Space – Teil 2

Die letzten Tage der Armageddon

Tag Sieben:

„So ist das also!”, sagte Dr. Michale Shenanton und schaltete das Licht in der medizinischen Krankenstation der Armagedddon an.

Die Figur vor dem Wandschrank fuhr erschrocken zusammen. Sie ließ den kleinen Lightpointer fallen, schaute den Doktor mit weit aufgerissenen Augen an. Blasse Haut, erweiterte Pupillen, nasser Schweiss, diagnostizierte Michale automatisch. Schock-Zustand. Nicht sehr professionell, dachte er, lenkte die Mündung seines Phasers etwas zur Seite, damit sich der Überraschte etwas beruhigen konnte.

Shenanton kniff die Augen zusammen.

„Ich kenne Sie“, sagte er in beruhigendem Tonfall. „’Kalimero’, oder?“

„Kal Vasquez!“, stotterte der Pilot. Er blinzelte in dem hellen Neonlicht, warf einen belämmerten Blick auf den am Boden liegenden Taschenlampenstift.

„Nun, Mr. Vasquez“, meinte Michale, „Können Sie mir sagen, wieso sie mitten in meinem Schlafzyklus in die Krankenstation einbrechen?“

Er ließ einen kleinen Seitenblick in Richtung Medizinschrank schweifen.

„Drogen? Aufputscher? Schlafmittel? Oder halten Sie es nicht mehr aus hier? Wollen Sie sich in eine andere Welt flüchten? Oder die letzten Tage im Rausch verbringen?“

Kalimeros Blicke verfinsterten sich.

„Sie haben gut reden!“, zischte er. „Und wann evakuiert man Sie, Herr Doktor? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mit uns in die letzte Schlacht ziehen.“

Shenanton zuckte zusammen. Der mexikanische Pilot hatte recht. In wenigen Tagen würde das medizinische Personal von der Armageddon abgezogen werden. Heimlich, in einem kleinen Shuttle. Man zog die Ärzte von der Krankenstation, nur wenige Stunden vor einem Großangriff. Was konnte das wohl schon bedeuten? Die Piloten waren nicht dumm…

Kalimero beruhigte sich etwas, aber es klang immer noch ein Hauch von Anklage in seiner Stimme.

„An allem ist dieser verfluchte Rob Spato schuld“, fluchte er. „Doktor, bitte rufen Sie nicht das Wachpersonal. Warum stecken Sie diesen Phaser nicht endlich weg? Und ich erzähle Ihnen, was ich hier suche…“

Shenaton nickte langsam.

„Das ist sicher die beste Idee, die sie in dieser Nacht gehabt haben“, meinte er zynisch.

Dann sicherte er seine Waffe und steckte sie zurück in den Gürtel. Er ging einige Schritte ins Rauminnere, öffnete dann ein Panel in der Wand.

„Kaffee, in Ordnung?“, fragte er. Kalimero nickte dankbar.

Wenig später hatten sich die beiden an dem Diagnostik-Tisch der Krankenstation niedergelassen. Beide hielten einen Krug heissen Kaffees in der Hand.

„Also“, meinte Shenanton. „Erklären Sie mir, wieso Rob Spato daran schuld ist, dass sie versuchen meine Krankenstation zu plündern. Immerhin ist er schon vor zwei Wochen hier abgehauen.“

Kalimero schnaufte.

„Damit fing es ja an“, sagte er. „Es gab diese inoffizielle Party, als die beiden abgehauen sind…“

Der Geräuschepegel in der Kantine des Schlachtenkreuzers war höher als üblich.

Irgendetwas liegt in der Luft, dachte Vasquez, und er irrte nicht. Nur wenige Augenblicke später betrat Kenzo, einer der Funker der Armageddon, die Kantine.

„Sie haben ein Shuttle gestohlen“, rief er. „Spato und Troy haben gestern die Armageddon illegal verlassen. Sie sind offiziell als Deserteure ausgerufen worden!“

Für einen Augenblick war es still wie in einer Friedhofshalle. Dann brachen die Reaktionen der Crew aus. Gelächter, Rufe, Jubel. Viele lachten, einige warfen ihre Pilotenbarrets in die Luft, andere schnitten hämische Grimassen.

Crispin Dekker saß ihm gegenüber. Ausdruckslos begutachtete er das Spektakel.

„Schafe!“, murmelte er.

„Hm?“, Kalimero drehte sich er erstaunt zu seinem Kameraden herum.

„Blöde, schafsköpfige Idioten“, verstärkte Dekker seinen Ausspruch. „Schau sie dir an. Sie begreifen noch nicht einmal, dass sie aus völlig verschiedenen Gründen jubeln.“

„Was meinst du?“, fragte Kal ungläubig.

„Na diese Kindsköpfe. Die einen sind froh, dass die Schwuchteln von Bord sind. Keine händchenhaltenden Tucken mehr. Keine versteckten Küsse in den Korridoren. Hurra, die Männlichkeit auf der Armageddon ist wieder unangefochten. Die schert es nicht, dass Spato der beste Pilot hier war. Das wir jetzt noch schneller ins Gras beissen werden. Hauptsache, die Atmosphäre hier an Bord ist wieder ‚sauber’. Testosteron-Prolls“

„Ah!“, meinte Kal.

„Und der Rest freut sich wirklich. Spato war nicht so unbeliebt, wie die anderen glauben. Er hat uns berührt, seine Liebe…wie IceMan es neulich sagte…Troy und Spato waren die letzten beiden Piloten hier, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben. Jetzt haben sie es geschafft. Es besteht zumindestens ein wenig Hoffnung für die beiden.“

Crispin seufzte. Kal zeigte sich unbeeindruckt, trotzdem hörte er genau hin. Crispins Stimme hatte die letzten Sätze ein wenig sanfter geklungen. Er kannte sein Gegenüber gut, sie hatten sich schon vor der Armageddon auf der Akademie kennengelernt.

„Und jetzt lachen sie sich einfach so an. Schwulen-Hasser und Schwulen-Hoffer. Ohne es zu begreifen. Wie sehr sie sich unterscheiden.“

„Du mochtest ihn, oder?“, fragte Kal unvermittelt. „Du bist froh, dass die beiden es geschafft haben?“

Dekker wurde bleich.

„Ach, vergiss, was ich gesagt habe“, meinte er auf einmal grimmig. „Wir sind in Hailespond, die halbe tronaische Flotte liegt hier vor Anker und wir Wahnsinnigen greifen sie an. In einer Woche ist egal, was ein paar Piloten hier gedacht und gesprochen haben!“

Kalimero drehte sich um.

„Schau dir IceMan an“, meinte er. „Er feiert nicht mit. Gerade er, schau, er ist immer noch wie abgestorben. Was glaubst du, wieviele Tage er es noch macht?“

Dekker zuckte mit den Schultern.

„Ich war lange nicht mehr verliebt“, fuhr Kalimero fort, „Lisa, ja. Aber jeder war in Lisa verliebt. Niemand von uns nahm diese Verliebtheit ernst. Sie ließ sich ja eh zu keinem von uns herab. Vielleicht war sie auch so wie die beiden. Ne Lesbe, so hiessen die doch, oder? Gott, wie ich sie vermisse!“

„Du…du weißt es nicht?“, stammelte Dekker, dann fing er auf einmal an zu flüstern. „Sie hatten eine heimliche Beziehung. Lisa und IceMan. Aber…das hast du nicht von mir, okay?“

Kal riss seine Augen weit auf.

„Was? Aber…er hat sich nie sich nie etwas anmerken lassen. An dem Tag, als Lisa heruntergeschossen wurde…das ganze Schiff war unter Schock. Viele haben an diesem Tag geheult. Ich auch…aber nicht Ice. Fuck. Dieser Mistkerl“

Kal schluckte.

„Dieser Bastard. Wir haben alle von ihr geträumt. Und er hatte sie.“

Dekkers Blicke wurden milder.

„Es hat ihn viel mehr getroffen, als man es ihm ansieht. Er ist nunmal der IceMan. Aber schau ihn dir heute an.“

Kal ballte seine Finger zur Faust.

„Und ich hab nichts mitgekriegt. Mann, Ice…wie konnte er das ertragen? Darf man als Pilot seine Gefühle nicht mehr zeigen? Er hat völlig recht. Wir sind keine Menschen mehr. Wir sind die Schafe auf der Schlachtbank. Spato und Troy waren die letzten, die noch Gefühle in ihr Leben gelassen haben!“

Decker seufzte. „Du hast es erfasst!“, meinte er. „Da ist es doch eigentlich schon fast egal, dass wir in einigen Tagen verglühen werden!“

Kalimero kämpfte mit dem dünnen, nassen Film in seinen Augen.

„Nur noch Trauer und Tod und Verzweiflung, seit Monaten. Das ist einfach nicht fair. Beschissenes Leben. Verflucht, ich würde mich gern noch einmal verlieben. Ein einziges Mal noch vor meinem Tod. So richtig. Egal, was dabei rauskommt. Egal, was es kostet!“

Es gab einen lauten Knall, als Dekker heftig seinen Stuhl von dem Tisch abstieß.

„Du weißt nicht, was für einen Schrott du redest!“, meinte er unwirsch, dann stand er auf, hastete überstürzt davon.

„Warum hat Dekker so emotional auf ihre Worte reagiert?“, hakte Shenanton ein. Er hatte während des Gesprächs wie automatisch zu seinem Block begriffen, machte sich Notizen.

Kalimero grinste bösartig.

„Das können Sie sich doch sicher denken, Doktor. Spielen sie nicht den Unbeteiligten!“

Shenanton gestattete sich ein kleines, verschwiegenes Lächeln.

„Vielleicht machen wir eine kleine Pause“, meinte er.

Kalimero nickte, griff dann zu seinem Kaffee und trank einen weiteren Schluck. Er stand auf, machte einige Schritte durch die Krankenstation, schaute auf die holographische Projektion eines menschlichen Hirnes.

„Warum hat man sie ausgerottet?“, fragte er leise. „Die Homosexuellen. Wieso? Sie haben doch niemand etwas…“

„Ausgerottet ist vielleicht ein zu scharfes Wort“, unterbrach ihn Michale betrübt. „Es war ein normaler evolutionärer Prozess. Wir erkannten das Gen. Einer meiner sauberen Kollegen erfand aus reinem wissenschaftlichem Interesse das Retrovirus dagegen. Dann kam die Wirtschaft, die Zorphex verkaufen wollte und die Mentalität, der Mutterinstinkt der Eltern. Es war völlig normal, Embryos, die Anzeichen auf Krankheiten oder Abnormalitäten zeigten, vor der Geburt genetisch zu behandeln. Warum also einem Kind noch den Stress, die Aussenseiterfunktion eines Homosexuellen aufbürden? Wenn ein einziges Kreuz mehr auf der Vorgeburtsuntersuchung dazu ausreichten, ihm eine sorgenfreie Jugend zu verschaffen? Ihm eine ausreichender Anzahl an möglichen Partnern in einer normalen ungezwungenen Umgebung zu ermöglichen?“

„Und niemand hat etwas dageben…“

„Natürlich!“, unterbrach ihn Shenanton einen Ton gereizter. „Es hat Proteste, Petitionen, Demonstrationen gegeben. Aber im Endeffekt lag die Entscheidung für jedes einzelne Kind immer bei den Eltern. Und die waren natürlich heterosexuell.“

Er schluckte.

„Eine Generation nach der Einführung von Zorphex waren nur noch 0,6 Prozent der Weltbevölkerung homosexuell. Zwei Generationen später…Spato! Troy! Dass die beiden sich jemals begegnen würden, ist einer jener irrsinnigen Zufälle des Lebens.“

„Es ist eine traurige Entwicklung“, meinte Kalimero bedrückt.

„Das ist es“, bestätigte der Doktor.

Der Pilot blickte zur Seite.

„Ich konnte ihn nicht leiden“, meinte er trocken. „Spato! Aber das hatte nichts mit Troy zu tun. Er flog so verflucht perfekt. Mit ihm zu fliegen machte keinen Spass, man fühlte sich immer so klein. Es machte mir fast Angst, ihn kämpfen zu sehen.“

Er stellte seinen Kaffee ab, setzte sich wieder hin.

„Nun gut, weiter. Ich begriff noch dieselbe Nacht, was mit Crispin los war…“

„Warum schläfst du nicht?“, flüsterte Kalimero ins Halbdunkel.

Er hörte, wie Crispin Dekker überrascht nach Luft schnappte. Sein Kamerad lag in der Koje unter ihm. Sie teilten seit 3 Jahren dieses Acht-Mann-Quartier, Kal kannte inzwischen jedes Geräusch, das Surren der Schwerkraftgeneratoren, das leise Qietschen von Sayakos Bett, der für seinen unruhigen Schlaf bekannt war. Und er konnte sogar an den Atemzügen seines Freundes unter ihm erkennen, wann er schlief, und wann nicht.

„Ich denke nach!“, antwortete Crispin endlich.

„Worüber?“, fragte Kal. Wie Dekker konnte auch er nicht schlafen. Er wusste nicht, woran es lag. Wir sterben bald, das war ihm klar, aber merkwürdigerweise flößte ihm dieser Gedanke keine Angst ein.

Crispin seufzte.

„Über das, was du heut mittag gesagt hast. Dass du…dass du jeden Preis dafür zahlen würdest, dich noch einmal zu verlieben!“

„Ach das!“, antwortete Kal beinahe gelangweilt.

„Es ist möglich, weißt du das?“

Es war heiß und stickig in dem Qaurtier. Trotzdem lief ein kalter Schauer über Kalimeros Rückgrat.

„Es ist nur ein genetisches Merkmal“, fuhr Crispin fort. „Und man kann es umprogrammieren. Dr. Shenanton hat mir gegenüber einmal so etwas erwähnt. Man könnte einfach…du würdest werden wie Spato. Du würdest dich in Männer verlieben können.“

Dann eine Spur leiser.

„Und Männer gibt es hier genug. Du würdest sicher jemanden finden, in den du dich hier verlieben könntest!“

Kalimero drehte sich auf den Bauch. Er robbte an den Bettesrand, lugte herunter. Er konnte nicht viel in dem Halbdunkel erkennen, nur Crispins schweißnasse Stirn und einen funkelnden Reflex in seinen Augen.

Er schwieg. Sein Puls raste. Irgendetwas stimmte nicht. Crispins Worte machten Sinn, aber da lag noch etwas anderes hinter ihnen.

„Was denkst du darüber?“, unterbrach Crispin endlich das angestrengte Schweigen. „Schwachsinnige Idee, was?“, stammelte er.

„Nein!“, meinte Kalimero nur, langsam. „Klingt beinahe erschreckend logisch. Ist so wie du gesagt hast. Absurder Preis, aber wenigstens…wieder Gefühle.“

Crispins Atemzüge wurden wieder ruhiger, inzwischen hatten sich Kalimeros Augen der Dunkelheit besser angepasst, er sah wie die Brust seines besten Freundes sich gleichmäßig hob und senkte. Crispin hatte ihn inzwischen am Bettesrand bemerkt. Seine Augen hatten sich fest auf die seinen geheftet.

„Es macht nur Sinn, wenn es zwei machen!“, zischte Kalimero. „Ansonsten beschwört man nur Zurückweisung und Einsamkeit herauf.“

Crispin wendete abrupt seinen Blick ab, schüttelte den Kopf.

„Daran glaube ich nicht. Du hast doch vorher keine Ahnung, in wen du dich verliebst. Stell dir vor, du unterziehst dich der Behandlung und plötzlich bringen dich IceMans graue Augen in Wallung!“

Auch wenn er sich nicht danach fühlte, brach Kal in Gekicher aus.

„Ich denke nicht“, lachte er leise, „IceMan wird nie mein Ding sein!“

Nachdem er sich beruhigt hatte, bemerkte er, wie ihn Crispin anstarrte.

„Du bist mein bester Freund, weißt du das eigentlich?“, flüsterte er.

Wieder lief ein kalter Schauer über Kals Rücken. Jetzt spürte er es. Was falsch lief. Was so merkwürdig an der Situation war.

Er hielt die Luft an, lauschte in den Raum, ob ihnen wirklich niemand zuhörte. Karkasz schnarchte leise. Sayako warf sich träumend herum. Die anderen Betten waren schon seit Wochen leer, er dachte nur selten an die Menschen, die hier einst geschlafen hatten. Sie hatten es nicht geschafft….

„Natürlich weiß ich das“, antwortete er mit einem Kloß im Hals. Er wollte noch etwas hinzufügen, brachte es aber nicht durch seinen engen Hals.

Aber es überrachte ihn nicht, als die Augen im Bett unter ihm feuchter wurden.

„Fuck!“, fluchte Crispin, „Fuck, Fuck Fuck!“

Kal schloß die Augen, wartete auf die Worte.

„Ich habe es schon gemacht!“, flüsterte sein Kamerad endlich. „Vor drei Wochen. Ich habe Troy und Spato gesehen, und verflucht, ich war so neidisch. Ich habe es noch vor IceMan gespürt. So eine tiefe Verzweiflung in mir. Und Troy ist ein hübscher Junge. Ich dachte…ich dachte…sie würden mich schon nicht zurückweisen.“

Kal hörte mit Entsetzen zu.

„Dann war ich bei Shenanton. Er meinte zu mir, was ich wolle, sei ein interessantes Experiment. Er war einverstanden, mir den Retrovirus zu injizieren, der für die Umwandlung sorgt. Ich gehe jeden Tag zu ihm und erzähle, was mich bewegt. Wie sich alles verändert hat.“

„Und glaub mir, alles ändert sich auf einmal. Aber dann bin ich auf Troy gestoßen. Ich habe nie erwartet, daß ich ihn kriege, ich wollte einfach ein paar Gefühle für ihn spüren. Aber da war nichts. Da war nichts in mir. Doch auf einmal…“

Er hörte Dekker unter ihm weinen.

„Kal, ich habe mich in dich verliebt. Es tut mir so leid. Ich wollte es nie. Und es tut so verflucht weh. Ständig in deiner Nähe zu sein. Ohne es dir sagen zu können.“

Kalimero schüttelte wortlos seinen Kopf. Sein Herz pochte, sein Magen rebellierte.

„Kal, bitte!“

Crispin streckte seine Hand zu ihm empor. Kalimero sah, wie sich die Finger spreizten.

Und jetzt merkt man, was unsere siebenjährige Freundschaft wert ist, dachte er beunruhigt. Er gestattete sich ein falsches, aufmunterndes Lächeln, dann bewegte er seinen Arm, kreuzte seine Finger mit Dekkers, drückte seine Hand fest.

„Plötzlich hasste ich ihn!“, meinte Kalimero schuldbewußt.

Michale Shenanton reagierte nur mit einer gezuckten Augenbraue, dann kritzelte er ein paar Worte in sein Notizbuch.

„Die Berührung war mir so unangenehm wie das Geständnis an sich. Alles änderte sich durch seine Worte. Ich dachte an unsere Vergangenheit, an den Mist, den wir auf der Akademie gemacht haben. Wir haben zusammen an Türen gepinkelt, wir haben zusammen geduscht, uns scherzend geneckt. Damals war mir körperlicher Kontakt zu ihm sogar angenehm gewesen, ich fühlte mich dadurch bestätigt und sogar manchmal geborgen. Aber plötzlich hatte er das alles in etwas Unreines verwandelt. Ich war entsetzt von ihm. Und sogar etwas traurig, dass es zwischen uns nie wieder diese Intimität geben würde.“

„Warum dachten Sie so?“, hakte Sheraton nach. „Wieso schämten Sie sich, die Person zu sein, die er liebte?“

Kals Blick driftete in die Leere ab.

„Ich verstehe es selbst nicht. Ich wünschte, es gäbe eine Erklärung dafür. Dann würde ich mich nicht so schuldig fühlen! Ich bin dann einfach abgehauen. Die Berührung seiner Hand…seine Augen…es lag so ein Hunger darin. Ich bin aufgesprungen, aus dem Quartier raus…“

„…in die Krankenstation!“

„Genau! Ich habe gehofft, es zu finden. Dieses Zorphex. Ich wollte ihn nicht mehr schwul!“

Shenanton legte irritiert den Block beiseite.

„Sie hätten ihm das Retrovirus gegeben? Ohne ärztliche Konsultation? Sind sie wahnsinnig? Haben Sie nicht eine Sekunde daran gedacht, dass sie keine Ahnung von dem Medikament hatten. Dass es Nebenwirkungen geben könnte?“

„Ich weiß, ich bin ein egozentrisches Schwein. Ich hab nur an mich gedacht. Ich wollte Crispin zurück, so wie er war.“

Shenanton blickte ihn lange schweigend an.

„Holen Sie jetzt das Wachpersonal?“, fragte Kal bedrückt.

„Vielleicht nicht!“, meinte der Doktor endlich. „Wenn Sie mir sagen, wieso sie lügen.“

Vasquez schoß ihm einen feurig bösen Blick aus seinen braunen Augen zu.

„Das Zophex!“, erläuterte Shenanton, „Es war in dem ersten Schrank, den sie durchsucht haben. Sie haben es gefunden. Trotzdem haben sie auch den nächsten Schrank durchsucht. Wieso? Was haben Sie wirklich gesucht?“

Kalimero wurde blass.

“Bitte lass meine Hand los”, meinte Kal. „Du erdrückst sie fast!“

„Es…es tut mir leid!“, Crispin ließ sofort los.

Kalimero wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er drückte sich von der Matratze, sprang behende vom Bett, landete am Fußende des Bettes.

„Es tut mir leid, Crisp!“, meinte er. „Ich muß nachdenken. Ein wenig frische Luft schnappen.“

Er wandte sich zum Gehen.

„Kal!“, rief Crispin mit beschwörender Stimme. „Du hast es gesagt. Du hast gesagt, du würdet jeden Preis dafür bezahlen. Jeden Preis für die Liebe.“

Er drehte sich herum, mit einem gequältem Lächeln im Gesicht.

„Es ist nicht so einfach, Crispin“, fluchte er zitternd. „Da ist nichts in mir, das mich glauben läßt, dass so etwas funktionieren könnte.“

Er trat zögernd ein paar Schritte auf das Dekkers Bett zu, indem sein Freund sich aufgerichtet hatte, nur mit einer dünnen Armeehose bekleidet.

„Du hast einen tollen Körper, Crisp!“, meinte er traurig. „Ich habe dich oft gemustert und mir gesagt, verdammt, ich will auch so knackig sein. Die Chicas würden mir auf der Strasse hinterherpfeifen.“

Für einen Moment brach Crispins alte, unbekümmerte Art wieder durch. Er lachte. Es gab Kal Mut, fortzufahren.

„Aber das ist auch alles, Crispin. Ich habe kein Bedürfnis, dich zu berühren. Ich will es mir noch nicht einmal vorstellen, es ekelt mich an. Und ich sehe den Hunger in deinen Augen danach. Es macht mir Angst!“

„Kal, es wird verschwinden. Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Verlangen entsteht, wenn die Behandlung abgeschlossen ist. Und selbst…“

Er senkte seinen Blick, fuhr mit tieferer Stimme fort.

„…selbst wenn es nur weh tut, und deine Liebe niemals erwidert wird. Es ist herrlich. Es ist herrlich, dich zu begehren!“

Er schenkte ihm einen tiefen Blick.

Kal nickte. Er erinnerte sich, wie es war, unglücklich zu lieben. Und traf eine Entscheidung.

„Wissen Sie, plötzlich hatte ich ein Bild im Kopf!“, meinte Kal Vasquez zu Shenanton.

„Es war auf der Akademie. Ein unglaublich heißer Tag. Alle Kadetten waren draußen, nutzten die Sonne, gingen baden. Ich lag auf dem Bett und büffelte für Navigation. Crispin und ich waren damals schon Zimmerkameraden. Und während ich versuchte, mich auf Sternenberechnungen zu konzentrieren, saß er am Fußende seines Bettes und spielte Playstation. Irgendsoein beschissenes Jump&Run-Game.“

„Navigation war mein Schwachpunkt und ohne den Abschluß wäre ich nicht weiter zu Ullus Major gekommen. Und er saß da und spielte dieses nervige Spiel. Auf einmal wallte etwas in mir auf. Ich hätte ihn beinahe angeschrien, er solle abhauen, mich in Ruhe lernen lassen. Aber dann…“

„…Es wurde mir klar, dass seine Anwesenheit mich nicht aufregte, sondern stattdessen beruhigte. Er wußte, wie wichtig die Prüfung für mich war, und darum blieb er bei mir, statt mit den anderen lau zu machen. Und ohne ihn hätte ich nur ständig daran gedacht, was ich draussen verpasse.“

„Ich begriff…“

„Crispin?“

Sein Freund sah ihn an, ausgehungert, sich verzehrend.

„Ich denke…wenn ich mich jemals in einen Mann verlieben würde…Du wärst es.“

Für einen Sekundenbruchteil schaute sein Freund schockiert aus, dann breitete sich ein sanftes Lächeln auf seinem Gesicht aus.

„Wow!“, sagte er und grinste. „Danke!“

Kalimero erwiderte das Lächeln.

„Jetzt brauch ich wirklich frische Luft“, lachte er und verließ wenige Sekunden später das Quartier.

„Sie wollten nicht das Zorphex, sondern den anderen Retrovirus“, nickte Shenaton. „Ich verstehe endlich. Nun, ich muss sagen, ihr Mut imponiert mir!“

„Aber ich habe auch große Bedenken“, gab Kal zu. „Was ist, wenn ich mich stärker verändere, als es mir jetzt bewußt ist. Und viel schlimmer, was, wenn ich mich überhaupt nicht in Crispin verliebe?“

„Das ist ein Risiko, dass sie in diesem Fall eingehen müssten. Aber von diesem Retrovirus gibt es kein marktfähiges Produkt. Ich muß es für sie anfertigen, genau wie damals für Dekker. Kommen sie morgen wieder, bis dahin dürfte der Prozess abgeschlossen sein!“

„Sie helfen mir? Einfach so?“

Shenanton musterte ihn ausführlich.

„Natürlich! Aber sie müssen mir eines versprechen! Führen Sie ein Tagebuch, indem sie die Veränderungen und ihre Gefühle schildern. Senden Sie es immer elektronisch an mich, auch nachdem ich die Armageddon verlassen habe. Was Sie und Dekker erleben, ist einzigartig. Den umgekehrten Prozess hat noch nie jemand durchlebt!“

Kalimero nickte eifrig.

“Danke!”, flüsterte er.

„Nichts zu danken. Schließlich nehmen Sie das ganze Risiko allein auf. Ich bin wirklich sehr gespannt, wie es sich entwickelt. Ich bin positiv überrascht, wie weit sie gehen, um ihren Freund zu unterstützen!“

Kal nickte mit glänzenden Augen.

Tag Sechs:

„Wie lange wird es dauern?“, fragte Crispin mit leuchtenden Augen.

Kalimero rieb die leicht gerötete Stelle, an der ihm der Doktor das Hypospray injiziert hatte.

„Das müsstest du doch besser wissen, als ich. Der Doktor meinte, es kommt auf meinen Metabolismus an. Könnte 2 Stunden dauern, aber auch zwei Tage. Wie war es bei dir?“

Crispin zuckte mit den Schultern.

„Er hat es mir vor der Schlafschicht gegeben. Am nächsten Morgen…“, er grinste auf einmal auf, „…es wird dich umhauen, das versprech ich dir. Wie wenn du nen LSD-Trip machst. Farben und Gerüche sind auf einmal völlig anders. Wenn du wüßtest, wie gut du auf einmal gerochen hättest!“

Kal erlaubte sich ein kleines Lächeln.

„Ich kann es mir noch immer nicht vorstellen. Die Vorstellung ist einfach zu abstrakt.“

Er ließ seine Augen über Crispins Körper wandern, der Pilot hatte seit der harten Kadettenzeit nichts von seiner Fitness eingebüsst. Weiche Haut, einen muskulösen Oberkörper, kein Gramm zuviel. Bewunderns- aber nicht begehrenswert für ihn.

„Nein, nein“, lachte er. „Das wird niemals klappen!“

Tag Fünf:

Ein gewaltiger Ruck ging durch die Armageddon, die Piloten, die in der Kantine vor der Essensausgabe standen, flogen von den Füßen, gefüllte Tabletts segelten vor erstaunt geöffneten Münern davon, grüne Erbsen kullerten überall über den Stahlfußboden.

Keiner der Piloten sagte ein Wort. Nicht einer hatte überrascht aufgeschrien. Alle blickten wortlos, mit einem gehetzen Gesichtausdruck auf die kleine Lampe über der Kantinentür.

Nichts geschah. Kein Alarm!

Die meisten seufzten vor Erleichterung auf. Kalimero bemerkte, dass Crispin seine Hand ergriffen hatte. Unangenehm berührt schüttete er sie ab, sah sich misstrauisch um, ob es jemand bemerkt hatte.

„Dass sie uns immer noch nicht bemerkt haben“, meinte Crispin zweifelnd, tat, als ob es nie eine Berührung gegeben hätte.

Wut schwelte in Kalimero auf. Beinahe hätte er seinen Freund angeraunzt, dann begriff er, dass Crispin die Tronars meinte. Sofort beruhigte er sich wieder.

„War wohl nur ein Stück Weltraumschrott in unserer Flugbahn“, meinte er. „Aber du hast Recht! Wir sind nur noch 2 Tage von Hailespond Eins entfernt. Die letzten Nachrichtendienstberichte meinten, dort würde eine große Flotte das System beschützen.“

„Sie muß groß sein“, antwortete Crispin. „Wir haben die gesamte Flotte der Erde zusammengezogen. 114 SFF-Frachter. 17 Träger. Und Tausende von Jägern.“

Kalimeros Augen wurden stumpf. Was nützte diese Anzahl, wenn die Piloten der anderen Schiffe genau so ausgebrannt waren, wie er selbst sich fühlte. Ausserdem schafften es die Tronars immer, zahlenmäßig überlegen zu sein. Wir kämpfen nur besser, dachte er zynisch.

„Wie fühlst du dich?“, fragte Crispin.

„Bereit zum Sterben!“, meinte Kalimero und beantwortete damit alle Unklarheiten.

Tag Vier:

„Kal, schläfst du?“, fragte der Untere.

„Natürlich nicht!“, meinte der Obere.

„Es funktioniert nicht, oder?“, hakte der Untere nach.

Nur ein leichtes Rascheln auf dem Kopfkissen verriet, dass Kalimero den Kopf schüttelte.

„Darf ich zu dir nach oben kommen?“, Crispins sanfte Stimme.

„Nein!“, meinte Kal überrascht und leicht gereizt.

Crispin fluchte leise.

„Drei Tage“, wimmerte er. „Du hättest schon längst etwas spüren müssen, Kal. Verdammt!“

Er weint, dachte Kalimero ergriffen. Diese Laute da unten sind Weinen.

„Es tut mir leid, Crisp! Ich kann daran auch nichts ändern!“

„Vielleicht hat Shenaton gepfuscht. Oder nur mit unseren Hoffnungen gespielt. Oder dieser Virus wirkt nicht bei dir. Oder…ich bin nicht der Richtige für dich!“

Das Wimmern klang jetzt ängstlicher, aber insgeheim bestätigten die Worte genau Kalimeros Befürchtungen.

Es war von Anfang an unlogisch, dachte er. Eine Träumerei. Wir waren uns doch beide klar, dass es niemals gut ausgehen könnte.

„Zehn Minuten“, sagte er.

„Was?“

„Du kannst zehn Minuten hochkommen. Aber keine Hände dahin, wo ich sie nicht haben mag!“

„Bist du sicher?“

„Ich denke“, log Kal. Sein Herz klopfte nicht, er fühlte sich geradezu erschreckend ruhig.

Er hörte, wie Crispin aufstand, vor ihm verharrte, ihn wortlos musterte.

Kal hob seinen Oberkörper, nahm seine Hand, zog ihn zu sich aufs Bett. Er schmiegte ihn an sich, streichelte Crispins Hinterkopf, als sein Freund seine Wange auf seine nackte Brust legte.

Wenigstens einer von uns beiden sollte ein wenig von seinem letzten Traum erleben, dachte er beklommen.

Tag Drei:

Er hatte es gerade noch geschafft, sich die Zähne fertigzuputzen, als der allgemeine Aufruf zur Einsatzbesprechung durch die Lautsprecher hallte.

Kein Alarm, dachte er, wir haben es also tatsächlich geschafft unbemerkt zum Einsatzort zu gelangen. Immerhin etwas.

Die Piloten stellten sich auf, betrachteten den riesigen Monitor, auf denen die taktische Karte dargestellt wurde. Admiral Tomarins dunkle Stimme ertönte, minutiös erklärte er die Mission.

Sie hatten tatsächlich Hailespond I erreicht ohne vorher in größere Scharmützel verwickelt worden zu sein. Jetzt stand nur noch eine große Armee der Tronar zwischen der versammelten SFF-Flotte und dem Planeten. Die Tronars waren eine große Herausforderung, aber Kalimero erkannte auf den ersten Blick, dass sie dem Feind zahlenmäßig zumindest ebenbürtig waren. Das war eine unerwartete Abwechslung.

Dann nahm er zwischen den Tausenden von Jägern und Hunderten von Pankraals die drei größeren Signale auf dem Bildschirm wahr. Hydra-Großschlachtschiffe. Er knirschte mit den Zähnen. In ein einziges dieser riesigen Tronar-Schlachter konnte man bequem sieben Armageddons unterbringen. Das würde eine harte Nuss werden. Auf dem Bildschirm zoomte eines der stilisierten Hydra-Bilder näher. Er studierte die Anzahl der Bomber- und Jägerstaffeln, die die Hydra Alpha zerstören wollten. Im Chromium-Wing entdeckte er den Namen ‚Beacon’, das war Crispins Callsign, und er lächelte.

Dann las er seinen eigenen Namen und wurde bleich. Er flog keinen Jäger. Sie hatten ihm einen Albatross-Bomber zugewiesen. Sein Flügel machte den entscheidenden Torpedo-Angriff auf die Hydra.

‚Fuck’, fluchte er, ‚Bitte keine verdammte bleierne Ente’. Aber der Flugplan stand fest. Hatten sie keine anderen Piloten mehr für die Bomber? Schlechtere? Als Bomber-Pilot musste man nichts anderes tun, als einen gerade Kurs einhalten und im richtigen Moment auf den Abzug drücken. Und sich braten zu lassen…Bomber waren Kanonenfutter.

Eines Tages musste es ja soweit sein, dachte er gleichgültig.

Dann endete die Besprechung, die Piloten lärmten und fluchten, schnappten sich ihre Helme, machten sich staffelweise auf dem Weg zu ihren Fliegern. Kalimero warf Crispin ein letztes Lächeln zu.

Verdammt, er sieht so süß aus in seiner Uniform, dachte er schmunzelnd.

Er ging drei Schritte, bis er die Eigenartigkeit seines eigenen Gedanken begriff. Sofort blieb er stehen, kalter Schweiß brach ihm aus. Ruckartig drehte er sich herum, seine Blicke suchten die seines Kameraden, er schaute ihm Auge in Auge und…

Es war, als würde der Blitz ihn treffen.

Er schnappte nach Luft, verfing sich in diesem Blick. Crispins Augen, hatten sie schon immer so geleuchtet? Dieses Antlitz, dieses Gesicht, hatte er wirklich gestern nacht diesen wundervollen Körper in seinen Armen gehalten?

Crispin legte seine Stirn in Falten, musterte ihn irritiert durch die Menge der anderen Piloten hindurch. Kalimero begann zu lachen und grienen. Da begriff sein Freund endlich, sein Gesicht erhellte sich, er rief etwas, aber durch das Gejohle der anderen Piloten kam kaum etwas durch.

Kal schenkte ihm einen letzten, langen Blick. Seine Lippen formten drei Worte, und obwohl kein Laut aus seiner Kehle kam, verstand Crispin sofort. Sein Freund winkte ihm strahlend noch einmal zu, dann trennte sich der Haufen aus Piloten und Kal fand sich im Bomber-Hangar wieder.

So also ist Liebe, dachte Kal, innerlich lächelnd.

Sein Bomber machte stetigen Flug, er konnte schon ohne Nav-Gerät vor sich die Hydra erkennen. Aus Gewohnheit visierte er sie frühzeitig an, machte die Torpedos scharf, speicherte das Ziel fest. Die Torpedo-Warnanzeige begann zu ticken. In zwei Minuten würde sie das Ziel verifiziert haben, dann müßte er nur noch auf 500 Klicks herankommen, durfte in der Zeit nicht vom Kurs abkommen.

Er fühlte sich warm und geborgen. Als ob er sich in einem riesigen warmen Meer treiben lassen würde. Crispin war dort draussen. Crispin liebt mich!

Er schaute auf seinen Radarbildschirm. Dort sah er die anderen beiden Piloten seiner Bomberstaffel, Saphyre und Larrigan, Zwölf Torpedos insgesamt. Genug um die Hydra in die Hölle zu jagen. Für jeden Bomber gab es vier Jäger, vier weitere Punkte auf seinem Bildschirm. Schutz! Die Bleienten waren stark gepanzert und damit zu träge für Ausweichmanöver, ein viel zu leichtes Ziel. Aber Crispin ist dort, dachte er und berührte einen der Punkte auf dem Bildschirm. Chromium-Wing. Mein Crisp!

Die Hölle brach los. Auch die anderen Bomber-Geschwader jagten auf die beiden entfernteren Hydras zu. Dazu ein ganzer Pfeilhagel aus schnellen Jägern. Aber die Tronars warfen ähnliche Massen aus Kleinfliegern ins Rennen. Hauptanliegen war natürlich die Zerstörung der Bomber, bevor sie in Torpedoreichweite der Hydras gelangten. Und gleichzeitig überwanden die gegnerischen Pankraal-Torpedierer die Frontengrenze, versuchten die Armageddon und anderen Träger anvisiert zu bekommen.

Hoffentlich haben wir genügend Jäger zurückgelassen, um deren Ärsche zu retten, dachte Kal noch, dann wurde es brenzlig.

Eine Staffel Drakhars versuchte seine Schilde zum Zusammenbrechen zu bekommen. Chromium- und Mercury-Wing nahmen sie gnadenlos unter Feuer. Gleichzeitig boostete Lithium-Wing nach vorne, schoß auf die Geschütze des einen Seitenarms der Hydra zu, versuchte gegnerisches Abwehrfeuer zu vernichten oder von den Bombern abzulenken.

Eine Explosion warf seinen Albatross aus der Bahn. Die Zielerkennung setzte aus, der Anvisiervorgang war unterbrochen und damit nutzlos gewesen.

Kal brachte seine trudelnde Maschine wieder auf Kurs, sah dann panisch auf den Bildschirm. Mercury! Es war einer der Mercury-Jäger, der explodiert war, Crispin war noch völlig intakt und kämpfte mit der Vehemenz eines Tigers.

Er sah die weißen kleine Pfeile, die auf einmal rechts und links an ihm vorbeiflogen. Seine Kameraden waren nicht aus der Bahn gestossen worden, schossen ihre Torpedos ab. Fuck, dachte Kal. Er schoß direkt auf die Hydra zu. Seine Zielerfassung war sehr träge, aber wenn er es riskierte, die Torpedos vorzeitig abzuschiessen, bestand eine 85% Chance, dass ihre Köpfe nicht im richtigen Augenblick detonierten.

500 klicks….400…300! Schweiß brach bei ihm aus. In zwei Sekunden müsste er abbrechen oder mit der Hydra kollidieren. Dann endlich der Summton, die Zielerfassung war abgeschlossen, er zog den Abzug so fest, dass er sich schon in seinen Finger schnitt. Alle vier Torpedos schossen aus dem Bauch seines Bombers. Sekundenschnell warf er die bleierne Ente herum.

Chromium, Lithium und Mercury waren schon auf Sicherheitsabstand gegangen. Kalimero jubelte, als die Hydra hinter ihm detonierte, sein Bomber in der Druckwelle aufheulte und die Schilde unter der Belastung knisterten.

„Gute Arbeit, Albatrosse!“, hörte er keine drei Sekunden die Stimme einen unbekannten Funkers aus der Armageddon. „Bomber sofort zur Armageddon zurückkehren. Neue Einsatzbefehle für Lithium, Chromium und Mercury. Sofort auf 17-13-4 wechseln und Transporter PH-1 bei seinem Anflug auf Hailespond I unterstützen!“

Kals Magen sackte in den Keller.

Man zog die Jäger von den Bombern ab. Das hatte es noch nie gegeben. Die Bomber waren schutzlos und mussten durch die angreifenden Tronars hindurch, um auf die Armageddon zurückzukehren.

„Chromium an Armageddon!“, hörte er plötzlich Crispins Stimme in seinem Kopfhörer. „Es gibt keine Begleitung für die Albatrosse. Bitte erklären sie diesen Befehl!“

Kal stockte der Atem. Auch Crispins Verhalten war ohne Präzedenz. Ein Pilot, der die taktischen Pläne des Oberkommandos in Frage stellte? Kal wäre gern stolz auf Crisp gewesen. Aber er schüttelte nur mutlos den Kopf.

„Mission der Albatrosse erfolgreich abgeschlossen!“, erwiderte die andere Stimme sachlich, mit nicht einmal den Hauch einer Verwunderung, „Sichere Rückkehr der Bomber besitzt geringe Priorität. Sofort zu PH-1 aufschliessen. Schutz dieses Transporters Priorität Gold, wiederhole Priorität Gold!“

Drei Jäger waren im Kampf gegen die Hydra zerstört worden. Acht drehten sich, nahmen eine neue Richtung ein. Ein Jäger verharrte. Einige Sekunden.

„Verflucht, Crisp, bitte!“, flehte Kal innerlich, „Denk an Rob Spato. Du bist immer noch ein Mensch, du musst dich nicht an jeden Befehl halten.”

Dann mußte er mitansehen, wie der Jäger sich drehte, zu den anderen Fliegern aufholte.

„Fuck!“, fluchte Kalimero und hieb mit den Fäusten auf seine Steuerkonsole.

„Verfluchter Verrräter!“, heulte er, sah fassungslos mit an, wie heisse Flüssigkeit aus seinen Augen auf die Armaturen tropfte.

Wie konntest du es nur vergessen, fragte er sich verzweifelt. Wie konntest du nur wieder glauben, Liebe wäre eine gute Sache?

Sie kamen, als er noch 5.000 Klicks von der Armageddon entfernt war. Eine Staffel Tronar-Drakhars, schnelle wendige Jäger. Saphyre und er bekamen das erste Feuer, die Laserimpulse prasselten auf die hinteren Schirme. Kalimero dreht die Maschine sofort herum, aber es war hoffnungslos, bis die schwere Albatross auch nur eine halbe Drehung vollzogen hatte, lag der Drakhar auch schon wieder feuernd hinter ihm.

Den Boost, dachte er. Er hatte Nachbrenner für 15 sec, damit schaffte er eine Beschleunigung, die gerade einmal mit einem Drakhar mithalten konnte. Damit käme er vielleicht 1000 Klicks näher an die Armageddon heran, viel zu wenig. Aber da waren auch noch zwei Minen im Auswurfschacht an seinem Heck. Nahezu wirklungslos gegen leichte Jäger, es sei denn…

Erinnere dich an die Akademie, dachte er. Wie hiess er noch, dieser Ausbilder, der über die Minen gesprochen hatte? Wenn ein Kadett merkt, dass er auf eine Mine zusteuert, wird er instinktiv eine Ausweichentscheidung einleiten. In 95 Prozent der Fälle weicht der Pilot nach oben oder unten aus, fast nie nach links oder rechts. Und von den Ersteren ziehen 85% den Jäger nach oben. Merkwürdig oder? Obwohl es im Weltraum kein Oben und Unten gab, hatte der menschliche Pilot immer eine Affinität dem Himmel entgegen. Und jetzt das wirklich Bizarre, hatte der Ausbilder damals gemeint…die Tronars verhalten sich ebenso unlogisch!

Kalimero drückte den Minenauswurfschalter, zog gleichzeitig den Bomber nach oben und aktivierte den Boost. Tatsächlich, er bemerkte wie der Drakhar nach oben zog, nicht realisierend, dass er genau den Fluchtweg ergriff, den Kalimero vor ihm angesteuert hatte.

Und noch eine, dachte Kal und drückte ein zweites Mal auf den Schalter.

Der Mechanismus sperrte, die zweite Mine löste sich nicht. ‚Fuck’, fluchte Kal, dann knallte der Drakhar auf sein Heck und verging in einem glühendem Feuerball.

Wow, dachte Kal nachdem er sich das Klingeln aus den Ohren geschüttelt hatte. Die bleierne Ente hatte durchaus auch ihre Vorteile. Seine Schilde waren runter, aber die Stahlhülle seines Bombers war unversehrt. Sein Lächeln dauerte nur eine Sekunde, dann sah er auf seinem Sichtschirm, wie Saphyre explodierte. Und es gab noch eine schlechte Nachricht. Seine Schilde bauten sich nicht mehr auf. Der Schildgenerator war durch den Aufprall ausgefallen.

Panik durchflutete ihn. Noch 3000 Klicks bis zur Armageddon. Aber hier waren immer noch drei Drakhars und er wollte nicht sterben. Verdammt, er durfte nicht sterben, doch nicht jetzt. Crispin, dachte er, du hast recht. Alles verändert sich dadurch. Ich habe keine Lust mehr, Kanonenfutter zu sein. Ich möchte leben und lieben und meine Träume verwirklichen…

2.500 Klicks. Und die ersten Lasersalven prasselten auf den ungeschützten Stahl seines Bombers.

Nur noch 2000 Klicks…

„Was wurde aus den Bombern?“

Crispin hatte seinen Helm heruntergerissen und stand atemlos an der Hangarschleuse. Er hatte sich den ersten Lotsen geschnappt, fuhr ihn mit gerötetem Gesicht an.

„Wann sind die Bomber heimgekommen?“

„Hey, lass mich“, meinte der Lotse. „Die sind schon vor ner Stunde heimgekommen. Also die, die nicht ins Gras gebissen haben!“

Crispin verstärkte seinen Griff.

„Die Albatross-Bomber. Hydra Eins. Haben die es zurückgeschafft?“, fragte er mit knirschenden Zähnen.

Der Mann war bleich angelaufen.

„Nur einer hats von denen geschafft. Tut mir leid, aber es sind so viele heute…“

„Welcher? Welcher Pilot?“, schrie er.

„Larrigan! Die anderen beiden sind abgeschossen worden!“

Crispins Griff erschlaffte, teilnahmslos schubste er den Lotsen beiseite.

Natürlich, dachte er, das war doch klar. So läuft nun einmal diese beschissene Welt.

Seine Füße fühlten sich wie Blei an. Er kämpfte, um sich auf den Beinen zu halten, schlug den Weg zu seinem Quartier ein. Einfach schlafen, dachte er. So werd ich es überleben. Nicht fallenlassen. Nicht heulen. Nicht für drei Sekunden Glück!

Karkasz saß auf seinem Bett, als er sein Mannschaftsquartier betrat.

„Hey, hast du das mit Kalimero gehört?“, kicherte er.

Ich schlag dir deine dümmliche Fresse ein, dachte Crispin, trat einen Schritt auf seinen fetten, verblödeten Kameraden zu.

„1000 Klicks vor der Armageddon abgeschossen. Booom! Genau in Reichweite unserer Feuertürme. Die Drakhars sind vielleicht gebrannt. 1000 Klicks. So ein Glückspilz!“

„Glückspilz?“, fragte Crisp hohl nach.

„Ja!“, meinte Karkasz mit einem weiteren Kichern. „Die Armageddon dreht gerade ab und flieht. Wir rennen wie der Teufel zum Warp-Point. Keine Search&Rescue-Missionen. Wenn Kalimero nicht direkt vor unserer Nase explodiert wär, hätten wir seine Notkapsel gar nicht geborgen!“

Er fühlte sich beschämt, wollte seinen Blick abwenden, aber es gelang ihm nicht. Kalimeros glühende Augen hielten seine im Bann.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich die letzten Stunden gehasst habe, aber…“, begann Crispin.

„Stop!“, grollte Kal. „Hör auf! Kein weiteres Wort mehr!”

Er riss seine verbrannte Pilotenjacke von sich herunter, pfefferte sie auf den Boden, dann trat er an Dekker heran, so nah, dass sich beinahe ihre Nasenspitzen berührt hätten.

„Ich habe dich auch gehasst. Und ich verzeihe dir. Einfach so. Ich habe keine Lust unsere wenigen letzten Stunden mit Vorwürfen zu verschwenden.“

Er legte seine Hand zärtlich auf Crispins Wange, streichelte sie, wischte eine Träne der Erleichterung fort.

„Es tut mir so leid!“, flüsterte Crisp.

„Das genügt vollkommen!“, meinte er ernst und beugte sich nach vorne, um ihn das erste Mal in seinem Leben zu küssen. Er ließ sich in dieses Gefühl versinken. Seine Ohren rauschten und die Knie wurden ihm weich, er fühlte sich geborgen wie noch nie.

„Wie hab ich so dumm sein können, die ganze Zeit!“, lächelte er dann schelmisch. „Komm, wir haben eine Menge nachzuholen!“

Gemeinsam rannten sie über die Flure bis sie im Quartier angekommen waren. Kaum zur Tür hinein, hatten sie auch schon Hemden und Crisps Jacke von sich gerissen. Kalimero drängte seinen Geliebten an das gemeinsame Bett, küsste ihn noch einmal lang im Stehen, erforschte die Tiefe seiner Mundhöhle.

Crispin durchfuhr seine Haare. Dann beugte er sich herab, küsste Kal auf Hals und Nacken, dann tiefer.

Ein entgeistertes, gequältes Zischen drang vom gegenüber liegendem Batt.

„Verpiss dich, Karkasz!“, befahl Kal energisch, dann widmete er seine volle Aufmerksamkeit nur noch seinem Liebhaber.

Tag Zwei:

Kalimero erwachte.

Zum ersten Mal liege ich unten, dachte er und starrte auf die Unterseite seiner eigenen Matratze über ihn. Er stellte sich vor, wie Crispin sich gefühlt haben musste, hier zu liegen, ihn zu begehren, so nah und doch unerreichbar.

Er lächelte. Crispins Kopf ruhte auf seiner Brust, er schlief ruhig und gleichmäßig, seine Hand lag wie beschützend auf Kalimeros schlaffem Schwanz.

„Aufwachen Süßer!“, flüsterte er ihm sachte ins Ohr, bis der Obere sich zu regen begann.

„Mein Arm ist eingeschlafen“, erklärte er, dann zog er ihn unter Crispins Körper hervor, begann ihn zu schütteln und die Tausende von Nadelstichen zu ertragen. Crispin sah sich schlaftrunken um, sie waren immer noch allein in dem Quartier.

„Sayako ist die Nacht gar nicht erschienen!“, meinte er. Sie wechselten einen düsteren Blick aus.

„Merkwürdig. Keine Alarm. Keine Einsatzbesprechung. Es ist ungewöhnlich, wir haben tatsächlich eine Menge Schlaf bekommen.“

„Naja, mein Bomber ist hinüber. Ich denke mal, wir haben kaum noch Jäger, die nicht in der Reparatur sind. Eine unerwartete Gnade, dieser Tag!“

Crispin lächelte, drehte sich herum, musterte ihn glücklich.

Kal schenkte ihm ein kauziges Lächeln.

„Ich fühle mich schmutzig!“, meinte er, dann stand er auf. „Ich stinke immer noch nach verschmortem Plastik. Und du hast mich total eingesaut!“

Crips lächelte spöttisch, Kal fiel lachend ein.

Sie schnappten sich die grauen Piloten-Boxers und ein paar Handtücher, machten sich auf den Weg zur Dusche. Die Flure waren wie ausgestorben.

„Unglaublich!“, meinte Crisp, als sie angekommen war.

Der riesige Duschraum lag wie üblich in einem feuchten Halbdunkel. Wasserperlen tropften von der Decke und den eisernen Hähnen, ein metallisch, schimmliger Geruch lag in der Luft. Aber der Raum war komplett leer. So hatten sie ihn noch nie erlebt.

Kalimero drehte das heisse Wasser auf.

„200 Duschen und wir müssen uns eine teilen!“, grinste er, dann zog er den nackten Crispin an sich heran.

„Wo sind die anderen?“, fragte Crisp. Kal musste nicht antworten.

Stattdessen seifte er Crips Körper ein, massierte den Schaum überall herunter. Er senkte seinen Kopf en wenig, um spielerisch an den Brustwarzen seines Partners zu saugen. Innerhalb von Sekunden waren sie beide wieder erregt.

„Traust du dich hier zu ficken?“, fragte er.

„Klar! Worauf warten wir?“, grinste Crispin zurück

Sie liebkosten sich zärtlich während der heissen Dusche, dann gewann die Lust ein weiteres Mal und das Liebesspiel wurde ernst und heftig. Erst schrie Kalimero auf, dann ergab sich auch Crisp einem heftigen Orgasmus. Völlig erschöpft sank er unter dem Wasserstrahl zusammen.

„Das war es wert, oder?“, fragte er.

Kal schaute ihn traurig an. Dann antwortete er:

„Als ich bei der Missionsbesprechung war und in deine Augen schaute…schon dieser Moment war es wert. Sogar als du deine Befehle angenommen und mich verlassen hattest, als ich dich aus vollem Herzen gehasst habe, auch da wusste ich, dass ich richtig gehandelt habe. Und dieser letzte Tag…stell dir vor wir hätten ohne ihn gelebt!“

„Ein sinnloses Leben!“

Kal nickte.

„Wir fliehen!“, meinte Crisp nach einer Weile. „Die Überbleibsel der terranischen Flotte zieht sich zum Warp-Point zurück. Dann das Vega-System und zurück zu Erde.“

„Was habt ihr auf Hailespond so Wichtiges erledigt? Das dieses Gemetzel rechtfertigt?“

Crispin schüttelte den Kopf.

„Ich habe keine Ahnung! Wir haben nur diesen Transporter abgesetzt.“

Kal massierte ihm leicht den Nacken.

„Wäre es nicht schön, eine Zukunft zu haben?“, fragte Crispin traurig.

Kal antwortete nicht.

„Wir sollten es gleich machen“, meinte er. „Wo wir noch die Gelegenheit dazu haben. Ungestört, zu zweit!“

Crisp nickte. Er stand wieder auf und nahm seinen Geliebten in beide Arme.

„Also dann. Unser letzter Kuss! Kal, ich liebe dich!“

Tag Eins

Sie betraten zu zweit das Observatorium. Ein ungewöhnlicher Ort für eine Einsatzbesprechung. Die Ankündigung war unauffällig, beinahe zögerlich gewesen. Und doch hatten sich alle Piloten wie durch Geisterhand geführt hier angefunden.

Crispins Blicke wanderten von Kopf zu Kopf.

„39 Piloten“, zischte er. „39 übrig. Von 1.500!“

Er beobachtete die Menschen, die sich in dem gigantischen Dom versammelt hatten. Sie wirkten wie orientierungslose Kinder, jeder stand für sich allein, blickte entgeistert nach oben. Und es waren viele unbekannte Gesichter. Vier von den terranischen Flottenträgern waren bei dem Angriff auf Hailespond völlig zerstört worden, die Piloten hatten sich auf die Armageddon geflüchtet.

Kal nahm seine Hand, drückte sie fest. Niemand schenkte der Zärtlichkeit zwischen den beiden übermässige Beachtung.

Admiral Tomarin war persönlich anwesend, stand eine Ebene höher bei der Sensorsteuerung. Aber alle Blicke waren auf die transparente Kuppel des Obervatoriums gerichtet. Vor ihnen, eine Erscheinung wie ein riesiges, aufgerissenes Wurmloch, befand sich der geöffnete Warp-Point. Strahlen schossen aus ihm heraus, die meisten weiß, aber durch die Gravitationseffekte auch violette, grüne, orangene.

„Wie wunderschön!“, schluckte Kalimero. „Fast wie ein Feuerwerk.“

Crispin versuchte die Strahlen, die nichts anderes als Rematerialisierungsstreifen der eintreffenden Tronar-Schiffe waren, zu zählen. Aber es war unmöglich. Es waren bereits mehr als Tausend Halos.

„Diese großen Punkte dort…“, fragte ein Pilot zur Linken und deutete auf einen Schwarm von mindestens zwei Dutzend Punkten, „…sind das Pankraals?“

Kalimero schüttelte den Kopf.

„Hydras!“, sagte er nur. Ein Stöhnen ging durch die Menge.

„Die Starfleet-Force hat Hailespond zu einer erfolgreich durchgeführten Mission erklärt“, ertönte endlich Tomarins beinahe leblose Stimme. „Ich bin nicht so vermessen, mir einzubilden, dass das noch irgendeine Bedeutung für euch hätte!“, fuhr er fort.

„Darum, meine Piloten, diese letzte Einsatzbesprechung. Steigt in eure Jäger und haut ab!“

Ein überraschtes Raunen ging durch die Piloten.

„Kämpft so gut ihr könnt und schlagt euch zum Warp-Point durch. Die Flottenträger sind nicht zu retten, schenkt ihnen keine Beachtung. Ein Pilot, der es ins Vega-System schafft, hat aus meiner Sicht jede Ehrenmedaille der SFF verdient. Das war es, jetzt ab. Es war mir eine Ehre!“

Damit trat er nach hinten. Kal und Crisp schauten sich wortlos an. Hinter sich hörten sie einen Piloten in Tränen ausbrechen. Kal schaute sich entsetzt um, als er die Stimme erkannte. Es war IceMan.

„Ich habe Angst“, meinte Crispin zögerlich.

Kal drückte seine Hand ein wenig fester.

„Immerhin…“, antwortete er.

Tag 0

Michale Shenaton saß vor seinem sirrenden Desktop und hörte Brahms.

Immer wieder las er die Worte der letzten Mail, die er vor wenigen Stunden empfangen hatte. Zwei Tage verspätet. Ein elektronischer Tagebucheintrag von Kal Vasquez, Callsign ‚Kalimero’. Der Pilot hatte Wort gehalten.

Er trank selten Alkohol, aber diesmal hatte er sich einen riesigen Schenker mit erlesenem Rotwein gefüllt, sippte gelegentlich einen Schluck davon.

Wenn er Kals Worte genügend in sich aufgesaugt hatte, klickte er auf den Aktualisierungsbutton seines Nachrichtendienstes, wartete auf brandneue Meldungen.

Vorgestern um 3:17 war Hailespond an die Terraner gefallen.

Seit gestern gab es keine Nachrichten von der heimatlichen Flotte mehr.

Heute um 10:27 war Chris O’Connor von seinem Posten als Präsident der SFF zurückgetreten. Er hatte die Bilder von dem smarten Geschäftsmann vor einer wütend und verzweifelt wirkenden Menschenmenge gesehen. Keine Stunde später kam die schockierende Nachricht, dass die Starfleet Force aufgelöst worden war. Die Erde stand vor der Kapitulation.

Was immer aus uns wird, las er Kals letzte Worte, ich danke Ihnen von Herzen, Doktor.

Jetzt…13:16..ein neues blinkendes Signal. Eine neue Nachricht vom Vega-Beobachtungsposten. Endlich öffnete sich der Warp-Point zum Hailespond. Dort wartete man schon beinahe einen Tag auf die Überbleibsel der terranischen Flotte.

13:17 Rematerialisierungen…eine riesige Flotte schob sich durch den Warp-Point…kurze Hoffnung…

13:18…

Was immer aus uns wird…

Michale las die Worte dreimal. Dann schaltete er den Desktop ab und weinte um die Menschheit.

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