Begegnung – Teil 2 – Make it count

Ich kam ins Wohnzimmer und meine Eltern schauten in die Mattscheibe. Als ich mich setzte, bemerkte ich meine zitternden Knie. Mir wurde kalt, ich schwitze. War das Aufregung?

„Mama, Papa?“

Sie sahen mich an. Mir kam es vor wie ein Déjà-vu – bei meinem Coming-Out war es eine ähnliche Situation.

„Ich möchte euch was erzählen.“ fing ich an. Mir war nichts besseres eingefallen.

Ich rang nach Luft.

„Ich habe einen Freund.“

Jetzt war es raus, kurz und schmerzlos. Ich schluckte. Mein Herz raste. In Gesicht und Worten meiner Eltern zeigte sich keine Begeisterung.

„Ja … schön, und? Was sollen wir jetzt groß dazu sagen?“ fragte meine Mutter. Ihre Stimme war kalt.

„Ich wollte ihn gerne zum Wochenende einladen.“

„Wenn Du das willst.“ meinte sie.

„Kann er auch das Wochenende hier übernachten?“ fragte ich vorsichtig.

„Ja, ja, meinetwegen …“

Sie hatte mich nicht angesehen. Und mein Vater hatte während der ganzen Zeit eher passiv dabei gesessen und weiter in den Fernseher gestarrt.

„Dankeschön.“ sagte ich mit gezwungen freundlicher Stimme.

Ich ging zurück in mein Zimmer und schrieb Björn eine SMS.

„Hey mein Lieber! Du kannst am Wochenende kommen. Ich freu mich schon. Näheres per Mail. 1.000.000 Küsse und gute N8, Sascha.“

„Hi Kleiner *g* Freu mich auch schon RIESIG auf Dich. Sage Dir noch, wann ich komme und so. Kisses back, sleep well. Björn“ schrieb er zurück.

Ich grinste. Seit wir uns in Siegen getroffen haben, war sein Spitzname für mich „Kleiner“.

Ich baute mein Bett, putze mir die Zähne und zog mich um. Fröhlich fiel ich ins Bett und knipste das Licht aus.

***

Ich wachte auf und hatte wieder dieses zufriedene Lächeln auf den Lippen. Ich stieg aus dem Bett, zog mich an und entschloss mich, den Tisch zu decken.

Es war Samstag. Poggels waren schon zu Lennemanns gegangen und hatten die Brötchen vor die Balkontür gestellt.

Meine Eltern kamen den Flur herauf. Mein Vater sah mich.

„Oh, da wird ja schon der Tisch gedeckt! Guten Morgen.“ meinte er.

„Morgen. Mir war langweilig geworden und ich dachte, och, deckst Du mal den Tisch.“

Meine Mutter begrüßte mich und ging ins Bad. Ich deckte weiter und mein Vater zog sich an. Der Kaffee war durchgelaufen und ich füllte ihn in die Warmhaltekanne. Ich schloss die Augen und nahm einen Lungenzug des Kaffeegeruchs, ehe ich die Kanne verschloss.

Mein Vater kam zur Küche herein und blieb wie so oft im Türrahmen stehen. Auch meine Mutter kam herein. Sie hatte sich einen Bademantel übergezogen. Wir setzten uns an den Tisch und begannen mit dem Frühstück.

„Wann kommt nochmal der Zug?“ fragte mein Vater und schaute zur Uhr.

„Viertel vor zehn ist er in Grevenbrück.“

Auch ich sah auf die Uhr. Zwanzig nach neun.

Meine Eltern unterhielten sich und ich hörte zu. Meine Mutter bedauerte wieder ihre Arbeitskolleginnen, die arbeiten mussten.

Nachdem wir unsere Brötchen aufgegessen hatten, ging ich in mein Zimmer. Schnell hatte ich aus dem Bett meine Couch gebaut.

„Wollen wir los?“ fragte mein Vater. Er schaute ins Zimmer.

„Ja, Moment.“

Ich band meine Schuhe zu und ging dann nach draußen. Mein Vater hatte das Mobil schon aufgeschlossen und ich stieg ein. Meine Mutter blieb zuhause. Auf dem Weg nach Grevenbrück sprachen mein Vater und ich kein Wort.

„Ist das okay, wenn ich mich mit ihm gleich nach hinten setze?“ fragte ich.

Mir fiel wieder auf, dass meine Eltern gar nicht Björns Namen kannten. Den hatte ich noch nicht erwähnt.

„Kein Problem. Mir ist das egal.“

Mein Vater hielt auf den Taxi-Parkplätzen vor dem alten Bahnhofsgebäude.

„Soll ich mitkommen?“

„Nee, brauchst Du nicht.“

Ich stieg aus und schaute auf die Uhr. Zwanzig vor zehn. Der Bahnsteig war leer. Ich setzte mich auf eine Bank und die Durchsage für Björns Zug kam. Ich schaute in die Richtung, aus der er kommen musste.

Ein paar Sekunden später bog der Zug um die Ecke und fuhr laut bremsend in den Bahnhof ein. Viele Türen öffneten sich, in jeder suchte ich Björn. Ich wurde schnell fündig und lief ihm entgegen. Sofort ließ er seine Tasche fallen, breitete seine Arme aus und kam mir ebenfalls entgegen.

Wir fielen uns in die Arme. Freudentränen machten sich auf meiner Wange breit. Endlich sahen wir uns wieder. Wir lösten uns voneinander und Björn gab mir einen Kuss.

„Na, mein Kleiner? Wie gehts Dir?“

„Jetzt total gut!“

Ich lächelte.

„Wenn Du Deine Tasche holst, können wir los. Mein Vater wartet auf uns.“

Björn ging zurück und nahm seine Tasche auf. Als er auf mich zukam, ergriff ich seine Hand und wir gingen durch die Unterführung. Mein Vater war ausgestiegen. Björn ging auf ihn zu.

„Papa, das ist Björn. Björn, das ist mein Vater.“

„Nett Sie kennen zulernen, Herr Kalitzki.“

Björn reichte die Hand.

„Freut mich auch, Björn.“

Mein Vater schüttelte sie, ging dann zum Mobil und schloss die Aufbautür auf.

„Ist das eurer?“ fragte Björn verwundert.

„Ja. Korall, oder?“

Ich lachte.

„Total! Aber was heißt denn ‚korall’?“

„Bedeutet so was wie ‚cool’. Dann mal rein mit Dir. Die Tasche kannst Du hinter die Sitzbank stellen.“

Björn trat ein und ich kam nach. Er stellte die Tasche ab und schaute sich um.

„Ist ja echt cool das Ding!“ meinte er.

„Soll ich ans Fenster?“

„Ja, ja, mach ruhig.“

Ich rutschte auf die Sitzbank und schnallte mich an. Mein Vater startete den Motor.

„Setz Dich, Björn.“ meinte ich.

Er setzte sich neben mich und schaute in Richtung Beifahrersitz. Im Wechsel schaute er nun mich und den Sitz an. Ich verstand.

„Ich wollte Dich nicht alleine hier hinten lassen.“

Ich grinste ihn an. Björn sah aus dem Fenster. Ich beobachtete ihn.

„Und? Wie ist der erste Eindruck?“ wollte ich wissen.

„Nicht wie in Siegen!“

„Ach nee, sag nur!“

Ich lachte.

„Was denn? Das ist mein erster Eindruck.“

Er schaute weg und ließ den Blick wieder durchs Wohnmobil gehen.

„Und damit fahrt ihr in Urlaub?“

„Ja.“

„Voll cool!“

„Wenn Du willst, zeig ich Dir das Ding noch etwas.“

„Was gibts hier denn noch großartig zu sehen?“

Björn sah mich fragend an.

„Das Bad, zum Beispiel.“ meinte ich.

„Meinst Du, so was hätte ich noch nie gesehen?“

„Auch schon in einem Wohnmobil?“

„Wieso, ist das denn sooo anders?“

„Na, also, Porzellan haben wir da nicht. Plastik, damit muss sich der Camper zufrieden geben!“

„Aha. Aber um auf Deine Frage zurückzukommen: Brauchst mir die Kiste nicht haarklein zeigen. Trotzdem danke.“

Er lächelte.

Zu meinem Erstaunen waren wir schnell zuhause. Björn stand auf und nahm seine Tasche mit nach draußen.

„Schön habt ihrs hier.“

„Danke. Hat aber auch einige Jahre gedauert, bis es so war.“

Ich wies Björn mit ausgestrecktem Arm den Weg zur Haustür. Er ging die Stufen herauf und entdeckte unseren bepflanzten, „halben Menschen“.

„Was ist das denn? Das hab ich ja noch nie gesehen.“

„Eine Idee aus Holland, da haben wir das entdeckt. Ist der totale Hingucker hier im Dorf.“

Mein Vater kam und schloss die Tür auf. Wir gingen herein und meine Mutter kam in den Flur. Björn sah sich im Flur um und sie kam ihm entgegen.

„Mama, das ist Björn. Und das ist meine Mutter.“

Sie gaben sich die Hand. Ich ging zu meinem Zimmer und blieb vor der Tür stehen.

„Kommst Du, Björn?“

Björn kam nach. Er trat über die Schwelle, blieb stehen und drehte seinen Kopf einmal um hundertachtzig Grad.

„Bei euch gibts echt viel zu sehen!“ meinte er.

„Ich glaube aber, bei Dir hätte ich das gleiche Problem!“

Björn stellte die Tasche ab.

„Zwei Fragen. Erstens: Hunger?“ fragte ich. „Bei uns gibts am Wochenende nämlich nichts zum Mittagessen. Dafür ist unser Kaffeetrinken ausgiebiger.“

„Hunger hab ich nicht. Aber danke.“

„Und zweitens: Ich hab jetzt nur die Schlafcouch und noch keine Matratze für Dich …“

„Bin ich hier, weil wir uns trennen, oder weil wir ein schönes Wochenende haben wollen?“

Björn küsste mich.

„Wenn es Dich nicht stört, schlafe ich mit bei Dir.“

„Mich stört das nicht.“

Ich seufzte.

„Gut, dann, denke ich, willst Du erstmal was auspacken? Ich weiß gar nicht … Mama, hast Du Björn schon Handtücher ins Bad gelegt?“

„Ja, ist alles da.“

„Perfekt, dann komm mal mit, dann ich zeig Dir alles.“

Wir verließen mein Zimmer.

„So, Bad ist hier die Tür mit dem Glas drin.“

Wir gingen hinein.

„Zahnputzbecher kannst Du bei meinen stellen, Handtuch fürs Gesicht ist an der Handtuchstange, für die Hände an dem Ring hier vorne, Waschlappen sind in dem Schrank hier unten und auch die Duschtücher sind da.“

Ich schaute zu Björn.

„Alles verstanden?“

„Ja. Wenn, frage ich.“

„Dann weiter.“

Wir gingen in den Flur zurück.

„Hier hinten haben wir das alte Zimmer meiner Schwester. Da hab ich jetzt meinen PC drin.“

„Ist Deine Schwester ausgezogen?“

„Ja, im Frühjahr schon.“

Björn nickte.

„Da ist der Hauswirtschaftsraum und gleichzeitig Ess- und Schlafplatz unserer Katze.“

Wir gingen den Flur runter.

„Hier links ist die Küche mit Vorratsraum und Weg nach draußen. Ja, hier rechts ist mein Zimmer. Und wieder links das Wohnzimmer. Da vorne ist die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern.“

Wir gingen zurück in mein Zimmer.

„Schon mal drüber nachgedacht, Fremdenführer zu werden?“ fragte Björn.

„Du wirst es nicht glauben, aber so was Ähnliches hab ich echt mal angedacht.“

„Aber?“

„Aber jetzt mache ich Industriekaufmann bzw. Handelsschule und außerdem kann ich nicht ganz so gut mit Menschen.“

„Sprichst Du andere Sprachen?“

„Ja, Englisch, Französisch und ich lerne seit fast einem Jahr noch Spanisch. Ein paar Brocken Holländisch kann ich auch.“

„Wie cool. Ich kann nur einen französischen Satz: Voulez-vous coucher avec moi, ce soir?“

„Ja … äh … warum nicht?“

Ich lachte.

„Was heißt das denn?“

„Willst Du heute Abend mit mir schlafen?“

„Passt doch irgendwo, oder?“

„Ich glaube, das passt mehr als gut.“

Wir lachten beide.

***

„Willst Du vielleicht ins Bad gehen? Dann baue ich hier das Bett.“

„Ja, okay.“

Björn verschwand. Ich klappte die Couch um, bezog sie mit dem Spannbetttuch und legte unsere beiden Decken darauf. Ich zog mich um. Björn kam wieder herein.

„So, Bad ist frei.“

„Gut. Noch eben: Deine Kleidung, musst Du mal gucken, kannst Du auf den Schreibtischstuhl legen. Und: Ich hatte Dich jetzt einfach mal an die Wand ‚verband’ – ist das okay?“

„Kein Problem, dann kann ich wenigstens nicht rausfallen.“

Er grinste.

Während ich mir die Zähne putzte, dachte ich an den Morgen zurück. Mir kam es vor, als hätten wir Björn am vorherigen Tag abgeholt. Vom Bad ging ich ins Wohnzimmer. Kurz hinter der Schwelle blieb ich stehen.

„Björn und ich gehen jetzt schlafen.“

„In Ordnung. Wollt ihr morgen geweckt werden?“ fragte meine Mutter.

„Nee, lasst uns ausschlafen.“

„Ist gut. Gute Nacht.“

„Ja, gute Nacht.“

Ich ging in mein Zimmer und blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Björn stand beim Schreibtisch, nur in der Hose seines kurzen Schlafanzuges, und begutachtete meine Bilder. Entgeistert blickte ich auf seinen Rücken.

Er drehte sich zu mir hin. Er hatte ein kleines Bäuchlein, aber das fand ich echt süß! Er sagte etwas. Ich verstand es nicht, da ich noch immer in Gedanken versunken war.

„Was?“ fragte ich und schüttelte den Kopf.

„Dieses Auto scheint es Dir ja echt angetan zu haben.“

Er deutete auf den Rahmen mit den Bildern von Tante Renates ALFRIDO.

„Ja, das ist das Auto einer guten Bekannten. Wir haben eine ganz besondere Beziehung.“

„Ja dann …“

Ich trat ins Zimmer.

„Björn?“

„Was denn?“

„Ich hab Dir das zwar schon mal gesagt, aber … Du siehst verdammt gut aus!“

„Danke. Aber ich denke, wenn man mal bei Dir was anheben würde …“

Er trat auf mich zu und hob das Oberteil meines kurzen Pyjamas am Bauch an.

„… ja, kann ich das gleiche sagen.“

„Danke, Du bist echt süß, weißt Du das?“

„Ich weiß.“

Er grinste.

„Willst Du vor dem ins Bett gehen nochmal kosten?“ fragte er.

„Nur zu gern!“

Ich lächelte.

Björn fiel auf meine Lippen und legte seine Hände auf meine Hüfte, ich vergrub meine in seinen Haaren. Der Kuss war sinnlich, ich spürte seine Zunge, meine bahnte sich einen Weg zu ihr, wir atmeten laut durch die Nase. Noch an den Mündern vereint, fielen wir auf das Bett.

Wir lösten uns voneinander.

Dir Tür stand noch immer offen, fiel mir auf. Meine Eltern saßen noch im Wohnzimmer und wechselten kurz ein paar Worte. Ich stand auf, schloss die Tür und huschte dann unter meine Bettdecke. Björn lag bereits unter seiner.

„Ist ein ziemlich altes Haus, oder?“

„Ja, ein Fachwerkhaus, zweihundertfünfzig Jahre alt.“

„Hören Deine Eltern in ihrem Schlafzimmer, wenn Du zum Beispiel Musik hörst?“

„Nee, das hören sie nicht.“

Ich schaute Björn an. Er brauchte nichts weiter zu sagen, ich wusste, worauf er hinaus wollte.

„Björn, sei mir nicht böse, aber ich hatte noch nie was mit einem anderen Jungen.“

„Alle Jungfrauen in diesem Raum bitte mal die Hand heben!“ meinte er leise.

Er wollte mich ärgern, dachte ich. Ich hob meine Hand und sah Björn dabei tief in die Augen. Für einen kurzen Moment blickte ich weg und sah seine erhobene Hand.

„Ich auch nicht, Sascha!“

Ich konnte nichts sagen. Ich fing an zu heulen. Ich rückte näher an Björn, der mich in die Arme nahm.

„Das ist doch nicht schlimm, mein Kleiner.“

Er tröstete mich, nahm mir die Brille ab und machte das Licht aus. Ich spürte die Wärme, die sein Körper ausstrahlte.

„Ich liebe Dich, Björn, und will Dich nie verlieren.“

Ich beruhigte mich langsam.

„Meinst Du, nur weil wir nicht gleich am ersten Abend loslegen, verlasse ich Dich für immer? Ich liebe Dich auch und das werde ich noch in hundert Jahren tun. Du bist die Liebe meines Lebens.“

„Danke, Björn.“

Eng umschlungen schliefen wir ein.

***

Ich öffnete die Augen und Björn sah mich grinsend an.

„Guten Morgen, Kleiner. Auch schon wach?“

Ich konnte ihm nur ein mürrisches „Ja“ zur Antwort geben. Draußen war es sonnig, das sah ich.

„Werd erstmal richtig wach.“

Er gab mir einen Kuss.

„Hm … in Märchen funktioniert das immer!“

Er lachte und ich vergrub mein Gesicht in meinem Kissen. Ich wurde wacher.

„Wie lange bist Du schon wach?“ fragte ich und sah Björn wieder an.

„Ungefähr eine halbe Stunde.“

„Und langweilig war Dir nicht?“

„Nee, hier gibts ja noch genug zu sehen. Dich zum Beispiel.“

„Hast Du gehört, ob meine Eltern schon wach sind?“

„Ich hab noch nichts gehört.“

Björn warf mir einen verträumten Blick zu.

„Ich liebe Dich, Sascha.“

Ich küsste Björn.

„Ich Dich auch.“

Björn legte seine Hand auf meinen Bauch. Ich merkte, wie seine Hand weiter an meinem Körper herunterwanderte. Ich ergriff sie.

„Björn … bitte. Es tut mir leid, aber auch jetzt kann ich das noch nicht.“

Ich schaute weg, da ich nicht wusste, wie er reagieren würde. Ich war den Tränen nah.

„Ist doch in Ordnung, Kleiner. Ich lasse Dir die Zeit.“

Ich schaute auf die Uhr.

„Wollen wir aufstehen? Ist schon fast zehn Uhr.“

„Und dann?“

„Wir können frühstücken. Vielleicht werden meine Eltern ja auch gleich wach.“

Björn nickte.

Wir standen auf und gingen aus meinem Zimmer.

„Ich denke, ich gehe ins Bad und Du fängst mit dem Frühstück an. Du kennst Dich hier ja besser aus.“ meinte Björn.

„Gute Idee.“

Ich ging in die Küche und auf der Anrichte fand ich eine Nachricht meiner Mutter.

„Guten Morgen, ihr zwei. Wir sind bei dem schönen Wetter an der Bigge spazieren. Brötchen für euch sind aufgetaut und liegen im Vorratsraum. Mama und Papa“

Ich deckte den Tisch und legte die Brötchen in den Backofen. Björn kam aus dem Bad.

„Ich zieh mich an, Bad ist frei.“

„Ja, danke.“

Ich verschwand im Bad. Ich putze mir die Zähne und ging in mein Zimmer. Björn war fertig angezogen und kramte in seiner Tasche.

„Meine Eltern sind an der Bigge. Wir sind also allein.“

„Okay. Ähm … wo kann ich mein Handy aufladen?“ fragte Björn.

„Neben der Tür ist eine Steckdose. Das Handy kannst Du in die Schublade unter der Vitrine legen.“

Er folgte meinen Anweisungen und ich zog mich an. Zusammen gingen wir zurück in die Küche.

„Was möchtest Du trinken?“ fragte ich.

„Habt ihr Cappuccino?“

„Ja, aber zum Aufrühren mit Wasser.“

„Ist in Ordnung. Was besseres gibt es bei uns auch nicht!“

Björn lachte und ich bereitete zwei Tassen Cappuccino zu. Die Brötchen waren fertig und ich nahm sie aus dem Ofen. Björn setzte sich an den Tisch und auch ich nahm Platz. Ich schnitt ein Brötchen auf und reichte es Björn.

„Danke. Eine schöne Küche habt ihr.“

„Mittlerweile, ja.“

„Wieso?“

„Die Küche war früher dunkle Eiche. Meine Eltern haben sie dann irgendwann mal blau-weiß gestrichen. Letztes Jahr haben wir dann noch den neuen Fliesenspiegel bekommen. Ich kann Dir ja mal alte Bilder Küche zeigen.“

„Gerne. Gehören die Etagen hier drüber auch noch euch?“

„Nein, über uns wohnen noch zwei Familien, die haben den Eingang an der Seite. Und ganz oben ist noch der Balken.“

„Und Kellner habt ihr nicht?“

„Doch, das Schlafzimmer und das Wohnzimmer sind unterkellert. Den nutzen aber nur wir.“

Wir ließen uns Zeit beim Frühstück und redeten viel. Björn entdeckte in einem Bilderrahmen das Bild unseres Wohnmobils.

„Seid ihr eigentlich viel mit dem Wohnmobil unterwegs?“ fragte er.

„Ja, sehr oft. Für uns ist es mittlerweile leichter, die Tage zu zählen, an denen wir hier sind.“

„Echt?“

„So ungefähr schon.“

„Du bist zu beneiden!“

„Macht ihr nicht so viel Urlaub?“

„Nein, meine Eltern haben ein eigenes Haus und wir sind daher nur zuhause.“

„Ich kann meine Eltern ja mal fragen, ob Du mal ein Wochenende mitkommen darfst, wenn Du willst.“

„Würd ich gern mal machen. Aber denkst Du, sie nehmen mich mit?“

„Ich hoffe es!“

„Meinst Du, Deine Eltern mögen mich?“

„Ich weiß es nicht. Seit ich mich im letzten Jahr geoutet habe, wurde über mein Schwulsein nie wieder geredet. Meine Eltern scheinen es zu verdrängen und wollen es nicht wahr haben.“

„Tut mir leid.“

„Braucht es nicht, ich komme damit klar.“

„Wirklich?“

„Keine Sorge.“

Ich lächelte.

„Aber ich glaube, sie müssen sich erstmal an Dich ‚gewöhnen’.“

„Irgendwann werden sie das auch.“

„So, wollen wir aufstehen?“ fragte ich und stieß einen kurzen Seufzer aus.

„Ja, ich denke doch.“

Wir standen auf.

„Kann ich Dir was helfen?“ fragte Björn.

„Vielleicht kannst Du das Geschirr und das Besteck in die Spülmaschine stellen.“

„Mache ich.“

Wir waren fertig und gingen in mein Zimmer.

„Ich muss jetzt erstmal das Bett machen. Setzt Dich solange auf den Schreibtischstuhl.“

Björn setzte sich. In Windeseile war die Couch fertig und wir setzten uns beide darauf.

„Du wolltest Bilder von der alten Küche sehen … Ich hol sie eben.“

Ich ging in den Flur und aus dem PC-Schrank holte ich den Ordner.

„Das ist jetzt unser ‚Bonzel’-Ordner. Seit zwanzig Jahren, die wir hier wohnen, haben meine Eltern alle Veränderungen im, am und um das Haus herum festgehalten.“

Wir sahen uns den Ordner an und ich schwelgte in Erinnerungen. Björn hörte gespannt zu.

„Wer ist das?“

„Mein großer Bruder. Zu dem haben wir aber keinen Kontakt mehr.“

„Warum?“

„Als Kind hat er sich meinen Eltern gegenüber nicht immer ganz richtig verhalten. Er hat Verbote nicht geachtet und so. Meine Mutter hatte dann zuviel davon und hat ihn mit achtzehn mehr oder weniger rausgeworfen.“

„Fehlt er Dir?“

„Ein wenig schon. Ich habe ihn immer als großen Bruder angesehen. Wir sind zehn Jahre auseinander und ich habe von seiner ‚wilden’ Kindheit nichts mitbekommen.“

„Und Deine Schwester?“

„Sie ist auch froh, nichts mehr mit ihm zu tun zu haben.“

„Tut mir leid für Dich.“

Björn rückte näher an mich ran und nahm mich in den Arm.

***

Meine Eltern kamen zurück. Björn und ich hingen über dem Photo-Album der Kreuzfahrt 2004.

„Hallo. Wir sind wieder da.“

„Hallooo.“ meinte ich.

Björn grinste. Meine Mutter kam ins Zimmer.

„Na, alles klar?“

„Ja. Es war keiner da, hat auch keiner angerufen. Message hab ich gefunden. Wars schön?“

„Herrlich wars. Richtig warm.“

Meine Mutter sah mich an und ließ Björn ganz aus ihrem Blick.

„War viel los?“

„Ja, bei dem schönen Wetter. Wann seid ihr denn aufgestanden?“

„Wie viel Uhr wars?“

Ich sah zu Björn.

„Gegen zehn, oder?“ fragte ich ihn.

„Ja, richtig. Da hast Du ja noch auf die Uhr geguckt.“

„Und wie war die Nacht für Dich hier?“ fragte meine Mutter.

Sie sah Björn jetzt an.

„Ich hab gut geschlafen, danke.“

„Ja dann. Habt ihr schon Kaffe getrunken?“

„Nee, noch nicht. Habt ihr was mitgebracht?“

Meine Mutter nickte.

„Beim Bäcker haben wir für euch jeder ein Schoko-Brötchen geholt. Ist das in Ordnung?“

Wir nickten.

Meine Mutter verschwand kurz und brachte uns dann die Tüte mit den Brötchen.

***

„Bist Du soweit?“

Ich stand im Türrahmen meines Zimmers. Björn saß auf der Couch und schnürte sich die Schuhe zu.

„Ja, ich komme.“

Er stand auf und nahm seine Tasche.

„Vergessen hast Du auch nichts?“ fragte ich.

„Ich denke nicht.“

Wir gingen aus meinem Zimmer und meine Mutter kam.

„Vielen Dank nochmal für die nette Herberge, Frau Kalitzki.“

„Schon gut. Hauptsache Dir hats hier gefallen.“

„Das hat es!“

Björn sah mich an und lächelte.

Wir gingen zur Haustür hinaus. Mein Vater saß bereits im Mobil und wartete. Wir stiegen ein, setzten uns und schnallten uns an. Mein Vater fuhr los.

„Seid ihr in den Sommerferien wieder mit dem Wohnmobil unterwegs?“

„Ja, in der dritten bis vierten Woche. Und in der ersten Woche bin ich bei der Bekannten mit dem Auto und die letzten zwei Wochen mache ich Ferienarbeit.“

„Aha … das heißt, wir kommen an unseren Geburtstagen nicht zusammen. Wo fahrt ihr denn hin?“

„Nach Holland an die Nordseeküste. Auf den Campingplatz fahren wir jetzt schon fünfzehn Jahre, immer im Sommer. Der Ort heißt Katwijk aan Zee, liegt ziemlich im Norden.“

Björn nickte.

„Ich fang am besten jetzt schon an, gleich fällt mir das wieder so schwer: Das Wochenende war wieder einmal herrlich schön mit Dir.“ meinte er.

„Ich habs auch genossen. Björn?“

„Ja?“

„Ich liebe Dich.“

„Ich Dich noch viel mehr.“

Er lächelte.

„Nein, ich lieb Dich mehr!“ meinte ich.

„Nein, ich!“

„Nein, ich!“

„Nein, ich!“

Wir lachten.

Mein Vater hielt wieder auf den Taxi-Parkplätzen. Wir stiegen aus.

„So, dann wünsche ich Dir eine gute Heimreise.“

Mein Vater streckte die Hand aus und Björn ergriff sie.

„Danke. Ich fand es sehr nett bei Ihnen, Herr Kalitzki. Auf Wiedersehen.“

Björn und ich gingen zum Bahnsteig. Der Zug rollte bereits ein und Björn stieg in einen Waggon. Wir konnten uns nichtmals mehr umarmen. Schon bald fuhr der Zug los. Björn lugte aus dem Fenster, ich lief nebenher.

Ohne Worte verschwand Björn sehr bald in der Ferne.

Ich ging zurück zu meinem Vater. Auf dem Weg nach Hause ließ ich das Wochenende noch einmal Revue passieren. Es kam mir länger als nur zwei Tage vor.

Mir fiel auf, dass nur mein Vater zur Begrüßung einmal Björns Namen sagte. Ansonsten war der Name bei meinen Eltern nie gefallen.

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