Timo Wehlen gehörte zu jenen Jungen, die eigentlich überall und doch nirgends waren. Nico schätzte ihn als neugierigen, wissbegierigen Typen ein und es war schwer, ihn der Straße zuzuordnen.
Vermutlich wollte er nur etwas Neues ausprobieren, wenngleich sein Lebensweg dahin eine ganz andere Geschichte erzählte. Nico war es einfach noch nicht gelungen, sich näher mit ihm zu unterhalten.
Vom Aussehen her war er der Typ, der Nico zu keinerlei Gedanken hinreißen konnte. Ein Junge, wie sie ihm schon dutzendfach begegnet waren, ohne dass er sich danach hätte umdrehen wollen. Jedoch war Nico inzwischen an der Stelle angelangt, wo ihm das zwar wichtig, aber nicht notwendig war. Das Menschliche zählte.
Die Stimmen lockten dann auch Sascha Becker an die Tür. Er umklammerte seinen Brustkorb und zitterte schon nach wenigen Augenblicken. Dabei hätte man das angesichts seines durchaus als athletisch zu bezeichnenden Körperbaus nicht vermutet.
Seine schulterlangen, blonden Haare säumten darüber hinaus ein durchaus hübsches Gesicht. Wenn er lachte, blitzten schneeweiße Zähne aus einem Mund, der durch volle, rote Lippen gesäumt wurde.
Nico stellte sich bisweilen vor, wie dieser Junge wohl küssen würde, aber das war nicht personenbezogen. Er wusste, dass Saschas Liebeskummer um ein Mädchen in seiner Straße mit Schuld war, weshalb er alles hingeschmissen hatte.
Außerdem wartete Nico vergeblich auf die versteckten Signale, die alle Jungs irgendwann aussendeten, wenn sie einen gewissen Prozentsatz schwuler Eigenschaften besaßen. Da war Jonas ein fast schon blühendes Beispiel, auch wenn dort Mädchen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hatten. Bei Sascha dagegen konnte sich Nico eher gut vorstellen, dass er von den Schwulen gar nichts hielt.
Die Kälte machte dem Stelldichein ein rasches Ende und die drei verschwanden recht schnell wieder im Haus. Es dauerte noch einige Zeit, bis dann auch Jonas unter der Tür stand. Er spähte hinaus und sah seinem weißen Atem nach.
„Was ist denn hier los?“
„Winter, mein Lieber, Winter“, ereiferte sich Nico erneut.
„Ich glaub es nicht, oder? Das ist ja Schweinekalt. Was machst du denn eigentlich schon so früh da draußen?“
„Ach ich mag die Kälte. Ich friere gerne.“
Jonas legte den Kopf zur Seite.
„Du verarschst mich jetzt aber wieder voll total, oder?“
Nico grinste.
„Schon möglich. Du, Jonas, ich muss heute eine Hundehütte für Rick bauen. Würdest du mir dabei helfen? Ihr habt keinen Dienstplan, Zeit dafür wäre also. Zumal du deinen Termin bei Haber ja schon hattest.“
Jonas sah zunächst aus, als hätte er die Frage nicht verstanden, nickte dann aber.
„Sicher. Kann ich machen.“
„Dann nimm dir bitte noch zwei Jungs, die zur Hand gehen. Umso schneller sind wir fertig.“
„Ruben und Maik, die würd ich aussuchen.“
„Dann sag denen bitte Bescheid, nach dem Frühstück gehen wir dran.“
Dann erschien auch Rainer Bode.
„Morgen Rainer. Kurze Nacht, wie?“
„Morgen zusammen. Es geht, viel früher als heut Nacht komm ich ja sonst auch nicht in die Falle. Aber geh du mal unter die heiße Dusche, ich werde das hier übernehmen.“
„Oh, tausend Dank. Ich glaube ich bin ein Eisklotz.“
„Hehe, das sieht man dir auch an. Eiszapfen an der Nase.“ Rainer grinste.
„Mach dich nur lustig. Aber danke. Bis nachher.“
Auf dem Weg nach oben stürmte Rick an Nico vorbei nach unten, ohne auf ihn zu achten.
„Ja Klasse. Die ganze Nacht in der warmen Bude statt Wachhund. Aber damit ist jetzt Schluss“, rief ihm Nico nach.
Kurz darauf begegnete ihm Stein auf der Treppe.
„Moin Falk. Sag mal, gab’s einen Grund, mich anzufunken?“
„Ja, den gab’s. Mitten in der Nacht klopft es an der Tür und Maik steht draußen. Aufgeregt erzählt er mir, dass da unten jemand wäre.“
Nico musste lächeln.
„Ah, wir haben uns beide gesehen.“
„Ja, aber ich musste halt sicher gehen. Die Jungs wissen ja nichts von der Wache.“
„Ah, dann hat es sich erledigt. Ich hab mich bloß gewundert.“
„Alles Bestens, Nico. Bis nachher.“
Das heiße Wasser war die Wohltat schlechthin. Nico stand unter der Dusche und ließ es an sich herablaufen. Mit jeder Minute kamen die Lebensgeister zurück. Der Alarm hatte also funktioniert, wenn es auch ein blinder war.
Die Jungs passten auf und er hatte auch nichts vermasselt. Trotzdem hatte er im Nachhinein den Eindruck, dass es die längsten zwei Stunden seines Lebens gewesen wären. Das frühe aufstehen, die Kälte, die heiße Dusche, das alles führte dazu, dass Nico mit Heißhunger zum Frühstück kam.
„Ich hab übrigens telefoniert“, begann Leo das Gespräch.
„Es gibt einen Zweitschlüssel für das Heizwerk, aber der hängt bei Eidamer am Brett hinter der Tür. Hat er mir jedenfalls versichert. Außerdem besorgt er die Bewegungsmelder, aber zur Installation kommt er heute nicht mehr. Morgen früh steht er dann auf der Matte.“
„Also Einbruch klassisch mit Dietrich. Was meint er denn im Übrigen zu unseren Verdächtigungen?“
„Im Grunde würde es ihn nicht wundern. Er hat schon einiges an massivem Ärger mit renitenten Bewohnern des Orts erleben müssen. Zwar kam es nie zu Sachschäden, aber generell ausschließen möchte er das jetzt nicht. Jedenfalls hat er natürlich auch Interesse, dass hier am Haus nichts passiert.“
„Okay, dann wisst ihr Bescheid. Noch eine Nacht Wache, wobei Rick dann auch mit von der Partie ist. Der kann sich erst mal dran gewöhnen. Könnte also wirklich was dran sein an einer Sabotage.“
„Anzunehmen, Falk. Außerdem sagt Eidamer auch, dass die Dachklappe im Holzlager nie offen steht, er wusste nicht mal, dass die überhaupt funktioniert.“
Stein biss in eine Semmel.
„Wenn wir mal wild spekulieren, dass tatsächlich jemand einen Anschlag aufs Camp vor hat, was würde er noch tun, um effizient darin zu sein?“
„Da gäb es sicher mehrere Möglichkeiten“, antwortete Nico, „aber so richtig Wirkung hätte tatsächlich nur das Heizwerk. Wenn das bei der Kälte ausfällt, können wir einpacken. Entweder Heizung oder Strom lahm legen.“
„Nicht ganz“, warf Leo ein.
„Durch die Lage hier oben hat man in weiser Voraussicht ein Notstromaggregat im Keller installiert. Eigentlich eher noch ein Stock tiefer im Durchgang zum Lastenaufzug. Ein Dieseltank ist auch dabei. Meinen Berechnungen nach kann es uns bis zu drei Wochen mit Strom versorgen.“
„Strom okay, aber womit würden wir dann heizen?“
„Es gibt einen großen Durchlauferhitzer und einen Warmwasserspeicher. Sicher ist das nur eine Notlösung für kurze Zeit, aber kaltes Wasser müssten wir nicht fürchten.“
Falk fasste sich ans Kinn.
„Wieso soll dann jemand am Heizwerk fummeln? Das ergibt für mich keinen Sinn.“
„Möglicherweise weiß diese Person oder die Personen nichts von der Stromlösung. Außerdem sind die Systeme voneinander völlig unabhängig.“
„Gut, dann gehen wir von diesem Fall aus. Das bedeutet, wir müssen trotzdem das Heizwerk im Auge behalten. Selbst wenn das alles Zufall oder gar nichts zu bedeuten hatte oder sonst was war, ein Risiko gehen wir nicht ein. Es muss abgesichert werden. So wie es jetzt ist, kommt da jeder rein.“
„Eidamer soll ein gescheites Schloss reinbasteln, der kann das. Das Dachfenster krieg ich selber zu, da kommt dann keiner mehr rein oder raus.“
„Gut Leo, so schnell wie möglich. Wenn die Jungen neugierig werden, Ausreden gibt’s ja genug.“
Stein redete dann noch über die Vorgänge mit Mosler.
„Vielleicht kann uns Vlado noch etwas Näheres dazu sagen.“
„Gut, ich kümmere mich erst mal um Ricks Hütte.“
Mit diesen Worten stand Nico auf.
Leo stand ebenfalls auf.
„Warte, ich bring dir den Schlüssel fürs Holzlager. Und pass mir auf, dass sich beim sägen oder so was keiner verletzt.“
„Wird schon. Wo finde ich übrigens Werkzeug? Hammer, Nägel und solche Sachen?“
„Was ihr im Lager nicht findet, könnte ich in meinem Repertoire haben.“
Nachdem Nico den Schlüssel bekommen hatte, führte sein Weg nach hinten zu Jonas‘ Zimmer. Der saß auf dem Bett und spielte mit seinem Handy.
„Wie sieht es aus? Wollen wir uns an die Hütte machen?“
Jonas sprang auf.
„Klar, die beiden warten auch schon.“
Sie sammelten Ruben und Maik noch ein und gingen dann gemeinsam zum Holzlager. Nico schloss mit gemischten Gefühlen die Tür auf, ganz wohl war ihm bei all den Gedanken der letzten Zeit nicht. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Im Holzlager verschafften sie sich zunächst einen Überblick. Maik betonte, so eine Hütte schon einmal gebaut zu haben, für ihren eigenen Hund. Damit hatte er auch den richtigen Blick für die Bretter und Leisten. Während er zusammen mit den anderen beiden die Hölzer zusammensuchte, schaute sich Nico genauer in dem Raum um. Aber es fiel ihm nichts weiter auf.
Leo kam in das Lager, in der Hand eine Werkzeugkiste.
„So, jetzt mach ich die Luke da oben dicht. Hilfst du mir, Nico?“
Der nickte nur und half Leo beim hochklettern auf den Holzstapeln. Das war alles stabil, umstürzen konnte nichts.
„Ah , wie praktisch. Der Rahmen und der Klappenhebel haben beide eine Bohrung. Groß genug für ein Vorhängeschloss. Das haben wir gleich.“
Leo stieg wieder herab und ging nach draußen. Inzwischen begannen die Jungen, die Hölzer hinauszutragen.
„Habt ihr alles gefunden?“, fragte Nico.
Maik nickte.
„Sicher müssen wir noch zusägen, aber das sehen wir erst draußen.“
Nico wartete, bis Leo zurückkam. Der schwenkte ein stabiles Vorhängeschloss freudig vor sich her.
„Wie schön, wenn man alte Sachen aufhebt. Weiß gar nicht mehr, von welchem Camp das ist. Aber um das zu knacken, muss man schwerere Geschütze auffahren.“
Kurz darauf prangte das Schloss an der Klappe und Leo klopfte sich in die Hände.
„Da macht uns erst mal niemand mehr Ärger.“
Nico stellte fest, dass man seine Hilfe beim Hüttenbau nicht benötigte. Er beobachtete jedoch jeden Handgriff der Jungen und es war erstaunlich, dass keiner herumstand und auch keiner zweimal aufgefordert werden musste.
Maik hatte die Sache voll im Griff und zog Jonas und Ruben in seinem Eifer einfach mit.
„Nico, ist eigentlich etwas?“, fragte Jonas plötzlich.
„Wieso?“
„Na ja, das Schloss dort oben und die Hütte für den Hund.“
Falk hatte es kommen sehen, es war zu erwarten gewesen, dass die Jungs Lunte rochen.
„Ihr habt ja mitbekommen, dass hier scheinbar wildfremde Leute herumlungern. Das wollen wir nicht. Die Klappe im Holzlager muss zu bleiben, es regnet herein.“
„Aber abschließen muss man sie dann auch?“
Nico war in diesem Moment klar, dass sie sich mehr Gedanken machten als erwartet. Ein Stück weit musste er ihnen entgegen kommen.
„Die Klappe ist auch groß genug um einzusteigen. Wer immer Holz für den Winter braucht – hier muss er es sich nicht holen, oder?“
Er grinste dabei, um den Ernst der Sache herunterzuspielen. Jonas sah in einem Moment fragend an, dann nickte er.
„Nö, unser Holz nicht.“
Die Hütte nahm nur langsam Form an, immer wieder ging Maik in das Lager, um Teile an der Säge zuzuschneiden. Nico hatte ihm dabei zugesehen und beschlossen, dass man den Jungen an der Maschine alleine lassen konnte.
Er setzte brav die uralte Schutzbrille auf und fasste das Holz nur mit Arbeitshandschuhen an. Auch beim Einschlagen der Nägel saß jeder Schlag. Nach dem Mittagessen setzte sich Nico an den Hang neben dem Haus, um die Hüttenbauer musste er sich nicht sorgen.
Die Sonne schien vom Himmel, der hier oben oft so unnatürlich blau war. Gerne hätte er jetzt Vlado neben sich gesehen, denn jener geisterte seit einiger Zeit wieder in seinen Gedanken. Rainer Bode setzte sich dann neben ihn.
„Na, alles okay bei dir?“
„Ja, kann man sagen. Wenn das Wetter bloß so bleiben würde.“
„Tut es das nicht?“
„Es ist Herbst, Rainer, aber in dieser Höhe geht der manchmal sehr schnell vorbei. Warten wir es ab. So lange genieße ich die Sonne.“
Damit ließ er sich einfach nach hinten fallen.
„Was macht ihr eigentlich den ganzen Tag?“, fragte er dann.
„Wir werden wohl gleich noch ins Ort fahren, ein paar private Sachen einkaufen. Hier ist nichts zu tun, so lange Haber seine Gespräche führt. Die Jungs, die bei ihm waren, sollen sich mit den Computern beschäftigen. Die brauchen sie ja später für ihre Ausbildungsstellen zu finden.“
Da schreckte die beiden ein „autsch“ auf. Nico war sofort klar, dass das Jonas‘ Stimme war und ohne lange zu überlegen, eilte er zu der dreien hinüber.
„Ist etwas passiert?“
Jonas sagte nichts, hielt ihm nur seinen Zeigefinger hin.
„Ein Holzspan. Im Finger. Das tut jetzt saumäßig weh.“
Nico fand es schon möglich, dass Jonas etwas sensibel und das Jammern echt war, andererseits fehlte ihm vielleicht auch ein wenig Mitleid. Nico nahm den Finger vorsichtig zwischen seine und konnte den kleinen Span mit bloßem Auge erkennen. Senkrecht ragte er aus der Fingerkuppe heraus.
„Den haben wir gleich.“
Er vermied es zu sagen, dass man deswegen nicht das halbe Dorf zusammenrufen müsste.
„Aber pass bloß auf.“
Nico grinste. Jonas hatte schöne, gepflegte Hände. Etwas, was man von einem Straßenkind nicht ohne Weiteres erwarten konnte. Er fasste den Span entschlossen zwischen seinen Fingernägeln und zog ihn heraus.
Jonas entwich ein kurzes Seufzen. Als er sah, dass der Span ohne Probleme gezogen war und dass auch kein Blut nachfloss, holte er laut Luft.
„Danke. Übrigens, danke auch, dass du die eklige Spinne aus meinem Zimmer entfernt hast. Jetzt haste schon zwei Sachen bei mir gut. Wo hatte sie sich denn übrigens versteckt, dieses Mistvieh?“
Nico entschloss sich zu einer Notlüge, sonst könnte das Theater von vorne los gehen. ußerdem erwartete der Junge eine positive Antwort.
„Wie du befürchtet hast – sie saß unter dem Bett. Direkt an der Wand. Ich hab sie gar nicht gleich gesehen.“
Jonas nickte zufrieden.
„Hoffentlich kommen die nicht wie am Fließband. Sonst ziehe ich hier wieder aus.“
Bei dieser Phobie könnte er es wirklich wahr machen, befürchtete Nico und ließ sich zunächst besser nicht auf eine Diskussion ein.
Falk und Rainer verließen das Haus und mit ein paar Worten verabschiedeten sie sich zur Fahrt ins Dorf. Nico fühlte sich nicht besonders, denn Stein bat ihm beim einsteigen in seinen Wagen, dass er und Leo auf alles aufpassen sollten. Klar, das war auch Nicos Job, aber so offiziell hatte er noch nie Verantwortung übernommen.
Wenig später kam der Hausmeister mit seinem Pick Up vorgefahren. Der große, kräftige Mann schnappte sich seinen Werkzeugkasten und lief schnurstracks zum Heizwerk. Nico folgte ihm.
„Sie ersetzen das Schloss?“
„Ja. Es wird aber auch wirklich Zeit, sehe ich grade. Das Ding hier kriegt man ja mit einer Büroklammer auf.“
Nico spürte, dass der Mann zumindest jetzt nicht gesprächig und offenbar auch in Eile war. Er ließ den Mann werkeln und ging zurück. Inzwischen hatte Ricks neues Zuhause seine endgültige Form angenommen. Maik lag auf dem Rücken, sein Oberkörper war in der Hütte verschwunden. Man hörte ihn leise fluchen.
„Und, werdet ihr heute noch fertig?“, fragte Nico.
„Wären wir schon. Aber Maik hat ja gemeint, man müsste unbedingt einen Windfang einbauen. Jetzt dauert das halt doppelt so lange“, antwortete ihm Ruben.
„Einen Windfang?“
„Ja, so hat die Hütte quasi zwei Räume. Einen vorne, dann geht’s um die Ecke nach hinten. Da kann’s dann nicht ziehen.“
Nico bückte sich hinunter und versuchte, an Maik vorbei in die Hütte zu sehen.
„Klappt was nicht?“, rief er hinein.
„Ach, da schaut eine Nagelspitze raus, nicht gut für den Hund.“
Nico unterließ Ratschläge, Maik würde wissen, was zu tun war. Er stand wieder auf, klopfte sich den Schnee von der Hose und ging zur Haustür. Er war schon im Flur, als er Jonas sagen hörte:
„Der Maik hat echt eine Ahnung. So viel wie er Zeugs in der Hose hat.“
Dabei grinste er und starrte unverhohlen zwischen Maiks Beine. Außerdem redete er laut genug, so dass es auch Maik verstehen konnte. Ruben wandte sich unterdessen ab und prustete kichernd in seine Hand.
Prompt zog sich Maik aus der Hütte und starrte Jonas an.
„Das hab ich gehört!“
Jonas ließ das Grinsen nicht.
„Klar, hab’s ja nur festgestellt. Ist doch so, Ruben, oder?“
„Eh Jonas, bist neidisch?“, fügte Maik leicht errötet hinzu.
„Ach was, neidisch. Auch kleine Schwänze können recht groß werden, weißt du. Können ja bei Gelegenheit mal messen.“
Nico hielt sich die Hand vor den Mund, sonst hätte er laut hinaus gelacht. Ihm fiel dann ein, dass er ans Heizwerk wollte, wo Eidamer gerade sein Werkzeug einräumte.
„Ah, gut dass Sie kommen. Ich muss gleich weiter, hier ist der Schlüssel. Einen behalte ich.“
Er drückte Nico den Schlüssel in die Hand und eilte zurück zu seinem Fahrzeug. Ohne sich zu verabschieden startete er den Motor und fuhr eilig los. Während sein Wagen in der Wegkurve verschwand, tauchte ein Moped dafür auf.
Nico lächelte, als Vlado sein Gefährt wie schon gewohnt scharf vor ihm abbremste. Er zog den Helm ab und strahlte Nico förmlich an. War Vlado noch hübscher geworden? Einbildung, alles Einbildung, sagte Nico zu sich und begrüßte seinen neuen Freund mit Handschlag.
„Tach“, rief Vlado den Jungs hinüber und die nickten ihm zu.
„Aha, ein Hundehotel.“
Vlado bestaunte das kleine Bauwerk.
„Sieht ja echt fesch aus das Ding.“
„Fehlt noch ein bisschen Dachpappe, sonst weicht der Regen das Holzdach auf“, bemerkte Maik nicht ganz ohne Stolz.
Vlado nickte.
„Das kriegen wir bei. Müssten so was bei uns im Schuppen haben.“
Die Worte kamen bei Nico an wie in Watte verpackt. Das Gespräch unter den Jungen vorhin hatte ihn komplett aufgeheizt und bekam jetzt noch Nachschub, als er sich Vlado in Ruhe betrachten konnte.
Hätte er nichts zu versäumen, würde er ihn sofort auf sein Zimmer zerren, aber so behielt er sich im Zaum. Außerdem war nicht sicher, ob Vlado noch einmal mit ihm ins Bett gehen würde. Zumindest nicht so freizügig und spontan.
Doch Vlado trug nicht zur Entspannung seiner Gemütslage bei. Völlig überraschend stelle er sich ganz dicht neben ihn und suchte seine Hand. Als er sie zu fassen bekam, drückte er fest zu.
Das geschah so, dass es keiner bemerken konnte, aber Nico durchfuhr diese Berührung wie ein Blitz. Er sah Vlado in die Augen und er wäre nicht Nico Hartmann gewesen, wenn er nicht ein verführerisches Leuchten gesehen hätte.
Ja, Vlados Blicke sprachen Bände, einen Zweifel gab es nicht. Auch nicht, dass dahinter Absicht steckte und auch nicht, dass Vlado genauso scharf war wie er in den letzen Minuten.
Nico wurde heiß und kalt gleichzeitig.
Es hatte plötzlich Zweifel, ob Jonas nicht doch etwas bemerkt hatte. Dessen Blick jedenfalls stand plötzlich voller Fragezeichen. Nico wandte sich aus Vlados Griff, so vorsichtig wie das möglich war.
Dann trat er einen Schritt zur Seite und genau das war der Augenblick, wo er seinen Fehler bemerkte. Das war viel zu auffällig und Jonas durfte spätestens in dem Moment Eins und Eins zusammengezählt haben.
„Komm, wir suchen Leo, ich habe was für ihn“, lotste er Vlado aus der brenzligen Situation und ging mit ihm zum Haus.
Im Gang, wo sie keiner mehr sehen konnte, hielt er an und packte Vlado bei den Schultern.
„Sag mal, was war das denn jetzt da draußen?“
Aber Vlado reagierte überhaupt nicht darauf, er legte Nico nur den Zeigefinger auf den Mund.
„Pscht. Nicht reden.“
Sekunden später tauschte er den Finger gegen seine Lippen und Nico war zu überrascht, um es abwenden zu können. Als er Vlados Zunge auf seiner spürte, entspannte er sich für den Augenblick, den der Kuss dauerte. Nico schob ihn von sich.
„Mann Mann, was ist los mit dir? Wenn uns einer sieht!“
„Nico, ich weiß auch nicht. Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf.“
„Ich oder unsere Spielchen da oben, beispielsweise?“
„Nein, ich meine dich. Und ja, ich meine.. klar, auch. Ich sagte ja, das hat Spaß gemacht.“
Nico wurde heiß. Nicht nur wegen dem Gedanken, in zehn Minuten mit Vlado oben im Bett liegen zu können, sondern auch, was die Jungs da draußen mitbekommen hatten.
„Vlado, es ist riskant in der Näher der Jungs so etwas zu veranstalten. Ich weiß nicht, wie sie es aufnehmen und reagieren. Im blöden Fall mache ich mich zum Kasper.“
„Meinst du, das hat einer mitgekriegt?“
„Keine Ahnung. Aber ich werde sie sehr genau beobachten. Wenn sie etwas bemerkt haben, verraten sie sich irgendwie und irgendwann.“
Ein Auto fuhr am Haus vor und Nico erkannte am Geräusch Steins Geländewagen.
„Meine Leute sind zurück.“
„Nico, was ist denn nun?“ Vlado schien sehr ungeduldig.
„Mach mal langsam, Vlado. Ich wollte ja unter anderem dass du kommst, um zu versuchen, uns zu helfen“, setzte er dann fort.
„Wegen diesem Mosler und den seltsamen Figuren, die anscheinend hier herumschleichen.“
„Und wegen mir selbst nicht?“, fragte Vlado mit leicht enttäuschter Stimme.
„Ach Vlado, natürlich in erster Linie wegen dir. Aber jetzt komm, wir müssen mit Stein über die Dinge reden. Er erwartet uns sicher schon.“
Für intime Handlungen waren das einfach nicht der richtige Zeitpunkt und auch nicht der Ort. Diese Geschichten mussten jetzt einfach warten. Im Gang begegnete ihm Leo und er hielt hob ihm den Schlüssel hin.
„Ah, gut dass ich dich sehe. Hier ist der neue Schlüssel zum Heizwerk.“
„Aha, sieht ja sehr stabil aus. Ich hänge ihn hier hinter die Tür, da sind übrigens noch alle anderen Schlüssel. Falls ich mal nicht da sein sollte.“
Danach ging Nico mit Vlado nach oben. Stein saß in seinem Büro und tippte auf seinem Notebook. Er hieß die beiden Willkommen und sie nahmen auf seiner Couch Platz.
„Einer der Jungs hat draußen einen Mann gesehen“, begann Stein.
„Er hatte einen langen, grünen Mantel an, eine Mütze über den Kopf gezogen und er trug schwere Gummistiefel. Das deckt sich mit den Spuren im Schnee. Wer könnte denn hier so seelenruhig spazieren gehen ohne Angst haben zu müssen, dass man ihn entdeckt beziehungsweise sich etwas dabei denkt?“
Vlado grübelte über Steins Worte nach.
„Es gibt schon einige aus dem Dorf, die hier nicht auffallen würden. Mir fällt da spontan der Strehler-Bauer ein. Ihm gehört das angrenzende Grundstück und um dort hin zu gelangen, kommt er hier oft durch. Den kennt jeder und den würde auch niemand fragen, was er hier zu suchen hätte.“
„Und der ist gegen das Camp, wenn ich das richtig verstanden habe?“
Vlado nickte.
„Er fürchtet, dass ihm dieses Pack – wie er sich ausgedrückt hat – seine Wiesenzäune zerstört oder gar den Kühen etwas antut.“
Nico fühlte, dass es dieser Mann gewesen war. Nichts, gar nichts würde dem passieren, läge das Camp in Schutt und Asche.
„Er hat die Dorfbewohner hinter sich, nicht wahr?“
„Nicht alle, aber die meisten Bauern. Und viele der Jungen halt. Aber die fürchten ja eher, die Jungs aus dem Camp könnten ihnen die wenigen Weiber hier wegschnappen.“
„Gut, Valdo. Wir wissen inzwischen, dass von dem Dorfpolizisten keine Hilfe zu erwarten ist. Der drückt sich offenbar vor dem Ärger. Wir haben bereits bestimmte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen und werden wachsam sein. Meine Bitte an dich ist, im Dorf die Augen und Ohren offen zu halten.“
„Klar, Herr Stein, das hätte ich so oder so getan.“
Stein bedankte sich.
„Gut. Ich denke, es gibt gleich Abendbrot. Vlado, bleibst du hier? Ein Essen ist immer noch übrig.“
Vlado sah Nico an und als der leicht nickte, stimmte er zu. Als sie in dem Gemeinschaftsraum kamen, saßen bereits alle auf den Plätzen und machten sich über die halben Hähnchen her. Die drei setzten sich auf die verbliebenen Plätze und Nico atmete auf, dass weder Jonas, Maik noch Ruben in warnwürdiger Nähe saßen.
Allerdings schienen sie auch keine besondere Notiz davon zu nehmen, dass Vlado mit am Tisch saß. Nach dem Essen blieben die Betreuer wie immer im Raum, während sich die Jungen ihrer Freizeit widmen konnten.
Da es einige Dinge zu besprechen gab, die nicht für Vlados Ohren gedacht waren, bat ihn Stein darum, den Raum zu verlassen.
„Du kannst schon mal in mein Zimmer hoch, ich komme gleich“, rief ihm Nico nach.
„Wir suchen immer noch einen Ausbildungsplatz für ihn“, fügte er sofort an und richtete diese Aussage an die Betreuer. Möglicherweise ahnten die schon, dass es nicht nur um Recherche im Internet gehen würde, aber da Vlado nicht zu ihren Schützlingen zählte, dürfte es keine Probleme geben.
Haber begann sein Statement über die Gespräche mit den Jungen, wobei Nico wieder nur mit einem Ohr zuhörte. Er dachte an Vlado, der oben in seinem Zimmer saß. Was würde der Abend noch bringen? Jonas kreuzte seine Gedanken ebenfalls.
Hatte der etwas bemerkt und wenn ja, welche Folgen sollte das haben? Erst als dann die Namen Mosler und Strehler fielen, kehrte Nico voll und ganz ins Geschehen zurück.
Stein schilderte die momentane Sachlage nüchtern und emotionslos wie immer.
„Also, kommen wir zum weiteren Vorgehen. Bis die Bewegungsmelder und Leuchten installiert sind, schieben wir Wache wie gehabt. Rick sollte seine Aufgabe verstanden haben, natürlich muss er nicht unbedingt an der Hütte bleiben. Übrigens vielen Dank Nico, ich hab mir das Bauwerk angesehen. Könnte man glatt selbst einziehen.“
Er lachte und Nico wurde verlegen. Hatte er doch keinen einzigen Handschlag dafür getan.
„Die Zeit teilt ihr euch bitte selbst ein, die Funkgeräte könnt ihr bei mir abholen. Gibt’s noch dazu noch Fragen?“
Als sich niemand meldete, setzte Stein seine Rede fort.
„Morgen sieht es dann folgendermaßen aus: Nach dem Frühstück versammeln sich alle hier im Raum. Die Jungen sollen zunächst einmal ihre Erfahrungen untereinander austauschen und jeder für sich einen Plan ausarbeiten, wie er von nun an vorgehen möchte. Dazu wird einiges an Unterstützung durch euch notwendig sein. Unter anderem sollten wir neben den eigenen Plänen, die wir in den nächsten Wochen vorhaben, auch schauen, ob sie selbst Ideen dazu entwickeln. Ziel ist es, dadurch erstens Langeweile auszuschließen und zweitens die Gruppenarbeit fördern. Das ist bei den meisten doch so ziemlich auf der Strecke geblieben. Nico, für dich habe ich die Aufgabe, für den Freitag eine Wandertour auszuarbeiten. Aber wie der Arzt schon gesagt hat, sollten wir fünf bis acht Kilometer erst einmal nicht überschreiten.“
„Okay, Falk, wird gemacht.“ So eine Aufgabe hatte sich Nico gewünscht.
„Also, wer schiebt wann Wache?“, rief Leo und scharte damit die Betreuer um sich.
Nico fiel ein, dass er die erste Runde drehen wollte. Aber nun war Vlado hier. Doch wie lange konnte er überhaupt bleiben?
„Ich übernehme die erste, von Neun bis Elf“, legte er sich dann rasch fest.
Sicher musste Vlado nach Hause und sie hätten eh nicht viel Zeit gehabt, für was auch immer.
Nachdem sie sich über die Zeit geeinigt hatten, verließ Nico den Raum. Er wollte gerade nach oben in sein Zimmer, als er Jonas im Gang stehen sah.
Er stand vor einem der Zimmer und blickte hinein. Nico kam das seltsam vor.
„Alles in Ordnung?“
Jonas zog die Schulter hoch.
„Weiß nicht, hab grade so ein komisches Geräusch gehört.“