Der weite Weg – Teil 2

Als ich die Augen öffnete, lag ich in meinem Bett.

„Hey Kleiner, bist du endlich wieder wach, du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“

Christian lag neben mir und schaute mich traurig und besorgt an.

„Sorry… bin noch ganz benommen, wie komme ich denn in mein Bett?“

„Papa hat dich herunter getragen, nach dem der Arzt da war.“

„Der Arzt?“

„Svenni, du warst völlig weggetreten, nach dem du diesen scheiß Brief gelesen hast.“

Ach der Brief… jetzt kam wieder alles hoch. Augenblicklich drücke es mir Tränen in die Augen. Erst hatten sie mich abgeschoben und nun wollten sie mir das Glück auf eine neue Familie verwähren. Ich begann meine Eltern richtig zu hassen.

„Komm hör schon auf Sven, du musst nicht weinen, wir geben dich auf alle nicht kampflos her, du bist mein Bruder und ich will dich nie verlieren.“

Ich sah den Glanz in den Augen von Christian und ich wusste, wie ernst er das meinte.

„Meinst du ich kann aufstehen?“, fragte ich.

„Natürlich kannst du aufstehen, du bist doch gesund.“

Ein bisschen weiche Knie hatte ich noch, aber erst mal musste ich auf die Toilette. Danach genoss ich die heiße Dusche auf meinem Körper. Fertig angezogen lief ich nach oben in die Küche.

„Morgen mein Schatz, und wie geht es dir?“

Barbara schaute echt besorgt.

„Wieder besser, sorry wenn ich euch erschreckt habe, aber es war einfach ein wenig viel für mich“, antwortete ich.

Sie nahm mich in den Arm. Wie das gut tat, sie zu spüren.

„Wir werden alles tun, was uns möglich ist, Sven. Reinhard, hat für nachher einen Termin bei der Jugendrichterin ausgemacht, wäre doch gelacht, wenn wir da nichts machen können, du hast schließlich auch Rechte.“

Ich sah Barbara nur an.

„Danke.“

*-*-*

Bei der Fahrt zum Gericht wurde es mir dann doch mulmig, aber ich musste da jetzt einfach durch. Am Gericht trafen wir dann auch Reinhard, bei dem ein Mann stand.

„Hallo Sven, darf ich dir Dr. Jansen vorstellen, er ist unser Familienanwalt“, kam es von Reinhard.

Artig gab ich die Hand, und nickte diesem Dr. Jansen zu.

„Lasst uns reingehen, denn ich möchte mit Sven noch kurz reden, bevor wir unseren Termin war nehmen“, sagte Dr. Jansen.

Gesagt, getan. Wir warten nach dem Gespräch, das wir endlich aufgerufen wurden. Dr. Jansen meinte, das ich nicht dazwischen reden und ihm alles überlasen sollte. Meine Nervosität hatte ihren Höhepunkt erreicht, so dachte ich jedenfalls, bis wir dann dran kamen und in das Büro der Richterin eintraten.

Die übliche Begrüßung folgte und wir nahmen alle Platz. Ein Gespräch zwischen den Erwachsenen folgte und ich rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Die Richterin warf immer wieder einen Blick auf mich.

Plötzlich hob sie die Hand. Dr. Jansen hielt mit seinen Ausführungen inne.

„Wären sie drei so nett und würden draußen vor der Tür warten, ich möchte mich, gerne einmal mit Sven alleine unterhalten,“ sagte sie.

Sie standen auf und gingen zur Tür. Ängstlich schaute ich zu Barbara, die mir einen aufmunternden Blick zuwarf.

„So lieber Sven, jetzt sind wir alleine. Ich möchte einfach mal hören, was du zu dieser ganzen Sache zu sagen hast,“ begann die Richterin das Gespräch.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und fing einfach an zu reden.

„Ich fühle mich ganz wohl bei meiner neuen Familie und würde da auch gerne bleiben. Ich bin jetzt schon zweimal von einer Pflegefamilie zurückgeschickt worden und jedesmal tat das schrecklich weh.“

„Warum wurdest du zurück geschickt?“

Ich hielt ein wenig inne.

„Weil …. weil ich schwul bin und meine bisherigen Pflegeeltern nicht damit klar kamen.“

„Das verstehe ich zwar nicht, aber erzähle ruhig weiter, Sven.“

Ich nickte ihr zu und merkte irgendwie, dass sie auf meiner Seite war.

„Ich hab mich geärgert, als ich von dem Einspruch meiner Va… Erzeugers hörte. Die haben mich damals als schwer erziehbar ins Heim gegeben, mich nie besucht, mir meine Schwester genommen. Und jetzt wo ich endlich mal Glück habe, eine richtige Familie gefunden habe, da wollen sie mir das Recht auf Familie verwähren.“

Eine lange Pause entstand, die Richterin lass sich noch einmal einige Papiere durch. Dann sah sie mich an.

„Hör mal zu Sven, wir haben eine Möglichkeit. Da du schon sechzehn Jahre alt bist, können wir dich unter das Sorgerecht des Jugendamtes setzten und somit alle Rechte deiner Eltern aufheben.“

„Das geht?“

„Ja Sven und dann würde einer Adoption nichts mehr im Wege stehen. Und was deine Schwester betrifft, werde ich mich mal selber darum kümmern. Ich werde sehen was ich machen kann.“

Sie stand auf und streckte mir ihre Hand entgegen, die ich freudig schüttelte.

„Sven, ich wünsch dir Glück mit deiner neuen Familie, das du endlich das bekommst, was eigentlich jedem Kind zu steht. Ein Zuhause.. eine Familie mit viel Liebe.“

Sie brachte mich zur Tür.

„Dr. Jansen, wenn die Papiere zur Adoption fertig sind, werden wir uns mit ihnen in Verbindung setzten“, sagte sie noch, bevor sie  mit einem verabschiedenden Nicken wieder in ihrem Zimmer verschwand.

Barbara und Reinhard stürmten auf mich zu und umarmten mich beide gleichzeitig.

„Hallo, wollt ihr mich jetzt vor Freude zerquetschen?“, fragte ich.

Augenblicklich ließen mich beide los.

„Wie hast du das nur geschafft, Sven?“, fragte Barbara.

„Ich hab nur gesagt was Sache ist, mehr nicht“, gab ich zur Antwort.

„Ich bin so stolz auf dich“, meinte Reinhard und quetschte mich schon wieder an sich.

*-*-*

Abends sind wir dann ganz groß essen gegangen. Das Lächeln von Christian, verschwand nicht einmal an diesem Abend. Irgendwie konnte ich es noch gar nicht richtig fassen, was dies alles für mich bedeutete.

Es vergingen schon noch ein paar Wochen, bis es endlich zur Unterschrift kam und ich mich endlich Sven Lohmeier nennen durfte, sogar mein Personalausweis war schon fertig, und dann heißt es, die Amtsmühlen mahlen langsam.

Chris stand vor dem Rathaus und ich winkte im mit meinem neuen Ausweis. Er sprang auf mich zu und warf mich fast um als er mich in die Arme nahm.

„Jipi, endlich habe ich einen Bruder,“ schrie er ganz laut, so dass sich schon andere Leute nach uns umdrehten.

Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und fing wie wild an herum zu tanzen. Ich stand nur lachend da und beobachtete ihn bei seinem Treiben.

Am Mittag kam dann die Richterin Gellert, höchst persönlich zu Besuch. Sie gratulierte mir erst mal, bevor sie mit meinen Eltern rede wollte. Wie sich das anhörte MEINE Eltern, so glücklich war ich schon lange nicht mehr.

Nach einer Weile rief uns Reinhard ins Wohnzimmer. Barbara und Frau Gellert hatten ernste Gesichter.

„Setzt euch bitte zu uns, wir haben was mit euch zu bereden“, sagte Barbara.

„Kinder könntet ihr euch eine Schwester vorstellen?“, begann Reinhard gleich, als wir saßen.

„Bist du schwanger, Mama?“, fragte Chris mit einem frechen Lächeln.

Chris bemerkte aber schnell, dass sein Witz hier nicht angebracht war. Still lehnte er sich zurück. Meine Blicke trafen die der Richterin.

„Karo?“ sagte ich.

Die Richterin nickte.

„Was ist mit ihr?“

„Sie ist ebenfalls im Heim, Sven“, bekam ich zur Antwort.

Völlig geschockt bekam ich kein Wort heraus. Es folgte eine lange Pause, in der niemand mehr was sprach.

„Sie haben sie also auch abgeschoben…“, sagte ich, stand auf und lief zum Fenster, „was sind das für Eltern?“

„Nicht mehr deine!“

Chris stand hinter mir. Ich drehte mich um und sah ihm in die Augen.

„Was sind das für Menschen, die lieblos ihre Kinder weggeben, als wäre es eine gebrauchte Sache, die man nicht mehr möchte. Was sind das für welche, die ihre Gier und Karriere vor ihre Kinder stellen… alles andere wichtiger ist?“

Ich drehte mich wieder zum Fenster.

„Kann ich sie besuchen?“, fragte ich Frau Gellert.

„Möchtest du wirklich, bist du sicher?“, fragte sie.

„Ja warum denn nicht?“

„Das wirst du selber erleben, wenn wir hinfahren.“

Ich drehte mich zur Richterin und sah sie fragend an.

„Hast du dir mal vorgestellt, wie sich deine Schwester fühlte, als du weg warst?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Okay, ich hole dich morgen nach der Schule ab Sven, dann fahren wir gemeinsam hin, dann wird sie dir sicherlich alles erzählen.“

„Danke,“ sagte ich.

*-*-*

In der Schule konnte ich mich nicht recht konzentrieren, so war ich froh als die letzte Stunde vorbei war. Wie versprochen wartete die Richterin vor der Schule auf mich. Ich verabschiedete mich von Chris und stieg zu ihr ins Auto.

Während der ganzen Fahrt auf der Autobahn sprachen wir fast kein Wort, aber ich dachte die Richterin wusste schon, das mir nicht nach reden war. Wie damals im Zug lies ich die Landschaft an mir vorbei ziehn, lauschte der Musik, die lief.

An einem ruhigen Parkplatz machten wir Rast. Ich lief hinunter an den Fluss der am Parkplatz angrenzte. Ich setzte mich auf einen Stein, Frau Gellert folgte mir.

„Nervös?“

„Ja bin ich“, sagte ich und schaute auf das Wasser raus.

„Ich hab sie seit sie fünf war nicht mehr gesehen, ich weiß nicht wie sie ist, was sie so macht.“

„Sie ist dir sehr ähnlich.“

„Woher wissen sie und was meinen sie mit ähnlich?“

„Ich meine jetzt nicht nur von Aussehen her, sie tritt sehr für andere ein, versucht zu helfen wo es nur geht.“

„Liegt in der Familie… halt, nehme ich zurück… stimmt nicht!“

„Wollen wir weiter fahren?“

„Ja gerne.“

Nach einer Stunde fuhren wir die Auffahrt zu einem großen Haus hinauf. Die Richterin stellt ihren Wagen neben dem Haus auf den Parkplatz. Stumm folgte ich ihr ins Haus. Am Empfang unterschrieb sie irgendetwas und schob mich dann zur Treppe.

„Weiß sie, dass ich komme?“ fragte ich super nervös.

„Nein weiß sie nicht“, antwortete mir Frau Gellert.

Vor einer Tür blieb sie stehen und ich hielt die Luft an. Sie klopfte und von drinnen war ein leises herein zuhören. Die Richterin öffnete die Tür.

„Hallo Karo, da bin ich wieder. Ich bring dir jemand, der dich wieder sehen will.“

„Wer will mich wieder sehen?“, hörte ich eine Stimme aus dem Zimmer.

Frau Gellert schaute mich an und hob die Hand. Etwas zögerlich ergriff ich sie und trat langsam ein. In einem Sessel saß ein blond gelocktes Mädchen mit blauen Augen… meinem Spiegelbild. Diese Augen füllten sich mit Tränen. Karo stand auf. Sie schaute mich lange an.

„Sven…, bist du das?“, sagte sie mit fast erstickter Stimme.

„Ja…“, hauchte ich fast nur.

„Wie kann das sein… nach all den Jahren…, ich hab versucht dich zu finden… niemand gab mir eine Auskunft.“

Ich stand nur da und starrte Karo an, kein Wort kam über meine Lippen.

„Ich habe dich so vermisst…..“, sagte sie leise.

Tränen liefen ihr über das Gesicht.

„Ich lass euch beiden mal alleine, ich bin dann unten wenn etwas ist“, sagte die Richterin und verließ das Zimmer wieder.

Ich schaute zurück zu Karo.

„Ich durfte dich nicht mehr sehen… unsere Eltern waren dagegen…,“ meine ersten Worte zu Karo.

Ich hob die Arme und Karo ließ sich einfach fallen. Eng drückte sie sich an mich und fing laut an zu schluchzen. Ich streichelte sanft über ihr Haar und ließ auch meinen Tränen freien Lauf.

„Ich habe dich nie aufgegeben Karo.“

„Das weiß ich, ich habe das die ganzen Jahre gespürt.“

Sie hatte den Kopf gehoben und schaute mich an.

„Du siehst gut aus Bruderherz, schon eine Freundin?“

Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, merkte aber, dass ich mein Gesicht verzog.

„Habe ich etwas Falsches gesagt“, fragte sie verwirrt.

„Nein hast du nicht…“

Sie zog mich zum Bett wir setzten uns. Warum sollte ich damit hinterm Berg halten, sie war meine Schwester und sollte ruhig alles über mich wissen.

„Ich werde wohl nie eine Freundin habe, Karo ich bin…“

„..schwul?“

Sie hatte mir das Wort aus dem Mund genommen. Ich nickte. Sie schaute mir in die Augen und wich nicht davon ab.

„Probleme damit?“, fragte ich leise.

„Nein habe ich nicht, mein bester Freund hier ist schwul.

Ich atmete tief durch.

„Du weißt, warum ich hier bin?“ fragte ich weiter zögerlich.

„Nicht direkt, die Heimleiterin wollte nichts Konkretes sagen. Ich wusste ja nicht mal, dass du kommst und die Richterin hat in diese Richtung auch nichts erzählt, nur das eventuell eine Familie an mir Interesse hätte, aber das habe ich nicht geglaubt!“

„Ich würde dich gerne zu mir holen………“, sagte ich.

Mir versagte die Stimme. Wieder dieser Blick von Karo.

„… wirklich… in echt…..?“

Ich konnte nur nicken und brachte weiterhin keinen Ton heraus.

„Wir beide zusammen…?“ fragte sie ganz leise.

Erneut kullerten Tränen herunter. Ich legte meine Hand auf ihre Wange und strich mit dem Daumen eine Träne weg. Sie schloss ihre Augen und schmiegte sich an meine Hand.

„Ja Karo… ich hab ein Zuhause gefunden.“

Sie öffnete die Augen.

„Ist es nicht zu spät für ein Zuhause?“

Das tat weh, was hatte man ihr nur angetan.

„Es ist nie zu spät für ein zuhause, Karo.“

Sie stand auf und lief zum Fenster.

„Und was ist das für ein Zuhause?“

Ihre Stimme hörte sich ablehnet und sarkastisch an.

„Meinst du ich würde dich mitnehmen, wenn ich nicht wüsste, es würde dir dort gefallen?“

Sie drehte sich zu mir.

„Sven, ich möchte nicht noch einmal so enttäuscht werden. Unsere Eltern haben mich einfach im Stich gelassen.“

„Ich weiß wie das ist, Karo. Nicht nur unsere Eltern, sondern auch die zwei Pflegefamilien haben mich weg geschickt.“

Ihr Kopf schnellte herum.

„Zwei…?

Ich nickte und ihr Gesicht nahm einen mitleidigen Zug an.

„Das tut mir Leid, Sven. Unsere Eltern haben nie etwas über dich erzählt und später, als ich auf eigene Faust etwas herausbekommen wollte, wurde ich immer abgewiesen. Und jetzt hast du die Richtigen gefunden?“

„Sie haben mich gefunden“, sagte ich und zog meine Geldbeutel heraus.

Ich stand auf, zog meinen Ausweis heraus und gab ihn ihr. Sie nahm ihn entgegen und betrachtete ihn.

„Sie haben dich adoptiert?“, fragte sie erstaunt

„Ja haben sie und wir hätten jetzt noch gerne eine Schwester.“

„Wir?“

„Ja mein Bruder Christian und ich,“ antwortete ich leise.

Ich hob ihr ein Familienbild hin, das wir am Tage meiner Adoption gemacht hatten.

„Einen Hund habt ihr also auch“, sagte sie.

„Haben wir… wir, Karo. Ich möchte meine Schwester wieder bei mir haben.“

Sie schaute mich wieder an und hielt mir das Bild entgegen. Eine kleine Pause entstand, wo wir beide nichts sprachen.

„Danke“, sagte sie und fiel mir um den Hals.

*-*-*

„Müssen wir das dritte Zimmer jetzt rosa streichen?“, fragte Christian.

Ich gab ihn einen sanften Knuffer in die Seite.

„Was denn… das ist eine ernste Frage gewesen“, maulte Christian.

„Nein Chris, das Zimmer bleibt weiß, Karo kann sich das selber später überlegen was sie aus ihrem Zimmer macht“, sagte ich.

„Genau Sven, und nun lass sie erst mal ankommen“, kam es von Barbara aus der Küche.

„Ich hätte doch mit Reinhard mitfahren sollen, sie abholen“, gab ich von mir.

„Nichts da und womöglich einen Tag Schule schwänzen“, erwiderte Barbara.

„Du bist durchschaut, Bruderherz“, kam es von Chris.

„Wenn ihr von der Schule zurückkommt ist sie da, und nun beeilt euch mit dem Frühstück, sonst verpasst ihr noch eure Bahn.“

„Der Häuptling hat gesprochen“, sagte Chris mit gekonnt dunkler Stimme.

Nach dem Frühstück rannte ich noch in mein Zimmer hinunter und holte meine Rucksack.

„He du Trödler komm endlich“, rief Chris von der Tür.

„Viel Spass Jungs, bis nachher.“

„Danke Mum“, rief  Christian.

„Ja danke… Mum“, sagte ich ebenfalls.

Abrupt blieb ich auf der Türschwelle stehen und schaute Barbara in die Augen.

„Du hast Mum gesagt… danke Sven.“

Barbara beugte sich vor und gab mir einen Kuss. Sie hatte feuchte Augen, aber ich dachte mal es waren Freudentränen. Ich lächelte sie an und rannte dann Chris hinterher, der von all dem nichts mitbekommen hatte.

*-*-*

Der Morgen verlief wie immer. Fast immer! Meine Gedanken hingen bei Karo. Ich war wo als erstes draußen, als der Gong die letzte Stunde beendete. An der Straßenbahn holte Sven mich ein.

„Könntest du mal auf mich gefälligst warten?“, sagte er leicht gereizt.

„Ist ja schon gut, entschuldige.“

„Nicht nur du bekommst heut eine Schwester.“

Ich lächelte ihn an und nahm ihn in den Arm.

„Komm lass uns einsteigen…, Karo wartet auf uns“,  meinte ich und zog ihn in die Straßenbahn.

*-*-*

„Jetzt renn doch nicht so“, rief Chris ständig hinter mir her.

Ich blieb stehen und drehte mich um.

„Sie wird uns schon nicht weglaufen.“

Chris hatte wieder dieses Lächeln drauf, wo ich nicht wusste was jetzt kam. Er hatte mich eingeholt und legte den Arm um mich. Gemeinsam liefen wir zum Haus, schön ruhig und gesittet. Chris schloss die Tür auf und zuerst begrüßte und mal Meiki. Am Flurende stand Karo.

Ich lies meinen Rucksack fallen und lief auf sie zu. Wir fielen uns in die Arme und die Tränen flossen reichlich.

„He, lass noch ein bisschen von meiner Schwester übrig, ich will sie auch mal knuddeln“, kam es von Chris.

Wir ließen von einander ab.

„Hallo Chris“, sagte Karo.

„Hallo Karo“, erwiderte Chris und nahm sie in den Arm.

Ich sah, dass Christians Augen feucht waren, war er also doch nicht so taff, wie er immer vorgab, ich musste lächeln.

„Ich hab gehört, du wolltest mein Zimmer rosa streichen?“, sagte Karo, als sie sich voneinander trennten.

Chris schaute seine Mutter an, die jetzt ebenfalls im Flur stand.

„Petze!“, kam es von ihm.

Wir fingen alle an zu lachen.

„Warst du schon unten?“, wollte ich wissen.

„Nein ich habe Barbara beim Kochen geholfen“, antwortete meine Schwester.

„Ja, erst mal wird gegessen“, mischte sich nun Barbara ein und wir folgten ihr ins Esszimmer.

Reinhard stand immer noch da.

„Du Reinhard…, Paps, danke.. es bedeutet mir sehr viel!!!

Reinhard bekam glasige Augen, nickte nur. und drückte mich kurz an sich.

*-*-*

„Wow, das is ja ein tolles Zimmer“, meinte Karo.

„Und nicht rosa“, grinste Christian

.

Er nahm mich von hinten in den Arm und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Karo drehte sich um und schaute uns verwundert an.

„Ähm… habe ich etwas verpasst? Chris bist du auch schwul?“, fragte sie

„Eher Multiculti, von jedem etwas“, antwortete ich schneller und strich lachend Chris durchs Haar.

„Ah, da stehen uns also noch Überraschungen ins Haus“, sagte Karo lachend.

„Mach euch nur lustig über mich ihr zwei“, meckerte Chris und schob gekonnt seine Unterlippe heraus.

„Och mein Bruderherz schmollt mal wieder“, meinte ich und zog ihn an mich und drückte ihn so toll ich konnte.

„Willst mich jetzt auch noch unter die Erde bringen, hör auf ich krieg keine Lu..“

Weiter kam er nicht, ich hatte ihm einfach einen Kuss gegeben und somit aller Gegenwehr genommen.

„Ihr gebt wirklich ein hübsches Paar ab, muss ich zu geben.“

„Ach Karo, dein Bruder will etwas Festes, so einen Lottertyp wie mich findet er uninteressant.“

„Du hast es erfasst Brüderchen, ich will einen rechten Freund, und nicht so einen Schlamper wie dich.“

Das lies sich Chris jetzt nicht mehr gefallen und begann mich durch zukitzeln. Schneller als ich reagieren konnte lag ich auf den Boden unter Christian. Von meinem Geschrei angelockt, standen Barbara und Reinhard plötzlich in der Tür.

„Du bist sicher, dass wir die haben wollen, Barbara?“

Barbara schaute ihren Mann lange an.

„Um keinen Preis möchte ich sie wieder hergeben…“

*-*-*

„Sven, ich hol dich heute Mittag einfach ab und wir gehen mal gemeinsam ins Schwimmtraining, okay?“

„Na gut Markus, wann kommst du?“

„So gegen halb drei, ist das recht.“

„Ja geht in Ordnung.“

Markus stieg in seine Bahn und ich lief zu Christian.

„Und gehst du jetzt mit schwimmen?“

„Ja ich werde mal rein schauen und wenn es mir gefällt kann ich ja immer noch in den Verein eintreten.“

„Dann könntest du mal wieder was für deine Figur tun“, meinte Chris frech.

„He, ich bin nicht dick, lass die dummen Sprüche.“

„Aber kleine Fettpölsterchen sind schon zu sehen.“

Automatisch schaute ich nach unten.

„Wo denn?“

Christan fing laut an zu lachen.

„Mein Herr Bruder ist ein eitler Fatzke.“

Ich knuffte ihm in die Seite und beide stiegen wir lachend in die Straßenbahn ein. Wir fanden ziemlich hinten einen Platz.

„Hast du mitbekommen Sven, Karo scheint gleich auf Anhieb beliebt zu sein, besonders bei den Jungs.“

„Ja Chris, Ich habs in der Pause gesehen, wie sie um Karo rumgeschlichen sind, wie die Geier.“

„Erwacht in dir der mütterliche Beschützerinstinkt?“

Ich schaute Chris von der Seite an, der plötzlich laut Hals anfing zu lachen.

„Oh man, was habe ich mir da nur für ein Bruder geangelt.

*-*-*

Gegen halb drei stand Markus vor der Tür. Gemeinsam mit ihm radelte ich zur Schwimmhalle. Schon beim Umziehen bemerkte ich die Blicke die auf mich gerichtet waren. Unbeirrt dessen, verstaute ich meine Sachen im Spinnt und schloss ab.

Ich folgte Markus und wurde dem Trainer vorgestellt.

„Hallo Sven, Markus hat mir schon von dir erzählt. In Brustschwimmen sollst du sehr gut sein?“

„Ja, das liegt mir am Besten“, gab ich von mir.

„Dann mal gleich rein ins Wasser zu aufwärmen“, sagte der Trainer, aber mehr zu allen als nur zu mir.

Nach zwei Stunden, saß ich recht ausgelaugt am Beckenrand.

„Mensch Sven, da waren recht gute Zeiten dabei“, rief der Trainer und verschwand in der Kabine des Bademeisters.

„Oh, die Schwuchtel wird auch noch gelobt, wirst sehn, der is nicht lange bei uns, dafür werde ich schon sorgen.“

Entsetzt drehte ich mich um und sah wie drei Gestalten in die Duschräume verschwanden.

„Na und wie hat es dir gefallen?“

Markus war zu mir hergeschwommen.

„Gut, aber erwünscht schein ich hier nicht zu sein..“, antwortete ich.

„Wieso das denn?“, fragte Markus verwundert.

„Die drei Herren, die gerade in der Dusche verschwunden waren, haben was gegen Schwule und wollen was dagegen tun…“

„In die Dusche, sagst du?“

„Ja.“

„Das wollen wir ja mal sehen!“

Markus kletterte aus dem Wasser und lief Richtung Dusche.

„Markus bitte, ich möchte keinen Ärger“, rief ich hinter ihm her.

Aber er war schon in den Duschräumen verschwunden. Plötzlich war von drinnen lautes Geschrei zu hören. Vom Lärm angelockt, war auch gleich der Trainer zur Stelle. Ich folgte unbeobachtet und blieb an der Tür stehen.

„Ich will nicht mit diesem Schwulen in einem Becken schwimmen“, kam von dem Größten der Drei.

„Was für eine gequirlte Scheiße redest du da?“, rief Markus.

„Er kann ja ins Babybecken gehen, das ist schön aufgeheizt, das Richtige für einen Warmen“, sagte der Blonde und alle drei fingen dreckig an zu Lachen.

„Meine Herren, wenn ihr so denkt, braucht ihr in meinem Training nicht mehr zu erscheinen“, kam es plötzlich vom Trainer, der nun, angelockt vom Lärm, im Duschraum stand.

Das Lachen erstarb. Ich wollte schon einschreiten und was sagen, aber er machte kehrt und verließ die Dusche.

„Das wollen wir mal sehn, wer hier zum Training kommt und wer nicht“, meinte der Große wieder.

*-*-*

Es klopfte an meiner Tür und Reinhard schaute herein.

„Hallo Großer, wie geht es dir?“, fragte er leise.

Ich wischte mir meine Tränen ab und schaute ihn an.

„Es geht wieder, aber ich werde mir wohl eine andere Sportart zulegen müssen“, sagte ich.

„Ein Teufel wirst du. Nächste Woche tanzt du wieder beim Training an“, meinte Reinhard.

„Um mir wieder diese Sprüche anzuhören? Nein darauf kann ich verzichten.“

„Es wird niemand mehr einen dummen Spruch loslassen, dass ist alles geregelt, also nächste Woche ist wieder schwimmen angesagt“, erwiderte Reinhard und verlies mein Zimmer wieder.

Was ich nicht wusste, der Trainer hatte meinen Dad angerufen und ihn über alles informiert. Als sich die Eltern der Drei beim Trainer meldeten, und ihm drohten, drohte dieser mit Rausschmiss aus dem Verein und öffentlicher Bekanntgabe des Grundes.

Das war wohl dann den Eltern doch zu peinlich und zogen ihre Drohungen zurück und entschuldigten sich mehrmals beim Trainer. So saß ich unwissend auf meinem Bett und wollte mich vorm schwimmen drücken.

Es klopfte wieder an meiner Tür, nur dass es diesmal Christian war, der reinguckte.

„Och Brüderchen, jetzt lass dich doch nicht so gehen“, meinte er.

Ich versuchte ein Lächeln auf zusetzten, was mir nicht recht gelang.

„Also mit so einer trüben Mine, kannst du keinen Besuch empfangen.“

„Besuch?“, fragte ich erstaunt.

„Ja, Markus ist oben, hat sein Bruder mitgebracht.“

„Der hat einen Bruder?“

„Komm rauf und überzeug dich selber.“

Chris packte mich an der Hand und zog mich aus meinem Bett.

„Geh aber mal kurz ins Bad und wasch dieses Heulsusengesicht weg.“

Jetzt musste ich doch grinsen.

*-*-*

„So machten alle Eltern einen Rückzieher“, hörte ich Reinhard sagen, als wir beide das Wohnzimmer betraten.

„Unser Trainer ist schon recht, wusste ich immer“, sagte der Junge neben Markus.

„Hallo“, meinte ich und betrat hinter Chris den Raum.

Markus und der Junge standen auf.

„Hallo Sven, das ist mein Bruder Oliver“, meinte Markus.

Ich reichte Oliver die Hand und zwei wundervolle blaue Augen strahlten mir entgegen. Anscheinend zu lange, denn Christian hüstelte gekünstelt und gab mir einen Knuff in den Rücken.

„Du schwimmst auch für den Verein?“, fragte ich, als ich mich wieder gefangen hatte.

„Ja, ich war heut nur nicht da, weil ich für eine Prüfung büffeln musste.

Wir setzen uns alle wieder und Christian spielte den perfekten Gastgeber, als er mit den Getränken zurück kam.

*-*-*

Ich lag auf meinem Bett und lass noch im dicken Wälzer für Geschichte nach, Hausaufgaben eben. Aber irgendwie konnte ich mich nicht konzentrieren, die fröhlichen Augen Olivers gingen mir nicht aus dem Kopf.

Ich setzte mich auf, ging zu meinem Schreibtisch und warf den Pc an. Ich seufzte jetzt schon. Mindestens fünf Seiten sollte ich schreiben, über ein Thema, dass mich so gut wie nicht interessierte.

Mehrere Male begann ich zu tippen um das Ganze wieder zu verwerfen und zu löschen. Irgendwann fand ich dann doch einen Anfang und merkte gar nicht wie schnell ich dann doch fertig wurde. Ich druckte das Getippte aus und legte es zu den anderen Sachen für die Schule.

Ein Blick aus dem Fenster sagte mir, das es demnächst bald anfangen regen würde. Meiki machte sich bemerkbar.

„Sollen wir vor den Regen noch ein bisschen laufen, Meiki?“, fragte ich den Hund, der wie immer zu meinem Füßen unter dem Schreibtisch lag.

Er wedelte mit dem Schwanz.

„Ich hole nur noch deine Leine, Moment, dann können wir los.“

Ich rannte schnell nach oben und holte die Leine im Flur. Karo saß bei Mum in der Küche und sie amüsierten sich über irgendetwas, da wollte ich nicht stören. Wieder in meinem Zimmer stand Meiki schon an der Terrassentür und wartete auf mich.

Ich öffnete sind und seine Hoheit raste über den Rasen zum Gartentürchen.

„Und fang nicht wieder an zubellen, wenn dir einer dieser Tussen begegnet“, sagte ich und machte die Leine fest bevor wir die untere Straße betraten.

Wie immer, wurde ich mehr von Meiki gezogen, als das ich mit ihm spazieren ging. Mir viel auch nicht auf, das sich ein Radfahrer näherte.

„Ach sieh mal an die Dreckschwuchtel vom Schwimmen.“

Ich fuhr herum und da sah ich ihn, den Großen aus dem Schwimmbad.

„Könntest du mich bitte in Ruhe lassen, ich hab dir nichts getan“, meinte ich und lief mit Maiki weiter, der schon zu knurren begann.

„Nichts getan, wegen dir bin ich aus dem Schwimmverein geflogen“, er bremste hart neben mir.

„Daran bist du ja wohl selber Schuld“, meinte ich und konnte mir ein grinsen verbeißen.

„Klugscheißer“, meinte er und wollte schon ausholen, aber Meiki fing an zu bellen.

„Dich krieg ich noch, dass versprech ich dir!“, sagte er und verschwand wieder auf seinem Fahrrad.

Erleichtert atmete ich durch und streichelte Meiki über den Kopf.

„Danke Meiki, guter Hund.“

Ich wollte gerade weiterlaufen, als mich wiederum jemand ansprach.

„Du entschuldige, ich hab mich wirklich dumm benommen.“

An einem Zaun stand der Blonde von den Dreien. Ist hier irgendwo ein Nest dachte ich.

„Schon gut, habs schon vergessen“, meinte ich und blieb am Zaun stehen.

„Andreas kann ab und zu ein richtiges Arschloch sein, aber sonst ist er ein dufter Kumpel meist“, meinte Blondi.

„Auf so einen Kumpel kann ich verzichten“, erwiderte ich.

Eine kleine Pause entstand.

„Wohnst du hier?“, fragte ich.

„Ja in dem Haus da oben, du wohnst da vorne hab ich gesehen“, gab Blondi zur Antwort.

Meiki wollte weiter und begann zu ziehen.

„Hättest du Lust ein Stück mitzulaufen? Meiki will weiter“, meinte ich.

„Ja gerne, ich heiß übrigens Marvin.“

„Sven.“

„Weiß ich.“

Er schwang sich über das Gartentor und stand neben mir. Meiki fing wieder an zu knurren und Marvin wich ein wenig von mir zurück.

„Meiki aus“, rief ich und Meiki stellte sich ruhig neben mich.

Wir liefen los und wechselten nur wenige Worte miteinander.

„Du kommst wirklich aus dem Heim?“ fragte mich Marvin plötzlich.

„Ja, meine leiblichen Eltern wollten mich nicht mehr haben und so wurde ich einfach abgeschoben.“

„Die sind ja voll scheiße.“

„Kannste laut sagen.“

„Habe ich ja.“

Beide mussten wir lachen.

Nach einer Weile, als Meiki endlich sein Geschäft verrichtet hat fing es an zu regnen. Natürlich wurden wir beide nass. Und plötzlich standen wir vor unserem Haus.

„Willst du nach Hause rennen oder kommst du mit rein bis der Regen aufhört?“, fragte ich Marvin.

Der Regen wurde noch stärker, so beschloss Marvin lieber mit rein zu gehen, er tropfte eh schon an allen Stellen. Wir rannten schnell über den Rasen und erreichten endlich die Terrasse.  Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer.

„Nein Meiki du bleibst hier draußen, wär ja noch schöner, so nass wie du bist mein Zimmer einzusauen.“

Er legte sich auf seine Decke und gab Ruhe. Marvin folgte mir in mein Zimmer. Ich ging zum Schrank und zog zwei Handtücher heraus und war ihm eins davon zu.

„Danke“, meinte er und rubbelte sein blondes wirres Haar trocken.

Ich zog eine Shorts und ein Tshirt aus dem Schrank.

„Dort ist das Bad, da kannst du die nasse Klamotten ausziehen“, meinte ich und reichte ihm die Sachen.

„Wieso Bad, im Schwimmbad ziehen wir uns doch auch vor einander aus“, meinte Marvin und versuchte das nasse Shirt abzustreifen.

Ich hielt die Luft an. Im Schwimmtraining, hatte ich ihn nicht so genau angesehen, aber jetzt so dich vor mir. Langsam zog ich mich ebenso aus. Mein Kleiner meldete sich und es wurde mir regelrecht peinlich mich weiter auszuziehen.

Marvin stand mittlerweile nackt vor mir und ich musste schwer schlucken.

„Gefalle ich dir?“, fragte Marvin, der meine Blicke gesehen hatte.

„Ja“, sagte ich und zog mir schnell das trockene Shirt über.

„Und warum jetzt so schüchtern?“

Marvin hatte ein fieses Grinsen auf gesetzt. Ich stand da und wusste nicht was ich sagen sollte, mein lieber Bruder Christian kam mir zu Hilfe, na ja er platze einfach ins Zimmer.

„Da bist du… oh entschuldigt… ich wollte nicht stören.“

Chris sah Marvin an.

„Was willst du denn hier? Hast du nicht schon genug angerichtet?“

„Chris höre auf, er hat sich bei mir entschuldigt.“

„Er hat Recht, Sven. Ich habe mich wie ein Arschloch benommen und habe Chris Ablehnung verdient.“

Sven schaute zwischen mir und Marvin hin und her. Seine Gesichtfarbe änderte sich in rot. Es war eine eindeutige Szene. Marvin stand nackt vor mir und ich nur mit Tshirt und immer noch nasser Shorts da.

„Wir ziehen uns nur die nasse Sachen aus, sind beim Gassi gehen nass geworden“, sagte ich schnell.

Marvin griff nach der Shorts und zog sie sich schnell über.

„Woher kennt ihr euch eigentlich“, fragte ich.

„Schon, wenn man in derselben Straße wohnt.“

Eine dumme Frage von mir, wie mir schnell bewusst wurde.

„Gebt mir die nassen Sachen, ich steck sie in den Trockner“, meinte Chris und sammelte meine Hose auf.

Ohne einen weiteren Ton verließ er wieder das Zimmer. Wir standen uns immer noch gegenüber. Marvin schaute immer noch grinsend in meine Augen.

„Soll ich Musik machen?“, fragte ich um auf andere Gedanken zu kommen.

„Was haste denn?“, fragte Marvin und kniete sich neben mich um meine CDs anzuschauen.

Als seine Schulter meine berührte, zuckte ich zusammen.

„Du fühlst dich nicht wohl in meiner Gegenwart…,  stimmt’s?“

Kritisch sah ich zu ihm.

„Das ist es nicht Marvin, aber ich weiß nicht was ich denken soll. Erst die Nummer im Schwimmbad und nun dass hier.“

„Du kennst Andreas mittlerweile und ich kann ihm nicht auf die Nase binden, dass ich schwul bin.“

Ich starrte ihn mit offenem Mund an.

„Guck nicht so, du bist nicht der einzigste Schwule hier in der Stadt“, meinte Marvin und lächelte.

Ich begann regelrecht zu zerfließen.

„Weiß niemand, dass du schwul bist?“, fragte ich, als ich mich ein wenig gefangen hatte.

„Nur meine Eltern, sonst niemand. Nach außen hin gelte ich als der Mädchenschwarm schlecht hin.“

„Versteh ich, bei deinem Aussehen.“

Es klopfte an der Tür. Ich rief ja und Chris trat herein.

„Markus ist am Telefon, ob sie dich morgen zum Schwimmen wieder abholen sollen?“, fragte Christian.

Ich schaute Marvin an.

„Nein ich fahre mit Marvin zusammen hin, sag einen schönen Gruß von mir.“

„Ich dachte Marvin ist ausgeschlossen“, fragte Chris verwirrt.

„Nein, ich habe mich beim Trainer entschuldigt und darf wieder kommen“, erklärte Marvin.

„Du Sven, es tut mir wirklich leid was ich im Schwimmbad abgezogen habe, aber es war reiner Selbstschutz“, meinte Marvin und ließ sich einfach vor der Musikanlage auf den Boden gleiten.

„Ich glaube dir ja, aber was ist beim nächsten Mal, wenn Andreas wieder spinnt?“, fragte ich.

„Andreas ist raus aus dem Schwimmverein…, es wird nicht mehr vorkommen.“

*-*-*

Marvin und ich saßen eine ganze Weile einfach nur da und unterhielten uns. Er wollte alles über mich wissen und er erzählte auch ein wenig über sich. Irgendwann brachte Chris uns unsere Klamotten wieder und Marvin konnte sich wieder anziehen.

„So nun muss ich aber wieder los, bevor meine Eltern eine Vermisstenanzeige aufgeben“, meinte er.

„Schade…, sehen wir uns wieder, ich meine auch außerhalb vom Schwimmtraining?“, fragte ich.

„Sehr gerne, ich rufe dich an, okay?“

„Ja tu das“, meinte ich und lächelte.

Er beugte sich vor und gab mir sanft einen Kuss auf die Wange bevor er durch die Terrassentür wieder verschwand. Ich stand einfach nur da und schaute ihm nach, bis er verschwunden war. Meiki kam getrottet und schaute mich an.

„Ist er nicht süß?“, fragte ich Meiki.

Können Hunde lächeln?

*-*-*

Die letzte Stunde zog sich heute unendlich in die Länge. Keiner von und hatte noch recht Lust auf Unterricht, denn es war unerträglich heiß im Klassenzimmer. Wie ein Befreiungszeichen kam mir der Gong vor.

Ich packte meine Sachen in den Rucksack und machte mich auf zum Ausgang.

„Was liegt an?“ fragte mein Bruderherz.

„Karo will sich mit Jasmin und Sandra treffen und ich habe ihr versprochen sie zu begleiten“, gab ich zur Antwort.

„Meinst du ich kann mitkommen?“, fragte Christian leise.

„Natürlich kannst du das.“

„Also gut, komm beeil dich, da vorne kommt unsere Bahn.“

*-*-*

Zuhause angekommen, warf ich meinen Rucksack neben meinen Schreibtisch und ließ mich aufs Bett fallen. Trotz dem Zimmer im Keller, war es sogar hier unerträglich heiß. Christian kam durch meine offene Tür herein.

„Ich glaube ich ziehe eine Badehose an. Eine Minute in neuen Sachen und ich habe sie durchgeschwitzt“, meinte er und setzte sich neben mich.

„Ich ziehe nur eine Shorts und ein Muskelshirt an, mehr nicht, sonst vergehe ich“, antwortete ich.

„Sven?“, rief es im Flur.

Karo.

„Bin hier mit Chris, in meinem Zimmer.“

„Machst du dich fertig, ich wollte dann gehn“, rief sie von oben.

„Okay, ich beeile mich“, antwortete ich und erhob mich schwerfällig aus dem Bett.

Christian verschwand ebenso in seinem Zimmer. Fünf Minuten später saßen wir in der Bahn, Richtung Stadtmitte.

„Da wird sich Jasmin freuen, wenn du mitkommst Chrisi“, meinte Karo und ich musste grinsen, weil Chrisis Gesicht eine rote Farbe annahm.

„Schaut mal dahinten wird es ganz schön schwarz, hoffentlich erwischt uns das nicht“, meinte Chris um von sich abzulenken.

Am Marktplatz stiegen wir aus und wie ausgemacht, standen Sandra und Jasmin an der Pyramide.

„Ich find es lustig, das Karlsruhe mitten in der Stadt ne Pyramide stehen hat“, sagte ich.

„Ist halt ein Grabmal von diesem Schlossfutzi“, meinte Chris.

„So wo gehen wir nun hin?“, fragte Jasmin.

„Eiscafe?“, fragte Karo.

„Ich denke, wo anderst halten wir es auch nicht aus, bei dieser Hitze“, meinte Sandra.

„Welches?“, fragte Chris.

„Das in der Passage, die haben so eine schöne Dachterrasse“, meinte Sandra.

Also liefen wir alle gemeinsam auf der Kaiserstraße entlang bis wir die Passage erreicht hatten. Die Mädels blieben fast vor jedem Laden stehn, so zog sich dies natürlich in die Länge. Doch wir waren noch recht früh, so bekamen wir auch noch einen guten Platz, auf der Terrasse.

Schnell war heraus gesucht, was jeder essen wollte und ein wenig später, saßen fünf strahlende Gesichter, vor ihrer Eisportion. Ein lautes Krachen ließ uns zusammen fahren. Das Gewitter schien sich doch zu nähern.

Nervös schauten wir laufend zum Himmel. Und dann brach es plötzlich los. Dicke Hagelkörner flogen herunter und wir konnten uns gerade noch ins Cafe retten. Christians leerer Eisbecher aus Glas wurde von einem Hagelkorn zerschlagen.

„So großen Hagel habe ich noch nie gesehen“, meinte Kora, die sich ängstlich an mich drückte.

„Keiner von uns, die sind ja so groß wie Tischtennisbälle“, meinte Sandra.

Entsetzt standen wir da und sahen zu wie es die Tischdekorationen dahin raffte, wie es die Vasen zerschmetterte, die Sonnenschirme durchlöchert wurden.

Und plötzlich wurde dunkel im Cafe, der Strom war ausgefallen und so schnell es angefangen hatte, war es auch wieder fertig. Wir zahlten und liefen wieder auf die Strasse hinaus. Hier sah es genauso verheerend aus.

Überall lagen dicke Hagelkörner herum, zerfetzte Markisen hinge auf die Strasse, einige Scheiben waren sogar zu Bruch gegangen. Die Straßenbahnen standen, es ging nichts mehr.

„Na toll, müssen wir jetzt heim laufen?“, fragte Chris.

„Ich kann versuchen Mum über das Handy zu erreichen“, meinte ich.

Aber auch das ging nicht.

„Das muss wohl ein Totalausfall sein, nicht mal das Telefon von Mum geht“, meinte ich.

„Ist das da drüber nicht Marvin?“ fragte mich Chris.

Ich schaute in die Richtung, in die er schaute und konnte Marvin in einer Menschenmenge entdecken. Bevor ich aber rufen konnte, hatte Chris schon einen lauten Pfiff losgelassen. Marvin kam zu uns rübergelaufen.

„Boah, so was habe ich noch nicht erlebt“, sagte er.

„Wir auch nicht“, meinte Chris und begrüßte ihn mit Handschlag.

„Sven kennst du ja, das ist meine Schwester Kora und das sind Freunde Sandra und Jasmin“, sprach er weiter.

„Wie kommt ihr jetzt nach Hause?“, fragte Marvin.

„Ich kann meine Mutter nicht erreichen, ihr Telefon ist außer Funktion.“

„Wenn ihr drei wollt, mein Dad holt mich am Mühlburger Tor ab, könnt mitfahren.“

Nach diesem Gewitter hatte eh keiner mehr rechte Lust zum bummeln und so verabschiedeten wir uns von Sandra und Jasmin. Danach machten wir uns auf den Weg. Auf dem Europaplatz blieb Marvin ruckartig stehen.

„Scheiße“, kam es von ihm.

„Was ist?“, fragte ich.

„Da vorne sind Andreas und Holger, den wollt ich eigentlich nicht mehr begegnen“, gab er zur Antwort.

„Vielleicht sehen sie uns nicht“, meinte Kora, die schon die ganze Zeit ganz dicht bei mir lief.

„Nein zu spät, sie steuern direkt auf uns zu“, sagte Chris.

„Scheiße Marvin, was tust du bei dem blöden Schwanzlutscher“, kam es von Andreas.

„Das kann dir doch egal sein“, kam es giftig von Marvin zurück.

„Hat er dich jetzt auf seine Seite gezogen?“, fragte Holger.

„Bist du jetzt auch eine dreckige Schwuchtel?“, folgte gleich von Andreas.

„Hast du nicht gehört? Das kann dir doch egal sein“, meinte Chris.

„Das wirst du büßen, du dreckiger Arschficker“, meinte Andreas zu mir und zog ein Messer aus seinem Rucksack.

„Bist du jetzt durchgeknallt?“, meinte Marvin.

„Andreas, dass geht jetzt wirklich zu weit“, meinte sogar Holger und wich zurück.

Andreas fuchtelte wild mit dem Messer in der Luft herum. Kora stellte sich hinter mich und begann zu weinen. Na toll dachte ich, die umstehenden Passanten schauten zwar zu, aber keiner griff ein.

„Solchen Abschaum, muss man den Gar ausmachen“, kam es von Andreas fast hysterisch.

„Hör damit auf?“, schrie Marvin und stellte sich vor mich.

Der Atem stockte mir, denn Andreas fuhr direkt vor Marvin mit dem Messer herum, der aufschrie. Dessen weißes Tshirt färbte sich in Bauchhöhe rot.

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