Manny Teil 3

Erst jetzt bemerkte ich, wer da neben Oliver saß, als der Gerufene seinen Kopf drehte. Es war niemand anderes als Mr. Scott Senior. Was hatte der mit Oliver zu schaffen? Dies alles zog natürlich die Aufmerksamkeit des Cops und auch die von meinen ältesten Bruder auf uns.

Als er mich erblickte, verdrehte er die Augen und sah wieder weg. War wohl nicht groß erfreut mich zu sehen. Mein Blick wanderte wieder zu Mr. Scott Senior. Seine Stirn zierte ein großes Pflaster.

Auch er schien wohl über meinen Anblick nicht sehr erpicht zu sein, seine Gesichtszüge schienen zu entgleisen. Was zur Folge hatte, dass sich Levis Gemütszustand neben mir, rapide änderte.

„Kannst du mir sagen, was die Scheiße hier soll?“, fuhr Levi seinen Großvater an.

Ich zog Levi etwas am Arm zurück und versuchte ihn zu beruhigen. Sein Großvater dagegen reagierte überhaupt nicht. Lediglich seinen Kopf drehte er weg.

„Sie sind…?“, sprach ihn der Herr in Uniform an.

„Levi Scott, Enkel dieses … Herrn! Könnten sie uns bitte sagen, was passiert ist?“

Ich wollte nicht wissen, was er jetzt lieber gesagt hätte. Aber in mir machte sich ebenso Unbehagen breit, denn nun fixierte der Cop auch uns.

„Und die beiden Herren?“, überging er Levis Frage einfach und zeigte auf Mike und mich.

„Michael und Marcus Brown, das ist unser Bruder“, antwortete Mike und zeigte nun auf Oliver.

„Sie kennen sich?“, fragte dieser Captain Greg Davis, wie ich auf dem Namensschild lesen konnte und machte mit seinem Finger eine Kreisbewegung, als wollte er etwas umrühren.

Die Frage kam auf, warum ein Captain sich diesem Fall persönlich annahm, er hatte doch genügend Leute hier.

„Ja und nein“, antwortete Levi.

Verwirrung machte sich breit.

„Mit Mr. Michael Brown habe ich geschäftlich zu tun“, er zeigte auf Mike, „und Marcus Brown hier, arbeitet für mich! Nur ihn…“, sein Finger wanderte Richtung Oliver, „kenne ich nicht.“

Soso, ich arbeite für ihn. Das war jetzt zwar nur die halbe Wahrheit, aber das ging zum einen  niemand etwas an und zum anderen stand das jetzt eh nicht zur Debatte. Der junge Officer neben dem Captain schien dies alles nicht zu verstehen, denn er schaute noch genauso verwirrt, wie vorher.

„Und ihnen ist nicht bekannt, warum es zu diesem Streit mit ihrem Großvater kam?“

Levi schüttelte den Kopf.

„Das heißt“, sprach er aber plötzlich weiter, „ich könnte mir aber denken, was der Auslöser war!“

Die Augen des Cops verengten sich, dann wandte er sich an den jungen Officer.

„Adams, sie bringen diese Herren“, er zeigte nun auf Oliver und Mr. Scott Senior, „in Vernehmungsraum eins und zwei.“

„Wen soll ich wo…“

„ADAMS!“, fuhr er den jungen Officer an, so dass dieser ängstlich zurück wich.

Ich versuchte nicht zu grinsen. Der junge Mann schien wohl neu zu sein und bat Mr. Scott ihm zu folgen.

„Und sie“, damit meinte der Captain wohl uns, „folgen mir bitte!“

Ich schaute kurz zwischen Mike und Levi hin und her, dann folgten wir gemeinsam dem Captain. Während es im Großraumbüro doch recht laut zu ging, war es hier im hinteren Bereich, in einem Art Besprechungsraum und Büro viel ruhiger.

Auf einem Schreibtisch konnte ich ein Namensschild entdecken. Captain Greg Davis, also war es wohl sein Büro.

„Setzten sie sich bitte!“, meinte Davis und zeigte auf die Stühle am Tisch.

Er umrundete den Tisch, legte etwas auf seinen Schreibtisch, um dann wieder auf der Fensterseite zu uns zu kommen.

„Was ich absolut nicht leiden kann, wenn jemand meint, mich verschaukeln zu müssen! So meine Herren, jetzt erzählen sie mir, was wirklich vorgefallen ist!“

„Captain Davis, dass wissen wir nicht…“, begann Levi.

Ich zupfte an seiner Jacke.

„Levi darf ich…?“, fragte ich.

Mein Boss ließ sich seufzend an die Stuhllehne zurück gleiten und nickte. Ich sah zu Captain Davis, der mich genervt und fragend anschaute.

„Ich habe bei Mr. Scott vor zwei Wochen als Manny für seine Geschwister begonnen!“

„Als …Manny?“, fragte Mr. Davis verwirrt.

Mike neben mir und auch Levi fingen an zu kichern.

„…äh…als männliche Nanny…“, antwortete ich kleinlaut, weil mir bewusst wurde, was ich gerade losgelassen hatte.

„… auf alle Fälle“, redete ich einfach weiter, „… habe ich in dieser Funktion einen Einkauf getätigt…“

Das war jetzt so auch nicht richtig, aber das war mir egal. Levis Mimik verriet nicht, was er dazu dachte.

„… und als ich den Supermarkt verließ, stand eben dieser Mr. Scotts, den sie gerade in ein Vernehmungsraum bringen haben lassen, plötzlich vor mir. Er nötigte mich zu kündigen und bot mir auch noch Geld an.“

Die Augenbraun des Captains ging nach oben.

„Warum tat er das?“

Ich wollte antworten, aber der Captain winkte ab.

„Ich weiß schon, sie wissen es nicht.“

„Doch, ich denke, er will Mr. Scott hier schaden!“

„Er will Mr. Scott schaden…, wie kommen sie darauf?“

„Weil er das schon ein lange Zeit tut. Auch vermute ich, dass er das gleiche mit meinen Vorgängerinnen abgezogen hat.“

„Marcus!“, kam es mahnend von Mike.

„Was denn? Es ist sicher kein Zufall, dass mehr als ein Dutzend Nannys nach einer Woche das Handtuch werfen. An Mr. Scotts Haushalt liegt es sicherlich nicht!“, sagte ich leicht gereizt.

„Das wusste ich nicht…“, sagte Mike leise.

„…und nun denken sie, der Großvater hat sich in dieser Sache nun an ihren Bruder gewandt?“, fragte Captain Davis.

„Ja!“

Ich blickte kurz zu Levi, der mit hoch rotem Kopf stillschweigend da saß. Hatte ich wieder die Grenze überschritten, weil ich seine Privatsphäre hier einfach so ausbreitete?

„Dann hat er ihren Bruder wohl nicht überzeugen können und hat dies offensichtlich mit einem Hieb eines Gipsarmes quittiert bekommen!“

Mike prustete kurz los, hob aber dann sofort die Hände.

„Sorry!“, hörte ich ihn kleinlaut sagen.

Ich konnte dazu leider nichts sagen, denn mir wurde schmerzlich bewusst, wie sehr mir Oliver  fremd geworden war.

„Was meint mein Bruder dazu?“, fragte nun Mike.

„Er erzählte Ähnliches wie sie, aber ich wusste nicht, ob ich ihm glauben soll…, sie haben wohl selbst seine Alkoholfahne gerochen!“

Mike nickte. Diese ganze Sache war einfach nur peinlich und schuld daran war Levis Großvater.

„Mein Großvater hat nichts dazu geäußert?“, fragte Levi tonlos.

„Nein, er hat nur einen Anruf getätigt, mehr nicht…“

Der Captain hielt kurz inne und schaute Levi durchdringend an.

„… darf ich fragen, warum ihr Großvater ihnen das Leben schwer machen will?“

Ganz unerwartet, antwortete Levi sofort.

„Erbstreitigkeiten!“

Dies schien den Captain zu verblüffen, denn seine Augenbraun gingen nach oben.

„Ähm, entschuldigen sie bitte, wenn das jetzt indiskret klingt, aber ihr Großvater lebt noch…!“

Diese Tragik hatte eine gewisse Komik. Trotzdem war mir nicht zum Grinsen zu Mute.

„Es geht nicht um ihn, sondern um das Testament meiner verstorbenen Eltern. Sie sind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Sein Versuch es anzufechten, blieb bisher ergebnislos. Mir wurde testamentarisch das Erziehungsrecht für meine Geschwister übertragen und auch die Leitung der Firma, die meine Eltern führten.“

Wie gerne hätte ich jetzt nach Levis Hand gegriffen, denn ich spürte, wie viel Kraft ihn dass alles kostete musste. Die Gedanken des Captains ging auf Wanderschaft, sein Blick ließ mich dies auf alle Fälle annehmen.

„Scotts Verpackungen!“

Fragend schaute Levi ihn an.

„Wo… woher wissen sie…?“

Ich schaute Captain Davis genauso verwundert an. Wie konnte er das wissen? Es gab wohl einige hundert Scotts in New York. Er hob seine Hand.

„Einen Moment, bitte…!“

Captain Davis lief zu seinem Schreibtisch am Ende des Zimmers und griff nach dem Hörer.

„Adams, hör mir bitte genau zu, du gibst mir jetzt Lieutenant Trevor und gehst dann zu Mr. Scott und fragst, ob er etwas trinken möchte! Ich wünsche auch, dass du bei Mr. Scott bleibst!“

Der Ton hatte sich gegenüber draußen geändert. Jetzt war man plötzlich beim vertrauten du. Nun blieb Captain Davis plötzlich ruhig. Er hörte wohl kurz seinem Gegenüber zu, denn er schwieg nun.

„So, ist er, dann bring mir den Herrn doch bitte herein… halt…, das heißt, ich brauche hier noch zehn Minuten!“

Wieder entstand eine kleine Pause.

„Mick? Frag nicht! Würdest du bitte in den Keller gehen, an meinen privaten Aktenschrank und bringst mir die Akte Scott… ja genau die!

Entsetzt schaute ich erst zu den beiden anderen, dann wieder zu dem Captain. Es gab eine Akte Scott? Was war hier am laufen? Levi neben mir fing an zu zittern.

Mir war es egal, was jemand anderes jetzt dachte. Ich legte einfach meine Hand auf seinen Arm. Levis Reaktion kam prompt. Er atmete tief durch und wurde wieder ruhiger.

„Ja, aber beeile dich bitte…, danke… bis gleich!“

Dann beendete er das Gespräch und kam wieder zu uns. Sein Blick fiel kurz auf meine Hand, die auf Levis Arm ruhte, bevor er Levi direkt ansah.

„Kennen sie zufällig einen Jacob Hall?“

Levi lachte kurz abfällig.

„Der Anwalt meines Großvaters!“, erklärte Levi dann.

Seine Tonlage ließ mich daraus schließen, dass er diesen Mr. Hall nicht wirklich mochte.

„Der Herr ist soeben eingetroffen und wünscht mich zu sprechen.“

„Dann mal viel Spaß!“, erwiderte Levi verächtlich.

„Keine Sorge…, der Anwalt wird gleich zu uns gebracht.“

Levis Kopf fuhr nach oben. Hasserfüllt schaute er sein Gegenüber an.

„Ganz ruhig!“, meinte der Captain nur.

Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Wusste der Officer etwas, was wir nicht wussten. Ich realisierte, dass mir viel zu wenig über Levis bisheriges Leben bekannt war. Ganze zwei Wochen kannte ich ihn nun und waren auch noch zusammen.

War das nicht doch zu schnell gewesen? Immer mehr Fragen ploppten in meinem Kopf auf. Aber genau diese Gedankengänge wurden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Langsam zog ich meine Hand zurück.

„Ja!“, rief Captain Davis laut.

Die Tür öffnete sich und dieser Adams kam ins Sichtfeld.

„Captain Davis… äh… Mr. Hall…“, sagte er verschüchtert.

Weiter kam Officer Adams nicht, denn er wurde unsanft zur Seite geschoben. Ein junger Mann im edlen Zwirn betrat den Raum.

„Captain Davis, ich protestiere aufs Äußerste, das mein Klient hier ungerechterweise festgehalten wird!“

Levi neben mir, schüttelte mit einem verächtlichen Lächeln, den Kopf und sah dann Richtung Boden.

„Auch einen wunderschönen guten Morgen, Mr. Hall!“

Der feine Pinkel stoppte abrupt.

„Mir ist nicht bekannt, dass Mr. Scott festgehalten wird!“

„Aber…“

„Nichts aber, Mr. Hall! Mr. Scott ist lediglich für seine Aussage hier!“

Captain Davis hatte ich einfach dem Wind aus den Segeln genommen. Dieser Mr. Hall schaute nun zu uns herüber.

„Levi? Bist du das? Warum bist du hier?“, kam es plötzlich von Mr. Hall.

Er lief zu uns herüber.

„Für sie immer noch Mr. Scott!“, sagte plötzlich Levi neben mir und schaute auf.

„Aber Levi…, wer wird den gleich…“, redete dieser unsympathische Anwalt einfach weiter.

Er hob seine Hand, die Richtung Levis Schulter wanderte. Ich wusste nicht, was mich geritten hatte, aber meine Hand verselbstständigte sich und schlug die Hand des Anwalts weg.

Mike sah mich verblüfft an, aber grinste dabei.

„Oh…, ist das dein neuer…?“

„Mr. Hall…!“, fiel ihm der Captain ins Wort, „ihre Anwesenheit ist hier nicht mehr von Nöten… und auch nicht erwünscht! Sie können sich entfernen und ihren Mr. Scott Senior, nehmen sie am besten gleich mit. Wir lassen dann uns hören! Officer Adams, bringen sie Mr. Hall zu Mr. Scott Senior! Auf Wiedersehen!“

Der Anwalt wollte noch etwas sagen, aber Captain Davis Hand fuhr hoch und zeigte nur auf die Tür.

„Mr. Hall, würden sie mir bitte folgen“, unterbrach Officer Adams leise Stimme die Stille.

Schnaubend machte sich der Anwalt von dannen. Levi neben mir, sackte etwas in sich zusammen und vergrub sein Gesicht hinter seinen Händen. Er klopfte erneut.

„Ja?“, rief Captain Davis genervt.

Die Tür öffnete sich erneut und ein anderer Officer kam herein.

„Die gewünschte Akte, die du wolltest! Darf ich fragen für was?“

„Gleich! Das ist Lieutenant Mick Trevor, meine früherer Partner, bevor ich hier Captain wurde. Und das hier ist…“

Er sprach nicht weiter, sondern öffnete die Akte und legte sie vor uns auf den Tisch. Ich sah zwei Fotografien von einem Mann und einer Frau. Levi neben mir hob den Kopf.

„Meine Eltern…?“

„Das ist der Sohn…?“, fragte Lieutenant Trevor.

*-*-*

Mike konnte Oliver ohne Probleme mit nach Hause nehmen, während Levi und ich mit dem Taxi nach Hause fuhren. Von einer Anzeige wurde plötzlich Abstand genommen. War es dem alten Herrn plötzlich peinlich, dass so der wahre Grund von Olivers Attacke heraus kommen würde?

Captain Davis hatte Levi gebeten, doch bitte später vorbei kommen zu dürfen, um alles aufklären zu können.

Die ganze Zeit hatte Levi meine Hand festgehalten, aber nichts gesagt. Ich streichelte mit meinem Daumen über seinen Handrücken, aber wirklich beruhigen, tat dies wohl auch nicht.

Sein Gesicht war bleich und er zitterte immer noch leicht. Sollte ich seine Tante anrufen? Noch nie fühlte ich mich so hilflos wie jetzt.

So gesehen war ich ein Außenstehender, der nur so viel über die Familie Scott wusste, was bis jetzt zur Sprache kam. Das Taxi bog in unsere Straße und ich zog mein Geld heraus, um zu bezahlen.

Der Wagen hielt und der Fahrer sagte den Betrag. Während Levi bereits ausstieg, zahlte ich mit den Worten, „stimmt so!“ Dann verließ ich ebenso das Taxi. Ich folgte Levi zum Haus, der bereits die Tür aufgeschlossen hatte.

Drinnen angekommen, sah ich wie Noah seinen Bruder umarmte. Sanft drückte Levi seinen kleinen Bruder von sich weg.

„Ich geh kurz nach oben und zieh mir etwas anderes an… dann können wir essen“, sagte er sanft und strich Noah über dessen Haar.

Danach ließ er Noah einfach stehen und lief die Treppe hinauf. Sofia stand ebenso im Flur und sah mich fragend an.

„Ist etwas geschehen…, geht es ihrem Bruder gut?“

„Ja…, danke der Nachfrage. Mike hat Oliver gleich mit nach Hause nehmen dürfen und es gab keine Anzeige!“

„Und…“, Sofia sprach nicht weiter, blickte Levi hinterher.

Ich zuckte mit den Schultern, weil ich absolut nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.

„Noah hilfst du mir den Tisch zu decken, dann können wir gleich essen!“

„Jaaa“, rief Noah und verschwand in der Küche.

„Sofia, ich zieh mir auch schnell was anderes über.“

„Schon okay! Aber kümmern sie sich bitte um Levi.“

Lächelnd folgte sie Noah.

Ich entledigte mich meiner Schuhe und Jacke und sprintete die Treppe hinauf. Natürlich war Levi bereits in seinem Stockwerk und nicht mehr zu sehen. Ich Eiltempo wechselte ich meinen Kleidungsstil von Straßentauglich zu Wohlfühlklamotten.

Levi war noch nicht herunter gekommen, so war ich wenige Augenblicke später auf Levis Stockwerk. Seine Zimmertür stand offen, so lief ich direkt drauf zu. Im Türrahmen blieb ich stehen.

Mein Boss stand mit freiem Oberkörper gedankenverloren an seinem Bett. Sein Hemd, was er bis vor kurzen getragen hatte, hielt er noch in der Hand. Ich kam mir wieder so hilflos vor, weil es so schmerzte, ihn so zu sehen.

„Levi?“, sagte ich leise.

Ein Zucken lief durch seinen Körper, aber er drehte sich nicht um. So ging ich zu ihm und nahm ihn einfach von hinten in den Arm, so wie er es einen Tag zu vor bei mir getan hatte. Der Geruch seiner Haut stieg mir in die Nase.

„Hört das irgendwann einmal auf?“, hörte ich Levis weinerliche Stimme.

„Das erste Mal in meinem Leben, sehe ich wieder ein Licht am Ende vom Tunnel… und dann kommt dieser Arsch und macht wieder alles zu nichte!“

„Was soll er zu nichte machen? Ich bin bei dir und bleibe auch bei dir, das wird auch dein Großvater nicht ändern!“

Das Hemd fiel zu Boden und Levi drehte sich zu mir. Sein Kopf sank auf meine Schulter und ich konnte ihn leise weinen hören. Seine Arme klammerten fest um meinen Rücken. Sanft streichelte ich über die weiche Haut seines Rückens.

„He, dass schaffen wir, du bist nicht mehr alleine!“

Langsam hob Levi seinen Kopf und ich versuchte seine Tränen weg zu wischen.

„Es kann nur besser werden!“, setzte ich nach.

Er beugte sich etwas vor und gab mir einen kleinen sanften Kuss. Das Zittern war plötzlich verschwunden.

„Danke…“, hauchte er leise.

Mit der freien Hand, versuchte ich erneut vorsichtig seine Tränen wegzuwischen.

„Soll ich deine Tante anrufen?“

Sofort versteifte sich sein Körper wieder. Ich konnte die Anspannung deutlich spüren.

„Warum?“, kam es fast giftig.

„Dieser Captain kommt nachher und will mit dir über deine Eltern reden…, es ist auch  ihre Schwester! Dein Großvater hat sie schon außen vorgelassen, du solltest nicht den gleichen Fehler begehen.“

„Du hast ja Recht…“, kam es resignierend von Levi.

Sein Körper sackte wieder leicht in sich zusammen, seine Umarmung lockerte sich.

„So, dann geh ins Bad und wasch dir dein Gesicht…, du siehst fürchterlich aus, oder willst du Noah erschrecken?“

Er schüttelte den Kopf und ich ließ ihn los.

*-*-*

Das Mittagessen war normal verlaufen und Noah hatte von seinen Erlebnissen beim Einkaufen erzählt. Gegen meine Gewohnheit, war ich bei Sofia geblieben, um ihr zu helfen, während Levi sich mit Noah ins Wohnzimmer verkrümelt hatte.

Der Türgong ging. Verwundert schaute ich zu Sofia. So schnell konnte Levis Tante doch nicht hier sein.

„Ich mach auf“, sagte ich und legte das Geschirrtuch nieder.

Der Schatten hinter der Tür verriet mir, dass draußen zwei Personen standen, so öffnete ich die Tür.

„Mum?“, sagte ich überrascht, als ich sie und Mike erblickte.

„Sorry, ich konnte sie nicht zurückhalten“, meinte Mike, als er sich an mir vorbeidrückte.

Ich schloss die Tür.

„Du glaubst doch nicht, dass ich euch alleine lasse, nachdem was vorgefallen ist!“, meinte Mum und zog ihren Mantel aus.

Ich nahm ihn ihr ab und hängte ihn an die Garderobe.

„Wo ist Levi?“

„Im Wohnzimmer…, mit Noah.“

Ohne etwas weiter zu sagen, lief Mum Richtung Wohnzimmer, während Mike mir grinsend seine Jacke reichte. Was bin ich hier, der Butler? Ich hängte auch sie an einen der freien Haken und folgte ihm ins Wohnzimmer, wo Mum bereits bei Levi saß und sich seiner Hand bemächtigt hatte.

„… ich wollte dir nur sagen, dass ich unseren Familienanwalt dazu veranlasst habe, dass er einen richterlichen Spruch erwirkt, damit sich uns dein Großvater nicht mehr nähern darf. Wir alle stehen voll hinter dir!“

„… es tut mir so leid…“, wimmerte Levi und sank in ihre Arme.

Mike neben mir, kniete sich zu Noah, der wie gewohnt, abwesend vor dem Fernseher lag.

„He!“, meinte er und stubste Noah sanft an.

Noahs Kopf wirbelte herum, dann setzte er sich auf und fiel Mike um den Hals.

„Hallo Onkel Mike!“, sagte er.

„Wolltest du mir nicht dein Zimmer zeigen?“

Vergessen war wohl das, was im Fernseh kam, denn Noah stand auf.

„Komm!“, meinte er nur und zog Mike an der Hand.

Mike erhob sich ebenso und grinste mich an.

„Danke!“, hauchte ich leise.

Die beide verschwanden und mein Blick wanderte wieder zu Mum und Levi. Der hatte sich anscheinend etwas beruhigt. Ich griff nach der Fernbedienung und machte den Fernseher aus.

„Ich wiederhole es gerne noch einmal Levi“, begann Mum wieder zu sprechen, „es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Das ist alleine das Handeln deines Großvaters, wofür du nichts kannst!“

„Aber ich bin der Grund!“

„Der Grund bist nicht du, sondern die Gier und Machtbesessenheit deines Großvaters, der wohl den Hals nicht voll genug bekommen kann!“

Ungläubig sah Levi Mum an. Der Türgong machte sich erneut bemerkbar. Als ich nach draußen trat, hatte Sofia bereits geöffnet.

Nicht nur Levis Tante, Vanessa, sondern auch Captain Davis und sein Kollege Lieutenant Trevor traten ein. Beide trugen nun Zivil, hatten sich ihrer Uniform entledigt.

„Hallo Sofia, so schnell sieht man sich wieder“, sagte Vanessa.

„Ja, aber ein anderer Grund wäre mir lieber!“

Natürlich wusste Sofia nun Bescheid. Sie nahm Vanessa den Mantel ab.

„Du kennst sicher noch Captain Davis?“, fragte Vanessa.

Die kannten Sofia? Verwundert schaute ich die vier an.

„Captain?“, kam es irritiert von Sofia.

„Ja, ich bin mittlerweile befördert worden! Hallo Mrs. Thompson!“

„Glückwunsch“, erwiderte Sofia lächelnd.

„An Lieutenant Trevor können sie sich sicher auch noch erinnern“, sagte Captain Davis.

„Aber natürlich… hallo…“, entgegnete die Haushälterin und schüttelte beiden Männern die Hand.

„Wo ist mein Neffe?“

„Welcher?“, grinste ich Vanessa an.

„Levi natürlich…“, lächelte sie zurück.

„Der sitzt mit meiner Mutter im Wohnzimmer. Noah ist oben in seinem Zimmer, zusammen mit meinem Bruder Michael.“

„Du fährst wohl gerne volle Geschütze auf?“

„Daran bin ich ganz unschuldig! Mum und Michael tauchten überraschend selbst vor ein paar Minuten hier auf. Mum versucht durch ihren Anwalt einen richterlichen Beschluss zu erwirken, damit Levis Großvater unserer Familie nicht mehr nähern darf!“

Vanessas Gesicht wurde wieder ernst.

„Entschuldigen sie meine Neugier“, unterbrach uns Captain Davis, „… sie sagten sie arbeiten hier erst seit zwei Wochen?“

„So ist es“, antwortete ich.

„Kennen sie sich schon länger? Der Ton zwischen ihnen allen ist so vertraut!“

Verlegen schüttelte ich den Kopf.

„Lassen sie uns doch erst einmal ins Wohnzimmer gehen“, rettete mich Vanessa aus dieser peinlichen Situation.

„Sofia, kannst du uns noch, bevor du gehst, uns noch deinen berühmten Kaffee kochen?“, fragte sie unsere Haushälterin.

„Aber natürlich“, antwortete Sofia, „… ich bleibe auch gerne länger!“

„Dass musst du nicht!“

„Das macht mir nichts aus. Ich habe bereits meine Tochter angerufen, sie holt mich später hier direkt ab.“

„Danke!“, sagte Vanessa und legte zur Bekräftigung ihrer Aussage, ihre Hand auf Sofias Arm.

*-*-*

Im Raum war es still. Keiner sagte mehr ein Wort. Captain Davis hatte Levi davon in Kenntnis gesetzt, dass der Unfall seiner Eltern, gar kein Unfall war. Jedoch wurde die Schuldfrage niemals geklärt.

Die Akte über seine Eltern lag auf dem Couchtisch,  Berichte über die Ermittlungen über die Fläche verteilt. Auch Fotografien waren darunter. Es war Captain Davis letzter Fall, bevor er befördert wurde.

Deshalb hatte ihn das nie losgelassen. Levi sah blass und weggetreten aus. Da Mum und Vanessa ihn umringten, hatte ich keine Chance mich zu ihm zu setzten.

„Und warum kommen sie jetzt damit?“, fragte Levis Tante.

„Die beiden Vorfälle mit Mrs. Browns Söhnen haben mich an den Fall erinnert“, antwortete Captain Davis.

„Und warum hat mir nie jemand etwas darüber gesagt?“, fragte Levi, der bisher geschwiegen hatte.

Betroffenheit machte sich bei den Älteren breit.

„Weil wir dich damals nicht noch mehr belasten wollten“, antwortete Vanessa, „du warst mit der Trauer und den Zwillinge und dem Ärger mit deinem Großvater genug belastet!“

„Ella und Noah sind keine Last für mich…“, erwiderte Levi trotzig.

Ich musste irgendwie die Aufmerksamkeit von Levi ablenken, auch wenn er dies selbst verursacht hatte.

„Sie wussten heute Morgen, wen sie vor sich hatten, warum die ganze Fragerei?“

Diese Frage von mir, war direkt an Captain Davis gerichtet. Neugierig wie ich war, musste ich sie einfach stellen.

„So ist das nicht ganz richtig! Ich wusste wer Mr. Scott und sein Großvater waren, aber sie kannte ich nicht, auch nicht, was sie mit den Scotts zu schaffen hatten.“

„Aber warum erinnern meine Brüder und ich sie an diesen Fall? Wir haben doch nichts damit zu tun.“

„Da muss ich etwas ausholen. Natürlich ermittelten wir damals in alle Richtungen, wer den Scotts nicht wohl gesonnen war, natürlich auch den Großvater. Er war mir durch seine Unfreundlichkeit sofort aufgefallen.“

Die er bis heute beigehalten hatte.

„Das zog ihn zwar auf die Liste der Verdächtigen, aber ihn mit dem Unfall in Verbindung zu bringen, dafür fehlten einfach die Beweise!“

„Gibt es die jetzt?“, hakte ich nach.

„Junger Mann, sie sind sehr neugierig! Sie sind doch hier nur die „Manny“, woher plötzlich dieses Interesse?“

Das Wort Manny erzeugte natürlich ein Lächeln bei Mum und Vanessa. Auch Captain Davis Mundwinkel gingen etwas nach oben.

„Ähm…“

„Wir sind seit gestern ein Paar“, sagte Levi plötzlich leise.

„WAS?“, kam es gleichzeitig von Vanessa und Mum.

Selbst Captain Davis zuckte etwas, wegen dieser kurzen Stimmgewalt, zusammen.

„Aber sie arbeiten doch erst seit zwei Wochen hier…, ein wenig schnell, oder?“

Diese Feststellung hatte nun Lieutenant Trevor geäußert, was mich natürlich verlegen machte.

„Wann wolltest du uns das sagen, junger Mann?“, fragte Mum.

Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. Captain Davis schien das eher zu belustigen, er schmunzelte.

„Bei meiner Frau Juli, wusste ich auch beim kennen lernen, sie und keine andere und wir sind jetzt bereits vierundvierzig Jahre verheiratet!“, sagte er zu Lieutenant Trevor.

„Auch wieder war…, aber zwei Wochen?“

„Es hat wohl schneller gefunkt, als wir vermutet hatten“, meinte nun Vanessa und wuschelte ihrem Neffen übers Haar.

Der zog genervt den Kopf weg.

„Du hattest Recht mit deiner Vermutung!“, sagte Mum und hielt ihren Daumen nach oben.

Verwundert schaute ich die beiden Frauen an.

„Das erklärt natürlich ihr großes Interesse, Mr. Brown…!“, zog Captain Davis wieder unsere Aufmerksamkeit auf sich.

„… und auch ihre emense Sorge um ihren Freund heute Morgen…“

Mist! Das war ihm also nicht entgangen.

„…aber auf den Fall zurück zu kommen. Nach ihrer Aussage, dass mehrere Nannys diesen Haushalt in kurzer Zeit verlassen haben, hat uns Mrs. Williams freundlicherweise die Liste dieser Damen zukommen lassen. Dank der Bemühungen meiner Kollegen, konnten wir herausbekommen, dass wohl wirklich einige Damen mit Geld geködert wurden, den Haushalt zu verlassen!“

„Mein Großvater…“, sagte Levi leise.

„Nicht ihr Großvater, jemand anders hat dies ausgeführt, wir konnten aber bisher noch nicht ermitteln, wer es war. Ein Grund mehr weiter zu ermitteln, weil, wie Mr. Brown berichtete, dass Mr. Scott Senior persönlich an ihn heran getreten ist.“

Da war schon jemand fleißig, aber warum schockte mich das jetzt nicht? Und wie Mr. Davis sagte, warum war Mr. Scott Senior dann persönlich an mich heran getreten und hat es nicht einen Handlanger machen lassen?

„Zudem konnte Lieutenant Trevor herausfinden, dass einige Berichte im Bezug auf den Großvater bei der Staatanwaltschaft vorliegen. Es gibt Beschwerden von einer Schule und anderen öffentlichen Einrichtungen.“

„Schule?“, fragte ich.

„Ja, Großvater hat mehrere Male versucht Ella von der Schule zu holen!“, erklärte Levi leise.

„Bringst du sie deswegen jeden Tag zur Schule und holst sie auch wieder?“

„Ja… und das Holen hast ja jetzt du und Noah übernommen. Die Schule weiß Bescheid, mein Großvater hat keinen Zutritt mehr.“

„Mein Gott, das geht ja zu wie im Krimi“, sagte Mum leise.

„Leider!“

Der Captain hatte die ganze Zeit zugehört und Trevor kurze Notizen gemacht.

„Marcus hat erzählt, dass du Noah und Ella jeden Sonntag zu deiner Großmutter bringt? Macht er da keinen Ärger?“, fragte nun Mum.

Alle Augen waren wieder auf Levi gerichtet.

„Großmutter lebt in einem kleinen Häuschen, am Rande des Grundstücks und er ist sonntags in seinem Club. Die Gefahr mir begegnen zu müssen ist wohl zu groß.“

Mum schüttelte ungläubig den Kopf.

„Aber er hat doch die Kids am Sonntag hier hergebracht…“, fiel mir gerade ein.

„Ja, aber da ist Granny mit dabei und in ihrer Gegenwart würde er nie etwas wegen der Zwillinge unternehmen. Zudem ist dir sicher aufgefallen, dass er seinen Wagen nicht verlassen hat!“

„Es wird immer nur von Ella gesprochen“, begann nun der Captain an zu reden, „aus den Gerichtsprotokolen konnte ich entnehmen, dass er auch nur Ellas Sorgerecht haben wollte. Was ist mit ihrem Bruder?“

„Mein Bruder ist behindert…“

Mums Blick wurde traurig. Trevor notierte auch dies und der Captain schien über etwas nach zu denken.

„Marcus?“, hörte ich die Stimme meines Bruders im Flur.

Ich stand auf und ging hinaus. Er stand oben an der Treppe.

„Was ist?“

„Noah sagt dauernd etwas von Ella abholen, was meint er damit?“

Ich schaute auf meine Uhr, aber es war noch etwas Zeit. Das Noah daran dachte, verrückt!

„Noah und ich holen jeden Tag Ella von der Schule ab, aber es ist noch etwas Zeit.“

„Okay…, kann ich mit?“

Ich musste lächeln.

„Warum nicht? Noah ist eh mehr von dir angetan, als von mir!“

„Neidisch?“

Als Antwort streckte ich ihm die Zunge heraus. Dann lief ich wieder zurück ins Wohnzimmer, wo die anderen mittlerweile alle standen.

„Ich danke ihnen für die Informationen!“, hörte ich den Captain sagen, „versprechen kann ich nichts, aber wir bemühen uns etwas heraus zu bekommen.“

„Danke“, sagte Levi mit belegter Stimme.

Der Captain schüttelte den Damen und Levi die Hand und kam zu mir. Auch nach meiner Hand griff er, kam aber näher.

„Respekt junger Mann, nicht jeder steht für eine Sache so ein wie sie es tun… schon gar nicht nach so kurzer Zeit!“, raunte er mir zu, bevor er Lieutenant Trevor zur Tür folgte.

Natürlich wurde auch Sofia nicht vergessen. Ich ging ins Wohnzimmer zurück und stellte die Tasse und Kanne wieder aufs Tablett, dann lief ich zurück in den Flur, wo die anderen bereits draußen vor der Tür waren. Das Tablett stellte ich an die Spüle, bevor ich wieder zu den anderen begab.

„Ich kann dich auch nach Hause fahren“, hörte ich Vanessa sagen.

„Nicht nötig, meine Tochter kommt in zehn Minuten, mich abholen.“

„Nochmal danke, dass du geblieben bist“, sagte Levi.

„Nicht dafür!“, lächelte Sofia und tätschelte ihn an der Schulter.

*-*-*

„Ist er dir nicht zu schwer?“, fragte ich Mike, der Noah Huckepack trug.

„Ach was! Außerdem spar ich jetzt Geld!“

„Geld?“, fragte Levi verwundert, der es sich nicht nehmen lassen wollte, uns zur Schule zu begleiten.

„Weißt du, was eine Stunde im Trainingscenter kostet?“

Ich musste grinsen.

„Nein! Außer etwas laufen, betätige ich mich nicht groß sportlich.“

„Solltest du aber, ist gut für deine Kondition!“

Die Schule kam ins Blickfeld, wo bereits die ersten Schüler das Gebäude verließen. Ich weiß nicht, was mich geritten hatte, aber ich erwischte mich dabei, wie ich jedes einzelne Auto genau ansah, was da vorfuhr oder schon parkte.

„Was ist?“, fragte Levi neben mir.

„Ach nichts!“

„Du hältst nach verdächtigen Autos Ausschau…, nicht?“

„Woher weißt du?“

„Ging mir am Anfang genauso, aber gewöhn dir da bitte ganz schnell ab!“

Ich nickte nur, sagte nichts darauf.

„Ellaaa!“, rief Noah laut und winkte wild.

„Das werden ja immer mehr“, hörte ich Elijah sagen, der wie gewohnt neben Ella herlief.

„Das ist nur Marcus Bruder… Hallo Michael!“

„Hallo Ella!“, grinste Mike.

„Ist mein Bruder jetzt schon zu faul zu laufen, oder warum trägst du ihn?“

„Bin nicht faul!“, meckerte Noah.

„Nein ist er nicht“, antwortete Mike, „es macht sogar Spaß! Außerdem muss ich mir ja jetzt jemand anderen zum Spielen suchen, wo Marcus ja zu Hause ausgezogen ist!“

Es dauerte etwas, bis plötzlich alle anfingen zu lachen. Er ließ Noah herunter, der sich aber sofort Mikes Hand bemächtige.

„Darf ich euch zu einer Pizza einladen?“, fragte Levi überraschend, die zwei aus Ellas Klasse.

„Da müsste ich zuerst zu Hause anrufen..“, antwortete Evelyn und Elijah nickte nur. So war ich von meiner abendlichen Tätigkeit in der Küche befreit.

*-*-*

Nachdem Mike mit Mum verschwunden waren, sie wollten wirklich nicht mitessen, hatte Levi einfach Pizza bestellt. Nun war es aber ruhig im Haus.

„Worüber denkst du nach?“, fragte ich Levi.

Wir saßen, wie die letzten Abende im Wohnzimmer, nur dieses Mal deutlich enger, als die vergangenen Tage.

„Ich versuche zu ergründen, wie mein Großvater tickt…“

„Gib es auf, du wirst ihn nicht verstehen, wie wir auch nicht!“

Für diese Äußerung bekam ich einen trotzigen Blick geschenkt.

„Vielleicht habe ich ja kein Platz, in seinem Denkschema, wie das restliche dieser Familie… Aber da passt Ella nicht hinein.“

„Wieso Ella?“

„Er wollte das Sorgerecht…!“, versuchte er wohl zu erinnern.

„Er braucht einen Erben! Dein Vater lebt nicht mehr, du kommst nicht in Frage, Noah ist behindert, so bleibt nur noch Ella übrig.“

„Und? Wenn ich in Frage kommen würde, wollte ich dieses Erbe nicht, dass kann er sich in den A…“

„… nicht ausfallend werden“, fiel ich ihm ins Wort, „ich weiß nicht, ob ich schon gefragt habe, aber mit was hat er denn sein Geld gemacht?“

„Soviel ich weiß, mit Immobilienhandel im In und Ausland.“

„… und auf deine bisherigen Äußerungen zu schließen, hat er das nicht immer gesetzeskonform betrieben.“

Levi nickte.

„Er hat nach der damaligen Gerichtsverhandlungen mehrere Male versucht, unsere Firma zu kaufen. Also bei zumindest zwei Geboten, bin ich mir sicher, dass er dahinter steckte. Ich weiß selbst, dass das Grundstück strategisch günstig liegt, direkt am Hafen und über einen Gleisanschluss verfügt.“

„Dann wollte er wohl damit das große Geld machen?“

Wieder nickte Levi.

„Verzeih, wenn ich so direkt frage…, aber woher weiß er, dass du schwul bist?“

Er verzog sein Gesicht zu einem komischen Grinsen.

„Musst dich nicht entschuldigen, du kannst mich alles fragen.“

„Das gleiche gilt für dich!“

„Danke…! Du erinnerst dich an Jacob Hall?“

„Ja, ein Zeitgenosse, dem ich privat nicht begegnen will. Zu glatt und schmierig!“

„Er war nicht immer so, also ich weiß nicht so recht, was gespielt und echt war.“

„Du warst mit ihm zusammen?“, fragte ich leicht entsetzt.

„Ja… leider. Im Nachhinein denke ich, dass Großvater ihn auf mich angesetzt hat.“

„Nur um zu erfahren, dass du schwul bist?“

„Nein, um etwas in der Hand zu haben, dass er noch mehr Streit zwischen mir und Dad provozieren konnte.“

„Noch mehr?

„Ja, das versuchte er ständig uns gegenseitig auszuspielen!“

„Und gelungen?“

„Nein…, ich war sechszehn, als ich es meinen Eltern erzählte.“

„Sie wussten also Bescheid.“

„Ja!“

Eine weitere Enttäuschung für den alten Herrn! Sein eigener Sohn hatte nichts gegen das Schwulsein des Enkels getan. So langsam verstand ich, warum dieser Mann, gegen Levi so einen Groll hegte.

„Schuld war natürlich meine Mutter, die angeblich ja das Sagen hatte. Sie soll sogar Dad einer Hirnwäsche unterzogen haben.“

Das sagte Levi leicht belustig. Es schien ihm nichts auszumachen, mir darüber zu erzählen. Zumindest, schien er nicht mehr so traurig zu sein, wie am Mittag.

„Jetzt verstehe ich auch, warum dieser Hall, so einen vertrauten Ton, dir gegenüber angeschlagen hat.“

Levi sah mich nun direkt an.

„Du weißt schon, dass du heute Morgen mit deiner Aktion,  nicht nur Captain Davids volle Aufmerksamkeit  auf dich gezogen hast?“

„Welche Aktion?“

„Du hast Jacobs Hand wegeschlagen, als er mich berühren wollte.“

Das hatte ich schon wieder irgendwie verdrängt.

„Sorry, da habe ich nicht groß darüber nach gedacht!“

„Wie bei so vielem…, aber das mag ich so an dir“, lächelte er.

„Dann wird wohl dein Großvater jetzt wissen, dass ich ebenso schwul bin.“

„Davon kannst du ausgehen. Jacob ist nicht nur sein Anwalt, sondern Sekretär und Vertrauter.“

„Aber Jacob ist doch auch schwul.“

„Da bin ich mir nicht mehr so ganz sicher!“

*-*-*

Gegen den Wunsch von Levi hatte ich in meinem Bett geschlafen. Wie vermutet, war es für mich eine unruhige Nacht gewesen. Zu viele Gedanken mussten verarbeitet werden und damit hätte ich Levis so dringend nötigen Schlaf gestört.

Auch wenn ich keine große Lust hatte, ich wollte am Laufen fest halten. So stand ich mühsam auf und durchlief das Bad. Meine Gedanken hingen auch bei Ella. Wie würde sie die ganze Sache verkraften?

Natürlich hatte Levi sie von dem unvorhergesehenen Treffen mit der Polizei und deren Verdacht in Kenntnis gesetzt. Ellas Reaktion war dementsprechend. Ich ging ins Zimmer zurück und zog mir meine Laufgarnitur über.

Ihre erste Äußerung darauf war, dass sie sonntags nie wieder dahin wollte, aber sie änderte ihre Meinung, als sie Levi wegen Noah bat das beizubehalten. Er liebte seine Granny abgöttisch und würde nicht verstehen, wenn er nicht mehr dort hindürfte.

Als ich auf den Flur trat, kam Levi gerade die Treppe herunter.

„Morgen“, grummelte er.

Er sah auch nicht besonders aus.

„Morgen“, meinte ich fröhlich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

Dann lief ich die Treppe hinunter und ließ mich auf der zweitletzten Stufe nieder, um mir meine Laufschuhe anzuziehen. Er drückte sich an mir vorbei und lief zur Küche.

„Morgen Sofia“, hörte ich seine Stimme.

„Morgen Levi… wieder laufen?“

„Ja, wir sind ich einer guten halben Stunde wieder da.“

„Kein Problem, wenn Noah wach werden sollte, ich bin ja da!“

„Danke!“

Dann erschien Levi wieder im Flur. Ich reichte ihm seine Schuhe, bevor ich aufstand.

„Danke!“, lächelte er mich an.

Ich erwiderte das Lächeln und ging zur Tür. Er schlüpfte in seine Laufschuhe und band sie zu. Ihm den Vortritt lassend, zog ich die Haustür zu.

„Wohin?“, fragte ich.

„Fluss…“, kam es von Levi, bevor er ein paar Dehnungsübungen machte.

Der Fluss beruhigte ihn, aber bis dorthin, hatte er genug Zeit, um sich etwas zu recht zu grübeln. Aber wie konnte ich ihn ablenken?

„Musst du diese Woche noch in die Firma?“

„Nein, warum fragst du?“

„Einfach so, aus reiner Neugier!“

Er schaute kurz über seiner Schulter, bevor er sich wieder nach vorne orientierte.

„Eigentlich hatte ich vor“, sprach er plötzlich weiter, „in der Firma vorbei zu schauen, aber Katie meinte, es wäre nicht nötig und ich soll mich nicht unnötig irgendwelchen Gefahren aussetzten!“

Ich versuchte etwas aufzuholen, damit ich ihn besser verstand.

„Gefahren?“

„Ja, ich habe ihr natürlich erzählt, was vorgefallen ist, damit sie gewabnet sind, falls es einen erneuten Angriff auf die Firma geben sollte.“

„Denkst du wirklich, dein Großvater startet erneut eine Übernahme?“

„Wie du selbst nun weißt, es ist nicht sein erster Versuch und leider traue ich ihm alles zu!“

Die letzte Querstraße vor dem Fluss kam. Levi drosselte sein Tempo nicht, weil er sich wie ich anscheinend überzeugt hatte, dass kein Auto kam. Als ich gerade die Straße betrat, sah ich aus dem Augenwinkel heraus, eine Bewegung.

Ich drehte leicht den Kopf und sah, wie aus dem Nichts, plötzlich ein schwarzer Wagen auf uns zuraste.

„LEVI VORSICHT!“, schrie ich und hechtete nach vorne.

Nur knapp jagte der Wagen an uns vorbei, ohne sein Tempo zu verringern. Reifenquietschen war nicht zu hören. Während Levi von der Wucht unseres Zusammenpralls vor einem geparkten Auto zu Boden ging, hatte ich weniger Glück.

Mit voller Härte knallte ich gegen eben diesen Wagen und rutschte zu Boden.

„Scheiße… au…Idiot!“, schrie ich.

Hatten wir mit unserem Flugstunt, nicht schon genug Aufmerksamkeit ausgelöst, fing der geparkte Wagen auch noch an zu hupen. Augenblicklich hatte sich ein kleiner Pulk um uns gebildet. Levi wurde aufgeholfen.

„Hast du dir etwas getan? Bist du okay?“, rief Levi, der nun wieder stand.

Ich lag immer noch irgendwie zusammengefaltet vor dem Reifen des Wagens.

„Weiß nicht…, es tut nur alles weh“, jammerte ich.

Levi war nun neben mich getreten und versuchte mir zu helfen. Ohne Probleme, aber mit heftigen Schmerzen, konnte ich aufstehen.

„Soll ich den Krankenwagen rufen?“, fragte Levi besorgt.

Der Pulk um uns herum, löste sich langsam auf. Wohl zu wenig Blut für die Herrschaften? Wo waren die Handys, wenn man sie mal brauchte. Keiner schien etwas aufgenommen zu haben.

„Du blutest!“, riss mich Levi aus meinen Gedanken und zeigte auf meinen Arm.

Ich drehte ihn nach innen und sah, dass ich mich oberhalb des Ellenbogens aufgerissen hatte.

„Wir gehen am besten gleich zu Doc. Weiser, der soll ich das anschauen!“

„Doc Weiser?“

„Die Praxis, an der du jeden Tag vorbei läufst? Schaffst du es bis dahin?“

„Wird schon irgendwie gehen…“, sagte ich krumm lächelnd, obwohl der komplette Körper schmerzte.

Levi zog vorsichtig meinen anderen Arm über seine Schulter. Er vergewisserte sich nun genau, dass nicht noch ein weiterer Wagen kam. Dann erst lief er los und ich versuchte leicht humpelnd Schritt zu halten.

Es dauerte seine Zeit, bis wir Doc Weisers Praxis an der Ecke Henry und Joralemon Street erreichten, Während Levi bereits die Tür öffnete, versuchte ich einigermaßen Schmerzfrei die Treppe hinaufzukommen.

„Hallo Levi, das ist aber eine Überraschung.“

„Hallo Nora, ist Doc Weiser da?“

In diesem Augenblick durchschritt ich die Haustür und kam ins Sichtfeld der beiden.

„Oh hallo Mr. Brown… oh Gott, was ist denn mit ihnen passiert?“

*-*-*

Mein rechter Oberarm war verbunden und der linke Fuß bandagiert. Bis auf eine leichte Prellung des rechten Brustkorbs, hatte ich nichts weiter abbekommen. Levi bestand zwar darauf, nach Doc Weisers Diagnose ins Krankenhaus fahren zu wollen, aber das widersprach meinen Wünschen.

Die Spritze gegen die Schmerzen, die er mir gegeben hatte, wirkte schnell. So wurde ich direkt nach Ankunft im Scottshaus, in mein Bett verfrachtet. Auch hier musste ich meinen Willen durchsetzen, sonst würde ich jetzt in Levis Bett liegen.

Die heimischen Gefilden und auch die Polizei waren ebenfalls informiert worden. So haderte ich mit meinem Schicksal, bis einer der beiden Parteien hier aufschlagen würde. Noah fand das alles lustig.

Er hatte sogar mit mir geschimpft, weil ich nicht richtig geschaut habe, als ich die Straße überquert hatte. Nun saß er neben mir auf dem Boden und malte irgendetwas. Levi betrat mein Zimmer.

„Brauchst du noch etwas?“

Das wievielte Mal? Leicht genervt, atmete ich ruhig aus. Andererseits fand ich es auch total rührend, wie sehr er sich um mich kümmerte.

„Nein Levi…, ich habe alles…“

Der Türgong unten ging.

„Ich mache auf“, hörte ich Sofia rufen.

Levi setzte sich trotzdem in Bewegung und verließ das Zimmer. Dem Gepolter nach zu urteilen, lief er auch nach unten.

„Zu laut…“, hörte ich Noah leise sagen und musste grinsen.

„Wo ist er?“

Das war Mums Stimme. Ich verdrehte meine Augen und hätte mich am liebsten unter meiner Decke verkrochen.

„Er liegt oben in seinem Zimmer“, antwortete Levi.

Wieder war die Treppe zu hören und wenig später erschienen Mum und Levi. Überrascht war ich, dass nicht Mike mit ihr gekommen war, sondern William in der Tür auftauchte.

„Was machst du wieder für Sachen?“, fragte Mum und setzte sich zu mir auf den Bettrand.

„Ich mach gar nichts!“, antwortete ich trotzig.

„Noah komm, gehen wir in dein Zimmer spielen“, sagte Levi.

„Will bei Marcus bleiben!“, kam es von Noah, ohne aufzuschauen.

„Dann setz dich wenigstens an den Schreibtisch! Du blockierst den Weg!“

Nun reagierte Noah und schaute auf. Als er aber William erblickte, erschrak er und kippte nach hinten. Dabei schlug er sich den Kopf am Schreibtisch an. Natürlich fingen die Tränen an zu fließen und Levi nahm ihn in den Arm.

Ich schaute zu William hinüber, der das ganze beobachtet hatte.

„Hi…“, meinte ich leise.

Sein Blick wanderte zu mir.

„Hier arbeitest du also…“, war das erste, was er von sich gab.

„William war so nett mich her zufahren“, erklärte nun Mum.

Verlegen wuschelte sich William durch seine blonden Haare.

„Naja, Mum meinte, du hättest ein Unfall, da hab ich sie halt hergefahren. Was ist denn passiert?“

„Jemand hat versucht Levi zu überfahren und als ich bemühte ihn von der Straße zu ziehen, bin ich gegen ein parkendes Auto geknallt.“

„Versucht? Wie kommt ihr denn da drauf?“, fragte Mum entsetzt.

„Alter, du siehst wohl zu viele Krimis!“, sagte William.

„Der Wagen hat ungebremst auf uns zugehalten und zudem hatte er keine Kennzeichen!“, meinte nun Levi ernst.

Das war selbst mir nicht aufgefallen. Verwirrt schaute William zwischen uns hin und her. Mein Blick wanderte zu Mum.

„Er weiß nichts, oder?“, fragte ich Mum.

Levi zog seinen Bruder hoch und schob ihn aus dem Zimmer. Mum schüttelte den Kopf.

„Ich habe es nicht einmal deinem Vater erzählt…“

„Was erzählt? Was weiß ich nicht“, fragte William und ging ans Bettende.

„Warum…?“, fragte ich Mum.

„Ach ich weiß auch nicht…“

Sie seufzte laut, dann erzählte sie William in Kurzfassung, was sich zugetragen hatte.

„Typisch Oliver, nichts sagen und gleich drauf hauen…!“, war alles was er dazu zu sagen hatte.

Danach schwieg er nachdenklich. Mum griff nach meiner Hand.

„Hast du arge Schmerzen?“

„Es geht, der Doc von Levi hat mir eine Spritze gegeben, die gut wirkt.“

„Dein Arm…?“

„Am Asphalt aufgeschürft und mit dem Fuß“, ich zeigte nach unten, „… bin ich umgeknickt.“

„Levi sagte etwas von geprellten Rippen…“

Ich hob mein T-Shirt an, was aber wieder Schmerzen verursachte. Trotzdem konnte man den dicken weißen Verband sehen, den Doc Weiser angelegt hatte.

„Und ihr seid sicher, dass es dieser Großvater ist?“, fragte William.

„Wer sonst?“, kam es verbittert von Mum.

„Mum, wir können ihm nichts nachweisen!“

Der Türgong ging erneut.

„Das wird die Polizei sein, Levi hat sie verständigt“, erklärte ich.

Erneut war Sofias Stimme zu hören. Mum stand auf und entledigte sich ihres Mantels und legte ihn über meinen Bürostuhl. Noah erschien in der Tür und schaute William an.

„Du bist Onkel William?“, hörte ich ihn fragen.

„O…O… Onkel?“, stammelte William verwirrt.

Ich konnte nicht anders und fing an zu lachen, bereute es aber, denn sofort taten wieder die Rippen weh.

„Du bist der Bruder von Marcus und Onkel Mike, dann bist du auch ein Onkel“, erklärte Noah, in seiner kindhaften Art.

Nun kicherte auch Mum.

„Aha…“, sagte William.

„Hallo Noah!“, klang es aus dem Flur.

„Tante Vanessa“, rief Noah und verschwand im Flur.

Vanessa war auch hier? Mum stand auf und folgte Noah in den Flur. William dagegen, nahm Mums Platz ein und setzte sich neben mich.

„Marcus… in was bist du da nur hineingeraten?“

Seine Stimme klang wirklich besorgt.

„Ich weiß es nicht! Ich arbeite hier seit fast drei Wochen und jeden Tag passiert etwas anderes.“

„Dann nehmen wir dich mit nach Hause!“

War das jetzt sein Ernst.

„Warum?“, fragte ich ihn.

„Hier ist es gefährlich…, wer weiß, was der irre Typ sich noch ausdenkt!“

„He…, ich bin von zu Hause ausgezogen und wohne jetzt hier…, schon vergessen? Ich bin nicht mehr der kleine Schuljunge, denn du jederzeit mit nach Hause schleppen kannst.“

William sah mich lange an.

„Du weißt davon?“

„Mike hat mir alles erzählt… wo ist er überhaupt?“

„Es kommt eine große Holzlieferung, da musste er früher in die Firma. Ich war nur noch da, weil ich verschlafen hatte.“

Erst jetzt, beim näheren Hinsehen, bemerkte ich, wie fertig und müde, William auf mich wirkte.

„Ihr habt viel zu tun…?“

„Es geht, es ist nur etwas viel, seit Oliver ausgefallen ist.“

Wieder machte sich der Türgong bemerkbar.

„Das tut mir leid.“

„Wieso…? Das hat doch nichts mit dir zu tun!“

Der Pulk vor meiner Tür setzte sich in Bewegung. Plötzlich kam Vanessa herein.

„Hallo Marcus…“

Sie stockte, als sie William sah.

„Hallo Vanessa, das ist mein Bruder William“, sagte ich grinsend, „… William, das ist Mrs. Williams, die Tante von Mr. Scott.“

William erhob sich und schüttelte Vanessa die Hand.

„So langsam, lerne ich deine ganze Familie kennen, Marcus.“

„Ich habe nur meine Mutter hergefahren…“, kam es von William.

„… und sicher doch auch um ihren Bruder zu sehen?“, fragte Vanessa.

William nickte verlegen.

„Kümmert sich Levi wenigstens um dich?“, fragte Vanessa nun mich.

„Er steht fast alle fünf Minuten in meinem Zimmer und fragt, ob ich was brauche.“

„Gut, dass will ich ihm auch geraten haben. Ich gehe wieder hinunter und will wissen, was Captain Davis zu sagen hat… William…“

Sie nickte meinem Bruder zu und verließ mein Zimmer.

„Für das, dass du hier erst drei Wochen arbeitest, hört sich das alles sehr vertraut an.“

„Ähm…, das liegt daran…, dass Levi und ich… zusammen sind.“

„Bitte? Ihr kennt euch doch erst drei Wochen!“

Verlegen zuckte ich mit der Schulter, was aber sofort den Schmerzteufel auf den Plan rief.

„Alter, da versuche ich seit Jahren, was Gescheites zu krallen und du ziehst aus und kommst gleich mit einem Schwiegersohn zurück!“

Ich konnte nicht anders und musste über Williams Ausdrucksweise lachen.

*-*-*

„Geht es?“, fragte er, als ich mich mit seiner Hilfe auf der Couch niederließ.

Ich nickte leicht, obwohl mir meine Rippen etwas anderes sagten. Auf das abendliche Essen mit den Zwillingen hatte ich verzichten müssen, die Schmerzen bei jeder Bewegung, waren mir einfach zu heftig.

Auf der Bank in der Küche zu sitzen, wäre da auch keine gute Idee gewesen. Die Spritze, die mir der Doc am Morgen gegeben hatte, hatte wohl völlig ihre Wirkung verloren. So wurden mir von Levi neue Schmerzkiller gebracht.

Mit der Aussicht, nicht ins angedrohte Krankenhaus zu müssen, schluckte ich brav die Tabletten, und da er mich später, in diesem Zustand, auf keinen Fall alleine lassen wollte, hatte ich mich breitschlagen lassen, doch in sein Zimmer um zu ziehen.

Der Fernseh lief und eine Kerze brannte auf dem kleinen Tisch. Auch standen dort ein Glas Orangensaft und ein Teller mit Sandwich. Er selbst war schon wieder verschwunden. Mir war das eigentlich gar nicht Recht.

War ich nicht nun doch eine zusätzliche Belastung? Aber das Angebot, das Mum sich um mich kümmerte, sprich William hätte mich doch nach Hause verfrachtet, schien mit dann doch die schlechtere Wahl.

So starrte ich auf den Fernseher und nahm trotzdem nicht war, was da gerade lief. Draußen im Flur konnte ich Schritte auf der Treppe hören. Das Licht wurde gelöscht und wenig später trat Levi ein.

„So, Noah schläft endlich…, so aufgedreht war er schon lange nicht mehr.“

Er lehnte seine Tür nur an und verschloss sie nicht.

„Das wundert mich nicht, war auch genug geboten heute…“

Levi entledigte sich seiner Socken und zog auch die Jogginghose aus. Nur in Shorts und T-Shirt ließ er sich neben mir nieder.

„Wirken die Tabs schon?“

Ich schüttelte leicht den Kopf. Fuß und Arm gingen, aber mein Brustkorb schmerzte. Bisher hatte ich mich auch noch nicht bewegt, saß immer noch so da, wie Levi mich abgesetzt hatte.

„Vielleicht solltest du etwas essen… Schmerzmittel wirken meist nur mit einer Mahlzeit!“

Mein Magen sagte auch, dass ich etwas essen sollte. So hob ich den Arm, um mir das Sandwich zu greifen, aber ein Stich in Brusthöhe, ließ  mich innehalten. Schmerzend verzog ich das Gesicht.

Diese kleine Aktion setzte nun aber wieder Levi in Bewegung. Er beugte sich vor und reichte mir den Teller.

„Danke!“

Er lächelte mich an. Ich nahm das Sandwich und biss hinein.

„Bevor ich es vergesse“, begann Levi plötzlich neben mir, „Tante Vanessa hat sich ein paar Tage frei genommen. Sie will morgen vorbei kommen und sich um Noah kümmern.“

Leicht schockiert schaute ich ihn an.

„Das muss sie doch nicht…, ich kann Noah auch so beschäftigen…“

„Und den ganzen Tag die Schmerzen ertragen? Das schlägst du dir gleich aus dem Kopf! Sie will sich mit deiner Mum treffen und die unternehmen dann gemeinsam etwas mit Noah. Du hast die Wahl, so oder das Krankenhaus!“

Das glich fast einer Erpressung. Dieser Aufwand war mir gar nicht recht. Erneut biss ich vom Sandwich ab. Plötzlich spürte ich Levis Hand am Nacken, wie er mit meinem leicht lockigen Haaransatz spielte. Mein Blick wanderte zu ihm.

Auf den Lippen ein Lächeln und seine Augen strahlten.

„Ich kann das immer noch nicht fassen…“, sagte er plötzlich, ohne das Spiel mit seinen Fingern zu unterbrechen.

„Was?“, fragte ich, als ich den Bissen herunter geschluckt hatte.

„Du!“

Weit riss ich fragend die Augen auf.

„Ich?“

Ich schob nun auch das letzte Stück Sandwich in den Mund und reichte Levi den Teller. Die Hand am Nacken verschwand und Levi nahm mir den Teller ab. Danach reichte er mir den Orangensaft.

Artig trank ich etwas davon, bevor ich ihm das Glas wie zurück gab.

„Was kannst du nicht fassen?“, fragte ich.

„Dass ich dich gefunden habe…“, grinste er mich.

Er griff nach meiner Hand.

„Gefunden?“, fragte ich gespielt ernst, „du hast mich eingestellt… und mit ausreichend Arbeit versorgt! Gefunden hat mich eher deine Tante…!“

Sofort verwandelte sich sein Gesicht in eine Trotzmine. Auch meine Hand hatte er losgelassen. Seine Beine zog er hoch zum Schneidersitz, seine Arme verschränkte er vor der Brust.

Sein Blick haftete nun auf der Mattscheibe. Trotz meiner Schmerzen, beugte ich mich etwas zu ihm hinüber. Vorsichtig hob ich meine Hand und streichelte ihn über den Arm. Seine Reaktion kam prompt, sein Körper erschauderte leicht.

Er bekam eine Gänsehaut. Deutlich konnte ich die feinen Härchen auf seinem Arm erkennen, die sich stellten. Sein Blick hing aber immer noch auf dem Fernseher.

„Eigentlich müsste ich deiner Tante ein Dankeschön senden, dass sie mich an so einen liebevollen, gutaussehenden und charmanten Chef vermittelt hat.“

Seine Mundwinkel wanderten leicht nach oben, ohne mich aber anzuschauen. Mein Blick wanderte dafür über seine stark behaarten Beine, die vermuten ließen, dass irgendein Vorfahre wohl ein feuriger Südländer war.

Auch faszinierten mich, die Muskelbepackten Oberarme, an denen deutlich die Venen hervortraten.

„… hm… ich glaube, ich ziehe die Aussage zurück!“

Sein Kopf fuhr herum.

„Warum das denn?“, fragte er empört.

Dies schien nun echt zu sein.

„Weißt du wie unfair du bist?“

Levi schnappte nach Luft und zeigte auf sich.

„Ja du! Weißt du eigentlich, wie verdammt sexy du in den Sachen aussiehst… und ich bin zur Unbeweglichkeit verdonnert und kann dich nicht anfassen! Jedenfalls nicht so, wie ich es gerne möchte.“

Sein Gesichtsausdruck wurde wieder fröhlicher und seine Lippen zierte wieder ein Grinsen. Er zog sein Shirt aus, schmiegte sich so an mich und setzte somit noch eins oben drauf. Die leichte Brustbehaarung und der dünne Strich, der vom Bauchnabel nach unten wanderte und in seiner Shorts verschwand, trieben mir den Schweiß auf die Stirn.

„So besser?“, fragte er schein heilig.

Trotz meiner Schmerzen, hob ich den Arm, schob sein Kinn weiter nach oben und gab ihm einen zärtlichen Kuss. Sein Mund öffnete sich und der Kuss wurde fordernder. Dies wäre an sich kein Problem gewesen, aber ein erneuter Stich im Rippenbereich ließ mich scharf die Luft einziehen. Besorgt schaute mich Levi an.

„Tut mir leid“, meinte ich traurig und eine einzelne Träne suchte ihren Weg über meine Wange.

„He, dass muss dir nicht leid tun, Sweetie! Das verstehe ich doch! Willst du dich nicht lieber hinlegen?“

Sweetie? Gerührt schaute ich ihn an und nickte leicht. Er hatte ja Recht! Seit ich saß, hatten sich die Schmerzen wieder verstärkt. Levi stand auf und versuchte mir, so gut es ging, beim Aufstehen zu helfen.

Dies war wohl ohne weitere Attacken vom Schmerzteufel nicht möglich. Mehr als einmal jaulte ich auf. Bevor ich mich aber aufs Bett niederließ, hielt ich inne.

„Levi…, könntest du mir aus den Klamotten helfen, das ist mir zu warm!“

„Klar“, sagte er nur, mit einem frechen Grinsen, „eine meiner leichtesten Übungen!“

Schon hatte er seine Hände an meinem T-Shirt.

„Stop!“, meinte ich nur, sofort trat er einen Schritt zurück.

„Was?“

„Zieh mir erst die Jogging herunter, dann kann ich mich setzten. Dann geht es vielleicht auch besser mit dem Shirt.“

Sofort ging Levi auf die Knie und zog  am Stoff der Beine. Es passierte das, was mir so nie passierte. Mit der Hose, zog er gleichzeitig auch die Shorts herunter, sprich Kleinmarcus sprang ins Freie und somit direkt vor Levis Gesicht. Ich atmete tief durch.

„Egal… irgendwann hättest du ihn eh zu sehen bekommen“, meinte ich nur schief grinsend und ließ mich nieder.

„Du willst nackt schlafen?“, fragte Levi erstaunt.

„Warum nicht…“, da fiel mir Noah ein, „… ach so… wegen Noah?“

„Noah hat dich schon öfter nackt gesehen und im Sommer, wenn es richtig heiß in der Stadt ist, schlafen wir auch oft zusammen nackt im Bett…, es wäre also nichts Neues für ihn.“

Ich saß immer noch mit herunter gezogenen Hosen vor Levi.

„Das mag sein, Levi…, aber Noah ist eben kein kleiner Junge mehr, jedenfalls körperlich nicht.“

Levi schaute mich an und schien zu überlegen. Dann machte er sich wieder an meiner Jogging zu schaffen und zog sie vorsichtig über meine Füße.

„Irgendwann muss ich ihm auch das erklären“, meinte er nur und zog auch meine Shorts völlig aus.

Danach stand er wieder auf.

„Deinen linken Arm kannst du einigermaßen bewegen, oder?“

Ich nickte. Levi hob meinen linken Arm an und pfriemelte ihn umständlich aus dem Shirt heraus. Anschließend zog er es über den Kopf und konnte es nun vorsichtig über den rechten Arm herunter zu ziehen, ohne dass ich ihn großartig anheben musste.

So saß ich nun nackt, nur mit der Brustbandage begleitet auf seinem Bett. Noch einmal musste ich die Zähne zusammen beißen, bis ich endlich lag. Aber ich merkte schon, dass die Schmerzen nicht mehr so heftig waren.

Die Mittel schienen langsam zu wirken. Levi zog die Decke bis zur meiner Brust, bevor er zur Couch lief und den Fernseh aus machte. Danach löschte er alle Lichter, bis nur noch das auf seiner Seite des Bettes brannte.

Dann entledigte er sich ebenso seiner Shorts und stieg nackt wie ich war, auch ins Bett. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass sein bestes Stück nicht schlaff herunter hing. Ihn hatte diese ganze Aktion wohl etwas mehr angeheizt.

„… außerdem habe ich Noah gesagt, wenn er hochkommen sollte, muss er vorsichtig sein, damit er dir nicht weh tut…“, sagte er plötzlich, als wäre nichts.

„Okayyyy…“, meinte ich nur und lächelte verlegen.

Levi rutschte zu mir herüber und deckte sich auch zu. Mit den schwindenden Schmerzen, kam ein anderes Gefühl wieder auf. Ich spürte, wie die eine Region meines Körpers nun sich auch mit Blut füllte.

Levi lag zu mir gewandt und sah mich an.

„Noch Schmerzen?“

„Es geht… sie werden weniger…!“

„Dafür wird etwas anderes mehr…“, grinste mich Levi an und schaute nach unten, wo sich jetzt schon deutlich eine Beule abzeichnete.

Genervt starrte ich zur Decke. Ich wusste nicht woran es lag. Waren es die starken Schmerzmittel, die meine Sinne vernebelten und mich von meinen guten Vorsätzen abbrachten, Levi erst besser kennen zu lernen?

Oder war es einfach nur die blanke Gier, Lust auf geilen Sex, den ich so gesehen auch noch nie richtig hatte. Es war ja nicht so, dass ich nicht wusste, was man da so alles anstellen konnte, aber das war eben meist Theorie.

All diese Gedanken ließen mein Lustzentrum nur noch härter werden. Ich zog, ohne weiter etwas zu sagen, Levi zu mir heran und vergrub meine Zunge tief in seinem Rachen. Es gab keine Gegenwehr, nur gefühlte tausend Hände, die über meinen Körper hetzten.

Mittlerweile lag Levi fast auf mir und die Gier in meinem Kopf, schlug den Schmerzteufel endgültig in die Flucht. Selbst der Verband über meiner Brust, konnten Levis Küsse darauf nicht bremsen.

Sein Kopf wanderte küssend und leckender weise immer tiefer und ich musste mich beherrschen, nicht zu laut zu werden. Plötzlich spürte ich etwas Warmes und weiches an meinem Schaft.

Ich stöhnte auf und bog mein Kreuz durch, welches aber wiederrum die vergessenen Schmerzen wieder ans Tageslicht brachten. Scharf blies ich meine Luft heraus, um nicht zu schreien. Sofort hielt Levi inne.

„Sweetie…, sollen wir nicht lieber aufhören?“, keuchte Levi, „du hast immer noch Schmerzen… und ich denke, die werden nicht besser, wenn ich weiter mache.“

Enttäuscht ließ ich meinen Kopf auf mein Kissen sinken. Levi hatte seine Stellung verlassen und sein Gesicht erschien vor meinem. Seine Hand streichelte sanft über meine Wange.

„Eh…, nicht traurig sein! Wir können das jederzeit nach holen… ähm wenn deine Rippen das wieder vertragen.“

„Ich wollte dich aber in mir spüren…“, flüsterte ich leise und einzelne Tränen verließen die Tränengänge.

Seine Augen wurden Groß. Stimmt, darüber hatten wir uns natürlich nicht unterhalten. Es stand noch nicht zur Debatte. Ich wusste nicht einmal, ob er das wollte. Aber fand man so etwas nicht heraus, in dem man sich besser kennen lernte?

Da war wieder dieses ekelhafte Duo. Engelchen und Teufel, die sich zu streiten begannen. Levi schaute kurz nach unten, wo mein Wedel immer noch steif ab stand. Auch ich hob nun mein Kopf und schaute nach unten.

Körperlich unterschieden wir uns da unten fast nicht, nur dass Levis Behaarung deutlich stärker war, als meine.

„Bist… du dir sicher?“, fragte er leicht verschüchtert.

Ich nickte leicht.

„Ähm… auch wenn es mir schwer fällt… wir sollten das wirklich verschieben!“

Ich ließ dem Kopf wieder ins Kissen fallen und seufzte.

„Dann erledigen wir das eben auf die alte Art“, sprach Levi plötzlich weiter.

„Hä?“, war alles was ich heraus brachte.

Ich schaute zu ihm, weil ich gerade nicht wusste, was er meinte. Er leckte sich über die Handinnenfläche, nahm meinen Stamm in die Hand und begann zu reiben. Ein Lächeln überzog mein Gesicht und ich tat es ihm gleich.

Er rückte noch näher an mich heran, damit ich es leichter hatte, ihn anzufassen. Schneller als mir lieb war, stieg in mir dieses altbekannte Gefühl hoch, ein Blick zu Levi, ihm schien es nicht anders zu gehen.

Ich schloss die Augen und presste die Lippen zusammen. Mein Körper versteifte sich und wenige Sekunden später, begann ich unkontrolliert zu zucken. Vergessen waren die Schmerzen von vorhin, ich ergab mich völlig meiner Gefühle.

Levis heißer Atem an meinem Hals tat sein übriges. Eine Welle nach der anderen erfasste mich und ließ mich aufstöhnen. Schub um Schub entleerte ich mich. Dann war plötzlich Stille, nur unser schwerer Atem war zu hören.

„Boah… was hast du gemacht?“, hauchte mir Levi ins Ohr.

Ich öffnete die Augen und schaute zu ihm. Die Steifheit hatte ihre Kraft verloren und schrumpfte in meiner Hand. Nur die Spuren, die über diese lief, zeigten mir, dass Levi genauso gekommen war.

„… ähm… was meinst du?“, fragte ich verlegen und zog meine Hand zurück.

„Ich weiß nicht warum, aber so heftig bin ich noch nie gekommen.“

Ich schaute an mir herunter und wusste, was er meinte. Die Spuren seines auch meines Ergusses waren breit über meinem Bauch verteilt. Auch ich war heftig gekommen. Leider hatte dies auch mein Verband in Mitleidenschaft gezogen.

Immer wurde erzählt, wie toll es ist, gemeinsam zu kommen, aber nie redete jemand über die Sauerei danach.

„Ich glaube, ich muss unter die Dusche…“, grinste ich verlegen und hielt auch meine verschmierte Hand in die Höhe.

„Auflecken ist es wohl keine gute Idee“, meinte Levi trocken.

Ich konnte nicht anders und fing albern an zu kichern.

„Nein…, nicht wirklich.“

„Was ist mit deinem Verband?“

„Der muss runter!“

„Aber ich habe nichts da… Shit, was machen wir dann?“

„Nackt in deinen Armen einschlafen?“

*-*-*

Es war zwar angenehm, in Levis Armen aufzuwachen, aber etwas anderes störte mich. Das Atmen tat mir weh, was wohl der Grund meines Erwachens war. Die Schmerzkiller hatten wohl völlig ihre Wirkung verloren.

„Levi…“, versuchte ich diesen absolut süßen und schlafenden Mann zu wecken.

„Levi…?“

Ein Zucken durchfloss seinen Körper.

„… hm?

„Die Schmerzen sind wieder da…, ich kann fast nicht atmen.“

Mit einem Mal waren seine Augen weit offen.

„So arg?“

„Ja… leider.“

Vorsichtig zog er seinen Arm unter mir vor, trotzdem verursachte er Schmerzen. Er schaute kurz zu seinem Wecker, dann wieder zu mir. Er griff nach seinem Handy und wählte eine Nummer.

„Wen rufst du an?“

„Doc Weiser, er soll herkommen!“

„Aber es ist doch so früh…“

„Doc Weiser hat gesagt, ich kann jederzeit anrufen, wenn etwas mit Noah ist.“

„Ich bin aber nicht Noah!“, sagte ich fast trotzig.

Dieser kleine Aufreger, versetzte mir ein Stich in der Brust. Schmerzverzerrt schaute ich zu Levi.

„Guten Morgen Doc, entschuldigen sie die frühe Störung, aber Marcus hat starke Schmerzen und… ja in Ordnung… bis gleich… danke!“

Levi drückte das Gespräch weg.

„Doc Weiser ist gleich da…, ich geh runter und öffne ihm die Tür. Er hat gesagt, du sollst ruhig liegen bleiben.“

„Ich habe sicher nicht vor, hier herum zu turnen… könntest du mir noch mein T-Shirt reichen?“

„Für was?“

„Ich kann doch nicht halb nackt hier liegen bleiben!“

„Die Shorts reichen und dir jetzt das Shirt anzuziehen, bereitet dir eh nur Schmerzen! Der Doc wird dir sicherlich gleich wieder einen Stützverband anlegen, also brauchst du kein Shirt!“

Da hatte er Recht, aber trotzdem war mir komisch zu Mute. Ob der Doc wusste, dass dies hier Levis Zimmer lag? Sicher musste er das wissen, wenn er jahrelang der Hausarzt der Familie war. Was würde er sich denken, wenn ich hier halb nackt in Levis Bett lag?

Levi hatte mich mittlerweile alleine gelassen, also war ich zum Nichtstun verdonnert. Er hätte mir wenigstens zur Toilette helfen können. Meine Blase drückte. Noch etwas anderes kam mir wieder in den Sinn, der gestrige Abend.

Trotz der Schmerzen, musste ich schmunzeln. Wie zwei neugierige Jungs aus der Schule hatten wir uns gegenseitig befriedigt. Mir fiel etwas anderes ein. Mein Kopf fuhr hoch und ich konnte mir gerade so ein lautes „Au!“ verbeisen.

Mit Schmerz verzerrten Gesicht, wanderte mein Blick über die Decke, die auf mir lag. Waren da vielleicht verräterische Spuren zu sehen? Woher die plötzliche Panik kam, wusste ich nicht, aber sie tat mir auch nicht gut.

Das Atmen tat immer mehr weh. Meine Hand wanderte automatisch auf meine Brust. War das jetzt meine Strafe dafür, dass ich mich in meinen Chef verliebt hatte? Geräusche vom Flur drangen an mein Ohr, aber irgendwie war sie auch weit weg.

Ich hechelte nach Luft und bekam nun richtig Panik. Würde ich jetzt ersticken?

„Marcus…?“, hörte ich jemand rufen.

Mein Blick wurde trüb.

„Marcus…? …Levi, rufen sie einen Krankenwagen… es eilt.“

Das war das letzte was ich noch mitbekommen hatte, dann wurde alles dunkel um mich herum.

*-*-*

Fremde Geräusche drangen an mein Ohr. Ein komisches Piepen nahm nervende Züge an, aber auch der Geruch war mir zu wider. Ein Geruch, der sich tief in mir eingebrannt hatte. Ich war im Krankenhaus.

Was war passiert? Ich konnte mich nicht erinnern.

„Er kommt zu sich!“

Das war die Stimme von Mum. Nur langsam öffnete ich die Augen, alles um mich herum war so grell.

„Marcus…, kannst du mich hören?“, drang nun Levis Stimme von links an mein Ohr.

Ich drehte meinen Kopf leicht und vor mir, ganz dicht, nahm ich Levis Gesicht war.

„Ja…“, krächzte ich.

Seine Augen waren rot, der Blick glasig.

„Gott sei Dank!“, hörte ich Mum sagen.

Ich schaute nun zu ihr, sie stand auf der anderen Seite des Betts.

„… was …was ist passiert?“

„Dieser Doc Weiser hat erklärt, dass du wohl hyperventiliert und dann dein Bewusstsein verloren hast…“ erklärte Mum.

Ich spürte, dass meine beiden Hände in Beschlag genommen waren. Rechts stand Mum und links saß Levi. Seine Hand zitterte.

„Warum hast du nicht gesagt, dass deine Schmerzen so stark sind?“

„Hm?“, meinte ich nur und drehte meinen Kopf etwas zu heftig in seine Richtung.

Ich zog leicht den Kopf ein, da ich diese Art plötzlicher Kopfschmerzen nicht kannte.

„Du hast immer noch Schmerzen“, kam es weinerlich von Levi.

Mum ließ meine Hand los und kam nun auf Levis Seite. Ihre Hand legte sie auf seine Schulter.

„Ssssch, Levi, es ist alles gut!“, sagte sie zu ihm, „der Doc hat doch gesagt, wenn Marcus zu sich kommt, ist es ungefähr wie ein Kater nach durchzechter Nacht!“

Ich legte meine Stirn in Falten. Was meinte sie damit? Ich hatte keinen Alkohol getrunken. Die Schmerzen am Hinterkopf verschwanden wieder.

„Es tut mir so leid, Marcus“, zog nun Levi wieder meine Aufmerksamkeit auf sich.

„… warum…?“, fragte ich nur.

Levi schaute mich nur mit seinen großen verweinten Augen an, antwortete aber nicht.

„Ich geh mal einige Anrufe tätigen…“, meinte Mum und verschwand aus meinem Blickfeld.

Beide schauten wir ihr nach, wie sie den Raum verließ. Kaum war die Tür zu sprudelte Levi über.

„Das ist meine Schuld gewesen, ich hätte aufhören sollen…, es tut mir so leid, Marcus… ich…“

„Stopp Levi!“

Augenblicklich war er ruhig.

„Es war unser erster… naja Sex“, richtig Sex konnte man es ja nicht nennen, „und gut so wie es war! Ich mache dir keinerlei Vorwürfe… ich war glücklich und es war herrlich in deinen Armen einschlafen zu dürfen!“

Er wollte etwas erwidern, aber ich sprach einfach weiter.

„Auch das Duschen hat mir Spaß gemacht! Dass es so ausgehen würde, hätte ich im Traum nicht gedacht. Es ist eigentlich meine eigene Schuld!“

„Warum deine?“, fragte Levi verwundert.

Er saß immer noch so dicht bei mir.

„Weil ich einfach Panik bekommen habe…“

„Panik? Weil du jetzt bereust, was wir gemacht haben?“

„Nein! Ich komm mir jetzt selbst irgendwie blöd vor…, überhaupt daran gedacht zu haben…“

Levi schaute mich fragend an.

„… ähm… es war wegen Doc Weiser… ich dachte… ich halb nackt in „deinem“ Bett… was würde er von uns denken?“

Levis Mundwinkel zuckten nach oben.

„Du hast dir echt Gedanken um mich gemacht, obwohl du solche Schmerzen hattest?“

Ich nickte zaghaft. Nun zierte ein breites Lächeln Levis Gesicht.

„Sweetie… du bist verrückt…, aber das liebe ich so sehr an dir!“, meinte Levi darauf, kam etwas näher und gab mir einen sanften Kuss.

Er sagte das so, als wären wir schon ewig zusammen.

„Was ist, du schaust so skeptisch?“

„Das hat nichts mit Skeptik zu tun…, es ist einfach nur ungewohnt für mich, dass da plötzlich jemand ist, dem ich etwas bedeute… wichtig bin!“

Levis Gesicht wurde wieder ernst.

„Dir geht das alles zu schnell…!“

„Etwas, aber das meinte ich jetzt nicht damit, Levi. Mir gefällt das und es tut auch unheimlich gut und… es ist ernüchternd, auf was ich die vergangenen Jahre verzichtet habe.“

„Warum hast du auf das alles verzichtet?“

Ich überlegte kurz, wie ich mich ausdrücken sollte.

„Meine Meinung war es, erst einmal eine Basis schaffen, bevor ich mir Gedanken über eine Beziehung mache.“

„Noble Gesinnung, aber deswegen gänzlich auf Liebe zu verzichten?“

„Irgendwann habe ich nicht mehr darüber nach gedacht… Klar, habe ich Kerle hinterher geschaut, wenn mir jemand gefiel. Aber mehr, als dieser Gedanke kam nicht auf. Ich weiß nicht woran es lag, vielleicht der Stress zu Hause, den ich mit meinen Brüdern hatte.“

„So hattest du auch niemand, mit dem du reden konntest.“

„Doch mit Mum konnte ich über fast alles reden, aber letztendlich, blieb dieses Thema Brachland.“

„Dann hoffe ich, das ändert sich nun… Schritt für Schritt und versprich mir bitte eins…“

„Was?“

„Bremse mich aus, wenn ich wieder über Ziel hinaus schießen sollte. Ich bin einfach nur glücklich jemand gefunden zu haben, bei dem alles passt!“

Ich seufzte.

„Du tust es schon wieder!“

„Was?“

„Mich auf einen Sockel heben!“

„Sorry…, du bist nun mal mein absoluter Traummann!“

Diese Aussage bekräftige er mit einem Kuss, bevor ich dagegen etwas sagen konnte. Aber der Kuss währte nicht lange, sondern wurde vom Öffnen der Zimmertür unterbrochen. Mum kam zurück.

„Ich soll dir liebe Grüße von deinem Dad und Michael sagen. Er kommt später vorbei, wenn es die Arbeit erlaubt.“

„Dad will hier her kommen?“, fragte ich leicht entsetzt.

„Nein, Michael!“

Das hätte mich jetzt schon sehr gewundert. Schon alleine, dass mein Vater mir Grüße ausrichten lässt, konnte ich nicht recht glauben.

„Dann habe ich eben noch mit dem Arzt gesprochen, er meinte, wenn die Schwellung abklingt, darfst du wieder nach Hause.“

„Ähm Mum… du weißt schon… ich bin ausgezo…“

„… klar weiß ich, dass du jetzt bei Levi wohnst!“, fiel sie mir ins Wort, „ich werde doch eurem frischen Liebesglück nicht im Weg stehen!“

„Mum!“

*-*-*

Levi hatte ich es zu verdanken, dass ich alleine im Zimmer lag. So war die Langeweile vorprogrammiert. Wenn ich auf die Toilette wollte, musste ich die Klingeltaste betätigen. Dann erschien ein Pfleger, der mir behilflich war, alles weitgehend ohne große Schmerzen zu überstehen.

Die Schwellung um meine Rippen, die hauptsächlich für meine Schmerzen verantwortlich war, musste erst abklingen, vorher durfte ich das Krankenhaus nicht verlassen. Zu groß wäre das Risiko, dass ich vor Schmerzen wieder umkippe.

So hatte ich jetzt schon die zweite Infusion anhängen, dass dies schneller von statten ging. Genervt zappte ich mich durch das Fernsehprogramm, als es an meiner Tür klopfte.

„Ja?“

Die Tür wurde aufgeschoben und Mike kam ins Blickfeld. Meine Laune hob sich deutlich, wurde aber dann sofort ausgebremst, als ich noch eine zweite Person ins Zimmer treten sah. Oliver!

„Hi! Sorry, es ging nicht früher!“, meinte Mike.

„Hi! He, ist doch nicht schlimm, deine Arbeit geht vor! … ähm hallo Oliver.“

Oliver schaute sich noch im Zimmer um, bevor sich unsere Blicke trafen.

„Nicht schlecht…, wenn ich bisher im Krankenhaus war, musste ich das Zimmer immer mit anderen teilen.“

„Dann musst du dir eine reiche Freundin zulegen, dann hast du auch ein Zimmer für dich alleine!“

Der Spruch kam von Mike.

„Pff…, wer will so einen Typen wie mich schon haben?“, kam es resignierend von Oliver.

Dabei schaute er mich an.

„Frag nicht mich…! Ich bin ein schlechter Auskunftgeber!“

Mike begann breit an zu grinsen und stupste mich an.

„He, er ist doch nur neidisch, dass du mal wieder mehr Glück hast, wie er.“

Mein Blick wanderte wieder zu Oliver, der nun am Fenster stand.

„Hat er doch immer!“, konnte ich ihn leise sagen hören.

„Ja, es ist so ein Glück, hier im Krankenhaus zu liegen! Danke fürs Gespräch!“, meinte ich gefrustet.

„Jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt!“, sagte Mike und setzt sich neben mich auf die Bettkante, „wie geht es dir überhaupt, was hat der Arzt gesagt?“

„Bevor die Schwellung im Rippenbereich nicht zurück geht, darf ich hier nicht raus.“

„Was ist eigentlich genau passiert? William hat irgendetwas von Absicht und Fahrerflucht erzählt“, kam es plötzlich von Oliver.

Es wunderte mich doch sehr, dass er überhaupt Interesse an mir zeigte.

„Levi und ich gehen vor der Arbeit morgens immer laufen. Meist zum Fluss hinunter. An der Straße, die die Wohnblocks von der Uferpromenade trennt, ist es dann passiert. Ich habe aus dem Augenwinkel heraus wahrgenommen, dass sich uns recht schnell ein Wagen näherte.“

Oliver zog sich einen Stuhl heran und setzte sich nun auf die andere Seite des Betts. Noch immer zierte seinen Unterarm ein Gipsverband.

„Levi hat das nicht mitbekommen und ich habe dann eben versucht, ihn von der Straße zu bekommen… dabei bin ich gegen ein geparktes Auto geknallt…“

„Und der Fahrer hat nicht gebremst?“, fragte nun Mike.

Ich schüttelte vorsichtig den Kopf.

„… und ihr denkst jetzt, es ist dieser Großvater von deinem… ähm Boss gewesen“, sagte Oliver.

Deutlich spürte ich seine Unsicherheit. Ein Hüne, der gut einen Kopf größer war,  wirkte plötzlich so zerbrechlich auf mich.

„Tu nicht so schüchtern, du kannst ruhig Marcus Freund sagen!“, mischte sich Mike grinsend ein.

„Pah“, kam es nur von Oliver und drehte seinen Kopf weg.

Ich überging das Ganze und antwortete einfach.

„Nicht der Großvater direkt, er wird schon seine Leute dafür haben!“

„Hätte ich nur fester drauf gehauen, dann hättest du jetzt keine Probleme!“

Ich verdrehte die Augen.

„Ja und? Dann würdest du jetzt im Knast sitzen! Dass ist es nicht wert!“, erwiderte ich leicht gepestet.

Mike hob seinen Daumen nach oben und grinste immer noch.

„He, du bist mein kleiner Bruder, das wäre mir das schon wert gewesen!“

Das hatte sich bisher nie so angehört.

„Ich meinte damit, der Großvater ist es nicht wert und wie komm ich zu der Ehre, dass du dir plötzlich so Sorgen um mich machst?“

„Das hab ich immer!“, kam es postwendet als Antwort.

„Davon habe ich nicht fiel gemerkt.“

„Ihr zwei werdet doch jetzt nicht zu streiten anfangen“, schritt nun Mike ein, „du weißt, du hast mich nur begleiten dürfen, weil Mum ein gutes Wort für dich eingelegt hat!“

Fragend schaute ich Mike an, doch der winkte ab. Oliver ließ sich an seine Lehne zurück fallen und hielt dabei seinen eingegipsten Arm fest.

„Wie ist das eigentlich passiert?“, fragte ich ihn und zeigte auf den Arm.

„Ach… eine Meinungsverschiedenheit…“, kam es trotzig zurück.

„Darf ich fragen, um was es ging?“

Nun sah mich Oliver wieder an, eine kleine Pause entstand.

„Er… er hat sich abwertend über Schwule ausgelassen…, dann ist mir… eben der Kragen geplatzt!“

Er schaute wieder weg.

„Wegen mir? Wer… er?“

Ich bekam keine Antwort, so schaute ich zu Mike.

„Sein bester Kumpel…“, sagte Mike leise.

„Adrian?“, fragte ich schockiert und Mike nickte.

„Erwähn ihn nicht, der kann mir gestohlen bleiben!“, kam es ärgerlich von Oliver.

„Aber der hat doch bisher keine Probleme mit mir gehabt.“, meinte ich verwundert.

„Anscheinend schon… hat sich aber wegen Oliver nie dazu geäußert“, sagte Mike.

„… und warum jetzt?“

Oliver seufzte.

„Ich habe ihm erzählt, dass du jetzt einen neuen Job, in einer gehobenen Gegend hast und auch dort wohnst…“

Oliver erzählte über mich?

„… er ist mir dann ins Wort gefallen und meinte, dann kann ich froh sein, den Abschaum endlich los zu haben…“

Betroffenes Schweigen folgte.

„Dann hast du ihm eine zentriert“, kam es dann von Mike.

Oliver nickte.

„… aber leider nicht fest genug! Er schlug zurück und ich bin dann unglücklich gefallen. Dabei hab ich mir den Unterarm gebrochen.“

„Und wie viel hattest du intus?“, fragte ich sauer.

Dass Oliver nach Feierabend gerne immer einen trinken ging, war ja allgemein bekannt. Deswegen die vielen Schlägereien. Aber das er Streit mit seinem besten Freund bekam, dass war mir neu.

„Nicht viel…, wirklich nicht… zwei oder drei Bier.“

Davon wäre ich schon gut angeheitert.

„Was ist mit Adrian?“, fragte Mike.

„Abgehauen… ich hab ihn seitdem nicht mehr gesehen!“

„Toller Freund!“, meinte ich.

„Bereust du es?“, fragte nun wieder Mike.

Er bekam nicht sofort Antwort, was mich sehr wundert.

„Ich kenn ihn schon seit der Highschool und er hat sich in der Hinsicht nie so derb geäußert.“

„Ist er vielleicht derjenige im Auto gewesen“, hörte ich plötzlich Mike leise sagen.

„Quatsch, woher sollte er denn wissen wo ich arbeite und wann ich laufen gehe?“

„Ich habe Adrian nicht gesagt, wo du arbeitest auch keine Namen genannt!“

„Das glaube ich dir ja, aber dann kann er es auch nicht gewesen sein.“

„Das setzt aber voraus, das es jemand ist, der euch kennt und mit eurem Tagesablauf vertraut sein muss, was uns wieder auf Levis Großvater bringt…, oder jemand der für ihn arbeitet!“, meinte Mike.

„Gut wir laufen meist zum Fluss hinunter, aber eben nicht jeden Tag. Das entscheidet sich meist, wenn wir vor der Haustür sind“, erklärte ich.

„Dann müssen es mindestens zwei sein. Einer, der euch vor dem Haus beobachtet…, der andere im Wagen“, schlussfolgerte Oliver.

„Den ganzen Aufwand, nur um an das ganze Geld zu kommen…“, meinte Mike.

„Der hat doch sicher genug Geld!“

Ich schaute Oliver lange an und stellte dabei fest, dass trotz der vielen gemeinsamen Abendessen, ich ihn so noch nie erlebt hatte.

„Was?

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, warum du mir so fremd geworden bist…?“

Darauf bekam ich als Antwort, nur ein Schulterzucken.

„Ich habe dir schon einmal gesagt“, begann Mike, „wir sind alle älter geworden, daran bist du nicht alleine schuld…!“

Oliver zischte verächtlich.

„…wenn dann wir alle. Auch wenn wir eine Familie sind, jeder von uns ist anders und hat auch andere Ziele fürs Leben.“

„Was für Ziele hast du denn schon?“, kam es abfällig von Oliver.

„Ich würde gerne ein guter Innenausstatter werden, der viele Aufträge an Land zieht… zum Beispiel!“

Auch darauf kam kein Wort von Oliver. Ohne Vorwarnung wurde meine Zimmertür geöffnet. Die Nachtschwester kam herein.

„So meine Herren, die Sonderbesuchszeit ist vorüber! Sie können ihren Bruder morgen wieder besuchen!“

„Du hörst es selbst, Bruderherz, man wirft uns raus“, grinste mich Mike schief an.

„Und das von so einer zierlichen Person!“, kam es von Oliver grinsend.

Die Schwester baute sich vor ihm auf, sie stellte sich direkt vor ihn. Es war ein lustiges Bild, denn Oliver war gut zweieinhalb Kopf größer.

„Junger Mann, sie können sicher sein, ich weiß mich zu wehren!“

„Oliver, lass uns gehen, nicht dass du einen weiteren Gips verpasst bekommst. Und du…“, er schaute zu mir, „halt die Ohren steif, wir sehen uns!“

Grinsend verließ er mit den anderen zwei mein Zimmer. Vor der Tür sah ich einen Mann sitzen. Musste ich mir jetzt Gedanken machen?

*-*-*

„Haben wir alles?“, fragte Mum.

Ich nickte genervt. Schlimm genug, dass ich in diesem Ding sitzen musste, mit dem mich Noah in die Tiefgarage schieben konnte. Es hätte vollkommen genügt, wenn mich Levi abgeholt hätte.

So aber standen nun Levi, Mum und Vanessa vor mir, während Noah schon die Griffe des Rollstuhls in den Händen hielt. Schlimmer war auch noch, dass Levi jeden Ratschlag von den Damen aufgriff und sofort in die Tat umsetzte.

Auf dem Weg hinunter, verbarg ich die Augen hinter meiner Hand. Zu peinlich war es mit diesem Trupp quer durchs Krankenhaus zu laufen, oder besser gesagt zu fahren. Ich saß ja im Rollstuhl.

Zumindest durfte ich alleine in Levis Wagen einsteigen. Während Mum mit Vanessa und Noah sich hinten die Bank teile, saß ich vorne bei Levi. Er machte sich sogar den Umstand, mich anzuschnallen, bevor er selbst einstieg.

Ich sehnte mich nach der Ruhe, die ich im Krankenhaus verleben durfte. Auch wusste ich nicht, wie es weiter gehen sollte. Der Arzt hatte mir grünes Licht für leichte Tätigkeiten gegeben.

Aber die drei anderen Erwachsenen im Wagen, begangen bereits die anfallenden Aufgaben im Haus unter sich aufzuteilen. Ich wurde in keinster Weise berücksichtigt.

„Hallo? Redet nicht so, als wäre ich nicht anwesend!“

„Marcus sitzt da vorne!“, kam es von Noah und tippte mir mit seinem Finger auf meine Schulter.

Levi kicherte. Grinsend schaute ich zu Noah und spürte, wie sehr ich den Jungen vermisst hatte, obwohl ich nur drei Tage weg war. Es war schon verrückt, wie schnell man sich an etwas oder jemand gewöhnen konnte.

„Marcus muss sich noch schonen“, erklärte Vanessa Noah.

„Der Arzt hat gesagt, dass ich leichte Dinge tätigen kann, also werde ich wohl auch mit Noah spielen können!“

Levi schaute kurz zu mir herüber und lächelte mich an.

„Und bitte…, bitte behandelt mich nicht wie ein kleines Kind!“

„Er wird immer mein Jüngster bleiben“, hörte ich Mum hinter mir sagen.

„Ja, daran kann selbst er nichts ändern“, sagte Vanessa.

*-*-*

Ich war froh, als abends endlich Ruhe im Haus einkehrte. Die weibliche Pflegerschaft, war endlich nach Hause gefahren. Man könnte zwar sagen, Mike und Mum hätten sich, an der Haustür, einen Schlagabtausch gegeben, aber er saß nun oben mit Levi im Büro und war nicht wegen mir gekommen.

Während Noah nach diesem ereignisreichen Tag bereits im Bett lag und schlief, saß ich unten im Wohnzimmer und zappte mich durch die zahlreichen Programme. So richtig schien mir nichts zu gefallen.

Levi hatte mir am Mittag erzählt, dass man den Wagen, dem ich meine Blessuren verdankte, an einer Müllkippe entdeckt wurde. Es gab natürlich keine Fingerabdrücke, oder andere Hinweise, was auf den Fahrer schließen würde.

Er war lediglich als gestohlen gemeldet. So konnten wir weiterhin nur vermuten, wer dafür verantwortlich war. Dies alles trug in keiner Weise zur einer Beruhigung meiner Nerven bei, auch nicht, dass draußen in irgendeinem abgestelltem Wagen Officers saßen, die über uns wachen sollten.

Während Levi fest der Meinung war, man würde wieder versuchen, uns etwas an zu tun, war Captain Davis sich sicher, dass dies eine einmalige Aktion bleiben dürfte. Trotzdem hatte er Leute zu unserem Schutz abgestellt.

Ich hörte Gelächter von oben und entriss mich meiner Gedankenwelt. Die Umbaugenehmigung war erteilt worden und nächste Woche wollte Mike mit dem Ausräumen des Speichers beginnen.

So würde ich ihn jeden Tag zu Gesicht bekommen. Diese drei Wochen bei der Familie Scott, hatten mein Leben dermaßen verändert und auf den Kopf gestellt, dass ich mich an dieses große Rundumpaket Familie, erst wieder richtig gewöhnen musste.

In den vergangenen Monaten war nur Mum meine Ansprechpartnerin gewesen, dies hatte sich aber nun um eine Vielzahl an Personen geändert. Und da war noch Levi, mein Boss und Freund.

Alles war neu, aber auch irgendwie total aufregend. Nie hätte ich in meiner Ausbildung gedacht, dass mein späteres Berufsleben mein privates Leben so beeinflussen würde. Ich hörte leichtes Gepolter auf der Treppe, das Gespräch schien ein Ende zu haben.

„Ich hol schon mal den Wein“, hörte ich Levis Stimme.

„Dann geh ich mal meine Tasche holen“, sagte Mike und die Haustür wurde geöffnet.

Was für eine Tasche? Auch wenn das Fernseh lief, war meine volle Aufmerksamkeit auf den Flur gerichtet, wo es jetzt aber total still war. Nur Levi in der Küche konnte ich hören. Das leichte Klirren von Gläsern, wenn man sie aneinander schlug, klang durchs Haus..

Die Haustür wurde wieder zugezogen und wenige Augenblicke später erschien Mike im Wohnzimmer.

„Wie geht es dir?“, fragte er.

„Alles im grünen Bereich!“, gab ich zur Antwort und hob auch noch meinen Daumen nach oben.

Levi betrat das Wohnzimmer, mit einer Weinflasche bewaffnet und drei Weingläser. Ob Levi sich nicht daran erinnerte, dass der Arzt gesagt hatte, kein Alkohol, solange ich die Tabletten nahm? Er stellte die Sachen ab und verschwand wieder.

„Wann beginnen die Umbauten?“, fragte ich.

„Montag! Während die Jungs den Speicher ausräumen werden, werde ich mich mit dem Fensterbauer befassen.“

„Fensterbauer?“

„Ja, Levi hat beschlossen, in jedem Zimmer ein Dachfenster einbauen zu lassen. Am Montag kommt der Fensterbauer vorbei und schaut sich das Gebälk an.“

„So… hat er das, davon wusste ich nichts.“

„Die Idee stammt auch eigentlich von Oliver.“

„Oliver? Was hat der plötzlich mit dem Umbau zu tun?“

Levi kam mit einem Saft zurück.

„Oliver hat die Idee im Krankenhaus aufgebracht und ich fand sie einfach gut“, erklärte mein Freund und setzte sich nun ebenso hin.

Er goss mir Saft ins Glas, während Mike den Wein übernahm.

„Im Krankenhaus? Wann habt ihr euch da getroffen?“

„Als du noch bewusstlos warst“, mischte sich nun Mike ins Gespräch, „wir waren ja alle da und weil wir nicht in dein Zimmer durften, saßen wir im Warteraum.“

„Wie alle?“, fragte ich verwundert.

„Mum, Dad… William und Oliver… und irgendwann kam das Gespräch auf den Speicher. Oliver erzählte von den neuen Fenstern, die, wenn man sie öffnet, sich in einen kleinen Balkon verwandeln.“

„Dad war auch da?“, fragte ich ungläubig.

Ich spürte Levis Hand auf meinem Rücken.

„Ja.“, antwortete Mike nickend.

Fassungslos schaute ich ihn an.

„He unser jüngster wird bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert, meinst du, das lässt einen von uns kalt?“

Immer noch verstört, schüttelte ich leicht den Kopf.

„Deswegen kommt am Montag der Fensterbauer und schaute nach, ob das überhaupt möglich ist.“

Abwechselnd schaute ich zu Mike, dann zu Levi.

„Warum hat mir davon niemand etwas gesagt?“

„Ich wusste nicht, dass dir das wichtig ist!“, meinte Mike.

„Ich kenne meine eigene Familie nicht mehr…“, sagte ich eher zu mir, als zu den beiden.

Mike hob sein Glas und stieß mit Levi an.

„Auf den Umbau“, meinte er.

„Auf dem Umbau!“, erwiderte Levi.

*-*-*

Wie sich später heraus stellte, hatte Levi Mike zu einem Wein eingeladen und falls er wolle, hier zu übernachten. Mein Bett wäre ja frei. Auch wusste ich nun, um den Umstand, dieser mysteriösen Tasche.

Seit Mike hier einmal übernachtet hatte, lag jetzt immer eine Tasche mit Klamotten zum Wechseln im Wagen. Man konnte ja nie wissen. Während Mike nun unten in meinem Bett schlief, lag ich ihm Arm von Levi, der ruhig atmend neben mir schief.

Mich hielten meine Gedanken wach. Zuviel war zu verarbeiten. Haupttenor war wieder diese drei Wochen, in denen so viel passiert war. Auch meine Familie hinderte mich daran, endlich in einen tiefen Schlaf zu fallen.

War das nur ein vorrübergehender Zustand, oder sollte sich wirklich alles plötzlich zum Guten wenden. Mike hatte auch angekündigt, dass mein Vater mit Oliver nächste Woche hier auftauchen würde, um sich die Baustelle noch einmal anzusehen.

Oliver selbst, saß seit zwei Tagen, trotz Gips wieder im Büro und half Vater. Alles Veränderungen, die ich einerseits nicht recht glauben und deswegen auch nicht verarbeiten konnte.

„Kannst du nicht schlafen? Du bist so unruhig!“, hörte ich plötzlich Levis Stimme.

„Entschuldige, wenn ich dich geweckt habe.“

„Hast du nicht. Ich kann selbst nicht einschlafen…“

Er drehte sich zu mir und seine Hand kam auf meiner Brust zur Ruhe.

„Was beschäftigt dich?“, fragte ich und legte meine Hand auf seine.

„Such es dir aus! Der Umbau, meine Großeltern… du…“

„Ich?“

„Ja, ich würde gerne mehr Zeit mit dir verbringen, aber so wie es aussieht…, die Firma, der Umbau, das wird wohl nichts!“

„Aber du hast mich doch jeden Abend…und da ich bei dem Umbau keine handwerkliche Tätigkeiten übernehme werde, kann ich trotzdem darüber wachen.“

„Das meinte ich nicht und ist nicht das Gleiche! Ich würde gerne mit dir etwas unternehmen, so wie andere, wenn sie sich näher kennen lernen.“

„Das kannst du doch, was hindert dich daran?“

„Ach ich weiß auch nicht… der Berg vor mir, scheint irgendwie nicht kleiner zu werden.“

Ich beugte mich etwas vor und gab ihm im Dunkeln einen Kuss.

„Du weißt schon, dass du das nicht alleine bewältigen musst?“

„Ja, aber daran muss ich mich erst gewöhnen. Es ist alles so neu. Zudem musst du dich noch schonen. Auch ein Aspekt, der mir wichtig ist!““

Ich atmete tief durch.

„Das ist ja kein Dauerzustand!“

*-*-*

Die nächste Überraschung gab es am Morgen. Als ich herunter kam, um Mike zu wecken, fand ich dort auch Noah im Bett. Er lag eingekuschelt in Mikes Armen. Er hatte wohl den Weg zu uns herauf nicht gefunden. Sanft rüttelte ich an Mikes Schulter.

„Mike aufstehen… es ist Zeit!“, flüsterte ich leise.

Sein Kopf ruckte hoch und verschlafen schaute er mich an. Dann drehte er seinen Kopf zu Noah.

„Oh!“, war alles was ich von ihm zu hören bekam.

Grinsend verließ ich mein Zimmer und traf Levi im Flur.

„Lust zum Laufen?“

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, meinte ich und griff mir an die Brust, wo immer noch der Verband saß.

„Ich meine auch nicht joggen, sondern einfach nur laufen, einmal um den Block.“

Dagegen war nichts einzuwenden, denn es war auch Bewegung.

„Okay, dann zieh ich mir schnell etwas anderes an.“

„Den Verband können wir ja später wechseln, wenn Ella in der Schule ist. Oder wir schauen kurz beim Doc vorbei, der kann mir dann zeigen, wie man das richtig macht!“

Als ob er das nicht schon längst wüsste. Darauf erwiderte ich nichts und lief in mein Zimmer zurück.

Mein erster Gang war das Bad, ich wollte noch meine Zähne vorher putzen. Dort stand gerade Mike unter der Dusche. Kurz betrachtete ich mir das Glanzstück von Bruder. Wen den mal abbekam, konnte sich glücklich schätzen.

„He starr nicht so! Ich bin dein Bruder!“

„Na und, es gibt auch Brüder, die es mit einander treiben!“, kicherte ich und griff nach meiner Zahnbürste.

„Echt?“, kam es von der Dusche.

„Klar!“, grinste ich.

„Du würdest mit deinem Bruder…“

Mike, bitte! …beeil dich, unten wartet sicher schon dein Frühstück“, sagte ich etwas lauter und drehte mich wieder zum Waschbecken.

Natürlich war mir nicht entgangen, dass Mikes Heiligtum, ordentlich an Größe zugenommen hatte. Sein Kopfkino schien ihm wohl übel mitzuspielen. Im Spiegel sah ich, wie er sich verschämt wegdrehte, während ich grinsend meine Zähne putze.

Später, als ich in die Küche kam, hatte Sofia wie vermutet, für Mike ein Frühstück gerichtet. Es folgte ein kurzer Plausch mit ihr, wo ich ihr versicherte, dass es mir besser ging. Unterbrochen wurden wir von Levi, der meine Jacke brachte.

„Ihr wollte joggen gehen?“, fragte sie leicht entsetzt und zeigte dabei auf meinen Brustbereich.

„Keine Sorge, Sofia. Marcus und ich laufen ganz normal um den Block und gehen dann zu Doc Weiser, den Verband wechseln. Das ist ja schließlich auch Bewegung.“

Sie grinste nur und sagte nichts weiter dazu. Im Flur ging Levi in die Knie und zog meine Schuhe herbei.

„Setz dich!“, sagte er und zeigte auf die Treppe.

„Das kann ich selber tun!“, meckerte ich.

„… und hast dann wieder Schmerzen! Also setz dich, denn dieser Luxus meiner Hilfe kommt dir nur bis zum Wochenende zu Gute.“

Ohne weitere Widerworte ließ ich mich auf der Treppe nieder und beobachtete Levi beim Schuhe anziehen. Dies geschah ohne Probleme, hatte er dank Noah, mit so etwas genug Übung.

Er stand auf und reichte mir seine Hand. Lächelnd ließ ich mich hochziehen. Als ich vor das Haus trat, fiel mein Blick natürlich auf die Straße, wo der morgendliche Berufsverkehr zu Gange war.

Alles schien normal, was es auch war. Die ganze Sache würde mir sicher noch eine Weile nach hängen. Die Bandage am Fuß war zwar ab, doch zog es am Knöchel, bei jeder einzelnen Treppenstufe.

Levi schloss hinter sich die Tür zu und kam zu mir herunter. Ohne mich zu fragen, griff er nach meiner Hand. Der Herr wollte also Händchen halten und das vor der ganzen Nachbarschaft, oder wer uns auch immer heimlich beobachtete.

Mir sollte es Recht sein, Klarheit war immer besser. Ich genoss die ersten Sonnenstrahlen, die sich in den Häuserschluchten ihren Weg bahnten.

„Über was denkst du nach?“, riss mich Levi aus den Gedanken.

„Wie schön es ist, hier mit dir zu laufen“, lächelte ich ihn an.

„Stimmt!“, erwiderte er mein Lächeln, „genau genommen, könnte alles so schön sein, wenn da nicht immer einer wäre, der die Steine in den Weg legt.“

Ich wusste, worauf er anspielte und hielt kurz inne.

„Wäre das Leben dann überhaupt interessant, wenn alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre?“

Er nickte und zog mich weiter.

„Da hast du wohl Recht, aber muss es gleich so gebündelt hart kommen? Du siehst selbst, was in den drei Wochen, seit du hier arbeitest, passiert ist.“

„Ich möchte aber, diese drei Wochen, mit nichts auf der Welt tauschen.“

„Du siehst immer das Positive, oder?“

„Bestimmt nicht! Auch bei mir besteht viel Grübelbedarf!“

„Zum Beispiel?“

Wir hatten die Ecke zur an der State Street erreicht und bogen automatisch nach links. Bis vor an die Atlantic Ave, wo sich der Bilderladen befand, wäre zu weit gewesen.

„Mal die aktuelle Situation außer Acht gelassen, wäre da zum Beispiel meine Familie, die gerade einen Wandel durchläuft.“

„Positiv, oder negativ?“

Ich lächelte erneut.

„Im positiven Sinne. All diese Vorfälle, der vergangenen Wochen, haben mich meiner Familie näher gebracht! Näher, als ich mich jemals erinnern kann.“

„Das ist doch gut, oder?“

„Schon, aber es erinnert mich auch schmerzlich daran, was in der Vergangenheit alles vorgefallen war und erst dieses distanzierte Verhalten in der Familie geschaffen hat.“

Die nächste Kreuzung war schnell erreicht und wir liefen auf der Garden Street, der Parallelstraße zu Henry Street, wieder Richtung  Joralemon Street zurück.

„Ich entdecke leider immer wieder, wie wenig ich doch über meine Brüder weiß!“

„Und dass stimmt dich nachdenklich und traurig?“

Ich nickte und spürte, dass Levi kurz meine Hand etwas fester drückte.

„Sieh es als Chance an, sie noch einmal neu kennen zu lernen. So gesehen tu ich das gerade auch, wobei mir bis jetzt Michael am liebsten ist.“

„Den hast du auch am meisten bis jetzt gesehen und er ist mir nicht ganz unähnlich.“

„Stimmt, ihr habt einiges gemeinsam, aber doch seid ihr grundverschieden.“

„Was gefällt dir an Mike?“

Ich konnte schon Doc Weisers Straßenschild erkennen.

„Seine Gelassenheit, Dinge zu sehen und natürlich wie liebevoll er mit Noah umgeht!“

„Wer mit Noah gut kann, hat bei dir gleich viele Pluspunkte.“

„Natürlich! Noah und auch Ella, sind für mich mit die wichtigsten Personen in meinem Leben! Es ist meine kleine Familie.“

„In der du mir jetzt einen kleinen Platz geschaffen hast! Danke!“

Levi sah mich an und lächelte breit. Mittlerweile hatten wir Doc Weisers Praxis erreicht und ich schaute auf meine Uhr.

„Du, lass mich doch alleine zu Doc Weiser hinein gehen, sonst reicht es dir nicht mehr Ella rechtzeitig in die Schule zu bringen.“

Auch Levi schaute nun ebenso auf seine Armbanduhr.

„Du hast leider Recht.“

„Das Stück bis zum Haus kann ich dann auch alleine bewältigen.“

„Bist du dir sicher, ich will keine neuen Überraschungen.“

„Du kannst mich ja danach wieder abholen, wenn dir das lieber ist.“

„Das machen wir, also bis gleich“, meinte er, trat an mich und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Dann setzte er sich in Bewegung, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen, um mir zu zuwinken. Ich lächelte und winkte zurück. Dann lief ich die wenigen Stufen hinauf und betrat die Praxis.

*-*-*

„Ich habe ihnen hier eine Salbe aufgeschrieben, die sie bis zu dreimal täglich auftragen können“, erklärte mir Doc Weiser.

„Pferdesalbe?“, fragte ich verwirrt.

„Ja! Vieles in der Tiermedizin kommt ursprünglich auf der Humanmedizin…, in diesem Fall ist es gerade umgekehrt. Durch die vielen Kräuter dieser Salbe, wärmt, aber kühlt auch die Stelle, auf die man sie aufträgt. Zudem pflegt sie die Haut!“

„Das ist mir neu, aber ich probiere es gerne aus!“

„Dann sehen wir uns in zwei Tagen!“

„Ja, danke, Doc Weiser.“

Vorsichtig zog ich das Shirt über, bevor ich in meine Jacke überstreifte. Dann verließ ich mit dem Doktor den Behandlungsraum. Gerade rechtzeitig, denn durch die Eingangstür traten Noah und Levi.

„Hallo Noah“, hörte ich die Sprechstundenhilfe sagen.

„Hallo Tante Nora.“

Auch der Arzt begrüßte die beiden. Wenig später waren wir wieder auf der Straße.

„Weißt du, wo die nächste Apotheke ist?“

„In der Court Street, warum fragst du?“, wollte Levi wissen, als wir den Weg zum Haus einschlugen.

„Der Doc hat mir eine Salbe aufgeschrieben, die könnten wir nach dem Frühstück holen gehen.“

„Oder im Internet bestellen! Du weißt nicht, ob sie diese vorrätig haben.“

„Auch wieder wahr, aber es wäre Bewegung, denn es gibt nichts Schlimmeres, als die ganze Zeit tatenlos im Bett zu liegen! Lass uns frühstücken gehen, ich habe langsam Hunger.“

„Habe auch Hunger“, sagte Noah und bemächtigte sich meiner Hand.

Was sollten nur die Leute denken? Jetzt lief ich schon mit dem zweiten Mann aus dem scottschen Haushalt Hand in Hand durch die Straßen. Lächelnd lief ich mit Noah und Levi zum Haus.

*-*-*

„Halt, nimm deine Jacke mit nach oben und lass deine Schuhe gleich an!“

„Wieso?“, fragte ich Levi.

.“Dein Bruder hat angerufen, der Dachboden wird heute schon geräumt.“

Und ich wunderte mich schon, warum die Garderobe leer war und keine Schuhe auf dem Boden standen.

„Schon? Wollten die nicht erst nächste Woche anfangen?“

„Mike hat erklärt, dass es zeitlich besser passen würde.“

„Okay, ich will mir eh etwas anderes anziehen.“

„Soll ich dir helfen?“

„Geht schon und wenn ich Hilfe brauche, Noah ist ja bei mir!“, grinste ich Levi an.

Darauf sagte er nichts und verschwand in die Küche. Als ich eine viertel Stunde später, frisch umgezogen und dass ohne Noahs Hilfe, in Sofias Reich erschien, saß Noah bereits bei seinem Bruder.

Wortlos ließ ich mich auf meinem gewohnten Platz nieder. Ich griff nach dem Toast.

„Ich muss später kurz in die Firma, falls etwas ist.“

„Kein Problem!“, erwiderte ich und bestrich den Toast mit Erdnussbutter.

„Die Geschenkkartons scheinen gut anzukommen. Wir wollen uns zusammen setzten und beraten, ob wir das Angebot erweitern sollen.“

„Du meinst die Figuren, die Noah bemalt hat?“

„Ja!“, antwortete Levi, „Noahs Bild hat mich darauf gebracht. Das Haus das ihr gemalt habt. Jakob hatte noch die Idee mit Haustieren und Emily kam mit Blumen und Bäumen.“

„Sicher interessant und da gibt es sicher noch viele Möglichkeiten.“

„Deswegen die Besprechung.“

„Wie gesagt, das ist kein Problem, ich bin ja da.“

„Pass aber bitte auf dich auf und übertreib es nicht!“

Dies sagte er mit einem Lächeln, bevor er sich weiter seinem Frühstück widmete.

*-*-*

Wie vermutet, war Noah schnell in seinem Zimmer verschwunden, als die ersten Arbeiter auftauchten. Vor dem Haus stand ein großer Lkw, der schnell zum Verkehrshindernis wurde.

Ich selbst saß in meinem Zimmer am Schreibtisch und versuchte mich in künstlerischer Art.

Sprich ich zeichnete das Haus von Noahs Bild.

„Pass doch auf Junge“, hörte ich es plötzlich vom Flur.

Automatisch drehte ich mich zum Flur und sah Noah ins Zimmer rennen.

„Ist etwas passiert?“, fragte ich, aber Noah schüttelte nur den Kopf.

Er ließ sich vor mir auf den Boden nieder. Dabei hatte er einen Block und seine Holzbuntstifte.

„Was malst du da?“

„Zimmer…“, war seine knappe Antwort, was natürlich meine Neugier weckte.

Ich beugte mich etwas vor und versuchte auf das besagte Bild einen Blick zu erhaschen. Das war doch eine 3D Grafik von Ellas Zimmer.

„Wo hast du das her?“

„Von Onkel Mike.“

„Darf ich mal sehen?“

Noah setzte sich auf und reichte mir den Block. Es war wirklich die Grafik, die ich von Mikes Programm gesehen hatte. Was mich aber mehr erstaunte, wie genau Noah das Bild bisher ausgemalt hatte.

Nicht ein Farbübertritt war zu erkennen, keine der schwarzen Umrandungen war übermalt worden. Auch war es kein wildes Durcheinander der Strichführung, wie man es bei einem Kind vermuten würde.

Nein, es waren gleichmäßige Striche, die nebeneinander, die Flächen ausfüllten.

„Das hast du toll gemacht!“

Noah lächelte, als ich ihn den Block zurück gab. Er legte sich wieder auf den Bauch und malte weiter, aber nicht ohne, den Blick zum Flur zu vernachlässigen. Jedes Mal, wenn einer von Mikes Mitarbeitern die Treppe, hinauf oder hinunter lief, hob Noah den Kopf.

Man konnte zwar nicht sehen, wer unser Stockwerk querte, aber eben hören. Mein Blick fiel wieder auf die Zeichnung. Es half nichts, irgendetwas musste geschehen. Ich schloss kurz die Augen, bevor ich mich wieder zum Schreibtisch drehte.

Ohne weiter Nachzudenken, öffnete ich das Internet und gab bei der Suche „Hilfsmittel Alphabeth“ ein. Natürlich flammten nach wenigen Sekunden zichtausend Vorschläge auf. Ich ging auf Bilder und erneut wechselte der Monitor auf eine andere Seite.

Mehrere Bücher waren dort zu sehen, aber auch fein geschriebene Buchstaben oder Zahlen. Auch konnte ich einige Vorlagen für Lernzwecke entdecken. Ich änderte den Suchbegriff auf „Alphabeth erlernen“ und wieder bauten sich neue Bilder vor mir auf.

Da gab es schon mehr Bildervorschläge, die mir gefielen. Einige waren frei herunterladbar, andere, dafür musste ich bezahlen. Aber das war mir egal, solange es Noah vielleicht helfen konnte.

Ich war so sehr ins Internet vertieft, dass ich nicht bemerkt hatte, dass Noah das Zimmer verlassen hatte. Erst als ich seine Stimme hörte, wurde mir bewusst, dass er nicht mehr bei mir war.

„Onkel Mike, kann ich helfen?“

Ich stand auf und lief in den Flur.

„Nein Noah, das ist zu gefährlich, aber wir sind eh bald fertig…, falls du willst, kannst du nachher beim Saubermachen helfen. Hast du das Bild das ich dir gegeben habe schon fertig?“

Mike stand mit zwei Stühlen in den Händen vor Noah.

„Nein, aber fast!“

„Dann mal es bitte fertig, ich brauche das nachher wieder.“

„Okay“, rief Noah und rannte an mir vorbei ins Zimmer.

Mike grinste mich an und lief zur nächsten Treppe.

„Für was brauchst du das Bild?“

„Um Ella es besser erklären zu können, bevor wir anfangen es umzubauen. Vielleicht hat sie ja noch Ideen, die wir einfließen lassen können.“

„Danke“, meinte ich und lächelte ihn an.

Er lief weiter die Treppe hinunter und ich ging zu Noah zurück.

*-*-*

Während Noah oben mit Mike zu Gange war, saß ich am Drucker und ließ mir die ersten Vorlagen ausdrucken. Levi war auch wieder zurück und in seinem Büro verschwunden, aber nicht ohne mich mit einem kleinen Küsschen zu begrüßen.

Die Idee Noah mit dem Alphabeth zu testen, fand er auch gut, erinnerte ihn aber auch daran, dass er für seinen kleinen Bruder einen Termin ausmachen musste. Doc Weiser war so nett, uns an die richtigen Stellen zu verweisen, um Noah erneut testen zu lassen.

Und damit alles gut lief, sollte ich mit von der Partie sein. Mir war das ganz recht, so konnte ich hautnah miterleben, wie Noah sich bei den verschiedenen Tests anstellen würde.

„Kommst du morgen wieder?“, hörte ich Noahs Stimme im Flur.

„Ja und übermorgen und überübermorgen und ganz oft dann…“, antwortete Mike.

„Tolllll!“, rief Noah laut und polterte die Treppe hinunter.

„Noah!“, kam Levis mahnende Stimme.

Sofort verstummte das Gepolter. Wenig später hüpfte Noah in mein Zimmer. Von Mike konnte ich nichts sehen, er war wohl bei Levi ins Büro abgebogen. Der Junge wollte sich auf mein Bett werfen, aber ich stoppte ihn.

„Boah, wie siehst du denn aus?“

Seine Klamotten waren staubig, Spinnweben konnte ich sehen und sein Gesicht und die Hände waren Ruß verschmiert. Noah selbst lächelte mich nur an, er schien glücklich zu sein. Ohne dass ich weiter etwas sagen musste, lief Noah in mein Bad. Ich stand gerade auf, als Mike an der Tür erschien.

„Ich bin dann weg, wir sehen uns morgen wieder!“

„Wie weit seid ihr gekommen?“

„Mein Tagesziel ist erreicht, der Speicher ist leer und dank Noah auch sauber“, grinste mich Mike an.

„… ja der ganze Dreck hängt jetzt an ihm!“

„He, Kinder sind nun mal so!“

Als Antwort streckte ich ihm die Zunge heraus und folgte Noah in mein Bad. Abrupt blieb ich stehen. Noah hatte sich bis auf seine Shorts ausgezogen. Meine Brauen wanderten nach oben, die Augen wurden groß.

„Will duschen…“, war alles was Noah zu mir sagte.

Bisher hatte Levi das immer übernommen. So ein Bruderding zwischen den beiden. Ich drehte mich auf der Stelle herum, lief ins Zimmer zurück und schloss die Tür. Sollte ich das jetzt wirklich machen?

Noah zu säubern hieß, ich musste mit unter die Dusche. Das bedeutete aber auch, dass ich mich ebenso nackt auszog wie er. An sich sollte das ja kein Problem sein, wie Levi sagte, hatte der Junge mich schon ein paar Mal nackt gesehen.

Ein anderes Problem tat sich aber auf, ich hatte immer noch den Stützverband auf meiner Brust.

„Ich kann aber nicht wie Levi mit dir unter die Dusche, Noah.“

„Warum?“

„Du weißt, ich habe mich an den Rippen verletzt…“

Ich zeugte auf den Brustbereich.

„… und ich trage immer noch den Stützverband und der darf nicht nass werden!“

„Dann zieh ihn aus…“

„Noah, das kann ich nicht, wenn ich den ausziehe, kommen die Schmerzen wieder.“

Noah schaute mich traurig an, warum auch immer.

„Weißt du was, ich rufe einfach Levi herunter, okay?“

Noah nickte. So verließ ich das Bad erneut und lief hinaus in den Flur.

„Levi?“, rief ich laut die Treppe hinauf.

Ein Ja war zu hören.

„Kannst du bitte mal herunter kommen?“

Es dauerte nur wenige Sekunden und Levi erschien an der Treppe oben.

„Was ist? Hast du wieder Schmerzen?“, fragte Levi besorgt.

„Nein, alles gut! Noah hat Mike beim Speicher säubern geholfen und steht jetzt vor Dreck. Er lief in mein Bad und hat sich ausgezogen…, aber ich kann nicht mit ihm Duschen…, der Stützverband.“

Ich zeigte auf meine Brust. Levi fing breit an zulächeln und lief die Treppe herunter. Er ging an mir vorbei und sparzierte direkt in mein Zimmer.

„Noah, wie siehst du denn aus? Bist du in den Kamin gefallen?“, hörte ich Levi laut lachen.

Ich folgte ihn und sah dann, wie er gerade Noah zur Dusche schob. Ich schloss meine Tür, obwohl niemand anderes im Haus war.  Levi selbst zog seine Socken und Shirt aus. Die Jeans behielt er an.

Er griff nach dem Duschkopf und öffnete das Wasser.

„Kalt… kalt… kalt“, hörte ich Noah sagen.

„Wird gleich wärmer“, sagte Levi. Ich bückte mich und hob Noahs Wäschehaufen auf. Kurz überlegte ich, ob ich ihn, in das gemeinsame Bad von Ella und Noah tragen sollte. Ich entschied mich dagegen und schmiss es einfach in meine Wäschetonne.

Da die Putzfrau Emma sicher alles gemeinsam waschen würde, war es egal, wo Noahs Sachen drin waren. Noah begann albern an zu kichern, als Levi begann ihn nass zu machen. Dann reichte er Noah den Duschkopf.

Er griff nach meiner Shampooflasche und machte sich davon etwas in die Hand, bevor er sie wieder auf die Ablage stellte.

„Augen zu!“, sagte Levi und begann Noahs Haare einzuseifen, der immer noch mit dem Duschkopf auf seine Füße zielte.

„Riecht nach Markus“, hörte ich Noah sagen und musste grinsen.

„Ja!“, meinte Levi, nahm ihm den Duschkopf ab und steckte ihn wieder in die Befestigung zurück.

Dann begann er Noah von oben nach unten an komplett einzuseifen. Fasziniert schaute ich den beiden zu und immer wieder schallte Noahs Kichern durchs Bad.

„Boah, so dreckig warst du schon lange nicht mehr!“

„… mit Onkel Mike den Speicher sauber gemacht.“

„Das weiß ich und das hast du auch toll gemacht!“

Levi griff erneut nach dem Duschkopf und begann Noah den Schaum vom Körper zu spülen. Mein Blick haftete auf seine Rücken. Jede einzelne Muskelbewegung zog ich in mir auf. Natürlich war mir auch nicht entgangen, dass sich Noahs untere Region etwas regte.

Der Junge war vierzehn und fast so gut gebaut, wie sein Bruder. Levi musste wirklich bald mit dem Jungen reden, das würde noch eine schwierige Aufgabe geben. Als Levi das Wasser abdrehte, wanderten meine Gedanken zurück in die Realität, griff nach einem Handtuch und reichte es Levi.

„Danke!“, meinte Levi lächelnd.

Er begann Noah trocken zu rubbeln, während ich nun das Bad verließ. Ich hob Noahs Malsachen vom Boden auf und legte sie auf meinen Schreibtisch.

*-*-*

Während Noah ständig mit Levi beim Abendessen herumalberte, saß Ella still an ihrem Platz, kaute und betrachte sich Noahs gemaltes Bild.

„Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte ich.

„Doch, alles in Ordnung… es ist nur…, irgendwie kann ich nicht glauben, dass das Noah gemalt hat.“

„Noah hat das gemalt!“

Obwohl Noah mit Levi Blödsinn machte, hörte er auf das, was seine Schwester sagte.

„Du kannst es ruhig glauben, ich saß die ganze Zeit neben ihm.“

„Warum glaubst du es nicht?“, fragte nun Levi.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so genau hinbekommen würde.“

Levi schaute kurz zu mir.

„Du Ella, mir geht es schon eine Weile so und wenn Marcus mich nicht drauf gebracht hätte, würde ich mich wie du einfach wundern.“

„Was meinst du damit, dass Marcus dich darauf gebracht hat…?“

Wieder schaute Levi zu mir und ich nickte ihm lächelnd zu.

„Dass…, dass da vielleicht mehr ist…, dass die Diagnose, die der Arzt damals unseren Eltern mitgeteilt hat, nicht richtig ist, oder einfach nach dem medizinischen Stand von damals beurteilt wurde…!“

Nun war es Ella, die zuerst zu mir, dass wieder zu Levi schaute.

„Du meinst…“

„Was Levi zu sagen versucht ist, dass Noah vielleicht viel mehr könnte, wenn man ihn richtig fördert. Aber dazu müsste man ihn erst mal testen…, oder besser gesagt ihn einer erneuten Untersuchung unterziehen.“

„Ist das denn wirklich nötig?“

„Wenn wir es nicht machen, werden wir nie wissen, ob da vielleicht mehr ist. Außerdem wäre es unfair deinem Bruder gegenüber, falls es eine Chance gebe, dass er viel mehr lernen kann.“

„Das leuchtet mir schon ein…, ich will nur nicht, dass sich der Kleine irgendwie quälen muss.“

„Keine Sorge…, ich werde immer dabei sein und auf ihn aufpassen“, mischte ich mich in das Geschwistergespräch ein.

„Das bringt mich zu einer anderen Frage…, fühlst du überhaupt dich fit genug, uns am Montag in den Zoo zu begleiten?“, fragte Ella und zeigte auf meine Brust, „wenn nicht, wäre es schade, weil ich möchte nicht auf deinen Rat verzichten, falls ich einen brauche!“

Diese Äußerung trieb mir fast die Tränen in die Augen, so gerührt war ich darüber.

„… ähm, auch da brauchst… du dir keine Gedanken zu machen.“

„Er muss nur auf sich aufpassen und alles langsam angehen!“, kam es mahnend von Levi.

„Ich habe doch meinen Aufpasser dabei“, sagte ich lächelnd und wuschelte Noah durch seine wirren Haare, „nicht Noah?“

„Noah passt auf Markus auf, dass er nicht auf die Straße rennt!“, sagte Noah strahlend.

Die Lachsalve, die Folgte ging zwar auf mein Konto, aber damit konnte ich leben.

*-*-*

„Wird dir das auch nicht zu viel?“, fragte Levi, der im Supermarkt neben mir her lief.

„Ich werde mir doch nicht den Samstagmorgenfamilieneinkauf entgehen lassen!“, lächelte ich ihn an, „außerdem bin ich mit dir zusammen!“

So richtig überzeugt schien er nicht, sein besorgter Gesichtsausdruck sprach Bände.

Ich stoppte mit dem Wagen, den ich schob.

„Levi, ich habe keine Schmerzen, solange ich keinen plötzlichen und unüberlegten Bewegungen mache, auch werde ich davon Abstand nehmen, schwere Sachen hier zu heben. Du kannst also ganz beruhigt sein!“

Levis Augenbraun gingen nach oben, als würde er mir das nicht glauben.

„Komm, gib mir die Liste und nimm du den Wagen, der wird nämlich langsam schwer!“, sagte ich und nahm ihm den Zettel aus der Hand.

Dann trat ich zur Seite und zeigte auf den Griff des Einkaufswagens. Er begann breit zu grinsen. Im Wagen lagen erst ein paar Sachen. Wir wechselten den Platz und nun schob er den Wagen.

Wenn dieser so voll wie letztes Wochenende werden würde, sollte ich ihn wirklich nicht mehr schieben.

„Was brauchen wir als nächstes?“, fragte Levi.

„Zwiebeln und Kartoffeln.“

„Dann mal ab zur Gemüseabteilung!“

*-*-*

Natürlich kam ich selbst an ein paar Sachen nicht vorbei und das Auto war gut gefüllt.

„Ich hätte heute Lust auf Chinesisch, wer noch?“, rief Levi beim hineintragen.

„…ich, ich, ich“, kam es von Noah, der seine Hand hoch hielt.

Ella stand mit mir am Küchentisch und half mir die Sachen zu verstauen. Kurz würdigte sie mich mit einem Blick. Ich zuckte mit den Schultern.

„Wir auch“, rief sie dann und ich lächelte sie an.

Nach dem Einräumen der Vorräte, hingen wir dann zu viert über der Menükarte und überlegten, was wir bestellen sollten. Es dauerte fast noch eine weitere Stunde, bis dann endlich der Lieferservice vor der Tür stand.

Die kleinen lustig bunten Kartons standen nun inmitten des Tisches. Jeder hatte eine Schale vor sich und wir drei Stäbchen. Noah hatte einen Löffel in der Hand.

„Möchtest du es mal auch mit Stäbchen versuchen?“, fragte ich den Jungen, nachdem ich Kinderstäbchen in der Besteckschublade gesehen hatte.

Die Stäbchen waren am Ende mit einer bunten Feder verbunden, um das Essen zu erleichtern.

„Kann ich nicht!“, meckerte Noah.

„Komm ich zeig es dir, geht ganz leicht!“, erwiderte ich, stand auf und holte die Stäbchen.

Ella und Levi saßen gebannt da und sagten gar nichts. Ich ließ mich wieder neben Noah nieder, legte ihm die Stäbchen gleich richtig in die Hand.

Levi hatte Noahs Schüssel bereits gefüllt. Natürlich ging gleich der erste Versuch schief und alles fiel wieder in die Schüssel.

„Kann das nicht…!“

„Noah, selbst mir fällt ab und zu Reis herunter…, probiere es noch einmal!“

Wieder drückte Noah, mit seinen Fingern, die Stäbchen vorne zusammen und dieses mal schaffte er es ein Stück Ente in den Mund zu führen. Freudenstrahlend schaute er zu seinen Geschwistern. Levi klatsche Beifall.

„Du kannst die Schüssel auch in die Hand nehmen und dicht vor den Mund halten…, schau so“, sagte Noahs Bruder und zeigte es ihm.

Das lustige an der ganzen Geschichte war, Noah leerte seine Schüssel in Rekordzeit und wollte als erster Nachschub.

*-*-*

Levi stand oben an der Haustür, als ich die leeren Kartons in der Mülltonne entsorgte.

„Hättest du hier für auch schon eine Idee?“, fragte er plötzlich und ich drehte mich zu ihm.

„Was meinst du?“

Er kam die Treppe herunter und gesellte sich zu mir.

„Ich meine hier, der kleine Platz, vor dem Haus. Samstags ist mir schon öfter aufgefallen, dass dort viele Nachbarn ihre Zeit verbringen. Schwebt dir etwas vor, wie wir unseren Platz vor dem Haus schöner machen könnten?“

Er nahm mich von hinten in den Arm und lächelte.

„Idee schon, aber der Umbau ist jetzt wichtiger, oder?“

Er atmete tief durch.

„Da magst du wohl Recht haben, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich irgendwie alles hab schleifen lassen.“

Ich löste mich aus seiner Umarmung und zog ihn zur Treppe. Zum einen störte mich der Geruch der Mülltonnen, zum anderen war dieser Tag, doch etwas anstrengend gewesen, sprich meine Rippen meldeten sich.

So ließ ich mich einfach auf der Treppe nieder und zog Levi an der Hand zu mir. Ich ließ sie auch nicht los, als er endlich saß. Es war mir egal, ob Nachbarn hinter irgendwelchen Küchengardinen standen und dies mitbekamen.

„Warum bist du immer noch der Meinung, du hast alles vernachlässigt? Hast du das, was du dir vorgenommen hast, nicht erreicht?“

„Doch schon, aber…“

„Es gibt kein aber, Levi“, fiel ich ihm ins Wort, „die Firma läuft gut und du hast zwei wundervolle Geschwister groß gezogen!“

Ich sah das Aber weiterhin deutlich in seinen Augen.

„Du hast so viel geschafft, du kannst stolz auf dich sein und dass du jetzt mehr Möglichkeiten hast…, schau nicht zurück, was du hättest besser machen können, sehe es eher als Chance, jetzt noch viel Möglichkeiten zu haben!“

Deutlich spürte ich, dass er etwas sagen wollte, aber es irgendwie nicht in Worte fassen konnte.

„Deine Tante Vanessa hatte schon Recht mit ihrer Vermutung, dass durch mich frischer Wind in die Familie kommt. Sehe es aber nicht als Hinweis meinerseits, dass du etwas falsch gemacht hast, sondern als Vorschlag, was alles möglich sein könnte…“

Eine einzelne Träne lief über seine Wange.

„… und du musst dabei auch an dich denken, damit du nicht zu kurz kommst. Mir steht es nicht zu, dich für die Vergangenheit zu kritisieren…, da gibt es auch nichts zu kritisieren, denn ich ziehe den Hut ab… vor dir, für das, was du in dieser Zeit alles fertig gebracht hast!“

Etwas umständlich nahm er mich in den Arm.

„Danke!“, flüsterte er mir ins Ohr.

„Nicht dafür! Dafür bin ich da…,  und ich rede jetzt nicht von meinem Job! Ich bin dein Freund und versuche dich mit allen Mitteln und meiner Liebe zu dir, dich zu unterstützen, wo es geht!“

„Trotzdem danke! Ich wüsste gerade nicht, wo mir der Kopf steht, wenn ich dich nicht hätte.“

„Ach hier seid ihr! Noah fragt, wann ihr zum Spielen kommt?“, unterbrach Ella unser Gespräch.

Sie stand im Türrahmen der Haustür und lächelte uns an.

„Wir kommen“, meinte Levi und räusperte sich.

Er half mir auf und gemeinsam betraten wir das Haus.

*-*-*

Ich wusste es schon immer. Geld zu Geld! Aber dass Noah derjenige war, der gerade bei Kindermonopoly das meiste Geld abzockte, blieb mir ein Rätsel. Schweren Herzens gab ich ihm abermals die Miete für sein Haus.

Viel Geld besaß ich nicht mehr und wenn es so weiter ging, war ich bald bankrott. Entweder ich verkaufte eine der wenigen Straßen, die sich noch in meinem Besitz befanden, oder das Spiel endete bald für mich.

Levi und Ella dagegen saßen beide grinsend hinter ihren Geldbüscheln, die sie wie Noah unter die Spielplatte geklemmt hatten. Mein weniges Spielgeld, lag auf einem winzigen Haufen vor mir.

Eigentlich hatte ich bei diesem Spiel nie Probleme und mich gegen meine Brüder durch gesetzt. Aber hier wurden mir deutlich meine Grenzen gezeigt. Ich nahm die Würfel und ließ sie auf Spielfeld gleiten. Eine Sieben.

Mit meinem Hut zog ich sieben Felder weiter und kam auf den Westbahnhof. Das war es dann wohl! Nun gingen auch noch meine restlichen Scheinchen flöten. Grinsend hob Levi mir die Hand entgegen.

Ich zählte erst gar nicht nach, sondern nahm das Papiergeld und legte es auf Levis Hand. Er nahm es entgegen und ordnete es gleich ein. Dann reichte er mir ein Schein der Monopoliwährung zurück.

„Der ist zu viel!“, meinte Levi breit grinsend.

Einen Monopoly Dollar! Wie gütig von ihm.

„Ich geb auf“, sagte ich, schob meine wenige Straßen zusammen und legte sie auf der Mitte des Spielfeldes ab.

Etwas enttäuscht schaute mich Noah an.

„Da müsst ihr wohl alleine euren Reichtum vermehren“, sprach ich weiter und stand auf.

„Wo willst du hin?“, fragte Noah.

„Auf die Toilette!“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

So ließ ich die drei im Wohnzimmer zurück und lief hoch ins Zimmer.

„Alles klar?“, erschien Levi plötzlich im Flur.

„Ja…, ich muss wirklich auf die Toilette.

„Ähm… okay…“

So ließ ich einen dumm in die Wäsche guckenden Levi zurück.

*-*-*

Immer noch drang das Gelächter von unten herauf. Ein unbeschwertes und fröhliches Lachen, da musste selbst ich grinsen, auch wenn ich nicht wusste, um was es ging. Es tat gut, hier nur auf meinem Bett zu liegen und nichts zu machen.

Aber lange konnte ich hier nicht mehr liegen, denn unten hörte es sich so an, als würden sie zusammen räumen, mit dem spielen aufhören. Es würde also nicht mehr lange dauern und einer der zwei Brüder würde an meiner Tür stehen.

Aber nichts dergleichen geschah. Ich konnte weder jemand auf der Treppe hören, noch war zu ergründen, was unten vor sich ging. Nur leise Stimmfetzen drangen ab und wann nach oben. Neugierig setzte ich mich auf und rieb mir dabei die Brust, auch wenn es nicht weh tat.

So gesehen hatte ich ja eigentlich mein freies Wochenende, aber war das jetzt nicht irgendwie hinfällig? Ich war jetzt mit Levi zusammen. Vertrug sich das überhaupt – Boss und Lover? Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht.

Mein Job war es, mich um die Zwillinge zu kümmern. Würde ich das aber nicht sowieso tun, jetzt wo ich mit Levi liiert war? Wie sagte ich – Levi helfen und unterstützen, wie es in meiner Macht steht.

War da eine Bezahlung denn dann überhaupt noch gerechtfertigt oder legal? Aber wie sollte ich sonst mein eigenes Geld verdienen? Für all diese Fragen wusste ich gerade keine Antwort. Wie würde es jetzt weiter gehen? Wie hatte sich Levi das gedacht?

„Kommst du runter?“

„Hm?“

Aus den Gedanken gerissen schaute ich auf. Levi stand in der Tür.

„Tun dir deine Rippen wieder weh?“, fragte er besorgt und betrat mein Zimmer.

Meine Hand lag immer noch auf meiner Brust.

„Nein…, ich war gerade im Gedanken und außerdem ist es irgendwie schon zur Gewohnheit geworden, mir über die Brust zu reiben, auch wenn es nicht mehr weh tut.“

Er ließ sich neben mir auf dem Bett nieder.

„Wenn du dich nicht wohl fühlst, erübrigt sich die Frage, ob du mit herunter kommst.“

„Nein, das is es nicht… ich habe… etwas über meine… unsere Zukunft nachgedacht.“

„Darf ich daran teil haben?“

Wieder schaute er mich mit diesen liebevollen Augen an. Konnte ich diesen Augen überhaupt etwas abschlagen oder verheimlichen? Ich sah schon meine Gedanken wieder den Eastriver hinunter schwimmen.

„Ich… ich hab mir Gedanken darüber gemacht…, wie es jetzt mit uns weiter geht. Bin ich hier noch angestellt, oder nun ein Teil der Familie… und…?“

„Beides!“, fiel mir Levi plötzlich grinsend ins Wort.

„Hä…?“, war alles, was ich heraus brachte, weil ich seine Antwort nicht verstand.

„Du bist nun ein Teil dieser Familie und du behältst deinen Job!“

„Das verstehe ich jetzt nicht, wie kann ich für etwas bezahlt werden, was ich jetzt doch automatisch mache… weil ich… dein Freund bin.“

„So automatisch ist das nicht! Da gibt es viele Gründe. Zum einen, damit du abgesichert bist! Du möchtest im Alter eine Rente und deine Krankenversicherung, die übrigens über die Firma läuft, ist ebenso wichtig. Du siehst wie viel wir bei Doc Weiser haben zahlen müssen. Das wäre deutlich mehr, wenn du nicht versichert wärst!“

„Wieso über die Firma?“

„Die Firma hat ein Gruppenabkommen mit einer privaten Krankenversicherung, deren Konditionen du alleine so nicht bekommen würdest und deine Beträge sind niedriger. Aber der Hauptgrund wäre Tante Vanessa, mit ihr würdest du Ärger bekommen, wenn du deinen Job los werden würdest!“

„Was hat das jetzt mit Tante Vanessa zu tun?“, fragte ich verwirrt.

Levis Grinsen wurde noch breiter.

„Tante Vanessa verliert ihre Provision, wenn du nicht mindestens ein Jahr hier arbeitetest…!“

„Aha…“

„… und das würde ihr nicht gefallen, nachdem so viele Damen bereits abgesprungen sind.“

„Nein, ich bin mir sicher, es würde mir nicht gut tun, wenn ich es mir mit ihr verscherze.“

„Eben…! Aber ich denke…“, er nahm meine Hände, „Geld sollte kein Thema für uns sein! Ich hatte eh vor, dir Zugriff auf unser Familienkonto zu geben.“

„Ähm… ist das nicht etwas verfrüht?“

„Marcus…, das hat nichts damit zu tun, das wir jetzt zusammen sind. Das hätte jeder deiner Vorgängerinnen ebenso bekommen…, wären sie mal hiergeblieben! Es wird immer Dinge geben, die du für die Familie tätigen musst und die kannst du ja schlecht von deinem Geld bezahlen!“

Das leuchtete ein, auch wenn mir das doch etwas unangenehm war.

„Wir lassen alles so wie es ist… okay?“

Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und ich nickte.

„Aber jetzt sollten wir hinunter gehen, bevor meine Geschwister die Küche in ein Schlachtfeld verwandeln!“

„Wieso Schlachtfeld?“

„Wir wollten einen Nudelauflauf fürs Dinner machen!“

*-*-*

Levi war oben bei Noah, ihn ins Bett bringen, während ich unten es mir auf der Couch bequem gemacht hatte. Das Abendessen war lustig verlaufen und das erste Mal kam ein Gefühl von einer eignen kleinen Familie auf.

Es klingelte an der Haustür und entriss mich dieser angenehmen Gedanken.

„Soll ich aufmachen?“, rief Levi von oben herunter.

„Geht schon…, ich mach auf!“, rief ich zurück und erhob mich.

Ich schaute auf die Uhr und wunderte mich, wer das sein konnte. Es war kurz nach acht und niemand hatte seinen Besuch angekündigt. Ich schaltete alle Lichter an und sah durch das bunte Glasfenster, dass eine Person dort stand.

Von der Statur her könnte es Mike sein, deshalb machte ich mir auch weiter keine Gedanken und öffnete die Tür.

„Mike?“, sagte ich trotzdem überrascht.

Mike war bleich im Gesicht und schaute leicht verschreckt durch die Gegend.

„Kann… kann ich reinkommen?“

„Klar, warum nicht“, antwortete ich und zog die Haustür ganz auf.

Ohne ein weiteres Wort betrat Mike das Haus.

„Wer ist es denn?“, rief Levi von oben.

„Es ist nur Mike…“, rief ich und schloss die Tür hinter mir.

„Ich glaube, es war doch keine gute Idee herzukommen…“, hörte ich Mike flüstern.

Er drehte sich auf der Stelle um und war im Begriff wieder zu gehen. Nur stand da ich im Weg. Ich hob die Arme, drückte mich gegen ihn und er hielt wieder inne.

„Was ist denn los mit dir?“, fragte ich leicht verärgert.

Diese Aktion tat mir natürlich überhaupt nicht gut, meine Rippen meldeten sich. Ich legte die Hand auf meine Brust und atmete tief durch. Entsetzt schaute mich Mike an und erste Tränen rannen über sein Gesicht.

„Das tut mir leid…“, hauchte er aufgelöst.

Ich schloss kurz die Augen und schüttelte innerlich den Kopf. Was war nur los? So kannte ich Mike nicht, oder hatte nie Ähnliches mit ihm erlebt.

„Zieh deine Jacke und Schuhe aus!“, meinte ich bestimmend und zeigte auf die Garderobe. Umständlich öffnete und zog er die Jacke aus und schlüpfte aus seinen Schuhen.

„Komm! Wir gehen ins Wohnzimmer!“

Er schaute Richtung Wohnzimmer und dann nach oben, bevor er wieder in meine Richtung schaute. Aber sein Blick war zum Boden gesenkt und nicht direkt zu mir. Ich legte meinen Arm um ihn und deutlich spürte ich, wie er zitterte.

Als ich ihn ins Wohnzimmer schob, kam Levi die Treppe herunter. Unsere Blicke trafen sich kurz. Fragend schaute er mich an, aber ich konnte keine Antwort geben.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte ich nun Mike, denn ich Richtung Couch lenkte.

Mikes Kopfschütteln war unmerklich, aber dennoch konnte ich es sehen. Ich drückte ihn auf die Couch nieder. Wie ein Häufchen Elend saß er nun da. So langsam machte ich mir wirklich Sorgen.

Hatte vielleicht Levis Großvater etwas mit der Sache zu tun? Aber was war es, dass es Mike so aus der Bahn werfen konnte? Schon wie er da saß, die Beine zusammen gepresst, die Hände gefaltet auf dem Schoss liegen.

Deutlich konnte ich die weißen Stellen an seinen Knöcheln erkennen. Seine Hände mussten großen Druck ausüben.

„Ist etwas passiert?“, flüsterte es plötzlich hinter mir.

Ich zuckte leicht zusammen, denn an Levi hatte ich bereits nicht mehr gedacht. Er stand nun, leicht angelehnt, direkt hinter mir.

„Ich weiß es nicht, so ist er schon, seit ich die Tür geöffnet habe.

Levi schob mich Richtung meines Bruders, so setzte ich mich direkt neben Mike. Er dagegen umrundete den Couchtisch und setzte sich auf seinem Sessel, aber nicht wie gewohnt im Schneidersitz, sondern normal.

Dabei ließ er Mike nicht aus den Augen, der immer noch auf die Tischplatte starrte. Ich griff nach seinen Händen und zog sie auseinander. Natürlich fiel mir auf, dass er leicht zusammen zuckte.

„Mike, was ist los, was ist passiert?“

Sein Kopf hob sich und er schaute mich an. Tränen rannen über sein Gesicht.

„Ich… ich…“

Weiter kam er nicht. Er vergrub sein Gesicht hinter seinen Händen und fing an zu weinen.

„… ich versteh es nicht…“, hörte ich ihn wimmern.

Ich schaute zu Levi, der aber ratlos seinen Kopf schüttelte. Hatte es zuhause einen großen Krach gegeben, oder war wirklich Levis Großvater involviert? Plötzlich atmete Mike tief durch, ohne aber aufzuschauen.

„… wann… wann hast du gemerkt…, dass du… schwul bist?“, fragte er ganz leise aus heiterem Himmel.

Wieder schaute ich zu Levi, der genauso erstaunt war, wie ich.

„Ähm… ich…“

„Sorry, ich sollte das nicht fragen…“, fiel mir Mike ins Wort.

Ich legte meinen Arm um ihn.

„Mike, du kannst mich alles fragen! Aber ich muss kurz überlegen, wann ich das bemerkt habe. Ich glaube… mit vierzehn oder so.“

„Du auch?“, kam es von Levi.

Ich schaute auf und mein Boss lächelte mich an. Ich nickte ihm zu.

„… und wie… wie hast du das gemerkt?“

„Gemerkt… ich? Hm… beim Duschen im Schulsport, erwischte ich mich dabei, wie ich immer öfter meine Klassenkameraden beobachtete, oder wenn es Gespräche über die Mädels gab, dass ich das total langweilig fand.“

Ich war selbst überrascht, dass ich darüber so offen und frei reden konnte. Bisher hatte ich mit noch niemand so unbeschwert reden können.

„Bei mir… war es ein Erlebnis… mit meinem besten Freund…“, kam es unaufgefordert  leise von Levi.

Erstaunt, aber grinsend schaute ich zu Levi.

„Echt?“

„Macht nicht jeder Mal so Erfahrungen? Wir haben uns bloß gegenseitig einen herunter geholt, aber mir machte das wahnsinnig Spaß!“

Mike presste seine Augen zusammen und schüttelte leicht den Kopf.

„Ich nicht…“, sagte Mike.

„Du hast nie…?“

„… nicht mit einem anderen Kerl!“, unterbrach er mich.

Seine Atmung war ruhiger geworden und das Zittern hatte aufgehört.

„… aber gemacht hast du es…, dir einen runter geholt?“, grinste nun Levi.

Darauf brauchte Mike nicht zu antworten, seine Birne wurde knall rot.

„Dafür brauchst du dich jetzt wirklich nicht zu schämen!“, meinte ich und lehnte mich zurück, aber warum fragst du das überhaupt?“

„… ich habe jemand kennen gelernt…“

In mir ging eine Leuchte auf, aber damit konnte ich nicht richtig etwas anfangen.

„Wann… wo, ist sie nett?“, grinste Levi neugierig.

Mike sah ihn kurz an und Levis Lächeln verschwand abrupt. Daraufhin raufte sich Mike, durch seine eh schon wirren Haare und gab dabei einen merkwürdigen Ton von sich. Dann atmete er noch einmal tief durch und lehnte sich dann ebenso zurück. Verwundert war ich nur, weil er sich halb an mich lehnte.

„Wir haben heute, den Rest Holzlieferung für Levis Dachausbau bekommen.“

Das hörte sich normal an.

„Aber gegen alle Gewohnheit, saß der Chef der Holzfirma höchst persönlich am Steuer…“

Okay, das könnte man auch noch als normal bezeichnen.

„… und er hatte seinen Sohn dabei… anscheinend will er ihn selbst einlernen und er soll mit den Holzlieferungen anfangen.“

Sein gutes Recht!

„…Jordan ist ungefähr so alt wie Marcus, so groß wie Levi und…“

Levi und ich schauten uns beide kurz an.

„… und?“, rutschte mir heraus.

Mikes Kopf sank nach unten.

„Er sieht verdammt gut aus…“, flüsterte mein Bruder schon fast.

„Ähm und… und warum bist du jetzt so … durcheinander?“

Mikes Kopf fuhr herum.

„Verstehst du denn nicht? Jordan gefällt mir! Wir waren nur eine Stunde zusammen, als wir das ganze Holz abgeladen haben und er geht mir nicht mehr aus dem Kopf! Ich würde ihn gerne wieder treffen!“

Ich schaute erneut zu Levi und wusste jetzt nicht, ob ich laut loslachen sollte. Levi versteckte seinen Mund hinter seiner Hand. Seine Lachfältchen an den Augen verrieten mir aber, dass er bereits grinste. Ich versuchte ernst zu bleiben.

„… und du denkst jetzt…, dass du auch schwul bist?“, fragte ich vorsichtig.

Mikes Kopf glitt wieder nach unten und ein leichtes Nicken war zu sehen.

„Ich hole etwas zu trinken“, sagte Levi plötzlich und stürzte aus dem Zimmer.

Leicht verärgert, sah ich ihm hinter her. Dann widmete ich wieder meinem Bruder. Erneut legte ich meinen Arm um ihn.

„Nur weil du einen Typen toll findest, bist du nicht gleich schwul!“

Wieder fuhr er mit seiner Hand durchs Haar. Das Rot in seinem Gesicht war geblieben. Er glühte förmlich.

„… aber warum hat mir dann der Gedanke heute Morgen so gut gefallen?“

Heute Morgen, von was redete er?

„… unter der Dusche…“, flüsterte er schon fast, „als du gesagt hast… auch Brüder treiben… es miteinander.“

„Bitte?“, entfleuchte es mir so laut, dass Mike zusammen fuhr.

Ihm gefiel der Gedanke, es mit mir zu treiben? Da taten sich ja Abgründe auf. Mike hob den Kopf und sah mich an.

„Weißt du…, ich habe es immer genossen, als du früher zu mir ins Bett gekrochen kamst, weil du vor irgendetwas Angst hatte. Dich so dicht an mir zu spüren, war einfach nur schön. Gut ich gebe zu, ich habe mir in diese Richtung damals keine Gedanken gemacht…, aber den ganzen Mittag über, als ich über Jordan nachdachte, kam vieles in meine Erinnerung zurück.“

Levi kam zurück und stellte drei Gläser auf den Tisch. In der anderen Hand hatte er Saft und Rotwein.

„Was für Erinnerungen…?“, fragte ich.

Mike schaute kurz zu Levi.

„Ähm… soll ich euch lieber alleine lassen?“

Mike schüttelte den Kopf.

„… das ist dein Haus… ich bin hier nur Gast.“

„Was hat das eine mit dem anderen zu tun, auch du und Marcus habt eure Privatsphäre und das akzeptiere ich!“

Ich lächelte Levi stolz an.

„Ich… ich wüsste nicht, mit wem ich sonst reden sollte und kenne nur euch zwei, die…“

„… schwul sind“, beendete ich seinen Satz.

Mike nickte und Levi setzte sich.

„Ich gebe aber deinem Bruder Recht, dass du nur, weil du diesen… Jordan interessant findest, nicht gleich schwul bist.“

„Er hat die Stunde über, mächtig mit mir geflirtet und mir hat das gefallen, sehr sogar…“

Kurz kreuzten sich Levis und meine Blicke.

„Was meintest du mit Erinnerungen?“, fragte ich nun.

Mike schaute kurz nach oben und zwinkerte mit den Augen. Dann atmete er noch einmal tief durch und schien zu überlegen.

„Wenn ich… wenn ich abends zu Hause war, nach der Arbeit,… im Bett lag, habe ich mir oft die Schwimmmeisterschaften angeschaut. Ich war fasziniert von den Schwimmern, mit ihren aalglatten Körpern und deren Muskeln…“

Mike stand also nicht, wie ich, auf behaarte Kerle. Unweigerlich musste ich grinsen.

„Darf ich dich etwas Indiskretes fragen?“

Was wollte Levi wissen? Fragend schaute ich ihn an. Mike rieb sich durchs Gesicht.

„… wenn du fragen willst, ob ich danach mir einen runter geholt habe, dann lautet die Antwort… manchmal!“

„… und beim letzten Mal, was war der Grund?“

Ich wollte schon etwas sagen, aber Levi winkte ab. Mike nahm die offene Weinflasche und füllte sein Glas. Dann nahm er einen kräftigen Schluck. Warum wurde er jetzt rot? Mike hob langsam seine andere Hand und zeigte dann auf mich.

„Wegen deinem Bruder?“, fragte Levi verwundert.

„Wegen mir?“, fragte ich entsetzt.

Mike stellte sein Glas ab und schaute mich dann an.

„Ja, du bist schuld, hättest du heute morgen nicht damit angefangen, hätte ich keinen Ständer bekommen!“

Für Levi schien dies zu viel, er prustete los und ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Aber wann bekam man schon einmal gesagt, dass der eigene Bruder einen als Wichsvorlage benutzt.

„Sorry!“, meinte Levi und kicherte immer noch. Mike hob abwehrend die Hand und nahm noch einen Schluck Wein.

„Ich habe immer nach der richtigen Frau gesucht, aber nie war eine dabei, bei der ich dachte, die ist es. Als Begründung schob ich vor, dass vielleicht mein Anspruch zu hoch sei…“

„… und dann kommt dieser Jordan und es stimmt alles?“, fragte ich.

Mike nickte resignierend.

„… irgendwie ist dann die Sicherung bei mir durch gebrannt.“

„Weil du denkst, du bist schwul?“

Wieder nickte mein Bruder. Levi erhob sich, füllte mein Glas mit Saft, bevor er sein Glas mit Rotwein versah.

„Wäre es schlimm?“, setzte ich leise nach.

„Ich weiß eben nicht… was ich noch denken soll. Irgendwie bricht gerade alles um mich herum auseinander, nichts ist mehr, wie es ist.“

„Was ändert sich? Du hast deinen Job, du wohnst zuhause und…“

„Das ist es nicht“, fiel mir Mike ins Wort und schaute mich nun direkt an.

„Weißt du wie sehr ich mich immer gefreut habe, nach Hause zu kommen und du warst da? Auch wenn es dir nicht so vorgekommen ist, du warst irgendwie mein Ruhepol, gegen den stressigen Tag, den ich hinter mir hatte.“

Er hatte Recht, ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, was er da gerade von sich ließ.

„Oder wie still es jetzt am Tisch ist, wenn wir mal zusammen essen… Außer Mum sagt fast keiner ein Wort. Wenn etwas zu Wort kommt, dann ist es die Firma.“

„Aber das war doch vorher genauso“, warf ich ein.

„Eben nicht! In dem wir dich geärgert haben, erfuhren wir, was du den lieben langen Tag getan hattest. Sonst hast du ja nichts mehr erzählt…“

„Bin ich jetzt schuld, dass der Haussegen schief hing?“, fragte ich leicht verärgert.

„Marcus“, kam es von Levi, der den Kopf schüttelte.

„Was denn? Ich weiß doch genauso wenig, was in meinen Brüdern vorgeht. Die letzten Tage haben mir bewusst gemacht, wie wenig ich über sie weiß, wie fremd sie mir geworden sind.“

„Ich dachte… es interessiert dich nicht“, kam es leise von Mike, der wieder zum Boden schaute.

„Klar interessiert es mich, was du denkst oder fühlst, würde ich sonst hier sitzen und versuchen, dir bei deinem Problem zu helfen?“

„Ihr solltet wirklich mehr miteinander reden“, sagte Levi.

„Ich weiß, aber wie soll man etwas ändern, dass schon so lange Bestand hat. Selbst bei Oliver merkte ich, das Redebedarf besteht.“

„Wann?“, fragte ich.

„Als wir nach dem Besuch von dir im Krankenhaus zurück fuhren, spürte ich deutlich, dass Oliver reden wollte…“

„… und er tat es nicht…“, stellte Levi fest.

Mike schüttelte den Kopf.

„… und du hast natürlich nicht gefragt. Warum? Fehlendes Interesse?“

Mein Bruder zuckte mit den Schultern.

„Ich will nicht sagen, dass ich mich nicht getraut habe, aber ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Außer über Dads Firma haben wir so gut wie keine gemeinsamen Interessen…, bis vielleicht… Marcus…“

Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. Was ich da gerade hörte, war genauso unfassbar, wie manch andere Bemerkungen der Familie in den letzten Tagen. Es war einfach irgendwie unreal, was sich da abspielte.

Sollte es wirklich nur daran gelegen haben, dass fünf Dickköpfe nicht in der Lage waren, normal miteinander zu reden?

„Was… was mach ich jetzt mit Jordan?“, fragte Mike und hielt mir sein Handy entgegen.

Ich nahm das Handy entgegen und lass eine Mitteilung von diesem Jordan. Er wollte Mike näher kennen lernen und fragte ihn nach einem Date.

 

 

 

 

 

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