Boycamp IV – Teil 9

Gegen Mittag verspürte Nico Hunger. Da ja Leo und Rainer hier geblieben waren, musste es wohl etwas zu Essen geben. Gerade als er in den Speiseraum einbog, ging die Haustüre auf. Eine recht vermummte Person, die noch dazu leicht mit Schnee eingestäubt war, betrat das Haus.

„Hey Vlado. Schon hier?“

„Jep“

Er klopfte den Schnee von seinen Klamotten und setzte den Helm ab.

„Das Wetter wird eher schlechter, ich dachte, ich komm mal lieber früher. Zu früh?“

„Nein, gar nicht. Ich wollte gerade etwas essen. Kommst du mit?“

„Wenn ich etwas kriegen kann.“

„Schauen wir mal, ich sehe da kein Problem.“

Sie betraten den Gemeinschaftsraum.

„Hallo zusammen. Wir haben einen Gast, Vlado Gauer kennt ihr ja schon. Darf er sich zu uns setzen?“

„Immer rein in die gute Stube. Den kriegen wir auch noch satt“, antwortete Leo und bot Vlado einen Platz an.

Durch seine Anwesenheit vermieden sie es, während dem essen über die Jungen zu sprechen. Es drehte sich ums Wetter, die Gegend und um die Wölfe. Als sie fertig waren, stand Nico auf.

„Vlado, wir wollten im Internet recherchieren, kommst du mit hoch?“

„Ja, gehen wir.“

Nico war nicht sicher, was Leo und Rainer darüber dachten, aber ihren Blicken nach zu urteilen gab es keinen Grund, sich Gedanken zu machen.

„Findest du es hier nicht auch ein bisschen übertemperiert?“, waren dann Vlados erste Worte, als sie in Nicos Zimmer saßen.

„Nö, ich bin eine Frierkatze und finde es echt angenehm. Schau mal raus, schon der Anblick lässt mich an Winterschlaf denken.“

„Hm, also mir ist zu warm.“

„Du kannst gern ein paar Klamotten ausziehen, wegen dir drehe ich die Heizung nicht herunter.“

„Schön, wie du willst.“

Nico hatte den Vorschlag nicht ernst genommen. Dass Vlado tatsächlich anfangen würde, sich auszuziehen, daran hatte er keine Sekunde gedacht.

Er streifte seinen Pullover ab, unter dem er ein blaues T-Shirt trug und entledigte sich daraufhin seiner Schuhe und dann – völlig hemmungslos – den Jeans.

Hatte Nico die ewigen Boxer erwartet, so präsentierte ihm sich jetzt ein weißer, sehr eng anliegender Minislip. Der zeichnete wunderschön die Konturen von dem nach, was Vlado als Mann – junger Mann – auszeichnete.

„Du gehst ein bisschen zu weit, mein Lieber“, erboste sich Nico künstlich.

Dabei war dieser Anblick eine Augenweide.

„Wieso? Erstens bist du selbst schuld und dann… ich glaube, ich habe nichts zu verbergen. Zudem gehe ich davon aus, dass dir so ein Anblick nicht fremd ist.“

Er grinste dabei süffisant. Nico warf sich neben ihn aufs Bett und schubste seinen Oberkörper in die Kissen.

„Du reizt mich, das ist das Problem. Und du machst das extra.“

Vlado grinste weiterhin.

„Schon möglich.“

Nico sprang auf, stellte sich breitbeinig vor das Bett, stemmte die Fäuste in die Hüften und räusperte sich.

„Gut. Du kannst jetzt nur mit Ja oder Nein antworten: Willst du Sex mit mir oder nicht?“

Vlado wurde nicht einmal rot. Er ließ seine Blicke an Nicos Körper entlang fahren und blieb zwischen seinen Beinen hängen.

„Sex. Das klingt erst mal nicht schlecht. Aber eigentlich hat ja ein Mann mit einem anderen keinen Sex, sofern sie nicht beide schwul sind.“

Nico blieb so stehen, er hatte das Spiel verstanden.

„Richtig. Helles Köpfchen. Aber was macht man, wenn einer der Männer schwul ist, der andere nicht und dieser andere mag das nur mal ausprobieren, hat aber ein bisschen Hemmungen? Oder der ziert sich sogar? Vielleicht, weil sein bestes Stück klitzeklein ist und der das natürlich nicht zeigen möchte?“

Jetzt lief Vlado doch leicht an. Er merkte offenbar, dass er an eine Stelle gekommen war, die er von Nico nicht erwartet hatte. Seine Fragen waren sehr verfänglich.

„Du meinst, ich habe Hemmungen? Und einen klitzekleinen…?“

„Ich meine nichts, ich vermute nur. Allerdings liegt es an dir, da was dran zu ändern. Also, Ja oder Nein?“

Es war nicht zu übersehen, dass es in Vlados Kopf rauchte. Er war offenbar hin- und hergerissen. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, legte sich seine Anspannung. Anscheinend war ihm klar, dass hier nichts stattfand, was verboten war. Er setze sich auf und zog Nico zu sich, dann begann er, dessen Hemd aufzuknöpfen.

So lange hatte es noch nie gedauert, bis ihn ein Junge ausgezogen hatte, aber irgendwann lagen sie mit nacktem Oberkörper nebeneinander.

Nico fuhr seinem Bettgenossen durch die Haare, dann näherten sich ihre Lippen. War das Zungenspiel anfangs noch zart und vorsichtig, begann es sich rasch ins Ungestüme zu steigern.

Mitten im Spiel brach Nico ab.

„Moment, bin gleich wieder hier.“

Er sprang auf und ging zum Treppenaufgang. Bisher war es nicht nötig gewesen, die Bodenklappe zu schließen, aber jetzt wollte er auf keinen Fall, dass ungebetene Besucher hier oben auftauchten.

Er hob die Klappe und schwenkte sie auf die andere Seite über den Aufstieg. Leise ließ er sie in den Rahmen fallen. Zu seiner Freude besaß die Klappe sogar einen Riegel, den er nun mit einem hämischen Grinsen vorschob.

Jetzt war eine Störung unmöglich. Rasch warf er sich wieder neben Vlado und nahm das Küssen da auf, wo es unterbrochen wurde. Gleichzeitig griffen sie sich zwischen die Beine, begannen zu massieren.

Vlado atmete kurz und heftig, mit geschlossenen Augen schien er zu genießen, was dann passierte. Langsam zog Nico den Slip auf die Schenkel und betrachtete sich Vlados nicht eben klein geratene Männlichkeit, die bretterhart auf seinem Bauch lag.

Er streichelte den Penis von der Eichelspitze bis zum Schaft, weiter hinunter bis zu den Hoden. Es war immer wieder ein berauschendes Erlebnis, wie weich und warm sich das anfühlte und die Reaktionen, die das auslöste, kannte er auch.

Vlado genoss das dann auch mit geschlossenen Augen und hörbarem Atmen, dabei fuhr er durch Nicos Haare. Nico zog ihm seinen Slip nun vollständig aus und seinen gleich mit. Entschlossen packte nun auch Vlado zu und bearbeitete Nicos Schwanz mit beiden Händen.

Sie massierten sich, nicht zu heftig und nicht zu zaghaft und Nico staunte, als sich dann an Vlados Eichelspitze ein großer Tropfen bildete und mit einem glasklaren Faden zu seinem Bauchnabel tropfte.

Nur wenige Augenblick später bäumte sich Vlado auf und entlud sein Sperma und die kräftigen Spritzer benetzten seine Brust und den Bauch. Schwer atmend blieb er einen Moment so liegen, dann vollendete er das Spiel in gleicher Weise.

Nicos Enthaltsamkeit sorgte dann auch dafür, dass sich durch Vlados Hand eine wahre Spermaflut auf seine Brust und Bauch ergoss. Die ersten Spritzer reichten bis neben seinen Kopf auf das Kissen.

Dann lagen sie nebeneinander, ihre Herzen klopften und nur allmählich beruhigte sich das heftige Atmen. Keiner sagte etwas, keiner tat etwas. Der Geruch nach ihrem Sperma erfüllte die Luft und sorgte dafür, dass zumindest Nicos Erregung nur sehr langsam abnahm.

Irgendwann rappelte sich Vlado auf.

„Was war das denn jetzt?“

Nico versuchte, ernst zu klingen.

„Nichts, Vlado, nichts. Du hattest sicher einen Traum.“

„Ah so. Aber einen sehr realen, wie mir scheint.“

Dabei starrte er auf die nassen Streifen und die Pfützen auf ihren Körpern. Dann zeige er auf Nicos Kopfkissen und grinste.

„Hast du aber eine Kanone…“

Nico musste nun doch recht herzhaft lachen und stupste ihn an die Nase.

„Das kommt immer drauf an, wie einer es versteht, sie abzufeuern. Aber Ich möchte jetzt duschen, kommst mit?“

„Seltsame Fragen kannst du aber schon stellen“, antwortete Vlado.

„Gut, aber wisch dir erst den Bauch ab, sonst tropft das alles ins Bett und ich habe es erst überzogen.“

Vlado grinste bis über beide Ohren.

„Oh und ich dachte es macht dich vielleicht an, auf meinem Sperma zu schlafen.“

Nico lachte, nahm sein Kissen und schlug nach dem Jungen.

„Ich bin nicht pervers.“

Vlado wehrte die Kissenschläge ab.

„Ja, nicht? Aber mit Spermakissen um dich hauen ist normal oder wie? “

Nico sank in die Knie vor lachen.

„Du bist ziemlich frech, weißt du das? Aber jetzt los, sonst kommen wir hier heute gar nicht raus.“

Er meinte das ernst. Es wäre nicht das erste Mal, dass es nach kurzer Pause genauso weiterging und in diese Verfassung hatte Vlado ihn gebracht.

„Hattest du überhaupt schon mal Sex? Ich meine, richtigen Sex?“, wollte Nico wissen, während er Vlado mit seinen Händen unter der Dusche abseifte.

Vlado wurde verlegen.

„Nicht wirklich. Bei den Weibern rumgespielt, ja, schon, aber richtigen Sex, nee, das hat sich noch nicht ergeben. Mehr als Petting war noch nicht drin und das ist auch schon lange her. Wohl eher im Rahmen der Neugier passiert und mit einem Jungen oder so hatte ich überhaupt noch nie etwas.“

„Und wie war das jetzt für dich? Du kannst ehrlich sein. Wir waren beide geladen, die Situation günstig. Da kann so was passieren, ist beileibe keine Ausnahme.“

„Muss ich drüber nachdenken. Schlecht fühle ich mich nicht, wenn du das meinst. Angeblich machen das ja viele Jungs, rein aus Spaß natürlich.“

„Zum Beispiel. Da ist aber auch dieser moralische Kater, danach. Ist oft so. Man könnte sich vor Zorn auf den Mond schießen, weil man sich hat so gehen lassen.“

„Nein, hab ich auch nicht. Es war ja schön gewesen.“

Nico wuschelte Vlados Haare.

„Verbuche es notfalls unter Erfahrung. Es gibt Dinge im Leben, die macht man eben nur einmal. Aber trotzdem muss es nicht sein, dass diese Erinnerungen immer nur schlecht sind.“

Nachdem sie sich gegenseitig intensiv und länger als üblich abgetrocknet hatten, legten sie sich nackt auf das Bett. Nicos Blick fiel auf die Uhr, der Bus würde bald kommen. Er hob Vlados Kopf und legte seinen Arm darunter.

„Es ist schön mit dir, nur hier zu liegen. Nichts sagen, nichts tun.“

Vlado nickte, dann legte er seine Hand auf Nicos Brust.

„Komisch, wieso wehrt sich nichts in mir gegen das alles? Ich habe nie zuvor an so etwas gedacht. Nicht mal einen Pornofilm konnte mich reizen. Ich mein die Männer, die da mitspielen.“

„Tja, das Leben geht manchmal sehr seltsame Wege. Wer weiß, in ein paar Wochen hast du das alles hier vielleicht schon wieder vergessen.“

„Nee, Nico, das vergesse ich nicht.“ Er küsste ihn auf die Nasenspitze.

Ich frage mich eher, was ich mal ohne dich machen soll.“

Das waren diese Momente, die Nico das Fürchten gelehrt hatten. Es war nicht ganz abwegig, dass sich Vlado ein bisschen in ihn verliebt hatte, oder das sogar noch tun würde.

„Das bezieht sich aber nur auf eine Freundschaft, oder?“

„Weiß noch nicht. Ich sagte ja, es hat mir Spaß gemacht.“

„Vlado, ich bin noch eine Weile hier. Trotzdem solltest du dich schon jetzt mit dem Gedanken anfreunden, dass wir uns trennen müssen. Wir können Sex haben, wann immer das möglich ist, an mir liegt das nicht. Unzählige Weiber und Kerle da draußen tun das. Affären hat es schon immer gegeben und wird es immer geben. Da wird selten mehr draus, die wollen nur ihren Spaß haben und davon ist die Welt noch nicht untergegangen. Ich möchte nur nicht, dass nachher Tränen fließen. Glaub ja nicht, dass ich gefühllos, egoistisch oder kaltherzig bin, aber so sind die Dinge nun mal. Ich muss wieder auf die Uni und naja, wer weiß. Wenn dieses Camp hier bleibt, dann komme ich im nächsten Frühjahr höchstwahrscheinlich zurück. Aber mehr Hoffnungen kann ich dir nicht machen.“

„Damit könnte ich leben. Ich muss ja dann sicher auch hier weg, fällt mir ein.“

„Wohin?“

„Ich finde hier ja keine Lehrstelle. Forstwirt wäre so was, die Voraussetzungen würde ich mitbringen. Aber egal was ich machen will, hier gibt’s im Umkreis nichts. Ich denke, dass ich wohl nach München gehen muss.“

Sein Gesichtsausdruck wechselte dann rasch nach sinnlich. Er ließ seine Finger über Nicos Stirn, Mund, Nase, Ohren und Hals gleiten.

„Du bist sehr schön, weißt du das?“

Nico grinste.

„Schön ist relativ.“

„Nein nein, ich meine, ich kenne ja ne Menge Leute, Jungs auch natürlich. Aber du bist so ein Mensch aus einem Katalog. Was zum anschauen und vorzeigen.“

Nico wurde selten rot, doch jetzt spürte er, wie das Blut durch seine Haut leuchtete. Er war sicher manche Komplimente gewohnt, aber die lagen schon länger zurück. Dabei hatte er bereits befürchtet, ganz allmählich an Attraktivität zu verlieren.

Ganz spurlos dürfte die Vergangenheit an ihm ja nicht vorüber gehen, jünger wurde auch er nicht. Allerdings gab es da ein schönes Beispiel: Falk. Der war längst kein Junge mehr, auch kein junger Mann, aber er war das Bild von einem Mann.

Zumindest, was seinen Geschmack betraf. Älter werden hieß ja nicht automatisch, alt zu werden. Er zog Vlados Kopf zu sich und musste nicht lange nach der Zunge des Jungen suchen. Ja, er würde es wieder tun mit ihm, wenn er das wollte.

Als plötzlich leise Stimmen zu vernehmen waren, sprangen beide fast gleichzeitig auf.

„Wie doof sieht das jetzt eigentlich aus, wenn wir beide da runtergehen?“

„Ach Vlado, wie schon? Wir haben im Internet recherchiert – für deinen zukünftigen Beruf zum Beispiel. Alles andere, was die denken könnten, muss uns wurscht sein.“

Vlado gab ihm einen Klaps auf den Hintern, ließ seine Hand kurz dort liegen und knetete dann ein wenig herum.

„Du hast übrigens doch einen sehr niedlichen Knackarsch. Vielleicht sollte ich mich mit dem mal näher beschäftigen.“

Nico lachte, schubste den Jungen weg und begann, sich anzuziehen. Er sah dabei zum Fenster hin und ging dann langsam darauf zu.

„Vlado, schau mal. Der Winter ist da.“

Der Junge kam zu ihm und sie blickten gemeinsam in eine weiße Landschaft.

„Tja, es war vorauszusehen, aber viel ist es nicht. Warte mal, wenn der richtige Winter zuschlägt.“

„Oh, ich glaube, ich will das gar nicht wissen. Als Sonnenkind kann ich liebend gern drauf verzichten.“

Dann öffnete Nico die Klappe, worauf die Stimmen und Geräusche von unten viel deutlicher zu hören waren. Plötzlich war wieder Leben im Haus.

Sie gingen nach unten und blieben dann im Flur stehen. Vlado machte ein sichtlich gedeppertes Gesicht.

„Was ist? Komm doch.“

Nico beugte sich nah zu ihm hin und flüsterte: „Oder hast du Angst, man könnte es uns ansehen?“

„Hm, komisches Gefühl. Irgendwie.“

Nico lächelte und klopfte ihm auf die Schulter.

„Sei kein Hasenfuß. Niemand sieht einem das an, das solltest du inzwischen wissen.“

Die ganze Gesellschaft hatte sich im Gemeinschaftsraum eingefunden, allerdings schien die Stimmung nicht ganz dem zu entsprechen, wie sich das angehört hatte. Stein kam auf Nico zu. Anscheinend hatte er seine Anweisung, ihn nicht vor dem Abend sehen zu wollen, vergessen. Oder ihm war seine Entscheidung klar.

„Bei einem der Jungen haben sie etwas festgestellt, man hat ihn vorsorglich dort behalten. Er wird wohl für das Camp ausfallen.“

„Was hat man denn festgestellt?“

Er beugte sich zu Nico hin, damit nur er es verstehen konnte.

„Einen Schatten auf der Lunge.“

„Oh. Und wer?“

„Nils Kleinert. Die Ärzte meinten, wir müssen vorerst nicht zur Untersuchung, er war ja erst einen Tag hier. Allerdings weiß man noch nicht, ob die Tuberkulose offen ist. Falls dem so ist, müssen wir zu gegebener Zeit auch hin.“

„Jetzt dezimiert sich das Camp aber ziemlich. Zumindest die Einsatzfähigen nehmen ab. Hoffentlich bleibt das nicht so.“

„Wir müssen halt mit allem rechnen. Aber wir können keine vierzig Jungs hier reinstopfen und annehmen, dass eh die Hälfte ausfällt. Mal sehen, sicher haben die Studenten noch jemand in Reserve. Dazu ist es immerhin noch nicht zu spät.“

Nico ging hinaus auf den Vorplatz, wo Vlado bereits auf seinem Moped saß.

„Kommst du denn da mit deiner Kiste heil ins Dorf?“

„Sicher. Es ist ja nicht mein erster Schnee. Muss halt aufpassen.“

Damit setzte er seinen Helm auf. „Geht heuer früh los mit dem Winter.“

„Hey Kleiner, pass bloß auf dich auf, hörst du?“

Vlado sah ihm eine Weile in die Augen.

„Sicher, versprochen. Wann sehen wir uns wieder?“

„Ruf an am besten. Wenn es so weiter schneit, wird’s eh problematisch für dich.“

Vlado nickte etwas unglücklich.

„Ja, das könnte passieren. Aber gut, nichts zu machen.“

Er spitzte den Mund und warf Nico einen Luftkuss zu. Der erwiderte ihn und winkte verhalten. „Komm gut heim. Ciao und bis dann.“

Vlados Moped sprang sofort an und langsam verschwand es mit seinem Fahrer im Schneetreiben.

Nico ging ins Haus, klopfte sich den Schnee von den Schultern und schüttelte ihn von seinem Kopf. Er stellte fest, dass die Jungen verschwunden waren, nur Rainer Bode stand noch bei Leo. Er ging zu den beiden hin.

„Was ist denn heute noch geplant?“

Rainer zog die Schultern hoch.

„Wir werden etwas früher zu Abend essen, am Mittag gab’s scheinbar nur Hamburger. Ansonsten sollte der Haber erste Gespräche mit den Jungs führen. Da hat aber der einen Plan dazu.“

„Und wo ist Haber jetzt?“

„In seinem Zimmer. Kann sein, dass er schon den ersten Kandidaten bei sich hat.“

Plötzlich und unerwartet strömte ein starker, aber angenehmer Duft nach frisch gebrühtem Kaffee durch die Räume. Im selben Augenblick erschien Holzmann mit zwei Kannen in der Hand.

„So Leute, erst mal Kaffee jetzt. Kuchen hab ich auch hier. Ruft die Mannschaft, die können

das jetzt vertragen.“

Nico grinste. Holzmann hatte das garantiert aus eigener Initiative gemacht, ohne Befehl von außen. Erst jetzt spürte Nico seinen Hunger, dabei war das nach der Aktion mit Vlado zu erwarten gewesen. Er hatte daran anschließend immer irgendwie Hunger.

„Gut, dann hol ich die mal bei.“

Er ging durch den Gang, stellte sich dann hin.

„Alle herhören. Es gibt Kaffee und Kuchen. Wer nicht in zwei Minuten da ist, kriegt nichts mehr.“

Plötzlich war Rumpeln und Stimmen zu hören, auf dieses Kommando hörten sie alle.

„Da ist aber einer bei Herrn Haber drin“, klärte ihn Sascha auf.

„Keine Bange, der bekommt dann schon noch was“, erwiderte der Koch.

„Wir haben aber Termine gekriegt.“

„Kein Problem, ich habt ja sicher alle Uhren an. Also los, eine zweite Einladung gibt es nicht.“

Kurz darauf stürzten sich die Jungen auf den Kuchen. Nur Jonas fehlte in der Runde, wie Nico feststellte. Dann war der also grade bei Haber im Gespräch. Nachdem Nico ebenfalls über Kaffee und Kuchen hergefallen war, begab er sich wieder in sein Zimmer.

Sein erster Blick fiel auf das total zerwühlte Bett, außerdem hing Vlados Geruch wie ein feiner Schleier in der Luft. Der zweite Blick ging dann hinaus aus dem Fenster. Er starrte lange in die weiße Wand, dann hinüber zu den Tannen am linken Waldrand.

Unglaublich, dass der Schnee hier einfach so liegen blieb. Aber laut Vorhersage sollte das Schneetief noch in der Nacht abwandern und die Temperaturen danach wieder etwas ansteigen.

Er setzte sich auf die zerwühlten Kissen und jetzt war Vlados Geruch viel deutlicher zu vernehmen. Dinge, auf die er während ihres kurzen Spiels gar nicht geachtet hatte. Diverse sonstige Spuren hatten sie ja nicht hinterlassen.

Er holte sein Notebook und fuhr es hoch. Sein Postfach enthielt keine Mails und so stöberte er in den Nachrichten und im Wetterforum. Aber all das berührte ihn irgendwie nicht wirklich. Es war auch nicht verwunderlich, dass ihm die sehr erfreuliche Handlung mit Vlado nicht aus dem Kopf ging.

Er ließ sich in die Kissen fallen und starrte zur Decke. Vlado war irgendwie so völlig anders als all die anderen vor ihm. Unkompliziert vor allem. Nicht so anlehnungsbedürftig wie Stefan am Anfang.

Oder auch Marco. Anhänglich war er wohl, aber nicht so, dass es auf Dauer nervig sein könnte. Der Junge stand irgendwie komplett auf beiden Beinen im Leben und schien auch bereit, Wege zu gehen, die nicht unbedingt so vorgeschrieben waren.

Vielleicht war er genau einer von der Sorte, die Nico für sich vorgestellt hatte. Sicher musste es welche davon geben, aber häufig waren sie nicht und dann sank die Quote noch erheblich dadurch, dass man ihnen ja nicht zwangsläufig auch begegnen musste.

Er holte tief Luft, dann schnappte er sich das Kopfkissen nebenan und drückte es vor sein Gesicht. Wüsste er es nicht besser, würde er sagen, Vlado war gar nicht gegangen. Er erschrak, als er die Stufe seine Treppe knarren hörte, warf das Kissen zu Seite und setzte sich auf. Sekunden später klopfte es zaghaft.

„Ja?“

Vorsichtig schob sich ein Kopf durch die Luke.

„Nico?“

„Anwesend.“

Er war schon sehr gespannt, was Jonas hier oben bei ihm zu suchen hatte.

„Störe ich?“

„Im Moment würd ich sagen, nein. Was gibt’s denn?“

Jonas stieg die letzten Stufen herauf und blieb am Aufgang stehen. Nico beobachtete ihn sehr genau und es brauchte keine besondere Menschenkenntnis, dass Jonas ebenfalls recht genau hinsah.

Das erste, was ihm aufgefallen sein müsste, war die chaotische Unordnung, vor allem aber das Bett. „Jetzt kriegt seine Ahnung Auftrieb“ donnerte es durch seinen Kopf. Das war verräterisch genug für Jonas, er würde sich auf solche Sachen viel mehr einen Reim draus machen können als andere.

„Ich soll vom Koch ausrichten, dass das Abendessen heute eine Stunde früher stattfindet.“

„Das ist sehr lieb von dir, Dankeschön.“

Wäre es nicht Jonas gewesen, hätte er sicher etwas forscher reagiert. Aber so stand der Junge dort, in seinem neuen Jogginganzug. Kein Schlabberdings, der alles verschluckte. Nein, Nico musste ihm eine gute Figur darin bescheinigen.

Allerdings trug Jonas weder Strümpfe noch Schuhe. Wie er so aussah, standen seine Tagebucheinträge eigentlich in keinem Verhältnis. Nico hätte auch nur ein Wort gebraucht, um Jonas von seinen Ahnungen zu überzeugen und es fiel ihm in diesem Augenblick nicht leicht, sein Geheimnis für sich zu behalten.

Denn es stand auch fest: So sah Jonas zum anbeißen aus.

Er schüttelte den Gedanken ab und unterließ es, den Jungen weiter mit den Augen auszuziehen.

„Und, hattest du ein Gespräch mit Herrn Haber?“

Jonas wurde lockerer.

„Ja, hatte ich. Er wollte erst mal alles über meinen Lebensweg wissen. Also so ungefähr das, was ich dir auch schon geschildert habe.“

„Und was meint er?“

„Na ja, möglicherweise muss ich die Lehre neu beginnen. Es ist zu viel Zeit vergangen inzwischen.“

Eigentlich war Nico in der Verfassung, ihn hereinzubitten und sich zu ihm zu setzen. Aber er unterließ es.

„Immerhin eine Aussage. Das wird schon.“

„Denke ich auch. Außerdem hat er gesagt, dass mir meine Eltern einen Pflichtteil auszahlen müssten, selbst wenn sie mich enterben würden.“

„Klingt doch gut. Dann hast du wenigstens ein gewisses Auskommen. Mich würde aber wirklich interessieren, ob die das soweit kommen lassen.“

„Weiß man nicht, bei denen sowieso nicht. Aber gut, ich geh dann mal wieder runter.“

„Ja, und Danke noch mal. Bis später.“

Nachdem Jonas verschwunden war, wurde es Nico plötzlich doch recht warm. Möglicherweise hatte er sie beide vorhin herunterkommen sehen und würde sich jetzt doch fragen, wieso ein Bett dermaßen zerwühlt sein konnte. Wenn man schon einen Gast hat.

Ihm wurde noch heißer, als er zur Dusche blickte und die beiden Badetücher auf dem Boden liegen sah. Welcher Mensch braucht zwei und warum räumt man so was nicht weg?

Entweder Jonas bekam den Eindruck, dass er ein ziemlicher Schlamper war oder er zählte doch Eins und Eins zusammen. Im letzteren Fall fehlten allerdings jegliche Beweise und es stand eh nicht zu befürchten, dass der Junge etwas damit anfangen konnte.

Nach diesem kurzen Schreck machte er das Bett und hängte die Handtücher über die Duschwand. Dann griff er zu seinem Handy und suchte die Nummer von Professor Roth.

„Hallo Herr Professor, Nico Hartmann hier.“

Er erklärte ihm seine Entscheidung.

„Das ist eine sehr gute Nachricht, Herr Hartmann. Über alles weitere werden wir uns dann beizeiten unterhalten. Aber schon jetzt: Ich freue mich, dass Sie sich so entschieden haben“, waren dann seine Abschlussworte.

Nun konnte Nico nicht mehr zurück, das wurde ihm klar, nachdem er aufgelegt hatte. Sein Weg war geebnet und im Gegensatz zu den meisten seiner Kommilitonen blieb ihm die nervige Suche nach dem Studium erspart.

Er nahm sein Notebook und kopierte die Textdatei, die er am Tag davor geschrieben hatte, auf einen Speicherstick. Damit ging er dann nach unten.

Zu seiner Überraschung begegnete ihm Stein.

„Hallo Falk. Wolltest du nicht zu Nils nach Weiden in die Klinik?“

„Tja, wollten schon, aber das ist bei dem Wetter eigentlich unmöglich. Es schneit noch immer und das wollte ich mir nicht antun. Leo wird morgen in der Früh hinfahren, jetzt macht das keinen Sinn.“

„Übrigens, Falk, ich habe grade mit dem Professor telefoniert.“

Stein sah ihm in die Augen, ein leichtes Lächeln, für andere sicher kaum zu erkennen, huschte über sein Gesicht.

„Komm, lass uns in mein Zimmer gehen.“

Erneut holte er dort die Flasche Wein aus dem Schrank und setzte sich zu Nico.

„Ich denke, ich kenne deine Entscheidung?“

Nico grinste.

„Klar.“

Stein schenkte Wein in die Gläser und stieß mit Nico an.

„Dann herzlich willkommen im Club.“

„Langsam, ich muss erst noch durch die Prüfung.“

Stein schüttelte den Kopf.

„Das ist doch bloß Formsache bei dir, damit du ein Schreiben in der Hand hast. Ich wüsste nicht, was die Prüfung mit all dem zu tun haben sollte.“ Dabei grinste er spitzbübisch, wie das öfter der Fall bei ihm war.

„Falk, ich habe mich gestern mit einem der Jungen hier unterhalten. Über sein Leben, was da

los war und all diese Sachen.“

„Aha. Und?“

„Ich habe dazu mal einen Bericht verfasst. Ich weiß, dass das später zu meinen Aufgaben gehört und wollte wissen, ob das so in Ordnung ist.“

Dabei hielt er Stein den Speicherstick entgegen.

„Schön, ich schau mir das in Ruhe an. Aber mal etwas anderes: Hast du vom Polizisten noch mal was gehört? Wegen dieser Sache an der Sendeanlage da oben?“

Nico schüttelte den Kopf.

„Nein, kein Wort. Vlado hat vorhin auch nichts gesagt.“

Stein runzelte die Stirn.

„Seltsam. Man würde euch doch als Zeuge befragen wollen, egal ob da mehr gewesen ist als

nur ein kaputter Zaun.“

„Falk, ganz ehrlich: Ich habe das Gefühl, der hat gar nichts gemacht. Mich würde nicht mal wundern, wenn er von den Fotos nichts weiß. Obwohl Vlado ihm die Speicherkarte gegeben hat.“

„Ich möchte da nichts aufrühren, aber wir sollten trotzdem wachsam sein. Mir gefällt da irgendetwas nicht.“

„Das geht nicht nur dir so, Falk. Aber ich hab eh die Augen offen, das weißt du ja.“

 

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