Der weite Weg – Teil 1

Da saß ich nun, im Zug nach Karlsruhe. War es nicht wieder ein Weg umsonst. Konnte ich nicht einfach im Heim bleiben und man lies mir meine Ruhe. Die dritte Pflegefamilie in zwei Jahren und immer dieser demütige Schmerz, zurück geschickt zu werden.

Ich dachte noch hier wird es nicht anders sein, als der Zug im Bahnhof einrollte. Viel Gepäck hatte ich ja nicht, eine Tasche und ein kleiner Koffer. Mehr Besitz konnte ich nicht mein nennen. Ich nahm sie aus der Ablage und lief langsam zur Tür. Irgendwie traute ich mich nicht, aus dem Fenster zu schauen.

Denn da standen SIE. Meine sogenannte neue Familie. Viele Besuche waren vorausgegangen, Gespräche mit den Erwachsenen, Unterhaltungen mit dem zukünftigen Pflegebruder der Familie. Am Anfang war es noch wie ein Lichtblick, einer letzten Chance gleich, aber je näher der Zeitpunkt meines Umzugs kam, desto unsicherer wurde ich wieder.

Der Zug kam mit einem kurzen Ruck zum Stillstand, die Tür ging auf. Ich nahm meine Sachen und stieg aus. Erst jetzt sah ich mich um, aber ich konnte kein mir vertrautes Gesicht erkennen. Nirgends stand jemand, der mich abholte.

„Bist du Sven?“

Erschrocken drehte ich mich um und eine Frau stand vor mir. Schlicht gekleidet, aber ein nettes Lächeln auf dem Gesicht.

„Ja…, der bin ich.“

„Oh gut, ich habe dich gefunden. Ich bin die Schwester von Reinhard, er meinte ich finde dich nicht…, ähm… wie soll ich es sagen?“

Sie wollen mich nicht mehr und schicken mich zurück, schoss mir gleich in den Kopf. Die Frau schien meine Unsicherheit zu merken.

„Kein Angst Sven, Reinhard hat mit dem Auto ein Unfall gebaut, aber es ist den Dreien nichts Schlimmes passiert. Aber sie liegen alle drei noch im Krankenhaus, ach so ich bin Bea“, und streckte mir die Hand entgegen.

Irgendwie legte sich ein Schalter in mir um. Aus den Ängsten wurde plötzlich eine nicht bekannte Sorge.

„Was ist denn passiert?“, fragte ich.

„Lass uns erst mal hier verschwinden, ich erzähle dir auf dem Weg ins Krankenhaus, was passiert ist“, antwortete Bea.

Ich folgte also dieser wildfremden Frau die sich Bea nannte. Sie zahlte an der Kasse ihren Parkschein und wir steuerten das hintere Parkdeck an. Vor einem schwarzen Golf blieb sie stehen und schloss den Kofferraum auf. Ich stellte meine Sachen hinein.

„Wie alt bist du jetzt Sven?“, fragte sie.

„Sechzehn geworden letzten Monat.“

„Dann dauert es ja noch ein wenig mit dem Führerschein“, sagte sie und stieg ein, „und schon ein Lieblingsauto?“

„Der hier würde mir schon gefallen“, sagte ich und stellte meine Sachen in den Kofferraum.

Sie lächelte ich an und wir stiegen in Den Wagen. Der Motor dröhnte auf und wir rollten langsam zur Ausfahrt. Wenige Sekunden später befanden wir uns im dicksten Stadtverkehr.

„Reinhard und Barbara hatten Chris von der Schule abgeholt“, begann Bea zu erzählen, „und kurz nach dem sie die Schule verlassen hatten, bei der nächsten Kreuzung hat jemand eine rote Ampel überfahren und ist ihnen voll in die Seite gefahren.“

Ich verzog das Gesicht, als ich mir das bildlich vorstellte.

„Sie haben echt Glück gehabt, dass ihnen nicht mehr passiert ist. Das Auto hat leider Totalschaden“, fing Bea wieder an zu reden.

„Und warum sind sie noch im Krankenhaus?“, fragte ich.

„Reinhard hatte durch den Aufprall eine Platzwunde am Kopf und Barbara, weil sie auf der Unfallseite saß, ihr Handgelenk gebrochen.“

„Und Christian?“

„Christian hat Glück gehabt, außer einer leichten Prellung an der Schulter ist ihm nichts passiert und er darf heute Mittag auch wieder nach Hause. Reinhard und Barbara müssen wohl noch eine Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben.“

Ich wusste nicht wo wir waren, auch wenn ich im Heim etwas im Internet gesurft war, um alles über Karlsruhe zu erfahren, was ging. Dennoch versuchte ich mich ein wenig zu orientieren. Karlsruhe war größer als ich es mir vorgestellt hatte.

„Ein blöder Start ich weiß Sven, aber ich denke es wird schon werden“, kam es von Bea.

„Ich hoffe… ist meine letzte Chance…“, antwortete ich.

Sie sah mir kurz traurig in die Augen und widmete sich wieder dem Verkehr.

Städtisches Klinikum

Das Schild prangte groß an der Einfahrt, die Bea jetzt durchfuhr und nach einem Parkplatz Ausschau hielt. Nach ein paar Wendungen hatte sie endlich einen gefunden. Wir stiegen aus und mussten noch eine Weile laufen, bis wir zu Einfahrt kamen. Ich folgte Bea in irgendeinen Trakt. Es folgten mehrere Treppen und vor einem Zimmer blieb sie stehen, sie klopfte und öffnete die Tür.

„Hallo Bea und hast du ihn gefunden?“, hörte ich die besorgte Frage einer mir bekannten Stimme.

„Klar Reinhard, du solltest mir endlich mehr vertrauen“, lachte sie und zog mich herein, „hier ist Sven!“

„Hallo“, meinte ich schüchtern, denn mehr bekam ich nicht heraus.

Reinhard und Barbara lagen in ihren Betten. Er hatte ein großes Pflaster an der Stirn und Barbara hatte einen Gips an der Hand. Christian saß auf dem Bett bei seiner Mutter.

„Hallo Sven“,  sagte Barbara.

Christian war aufgestanden, kam auf mich zu und umarmte mich. Ich dagegen stand recht steif da.

„Ich kann mir vorstellen“, begann plötzlich Reinhard, „dass du deinen ersten Tag dir hier anders vorgestellt hast, aber das holen wir alles nach, wenn wir wieder draußen sind.“

Ich versuchte ein wenig zu lächeln, was mir aber nicht recht gelang.

„Setz dich zu mir Sven“, bat mich Reinhard.

Ich tat wie geheißen und setzte mich zu Reinhard aufs Bett, Bea suchte sich ein Stuhl.

„Ich weiß, was du alles durch gemacht hast Sven, und gerade deswegen freuen wir uns, dass du jetzt bei uns bist. Ich hoffe, dass wir dir diesmal das findest und wir dir das geben können, was du suchst.“

Reinhard schaute mir in die Augen und ich spürte wie es mir die Tränen aus den Augen drückte. Er nahm erst meine Hand und dann zog er mich ganz zu sich in den Arm. Ich fing an zu weinen, aber es tat mir gut, ich spürte die Wärme meines Pflegevaters, seine Nähe.

Als ich mich wieder ein wenig eingekriegt hatte, schaute ich schüchtern zu den anderen. Ich bemerkte, dass sie alle, glasige Augen hatten.

*-*-*

Lange waren wir gesessen und hatten nur geredet. Ich sah dir drei reihum an. Ich erzählte von meinen Ängsten auf der Fahrt hierher, auch wie ich mich im Augenblick fühlte.

„Und es macht euch wirklich nichts aus, dass ich schwul bin?“ fragte ich, nach dem ich all meinen Mut zusammen genommen hatte.

Das war der Knackpunkt, an dem meine letzten Pflegeplätze gescheitert waren.

„Kommt drauf an“, meinte Christian grinsend.

Barbara stieß ihn in die Seite.

„Was denn? Ich will schon wissen, was für einen Schwager er mir ins Haus schleppt!“ Seine Mutter knuffte ihn in die Seite.

Jetzt musste ich schon etwas lächeln.

„Nein Sven, dass haben wir dir schon ein paar mal gesagt, es stört uns in keinster Weise. Wir nehmen dich so wie du bist in unsere Familie auf“,  kam es von Barbara, und Reinhard nickte.

„Danke“, sagte ich und wischte die Tränen weg.

„So ihr beiden, ich entführ euch mal eure Sprösslinge, Sven ist bestimmt schon neugierig wo er in Zukunft wohnen wird“, meinte Bea.

Es folgte eine herzliche Verabschiedung. Mit Christan und Bea lief ich zurück zum Auto. Christian legte sein Arm um mich.

„Das Pflegebruder und Familie vergessen wir mal ganz schnell, Svenni, du bist jetzt mein Bruder, ok?“

Ich schaute ihn dankbar in die Augen und umarmte ihn.

„Könntet ihr mal mit dem Herzschmerz zurückstellen, meine Schminke verläuft schon.“

Das war Bea, die mittlerweile auch stehen geblieben war. Wir mussten grinsen.

*-*-*

Wir waren in einen Vorort von Karlsruhe gefahren. Eine schöne Gegend fand ich. Lauter einzelne Häuser mit Garten außenrum. Bea machte den Kofferraum auf und ich nahm die Tasche und der Koffer heraus, den Christian mir gleich wieder abnahm.

Er lief voraus und zog einen Schlüssel heraus. Von innen konnte ich ein Bellen vernehmen, und als Christian die Haustür öffnete kam ein Labrador aus dem Haus gesprungen. Er rannte ein paar Mal um Christian herum, bevor er sich auf seine Hinterpfoten stellte und sich an Christian lehnte.

„Hey alter Junge hast du mich schon vermisst?“, fragte Christian und streichelte dem Hund über den Kopf.

„Schau mal Meiki, ich hab dir jemanden zum Spielen mit gebracht, das ist Sven.“

Man konnte glauben der Hund verstand jedes Wort, er schaute zu mir rüber, lies von Christian ab und trottete zu mir. Er begann mich zu beschnuppern und als ich vorsichtig meine Hand nach ihm aus streckte, fing er an sie ab zulecken.

„So nun bist du auch von unserem letzten Familienmitglied aufgenommen worden“, lachte Christian und betrat das Haus.

Bea und ich folgten ihm. Ich wusste, dass meine neue Familie vermögend war, aber als ich das Haus betrat staunte ich nicht schlecht. Es war alles sehr nobel eingerichtet, aber dennoch schlicht, es gefiel mir.

„Komm Sven, die Treppe runter da ist dein Zimmer“, sagte Sven, ich folgte ihm in den Keller.

Na ja Keller konnte man nicht direkt sagen, das Haus lag am Hang und so ging eine Seite hier in den Garten direkt hinaus. Wir liefen an einer offenen Tür vorbei.

„So, das ist mein Zimmer und deins liegt genau neben meinem“, er öffnete die Tür.

Ich blieb erst mal  ruckartig stehen.

„Das ist meins?“, fragte ich erstaunt.

„Ja was meinst du, oder wolltest du die Besenkammer?“

Ich trat also in mein neues Reich ein und stellte die Tasche auf den Boden, Christian mein Koffer auf den Schreibtisch, neben den Computer. Wow ich hatte einen Computer. Sich eins grinsend, stand Christian neben mir. Er legte wieder den Arm um mich.

„Ich weiß Sven, das ist alles viel für dich, aber Dad meinte du wirst genauso behandelt wie ich.“

„Aber das ist doch alles sehr teuer.“

„Darum mach dir mal jetzt keine Gedanken Svennilein, das ist schon in Ordnung. Computer, Fernseh und Musikanlage habe ich auch, also nur gerecht.“#

„Ich weiß gar nicht was ich sagen soll.“

„Pack erst mal aus und dann werden wir weiter sehen.“

Christian ließ mich alleine. Neben dem Riesenbett stand ein Schrank, ich öffnete ihn. Bis auf einen blauen Pullover war er leer. Daran hing ein Zettel.

Der ist von mir für dich! Dein Bruder Christian

Mir fingen wieder die Tränen an zu laufen. Sollte wirklich das die Familie sein, bei der ich endlich das fand was ich so sehr vermisste. Ich ging zu meinem Koffer und öffnete ihn ebenfalls. Ich nahm das Bild das obendrauf lag herunter.

Meine kleine Schwester, sie müsste jetzt vierzehn sein. Ich vermisste sie so und würde sie gern wieder sehn. Sie war damals bei meinen Eltern geblieben, während ich ins Heim gesteckt, und als schwer erziehbar abgestempelt wurde. Das war jetzt acht Jahre her.

Meine Familie hatte jeden Kontakt abgebrochen. Sie waren auch weggezogen und so blieb es dann auch bei keinem Kontakt. Das Bild von Karo stellte ich auf meinen Schreibtisch und begann die Klamotten in den Schrank zu räumen. Sven kam wieder herein.

„Aha sehe das passt noch jede Menge rein in den Schrank. Mum wird schon dafür sorgen, dass er gefüllt wird.“

„Mensch Christian ihr sollt nicht soviel Geld ausgeben für mich.“

Christian schaute mich an und merkte wohl, dass ich wieder geweint hatte. Er kam auf mich zog mich auf mein Bett, dann setzte er sich neben mich.

„So Sven, ich sage das nur einmal. Du gehörst jetzt zur Familie Lohmeier und bei dieser Familie wird nicht über das Geld geredet. Mir wird nicht jeder Wunsch erfüllt, nein so sind Mum und Dad nicht, sie schauen schon danach, dass ich auf dem Teppich bleibe.“

Ich nickte.

„Du weißt nicht, wie lange ich mir einen Bruder gewünscht hatte und als Mum und Dad mit der Idee kamen, dass wir jemanden aufnehmen, war ich sofort Feuer und Flamme. Aber sie sagten mir auch, dass es für dich schwierig sein würde, weil du ein anderes Leben gewohnt bist.“

„Stimmt“, gab ich ihm Recht.

„Sieh das hier jetzt nicht als Schlaraffenland an, sondern eher als eine Chance, wirklich ein normales Leben zu führen, auch mit einem Bruder, den ich mir wie gesagt habe, schon immer gewünscht habe

„Du kennst mich doch noch gar nicht richtig.“

Er schaute mir tief in die Augen und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen.

„Bist du auch…?“, fragte ich nun total verwundert.

„Nein, Sven. Das war nur ein Vorgeschmack, wie schön Bruderliebe sein kann. Ich hab dich vom ersten Tag an, als ich dich kennen lernte lieb gewonnen.“

Ich wandte mich ab.

„Verdiene ich so etwas überhaupt, ich meine, was wisst ihr schon von mir, wer von euch hat gesehen, was in mir vorgeht.“

Christian nahm mich von hinten in den Arm, ich wollt mich erst befreien, aber er lies nicht los.

„Sven dann lass mich bitte teilhaben, an deine Gedanken.“

„Wenn du noch eine Weile über meine Brust streichelst kann ich für nichts mehr garantieren.“

Christian lies erschrocken los und ich drehte mich mit einem Lächeln zu ihm.

„Hattest du schon einen Freund?“ fragte Christian leise.

„Jungs kommt ihr noch rauf, ich will gehen.“

An Bea hatte ich nicht mehr gedacht. Christian zog mich hoch und wir rannten gemeinsam nach oben. Als wir uns verabschiedet hatten, ging ich wieder in mein Zimmer hinunter. Christian wollte noch etwas in seinem Zimmer suchen.

Mein Zimmer war doppelt so groß, wie das im Heim. Ich ging an die Balkontür und öffnete sie, ein wunderschöner Garten lag vor mir. Ich zog die frische Luft in mich ein.

War es wirklich der Neuanfang von dem ich träumte. Ich schloss die Augen. Bilder liefen vor mir ab, an die ich nie mehr erinnern wollte. Einzelne Tränen liefen an meiner Wange herunter. Leise weinte ich vor mich hin.

*-*-*

Einen Tag später kamen dann auch endlich Reinhard und Barbara nach Hause. Bea hatte gekocht und so wurde meine Begrüßungsfeier nach geholt. Das erstemal seit langem konnte ich wieder ausgelassen und lange lachen.

Reinhard nahm sein Glas in die Hand.

„Ich weiß es ist noch ein bisschen früh dafür, Sven, aber ich und Barbara möchten dir einen Vorschlag unterbreiten“, sagte er.

Eine kurze Pause entstand, bis Reinhard sein Glas leergetrunken hat.

„Wie gesagt es ist noch ein bisschen früh dazu, aber ich möchte“, er schaute zu Barbara, „wir möchten, dass du siehst wie ernst es uns mit dir ist, wir möchten, dass du unser Sohn wirst.“

Ich schaute die beiden fragend an.

„Barbara und ich haben uns entschlossen dich zu adoptieren…, es liegt nun an dir, ob dieser Gedanke dir gefallen würde.“

Ich saß wie erstarrt da, keines Wortes mächtig. Ich spürte wie es mir die Tränen in die Augen drückte. Auf meiner Schulter spürte ich eine Hand, es war die von Christian. Er lächelte mich aufmuntern an.

Ich konnte nicht anders, sprang auf, fiel Reinhard um den Hals und fing laut an zu weinen. Ich spürte seine Hand auf meinem Kopf, wie sie zärtlich mein Haar streichelte.  Ein wenig ruhiger, sah ich wieder auf und direkt in Reinhards Augen.

„Darf ich diesen Gefühlsausbruch als ja deuten?“, fragte Reinhard.

Ich wischte mir die Tränen aus den Augen.

„Ja“, sagte ich leise.

Jetzt stand Barbara, ebenfalls auf und legte ihre Arme um mich. Endlich eine Familie, dachte ich.

*-*-*

Das alles war vor zwei Wochen passiert und mittlerweile hatte ich mich eingelebt. Nächste Woche sollte es mit der Schule losgehen, worüber ich aber keineswegs begeistert war. Mein Schrank hatte sich gefüllt, nach dem ich mit Barbara und Christian ein paar Mal shoppen war.

Mittlerweile hatte ich mich fast daran gewöhnt, dass man in dieser Familie nicht so aufs Geld schaute. Barbara meinte aber, es wäre gut, dass ich meine Einstellung zum Geld behalten hatte, es wäre sehr nützlich fürs spätere Leben.

Ich stand vor meinem Schrank und überlegte was ich anziehen sollte, denn Christian hatte vor mich heute Abend in eine Disco zu schleppen. Es klopfte und die Tür ging auf.

„Sorry, wenn ich nicht auf Antwort gewartet habe“, Christian wieder, „aber ich brauche deine Hilfe.“

Ich schaute ihn an.

„Was steht mir besser, das Shirt oder das Shirt?“

„Manchmal frage ich mich wer hier eigentlich schwul ist“, sagte ich und begann zu lachen.

Christians Gesichtsfarbe wechselte ins tiefe Rot.

„Christian, du kannst alles anziehen, du siehst so verdammt gut aus, ich würde direkt über dich herfallen.“

„Und warum tust du es nicht?“, fragte er.

„Weil in ein paar Wochen du mein Bruder bist, und zu dem nicht schwul bist.“

„Ein bisschen Sex könnte ich aber auch vertragen, bin auch nur ein hormongesteuerter Teenager“, sagte er kleinlaut und grinste verschämt.

„Christian!“, sagte ich laut.

„Ist ja schon gut, ich sag ja schon nichts mehr“, meinte Christian.

Mir kam da ein Gedanke…, ich lief zu Christian, nahm ihn in den Arm und küsste ihn auf den Mund. Nein kein normaler Kuss, ich blieb einfach auf seinem Mund bis er plötzlich erwiderte. Er ließ die Shirts fallen und nahm mich ebenfalls in den Arm.

Ich ließ von ihm ab.

„Man Sven, ist das immer so?“

„Da darfst du mich nicht fragen, ich hatte noch nie das Vergnügen.“

„Dafür, dass du noch niemand geküsst hast, kannst du es aber verdammt gut.“

„Willst du jetzt auf einmal die Lager wechseln?“

„Wäre eine Überlegung wert“, meinte er frech grinsend, als er mich wieder in den Arm nahm, „aber ich bleibe bei den Mädels.“

„Dachte ich mir, obwohl so was süßes wie du….“

Christian wurde schon wieder rot.

„Zieh das blaue an.“

„Wie… was?“

„Zieh das blaue Tshirt an, das betont deine Augen. Deswegen bist du doch hergekommen.“

„Ach ja.. stimmt.. ok ich nehm das Blaue.“

Völlig verwirrt verließ er wieder mein Zimmer. Ich nahm mir einige Kleidungsstücke aus dem Bett und zog mich aus. Ich musste grinsen als ich an Christian dachte. Ich ging ins Bad und drehte die Dusche auf. Ich schloss die Augen und genoss das Wasser, das auf meinem Körper herunter lief.

Total verschreckt fuhr ich zusammen, als die Kabinentür auf ging. Vor mir stand Christian, nackt, und mit einem Funkeln in den Augen.

*-*-*

Wir saßen in der Straßenbahn, als ich nicht mehr schweigen konnte.

„Hat dir das vorhin, wirklich gefallen, Christian?“, fragte ich ihn.

„Ja“, meinte er und seine Augen leuchteten wieder.

Für mich war es das erste Mal, dass ich Sex mit einem Jungen hatte. Der Gedanke daran, mit Christian vorhin unter Dusche, etwas gemacht zu haben, dass sich bisher nur in meinen Träumen abgespielt hatte, ließ ein gewisses Teil sich wieder mit Blut zu füllen.

„Hat es dir kein Spass gemacht?“, flüsterte Christian zurück.

„Doch“, meinte ich leise.

„Aber?“

„Ich weiß nicht recht.“

„Was denn?

Ich schaute mich um, denn das war kein Thema, über das ich laut vor vielen Zuhörern reden wollte. Ich beugte mich etwas zu Christian hinüber.

„Christian, ich hab dich in den letzten Wochen so lieb gewonnen, aber eben als Bruder. Ich weiß, dass du nach wie vor auf Mädchen stehst und ich möchte auch einen richtigen Freund.“

Christian schob seine Unterlippe vor.

„Jetzt fang nicht an zu schmollen, du weißt ganz genau was ich meine.“

„Und ab und zu … unter der Dusche?“

„Du bist ein kleiner Spinner“; sagte ich und nahm ihn lächelnd in den Arm.

Er drückt mir einen Kuss auf die Wange. Eine alte Frau, zwei Reihen hinter uns begann zu schimpfen.

„Können die das nicht zu Hause machen, wo es keiner sieht.“

Christian drehte sich um.

„Ich wird doch noch meinen kleinen Bruder küssen dürfen, was dagegen?“, rief er laut durch die Bahn.

Die Leute, die um uns rum saßen, begannen zu lachen und zu klatschen, die alte Frau aber schwieg, und bekam ne mächtig rote Birne.

„Danke Christian“, sagte ich.

„Wofür, du bist mein Bruder und Pasta.

*-*-*

Als wir ankamen, stand vor der Disco schon eine große Schlange. Aus der Tür klangen heiße Bässe und ich merkte, dass ich nicht mehr ruhig stehen konnte, während wir auf den Einlass warten. Ich tippelte hin und her. Christian grinste mich an.

„Wohl schon lange nicht mehr in der Disco gewesen“, sagte ein Mädchen hinter uns.

„Noch nie“, gab ich zur Antwort und drehte mich wieder zur Tür.

Christian sah mich nun verwundert an.

„Noch nie?“, fragte er als würde er es mir nicht glauben.

„Nein, wann denn auch im Heim gab es strenge Vorschriften, bis sechzehn mussten wir bis neun im Heim antanzen. Und bei welcher Disco ist vor neun schon was los.“

„Du bist aus einem Heim?“, mischte sich das Mädchen hinter uns wieder ein.

„Nein, das ist mein Bruder“, sagte Christian, ein wenig säuerlich.

„Aber er doch grad sel…“

„Ja ist gut jetzt“, fauchte Christian.

Christian war sichtlich sauer jetzt und ich war angetan, dass er sich so für mich einsetzte. Das hatte noch niemand getan für mich. Ich drehte mich zu dem Mädchen um.

„Ich war im Heim bis mich seine Eltern als Pflegekind aufgenommen haben“, sagte ich zu ihr.

„Ach so, sag doch das gleich, ich bin übrigens die Sandra und das hier is meine Freundin Jasmin.“

Artig gab ich den beiden die Hand.

„Sven.“

Sandra schaute zu Christian hin, der uns den Rücken zu drehte.

„Das ist Christian, der sich so wage mutig, für mich einsetzt“, sagte ich und bemerkte wie ein Lächeln über Christians Gesicht huschte, „ und wenn er mal nicht gerade muffig ist, dann ist der ein ganz lieber Kerl.“

Jetzt musste Christian sogar lachen und drehte sich zu uns um.

„Hi“, kam es kurz von ihm und gab den Mädchen ebenfalls die Hand.

„Da haste dir aber einen guten Aufpasser rausgesucht.“

Das kam von Jasmin und lächelte Christian an. Mittlerweile waren wir fast ganz vorne an der Tür angekommen.

„Zu viert?“, fragte der Türsteher.

Sandra legte den Arm um mich.

„Sieht man das nicht?“ fragte sie und schob mich rein.

Ich schaute sie nur verwirrt an.

„Du kannst wieder los lassen, Sandra, er sieht uns nicht mehr“, sagte ich.

Christian fing an zu kichern.

„Was ist denn jetzt los?“, wollte Jasmin wissen.

Ich bemerkte wie mich Christian taxierte.

„Dann sag es halt, wenn du so scharf drauf bist, Christian“, sagte ich und entledigte mich meiner Jacke.

„Sandra, hast du was gegen Schwule?“, fragte er.

„Ich… nein… wieso, jetzt versteh ich gar nichts mehr.“

„Sven ist schwul, deswegen.“

Sandra wurde voll rot, und Jasmin war es diesmal die anfing zu kichern.

„Sorry ich wusste nicht… und ich…“

„Keine Sorge Sandra, es ist noch alles dran an mir“, sagte ich.

Jetzt fingen Christian und Jasmin laut an zulachen. Sandra dagegen zeigte uns ihre tiefsten Rottöne, die ein Gesicht hergeben konnte.

„Komm schon Sandra, …. keep cool“, sagte ich und zog sie zu den Tischen.

*-*-*

Zwei Stunden später saßen wir immer noch vergnügt zusammen.

„Und was für ein Typ Kerl gefällt dir?“, fragte Jasmin neugierig.

Ich war versucht zu sagen wie Christian, aber das verbiss ich mir dann doch lieber. Ich schaute mich auf der Tanzfläche um und in den Tisch Reihen um.

„Also ich kann nichts besonders entdecken“, sagte ich.

„Dann beschreib ihn“, meinte Sandra.

Gerade fing das Lied von Shania Twain an zu laufen.

„Wie soll ich das erklären…“

….wanna wake up every morning to your sweet  face… (Forever and allways Shania Twain)

Ich hörte die Liedzeile.

„Genau, dass ist es was ich meine, der Text der gerade kam. Einfach morgens aufwachen und in ein süßes Gesicht schauen. Seine Nähe spüren und sich wohl fühlen. Ich muss deswegen nicht einen Mister Universum haben.“

„Der absolute Romantiker“, seufze Jasmin, „warum können nicht alle Jungs so sein.“

„Und du bist sicher, dass du nur auf Jungs stehst?“, fragte Sandra verzweifelt.

„Ja bin ich“, meinte ich und zog sie auf die Tanzfläche.

Ich nahm sie in den Arm und tanzte mit ihr bis das Lied zu Ende war, dann gingen wir zu den anderen zurück.

„Ich dachte du warst noch nie in der Disco, woher kannst du so gut tanzen?“, fragte nun Christian.

„War ich auch nicht, aber im Heim gab es mal einen Tanzkurs.“

„Ja führen kann er toll“, meinte Sandra und schaute ganz verklärt.

Alle fingen wieder an zulachen.

*-*-*

„Na ihr zwei Spass gehabt?“, fragte Barbara die in den Armen von Reinhard auf der Couch lag.

„Ja und, Svenniboy hat sich gleich ne Freundin angelacht“, sagte Christian und schmiss sich auf den Sessel.

„Freundin?“, kam es fast gleichzeitig von den Zweien.

Christian erklärte die Sachlage und das große Fragezeichen in ihren Gesichtern verwandelte sich langsam in ein Lächeln.

„Wenn ihr nichts dagegen habt, ich gehe in die Falle“, meinte ich und unterstrich das gesagte mit einem Gähner.

„Warte Svenni, ich geh mit“, kam es von Christian.

„Das sind ja ganz neue Töne Christian, der gute Umgang mit Sven, färbt wohl langsam ab“, sagte Reinhard.

Ich musste lachen und Christian streckte seinem Vater die Zunge heraus.

„Zu früh gefreut, Mann!“, kam es von Barbara, „ gute Nacht Jungs schlaft gut.“

„Ihr auch“, sagte Christian und ich nickte.

Nur mit einer Boxer bekleidet, stieg ich in mein Bett. Das Licht flackerte ein wenig, und draußen gab es einen lauten Donner. Ein Gewitter zog auf. Also stand ich noch mal auf und ging zur Terrassentür. Ein leiser Pfiff und Meiki kam zu mir getrottet.

Er hatte die Angewohnheit im Sommer auf der Terrasse in seinem Korb zu schlafen.

„Du kommst wohl besser rein, mein Großer.“

Ich zog ihn am Halsband ins Zimmer, und er trottete neben mein Bett und lies sich da nieder. Wieder erhellte ein Blitz den Raum, ich schloß die Tür. Zurück in meinem Bett, kraulte ich Meiki ein wenig.

Dann löschte ich das Licht und versuchte zu schlafen. Doch das Gewitter machte mir einen Strich durch die Rechnung. Es wurde richtig heftig, Ich vernahm ein leises Klopfen an der Tür, Meiki blieb aber ruhig.

Ich machte das Licht wieder an und die Tür öffnete sich ein Stück weit. Es war Christian, der seine Kopf rein steckte.

„Du Sven… darf ich bei dir… schlafen?“

„Hast du etwas Angst.“

Es blitzte und er zuckte zusammen. Ich hob meine Bettdecke an und er kam herein. Schnell war er unter die Decke gekrochen und zog sie hoch bis zur Nase. Meiki schaute auf, und ich meinte fast er lächelte… Hunde können nicht lächeln ich weiß, aber es sah so aus.

Wieder machte ich das Licht aus und ließ mich zurück fallen. Ein heller Blitz und es krachte diesmal sehr laut. Christian zuckte richtig heftig zusammen und presste sich an mich. Ich legte mein Arm um ihn.

„Hey Chris, hier passiert dir nichts, ich bin doch bei dir.“

Mit ängstlichen Augen schaute er mich an, soviel konnte ich beim nächsten Blitz erkennen. Die Tür ging auf und die Deckenlampe flammt auf. Nun war ich zusammen gezuckt.

„Barbara, du brauchst nicht weiter zu schauen, Christian hat schon Unterschlupf gefunden.“

Reinhard.

„Alles in Ordnung, mit euch zweien?“

Ich hob den Kopf und nickte.

Reinhard schickte mir ein merkwürdiges Lächeln entgegen und löschte das Licht.

„Gut Nacht Jungs, schlaft gut.

Er schloss die Tür und ich kuschelte mich wieder an Christian.

*-*-*

Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, schien draußen bereits die Sonne. Ich spürte ein unheimliches Gewicht auf meinen Füssen, ich versuchte sie zu bewegen, aber vernahm nur ein Knurren.

Ich hob den Kopf. Meiki hatte es sich am Fußende bequem gemacht, und schaute mich an. Ein kleiner Schnarcher ließ mich nach rechts schauen. Da lag Christian. Mir fiel der Spruch von gestern ein, einfach in ein süßes Gesicht schauen.

Christian sah wirklich süß aus, seine nackte Schulter schaute unter der Decke hervor. Ich beugte mich rüber und gab ihm einen Kuss auf diese. Er brummelte ein wenig, was ich aber nicht verstand. Mit der Hand stütze ich meinen Kopf ab und beobachte ihn weiter.

Ich strich mit der anderen durch sein Haar, bis ich ein Lächeln auf seinem Gesicht bemerkte.

„So will ich jeden morgen geweckt werden“, sagte er leise.

„Bist du endlich wach?“, fragte ich.

„Was heißt hier endlich?“

Er hob den Kopf und gab mir einen Kuss, was bei mir in einer Gegend wieder für einen Blutstau sorgte. Total verwirrt sank ich wieder in mein Kissen zurück.

„Aus dir soll einer schlau werden, Chris.“

Chris stützte sich auf seinen Ellenbogen ab und ließ seinen Blick über mich wandern.

„Tut mir Leid, aber du hast eine Seite an mir geweckt, die ich bisher noch nicht kannte“, meinte er ernst.

Ich richtete mich ebenso auf.

„Christian, was soll ich nur mit dir tun, wie soll das weiter gehen mit uns? Ich meine willst du mehr, ich weiß nicht was ich von der Sache halten soll. – Mein Bruder, mein bester Freund und auch mein Boyfriend.“

Ein Lächeln huschte über Christians Gesicht.

„Ist schön, dass du dir solche Gedanken machst, aber soweit möchte ich doch nicht gehen. Im Augenblick genieße ich es einfach nur in deine Nähe zu sein, Sven. Ich frag mich nur ob alle Brüder sich so gut verstehen.“

„Sicher nicht, es sind auch nicht alle gleich alt und einer davon schwul“; meinte ich.

Christian kicherte.

„Und es sieht auch nicht jeder, so verdammt gut aus, wie du“; setzte Christian noch eins drauf, „in der Schule werden sie sich killen wegen dir.“

Bei den letzten Worten musste sogar ich grinsen, mit der Vorstellung im Kopf, wie sich Mädchen wegen mir streiten.

„Also ich werde jetzt aufstehen und duschen gehen, danach mein Zimmer aufräumen, wenn heute Mittag Sandra und Jasmin kommen“, sagte ich leise.

„Die hab ich ja ganz vergessen, da muss ich auch noch aufräumen.“

Seinen Anblick genoss ich umso mehr, als ich bemerkte, des er völlig nackt neben mir gelegen hatte.

„Willst du so in dein Zimmer laufen?“, fragte ich.

Ich fand seine Boxer neben mir liegend im Bett und hob sie hoch. Christian schaute nach unten. Ich fing an zu lachen.

„Hey Chris, du siehst ebenfalls verdammt gut aus.“

Mit einen teuflischen Lächeln verließ er mein Zimmer.

*-*-*

Frisch gestriegelt, lief ich hoch in die Küche und fand Barbara dort vor. Sie kämpfte mit einer Flasche, die sie öffnen wollte. Mit einem Gips an der Hand, kein leichtes Unterfangen.

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte ich.

„Morgen Sven, würdest du?“, sie hob mir die Flasche entgegen.

Ich schraubte den Verschluss herunter und goss ihr das Glas voll.

„Bin ich froh wenn ich das verdammte Ding wieder los bin.“

„Kann ich mir vorstellen. Gibt’s noch Frühstück?“

„Ja steht alles noch drin, im Esszimmer.“

Also lief ich ins Esszimmer und setzte mich an den Tisch. Ich schenkte mir zuerst eine Tasse Kaffee ein. Schon der Geruch, ließ mich richtig wach werden.

„Schenkst du mir auch gleich eine ein.“

Christian stand in der Tür. Gemeinsam saßen wir da, frühstückten und unterhielten uns über den nächsten Morgen, meinem ersten Schultag hier.

„Weißt du ob wir zusammen in einer Klasse sind?“, fragte ich.

„Wenn ich Papa richtig verstanden habe, schon.“

„Gut so. Und was erwartet mich, ich meine wie ist deine Klasse?“

„Ein verrückter Haufen, würde ich mal sagen.“

„Wie verrückt?“

„Das wirst du morgen selber erfahren.“

Chris setzte so ein merkwürdiges Grinsen auf. Mit finsteren Blicken erwiderte ich sein Blick.

„Mach mal halblang Bruderherz, du wirst schon nicht am ersten Tag gekillt.“

Er fing an zu lachen und begann den Tisch abzuräumen.

„Was macht ihr zwei, heute Mittag?“

Babara kam ins Esszimmer gelaufen.

„Wir bekommen Damenbesuch“, sagte ich und begann zu grinsen.

Barbara sah mich ganz verdutzt an.

„Damenbesuch?“

„Ja Mama, das sind die, die vorne eine Wölbung haben und hinten mit den Hintern wackeln“, sagte Chris, als er von der Küche kam, aber mit so einem ernsten Gesicht, das es mich fast verriss vor Lachen.

„Lieber Christian, ich weiß selber was Mädchen sind“, kam es von Barbara, „dann werden wir, ich und dein Vater mal das Weite suchen, bevor hier die wackelnden Hinterteile antanzen.“

„Mum, du hast die Wölbungen vergessen.“

Ich lachte Tränen und hielt mir den Bauch, ich konnte einfach nicht mehr und fiel vom Stuhl.

*-*-*

„Tut es noch sehr weh?“ fragte mich Christian.

Als ich von Stuhl fiel, bin ich wahrscheinlich ein wenig unglücklich auf meine Schulter geplumpst. Ich lag mittlerweile wieder in meinem Bett und Christian hatte mir einen Kühlbeutel gebracht.

„Geht schon wieder, ist auch nichts kaputt, kann den Arm noch bewegen“, meinte ich.

„Gut dann zieh dir was über, Sandra und Jasmin kommen gleich.“

„Stört mich nicht können ruhig was sehen von mir“, gab ich grinsend zur Antwort.

„Dich nicht aber vielleicht mich“; sagte Christian und verließ mein Zimmer, der Türgong hatte sich gemeldet.

Ich stand vorsichtig auf und zog mir ein Hemd an. Draußen im Flur konnte ich Sandra und Jasmin schon an den Stimmen hören. Sie waren anscheinend erst in Christians Zimmer, bevor es an meiner Tür klopfte und Chris sein Kopf hereinsteckte.

Nachdem er sich anscheinend vergewissert hatte, dass ich voll angezogen war, öffnete er vollends die Tür.

„Und hier wohnt unser kleiner Svenniboy.“

„Klein… tztz…, du bist ja mindestens fünf Zentimeter kleiner als ich. Hallo Sandra, hallo Jasmin.”

„Hallo Sven“, kam es von Sandra und umarmte mich, das gleiche machte Jasmin.

„Hab ihr Lust auf einen Tee?“, fragte Christian.

Alle nickten und Christian verschwand.

„Du hast echt Glück Sven weißt du das?“, sagte Sandra und schaute sich ein wenig in meinem Zimmer um.

„So, meinst du das?“

„Ja Sven im Ernst, du hast es echt gut erwischt. Du hast eine Familie gefunden die dich liebt, oder?“

„Ja hab ich, entschuldige mein Misstrauen.“

„Misstrauen? Ich verstehe es ja, schon allein was du durchgemacht hast. Das kannst du jetzt alles hinter dir lassen, du hast und bist endlich zu Hause.“

„Stimmt, hast ja Recht.“

„Wer ist das süße Mädchen auf dem Bild?“, kam es von Jasmin.

„Das? Meine kleine Schwester, da isse Fünf geworden, müsst jetzt vierzehn sein…“

„Und seitdem nie wieder gesehen?“

„Nein…“

Niemand sagte mehr was, etwas beklemmend standen wir drei n meinem Zimmer, aber die Rettung nahte, Christian kann zurück.

„So, sorry hab nicht gleich das Teegeschirr gefunden, und der Tee muss noch einwenig ziehen. Warum seid ihr so still?“

„Wir haben grad von Karo gesprochen“, meinte ich.

„Ach so, na ja, werden wir auch noch irgendwie auf die Reihe kriegen, nicht Bruderherz.“

Wo nahm dieser Junge immer diese Lässigkeit her. Er drückte mich kurz und setzte sich auf mein Bett, Sandra nahm neben ihm Platz. Jasmin setzte sich neben mich auf meine Couch. Chris ver-teilte die Tassen und noch immer sprach niemand.

„Spielen wir jetzt das Schweigen der Lämmer?“, fragte Chris.

„Wieso, wem willst du denn die Haut abziehen?“, kam es von Jasmin.

Jetzt fingen wir alle an zu lachen und so unterhielten wir uns bei einer Tasse Tee über die Schule.

„Hast du eigentlich irgendein Sport getrieben?“, fragte mich Sandra.

„Ja, ich war in einem Schwimmverein.“

„Das trifft sich gut, Sven. In unserer Klasse, der Markus ist im Schwimmverein, also wenn du wieder Lust hättest“, meinte Chris.

„Lass mich doch erst mal ein paar Leute kennen lernen,“ erwiderte ich.

Sandra und Jasmin verabschiedeten sich nach zwei Stunden, denn auch für sie begann die Schule wieder am nächsten Morgen. Chris und ich gingen an diesem Abend auch früh zu Bett.

*-*-*

„Morgen du Schlafmütze, aufstehen. Oder willst du am ersten Tag gleich zu spät kommen?“, fragte Chris, der nur in Boxer vor mir stand.

Er griff nach meiner Decke und wollte sie weg ziehen. Ich war aber schneller und zog ihn auf mich, griff nach seinem Hals und gab ihm einen Kuss.

„So jetzt kannst du von mir runtergehen, jetzt bin ich richtig wach“, meinte ich grinsend.

Aber da hatte ich Chris wohl falsch eingeschätzt, er blieb auf mir liegen und küsste mich weiter. Ich drückte ihn weg.

„Chris, ich dachte wir müssen zur Schule.“

„Spielverderber.. wir haben noch genügend Zeit.“

Er lächelte mich an, das ich schwach wurde, schloß die Augen und ergab ich mich seinem nächsten Kuss. Meine Hand wanderte über seinen Rücken. Ich streichelte die sanfte Haut und hörte Chris leise Stöhnen.

Ich wanderte tiefer und fuhr mit der Hand in seine Boxer und ließ die Hand über seinen Hintern kreisen. Wie meine eigene, so konnte ich jetzt auch die Erregtheit von Chris spüren. Hart drückte es gegen meinen Bauch.

*-*-*

Als ich nach dem Duschen und angezogen mein Zimmer verließ, kam Chris ebenfalls aus seinem Zimmer. Er hauchte mir einen Kuss auf die Wange.

„Also wenn wir jeden Morgen so aufstehen, Bruderherz…“

Er legte wieder sein schelmisches Grinsen auf, das ich erwiderte.

„Morgen ihr zwei und alles klar für die Schule?“, fragte Barbara, die gerade den Tisch deckte.

„Morgen Barbara, ja schon, aber hab ein flaues Gefühl im Magen“, sagte ich.

„Wird schon werden, Sven keine Sorgen.“

Deine Worte in Gottes Gehörgang, dachte ich noch. Ich setzte mich hin und hatte eigentlich keinen rechten Hunger. Chris dagegen futterte wie ein Weltmeister. Er schaute mich an und schob mir ein halbes Brötchen rüber und grinste dabei frech.

Bis Chris dann endlich fertig war, hatte ich das auch gegessen. Wir räumten den Tisch ab und ich schnappte mir meinen Rucksack. Chris und ich liefen zur nächsten Straßenbahnhaltestelle, besser gesagt ich folgte ihm, denn ich kannte ja den Schulweg noch nicht.

„Morgen Chris, altes Haus, alles fit für die Schule?“

Eine kleine Gruppe hatte sich bereits an der Haltestelle versammelt, einer der Jungs hatte Chris angesprochen.

„Sicher, Tim, ich hab jetzt sogar Verstärkung.“

Alle Köpfe drehten sich in meine Richtung. Na sauber, der erste Präsentierteller heute, das kann ja heiter werden.

„Darf ich euch vorstellen, mein Bruder Sven“, sagte er und ich merkte wie stolz er das brachte.

„Sven das sind Tim, Maren, Angela aber Angie gerufen wird, Dominik, genannt Mini und der große Dürre da ist Moppel.“

Bei dem Namen Moppel musste ich unweigerlich grinsen, denn der Junge der vor mir stand, hatte wahrhaftig nichts Dickes an sich eher das Gegenteil.

„Hat Moppel auch noch einen richtigen Namen?“, fragte ich.

„Ähm.. das ist sein Nachname“, sagte Maren.

„Ich heiße eigentlich Jens.“

Wow, volle Kanne Fettnäpfchen… wird immer besser, dachte ich.

„Aber das kannst du ja nicht wissen, also nicht schlimm“, kam es dann noch von Jens.

Die Straßenbahn kam und wir stiegen alle ein.

„Hast du deine Fahrkarte?“, fragte mich Chris.

„Ja in meinem Geldbeutel“, gab ich zur Antwort.

„Gut, wenn du nämlich beim Schwarzfahren erwischt wirst kostet das Vierzig Euro Strafe.“

„Nein, nein ich hab sie dabei.“

*-*-*

Nun war ich also hier, direkt vor der Schule, ein riesiger Kasten. Humboldgymnasium. Von allen Seiten kam es geströmt. Christian schob mich vor sich her und quasselte mit den anderen. Durchatmen und rein dachte ich noch.

Christian wich mir nicht von der Seite, und ging mit mir ins Rektorat. Nach einer, wie ich es fand, etwas übertrieben Begrüßung des Rektors, lief ich mit Chris zu unserem Klassenzimmer. Der Klassenlehrer, Hinoffsen hieß er, stellte mich kurz der Klasse vor, mir blieb es erspart etwas zu sagen.

Und schon ging der Schulalltag los. Ich kam zügig mit und Christian lächelte mir die ganze Zeit aufmunternd zu. Ohne Schwierigkeiten überstand ich es bis zur großen Pause. Christian zog mich ohne zufragen in den großen Pausenhof.

„Hach Chrisi, was haste da uns aber auch wirklich  so nen süßen Schnuckel mitgebracht.“

Ich drehte mich um, und da stand ein etwa gleichgroßer Junge vor mir.

„Sven, das ist Marc“, meinte Chris.

Irgendwie sah er ja ganz süß aus der Mark, aber seine Sprache sein Getue, das war doch nicht so Meins. Ich wollte schon meine Hand heben, zur Begrüßung, doch Marc hatte da wohl seine eigenen Gedanken dazu. Er nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich.

„Hey Mark, lass meine Bruder ganz, den brauch ich noch,“ kam es von Chris.

„Du willst ihn doch nur für dich alleine, du Schlingel, könntest ruhig was davon abgeben für mich, bin ja noch zu haben, wie du weißt, hach hat der ein süßes Lächeln“, sagte Mark und stupste Chris an der Schulter.

Ich musste mich beherrschen nicht laut los zulachen, Marc war ja echt ein Original.

„Ach weißte Mark, das soll mein Kleiner mal ganz alleine entscheiden wen er sich aussucht“, gab Chris von sich.

Mark lief weiter zur nächsten kleinen Gruppe.

„Was war denn das?“, fragte ich.

„Das war Mark unsere Oberschwuppe, ziemlich flippig, aber sehr zu verlässig. Wenn du seine Hilfe brauchst ist er 150% dabei“, sagte Chris, „komm ich stell dir noch ein paar Leute vor.“

Die Pause reichte natürlich nicht aus um alle kennen zu lernen die mir Chris vorstellen wollte, zu dem ich mir auch in der Schnelle nicht alle Namen merken konnte. Die letzten Stunden gingen auch sehr zügig rum, und so stand ich vor der Schule und wartete auf Chrisi, der noch kurz zur Toilette war.

„Sven.“

Ein Junge aus meiner Klasse kam auf mich zu, ich glaube Markus hieß er.

„Ja, …. Markus?“

„Ja Markus heiß ich. Chris hat erzählt du schwimmst gerne, oder?“

„Stimmt, ich war im.. dort wo ich früher wohnte im Schwimmverein.“

„Das ist ja super, hättest du nicht Lust bei uns in den Verein zukommen, wir suchen immer Leute, gute Schwimmer.“

„Ja Lust schon.“

„Dein Spezial?“

„1000 Meter Brust.“

„Wow, cool so jemand fehlt uns noch.“

„Echt?“

„Ja, du musst unbedingt bei uns anfangen, darüber sprechen wir aber noch, denn ich muss zu meiner Bahn. Also tschüss dann, bis morgen. Ciao Chris bis morgen“, rief er noch, winkte Chris, der gerade gelaufen kam.

„Was wollte Markus?“, fragte Chris.

„Er hat mich gefragt, ob ich nicht in seinen Schwimmverein kommen möchte.“

„Hey cool, wäre ja super, wenn du gleich so Anschluss finden würdest. Und Interesse daran?“

„Natürlich habe ich Interesse, schwimmen hat mir schon immer sehr Spass gemacht.“

„Na dann. Und wie geht es dir nach deinem ersten Schultag hier?“

„Eigentlich sehr gut, wenn sie noch alle mitbekommen das ich schwul bin und genauso reagieren, kann es nur besser werden.“

„Das wissen sie bereits…“, kam es von Chris leise.

„Was?“

Chris druckste ein wenig herum.

„Ich habe ihnen das schon erzählt, als klar war, dass du zu uns auf die Schule kommst.“

Irgendwie konnte ich Chris nicht böse sein, und zu dem hatte mir wegen meinem Schwulsein keiner Ärger gemacht.

„Bist du mir jetzt böse?“, fragte Chris.

„Ich sollte, bin es aber net, weil mein Bruder sich mal wieder so rührend um mich gekümmert hat.“

Eine einzelne Träne kullerte über Chris Wange und tropfte zu Boden..

„Was ist mit dir Chris?“

„Es ist das erste Mal, dass du mein Bruder gesagt hast, weißt du so was hab ich mir immer gewünscht.“

Ich lächelte ihn an und drückte ihn kurz.

„Ähm welche Bahn ist den unsere, weil da sind jetzt schon jede Menge vorbei gefahren“, sagte ich.

„Shit, da kommt die Zwei, komm beeilen wir uns, vielleicht kriegen wir sie noch“, rief  Chris und sprintete los.

Ich natürlich hinter her.

*-*-*

Chris stieg mit mir in Durlach aus, jedenfalls nicht da wo wir eingestiegen waren.

„Ähm, wo willst du mit mir hin?“, fragte ich, „ hier sind wir aber nicht eingestiegen.“

„Du willst doch sicher sehen wo Paps arbeitet oder?“

„Oh ja natürlich.“

„Dann komm, hier über die Strasse in dem Bürogebäude.“

Ich lief ihm hinter her und gemeinsam betraten wir das Haus. Mit einem Fahrstuhl fuhren wir in den dritten Stock. An einer Glastür stand Posfantic AG, Christian trat ein.

„Hallo Christian, was verschafft uns die Ehre?“

Eine ältere Dame hinter einem Schreibtisch stand mitten im Raum.

„Hallo Helga, ich wollte Sven hier nur die Bude zeigen“, antwortete Chris, „ hat Paps Zeit?“

„Sein Meeting müsste gleich fertig sein. Du bist also Sven?“

Sie stand auf und kam auf mich zu.

„Ja der bin ich“, blöde Antwort, aber was sollte ich anderes sagen.

Sie reichte mir die Hand und ich schüttelte sie natürlich. Auf dem Schreibtisch piepte das Telefon. Helga lief zurück und nahm ab.

„Ja Barbara?“, sagte sie.

„Ja bring ich dir gleich rein, du Christian und Sven sind da……. okay ich schick sie gleich rein.“

Helga legte auf, und ich hatte mich derweil ein bisschen im Foyer umgesehen. Mir gefielen die Bilder an der Wand, die wunderschöne Hochwiesen in Schottland zeigten.

„Kommt ihr beide mit, Barbara hat gerade Zeit“, fragte Helga.

Chris nickte mir zu und ich folgte den beiden, durch einer der zahlreichen  Türen.

„Hallo ihr beiden, und wie war der erste Schultag?“, sagte Barbara.

„Wie in den letzten Jahren auch,“ sagte Chris frech.

Ich musste lachen. Barbara sah Chris missbilligend an.

„Er war recht Barbara, Chris war ja immer bei mir.“

„Gut“, sagte sie.

Sie nahm den Hörer ihres Telefons ab und wählte.

„Hallo Schatz die Jungs sind da, könntest du rüber kommen, ich würd es ihnen gerne jetzt sagen…. nein…  ja gut…..“

Und schon ging die Tür auf und Reinhard spazierter herein. Ich sah Chris fragend an, der nur mit dem Schultern zuckte.

„Wir habe da ein Problem, Sven, aber lies es bitte selbst“, sagte Barbara und hielt mir ein Schriftstück entgegen.

Ich stellte den Rucksack auf den Boden und nahm es entgegen. Ich überflog es bis zu der Stelle:

…, können wir ihren Antrag auf Adoption nicht statt geben, weil der Vater der oben genannten Person Einspruch erhebt…….

 

Langsam glitt mir das Papier aus den Händen, verzweifelt schaute ich Barbara und Reinhard an… dann wurde alles schwarz um mich herum…

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