles in ein merkwürdiges Licht. Jan sah die Schatten, die sich auf den Würsten und der Wand abzeichneten. Es hatte etwas Spannendes an sich. Igor legte die letzte Schicht mit den Händen frei und hob das Bündel aus der Erde.
Vorsichtig legte er es auf die Truhe, die immer noch abgeschlossen war. Igor wickelte die Decke ab und zum Vorschein kamen zwei lange Waffen, und noch ein kleines Bündel, in dem sich eine Pistole befand. Jan kannte sich mit Waffen nicht aus, aber es musste etwas Wichtiges daran sein. Igor sprach leise auf Russisch vor sich hin.
Er drehte sich zu Jan. „Das eine ist deutsche Waffe, aber das andere ist russisches Maschinengewehr. Das ist seltsam. Wie kommen der Bauer an russisch Gewehr?“ Jan ahnte, dass es für den Bauern noch enger werden würde. Zuerst die Unterschlagung der Lebensmittel und dann noch Waffen. Dazu noch eine Russische Waffe.
Igor packte alles wieder ein und suchte im Loch noch weiter. Dann hatte er, wonach er gesucht hat. Eine Schachtel mit Munition für alle drei Waffen kam ans Licht. Igor grinste. „Das wird Bauer erklären müssen.“
Nun machte er sich an die Truhe. Als das Schloss vom Deckel flog, gab es ein knirschendes Geräusch. Igor hob den Deckel an und beide staunten nicht schlecht, bei dem was sie gefunden hatten. Bündel mit Geld, Kästchen, scheinbar gefüllt mit Goldschmuck und alten Zeitungen. Auf einem der Bilder war der Bauer zu sehen in einer Uniform. Jan konnte sich nicht daran erinnern, dass der Bauer jemals bei der Armee war.
Igor schaute sich das Bild genau an und zog die Augenbrauen hoch. „Genug für heut, ich kommen morgen wieder und dann hole ich alles. Du nichts anfassen, alles klar?“ Jan nickte, dann schlichen sie durch das Loch zurück und gingen wieder in die Küche. Igor verabschiedete sich von Jan und machte sich mit den Waffen auf den Weg zurück zum Kommandanten.
Lange lag er noch wach und dachte an die vielen Würste, die unten im Keller hingen. Aber er blieb stark und holte sich keine mehr. Igor würde es bestimmt merken. Er war lange genug allein im Keller, vielleicht hatte er sie ja gezählt.
Am nächsten Morgen kam der Kommandant und Igor, der einen kleinen Lastwagen fuhr. Jan rannte aus dem Stall, wo er gerade die Kühe molk und begrüßte beide. Dann machten sie sich daran, das Geheimzimmer auszuräumen. Jan wurde wieder zum Melken geschickt, als sie sich den Inhalt der Truhe genauer ansahen.
Er wäre gern dabeigeblieben, aber die Arbeit hatte Vorrang. Gerade als er mit dem Melken fertig war, waren auch die beiden Russen fertig. Igor schnappte sich die zwei Kannen und lud sie auf den Wagen. „Ich muss auch ins Dorf, mein Vater wollte mich dort treffen“, sagte er. Igor lachte und hielt ihm die Beifahrertür auf.
Der Großvater wartete schon in der Sammelstelle, als sie vor dem Geschäft zum Halten kamen. Jan erzählte ihm kurz, was sich ereignet hatte und der Großvater staunte nicht schlecht. Die Russen fuhren weiter und Jan stellte die leeren Kannen auf den Wagen. Großvater machte einen Umweg über Wilhelmshof und ließ sich noch mal alles genau erzählen.
Jan erzählte und erzählte, der Großvater hörte interessiert zu. Auch ihm war es unbekannt, dass der Bauer mal eine Uniform getragen hatte. „Kümmere dich um den Hof, als ob es dein eigener wäre. Mach uns keine Schande“, gab er ihm noch auf den Weg, bevor sich das Gespann wieder in Bewegung setzte.
Jan ging zufrieden durchs Tor und setzte sich einen Moment hin, bevor er mit dem Ausmisten des Stalls begann. Er wusste nun genau, dass er den Bauern nie wieder sehen würde. Er war glücklich. Nach getaner Arbeit wollte er den Tag gemütlich ausklingen lassen. Er machte sich in der Scheune ein Bad fertig und genoss es, allein zu sein. Er dachte an Igor, und der Augenblick, als ihm der Orgasmus durchzuckte war wunderbar.
1 Kommentar
Hallo Heiko,
vielen dank für Deine Geschichte und ich habe alle drei Teile gelesen und warte auf die kommenden Teile. Sie hat mir echt gut gefallen, weiter so……
Natürlich warte ich von Deiner ersten Geschichte auf die nächsten Teile, grins
LG
Ralf