»Pass doch auf«, maulte der Junge, gleichzeitig zuckte sein Körper zusammen.
»Mann Timo, du stellst dich an wie ein Weib«, entgegnete Bastian.
»Hast gut reden. Du bist ja nicht verletzt.«
»Meine Güte, verletzt. Das ist ne Schramme, kommt doch dauernd vor. Ich kenn mich aus, das ist nichts Schlimmes.«
Timo grummelte. Einerseits, weil Karsten ihn beim Training gegrätscht hatte und andererseits, weil der Blödian von Platzwart diesen Stein nicht weggeräumt hatte. Na ja, Bastian redete von einem Steinchen. Aber immerhin war es groß genug, um ihm beim Sturz auf das Spielfeld eine Schramme zuzufügen. Und die tat verdammt weh, auch wenn Basti das Gegenteil behauptete.
Sie waren mittlerweile alleine in der Umkleide, die anderen hatten gleich nach dem Training geduscht und das Weite gesucht. Die Disko am Abend im Rahmen der Kirmes war schließlich ein Riesenereignis in dem Dorf, in dem sich diese Geschichte abspielte.
Nordenheim, am Arsch der Welt. Sechstausend Einwohner, vier Kneipen, zwei Schulen, einen Schützen- und Schäferhundeverein – und ein Fußballclub. Gut, den gibt’s ja in jedem Nest irgendwie, aber der FC Nordenheim hatte schon einen guten Namen im Kreis. Freilich nichts weltbewegendes, aber immerhin.
Timo fühlte sich schon als Knirps zum runden Leder hingezogen, kickten doch schon Opa und Papa beim FCN. Böse Zungen behaupteten, er hätte schon im Kinderwagen mit Bällen gespielt. Nun gut, vielleicht hatten sie ja recht. Timo war es egal. Mit fast 17 hatte sich an der Liebe zum Fußball jedenfalls noch nichts geändert, zudem war er der beste Stürmer seit langen Zeiten in dem Ort. Das jedenfalls behauptete Christian Kögler, der Trainer der Mannschaft und mit seinen fast vierzig Jahren müsste er das eigentlich auch wissen.
Timo Gerber konnte dieses Urteil nur recht sein, er genoss ein gewisses Ansehen, auch unter den Mitspielern.
Mit Einsvierundachtzig war er nicht der Kleinste in der B-Jugend, und seine siebzig Kilo waren gut und gerecht verteilt. Er besaß einen Hang zu modischen Frisuren, seit längerem aber hatte es ihm ein kürzerer Schnitt angetan, die dunkelblonden Haare konnte man mit Gel so richtig wild durcheinander zwirbeln. Blaue Augen, sinnliche Lippen, Grübchen beim Lachen und eine unvermeidliche, enganliegende Halskette mit Edelstahlgliedern vervollständigen das Bild des Jungen.
Er war sich der Anziehungskraft weiblicher Fans durchaus bewusst, nicht unerheblichen Anteil daran hatte auch sein Selbstbewusstsein. Er trug schon mal gerne hautenge Jeans und ziemlich gewagte Tanktops, besonders jetzt, im Hochsommer.
Allerdings – diese Sache hatte einen Haken. Einen, den niemand außer ihm selbst kannte: Timo machte sich nicht für die Frauenwelt schön. Vor zwei Jahren, genau hier in dem Umkleideraum, wiederfuhr ihm eine recht abenteuerliche Geschichte. Da war er mit Leo, einem Gleichaltrigen aus dem Club, alleine unter der Dusche. Wie auch immer, angefangen hatte es mit einer Wasserschlacht und endete damit, dass sie sich in einer der Klokabinen zusammen einen runterholten. Das fand Timo ziemlich aufregend und brachte seine ohnehin schon giftige, pubertäre Phase in größte Wallung. Seither hatte er nichts anderes als Jungs im Sinn. Aber er behielt es für sich und so etwas wie mit Leo, der schon ein Jahr nicht mehr im Verein war, wiederholte sich zu seinem Leidwesen nicht. Dumm auch, dass keiner im Verein schwul zu sein schien. Wenn, dann konnte das derjenige sehr gut verbergen, denn Timo fahndete geradezu danach, einen „Geschlechtsgenossen“ irgendwie zu enttarnen. Aber das war nicht der Fall. Etwas mulmig war ihm auch die Meinung der meisten Spieler im Verein. Die mochten Schwule nicht, zumindest nicht besonders und ganz bestimmt nicht in dem Verein. Jedes Wort, das gegen Schwule fiel, landete bei Timo sofort in der Goldwaage und er merkte sich jene, die dagegen wetterten, sehr genau. An ein Outing jedenfalls war kein Funke lang zu denken.
Nordenheim lag idyllisch, fast schon malerisch – aber weitab der großen Diskos und Saunas. So blieb er auf etwaige Entdeckungen in seinem Dorf beschränkt.
Seit er aus der Schule war und in die Dachdeckerfirma seines Onkels wechselte, um dort seine Lehre zu machen, war eh nichts mehr. In der Schule gab’s ein paar, mit denen hätte er schon was angefangen, aber die hingen nur mit den Dorfschönheiten herum. Die hielt sich Timo vom Leib, was weiß Gott nicht immer einfach war. Zum guten Glück erfand er ziemlich rechtzeitig eine „Fernbeziehung“, die er angeblich übers Internet kennengelernt hatte. Das war für andere unkontrollierbar und verschonte ihn nach einiger Zeit vor Nachtstellungen.
„Sechstausend Einwohner. Davon die Hälfte Männer. Ein Drittel davon Rentner. Bleiben Zweitausend. Ein weiteres Drittel noch keine sechzehn.. Bleiben Tausend. Achthundert davon Verheiratet. Bleiben Zweihundert. Und von diesen Singles waren zehn Prozent schwul, also grade mal Zwanzig. Einer davon bin ich, bleiben Neunzehn. Dreiviertel sind nicht mein Geschmack, bleiben über den Daumen etwa Vier übrig. Die sehen sehr gut aus, also haben sie einen Freund.“ Diese merkwürdige Rechung hatte Timo eines Abends einfach mal so aufgemacht und war dann zu dem Schluss gekommen, dass es in dem Dorf gar keinen für ihn gab. Es war schlichtweg keiner mehr übrig.
Fortan konzentrierte er sich auf Auswärtige. Also Besucher der Fußballturniere, oder wie jetzt, die Disko im Rahmen der Kirmes. Einmal im Jahr war hier so richtig was los und das zog auch Leute aus der Umgebung an. Timo wollte und konnte einfach nicht glauben, dass er in diesem Landstrich der einzige Schwule sein sollte.
Ansonsten war er hart im nehmen. Er bewies, ohne dass man ahnen konnte, warum, dass Schwule keine Weicheier sind. Vielleicht war er ein bisschen zimperlich was Verletzungen anging. Jede Schramme auf seiner braunen, makellosen Haut war schlichtweg eine Katastrophe. Alles bloß keine Narben.
Eigentlich war das auch der Grund, warum er sich nun bei Bastian Holm, dem Mannschaftsarzt und väterlichen Freund, ausjammerte.
»So, fertig. Und sauf nicht soviel heute Abend, Sonntag ist zwar nur ein Freundschaftsspiel«, mahnte Basti noch, dann klappte er sein Erste-Hilfe-Köfferchen zusammen, »aber deswegen müssen wir ja nicht verlieren.« Damit verschwand er ebenfalls.
Nun saß Timo alleine auf der Holzbank und betrachtete sich den Verband. Ausgerechnet jetzt, wo die Disko stattfand und es so heiß war, dass man alles Knappe, Kurze und Enge anziehen konnte – so ein grauenvoller Verband. „Sauf nicht soviel.“ Bah, was hatte Basti schon für ne Ahnung? War verheiratet, hatte ne liebe Frau und zwei süße Kinderchen. Der musste nicht diesen Leidensweg gehen.
Mit einem Seufzer stand Timo auf und trabte hinaus, in die Sommerhitze. Zum guten Glück machte sie ihm nicht allzu viel aus und so setzte er ohne Murren seinen Helm auf und schwang sich auf sein Mofa. Das einzig wahre Fortbewegungsmittel in dieser Einöde.
Timo wohnte mitten im Ortskern, aber abseits der manchmal belebten Hauptstraße. Er wohnte im Dachgeschoss, das zugehörige Haus gehörte seinen Eltern. Zwar besaß sein Zimmer nur ein Fenster, aber das ging nach Norden, mit Blick auf den nahen Wald. Nichts jedoch hinderte die Hitze daran, sich bis in den letzten Winkel des Zimmers auszubreiten. Timo warf seinen Helm auf das Bett, schaltete den Radio ein und zog sich aus. „Verdammte Binde“, fluchte er erneut und kurzentschlossen nahm er sie ab. Lieber eine Schramme sehen als diesen Verband.
Er duschte abermals, denn Timo war ein sehr reinlicher Mensch. Nichts hasste er mehr als den Schweißgeruch der Menschen. Nur Leo, der hatte gar nicht nach Schweiß gerochen damals. Das war so ganz anders..
Timos Gedanken wechselten dann aber ziemlich rasch in Richtung Disko. Letztes Jahr gab’s da ein paar recht ansehnliche Hasen, wie er Jungs in seinem Alter und mit einer unwiderstehlichen Schönheit bezeichnete. Nur, da hatte er sich nicht getraut. Ob es dieses Jahr gelingen würde? Er wollte es diesmal darauf ankommen lassen.
All seine Kumpels aus dem Verein würden da sein, mit ihren Weibern. Und angeben. Ja, das konnten sie. Beim Autoscooter abhängen wie Teenies. Furchtbar. Er würde mit seinem Liebsten lieber Kettenkarussell fahren.. Timo grinste in sein Spiegelbild im Bad, das er da oben ebenfalls sein Eigen nennen konnte. Durch seine Arbeit auf den Dächern und die letzten Spiele in der Sonne war sein Teint knusprig braun geworden und Timo gestand sich ohne Scham ein, etwas selbstverliebt zu sein. Das schadet nicht, hatte er mal gelesen.
Er zog das blaue T-Shirt an und die gekürzte Zipp-Hose. Rasch ein bisschen Gel in die Haare, mit den Fingern durcheinander wirbeln, fertig.
Seine Eltern wussten dass er auf die Disko ging und warteten nicht mit dem Essen auf ihn, er wollte sich dort verköstigen. Mit einem flüchtigen „Tschüs“, das er ihnen ins Wohnzimmer schickte, eilte er aus dem Haus. Zur Disko konnte er laufen, die stand am Ortsrand. Ein riesiges Zelt, so als Anhängsel der Kirmes auf dem Marktplatz, dessen Fahrgeschäfte sich der Straße entlang bis zum Ortsrand schlängelten. Aber bei den jungen Leuten zählte vor allem an diesem Abend nur die Disko.
Schon von weitem hörte er den Bass, rund um dieses Zelt war an Schlaf vor Mitternacht heute nicht zu denken. Aber das störte Timo nicht, eher würde er sowieso nicht nach Hause gehen.
Da standen sie auch schon, seine Vereinskameraden, wie vermutet beim Autoscooter. Basti konnte er ausmachen und sicher war auch Christian nicht weit. Die mussten ihre Engelchen vor Dummheiten bewahren. Traditionsgemäß gab’s nämlich jedes Jahr eine Keilerei, und da waren die hiesigen Fußballer nie weit gewesen. Die Ausfälle danach waren meist horrend und das galt es zu vermeiden. Wegen dem Freundschaftsspiel. Lustigerweise waren unter den Verletzten vor zwei Jahren auch Basti und Dietmar, der Masseur.
Timo scherte das alles nicht, er hatte sich schon immer rechtzeitig aus der Gefahrenzone begeben. Schlägereien waren nicht sein Fall, etwas, das vielleicht doch mit seinem Schwulsein zusammenhing. Aber auch das war ihm egal. Er überlegte kurz, ob er seinen Kumpels besser aus dem Wege gehen sollte. Erst mal sondieren, welche Gesichter er hier noch nicht kannte. Die Chance, sich einen Hasen zu fangen, ordnete er irgendwo bei Null ein, aber man konnte schließlich nicht wissen. Ein bestimmtes Gefühl hatte Timo an dem Abend nicht, es konnte also alles oder gar nichts passieren.
Er hielt beim Imbissstand, dem einzigen, dessen Bratwürste hier genießbar waren und kaufte sich eine selbige. Kaum hatte er den letzten Bissen geschluckt..
»Hallo Timo.«
Dass ihn jemand ansprechen würde, daran hatte er nicht gezweifelt. Immerhin war er sozusagen eine bekannte Größe und auf einem Bild mit Hubert Klein, dem Bürgermeister, würden nicht wenige der Jungen fragen, wer denn der Mann neben Timo sei.
»Hallo Moni.«
Die war natürlich eine derjenigen, der er lieber nicht begegnet wäre. Sie war eine seiner hartnäckigen Verehrerinnen und irgendwie spürte Timo, dass sie der Sache mit der Fernbeziehung keinen rechten Glauben schenken wollte. Aber sie musste diesen Frosch schlucken, wenn nötig jetzt halt zum hundersten Mal.
»Na, so ganz allein?«
Er nickte nur, weil es ihm Sekunden zuvor die Sprache verschlagen hatte. Moni, seine geliebte Nervensäge, war nicht allein.
Blonde Haare, in Stufen geschnitten. In die Stirn hing frech ein zersaustes Pony, eine allerliebste Stupsnase in einem leicht kantigen, aber dennoch weichen Gesicht, scheinbar blaue Augen, fein gezeichnete Lippen – ein Traummann. Jener steckte in einem sehr dünnen, weißen T-Shirt, einer verwaschenen und ziemlich engen Jeans und Turnschuhen. Timo schluckte. Woher hatte sie dieses Geschöpf? Nicht aus diesem Kaff. Der Junge sah ihn an, sehr merkwürdig. So, als würde er etwas in Timos Gesicht suchen. Der wusste zum Glück, dass man seine aufsteigende Röte nicht sehen konnte.
»Ach, das ist übrigens Oliver. Oli, das ist Timo, der Schrecken aller Fußballer in weitem Umkreis.«
Oli. Die nannte den Oli. Eine Unverschämtheit. Timo deutete dies bereits als ersten Schritt in die Kiste. Oder die beiden sogar schon?? Immerhin hatte er Moni bestimmt ein halbes Jahr nicht gesehen. Nein, so gesehen eigentlich falsch. Wegen ihm versäumte sie schließlich kein einziges Spiel, am Platz war sie eigentlich immer. Nur wusste Timo nicht, was sie sonst so trieb. Nun schwante ihm Schlimmes. Aus dem Ort war dieser Engel jedenfalls nicht und obwohl Timo dieses Gefühl nicht bekannt war – das was auf der Stelle in ihm aufkeimte dürfte sich schon fast rasende Eifersucht nennen. Wie konnte sie es wagen..
Der Junge reichte ihm die Hand. »Tach.«
Zögernd streckte Timo seine Hand aus. Ehrfürchtig, fast schon ängstlich. Zang. Da war er, der leichte Stromschlag den er insgeheim erwartet hatte. So eine schöne Hand, so ein angenehmer Druck. »Nabend«, brachte er dann hervor. Hoffentlich hatte diese Schönheit sein leichtes Zittern nicht gespürt..
Egal wie auch immer, das war in Timos Augen nicht das Gespann was zusammenpasste. Er musste alles über diesen Jungen erfahren. Nur, wie am besten? Ausfragen? Wohl kaum. Dennoch..
»Sag mal, liebe Moni, wo hast du denn.. ich meine..« Jetzt wandte er sich doch dem hübschen Wesen zu. »Du bist nicht von hier?«
Der Kerl lachte und Timo schmolz dahin. Das war der stärkste Tobak, seit er sich mit der männlichen Welt beschäftigte. »Nein, ich komm aus Cottbus.«
Aha, ein Drübeling oder wie das hieß. Aber auch das war kein Grund. »Aha. Und was machst du hier? Ich mein..«
»Wenn du im örtlichen Fußballverein bist, werden wird am Sonntag wohl aufeinander treffen. Also, möglicherweise.«
Timo schluckte. Wie konnte er das vergessen.. „FC Nordenheim gegen den Club der Rasenspieler, Cottbus“ baumelte vor seinem geistigen Auge. Gedruckt auf buntem Papier, angeschlagen an jeder Hausecke. Verlegen sah er zu Boden, das war eine beträchtliche Niederlage. Wie konnte er sich da bloß wieder rausziehen?
»Ähm, magst was trinken? Ich lad dich ein. Wir sind ja höchstens auf dem Spielfeld Konkurrenten,« versuchte er sich aus der Affäre zu ziehen.
Moni hielt den Kopf schief, ihr Blick wanderte zwischen den beiden Jungen hin und her. »Ich geh dann mal, Gesine und Maria suchen. Wir sehen uns sicher noch.«
Ohne der Möglichkeit einer Antwort entschwand sie in Richtung Autoscooter, gefolgt von vier ungläubig blickenden Jungenaugen.
Timo wandte sich dann wieder diesem süßen Hasen zu. Augenblicklich wurde ihm egal was Moni mit dem Kerl hatte oder auch nicht. »Worauf hast du Lust?«, fragte er, wobei seine Gedanken über diese Frage sekundenlang wo ganz anders waren.
»N Alcopop wäre jetzt nicht schlecht.«
Gut, das war erstens bezahlbar und zweitens keine schlechte Wahl. »Okay, komm, wir gehen auf die Suche.«
Damit liefen sie los, hinein in die „Kirmesmeile“ wie die mit Buden bestandene Straße während dieses Events genannt wurde. Ab und an traf Timo auf bekannte Gesichter, aber es waren bei dem schönen Wetter fast mehr Auswärtige unterwegs. An einem der Stände wurden sie fündig. Der gehörte dem Kogler Philipp, einem weitläufigen Verwandten Timos. Billiger bekamen sie ihre Getränke deswegen nicht, aber das spielte auch keine Rolle. Timo hatte nur Augen für diesen Boy, von dem er unbedingt mehr erfahren musste. Vor allem, er durfte, was sonst seine Art in solchen Fällen war, keine Feindseligkeit spüren lassen. Zwar wäre ihm ein anderer Grund des Besuchs lieber gewesen, aber das war nun nicht mehr zu ändern.
»Welche.. Rolle spielst du.. auf dem Feld?«, musste er trotzdem wissen.
Oliver nippte an der Flasche. »Eigentlich sollte ich im Tor stehen, aber.. ich hab ne Verletzung an der Ferse, somit bin ich nur als Ersatzmann dabei. Der Pavlek steht im Tor, aber er ist nicht so die große Nummer. Wenn’s eng wird werd ich wohl einspringen müssen.«
»Aha. Oh, hab ich gar nicht gemerkt dass du verletzt bist.« Timo war kein Humpeln aufgefallen. Aber trotzdem fiel ihm ein Stein vom Herzen. Wie es auch immer kam, er musste wahrscheinlich nicht gegen ihn spielen.
»Im Moment tut’s auch nicht so weh. Das ist nur wenn ich sprinten müsste. Und wo stehst du?«
»Meinereiner ist Stürmer«, antwortete Timo. Allerdings spürte er zunehmend, dass er sich darüber gar nicht unterhalten wollte. Es war Freitagabend. Morgen noch ein kurzes Training, Christian wollte die Truppe einen Tag vor dem Spiel nicht so sehr an die Kandare nehmen, das war schon reichlich geschehen die letzten Tage. »Müsst ihr morgen noch trainieren?«, fragte er vorsichtshalber nach.
»Nein, wir haben frei. Allerdings dürfen wir nicht herumschwärmen. Dieser Abend ist nur ne Ausnahme weil das Fest hier ist.«
»Euer Trainer ist wohl ziemlich.. streng?«
»Eigentlich nicht. Aber er möchte natürlich einen Sieg heimbringen und er meinte, es wäre nicht gut wenn wir in einem Kaff wie diesem frei herumlaufen würden. Es gab vor kurzem ein blöder Zwischenfall in ähnlicher Situation, da ist die Dorfjungend über uns hergefallen. Zum Glück ist nichts passiert, aber das Risiko will er auf keinen Fall noch mal eingehen. Zudem müssen wir um Mitternacht spätestens in der Jugendherberge sein.«
Timo konnte dem trotz allem nur zustimmen. Auch in seinem Dorf gab es Rüpel, bei denen man mit allem rechnen musste. Im Übrigen dürfte es nicht mehr lange dauern bis es losging. Er blickte hinüber zum Autoscooter, aber momentan schien dort noch alles ruhig. Vielleicht bewirkte die Anwesenheit der Betreuer doch etwas.
Er seufzte, denn somit würde ihm nur dieser eine Abend mit Oliver bleiben. Verstohlen sah er auf die Uhr, es war kurz nach Acht, also noch ein bisschen Zeit. Die Jugendherberge lag etwas außerhalb, fast im Wald. »Wo ist eigentlich der Rest der Mannschaft?«, wollte er dann wissen.
»Verstreut hier irgendwo. Einige sind gar nicht hier, die sitzen auf ihren Zimmern. Ein paar Langweiler gibt’s ja überall.«
Timo freute es, wie locker er mit Oliver reden konnte, aber irgendwie musste ein anderes Thema her. Er kaufte noch zwei der kühlen Getränke und schlenderte los, Oliver folgte ihm einfach.
»Woher kennst du eigentlich die Moni?« Seine Neugier in der Richtung bestimmte seine Gedanken. Er reichte Oliver die andere Flasche.
»Danke, die nächste Runde geht aber auf mich. Ja, die Moni…«
»Hallo Timo.«
Edgar stand plötzlich bei ihnen. Ein Spitzenmann in der Verteidigung, aber ähnlich wie Timo nicht der Typ der viel Gesellschaft brauchte. Er hatte Doris, seine langjährige Freundin, im Arm.
»Nabend«, sagte sie und die beiden Jungen erwiderten den Gruß.
Timo stellte Oliver kurz vor, verlor sich aber nicht in Details. Eigentlich wurde es nicht so gern gesehen dass man hier mit Konkurrenten zusammenhing. Im Übrigen würde das früh genug herauskommen.
»Na, dann noch nen schönen Abend.« Schon war das Pärchen wieder verschwunden.
Mittlerweile waren die beiden am anderen Ende der Kirmesmeile angekommen. Bock auf die Disko hatte Timo nun keinen mehr. Er hatte nur noch verstohlene Blicke auf seine neue Bekanntschaft. Aber der wollte es dann auch wissen.. »Bist du solo?«, fragte er unvermittelt und Timo verschluckte sich, da er grade einen Zug aus der Flasche nahm.
Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ja, bin ich.«
Oliver blieb plötzlich stehen. »Das klingt.. ziemlich überzeugt.«
Gut, er war neugierig, dann sollte er auch eine Antwort haben. »Im Grunde schon. Ich mein, wenn es mal was richtiges gibt, dann wird man sehen.« Hui, wie schön umschrieben. »Und du?« Dumme Frage, da war ja die Moni, wobei ihm einfiel, dass ihm Oliver noch eine Antwort schuldig war. Wie konnte sie in so kurzer Zeit an ihn rankommen? Und ihn dann auch noch Oli nennen? Was war da bloß gelaufen oder lief noch?
»Ich hab.. jemanden, ja.«
»Das wiederum kommt mir ein bisschen vage rüber.«
Sie hatten mittlerweile den Parkplatz am Waldrand erreicht und setzten sich auf eine Bank unter den Buchen.
Der Lärm drang bis hierher, aber es war ein wirres durcheinander von Pop-, Rock- und Schlagermusik, gemischt mit Rufen und Schreien der Menschen. Ausgelassen, so hätte es Timo umschrieben. Aber dennoch, hier an dieser Stelle war man nicht beteiligt, mittelbarer Teilhaber am Geschehen. Er fühlte sich sonderbar wohl in Olivers Gesellschaft. Im Grunde war doch egal mit wem er was hatte. Diese paar Stunden mit ihm, besser als überhaupt nichts. Und zudem konnte man ja in Kontakt bleiben. E-Mails, SMS.. Er schüttelte den Kopf. So ein Schwachsinn.
Oliver drehte die Flasche in seinen Händen und betrachtete sie, als wolle er in ihr lesen. »Na ja, es ist nicht so wie.. ach, komm, lass uns über etwas anderes reden.«
Aha. Oliver wich aus. Aber warum.. sollte man nicht doch an der Stelle hartnäckig dranbleiben? Timo beschloss, in die Offensive zu gehen. Wie auf dem Spielfeld. »Wenn dich was bedrückt.. ich mein, vielleicht möchtest du ja doch drüber reden.«
Oliver stierte noch immer auf seine Flasche, dann nahm er einige tiefe Schlucke aus ihr. »Ich glaub nicht dass dich das wirklich interessieren wird.«
Jetzt erst recht, dachte Timo. »Das kannst du ja nicht wissen.«
»Nein, lass mal. Es ist ja auch gar nicht wichtig. Wollen wir in die Disse?«
Gut, er wollte nicht reden, aber Timo vermutete einfach nur den gewöhnlichen Liebeskummer. Am Ende war’s ja auch nur die Trennung. Er hier, sie dort.. wer konnte wissen was da alles dahintersteckt. »Gut, meinetwegen«, antwortete er und somit machten sie sich auf den Weg zur Disko. Timo nahm sich vor, den Jungen nicht einen einzigen Augenblick aus den Augen zu lassen. Er kannte die Weiberwelt hier und die waren wie Hyänen wenn ein fremder Schönling da auftauchte. »Ach so, wegen Moni..«, musste Timo jetzt endlich wissen.
»Hallo Timo. Na, was macht deine Fernbeziehung?«
Helga nebst Reiner, ihrem Scheich. Helga war so was Timos Jugendliebe gewesen. Jugend in dem Sinne, dass sie sich bis ins Alter von elf Jahren ewige Liebe geschworen hatten. Kinderkram halt. Längst alte Kamellen, aber sie waren immer gute Freunde geblieben. Die „Trennung“ kam, als Reiner ins Dorf gezogen kam. Aber das war keine große Sache.
Timo wurde rot und er spürte das auch. Ausgerechnet jetzt.. »Ähm.. ganz gut. Das ist übrigens Oliver.«
Man gab sich die Hand, während Timo im Geiste versuchte, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Dabei wusste er nicht einmal genau, warum. Oliver konnte es doch völlig wurscht sein. Dennoch, es ärgerte ihn irgendwie dass plötzlich dieses Notlügengebilde im Raum stand. Prompt sprang Oliver auf diesen vermaledeiten Zug auf.
»Du hast ne Fernbeziehung? Ist ja cool.«
»Ja, also, wir ziehen dann mal weiter. Ciao, man sieht sich.« Mit einem kurzen Wink entschwanden Helga und Reiner in Richtung Disko.
Timo kam es vor wie eine Art kleiner Racheakt, obwohl das völliger Unsinn war. Sie mochten sich ja immer noch, aber irgendwie musste er seinen Frust loswerden. »Na ja, so prickelnd ist das auch nicht«, entgegnete er. »Immer auf Distanz..« Er befahl sich dann, die Klappe zu halten. Je mehr er darüber erzählte desto genauer könnten Fragen kommen.
»Also ich find’s gut. Man hat jemanden und doch kann man irgendwie machen was man will.«
Oh ja, wie recht er hatte.
»Kennst sie schon lange?«
Timo kochte. Bestand auch nur ein Promille Chancen, mit dem Jungen etwas anfangen zu können, so würde er das durch eine falsche Antwort auch noch zunichte machen. Er räusperte sich. Oliver hatte etwas, das ihn anzog. Vielleicht war es ja seine Antenne, die nur auf „schwul“ eingestellt ist. Empfangspegel: „halber Ausschlag“. Halb war aber besser als gar nicht.
Sie standen nun vor dem Eingang zur Disko. Gewohnheitsgemäß war bereits an der Stelle eine normale Unterhaltung nicht mehr möglich. Und irgendwelche vertrauliche Sachen lautstark auszuplaudern, das war wohl irrsinnig. »Nein«, antwortete Timo deswegen nur knapp, woraufhin Oliver kurz nickte. Dann tauchten sie in das Getümmel ein.
In dem Zelt war es nicht nur laut und voll, sondern auch stickig heiß. Lange konnte man das hier nicht aushalten, zumindest Timo gab sich eine Stunde höchstens. Berechnend wie er war, sah er auf die Uhr. Kurz vor Neun, drei lausige Stunden noch. Eine hier drin, zwei irgendwie..
Mühsam kämpften sie sich bis zum Tresen vor. Immer wieder wurde Timo an den Klamotten gezupft und gezogen, ein freundlicher Wink zur Begrüßung. Ja, er war beliebt hier, fast schon ein Star eigentlich und jeder mochte ihn. Es wurmte ihn nicht, dass er die meisten der jungen Leute gar nicht mit Namen kannte. Und außerdem hatte er nur Augen und Gedanken für seine Begleitung; die galt es, auf keinen Fall zu verlieren. Das war hier drin sehr schnell passiert. Auch Oliver grüßte hier und da, seine Kumpels aus dem Verein. Die machten sich scheinbar recht unverdrossen an die hiesige Weiberwelt heran. Timo scherte das nicht, er war nur heilfroh, dass Oliver nicht so war.
Der schlich fast hautnah hinter ihm und als Timo sozusagen eine Gasse erblickte, durch die man schneller in dem Gewühl vorankam, packte er kurzentschlossen Olivers Hand und zog ihn mit. Wenige Schritte freilich nur, dann dämmerte ihm seine Handlung. Geschehen eher im Unterbewusstsein. Wenn das mal niemand gesehen hatte.. Aber wieso hatte sich Oliver nicht dagegen gesträubt? Warum hatte er sogar für einen Moment Timos Hand fest umschlossen mit seiner eigenen? Rasch ließ Timo wieder los, allerdings konnte er nicht behaupten, dass es ihm leid getan hatte. Diese Hand zu spüren.. »Tschuldige«, sagte er dann, während er sich zu Oliver umdrehte.
»Ist doch okay«, hörte er den sagen.
Dann standen sie in zweiter Reihe an dem Tresen. Vor ihnen Gewusel und Gewimmel. Eigentlich hasste Timo Ansammlungen dieser Art und auch nur hier, einmal im Jahr, machte er eine Ausnahme. Trotzdem wurde er jetzt nervös. Oliver war daran Schuld, sonst nichts. Wie gern wäre er mit ihm irgendwo Abseits dieses Theaters. Aber nun war dem eben nicht so und es galt, wenigstens eine Stunde durchzuhalten.
Unterhalten konnten sie sich nicht. Zum einen viel zu laut, dann wurden sie ständig gerempelt, geschoben, geschubst. Alles nicht mit Absicht, aber störend. Und dann natürlich die Bekannten, die immer wieder ein Wort übrig hatten.
Mehr als zwei weitere Getränke in Form von Alcopops schafften sie dann auch nicht. Immer wieder schielte Timo auf die Uhr. Wie langsam die Zeit verging. Jetzt. Nachher würde sie rennen wie der Teufel. Punkt eine Stunde nachdem sie die Disko betraten, wollte Timo auch den Schnitt machen. Oliver sah ebenfalls schon ziemlich gelangweilt aus.
»Wollen wir rausgehen?«
Oliver nickte dankbar und schon bahnten sie sich ihren Weg nach draußen.
»Puh, das war jetzt Zeit. Man kriegt ja keine Luft da drin.«
Timo nickte auf Olivers Bemerkung nur. Denn.. was war denn nun los? Oliver war wohl mächtig ins schwitzen geraten und nun leuchteten durch sein Shirt zwei kleine, dunkle Punkte im Lichtgeblitze. Timo drohte schwindlig zu werden. War es zudem möglich, dass ihn eine feine Wolke süßlichen Geruchs in der Nase kitzelte? So süß, wie dieser Junge?
Sie gingen ein Stück zurück, Richtung Parkplatz. Von dort waren es nur zehn Minuten bis zur Herberge. Inzwischen hatten die meisten Buden geschlossen und es war nur noch am Autoscooter Betrieb. Anscheinend gab es heuer keine Keilerei, alles schien irgendwie ruhig und friedlich. Oder bildete sich Timo das nur ein? Jedenfalls versuchte er, so schnell wie möglich außer Sichtweite zu kommen, auf eine Unterhaltung mit jemand anderem hatte er schlichtweg keinen Bock.
Kurz darauf saßen sie wieder auf der Bank. Der Parkplatz war bis auf drei Autos jetzt leer und die zunehmende Ruhe tat gut.
Timo spürte, dass etwas in der Luft lag. Undeutlich, verschwommen, undefinierbar, aber es existierte. Viele Fragen hatten sich im Lauf der letzen Stunden in seinem Kopf zusammengebraut. Fragen, auf die es möglicherweise keine Antwort geben würde. Gerade in den letzten Minuten war ihm klar geworden, dass er sich zu verlieben begann. Immer wieder konnte er sich den Jungen betrachten, seinen Körper studieren. Schade dass Oliver nicht tanzen ging. Bestimmt waren seine Bewegungen geschmeidig, elegant.
»Hm«, begann er dann zu reden, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten. »Wie ist das denn nun mit Moni?« Er musste es einfach wissen.
Oliver lächelte. Ja, klar, Moni war alles andere als hässlich. Die brauchte nur mit dem Finger schnippen, aber sie gab sich, soweit das Timo beurteilen konnte, längst nicht mit jedem ab. Und Geschmack hatte sie, das war ja auch wieder ein Beweis. »Moni kenn ich seit..« Oliver neigte den Kopf nach hinten und blickte zu den Sternen, die durch das Blätterdach der Buche schimmerten. ».. fünfzehn Jahren. So in dem Dreh.«
Timo verschluckte sich beinah. »Was? Wie kommt das denn?«, fragte er völlig ungläubig.
»Na ja, wir sehen uns ziemlich selten. Die Entfernung..«
»Ähm, sei mir nicht böse, aber woher kennt ihr euch?«
»Moni ist meine Cousine, daher.«
Timo war sicher, dass Oliver den Stein gehört hatte der ihm in dem Augenblick vom Herzen fiel.
»Es war natürlich eine Riesenfreude als bekannt wurde, dass wir das Freundschaftsspiel hier machen würden.«
Timo nickte. »Natürlich..«
»Tschuldige wenn ich neugierig bin, aber wie ist das mit soner Fernbeziehung? Ich mein, das ist einerseits ja okay, aber wenn.. na ja, du weißt was ich meine.«
Oh ja, das wusste er. Wie kam der Körper zu seinem Recht, wenn jemand nur durch E-Mails, Telefon oder SMS existiert. »Wenn ich ehrlich sein soll – es gibt eine solche Beziehung gar nicht.«
Ruckartig drehte Oliver seinen Kopf zu Timo. »Nicht?«
»Nein. Eine Erfindung, damit ich.. meine Ruhe habe.«
Oliver lehnte sich bequem zurück und streckte seine schlanken Beine aus, die so gar nicht an Fußball erinnerten. »Du.. willst deine Ruhe haben? Hätt ich jetzt nicht gedacht.«
»So, und warum nicht?«
»Ich mein, du.. siehst gut aus, also ich mein, ich find’s irgendwie ungewöhnlich.«
Timo spürte, wohin die Reise jetzt ging. Er mochte diesen Jungen, gerade hatte der ihm bestätigt.. nun gut, das wusste er auch so. Halb Elf. Nägel mit Köpfen mussten jetzt her, wenigstens Gewissheit wollte er haben.
»Ruhe vor den Weibern«, sagte er einfach, obwohl zu der Sekunde sein Mund trocken wurde und der Herzschlag in hörbare Frequenzen geschnellt war.
Oliver zog langsam die Beine an, stützte sich mit den Händen auf die Sitzbank und blickte zu Boden. Er sagte nichts, aber in seinem Inneren schien es zu rotieren. Jedenfalls hatte Timo diesen Eindruck. Er wollte dazu nichts anfügen, der Junge musste selber drauf kommen.
»Wieso das denn?«
Arg. Er hatte es nicht verstanden.
»Magst du die Mädchen hier nicht?«
Puh, das war erstens anstrengend und zweitens heikel. Wenn Oliver nicht selbst drauf kam würde er nichts weiter dazu sagen. Denn dann war er nicht mal schwul angehaucht, was Timo ja immer noch hoffte.
»Ob hier oder anderswo..«
Oliver sah ihn jetzt an. Eindringlich und Timo wagte nicht in diese Augen zu sehen. Jetzt nicht. »Wollen wir noch ein Stück laufen? Ich kann auf solchen Bänken nicht lange sitzen«, brachte Oliver überraschend hervor.
»Klar.«
Sie standen auf und schlenderten langsam am Waldrand entlang. Schon bald verloren sich Geräusche und Lichter im Nichts, es wurde mit jeder Minute ruhiger und dunkler. Der Weg stieg langsam an, dann kam eine Abzweigung. Ein Weg führte direkt in den Wald hinein. Ohne es festgelegt zu haben, schlugen sie diesen Weg ein. Hier wurde es zudem angenehm kühl.
Oliver blieb stehen. »Wenn ich mich nicht irre, dann hast du ganz allgemein.. nichts für Mädchen übrig?«
Timo holte Luft, das war die richtige Richtung. »So kann man sagen. Ich.. hoffe.. na ja, es stört dich nicht.«
»Und ein Freund?«, fragte Oliver, ohne auf Timos Frage zu antworten.
»Nein. Es gibt niemanden, und dann, das darf keiner wissen. Sonst ist meine Karriere hier im Eimer.«
Oliver schlenderte weiter. »Das kann ich verstehen.«
»Aber, es macht dir nichts aus? Also ich mein..« Es war wirklich schwer, die passenden Worte zu finden.
»Du hast vorhin.. meine Hand genommen. Hatte es etwas damit zu tun.. dass ich.. das du mich..?« Auch Oliver suchte danach. Keiner wollte es aussprechen, keiner den anderen unter Umständen verletzen. Aber es war je nun kein Geheimnis mehr.
»Ich find dich echt süß. Tschuldige, aber so reden wir halt mal. Und zudem, ich denk auch ein Junge kann mal ein Kompliment vertragen«, grinste Timo jetzt.
»Was meinst du mit, „so reden wir halt mal“?«
Timo wurde warm. »Hast schon mal gehört, dass ein Junge den anderen süß findet? Außer das hat ein..«
».. Schwuler ausgesprochen?«, ergänzte Oliver. Er war wieder stehen geblieben. Timo konnte jetzt nur noch den Umriss des Jungen erkennen, alle Einzelheiten wurden von der Nacht verschluckt. Aber selbst das reichte ihm. Und es war gesagt.
»Du sagst es.«
So standen sie eine Weile da, ohne ein Wort. Nur ganz leise waren noch Geräusche vom Dorf her auszumachen.
»Du bist auch süß.«
Timo begann es vor den Augen zu verschwimmen. Hatte er das gerade geträumt? Nein, er war bei vollem Bewusstsein. Das war real, gesprochen von diesem hübschen Wesen, einen Meter vor ihm. »Wirklich?«
»Wenn ich es sage.«
Timo hielt nichts mehr zurück. Er überbrückte die kurze Distanz mit einem Schritt, dann legte er seine Hände auf Olivers Hüfte. Er konnte den warmen Atem spüren, die feuchte Kühle des Shirts. In Zeitlupe näherten sich ihre Lippen, bevor sie sich zu ersten, zärtlichen Berührung trafen. Oliver schlang seine Arme um Timos Körper, zärtlich fuhren seine Hände über den Rücken auf und ab.
Sieg, jubelte es in Timos Kopf. Sieg auf der ganzen Linie. Es war ihm nun völlig egal ob sie das Spiel gewinnen würden, er hatte seinen persönlichen Sieg errungen. Oliver wohnte weit weg, sehr weit. Aber im Augenblick spielte das alles keine Rolle. Er war hier, in seinen Armen. Er schmeckte fantastisch, er fühlte sich saugut an und er roch betörend.
Nach ewigen Minuten trennten sie sich. Der Moment, als sich ihre Zungen trafen hatte Timo wie ein Blitz durchfahren, und unter dieser Spannung stand er noch immer.
»Oliver, ich glaub ich hab mich in dich verliebt.. So einer wie dich.. ich hab nicht geglaubt dass es den gibt.«
»Ich weiß gar nicht.. Timo, ich hab noch nie einen Jungen geküsst. Aber das.. ist toll.«
Sie drückten ihre Körper aneinander und spürten gleichzeitig die beidseitige Erregung. Timos Gedanken waren nur noch hier, an dieser Stelle, fast mitten im Wald. Und er wäre zu allem bereit gewesen.
Oliver schob ihn von sich. »Du, ich muss langsam gehen. Ich möchte keinen Ärger bekommen.«
Timo nickte, leicht Enttäuscht. Aber es war nicht zu ändern. »Meinst du wir können uns morgen sehen?«
»Ich denke schon. Dass sie uns völlig wegsperren glaub ich nicht.«
»Übrigens, wissen deine Mitspieler..?«
»Nein, es ist das Gleiche wie mit dir. Ich könnte meine Sachen packen.«
»Leidensgenosse«, grinste Timo. In seinem Kopf braute sich in jener Sekunde derweil etwas zusammen. Ja, ein durchaus machbarer Plan. Und er würde ihn umsetzen, da war er sich auf einmal sicher. »Komm, dann lass uns gehen. Ich kenn den Ärger den sie machen, das muss nicht sein.«
Hand in Hand liefen sie Wortlos zurück zum Parkplatz. Erst kurz bevor sie ihn erreichten lösten sich ihre Hände. Man wollte irgendwelchen dummen Zufällen keine Rückhand geben. Ein flüchtiger Kuss, dann verschwand Oliver auf dem Weg zur Herberge.
Beschwingt ging Timo zurück ins Dorf, in das nun fast gewohnte Stille eingekehrt war. Anscheinend hatte man der Disko nicht so lange Erlaubnis gegeben wie die Jahre zuvor. Aber was spielte das alles für eine Rolle? Es war egal, furchtbar egal.
Timo schlief nicht gut in jener Nacht, gar nicht gut. Machte er die Augen zu, stand Oliver vor ihm. Machte er sie auf, auch. Wichsen wollte er nicht, dann befürchtete er, sein Verlangen nach dem Jungen könnte verblassen und das wiederum wollte er auch nicht. Außerdem hatte er einen Plan, und der wollte auch gut durchdacht sein. So wälzte er sich hin und her, bis er irgendwann doch einschlief.
Trotz dieses Mankos an Stunden wachte er früh auf und war auch gleich munter. Um zehn begann das Training, auf das Christian angesetzt hatte. Keine große Sachen wie er versicherte, eher ein notwendiges Übel. Im Kader herrschte allerdings die Meinung vor, dass er damit ein Kampfsaufen auf der Kirmes unterbinden wollte. Denn, wie auch immer, ihren Sport nahm die gesamte Mannschaft ernst. Und mit einem Ballermann im Kopf war eben nicht gut spielen.
Rasch hatte sich Timo geduscht, war in seine Spielerkluft geschlüpft und so im vorbeigehen am Frühstückstisch einen Kakao gestürzt. Seine Eltern schüttelten nur den Kopf, aber so waren die ihren Sohn seit längerer Zeit gewohnt.
Zum Verdruss der Mannschaft hatte es am frühen Morgen kurz, aber kräftig geregnet, der Sandplatz war mit Pfützen übersät. Damit geriet Christians Plan ins Wanken, Verletzungen konnte er sich nicht leisten. So wichen sie auf den Rasenplatz aus, der eigentlich geschont werden sollte. Einen positiven Nebeneffekt gab es dann aber gratis dazu: Das Training ging über Dehn- und Streckübungen nicht hinaus. Fit waren wohl alle, wie nicht nur Timo feststellte.
Nach knapp zwei Stunden war der Zauber aus, es hatte aber trotzdem gereicht um aus der Puste zu kommen.
Timo stand an seinem Spind und zog sich gerade die Hose aus, als seine bis dahin heile Welt in Scherben zerbrach.
»Hey Timo, hat dein Lover dir schon in deinen Knackarsch gevögelt?«
Diese Worte trafen ihn wie ein gewaltiger Schlag auf den Kopf. Erst dachte er noch zu träumen, dann, dass er sich vielleicht verhört hatte. Das war aber zweifellos von Hannes gekommen, zwei Spinde weiter. Er grinste dreckig und zu allem Überfluss waren noch sämtliche Spieler in der Umkleide und keiner konnte es überhört haben. Er wurde sofort feuerrot und wollte augenblicklich im Boden versinken. Woher wusste er es? Woher wussten sie es? Denn keiner schien überrascht, alle grinsten nur zu ihm hin. Hatte er bis dahin geglaubt, sie wären nicht nur Vereinskameraden sondern auch Freunde, wurde er jetzt bitter enttäuscht. Es waren lausige Kumpels, wie sie jeder hat. Mehr nicht.
Sein mühsam aufgebautes Selbstvertrauen bröselte ziemlich schnell dahin. Welche Wortwahl war nun angebracht?
Er zog es vor, gar nicht zu antworten und er hielt es unter diesen Umständen auch für klüger, hier nicht unter die Dusche zu gehen. Von der einen auf die andere Sekunde traute er keinem der Anwesenden mehr.
Rasch zog er seine Jeans hoch, schlüpfte in die Sneakers und das T-Shirt, warf seine anderen Sachen in den Spind, knallte ihn zu, schloss ihn ab und eilte ziemlich schnell an den anderen vorbei hinaus. Er hörte nicht ob sie etwas sagten oder ihm zuriefen, sein Gehör war auf Durchgang geschaltet.
Draußen lehnte er sich an die Hauswand und sackte innerlich zusammen. Sekunden nur, in denen sein Kopf zu platzen schien. Alles war vorbei, mit einem Mal. Seine Karriere, wie er es immer gern bezeichnete, seine wirklichen Freunde, seine Eltern. Das Dorf würde eine Hetzkampagne gegen ihn starten und zu allem Überfluss.. Onkel Karl. Auf der Arbeit würde er keine ruhige Minute haben, denn die Arbeiter in der Firma waren richtige Haudegen. Mannsbilder mit Muskeln und wenig Köpfchen. Er fand das alles überhaupt nicht lustig.
Christian war von ihm unbemerkt aus dem Vereinshaus gekommen. »Na, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
Timo fuhr sich rasch mit dem Handrücken über die Augen, der Trainer musste seine Tränen nicht sehen. »Nichts weiter. Mir ist nicht gut.«
Christian nahm ihn an den Schultern. »Wenn einem nicht gut ist, heult man nicht. Das tut man wenn man Schmerzen hat. Körperliche oder Seelische.«
Timo wusste, dass er Christian nichts vormachen konnte, der war berüchtigt für sein Feingefühl. Meistens spürte er Ungemach, noch bevor es überhaupt zutage trat. Und so auch jetzt.
Hier ist es gelaufen, auf jeden Fall, sagte sich Timo. Es wäre Blödsinn gewesen, Chris einen Bären aufzubinden.
»Nun, ich höre.« Klar gab der Trainer nicht auf. Das war nicht seine Art und niemand konnte wirklich glauben, dass er sich mit ein paar gewichtslosen Worten abspeisen ließ.
Timos Gesicht drückte Hass, Wut, Trauer, Enttäuschung und Selbstmitleid auf einmal aus, damit wurde sogar Christian überfordert. Der kannte seine Pappenheimer im Übrigen, von Timo war er dergleichen Verhalten nicht gewohnt.
»Ich höre auf. Heut noch«, sagte er trotzig, auch wenn er es so nicht rüberbringen wollte. Christian konnte schließlich nichts dafür.
»Aha. Und warum, wenn ich nebenbei erfahren dürfte?«
»Ich bin schwul. Und keiner da drin wird je wieder mit mir spielen wollen.«
Wie einfach dieses Wort auszusprechen war, das hätte er vor einer Stunde selbst nicht geglaubt. Er beobachtete Christians Blick. Der ging eine Sekunde zur Seite, dann heftete er seine Augen wieder auf Timos. »Haben die das so gesagt. Also, dass sie nicht mehr mit dir spielen wollen?«
»Du hättest ihre Gesichter sehen sollen«, schniefte Timo, »da brauchte es keine Worte.«
»Ich geh rein und rede mit ihnen«, teilte Christian seinen Beschluss mit.
»Lass, das macht keinen Sinn. Sie werden mich schneiden, ich spür das doch. Ist auch schon okay, ich werd’s überleben.«
»Timo, die Mannschaft kann gar nicht auf dich verzichten. Dann sind wir schneller aus der Liga als wir drin waren.«
Das war gut, sehr gut sogar. Diese Art der Bestrafung war Top, eine bessere gab es gar nicht. Die Cottbusser waren ein Klickerverein, von jeder halbwegs guten Schulmannschaft zu schlagen. Aber nun musste der NFC zusehen wie er sich aus einer Blamage raushalten konnte. Danke, Chris, dachte Timo und augenblicklich erhellte sich sein Gesicht.
»Nein, Chris, lass es sein. Ich.. es tut mir leid..«
»Dir muss nichts leid tun. Glaubst du ernsthaft, der einzige schwule Fußballer zu sein? Komm, das sind Ammenmärchen.«
»Gut, von mir aus. Geh rein und erzähl ihnen genau das. Aber vergiss nicht, ihnen dabei in die Augen zu sehen.« So ließ er seinen Trainer einfach stehen und ging zu seinem Mofa.
»Ach, Christian?«
Der wollte gerade in das Gebäude. »Ja?«
»Du kannst ja auch mal versuchen herauszukriegen, wer mir die Luft aus den Reifen gelassen hat.« Dabei zeigte er auf sein Gefährt. Normalerweise hätte er an dieser Stelle einen Tobsuchtsanfall bekommen, jetzt war es ihm gerade recht. Er kannte Chris gut genug um zu wissen, dass es Dinge gab die er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Und solche Dinge gehörten ganz bestimmt dazu. Timo beschloss, das „Beweisstück“ stehen zu lassen, es zu schieben hätte auch nicht viel Sinn gehabt.
»Du gehst jetzt nicht«, befahl Christian plötzlich; diese Stimme ließ Widerspruch gar nicht zu und damit verschwand er im Gebäude. Wenn Timo sich nicht mächtig getäuscht hatte, mit einer Riesenwut im Bauch.
Er setzte sich auf einen Mauervorsprung und wartete. Es war äußerst spannend. Was passierte da drin grade? Chris war in solchen Dingen unerbittlich. Keiner würde das Gebäude verlassen, bis sich der Schuldige gemeldet hatte. Und Timo war es dann auch egal, wie lange das dauerte. Sein Plan, den er immer noch im Kopf hatte, nahm ab jetzt sowieso einen ganz anderen Verlauf; Oliver tauchte endlich wieder vor seinem geistigen Auge auf.
Es verging eine gute Stunde, bis Christian wieder nach draußen kam. Kleiner als ein Centstück folgte ihm Uwe. Dieser kleine Mistkerl.. Er gehörte zu den wenigen in der Mannschaft, zu denen er einfach keinen Draht fand. Nur, zugetraut hätte er es dem linken Verteidiger nicht. Wahrscheinlich Handlanger für irgendeinen da drin. Aber das würde Christian auch wissen und keine Ruhe geben, bis der geständig war.
Die beiden liefen zu Timo herüber.
»Timo, hast du ne Luftpumpe dabei?«
Der schüttelte den Kopf. Schon ewig hatte er vor, sich so ein Ding zu beschaffen, aber da er bisher noch nicht vermissen musste, war es bei dem Vorhaben geblieben. »Nein, leider nicht.«
Dabei hätte er schwören können, dass Christians Augen blitzten.
»Nun, das ist Pech. Woher du ne Pumpe bekommst ist deine Sache, in spätestens einer Stunde sind die Reifen wieder okay, verstanden?«
Uwe nickte ziemlich verlegen. Eigentlich ein armes Schwein, aber sicher hatten ihn die „Großen“ unter Druck gesetzt. Jetzt musste er es ausbaden. Nun gut, dachte Timo, selbst Schuld.
»Komm, ich fahr dich nach Hause«, schlug der Trainer vor und Timo nahm dankend an. Er war verschwitzt, durstig, zornig, sehnsüchtig. Irgendwie völlig neben der Kappe.
Timo sagte nichts, als sie vom Parkplatz fuhren, Christian war dran.
»Also, ich hab mit ihnen gesprochen. Ich weiß nicht ob es so ist, aber sie meinten, im Grund hätten sie nichts gegen dich. Aber wenn das herauskäme – und die sind sicher dass es so kommt oder sogar schon ist – wäre das nicht gut für den Verein.«
Na ja, das eine glaubte Timo, dass es nicht gut für die Kicker war, das andere, dass sie nichts gegen ihn hätten, dagegen nicht. Aber er sagte nichts. Sein Entschluss stand eh fest. Er würde austreten, die einfachste Lösung überhaupt.
»Christian, ich hab keine Lust auf Spießrutenlaufen. Selbst wenn sie nichts gegen mich haben, die Angst, es käme raus, sitzt tiefer. Aus dem Grund werden sie mich meiden. Und ich kann unter solchen Umständen nicht bleiben. Ich mein, ich könnte mich nicht aufs Spiel konzentrieren.«
Christian seufzte. »Ja, kann ich verstehen. Aber.. ausgerechnet du..«
»Was? Das ich schwul bin?«
»Tschuldige, ich weiß natürlich dass du nichts dafür kannst. Aber, wie geht es jetzt weiter? Ich würde mich freuen wenn du wenigstens morgen noch einmal spielen würdest. Ich weiß, ich kenne dich und werde dich nicht umstimmen können. Aber dieses eine Mal noch..«
Timo grübelte. Eigentlich gerade dann wollte er nicht mehr spielen. Eins auswischen, diesen Säcken. Aber er sah auch ein dass es um Christian ging. Ihm hatte er alles zu verdanken, auch wenn ihm das jetzt natürlich nicht mehr weiterhalf. Richtig überlegt war Christian sogar der einzige, an den er sich jetzt noch halten konnte. Der hatte so etwas wie Macht in dem Dorf. Aber das war zunächst Nebensache. »Nein, ich möchte nicht mehr spielen. Ich glaub ich würde eh nur Mist bauen.«
»Na ja, ich kann’s nachvollziehen. Schade, aber du musst es wissen.«
Damit waren sie bei Timos Haus angekommen. Er verabschiedete sich von seinem Trainer und ging nach oben, ohne nach seinen Eltern zu sehen. Vielleicht hatte die Buschtrommel ja gewirkt und sie wussten es schon.
Rasch sprang er unter die Dusche, sein Mofa musste er eben zu Fuß holen gehen. Lauter solche Sachen, die ihm überhaupt nich in den Kram passten. Im nachhinein fand er seine Entscheidung richtig. Er würde mit Sicherheit nur Mist zusammenspielen und dann gab’s erst recht einen grund auf ihm herumzuhacken. Christian tat ihm ein bisschen leid, aber was solls.
»Timo, Bastian ist hier.« Laut und deutlich drang die Stimme seines Vaters nach oben, bis in sein Zimmer, wo er sich gerade anzog. Ein Blick auf die Uhr, es war kurz nach Zwölf. Irgendwie war auch das Mittagessen in dem Zeitraum. Er hasste Hektik und die drohte plötzlich.
»Ich komme.«
Klar dass Bastian kommen würde. Nun ging die ganze Leier von vorne los. Er eilte nach unten, auf der unteren Treppenstufe blieb er stehen. Sein Vater stand da, seine Mutter, dazwischen Bastian. Irgendwie wurde Timo plötzlich mulmig. Bastian kam öfter vorbei, er war bei der örtlichen Rettungswacht und ein guter Freund seines Vaters. Diese Verstrickungen.. manchmal waren sie gar nicht so praktisch. Oder doch? Immerhin könnte sich jetzt alles klären, endgültig. Seine Eltern einzuschätzen wie sie damit umgehen würden, das war schon immer schwierig. Er wusste dass dieser Tag kam, kommen musste. Und vielleicht war es gar nicht schlecht dass alles so plötzlich kam. Keine Grübeleien, keine Ängste, keine schlaflosen Nächte. Klatsch – und nun hieß es kühlen Kopf bewahren.
Er nahm auch noch die letzte Stufe.. fast wie in Zeitlupe. Die einzig relevante Frage war, wie ging er es an. Er war irgendwie froh dass Bastian jetzt hier war, obwohl er sich nicht vor seinem Vater fürchten musste. Der war nie laut oder grob gewesen, so lange er denken konnte nicht. Seine Mutter.. na ja, sie war Lehrerin an der hiesigen Grundschule und von daher so manches gewöhnt. Es musste jetzt einfach über die Bühne, irgendwie. Du musst stürmen, Timo, wie auf dem Platz.
»Hallo zusammen«, brachte er einigermaßen vernünftig hervor.
Sein Vater ging ein paar Schritte auf ihn zu. »Timo, wir hätten gern.. also wir haben gehört..«
»Ja, okay. Ich weiß nicht was ihr gehört habt, aber ich kann’s mir denken. Und um die Sache zu klären, ja, es stimmt. Es ist so, ich kann es nicht ändern und ich muss damit klarkommen.«
Seine Eltern sahen sich an, dann gemeinsam zu Bastian und schließlich ruhten alle Augen auf ihm. Sie sagten nichts, was ihn im Grunde sehr nervös machte. Aber gut, er wollte nichts provozieren. Zeit mussten sie haben.
»Bastian, könntest du mich zum Sportplatz fahren, mein Mofa holen?«
»Wieso steht es noch dort?«, wollte sein Vater wissen.
»Schwule haben hier keine Lobby, Papa. Sie haben mir die Luft rausgelassen.« Während er das sagte spürte er zum ersten Mal Tränen aufsteigen. Es war dieser Stau, den er seit dem Vormittag mit sich herumtrug. Jetzt brach er durch und Timo konnte es nicht verhindern. Schnell rannte er zur Haustür, riss sie auf und blieb heulend draußen stehen. Er verbarg sein Gesicht in den Händen und ließ seinen Gefühlen freien Lauf. Ob man ihn hier so sehen konnte war ihm egal, ihm war alles egal.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter, streichelte sanft seinen Hals.
»Timo, nicht doch. Es wird alles gut. Wir stehen hinter dir, und wir sind schon zu dritt. Komm, es ist doch nicht schlimm. Sie werden sich daran gewöhnen müssen, gib ihnen Zeit.«
Noch nie hatte er besonders auf die Stimme seines Vaters geachtet, aber an dem Tag tat er es. Langsam drehte er sich um und sah in seine Augen. Dann fiel er ihm um den Hals. Worte fand er überflüssig, im Grunde war gesagt worden was zu sagen war.
»Komm, Timo, wir holen dein Mofa.«
Timo trennte sich von seinem Vater und folgte Bastian in dessen Wagen. Mit einen Eltern konnte er rechnen, das allein war jetzt für ihn wichtig.
Bastian hielt oben am Parkplatz an und stellte den Motor ab. Timo hatte keine Furcht mehr, darüber zu reden. Christian stand hinter ihm, und Bastian würde es auch.
»Das ist.. tschuldige wenn ich jetzt grad keine richtigen Worte finde.«
»Ist schon gut, Basti. Ich komm schon klar. Im Grunde ist es mir recht so. irgendwann wär’s ja doch rausgekommen.«
»Es ist.. komisch. Ich habe immer geglaubt, dass man das jemanden auf hundert Meter ansieht. Ich hab mich mächtig getäuscht.«
»Aber dafür musst du dich nicht entschuldigen.«
»Sag mal, wie ist es denn jetzt überhaupt dazu gekommen? Chris hat mir keine Einzelheiten erzählt, im Grunde auch nur was er selber weiß.«
»Ich hab mich in einen der Cottbusser Spieler.. na ja, sagen wir einfach mal, verknallt. Und das muss irgendwer spitz gekriegt haben. Vermutlich in der Disko gestern Abend, keine Ahnung.«
»Tja, scheint’s irgendwie dumm gelaufen. Und jetzt? Chris sagte, du spielst morgen nicht..«
»Morgen nicht und nie mehr nicht. Ich höre auf. Ich hab Christian auch den Grund genannt.«
»Ja, ich weiß. Würde sicher auch so handeln. Aber das kann bedeuten, dass wir auf die Schnauze kriegen, die sind nämlich ganz schön fit.«
»Basti, das mag sein. Aber.. es geht mich wirklich nichts mehr an. Könnten wir dann fahren?«
Bastian schnaufte und startete den Motor.
Uwe hatte tatsächlich wieder Luft reingepumpt, am Lenkrad klebte ein Zettel.
„Timo, es tut mir leid. Gruß Uwe.“
Was sollte das denn jetzt? Okay, das würde mit Timos Vermutung, die anderen hätten ihn dazu angestiftet, übereinstimmen. Aber wirklich wohler fühlte er sich dadurch nicht.
Er setzte seinen Helm auf und fuhr los. Es war klüger, einen Umweg zum Parkplatz hoch zu nehmen, ihm war nicht nach irgendwelchen sonderbaren Begegnungen.
Unter den Bäumen dort stellte er das Mofa ab. Eigentlich war dies eine Stelle, wo er ziemlich sicher war. Von der Jugend verirrte sich hierhin nie jemand, sonst parkten hier Auswärtige, die wandern wollten. Das hatte er auch vor, aber nur zehn Minuten. Dann war er an der Jugendherberge, seinem Ziel.
Trotz allem hatte er Oliver nicht vergessen, selbst wenn Timo ihm die ganze Schuld an dem Theater hätte unterschieben können. Aber das wollte er gar nicht. Am Ende war es gut so wie es gelaufen war.
Er schloss seinen Helm mit dem Mofa ab und lief los. Bis vor die Tür dort zu fahren erregte viel zu viel Aufsehen, das musste und durfte nicht sein.
Der Waldweg zu der Herberge stieg leicht an, dann konnte man das langgezogene, in ein schmales Tal geduckte Gebäude sehen. Und Stimmen hören. Mit irgend einem Spiel schienen die sich dort zu beschäftigen und das war gut so. Nun musste er nur noch seine Zielperson ausfindig machen. Timo kannte sich hier bestens aus, schließlich war er in der Gegend aufgewachsen und manche Indianerspiele fanden hier statt.
Er schlich einen schmalen Pfad in halber Höhe den Hang entlang, wo er durch dichte Büsche nicht gesehen werden konnte. Sehr wohl aber sah er, dass die Jungen dort unten Cricket spielten. Und da war er auch. Oliver saß auf einer Bank an der Hauswand und ließ sich sonnen. Offenbar spielte er nicht mit, warum auch immer.
Es funktionierte besser als gedacht, denn die Bank war um einiges außer Reichweite, und so konnte Timo mit zwei kleinen Steinchen, die er ziemlich genau vor Olivers Beine werfen konnte, auf sich aufmerksam machen, ohne dass das die anderen bemerkten. Oliver sah sofort in seine Richtung und konnte sehen, dass ihn Timo zu sich winkte.
Oliver stand langsam auf und ging auf den Waldweg, überquerte ihn und noch ehe er sich versah zerrte ihn Timo in die Büsche. Zu einem Wortwechsel kam es gar nicht erst, denn beide Lippen klebten augenblicklich aneinander. Fest zogen sie ihre Körper an sich, vergaßen alles um sich herum.
Trotzdem oder gerade deswegen schien Oliver etwas zu merken. Er schob Timo ein Stück von sich weg. »Was ist denn mit dir los? Willst du mich hier auffressen?«
Timo wischte sich über den Mund. »Wenn das ginge, gern. Ich wollte dir nur sagen, dass das Spiel morgen ohne mich stattfinden wird.«
Oliver neigte seinen Kopf und grinste. »So? Ohne dich auch?«
»Ähm, was heißt auch? Du solltest doch eh nur als Ersatz einspringen..«
»Ja, so war’s geplant. Aber daraus wird so oder so nichts. Aber wieso ohne dich? Du warst ja nicht für die Ersatzbank vorgesehen«.
»Tja, wie das Leben so spielt.. die haben rausgekriegt dass ich.. na ja, offenbar hat man uns gesehen, heut Nacht. Ähm.. wieso grinst du denn jetzt so? Also, ich find’s nicht lustig.«
»Ich auch nicht, aber aus dem selben Grund bin ich auch außer Betrieb.«
Timos Augen wurden groß wie die einer Eule. »Was?«
»Kaum kam ich hier an, fielen sie über mich her. Nun gut, einige hatten ja schon immer den Verdacht – hab ich da auch so nebenbei erfahren.«
Timo nahm seinen neuen Freund in den Arm. »War’s denn schlimm?«
»Nein, nicht so wie ich immer befürchtet hatte. Klar, ich hab auch alles gleich zugegeben. Hatte ja keinen Zweck zu leugnen. Übrigens, es waren wohl zwei von uns die das in der Disko mitgekriegt haben. Händchenhalten..«
»Dacht ich mir. Nun, wie dem auch sei. Haben sie dich ausgeschlossen? So wie mich?«
»Dadurch dass ich freiwillig raus bin, nicht direkt. Aber froh sind sie allemal, könnte ja Gerede geben.«
»Ja, dito, das selbe. Aber was nun?«
»Komm, ich kenn hier in der Nähe eine Kanzel. Gehört meinem Onkel, und die ist nach allen Seiten abgeschottet.«
Oliver sah auf die Uhr. »Aber wir haben nur bis 16 Uhr Zeit. Dann ist Appell.«
Das waren knappe zwei Stunden. »Und dich wird da unten keiner vermissen?«
»Vielleicht, aber eher nicht. Warum sollten die eine Schwuchtel suchen?«
Timos Blick verfinsterte sich. »Ich möchte dieses Wort nie wieder hören, okay?«
Geduckt schlichen sie weiter in die Büsche zurück und nach einigen Minuten schon tauchte der Hochsitz auf. Timo stieg zuerst die Holzleiter nach oben, dicht von Oliver gefolgt. Kurz darauf schloss Timo die Tür hinter ihnen. Schon auf dem Weg hierher war Timo beinahe über den Jungen hergefallen, nun konnte ihn nichts mehr halten. Genügend zeit im Gepäck, sicher vor etwaigen Störungen, hier oben, alleine mit Oliver. Der stand zunächst noch unschlüssig da, aber das sollte sich in Sekunden ändern. Er trug nur eine Short und ein T-Shirt, seine Füße steckten in einfachen Sandalen. Und schon Augenblicke später standen sie sich nackt gegenüber, betrachteten ihre steifen Schwänze und waren sich zunächst noch nicht ganz im Klaren was denn nun passieren sollte. Beide waren bekennend Unerfahren, was in solchen Situationen natürlich erst einmal Panik hervorrufen konnte.
Aber dann übernahm Timo die Führung, er lotste Oliver auf die schmale Bank, setzte ihn auf seine dort liegenden Klamotten und kniete sich zwischen seine Beine, die er bereitwillig weit auseinander streckte. Der Junge war total rasiert und diese Tatsache erkundete Timo mit seiner Zunge, in dem er sie von der Schwanzwurzel über die tief hängenden Nüsse am Schaft entlang zurück bis zur Eichel wandern ließ. Währenddessen wichste er sich selbst.
Lange hatte Timo nicht warten müssen. Als er spürte dass sich der Junge verkrampfte, entließ er den Schwanz aus seinem Mund und wich ein Stück zurück, so dass er an Hals, Schulter und Brust von Olivers heißen Fontänen getroffen wurde. Rasch stand er auf und beendete das Spiel, in dem er Olivers Hand nahm und ihn dazu aufforderte, ihn zu wichsen. Oliver musste sich nicht anstrengen, denn wenige Bewegungen reichten, bis Timo ebenfalls zum Höhepunkt kam. Kräftige Spritzer verteilten sich auf Olivers Körper, bis kein Tropfen mehr kam.
Heftig atmend saßen sie nun nebeneinander, tauschten einen tiefen Kuss.
»Mann oh Mann, so ist’s mir ja noch nie gekommen«, jappte Oliver noch immer, dabei betrachtete er die kleinen, weißen Rinnsäle, die an Timos Körper herunterliefen.
»Mir auch nicht«, stimmte Timo zu.
»Und jetzt?« Oliver sprach das Sperma an, dass beide reichlich abbekommen hatten. »Ich hab nix zum wischen..«
Timo überlegte nicht lange, drehte sein T-Shirt links und wischte erst Oliver, dann sich damit ab. »Das werd ich wohl als Andenken an das hier oben nicht mehr waschen«, grinste er süffisant.
Die anschließende Nacht schlief Timo ruhiger, sehr viel ruhiger als er sich hatte träumen lassen. Nachdem sie sich am Nachmittag unter einem langen Kuss getrennt hatten, war Oliver zurück in die Herberge und er nach Hause gefahren. Er hatte sich darauf gefasst gemacht, auf eine längere Unterredung mit seinen Eltern. Aber die kam nicht. Timo fühlte sich erst mal nicht so wohl in seiner Haut als er nach Hause kam. Immerhin, auch seine Eltern würden ins Gespräch kommen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Überhaupt, es hätte ihn nicht Wunder genommen wenn Pfarrer Ulrich das am Sonntag von der Kanzel gewettert hätte.
»Mach dir keine Sorgen«, hatte seine Mutter beim Abendessen nur gesagt, »das schaffen wir schon.«
Ihn störte das „wir“. Er musste es schaffen, die Firma lag ihm am meisten im Magen. Wenn doch schon ein Tag später und Feierabend gewesen wäre. Dann wüsste er jetzt wo er dran war.
Trotzdem, er wachte ausgeschlafen auf. Mit Oliver war er so verblieben, dass sie sich auf jeden Fall das Spiel aus der ersten Reihe ansehen wollten. Ein Unentschieden wäre gerecht gewesen, aber dennoch erhoffte sich Timo einen haushohen Sieg der Gäste. Freundschaftsspiel hin oder her, eine Niederlage war so oder so eine Blamage. Und die gönnte er seinem Verein von Herzen.
Nach der Dusche aß er eine Kleinigkeit und fuhr los, er wollte sich mit Oliver rechtzeitig treffen um nicht in den hinteren Zuschauerplätzen sitzen zu müssen. Sie wollten beide, dass sie von den Spielern gesehen wurden. Für Timo sollte Stefan Ullmer einspringen. Der war ganz gut, nur kein so ein Trippelkünstler wie Timo. Seine Tricks waren wirklich gefürchtet, auch die Haken, die er schlagen konnte wie ein Hase. Viel Chancen räumte Timo ihnen nicht ein, als ihm Oliver von ihren Siegen erzählte. Die letzten sechs Spiele keinen Punkt abgegeben und sogar gegen die Dresdner gewonnen.
So saßen die beiden schon lange auf den besten Plätzen, als die ersten Zuschauer eintrudelten. Weiterhin schönes Wetter, es würde voll werden. Genau das, was eine Niederlage noch bitterer machte. Und Timo konnte die Nervosität seiner „Kumpels“ quasi schon jetzt spüren. Er wusste, was jetzt in der Umkleide lief. Hörte Christians Worte, die diesmal wahrscheinlich etwas härter als sonst ausfielen. Aber es juckte ihn nicht. Hauptsache er konnte die Schulter seines Nachbarn an seiner spüren, mehr wollte er die kommenden Neunzig Minuten gar nicht. Doch, einen Sieg der Gäste, das war das nächste.
Als die Spieler einliefen, wurde er nun doch aufgeregt, allerdings mehr innerlich. Er war ein einziges mal auf der Ersatzbank, eine Grippe hatte ihn niedergestreckt. Sonst war er mit Leib und Seele da draußen und ein kleiner Stich in die Magengegend konnte er nicht ignorieren. Dass er je in seinem Leben gegen seine Mannschaft wettete, das hätte er sich niemals träumen lassen.
Der Anpfiff. Obwohl sich Timo zuvor darauf eingeschworen hatte, gelang es ihm nicht ganz, gelegentlich seinen Kommentar auf Feld zu rufen. Allerdings ging das im Gegröle der Menge unter.
Stefan machte sich nicht schlecht, aber irgendwo fehlte ihm der Weitblick. Viel zu spät erkannte er die Gefahr und bedenklich oft musste er abgeben. Karsten in der Abwehr dagegen ging voll gegen den Mann, was in der 14. Minute wegen eines Fouls von ihm mit einem Elfmeter und der Gelben Karte quittiert wurde.
„Tor“. Recht verhalten, den allzu viel Anhänger aus Cottbus waren nicht angereist. Dennoch, das erste war drin. Timo merkte nicht dass er zitterte, aber es war die Aufregung allgemein. Er registrierte die Blicke nicht, die ihn aus dem Zuschauerbereich trafen. Dann hätte er gesehen dass es giftige Blicke waren. Wohl einmal weil er schwul, dann dass er deswegen nicht da draußen war und mit Sicherheit ein erstes Tor geschossen hätte. Denn die Cottbusser waren alles andere als wirklich gefährliche Gegner. Aber der FCN hatte dem trotzdem nichts entgegenzusetzen, und durch Klaus’ Unachtsamkeit landete ein Weitschuss aus der linken Flanke genau in seinem Tor.
»Zwei zu Null«, flüsterte Timo seinem Nebenmann zu, und Oliver grinste.
»Sei froh dass da draußen keiner hört.«
Timo lächelte und das blieb einigen Spielern in dieser Sekunde doch nicht verborgen. Aber es war ihm egal, sie sollten seine Schadenfreude spüren, sehen und mitfühlen wie ihm zumute war.
Doch dann nahm der FCN Fahrt auf. Nach Karstens Vorlage donnerte Uwe aus der linken Ecke direkt vor Haralds Fuß, der Ball prallte einfach ab und flog am in die Luft greifenden Pavlek gefahrlos ins Tor. Brausender Jubel am Platz, und fünf Minuten vor Halbzeit trippelte Stefan schon fast in Timo-Manier bis in den Strafraum und mit einem geschickten Dreher stand es Zwei zu Zwei. Kurz darauf jedoch fiel Stefan einfach so aufs Spielfeld. Jemand anderes war gar nicht in der Nähe, im Grunde ziemlich komisch was da passierte. Schon eilte Bastian auf Feld und führte nach einigem Hin und Her Stefan vom Platz.
Peter kam sofort als Ersatz auf das Spielfeld. Ein recht guter Abwehrspieler, mit ihm konnte Christian nicht viel falsch machen.
Das tat eine Minute später Karsten. Der Sturm auf das heimische Tor sah wirklich sehr gefährlich aus und Karsten stoppte den Angreifer aus Cottbus mehr als unsanft, in dem er in seinen Weg grätschte. Das brachte ein weiteres Elfmeter und Rot. Wütend stapfte Karsten vom Platz.
Klaus hielt den Elfmeter ein weiteres Mal, aber sehr, sehr knapp.
Endlich der Pfiff zur Halbzeit.
Timo lehnte sich zurück, das dürfte noch spannend werden. Die Ränge leerten sich, die Zuschauer strömten zu dem Getränkewagen oder den Toiletten. Timo und Oliver blieben sitzen, das Gedränge dort mochten beide nicht.
Moni saß außen am Rand der Tribüne, ab und zu blickte sie herüber. Allerdings, ihre Miene verzog sich nicht. Sie würde sich zu gegebener Zeit äußern, da war sich Timo sicher.
»Hi Timo.« Christian setzte sich plötzlich neben ihn und als wäre das nicht schon genug, sah er wie sich ein anderer Mann neben Oliver setzte. Auch ohne ihn zu kennen, musste das der Trainer der Cottbusser sein.
»Was ist, willst du zusehen wie das weitergeht? Stefan ist scheinbar die Hitze nicht bekommen und Gregor jetzt gegen ihn einzuwechseln.. halt ich nicht für sonderlich gut. Ganz abgesehen davon, dass wir nur zehn Mann sind.«
Timo sah in Christians Gesicht, dass der anfing sich Sorgen zu machen. Gregor, jener Junge Pole in ihrem Kader, war noch nicht so lange dabei, es war zu befürchten dass das schief gehen konnte.
»Pavlek ist mir zu nervös heute, er ist irgendwie nicht bei der Sache. Beide Tore hätten nicht sein müssen. Oliver, ich bitte dich..«
Timo verstand jedes Wort, das an Oliver herangetragen wurde. Die Zeit lief, und seine Gedanken rotierten. Wie auf Kommando sahen sich die beiden an. Sie steckten die Köpfe zusammen.
Was die beiden jetzt ausheckten, konnten ihre Trainer nicht hören, in beiden Gesichtern standen ziemlich große Fragezeichen.
Wenig später schlugen Timo und Oliver ein und standen auf.
»Okay, Christian. Aber unter einer Bedingung..« Damit liefen sie, sich unterhaltend, eilig Richtung Umkleidekabinen. Das gleiche geschah mit Oliver und dessen Trainer.
Mulmig war er Timo schon, als er die geheiligten Hallen betrat. Die Spieler saßen auf den Bänken, ziemlich geschafft wie es schien. Die Hitze war keiner so richtig gewöhnt. Nun waren ihre Blicke auf ihn und den Trainer gerichtet.
»Also, Kommentare zu dem Spiel sind überflüssig, das war bis jetzt mehr als schwach. Um wenigstens zu retten was noch zu retten ist, hab ich einen Vorschlag zu machen. Ihr wisst, dass Timo uns verlassen will. Ich für meinen Teil muss sagen, dass mir deswegen fast der Kragen platzt. Dass es in eurem Alter noch so knöcherne, konservative Ansichten zu diesem Thema gibt ist eigentlich nicht zu fassen. Aber wir haben jetzt keine Zeit für Einzelheiten. Nachdem Karsten«, ein bitterböser Blick traf den Jungen auf der Bank, »Stefan wohl nicht mehr spielen kann, möchte ich, dass Timo ins Spiel geht. Gregor, nichts gegen dich, aber.. «
Der junge Pole winkte ab. »Schon okay.«
»Also, wie seht ihr die Sache?«
Timo wurde noch mulmiger. Allerdings, die wussten was ihnen im Falle einer Niederlage blühen dürfte. Blut und Wasser würden sie schwitzen bei den nächsten Trainings und Christian hatte schon im Vorfeld Sanktionen über gewisse Freiheiten angekündigt. Wie die aussahen war Timo im Augenblick egal. Gespannt blickte er in die Gesichter der Mannschaft.
»Und?«, drängte Christian, die Zeit wurde knapp.
Karsten meldete sich als erster, am Ende hatte er auch am meisten zu verlieren. »Ich hab nichts gegen Timo, übrigens nie gehabt.«
»Ich auch nicht«, meldete sich dann Klaus. Nach und nach hoben sich erst zögerlich, dann etwas schneller die Arme. Uwe war der Letzte, aber der hatte ja eh erst warten müssen was die Großen abstimmten.
Plötzlich kam es Timo vor, als hätte es den Zwischenfall gestern gar nicht gegeben. Aber gut, jetzt war er erst einmal gefordert und dann würde man sehen, wie sie nach dem Spiel zu der Sache standen. Christian, und darin kannte er ihn gut genug, würde das nicht so einfach auf sich beruhen lassen.
Rasch ging er zu seinem Spind. Zwar waren die Sachen nicht gewaschen, aber wen sollte das jetzt stören. Wenn er nur schon gewusst hätte was mit Oliver los war. So wie es bis jetzt gelaufen war hatten sie es abgesprochen, aber man konnte nicht wissen was seine Mannschaft da zu sagen hatte.
Nervös ging er mit den anderen aufs Spielfeld. Was würden die da draußen machen? Buh-Rufe, Jubel? Gar nichts? Er holte tief Luft. Bauch rein, Brust raus war die Devise. Unter anderem wusste er, dass die ganze Firma am Platz war. Wenn er jetzt glänzen würde, dann könnte sich das positiv auf sein Image auswirken. Zumindest würde es helfen.
Der Jubel war unbeschreiblich, als sie das Feld betraten. Ob nun auch, weil er plötzlich auftauchte oder überhaupt? Nein, die Lautsprecherdurchsage bestätigte es: Die Leute jubelten und klatschten, als sein Name fiel.
»Timo, Timo..!«
Und wenn ihn nicht alles täuschte, kam mit der größte Jubel aus der Ecke, wo gewohnheitsgemäß die Mitarbeiter aus der Firma standen.
Den Rest bekam Timo, als er in der anderen Mannschaft Oliver erblickte. Also würde der im Tor stehen. Im Grunde ging es ja nur noch um Schadensbegrenzung, weitere Tore mussten gar nicht fallen.
Anpfiff.
Timo war nach wenigen Sekunden im Spiel, seine Kameraden wie gewohnt da wo sie sein sollten und schon nach drei Minuten musste Oliver sein ganzes Können zeigen. Souverän jedoch bekam er den Ball mit beiden Händen sicher zu fassen. Trotzdem Jubel, weil Timo die ideale Vorlage gelungen war.
Auch Klaus geriet einige Male in Bedrängnis, aber dank Uwe und Peter, die sich da vorn prima ergänzten, musste er den Ball nicht halten.
Timos Trippelarbeit verwirrte die Gegner so manches Mal, aber die neue Nummer Neun, die vom CRC schnell eingewechselt wurde, mischte die Karten neu.
Ballabgabe, rechts Außen, zurück in den Strafraum und – Zack. Klaus hatte keine Chance, das musste jeder einsehen. Trotzdem waren die Buh-Rufe nicht zu überhören.
Timos Ehrgeiz kam zurück. Jetzt war das Spiel, was danach passieren würde, eine andere Sache.
Er konnte es sich leisten, bis an seine Grenzen zu gehen und das tat er dann auch. Da getrickst, dort abgefälscht, dann wieder trippeln und plötzlich war wie aus heiterem Himmel alles frei. Niemand trennte ihn und Oliver und es galt, in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung zu treffen. Es stand Zwei zu Drei für den CRC, da gab es nichts zu überlegen. Olivers Augen waren völlig auf Timos Körper konzentriert. Welche Bewegungen könnten jetzt logischerweise folgen? Mit welchem Fuß würde er versuchen, den Ball reinzukriegen? Und welche Richtung war besonders abzusichern?
Timo schoss mit links, was er nicht sonderlich gut beherrschte. Zwar kreuzte in dem Moment einer aus der gegnerischen Abwehr, aber dessen Bein kam um Haaresbreite zu spät. Der Ball steuerte genau auf Olivers Körper zu. Timo dachte noch, der müsste einfach stehen bleiben. Aber Oliver hechtete nach links, wieso auch immer und damit war das Drei zu Drei perfekt.
Timo schnaufte, seine Ohren pfiffen, aber dennoch hört er die Jubelschreie. Einzig sein Name war scheinbar Programm. Es gab keinen Grund, sich nicht darüber zu freuen. Wenn sie ihn nur noch akzeptieren würden, dann war das sein eigener, ganz persönlicher Sieg. Aber noch war das Spiel nicht zu Ende. Der CRC begann jetzt zu beißen, etwas, wofür auch er einen Namen in der heimischen Gegend hatte. Christian hatte es im Vorfeld angesprochen und seine Mannschaft davor gewarnt.
Erneut wurde eine Nummer ausgewechselt, diesmal die Sieben. Ergün noch was verstand Timo und sofort stellte er sich auf die Lage ein.
Der junge Türke war auch sofort an ihm dran, das war offenbar sein Auftrag und Timo hatte alle Mühe, ihm den Ball abzujagen. Es gelang ihm zwar, aber ein ungewollter Rempler mit einem aus der fremden Abwehr setzte ihn für einige Sekunden außer Gefecht. Die nutzte Ergün zum Sturm und nach drei Bilderbuchhaken flog der Ball zwischen Klaus’ ausgestreckten Armen ins Netz.
Wieder Buh-Rufe, wieder wurde Timo angefeuert. Und so wie er das im Augenblick empfand, war es noch nie gewesen. Sie zählten auf ihn und er wusste, dass langsam eine Entscheidung hermusste. Ein Tor noch, wer auch immer. Die Gegner wurden nachlässig, seit Ergün auf dem Feld so quasi das Kommando übernommen hatte, sie verließen sich zu stark auf ihn. Und diese Nachlässigkeit bezahlten sie, als der Türke erneut das Tor des FCN ins Visier nahm. Da war er nämlich alleine und musste sich gegen Uwe, Harald und Timo durchsetzen. Uwe nahm ihm frech den Ball ab, hin zu Timo, der peilte kurz und trippelte bis Harald genau da war wo er hinsollte. Schuss, zu hoch, aber Haralds Spezialität kam zum Zug: Mit einem Filmreifen Fallrückzieher donnerte der Ball gegen den Torpfosten und bekam so den nötigen Effet, um an Oliver hinten vorbei über die Torlinie zu fliegen.
Erneut Jubel.. Dabei hatte Timo ganz genau hingesehen. Oliver hatte die Sache im Blickfeld, er wusste was passieren würde und niemals hätte er unter normalen Umständen diesen Ball verpasst. Aber so war’s abgesprochen.
Abpfiff. Keine Verlängerung, unentschieden.
Zufrieden war keiner der beiden Mannschaften, trotzdem, es hätte schlimmer ausgehen können.
Die Jungs liefen zusammen und tauschten ihre Trikots. Dass sich Timo den Weg an seinen Kameraden vorbei zu Oliver bahnte war fast Plan. Trotzdem da ein Handschlag, dort eine flüchtige Umarmung, ein Tätscheln auf die Schultern. Wenigstens berühren sie mich, dachte Timo, bis er endlich vor Oliver stand. Der hatte so ein gewisses Grinsen im Gesicht und es waren an der Stelle keine Worte nötig. Timo reichte ihm sein verschwitztes Trikot und nahm dafür Olivers in Empfang. Nachdem sie die Hemden übergezogen hatten umarmten sie sich, anders als das sonst ihm Rahmen solcher Spiele stattfand.
»Oli, ich glaub ich lieb dich«, hauchte ihm Timo ins Ohr.
»Du glaubst? Ich weiß es, ganz bestimmt.«
Sie merkten nicht, dass alle Spieler einen Kreis um sie gebildet hatten. Völlig überrascht ließ Timo von Oliver ab als er es bemerkte. Aber es war eh schon zu spät. Einige der Spieler fingen an zu klatschen, dann alle und schließlich machte die ganze Tribüne mit.
»Was ist jetzt los?«, fragte Oliver mit riesigen Augen.
»Tja, weißt du, was zwischen uns passiert ist, das war gestern und heute wohl Tagesgespräch. Aber so wie ich das jetzt sehe, haben wir zumindest für unseren Teil nichts mehr zu fürchten.«
Christan stellte sich zu den beiden. »Na, was sagt ihr nun? Ich denke, Nordenheim hat einen wichtigen Schritt vorwärts gemacht. Ihr habt denen gezeigt, dass Fußball nicht nur ein Sport für Heteros ist.«
Küssen wollten sich die beiden so mitten auf dem Platz dann doch nicht, aber sie gingen Arm in Arm vom Platz.
»Schade dass du schon gehen musst.« Die beiden standen am Bus, der den CRC in seine Heimat zurückbringen sollte. Mehr Zeit als eine kleine Abschlussfeier am selben Abend hatten sie nicht, aber Christian hatte versprochen, dass das nächste Freundschaftsspiel in Cottbus stattfinden würde. Und das schon sehr bald.
»Okay, es geht los.« Oliver drückte Timo einen Kuss auf die Lippen, was keinem der Anwesenden entging. Aber es spielte keine Rolle mehr. Die Abschiedsreden er beiden Trainer hatten eine deutliche Sprache gesprochen. Am Ende waren die Vereine fast noch stolz, so gute Spieler in ihrem Kader zu haben, obwohl sie schwul waren..
Timo spürte Tränen aufkommen als der Bus losfuhr, aber er versuchte sich zusammen zu reißen.
»Komm, ich denke jetzt machen wir erst mal ne Pause«, schlug Christian vor, »du hast sie verdient.«
Christian legte seinen Arm freundschaftlich um Timos Schulter und gemeinsam schlenderten sie zum Vereinsheim.
ENDE