Jetzt habe ich also auch eine Geschichte geschrieben. Ich kann weder behaupten, dass alle Personen noch die Handlung frei erfunden sind. Ich habe mir aber Mühe gegeben, alle(s) bis zur Unkenntlichkeit abzuändern, ohne den Sinn der Geschichte zu verdrehen – ja, ich denke, so könnte man es sagen. Und jetzt… viel Spaß beim Lesen! :o)
Teil 1
Es regnete in Strömen. Es war kurz nach 17 Uhr, aber trotzdem schon dunkel. Eigentlich normal, denn es war Herbst – der 11.11.2003. Niemand würde wohl freiwillig bei so einem Wetter vor die Tür gehen, geschweige denn an einer belebten Straße ‚einfach nur so‘ da stehen – eine Gruppe von vielleicht 20 Leuten tat dies aber. Was gab es da nur so interessantes zu sehen? Ein LKW stand in der Kreuzung und blockierte die eine Straßenseite, aber die Leute schauten mehr in die andere Richtung. Da knieten zwei Männer neben der Fußgängerampel und schienen ziemlich beschäftigt zu sein. Die Lederjacke des einen Mannes glänzte vom Regen und die Kälte musste wohl unweigerlich durch sie hindurch kriechen. Aber davon spürte der Mann nichts… er war viel zu beschäftigt. Im Lichtschein der langsam vorbeirollenden Autos sah man sein Gesicht. Außer den Regentropfen liefen auch Tränen seine Wangen hinunter, aber das sahen die Leute auf die Entfernung nicht. Hin und wieder schniefte er und versuchte vergeblich, sein nasses Gesicht am noch nasseren Kragen seiner Lederjacke abzuwischen. Einen guten Meter neben ihm kniete der andere Mann und schien etwas auf zu pumpen. Er hatte eine rote Jacke an und auf seinem Rücken konnte man ein großes, reflektiertes, rotes Kreuz auf weißem Grund und darunter das Wort ‚NOTARZT‘ sehen. Autofahrer hupten hin und wieder – wohl einfach nur, um ihren Frust über die gesperrte Straßenseite abzulassen, denn dass es dadurch auch nicht schneller ging, musste jedem klar sein. Zwischen den beiden Männern lag ein verletzter Junge und die Leute gafften – für Gaffer gab es eben kein schlechtes Wetter!
Tommys Beine kribbelten bereits und fingen an einzuschlafen, weil er schon so lange in der Hocke saß. Im Arm hielt er den verletzten Jungen, dessen Kopf er an seine Brust heran gezogen hatte, um ihn etwas vor dem Regen zu schützen und warm zu halten. Der Junge war halb bewusstlos und fing nur von Zeit zu Zeit an, etwas vor Schmerzen zu wimmern. Dann streichelte ihm Tommy über die Wange und redete beruhigend auf ihn ein. Und schon war der Junge wieder bewusstlos. Tommy kannte ihn vom Sehen und konnte seine Tränen einfach nicht zurückhalten, denn er wusste, wie der Junge normalerweise aussah. Schon oft hatte er ihn mit dem Mountainbike hier in der Gegend herumradeln sehen und hier und da auch schon mal ‚hallo‘ zu ihm gesagt. Jetzt kniete er da und streichelte den blutüberströmten Kopf, der auf der linken Seite aufgeschürft und ganz dreckig war. Die blonden Haare waren zerzaust und von Blut und Regen ganz dunkel und verklebt.
„Das glaub ich einfach nicht!“, rief er auf einmal und schaute zu der Gruppe Gaffer hinüber, „haben die denn nichts besseres zu tun, als blöd zu gaffen?“ Tommy war 22 und seit knapp fünf Jahren bei der Polizei. Eigentlich mochte er seinen Beruf, nur gab es auch hier Tage (wie wahrscheinlich in jedem Beruf), an denen man lieber im Bett geblieben wäre. Heute schien mal wieder so ein Tag zu sein! Ein anderer Polizist kam auf Tommy zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Lass‘ gut sein Tommy! Das Kommando hat’s gleich und weg sind wir“, sagte dieser beruhigend. Die beiden Polizisten vom Unfall-Aufnahme-Kommando, oder eben kurz ‚Kommando‘, fingen schon an, ihre Maßbänder und Schreibblöcke wieder in den trockenen Kombi zu räumen. Sie hatten alles ausgemessen und fotografiert, beim LKW-Fahrer einen Alkoholtest gemacht und die Tachoscheibe aus dem Fahrtenschreiber sichergestellt. Dieser Fahrer hatte wohl ausnahmsweise mal alle Vorschriften eingehalten. Es konnte also nur am Wetter liegen oder daran, dass er es zu Eilig hatte. Er hatte laut dem Zeugen bereits rot und bog trotzdem noch ab. Dabei hatte er den Jungen erfasst und mit seinem Auflieger überrollt.
Der Notarzt hatte gerade die Vakuumschiene am Bein fixiert und fertig luftleer gepumpt. Er schaute zu Tommy. „So, jetzt ist er soweit transportfähig. Helfen Sie uns noch, ihn vorsichtig auf die Trage zu heben, ohne seinen Kopf zu bewegen oder die Infusionen rauszuziehen?“ „Klar doch“, meinte Tommy und hob den Jungen mit dem Arzt und den beiden Sanis zusammen behutsam auf die Trage. Sie rollten langsam zum NAW (Notarztwagen) und Tommy hielt eine der beiden Infusionsflaschen hoch. „Wo bringt ihr ihn denn hin? Wisst ihr schon, wo was frei ist?“ „Ja, ins Schwabinger kommt er…“ antwortete der eine Sani, während er die Trage in den NAW schob.
„Wir haben’s dann auch soweit und können die Fahrbahn wieder freigeben“, meinte einer der Polizisten vom Kommando. Der LKW-Fahrer saß immer noch heulend auf dem Kasten mit dem Streugut, der neben dem Gehweg stand. Na wenigstens nimmt er sich’s zu Herzen!, dachte Tommy. Neben dem Fahrer saß der Ersatzfahrer, den sein Chef her gebracht hatte, damit dieser den LKW weiterfahren konnte. Der Fahrer selbst hatte einen Schock und konnte und durfte heute nicht mehr fahren. Tommy ging zu ihnen rüber. „Wir sind soweit fertig und sie können dann auch fahren“, sagte er ruhig zu ihnen. „Und wie geht’s jetzt weiter?“, fragte der Fahrer mit zittriger Stimme. „So, wie es aussieht, bekommen sie wohl eine Anzeige und müssen wahrscheinlich ihren Führerschein eine Weile abgeben! Sie können froh sein, dass sie 0,0 Promille hatten und die Lenkzeit OK war. Sie werden’s schon überleben…“, Tommy stockte kurz und ergänzte dann leise: „…der Junge hoffentlich auch!“
Tommy ging los, um den rechten Schuh und die Umhängetasche des Jungen von der Straße aufzusammeln. Dort, wo er die Sachen aufhob, waren gelbe Markierungen mit Ölkreide angebracht. Das Mountainbike war in der Mitte fast durchgebrochen und Tommy musste es tragen, weil es vorne und hinten einen Achter hatte und eigentlich nur noch Schrott war. Das Bike legte er in den Kofferraum des Streifenwagens und die Tasche auf die Rückbank. Mit dem Schuh ging er zum NAW und legte ihn drinnen an die Seite. „Hier ist sein rechter Schuh. Hattet ihr vorhin nicht seine Monatskarte?“, fragte Tommy. Einer der Sanis reichte ihm die Monatskarte raus. „Ja hier. Florian Bachmeier, 17 Jahre. Er wohnt in der Moosacher Straße 13 – gleich da vorne ums Eck“, meinte dieser. „Danke“, meinte Tommy zu ihm und ging zurück zum Streifenwagen, lehnte sich kurz hinein und griff den Hörer des Funkgerätes. „Einsatzzentrale für 1/4“, sprach er in den Hörer. Nachdem die Einsatzzentrale geantwortet hatte gab Tommy den Bericht durch. „LKW gegen Radfahrer, LKW leicht, Rad total, Radfahrer schwer – mit BRK stationär ins Schwabinger. Verständigung der Eltern im Anschluss durch uns, Aufnahme und Anzeige Kommando.“
Währenddessen hatte Tommys Kollege die Warnlampe und das Warndreieck eingepackt und sich auf den Fahrersitz gesetzt. Der LKW hatte seine Fahrt fortgesetzt und Tommy wollte auch gerade einsteigen. „STOP! Schau mal, wie du aussiehst – da vorne… am Bauch und auch die Hose ist ja auch total voll“, schrie ihn sein Kollege vom Fahrersitz aus an. „Mann Achim! Und ich dachte schon, mich will gerade einer von hinten abstechen! Schrei mich halt an, oder?!“ Tommy wischte sich mit einem Tuch notdürftig ab. „So, aber jetzt! Mir iss saukalt und schlecht außerdem“, meinte er gereizt und setzte sich ins Auto.
Sie fuhren zu der Adresse, die in der Monatskarte gestanden hatte. Im 2. Stock rechts, dort wo laut dem Klingelschild eine Familie Bachmeier wohnte, brannte Licht – es war also offenbar jemand daheim. Sie klingelten… „Ja, hallo?“, knarzte es aus der Gegensprechanlage. „Grüß Gott, hier ist die Polizei – können wir mal kurz rauf kommen?“, fragte Achim. „Ja sicher, aber was ist…“ In diesem Moment surrte der Türöffner und man verstand den Rest nicht mehr. Tommy und Achim gingen die Treppen hoch und in der halb geöffneten Tür stand eine Frau, so Mitte 40 – vermutlich die Mutter von Florian.
„Hallo, mein Name ist Kleinschmied und das ist mein Kollege Wagner.“ stellte Achim sich und Tommy vor. „Können wir kurz rein kommen?“ „Ja um Gottes Willen, was ist denn passiert? Hat Florian irgendwas ausgefressen? Kommen sie rein…“, kam es besorgt von der Mutter.
Im Wohnzimmer angekommen, drehte sie sich um. „Wo ist er überhaupt? Traut sich wohl nicht mit ihnen rein, wie? Na der kann was…“ „Nein, Frau Bachmeier…“, fiel Tommy ihr ins Wort, „…es ist leider was Schlimmes passiert!“ Frau Bachmeier verstummte augenblicklich und riss die Augen weit auf. „Was ist ihm passiert?“ „Ja, also…“, wollte Achim ansetzen, um auch etwas zu sagen, schaute dann aber hilfesuchend zu Tommy rüber. Der verstand den Blick und wandte sich zu Frau Bachmeier. „Florian wurde angefahren. Von einem LKW. Laut dem Zeugen wollte der LKW abbiegen, als er schon rot hatte. Dabei hat er ihren Sohn übersehen, der gerade über die Straße fahren wollte.“ Frau Bachmeier wurde zusehens blasser. Achim nahm sie am Arm und geleitete sie zur Couch, wo sie in sich zusammen sackte und zu schluchzen anfing. „Er ist ins Schwabinger gekommen und wird dort gerade genauer untersucht.“, ergänzte Tommy. „Und wie schlimm ist es?“, fragte sie und hoffte wohl zu hören, dass Florian Ende der Woche wieder OK sei. „Also laut dem Notarzt hat er sich den rechten Oberschenkel gebrochen, hat Prellungen und Schürfwunden und wahrscheinlich auch eine Gehirnerschütterung. Er wird wohl mindestens für ein paar Tage im Krankenhaus bleiben müssen.“ „Wann kann ich zu ihm? Wo genau ist er?“ „Ich gebe Ihnen die Nummer vom Schwabinger Krankenhaus. Da rufen Sie am besten einfach später mal an und fragen nach.“ Tommy zog sein ’schlaues Buch‘ aus der nassen Jacke. „Die kompletten Personalien von Florian brauchen wir übrigens auch noch – für die Anzeige gegen den LKW-Fahrer. Und die Nummer vom Schwabinger Krankenhaus ist 30 68 34 45“ „Danke, und was brauchen Sie noch von ihm?“ „Geburtsdatum und -ort, Familienstand und Beruf. Ich denke mal, dass er ledig und Schüler ist, oder?“ „Ja genau und er ist am 23.09.1986 in München geboren“ „Hat Florian eigentlich keinen Personalausweis, weil ich den in seiner Tasche nicht gefunden habe?“, fragte Tommy nach. „Doch hat er, aber der liegt meist in seinem Zimmer, damit er ihn nicht verliert. Und was meinten sie mit ‚Anzeige gegen den LKW-Fahrer‘?“ „Die Kollegen von der Unfallaufnahme schreiben eine Anzeige und dafür brauchen wir die kompletten Daten von ihm.“ „Ach so. Ja gut. Ich warte jetzt erst mal auf meinen Mann. Der muss jeden Moment von der Arbeit nach Hause kommen.“ Sie schaute dabei aufgeregt auf die Uhr. Es war mittlerweile 18:30 Uhr. Achim sah auch auf die Uhr, gab Tommy ein Zeichen zum Aufbruch und wandte sich an Frau Bachmeier. „Wir bringen Ihnen noch schnell das Fahrrad und seine Tasche hoch, ja?“ „Ja danke, lieb von Ihnen“, meinte sie und versuchte dabei zu lächeln, was ihr aber offensichtlich misslang. Tommy lächelte sie an und nickte aufmunternd. „Der wird schon wieder!“
Beim Verlassen der Wohnung sah Tommy rechts in ein dunkles Zimmer. Es musste das von Florian sein. Er konnte im Dunkeln nur einen Schrank, ein Bett und einen Tisch mit einem Monitor sehen. „Ja das ist sein Zimmer“, meinte Frau Bachmeier und knipste das Licht an. Das Zimmer war nett eingerichtet – klein aber gemütlich. Poster hingen keine an den Wänden – nur Fantasy-Bilder und ein Kino-Plakat von Xmen. In der einen Ecke hing eine etwa 2 mal 1 Meter große Rainbow-Flag. Frau Bachmeier griff auf den Schreibtisch und hielt Tommy Florians Personalausweis hin. „Sehen sie, da ist er!“ Achim rollte ungeduldig mit den Augen und meinte, dass er derweil schon mal die Sachen aus dem Auto holen würde. Tommy sah sich das Bild auf Florians Personalausweis an und muss wohl einen sehr verträumten Gesichtsausdruck bekommen haben. „Ja, mein Sohn ist auch… schwul.“ Sie sah auf den kleinen Rainbow-Anstecker am Kragen von Tommys Lederjacke. Tommy wurde etwas verlegen, obwohl man das wirklich nicht oft bei ihm erleben konnte. „Aha…?“, stammelte er etwas irritiert. „Ist mir gleich aufgefallen, als sie rein kamen – ich habe ja nun auch einen Blick dafür bekommen“, sagte sie mit einem leichten Grinsen. „Dass sie das gleich gemerkt haben? Von meinen Kollegen weiß das eigentlich keiner! Wir sollen zwar gegenüber anderen tolerant sein, in den eigenen Reihen hat man aber nichts zu lachen wenn man sich outet!“ „Dann haben sie’s wohl nicht einfach, wie? Was haben Sie denn mit ihrer Hose gemacht?“ Sie deutete mit ihren Blicken auf Tommys Hose. Er sah an sich runter auf die blutverschmierten Oberschenkel. Erst jetzt im Hellen fiel es so richtig auf. „Ich habe dem Notarzt etwas geholfen vorhin…“, sagte er nur, als Achim gerade mit Fahrrad und Tasche zur Tür herein gepoltert kam. Er schaute Tommy in der Erwartung an, jetzt endlich einen Kaffee trinken zu fahren. Achim ging auch gleich wieder in Richtung Wohnungstür und Tommy folgte ihm langsam. „Wir müssen dann, Frau Bachmeier – hier ist meine Visitenkarte, falls sie noch Fragen haben. Und schönen Gruß an Florian und gute Besserung!“ „Richte ich gerne aus, Herr Wagner! Schönen Dienst noch!“
„Sach mal, habt ihr Brüderschaft getrunken, als ich am Auto war?“, feixte Achim, als sie im Treppenhaus nach unten gingen. „Na ja, viel hat nicht mehr gefehlt“, scherzte Tommy. „Das wär ’ne Schwiegermutter nach deinem Geschmack, wie?“, sagte Achim lachend. „Wie war das bitte?“ Tommy traute seinen Ohren nicht recht. „Schon gut Tommy… Ich sag’s keinem, keine Angst!“ Achim drehte sich um und schaute Tommy an. „Ich weiß doch auch…“, meinte er und deutete mit seinen Blicken auf den kleinen Anstecker an Tommys Kragen, „…was das bedeutet! Und außerdem kenn ich dich nun auch schon ein paar Tage.“ „Ach so… Ja dann… Ähm… Fahren wir nu ’nen Kaffee trinken oder was?“, versuchte Tommy elegant das Thema zu wechseln. „Ja klar, komm schon… fahren wir zur Dienststelle!“ Das kleine Ablenkungsmanöver schien also geklappt zu haben. Aber Achim ließ sich nicht so einfach ablenken. „Wenn du mal reden willst…“ Dann stieg er ein und ließ den Motor an. Tommy stieg ebenfalls ein und sie fuhren zur Dienststelle. Achim und er fuhren schon seit etwa zwei Jahren zusammen Streife – meistens zumindest. Sie kannten sich also recht gut und es war eigentlich klar, dass Achim früher oder später etwas merken musste. Auch weil Tommy (logischerweise) nie etwas von ‚einer Freundin‘ erzählte. Irgendwie war Tommy erleichtert, weil er Achim nun nichts mehr vormachen oder sich verstellen musste. Sie verstanden sich sowieso schon super, was wahrscheinlich auch daran lag, dass sie etwa im gleichen Alter waren. Achim war nur knapp zwei Jahre älter.
Die Spätschicht war um 20 Uhr vorbei und Tommy freute sich auf eine heiße Dusche. Schon auf dem Weg nach Hause musste er immer wieder an Florian denken. Nachts träumte er von schlimmen Unfällen und entstellten, blutüberströmten Leichen und sah immer wieder das dreckige und blutverschmierte Gesicht von Florian vor sich. Hatte ihn das so mitgenommen? So was war ihm noch nicht passiert, obwohl er schon schlimmere Unfälle gesehen hatte. Draußen war es stockdunkel und es regnete immer noch als der Wecker ihn von seinen Alpträumen erlöste. Er wachte auf und war nass geschwitzt. 05:00 Uhr und in einer Stunde hatte er Dienstbeginn. Er machte sich einen Capuccino und fuhr dann los.
Im Dienst angekommen, fand er in seinem Fach einen Zettel.
Guten Morgen Tommy! Bitte Frau Bachmeier anrufen. Nummer hast du ja, oder? Es geht um den Unfall gestern Abend. Gruß und schönen Dienst – Schatti
Was war denn jetzt? Wahrscheinlich wollte sie noch etwas wegen der Anzeige fragen oder so. Da Tommy ja schlecht um kurz nach sechs bei ihr anrufen konnte, fuhr er erst mal mit Achim Streife und erzählte ihm natürlich von dem Anruf. „Sie wird wahrscheinlich wissen wollen, ob sie sich nen Anwalt nehmen muss oder so“, meinte dieser. „Ja wahrscheinlich. Du Achim, wir können doch später kurz vorbei fahren bei ihr, oder?“ „Ja klar, wenn nix los ist schon.“
Es war ruhig an diesem Mittwoch Morgen und so fuhren sie einfach um halb neun zu Frau Bachmeier. Sie klingelten und ohne dass sie etwas über die Gegensprechanlage sagte, surrte der Türöffner. Sie gingen hinauf.
„Guten Morgen Frau Bachmeier“, sagten Tommy und Achim fast gleichzeitig. „Guten Morgen Herr Wagner und Herr…“ „Kleinschmied“, ergänzte Achim. „Ach ja, Entschuldigung Herr Kleinschmied!“ „Schon gut“, meinte Achim und grinste. „Kommen sie doch herein – wollen sie einen Kaffee?“, fragte Frau Bachmeier mit einem Lächeln. Achim und Tommy schauten sich an und nickten sich zu – es war ja ruhig und das Funkgerät hatten sie dabei, um erreichbar zu sein. „Danke, gerne“, meinte Tommy dann. „Hat ihnen der Kollege Schattner ausgerichtet, dass ich angerufen habe, ja?“ „Ja hat er. Haben sie noch Fragen oder gibt’s was Neues von Florian? Wie geht’s ihm denn?“, fragte Tommy sichtlich angespannt. Frau Bachmeier reichte ihnen beiden eine Tasse und deutete auf den Tisch, wo Milch und Zucker stand. „Bedienen sie sich bitte. Ja, also Florian hatte noch innere Blutungen und einen Milzriss. Er wurde gestern Abend noch notoperiert.“ Tommy wurde auf einmal schlecht, aber das lag bestimmt nicht am Kaffee. Sie sah wohl, dass es Tommy zu schaffen machte und fügte hinzu, dass Florian aber wenigstens schon mal außer Lebensgefahr sei. Tommy nahm einen großen Schluck und atmete auf. „Hast du dich verguckt, Tommy?“, kam es von Achim, „du machst dir ja mehr Sorgen als seine Mutter!“ Frau Bachmeier sah Achim ungläubig an. Sie war ja noch der Meinung, es wisse keiner der Kollegen bescheid. Tommy erklärte ihr, dass der Kollege Kleinschmied es wohl doch schon länger gewusst hätte, worauf sich ein Grinsen über die Gesichter der Anwesenden zog. „Darf man ihn besuchen?“ „Heute noch nicht, er liegt noch auf der Intensivstation.“ Sie drehte sich von den beiden weg, wohl um ihre Tränen zu verbergen. „Haben die Ärzte noch was gesagt?“, wollte Tommy trotzdem wissen. „Eine Rippe ist auch noch gebrochen. Sonst nur das, was sie mir schon erzählt haben gestern. Ich soll ihnen übrigens auch einen schönen Gruß ausrichten und danke sagen.“ „Danke? Wofür?“ „Sie haben ihn wohl im Arm gehalten und nicht einfach auf der nassen Straße liegen lassen.“ „Ist doch wohl logisch, oder?“ „Wenn man ein guter Mensch ist schon, Herr Wagner.“ Achim kam sich vor, wie beim Tennis und schaute immer nur zwischen den beiden hin und her. Er wollte schon fragen, ob er stören würde und lieber ’ne Runde spazieren gehen sollte, als das Funkgerät krächzte. „Wagen 1/4 – da hätten wir einen Ladendieb im Wal Mart – wird festgehalten“ „Verstanden“, gab Achim kurz zur Betätigung durch und sah Frau Bachmeier an. „Wir müssen leider. Schönen Tag und danke nochmal für den Kaffee!“ Tommy stellte seine Tasse ab und folgte Achim. „Ja danke und schönen Gruß nochmal!“ „Gern geschehen! Wiedersehen die Herren.“
Den restlichen Vormittag konnte man Tommy vergessen. Er war ständig in Gedanken versunken und Achim fuhr nach diesem Einsatz auf die Dienststelle, da sie sowieso noch viel Schreibkram zu erledigen hatten. Um 13 Uhr war die Schicht vorbei und sie hatten bis 20 Uhr frei. Tommy fuhr nach Hause, obwohl er schon fast zum Krankenhaus fahren wollte. Aber wenn die Mutter schon sagte, dass man ihn heute noch nicht besuchen durfte… Die Nachtschicht zog sich wie Kaugummi aber wenigstens hatte es endlich aufgehört zu regnen. Dafür war es jetzt eisig kalt geworden. Am Morgen war Tommy total erledigt und wollte nur noch ins Bett. Als er aufwachte, war es schon 14 Uhr – durchaus eine normale Uhrzeit nach der Nachtschicht. Jetzt hatte er gar keine Ahnung, auf welchem Zimmer Florian lag. Egal, er würde es schon irgendwie heraus finden. Er musste einfach wissen, wie es ihm ging! Er machte sich noch etwas zu essen und fuhr ins Schwabinger Krankenhaus. Er dachte sich, dass sie ihm dort als Fremden keine Auskunft geben würden und so zeigte er seinen Dienstausweis vor und meinte, dass er noch ein paar Angaben zum Unfallhergang bräuchte. Die Schwester sah ihn zwar etwas seltsam an, aber er bekam die Auskunft, dass Florian im 2. Stockwerk auf Zimmer 206 lag. Tommy überlegte nochmal, ob er das wirklich tun sollte, entschloss sich dann aber, hinauf zu gehen. Er klopfte an die Tür vom Zimmer 206.
„Herein“, klang es dumpf und leise durch die Tür. Tommy ging hinein. Ein 3-Bett-Zimmer und nur eines war belegt – von Florian. „Hallo, ich war vorgestern bei dem Unfall dabei und wollte nur wissen, wie’s dir so geht.“ „Sind sie der Herr Wagner – der Bu…. ähm Polizist?“ Die Stimme klang zwar schwach aber irgendwie süß. Tommy ging näher hin und grinste. „Ja genau, der Bulle bin ich und ich heiße Tommy.“ Man sah zwar, dass es Florian wohl sehr weh tun musste, aber er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Aber die Schmerzen waren dann wohl doch stärker und er verzog das Gesicht und kniff die Augen zusammen. „Sorry, wenn ich das gewusst hätte… Ich werd keine Scherze mehr machen, ja?“ „Schon OK“, kam es gequält von Florian. „Und wie geht’s dir? Nich so besonders, vermute ich mal, oder?“ „Naja, hab mich schon besser gefühlt. Seit wann machen Bullen eigentlich Krankenhausbesuche?“ „Ich bin ja mehr privat hier“, rechtfertigte sich Tommy. Florian hing an unzähligen Schläuchen, war leichenblass und die Schrammen im Gesicht waren jetzt erst so richtig zu sehen. Jedenfalls konnte er einem schon leid tun. Florian sah, dass Tommys Blicke über die ganzen Infusionen, Zugänge, Drainagen und das andere Equipment wanderten und er sich zu fragen schien, wozu das alles gut war. „Ach so schlimm isses nich! Hier ist Tequila drin und die braune Flasche da iss in Alk gelöstes Nikotin!“ Er grinste Tommy dabei breit an. Auch wenn er sich so schlecht fühlte – Humor hatter er wohl und sein Lächeln war einfach bezaubernd. „Tauschen mag ich aber trotzdem nicht mit dir – ich geh‘ lieber in meinen Irish Pub und rauch ’ne echte Kippe zu meinem Guinnes“, meinte Tommy. „Nimm mich mit, bitte!“ „Ich würd dich schon mitnehmen, aber werd du erst mal gesund! Was hast du denn jetzt eigentlich alles?“ Tommy wusste das zwar, aber er wollte einfach Florians Stimme so lange wie möglich hören. „Naja… nen gebrochenen Oberschenkel, Prellungen an der ganzen linken Seite und eine leichte Gehirnerschütterung. Dann hab ich noch ’nen Milzriss und ’ne gebrochene Rippe zu bieten. Das wird wohl noch was dauern, bis ich wieder fit bin.“ Florian schaute dabei recht traurig drein. Aber er musste sich damit abfinden. „Mei, du Armer! Und weißt du schon, wie lange du hier drin bleiben musst?“ „Bis Ende nächster Woche – zur Beobachtung und so, sagen die.“ „Hoffentlich bekommst du nicht auch noch ’ne Erkältung dazu – so wie das vorgestern gepisst hat! Stell dir mal vor, du müsstest mit der Rippe da husten oder niesen.“ „Na toll! Aber du hast mich ja im Arm gehalten, da kann mir eigentlich nix passiert sein!“ „Ach das hast du doch mitbekommen, ja?“ „Ja klar! Das weiß ich noch ganz genau… Wie du mich beruhigen wolltest und so weiter…“, meinte er grinsend. „Und so weiter…?“, hakte Tommy nach. „Na du hast mir ja auch über die Backe gestreichelt – ja das hab ich auch mitbekommen!“ „Naja, das solltest du ja auch mitbekommen – sonst hätte ich’s ja gleich lassen können. Außerdem könnte ich mir auch schönere Gelegenheiten vorstellen, dich in den Arm zu nehmen, als verletzt bei ’nem Unfall!“ „Echt? Ich freu mich jedenfalls voll, dass du mich besuchen kommst! Stimmt wohl auch, was mir meine Mutter über dich gesagt hat, oder?“ „Ja, was hat sie denn gesagt?“ Florian schaute etwas mutlos und hoffte, dass Tommy schon drauf kommen würde, was er meint. Tommy wusste natürlich schon genau, was er gemeint hatte. „Dass ich auch schwul bin? Meinst du das?“ Florian schaute ihn nur an und lächelte irgendwie zufrieden als hätte er gerade eine Spritze Morphium bekommen. „Kommst du mich nochmal besuchen oder wolltest du nur heute wissen, wie’s mir geht?“ „Ich hab die Nacht nach dem Unfall ziemlich mies geträumt und immer wieder dein Gesicht gesehen. Ich musste dich einfach sehen und wissen, ob’s dir gut geht. Soll ich dich denn nochmal besuchen?“ „Na klar! Wenn du willst? Meine Mutter hat gesagt, dass nur dein einer Kollege bescheid weiß. Ich hoffe, dass du keine Probleme bekommst, wenn du mich besuchst!“ „Also da sehe ich eigentlich keine Probleme. Selbst wenn es Kollegen mitbekommen… Ich werde ja wohl noch jemanden im Krankenhaus besuchen können, oder?“ „Also kommst du morgen wieder, ja?“ „Klar, mach ich“, meinte Tommy und im selben Moment klopfte es an die Tür und ohne großartig zu warten, kam eine Krankenschwester herein. „Sie müssen jetzt bitte kurz raus, er muss seine Thrombosespritze bekommen.“ „Wegen mir darf er ruhig hier bleiben“, fuhr Florian die Schwester ziemlich schroff an. Die Schwester wusste nicht so recht, ob das nun lustig oder ernst gemeint war – man sah regelrecht die Zahnrädchen in ihrem Kopf rotieren und Tommy konnte sich ein Schmunzeln einfach nicht verkneifen. Daraufhin grinste sie natürlich auch aber Florian versuchte krampfhaft, ernst zu bleiben. Die Schwester setzte ein genervt-gelangweiltes Gesicht auf, schob die Decke beiseite und zog sein T-shirt etwas nach oben, damit der Bauch für die Spritze frei war. Auf der einen Seite war sein Körper ganz gelb, grün und rot von den Prellungen. Ab dem Bauchnabel aufwärts hatte er einen Verband – vermutlich wegen der gebrochenen Rippe oder der Operation an der Milz. Die Schwester setzte die Spritze, zog ihm das T-shirt wieder zurecht und deckte ihn auch wieder zu. „Bitte nicht mehr so lange. Er braucht Ruhe“, meinte sie zu Tommy beim Hinausgehen. „Ist gut“, sagten Florian und Tommy wie aus einem Munde. Sie schauten sich an und grinsten beide. „Für’n Bullen bist du ja richtig nett…“, fing Florian gerade an, als es abermals Klopfte. Er zog die Augenbrauen nach oben. „Herein“, kam es genervt von ihm. Die Tür ging auf und seine Mutter kam herein. „Hallo“, sagte sie und stutzte, als sie Tommy sah. Ein seltsames Lächeln überzog ihr Gesicht. „Hallo, Herr Wagner. Was machen sie denn hier?“ Noch bevor Tommy überlegen konnte, was er denn nun am besten sagen würde, kam ihm Florian zuvor. „Er wollte sehen, wie’s mir geht! Ist doch nett, oder?“ „Natürlich rein dienstlich, versteht sich“, fügte sie hinzu und lächelte Tommy an; so wie man jemanden anlächelt, wenn man genau merkt, dass er lügt. Tommy kam sich im Moment vor, wie ein offenes Buch. Am Liebsten wäre ihm jetzt so ein großer Panik-Buzzer aus einer Spielshow gewesen: Boden auf – Tommy rein – Boden zu. Sie ging auf Tommy zu und klopfte ihm leicht auf die Schulter. „Ist aber wirklich lieb, dass sie ihn besuchen kommen!“ „Naja, ist eigentlich gar nicht dienstlich! Wollte einfach wissen, wie’s ihm so geht!“ „Ich weiß doch… Haben sie denn heute frei?“ „Ja, ich hatte gestern Früh- und Nachtschicht und muss erst übermorgen Mittag wieder anfangen.“ „Ja und er kommt mich morgen auch wieder besuchen!“ Florian strahlte kurz, bevor sein Gesicht wieder von Schmerzen verzerrt wurde. Seine Mutter drehte sich zu Tommy um. „Sagt mal ihr beiden… Weiß ich da irgendwas noch nicht?“ Tommy war sich da jetzt auch nicht so ganz sicher, sah zu Florian und wartete, dass er was dazu sagen würde. Florian wusste auch nicht so genau, was er nun sagen sollte. Ihm blieb aber nur eine Möglichkeit. „Nee – hast nix verpasst! Er will mich einfach nur besuchen, Mama!“ Dabei schaute er zu Tommy rüber und man konnte an seinem Blick sehen, dass er gerne etwas anderes gesagt hätte. Nach einem Besuch schon so weit zu gehen, war nun wirklich nicht Tommys Art. Denn auch, wenn er als Polizist bestimmt nicht auf den Mund gefallen war und auch in seinem Freundeskreis immer einen blöden Spruch für jede Gelegenheit parat hatte, war er doch in diesen Dingen eher der Scheue und Zurückhaltende. „Was nicht ist, kann ja noch werden“, sagte Frau Bachmeier auf einmal und erntete dafür von Florian einen Blick, dass sie eigentlich auf der Stelle hätte tot umfallen müssen. „Mama!!!“ Tommy wurde es nun doch etwas zu peinlich und da er ja sowieso morgen wieder herkommen würde, wollte er sich zurück ziehen. „Ich geh‘ dann mal wieder und wir sehen uns ja morgen! Tschüß Frau Bachmeier!“ „Ich freu mich schon drauf, Tommy!“ „Servus und schöne freie Tage noch Herr Wagner“, sagte Frau Bachmeier. Wie gerne hätte er Florian noch einen Kuss gegeben, aber das traute er sich natür
lich nicht, ging also wortlos zur Tür und war weg.
„Mensch Mama, was sollte das denn eben?“, fegte Florian sofort seine Mutter an. „Wieso? Was denn? Ich dachte, ihr mögt euch halt! Ist es da so abwegig, dass…?“ „Also mich würde es nicht wundern, wenn er mich jetzt morgen nicht besuchen kommt. Und nur, weil du deine Kommentare nicht für dich behalten kannst!“ Florian sah richtig sauer und zugleich zutiefst unglücklich aus und seine Mutter staunte, weil sie ihren Sohn noch nie so gesehen hatte. „Sag mal, Flori… Hast du dich vielleicht ein bischen in den Herrn Wagner verguckt? Kann das sein? Wie?“, stichelte sie. „Ich weiß nicht. Er ist irgendwie anders. Nicht so tuckig, keiner der nur faul rumhängt, nett ist er auch… und er sieht doch nicht schlecht aus, oder?“ „Ja also ich fand ihn vorgestern Abend schon sympathisch, als er mit seinem Kollegen bei mir war. Das ist bestimmt nicht so einer wie der Patrick. Der war ja wohl das Letzte!“ „Nee, so isser bestimmt nicht! Sag ma, wie alt schätzt du ihn? So Anfang 20? Oder was meinst du?“ „Ja, das kommt hin denke ich. Frag‘ ihn halt morgen.“ „Das Alter ist mir eh ziemlich egal, wenn’s nicht gerade Jahrzehnte sind. Hauptsache er ist lieb, nett, na ja – weißt schon, was ich meine.“ „Ja, versteh schon. Und bei ihm kannst du auch davon ausgehen, dass er nicht jeden Tag mit ’nem anderen was anfängt, so wie der Patrick.“ „Ja, denke ich auch.“ „Also meinen ‚Segen‘ hättet ihr mal. Nicht, dass ich ihn dir wegnehmen wollte, aber ich finde ihn auch sehr nett. So, ich muss dann mal wieder. Darf ich denn morgen auch wieder vorbei kommen?“ „Untersteh‘ dich!“ Florian scherzte und als er sah, wie seiner Mutter das Gesicht auf den Boden fiel, merkte er, dass dieser Witz wohl nicht angekommen war. „Klar Mama, natürlich!“ „Na gut, dann morgen und werd schnell wieder gesund!“
Tommy war zu Hause und dachte schon wieder nur an Florian. Er ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Am liebsten wäre er gleich nochmal zu ihm gefahren, aber er wollte ja auch nicht zu aufdringlich sein. Er konnte ja nicht wissen, dass Florian auch ein Auge auf ihn geworfen hatte. Und Florian ahnte nicht, dass Tommy sich nichts mehr wünschte, als ihn einfach in den Arm zu nehmen. So schmachteten sie also beide vor sich hin und sehnten den nächsten Mittag herbei. Tommy konnte nicht viel besser schlafen, als Florian. Nur, dass es bei ihm nicht die Schmerzen waren, die ihn wach hielten. Am nächsten Vormittag brachten beide die Zeit nur langsam und mühseelig herum, bis Tommy es nicht mehr aushielt und sich ins Auto setzte.
Beim Besuch bei der Mutter hatte Tommy in Florians Zimmer eine Schachtel rote Gauloises liegen sehen – also rauchte Florian wohl auch. Tommy hielt an einem Kiosk an und kaufte eine Schachtel sowie ein Feuerzeug. Auf dem Feuerzeug stand (wie könnte es anders sein?) ‚Ich hab‘ dich lieb!‘ Im Krankenhaus konnte er es gar nicht erwarten, nach oben zu kommen. Da war es! Zimmer 206 – hinter dieser Tür lag er, sein Schatzi. Ach so, sie waren ja gar nicht zusammen. Diese Feststellung sorgte bei Tommy jetzt doch für ziemliche Ernüchterung und er stand wie gelähmt da, in Gedanken versunken. Da ging die Tür auf und Florian stand mit Krücken und in Jogginghosen und T-shirt da. „Hey, du bist ja schon da! Cool! Komm rein!“ „Hallo Kleiner! Und du darfst wohl schon wieder aufstehen, was? Wo wolltest denn schon wieder hin?“ „Na ja, der Arzt war vorhin da und hat mir erlaubt, wieder zu rauchen, solange ich es nicht übertreibe. Und weil ich hier keine Kippen hab‘, wollte ich gerade zum Kiosk unten in der Halle.“ Na das passte ja… Tommy streckte ihm die Schachtel Kippen mit dem Feuerzeug entgegen. „Den Weg kannst du dir sparen.“ „Woher wusstest du? Uiii, da steht ja was drauf auf dem Feuerzeug! Ähm… stimmt das da?“ „Na klar stimmt das!“ Ohne groß zu überlegen, umarmte Florian ihn kurz und gab ihm einen Kuss auf die Backe. „Danke schööön! Ich hab‘ dich auch lieb! Du bist echt süß, weißt du das, Tommy?“ „Selber süß“, meinte Tommy und nahm Florian in den Arm. „Au.. au.. au.. au..“, kam es von Florian. Sofort ließ Tommy ihn wieder los. Die ganzen Blessuren taten beim Umarmen wohl doch ziemlich weh. „Passt schon, besser als gestern, aber tut immer noch weh. Vor allem die Prellungen tun sau weh – noch mehr wie gestern sogar“, meinte Florian, noch bevor Tommy etwas sagen oder fragen konnte. Jetzt fasste Tommy seinen ganzen Mut zusammen. „Du Florian? Hast du eigentlich keinen Freund?“ „Nicht mehr und du?“ „Auch nicht, leider!“ „Aber ich hab fast ’nen Neuen, glaub ich“, fügte Florian noch hinzu. „Ach so? Na ja, dann komm… geh’n wir mal eine rauchen!“ Tommy war sichtlich enttäuscht. Hatte er das richtig verstanden? Florian hatte schon was Neues in Aussicht? Florian merkte, dass Tommy in die falsche Richtung dachte und half etwas nach. „Aber mein zukünftiger Freund mag mich wohl nicht haben, oder was meinst du?“ „Was fragst du mich das? Musst ihn schon selber fragen“, brummelte Tommy etwas zickig. „Das hab ich doch gerade… hoff ich zumindest mal!“ Jetzt hatte Tommy es richtig verstanden. Der Florian war ja ein lustiger kleiner Geselle, ihn so aufs Glatteis zu führen! Er drehte sich um, sah in Florians dunkle Augen und konnte einfach nichts mehr sagen. Noch nicht mal eine seiner berühmten Retourkutschen brachte er über die Lippen. Er wollte einfach nur diesen lieben Menschen da in den Arm nehmen und nie mehr los lassen. Tommy nahm ihn auch ganz sanft in den Arm, um ihm nicht weh zu tun. „Ich halt’s ohne dich einfach nicht mehr aus, Kleiner!“ Tränen kullerten über Tommys Wangen. Auch Florian kullerten jetzt dicke Tränen die Wangen runter. „Ich doch ohne dich auch nicht, Großer!“
Der denkbar unglücklichste Augenblick dafür… Es klopfte und schon stand die Krankenschwester im Zimmer. Sie sah die beiden sich mehr oder weniger heulend in dem Armen liegend und jetzt war ihr alles klar. Sie traute sich fast nicht, etwas zu sagen. „Tschuldigung, ich komm‘ in fünf Minuten nochmal mit der Spritze.“ Beim rückwärts aus dem Zimmer Gehen hätte es sie dann fast noch hin gehauen. Florian und Tommy mussten lachen. Als die Tür wieder zu war, nahm Florian Tommys Kopf in die Hände und gab ihm einen zaghaften Kuss auf den Mund. Ja, das hatten sie sich beide so sehr gewünscht, obwohl sie sich doch erst einige Stunden kannten. Konnte dieser Moment nicht ewig dauern? Sie genossen den Augenblick, da klopfte es bereits wieder. Das waren doch niemals fünf Mnuten gewesen! Doch es war nicht die erwartete Krankenschwester, sondern Florians Mutter, die herein kam und ziemlich verdutzt schaute. „Also doch!“ Florian und Tommy grinsten sie nur an. Was hätten sie denn auch noch groß sagen können? „Na das freut mich aber jetzt für euch! Darf ich trotzdem bleiben?“, scherzte sie. „Nö…“, meinte Florian trocken, „…weil ich jetzt unbedingt ’ne Kippe brauch!“ „War ich so gut, Schatz?“, fragte Tommy und versuchte dabei möglichst ernst zu bleiben. Aber alle mussten laut los lachen. Florian humpelte mit seinen Krücken zur Tür und da klopfte es schon wieder. Die Krankenschwester kam herein. OK, jetzt waren die fünf Minuten auch um. „So, jetzt müssen wir aber, auch wenn’s ungelegen kommt“, meinte sie etwas verlegen. Florian legte sich aufs Bett und zog sein T-shirt hoch, damit sie schneller fertig war. Die Schwester jagte ihm die Spritze ziemlich hastig rein und schien dieses mal einen Nerv getroffen oder zumindest nur knapp verfehlt zu haben. Außerdem brennen diese Thrombosespritzen ja sowieso wie die Hölle. Florian kniff die Lippen zusammen. Die Krankenschwester ließ ihn heute einfach so liegen und ging wieder aus dem Zimmer. Florian lag immer noch da und man konnte sehen, dass es wohl wirklich weh getan hatte heute, denn ihm kullerte eine Träne über die rechte Wange. Tommy ging zu ihm, legte seine Hand auf die Stelle, wo die Krankenschwester die Spritze gegeben hatte und gab ihm einen Kuss auf das rechte Auge, aus dem die Träne gekommen war. „Geht’s wieder Schatz?“ „Du bist echt süß! Ich hab dich so lieb!“ „Ihr seid ein schönes Paar!“, meinte die Mutter neidisch. Florian richtete sich auf, stand auf und hinkte mit seinen Krücken in Richtung der Tür. „So, wenn ich jetzt nicht meine Kippe krieg, werd‘ ich sauer!“ Seine Mutter hielt ihren Arm vor ihn hin, so dass er stehen bleiben musste und sie verwundert anstarrte. War sie sich darüber im Klaren, dass das Krieg bedeutete?! Doch bevor er die nötige Luft zum Schimpfen geholt hatte, zog sie eine Schachtel rote Gauloises aus ihrer Manteltasche und streckte sie ihm hin. „Hab‘ ich dir mitgebracht. Darfst du schon wieder rauchen?“ „Ja, danke Mama, der Arzt hat’s mir vorhin wieder erlaubt, wenn ich nicht mehr als fünf am Tag rauche.“ „Na dann… Was stehst du denn noch hier rum, Flori?“
Nach einem flüchtigen Danke-Bussi trabten alle aus dem Zimmer. Dieses mal kam nichts mehr dazwischen und sie gingen Richtung Cafeteria. Auf dem Flur kamen ihnen viele Leute entgegen, teilweise auch Kranke mit einem sogenannten Galgen neben sich her rollend, an dem Infusionen hingen. Florian brauchte ja zum Glück keine mehr und die Krücken behinderten ihn gerade genug. Wenn Leute in der Nähe waren, sagte er absichtlich laut, dass sein blöder Katheter schon wieder voll sei und amüsierte sich über die entrüsteten Reaktion der Leute. Ein richtiger Scherzkeks war er. Kein wunder – so glücklich, wie er im Moment war! Trotz seiner Verletzungen. Dann setzten sie sich in die Cafeteria.
„Also, zuerst mal… ich bin dann jetzt die Heidi“, meinte Frau Bachmeier zu Tommy. „Und ich bin der Tommy“, erwiderte er. Sie erzählte Tommy, dass sie am Münchner Flughafen ‚am Gate‘ arbeiten würde und auch Schichtdienst hätte. Allerdings gab es bei ihr keine Nachtschichten, sondern nur eine frühe, eine mittlere und eine späte Schicht. Florian erzählte, dass er nach der 10. Klasse IT-Elektroniker oder etwas in der Richtung machen will. Tommy hatte sich auch schon überlegt, ob er nicht in die Computerbranche wechseln sollte, weil ihm das noch mehr Spaß als die Polizeiarbeit machte. So unterhielten sie sich, bis es draußen schon längst dunkel war. Sie gingen zurück aufs Zimmer und Heidi verabschiedete sich von Tommy und Florian.
„Du weißt schon, dass ich dich morgen nicht besuchen kann, weil ich Dienst habe?“ „Ja, hab’s mitbekommen – Schade! Ich weiß nicht, ob ich das aushalte Schatz – echt jetzt! Ich glaub, ich hab mich voll in dich verknallt!“ Florian wurde ziemlich rot, aber irgend etwas in ihm zwang ihn einfach, es Tommy zu sagen. „Mir geht’s auch nicht anders, Schatz. Ich werde sehen, dass ich nach dem Dienst noch vorbei komme – also so um halb neun etwa.“ „So spät erst? Bis dahin bin ich ja schon zweimal gestorben vor Sehnsucht nach dir!“ Tommy nahm Florian in den Arm und ein langer Abschiedskuss folgte. Dann fuhr Tommy nach Hause. Es wurde eine unruhige Nacht, weil Tommy gerne seinen Schatz im Arm gehabt hätte beim Einschlafen. Zur selben Zeit im Zimmer 206 des Schwabinger Krankenhauses… Hier spielte sich so ziemlich dasselbe ab. Florian konnte einfach nicht richtig einschlafen, sehnte sich nach einer Umarmung von seinem neuen Schatz. Aber irgendwann schliefen sie dann doch ein, jeweils in Gedanken beim anderen im Arm liegend…
Ach ja… noch ein rechtlicher Hinweis:
In dieser Geschichte verhalten sich Personen zum Teil nicht gesetzeskonform.
Dieser Umstand ist für die Darstellung der Geschichte erforderlich und dient einzig und alleine NUR diesem Zweck!