Adventskalender – Spieglein, Spieglein an der Wand – Teil 24

„Finn, was ist? Du bist ja ganz bleich im Gesicht!“, fragte David besorgt.

Ich spürte das Nass auf meinem Gesicht und schaute in die fragenden Augen von David und Phillip.

„Kathlen… hat geschrieben… Thomas ist tot.“

„Was?“, rief David so laut, dass sogar ich zusammen zuckte.

„Wer ist Thomas?“, flüsterte Phillip David zu.

„… mein… mein Bruder!“, antwortete ich, bevor David antworten konnte.

„Scheiße!“, meinte Phillip, hielt sich aber dann die Hand vor den Mund.

David sprang aus dem Bett, umrundete es und kniete neben mir nieder. Er griff nach meiner Hand.

„Was ist passiert?“, fragte er ganz sanft und leise.

Ich schaute zur Decke, klimperte wie aufgeregt mit meinen Augen, um weitere Tränen zu verhindern.

„Meine Mutter… hat Kathlen geschrieben…, er…“

Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

„Man hat ihn wohl erhängt in seiner Zelle gefunden…“

„In einer Zelle…?“, fragte nun Phillip, der natürlich über nichts Bescheid wissen konnte.

„Das tut mir leid, Finn“, meinte David neben mir,

„Muss es nicht…, du weißt ja… was passiert ist.…“

„Aber er ist dein Bruder…“, warf Phillip ein.

„Phillip, könntest du einfach mal deine Klappe halten?“, fuhr David Phillip an, du weißt doch gar nicht, um was es geht!“

Die Tür ging auf und Paul und Glenda kamen herein gestürmt.

„Wir haben David schreien hören…“

Ich schaute wieder zu Phillip, der aber abwehrend seine Hände in die Höhe hob, als wäre er wie immer an etwas schuld. Jetzt flossen die Tränen richtig.

„Würdest du ihn Bruder nennen, wenn er dich krankenhausreif hat schlagen lassen, das Haus deiner Großmutter in Brand gesteckt hätte und in Kauf genommen hat, dass du darin umkommst? Würdest du so etwas Bruder nennen?“, fuhr nun ich Phillip an.

David erhob sich und drückte mich an sich.

„Ich wusste nicht…“, kam es von Phillip, aber das ging in meinem Schluchzen unter.

Warum es mich so sehr schmerzte, konnte ich nicht sagen. Es schüttelte mich leicht und ich vergrub mein Gesicht in David, der mich immer noch fest hielt.

„Thomas, Davids Bruder hat sich wohl im Gefängnis das Leben genommen“, erklärte David.

„Oh Gott…“, hörte man Glenda sagen.

„Phillip, der Hass seines Bruders auf Finn war so groß, dass er vor ein paar Tagen, das Haus von David angezündet hat, obwohl sich Finn, ich und noch jemand im Gebäude befanden.“

„Er wollte Finn …umbringen und dich auch…?“, fragte Phillip fassungslos.

„Ja…“

„Ist der total durchgeknallt?“

„Phillip bitte!“, hörte ich Paul sagen.

„Warum denn, stimmt doch… aber warum hasste er Finn so?“

„Geld!“, sagte David, drauf sagte Phillip nichts.

*-*-*

Gedankenverloren saß ich am Frühstückstisch und rührte in meiner Tasse. Keiner von uns konnte nun mehr schlafen und so hatten sich alle im Esszimmer eingefunden und Glenda ein kleines Frühstück gerichtet.

Auch die anderen redeten nichts, schien wohl jeder wie ich im Gedanken versunken zu sein. Nur Glendas Hand lag auf meiner.

„Wollt ihr nicht lieber frei machen?“, hörte ich Pauk fragen.

Ich hob meinen Kopf.

„Wieso denn…?“, fragte ich, „was soll ich denn tun? Wenn ich mich dort blicken lasse, geht der Rest der Familie auf mich los! Darauf kann ich herzhaft verzichten!“

Ich wusste, dass meine Tonlage total bissig geklungen hatte, aber das konnte ich jetzt auch nicht mehr ändern. Der Druck von Glendas Hand verstärkte sich.

„Aber du würdest gerne hingehen?“, fragte sie leise.

Ich schaute wieder nach oben, weil sich bereits neue Tränen in meinen Augen sammelten.

„Thomas war nicht immer so…“, versuchte ich zu erklären, aber blieb mitten im Satz hängen.

Die schönen Erinnerungen mit Thomas waren all die Zeit nicht verblichen. Deshalb schmerzte mich sein Handeln auch so, weil ich es nicht verstand. Eine Erklärung? Alleine das Geld? Das konnte ich irgendwie nicht glauben. War es wirklich Neid, wie Granny behauptet hatte?

An Granny hatte ich eine Weile nicht mehr gedacht. Auch wenn ich über die ganze Situation traurig gestimmt war, war doch noch etwas Hoffnung da, sie vielleicht doch wieder sehen zu können. Die ganze Wahrheit würde ich wohl nie erfahren. Dafür war es jetzt zu spät.

„Finn, wenn wir dir irgendwie helfen können…“, sagte Paul.

Ich versuchte mich zusammen zu reißen.

„Ihr beide helft mir schon genug!“, sagte ich, nahm die Serviette und trocknete damit meine Tränen.

„Du musst das aber jetzt nicht alleine durchstehen!“

Das kam von David. Ich griff nach seiner Hand und drückte sie.

„Danke!“, meinte ich leise und versuchte etwas zu lächeln.

„Hast du Angst, deine Eltern, werden dir die Schuld an Thomas Tod geben?“, fragte David.

Ich nickte, konnte darauf einfach nicht antworten.

„Ich habe euch das nicht erzählt, weil ich niemand beunruhigen wollte, aber bei der Untersuchung der Geldunterschlagung, ist auch herausgekommen, dass Thomas wohl auch gemeinsame Sache mit unserem Kollegen Humphrey Cook gemacht hat. Sein Bruder wollte ihn auf allen Ebenen schaden und ich vermute, weil er daran gescheitert ist, hat er sich wohl umgebracht.“

Das war jetzt auch egal, mich wunderte jetzt gerade gar nichts mehr.

„Ich werde mit deiner Mutter reden!“, sagte Glenda plötzlich neben mir, „von Mutter zu Mutter…, so kann es nicht weiter gehen!“

„Aber Mutter…?“, kam es von Phillip überrascht.

„Deine Mutter hat Recht, Phillip. Du weißt nicht Bescheid, was bereits alles passiert ist!“, sagte Paul.

„… das…, das kann ich… nicht von dir… verlangen!“, stammelte ich.

Ich spürte Davids Arm, wie er ihn um mich legte.

„Du gehörst jetzt zu dieser Familie und diese Familie kümmert sich um dich!“

„Familie…?“, kam es in einem sehr komischen Tonfall von Phillip.

„Kannst du einmal in deinem Leben ernst sein, Phillip? Einfach mein großer Bruder sein?“

„Bruder?“

„Ja, ich habe mich entschlossen, der Adoption zu zustimmen…, ich weiß, der Augenblick ist gerade unpassend, aber ich will eine richtige Familie, eine Familie, die auch für Finn da ist!“

Er war den Schritt gegangen, über den er gestern Abend noch uneins war. Nun war ich nicht mehr alleine, der feuchte Augen hatte und irgendwie, waren meine Belange, gerade etwas in den Hintergrund gerückt.

Ich wusste nicht warum, ich war David deswegen nicht böse, denn es fühlte sich so gut an, das es hier jemand gab, der sich so für mich einsetzte. Phillip klopfte seinem Bruder auf die Schultern.

„Wurde auch endlich Zeit!“, meinte er mit einem breiten Grinsen, „und als dein großer Bruder hast du meine volle Unterstützung!“

„Danke, schau aber du erst mal, dass du deine eigenen Probleme geregelt bekommst! Du solltest mal mit deinem Georg ein richtiges Gespräch führen und ihm vielleicht eine Entziehungskur vorschlagen!“

Paul und Glenda schauten beide zu Phillip.

„Ja kleiner Bruder…, versprochen kleiner Bruder.“

Dies leichte Gezetere brachte mich zum Lächeln.

*-*-*

„Was ist denn dir über die Leber gelaufen?“, begrüßte mich Blair auf dem Weg zum Büro.

„Thomas ist tot!“, sagte David leise, der direkt hinter mir war.

„Was?“

„Er hat sich in seiner Zelle erhängt…“, erklärte David weiter, weil ich irgendwie zu keinem Wort mächtig war.

Blair blieb stehen und ihre Augen wurden klein.

„Es tut mir leid, wenn ich für diesen Typen kein Mitgefühl übrig habe, aber ich finde es fies von ihm, sich der Verantwortung zu entziehen!“

„Blair bitte…“, meinte David.

Ich legte meine Hand auf Davids Arm.

„Entschuldige, aber das musste gesagt werden. Warum seid ihr dann überhaupt hier? Jeder würde verstehen, wenn Finn nicht erschienen wäre. Weiß Angus Bescheid?“

„Warum Angus?“, fragte David.

„Thomas ist auch sein Bruder und ich denke, er sollte das wissen.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Wie, du willst es Angus nicht sagen?“

Ich atmete tief durch.

„Nein, ich möchte generell über dieses Thema gerade nicht sprechen, Blair. Sei mir nicht böse…, ich habe so viel im Kopf…, ich muss erst irgendwie herunter kommen…!“

„Und was hilft da besser als Arbeit?“, meinte David lächelnd.

*-*-*

Natürlich hatten die anderen im Büro mitbekommen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, aber niemand fragte danach. Irgendwann sah ich aus dem Augenwinkel heraus, dass Anne an mir vorbei lief und hinüber zu Blair ging.

Sie zeigte auf den Monitor und sagte etwas zu meiner besten Freundin, was ich aber nicht richtig verstand. Einen Augenblick später sah mich Blair mit großen Augen an.

„Was ist?“, fragte David, der das Ganze wohl ebenso wahrgenommen hatte.

„Da hat wohl einer nicht dicht gehalten… Da steht ein Bericht über Thomas in den News, der sich im Gefängnis das Leben genommen haben soll. Es herrscht helle Aufregung, wie das möglich gewesen ist…“

Entsetzt sah ich erst zu Blair dann zu David.

„Steht das mit Namen drin?“, wollte David wissen.

„Ja, voller Name…“, antwortete Blair.

„Was hat die geritten, volle Namen zu veröffentlichen?“

„Ihr kennt diesen Thomas…, ist… er mit Finn verwandt?“, fragte nun Anne, die immer noch hinter stand.

„Er ist…, war mein älterer Bruder“, erklärte ich resigniert, denn jetzt wusste es sicher bald das ganze Haus.

„Das tut mir leid…“, meinte Anne und begab sich wieder zu ihrem Platz.

„Danke!“, meinte ich beim vorbei laufen und sie nickte.

„Spinnen die?“, hörte ich David sagen.

Fragend schaute ich zu ihm.

„Heute morgen wurde Thomas Lennox, Enkel des verstorbenen Großindustriellen Lennox erhängt in seiner Zelle gefunden…“, lass David vor.

„Wie kommt die Presse an den Namen?“, fragte Blair.

„Das ist jetzt auch egal. Die Familie ist bekannt in Edinburgh, das ist klar ein Aufmacher und wenn die noch etwas weiter stochern…, ich mag gar nicht darüber nachdenken. Hört denn das nie auf?“

Ich versuchte mich zusammen zu reisen, wollte ich doch als neuer Abteilungsleiter nicht gleich als Heulsuse dastehen. Aber warum machte ich mir darüber Gedanken, hatte ich jetzt doch ganz andere Probleme.

„Steht drin, was er gemacht hat?“, fragte ich.

„Nur, dass er wegen dreifachen versuchten Mordes in Haft genommen worden ist, es steht sonst nichts weiter drin…“

Ich atmete tief durch.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Blair.

„Was sollen wir schon machen?“, antwortete ich, „weiter arbeiten, wir müssen die Präsentation fertig kriegen.“

„Finn jeder würde verstehen, wenn wir die Präsentation verschieben würden…“

„Will ich aber nicht…, es kommt mir so vor, als hätte Thomas dann doch gewonnen.“

„Was hat Thomas mit deiner Arbeit hier zu tun?“

Mein Blick wanderte zu David.

„Thomas hat gemeinsame Sache mit Humphrey gemacht“, erklärte David deutlich leiser.

Geschockt sah Blair uns beide an. Ihr wurde wohl die Tragweite der ganze Sache bewusst und dass sie darin wohl auch eine kleine Rolle spielte. Sie war schließlich meine beste Freundin.

„Ich brauche etwas frische Luft“, meinte Blair und verließ das Büro.

Ich wollte ihr folgen, aber David hielt mich zurück.

„Lass ihr einfach Zeit, damit umzugehen zu können!“, meinte er.

*-*-*

Am Mittag saßen wir weder im Büro von Paul und diskutierten über das anstehende Projekt. Aber so richtig war keiner bei der Sache. Unser Chef ließ seinen Blick über uns gleiten.

„Ich denke, wir verschieben die Präsentation in den Januar. Es hat keinen Zweck, wenn wir jetzt halbherzig bei der Sache sind und deswegen den Vorstand nicht überzeugen können.“

„Das will ich nicht Paul!“, warf ich ein.

„Junge, habe doch ein Einsehen. Ich möchte, dass euer Vorschlag perfekt ist und davon sind wir noch weit davon entfernt. Es fehlen Daten und Zusagen, so wird das nichts!“

„Dann hat Thomas erreicht was er wollte!“, sagte ich sauer, „meine Stelle hier sabotieren, mich schlecht machen!“

Paul stand auf, packte mich am Kragen und zog mich hoch.

„Jetzt hör mal zu!“, wurde Paul laut, „jeder weiß hier, wie gut du in deinem Job bist…!“

„Paul bitte…“, hörte ich Davids Stimme, aber Paul redete einfach weiter.

Blair dagegen schwieg, schaute uns nur fassungslos an.

„… und du wirst jetzt nicht in Selbstzweifel verfallen, weil dein Stiefbruder meinte, dir dein Leben zur Hölle zu machen zu müssen! Du bist von jedem Verdacht der Geldunterschlagung enthoben worden! Du hast verdient die Stelle als neuer Abteilungsleiter bekommen! Hör auf dir einzureden, dass du Schuld an der ganzen Sache bist. Diese Schuld hat alleine dein Stiefbruder! Okay?“

Geschockt, mit großen Augen schaute ich Paul an. Er ließ mich los und zupfte meinen Kragen und die Krawatte zu recht. Er lief zurück an seinen Platz, hinter dem Schreibtisch, während ich mich mit weichen Knien wieder in den Sitz fallen ließ.

„Entschuldige, wenn ich eben etwas aufbrausend war, aber das musste mal gesagt werden.“

Er nahm sein Glas Wasser und trank es auf einen Zug aus.

„Ich will einfach nicht, dass Finn wegen der Sache vor die Hunde geht! Dann hätte nämlich dieser… Typ wirklich gewonnen! Wir verschieben die Präsentation auf Anfang Januar, Mrs. Plumpes soll das klären! Ihr drei geht jetzt zurück in eure Abteilung und schaut nach, ob vielleicht noch irgendwelcher Bedarf an Technik oder anderen Dingen besteht. Nicht das wir im neuen Jahr anfangen und die Hälfte funktioniert nicht!“

Paul hatte ein Machtwort gesprochen und ich musste zugeben, er hatte weiterhin meinen vollen Respekt, schon alleine, weil ich ihn noch nie so erlebt hatte. Paul setzte sich, zog an seiner Krawatte.

„Worauf wartet ihr noch?“, fuhr uns unser Chef an, „ich habe auch noch andere Sachen zu tun.

Im Eiltempo legten wir unsere Papiere zusammen, klappten die Laptops zu und verließen ohne etwas zu sagen das Büro.

„Sagt den anderen, dass das ihre Projekte bis zu Weihnachten auf Eis gelegt werden, dass ihr genügend Zeit zu nachdenken habt“, hallte uns noch hinter her.

Als wir an Mrs. Plumpes vorbei liefen, grinste sie uns komisch an. Als David dann schließlich hinter sich die Tür zu gezogen hatte, blieben wir voll bepackt erst mal stehen.

„Was war das denn?“, fand Blair als erste ihre Worte wieder.

„So habe ich ihn nur erlebt, wenn Phillip mal wieder etwas angestellt hat!“, erklärte David.

Ich schaute die zwei an. Paul hatte Recht, Thomas hat versucht mich mürbe zu machen und es war ihm auch fast gelungen. Aber mein Chef hatte mich auf den Boden der Realität zurück geholt.

„Er hat aber Recht!“, meinte ich nur und lief weiter.

*-*-*

Der Rest der Woche bestand darin, dass wir im Büro sämtliche eventuellen Situationen der Projektentfaltung durchsprachen und wir wurden dabei tatsächlich fündig, dass es in der Zukunft einige Schwachstellen gab.

Darunter fielen nicht nur die oft nicht vorhandene Schnelligkeit des Internets, oder die Kommunikation mit den anderen Abteilungen, auch das Zwischenmenschliche kam zur Sprache.

Bevor durch weitere Zeitungs- oder anderen Internetmitteilungen Gerüchte aufkamen, erzählte ich auch in groben Zügen, was wegen Thomas geschehen war. Dass David und ich nun ein Paar waren, behielten wir aber für uns.

Arbeit war Arbeit und Privatleben – eben Privatleben, dass würden sie schon früh genug mitbekommen. Die Kollegen hatten wegen den News schon genug von mir erfahren. Wie Paul versprochen hatte, ließ er uns hierfür ganz freie Hand.

Da die Temperaturen etwas anstiegen, war es für die von Paul engagierte Baufirma möglich, erste Maßnahmen für einen Wiederaufbau des unteren Stockwerkes meines Hauses zu treffen. Sie setzten Behelfsfenster ein, um das Haus innen wieder Trocken zu legen.

Nach der Sache in seinem Büro hatte ich erst gar nicht versucht, mich dagegen zu wehren, so ließ ich Paul einfach machen.

Das Wochenende stand an, nur noch wenige Tage bis Weihnachten und ich überlegte, was ich verschenken sollte, denn das war bei der ganzen Sache, total untergegangen. Wie jeden späten Mittag, saßen wir auch diesen Freitag, nach der Arbeit erst mal im Wohnzimmer.

Ich hatte die Krawatte etwas gelockert und trank meinen Tee, den Glenda wie immer gerichtet hatte. Sie war um mein Wohl sehr besorgt. Paul dagegen war heute nicht mit uns gefahren, dass heißt David war gefahren, weil Paul zu einem Meeting nach London musste und erst am Abend zurück erwartet wurde.

Das Feuer knisterte vor sich hin, sonst war nichts im Raum, was sonst weiter meine Aufmerksamkeit beanspruchte. David saß neben mir und war anscheinend ebenso in seinen Gedanken versunken wir ich.

„Was hältst du morgen von einem Einkaufsbummel?“, fragte er plötzlich und stellte seine Tasse ab.

„Morgen? Kein Problem! Wenn du mich etwas länger schlafen lässt, als sonst, bin ich fast für alles zu haben!“

David grinste mich an. Die Tür ging auf und Phillip kam herein.

„Hallo ihr beiden…“, meinte er nur und schob die Zimmertür wieder zu.

„Nanu, du hier?“, fragte David.

Phillip wollte darauf etwas sagen, ließ es aber dann. Er schnappte sich eine Tasse, schenkte sich Tee ein und ließ sich dann auf einen der Sessel nieder. David und ich sahen uns fragend an.

„Ich habe mit Georg ein längeres Gespräch geführt“, fing Phillip dann doch plötzlich an zureden, „und sind zu dem Entschluss gekommen, erst einmal getrennte Wege zu gehen.“

„Du hast gekündigt?“, fragte David schockiert.

„Nein, ich bin doch nicht verrückt! Ich meine privat! Morgen packe ich meinen Krempel zusammen und ziehe wieder hier ein.“

„Weiß Glenda schon von ihrem Glück?“, rutschte mir es heraus.

Verlegen grinste ich David an.

„Ja, ich habe mich schon mit ihr unterhalten. Sie hat mich aber auch gleich darauf hingewiesen, eure Glückseligkeit in keinster Weise zu stören, sonst krieg ich Ärger mit ihr.“

Nun grinste auch David.

„Steht für heute noch etwas an?“, wollte Phillip wissen.

„Nein, nicht dass ich wüsste“, antwortete David, „Paul ist in London, oder auch vielleicht wieder auf dem Rückweg. Ich hole ihn nachher vom Bahnhof ab.“

„Könnte ich das übernehmen?“, fragte Phillip kleinlaut.

„Gerne“, antwortete David, „dann habe ich schon mehr Zeit für den hier.“

Er zeigte auf mich. Die Tür ging erneut auf und Glenda kam herein. Sie sah ernst aus und ich hatte sowieso die ganze Zeit das Gefühl, seit wir angekommen waren, dass etwas nicht stimmte.

„Kann ich mit euch reden?“, fragte sie.

„Ähm… soll ich gehen?“, fragte Phillip.

„Es betrifft zwar hauptsächlich Finn, aber ich denke, du kannst bleiben. So wie ich verstanden habe, habt ihr ja keinerlei Geheimnisse voreinander.“

Phillip schaute zu mir, aber ich hob abwehrend meine Hände. Eine kurze Pause entstand, denn Glenda schien sich erst etwas zu sammeln.

„Ich war heute mit unserem Familienanwalt bei deiner Mutter“, fing sie plötzlich an.

„Ich wollte nicht alleine hingehen, falls es zu irgendeinem Streit gekommen wäre.“

Darauf sagte ich nicht, ich suchte nur Davids Hand.

„Dein Vater war auch anwesend!“

„Mein Vater? Aber ich dachte…“

„Nein, er ist aus der Untersuchungshaft frei gelassen worden, weil es keinerlei Beweise gibt, dass er Thomas zu irgendetwas angestiftet hat“, fiel mir Glenda ins Wort.

„Und wie haben die beiden auf deinen Besuch reagiert?“, fragte Phillip.

„Überraschend gut, muss ich sagen.“

Verwundert schaute ich sie an.

„Da sie einsehen mussten, dass ihr ältester Sohn wirklich an allen Straftaten, was Finn betreffend, beteiligt war und auch noch vieles durch die Presse an die Öffentlichkeit kam, waren sie eher ruhig und nicht so aufbrausend, wie sich Finns Mutter vor unserer Haustür benommen hat.“

Das wunderte mich jetzt sehr.

„Finns Vater wusste anscheinend wirklich nichts, über die Taten seines Sohnes, nachdem dieser aus dem elterlichen Haus ausgezogen war. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung waren sehr belastende Beweise gefunden worden, auch das es ein Konto gab, auf dem mehrere höhere Summen eingezahlt wurden.“

Fassungslos schaute ich zu Glenda.

„Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie ein richtiges Einsehen hatten, dir Unrecht angetan zu haben. Ein Gespräch mit dir, lehnten sie auf alle Fälle ab.“

Darauf hatte ich auch nicht gehofft. Aber es tat natürlich trotzdem weh. David Druck auf meine Hand wurde etwas stärker.

„Geht es?“, fragte er besorgt.

Leicht gequält versuchte ich ihn anzulächeln.

„Was soll ich sagen? Ich habe mit nichts anderes gerechnet.“

„Wir sind so verblieben“, sprach Glenda weiter, „dass bei weiteren Versuchen, dir zu schaden, wir uns es vorbehalten, per Gericht ein zu streiten. Sie meinten darauf nur, nicht vorzuhaben, irgendetwas mehr von dir zu wollen…, du wärst für sie als ihren Sohn…, ebenso gestorben wie Thomas…“

Den Rest hatte sie deutlich leiser gesagt und ihr standen wie mir Tränen in den Augen. Weitere Stiche durchbohrten mein Herz. Die letzten fünf Jahre hatte ich so gelebt, also wohl auch in der Zukunft. Aber wer wusste, wofür es gut war.

„Übrigens…, ich habe auch erfahren, dass sich wohl der jüngste Bruder deines Vaters, ebenso seinen Kontakt abgebrochen hat. Auch dieser Onkel möchte nichts mehr mit deinen Eltern zu tun haben, sie sind jetzt ganz auf sich gestellt.“

Das war nun wirklich eine Neuigkeit, mit der ich nicht gerechnet hatte, aber es änderte nichts an der verfahrenen Situation.

„Und wenn du dazu bereit bist, würde dieser Onkel sich gerne mit dir treffen und persönlich seine Entschuldigung vortragen.“

„Als würde das jetzt noch etwas ändern…“, meinte ich leise und wischte mir die Tränen aus den Augen.

„Wäre es nicht ein Neuanfang, wenigstens für einen Teil deiner Familie?“, fragte Phillip leise.

Solche Töne von Phillip kannte ich nicht, was ich überhaupt als kennen bezeichnen konnte. Mein Blick war zu ihm gewandert.

„Ich weiß es nicht, Phillip. Du hast den Hass, den sich mich vor fünf Jahren haben spüren lassen, nicht mitbekommen. Ich bin fast daran krepiert. Wären da nicht Connor und später auch Blair und Angus für mich da gewesen, hätte ich das nicht geschafft.“

Darauf sah mich Phillip nur an.

„Sie waren in den letzten fünf Jahren mehr Familie für mich, als sonst jemand… und jetzt habe ich euch! Ich kann dir nicht sagen, ob mein Verhältnis zu meinen beiden Onkeln und deren Familien wieder so werden, wie sie einmal waren…, dafür ist einfach viel zu viel passiert!“

Darauf sagte niemand mehr etwas, mein Gesagtes blieb so im Raum stehen.

*-*-*

Ohne groß darüber nach zu denken, hatte ich nach Davids Hand gegriffen. So schlenderten wir die Princess Road hinunter, wo sich ein Geschäft neben dem anderen reihte. Alles war weihnachtlich geschmückt und zum ersten Mal spürte ich so etwas wie Weihnachtsstimmung

In mir hochsteigen.

„Ich weiß gar nicht so recht, was ich für Geschenke kaufen soll“, meinte David und ließ seinen Blick über die Geschäfte schweifen.

„Wir können auch zur Royal Mile wechseln, dort wirst du sicherlich fündig.“

„Überlassen wir die lieber den Touris und da gibt es eh nur Kitsch, denn du an anderen Stellen in Edinburgh viel günstiger bekommen kannst.“

„Ein paar tolle Geschäfte gibt es dort auch, zum Beispiel das Cashmere!“

„Stimmt, aber das ist eher die Ausnahme.“

Ich blieb stehen.

„Was hältst du von der Idee, dass wir Glenda und Paul etwas gemeinsam schenken?“

David lächelte mich an.

„Eine sehr gute Idee, schließlich bist du mein Freund, aber es löst das Problem nicht, was wir schenken.“

Mein Blick wanderte herum und blieb beim Juwelier hängen.

„Schmuck?“

„Hast du bei den beiden je irgendwelchen Schmuck gesehen?“

„Eben drum!“, grinste ich ihn an.

„Und was bitte schön stellst du dir da vor?“

„Für Paul könnte ich mir eine Krawattennadel vorstellen, du weißt selbst, wie oft an der Ding rumfummelt.“

David schien zu überlegen, so forderte ich ihn auf weiterzugehen, in dem ich an seiner Hand zog.

„Das wäre ein Vorschlag, aber bei Glenda denke ich, wird es schwieriger. Auch wenn ihre Sachen, die sie trägt teuer sind, sieht sie doch immer sehr schlicht gekleidet aus.“

Er hatte Recht. Wenn ich an die letzten Wochen zurück dachte, war Glenda immer sehr bescheiden aufgetreten. Außer dem Ehering und ab und an Ohrringe, wie eine kleine Perle oder Ähnliches konnte ich mich bei ihr nicht erinnern.

„Was würdest du von einem Amulett halten? So an einer längeren Kette. Auf den Oberteilen, die Glenda trägt, würde es gut zur Geltung kommen, aber trotzdem schlicht aussehen.“

David lächelte mich an.

„Du sprühst ja regelrecht vor Ideen, dir scheint es etwas besser zu gehen.“

„Aber nur etwas, aber das liegt an dir!“

Mittlerweile waren wir beim Juwelier angekommen und schauten nun in die Auslage.

„An mir?“

„Wusstest du nicht, dass du so etwas wie ein Ruhepol für mich bist?“

David zog mich etwas dichter an sich heran.

„Nein, das wusste ich nicht, aber es freut mich, dass ich dir so helfen kann.“

Ich lächelte ihn an.

„Gehen wir hinein?“

Ich nickte.

*-*-*

Erfolgreich, mit kleinen Geschenktütchen bestückt, verließen wir den Juwelier wieder. Gerade als ich fragen wollte, was wir als nächstes machen, hörte ich jemanden meinen  Namen sagen.

„Finn…?“

Ich drehte mich um und sah Onkel Valand und seine Frau hinter mir stehen.

„… ähm hallo“, meinte ich nur.

„Macht… ihr Weihnachtseinkäufe…?“, fragte Tante Jill.

„Wie du siehst“, meinte ich nur.

Das Treffen hier auf der Straße war mir zwar nicht peinlich, aber trotzdem unangenehm. David sah mich fragend an.

„Mein Onkel Valand… kennst du ja schon und dass ist seine Frau Jill. Mein Freund David Mac Bain.“

Tante Jill und mein David gaben sich die Hand. Eine kurze Pause entstand.

„Mac Bain? Nicht Morris?“, fragte plötzlich Onkel Valand.

„Ich bin der Pflegesohn der Familie Morris…“, erklärte David.

Wieder diese bedrückende Stille.

„Dann möchten wir euch nicht aufhalten, wir wollen auch noch ein paar Kleinigkeiten besorgen“, meinte Tante Jill und hängte sich bei ihrem Mann wieder ein.

Er nickte uns zu und beide setzten sich in Bewegung.

„Onkel Valand… Tante Jill“, sagte ich und die beiden stoppen.

Beide sahen mich erwartungsvoll an.

Ich lehnte mich leicht an David.

„Ähm…, ich weiß, ihr erwartet vielleicht jetzt etwas anderes…, aber könntet ihr mir bitte etwas Zeit geben?“

Beide sahen sich an. Natürlich konnte man eine gewisse Enttäuschung in ihren Augen sehen, aber wie schon zu Glenda gesagt, ich war noch nicht richtig dazu bereit. Mein Onkel nickte mir zu.

„Vielleicht… melde ich mich nach den Feiertagen…“, fügte ich noch hinzu.

Wieder nickte Onkel Valand und beide liefen weiter. Ich atmete tief durch.

„Geht es?“, fragte David hinter mir.

Ich drehte mich zu ihm um.

„Nein, aber daran kann ich jetzt nichts ändern. Es ist eben so wie es ist und wird, denke ich, noch eine Weile so bleiben.“

Wir sahen uns eine Weile an, David erwiderte nichts darauf.

„Lass und einfach weiter bummeln, denn ich brauch auch noch ein paar Kleinigkeiten.“

*-*-*

Der Anfang der Woche war etwas mit Hektik behaftet. Jeder in der Abteilung versuchte seine Sachen so gut es ging in Kartons zu verstauen. Die Baufirma hatte Wägen bereit gestellt, damit wir unsere Kartons mit Namen versehen, drauf stellen konnten.

Bei den vielen Aktenordnern, gestaltete es sich schon etwas schwieriger, denn sie hatten richtig Gewicht. Es war eine gute Idee, sämtliche Daten und Vorgänge zu digitalisieren, da würde auf Ella noch einiges zu kommen und wohl im neuen Jahr noch einige Zeit damit beschäftigt sein.

Am Mittwoch hatten wir so gut wie alles erledigt. Die kleine Weihnachtsfeier am Mittag war nicht mein Geschmack, jeder tat so, als würde man sich schon ewig kennen, obwohl man sich aus den anderen Abteilungen fast nicht traf.

Aber auch dieser Tag ging vorbei und außer den Bankangestellten, die unten im Serviceraum auch morgen Vormittag an Heiligabend noch tätig waren, ging der Rest schon heute in die Feiertage.

Still saß ich neben Pauls Fahrer und schaute mir draußen die weihnachtlich geschmückten Häuser an. Paul selbst und David saßen hinten und unterhielten sich.

„Und wie jedes Jahr hat mir Mrs. Plumpes wieder selbst gebackenes Gebäck geschenkt“, hörte ich Paul sagen.

„Wieder Shortbreads… diese Petticoat Tails -Dreiecke, die beim Anfassen schon zerbröseln?“

„Ja, aber sie schmecken immerhin unheimlich gut.“

„Glendas ihre sind besser!“

Ich musste lächeln. Anscheinend gab es doch noch mehr positive Erinnerungen an Familiendinge, die bei David hängen geblieben waren.

„Ist noch irgendetwas für heute geplant?“, wollte Paul wissen.

„Morgen Vormittag will Glenda mit Finn und mir noch den Weihnachtsbaum abholen…, sie hat darauf bestanden, dass wir mit gehen.“

„Ich dachte, der wird geliefert?“

„Nein, dieses Jahr will sie ihn selbst abholen und uns dabei haben.“

„Eine neue Tradition?“, fragte Paul und spürte, dass er bei dieser Frage grinsen musste.

„Lass sie doch, du weißt genau, wie sehr sie ihre Traditionen liebt!“

Der Wagen befuhr das Grundstück.

„Gott bewahre, ich werde sicher nichts gegen ihre Traditionen sagen, die sind heilig!“

Lachend verließen die beiden den Wagen.

*-*-*

Der Abend gestaltete sich etwas ruhiger. David und ich hatten un zurück gezogen, gab es morgen noch genug zu erledigen. Glenda hatte David einen Karton in die Hand gedrückt, vor dem er jetzt auf dem Bett saß.

„Was ist da drin?“, fragte ich, als ich vom Bad zurück kam und meinen Anzug gegen das Joggingteil eingetauscht hatte.

„Weiß ich nicht“, beantwortete David meine Frage und zog den Deckel von der Kiste. Neugierig schaue ich in seine Richtung, während ich mein Handtuch über den Stuhl hängte, das ich eben noch benutzt hatte, um meine Haare trocken zu rubbeln.

„Das gibt es nicht, sie hat alle aufgehoben?“, meinte David.

Ich ließ mich neben ihm auf dem Bett nieder.

„Was ist das?“, fragte ich und konnte Figuren entdecken.

„Mein Weihnachtsdorf…“

„Weihnachtsdorf?“, blabberte ich ihm fragend nach.

„Ja, Glenda hat mir von klein auf jedes Jahr einen kleinen Teil“, er hielt eine Figur in die Höhe, „ des Dorfes geschenkt, damit ich etwas eigenes für mich hatte, das Phillip mir nicht streitig machen konnte.“

Ein Teil nach dem anderen kam zum Vorschein, am Schluss noch ein paar Häuser.

„Hast du deine Wohnung eigentlich weihnachtlich geschmückt?“

„Nein, sie war ungefähr so groß wie deine. Außer einem kleinem Gesteck mit einer Kerze drauf, war nichts geschmückt.“

„Keinen Weihnachtsbaum?“

„Leider keinen Platz.“

„Ich habe so ein kleines Plastikding mit bunten blinkenden Lichtern. Eine Weile konnte ich ihn ertragen, aber irgendwann ging mir das Geblinke im Zimmer auf die Nerven.“

„Das ist Geschmackssache denke ich.“

David sah mich an.

„Was?“, fragte ich neugierig.

„Es ist unser erstes gemeinsames Weihnachten…“, antwortete David, während er die Sachen wieder in den Karton setzte.

„Ja…“, strahlte ich in an, „… ähm… willst du es nicht aufstellen?“

Ich zeigte auf die Figuren, die er gerade vorsichtig in die Kiste setzte.

„Wo soll ich die den hinstellen?“, fragte David und schaute sich in seinem Zimmer um.

„Auf deinem Schreibtisch? Oder willst du in den nächsten Tagen etwas arbeiten?“

Er grinste mich an.

„Du und deine Ideen!“

Er beugte sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange. Danach stand er auf und lief mit samt dem Karton zum Schreibtisch. Ich folgte ihm.

*-*-*

Der Morgen des heiligen Abends gestaltete sich doch etwas anders, als ich es erwartet hatte. Neben dem Weihnachtsbaum, war doch noch einiges zu besorgen. Ich wusste nicht, was Glenda für morgen geplant hatte, aber die Einkaufsliste sah dementsprechend aus.

Etwas müde und froh die volle Stadt hinter uns zu haben, kamen wir zurück und trugen die Einkäufe ins Haus.

Am Schluss kam der Weihnachtsbaum dran, den wir mühevoll aufs Dach von Davids Wagen gebunden hatten. Mein Mini wäre eindeutig zu klein gewesen. Der stand neben Pauls Auto und war mit einer leichten Schneeschicht überzogen.

„Boah bin ich froh, dass wir alles drinnen haben, so langsam ist mir doch kalt geworden“, meinte ich, als wir den Baum im Wohnzimmer abgelegt hatten.

„Dann würde ich vorschlagen, wie gehen hoch, ziehen uns etwas Bequemeres an, bevor wir den Baum aufstellen und schmücken.“

Ich nickte David dankbar zu. Als wir gerade den Flur betreten hatten, um die Treppe nach oben zu nehmen, wurde die Haustür aufgeschlossen. Ein etwas weiß bestäubter Phillip trat herein. Ich musste grinsen.

„Hätte das jetzt nicht noch fünf Minuten warten können? Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen Frau Holle hat direkt über mir ihr Kissen aufgeschnitten und alles auf einmal auf mich geschüttelt.“

Phillip war dabei sich den Schnee aus den Haaren  und den Klamotten zu klopfen.

„Als wir ankamen hat es nicht geschneit“, meinte David, der mittlerweile wie ebenso grinste.

„Soso…, was macht ihr gerade?“

„Hoch gehen und uns umziehen! Dann wieder herunter kommen und den Baum aufstellen und schmücken.“

Entgeistert schaute er uns an.

„Das ist nicht euer Ernst?“

„Doch!“, meinten David und ich im Chor.

„Nichts mit gemütlichen Abend?“

Beide schüttelte wir den Kopf, bevor wir uns wieder in Bewegung setzten.

„Ich soll euch schmücken helfen?“, fragte Phillip entsetzt.

Ich konnte nicht anders und begann zu lachen.

„Du kannst natürlich auch Glenda in der Küche helfen!“, rief ihm David entgegen, bevor er im oberen Stockwerk verschwand.

„Bloß nicht!“, hörte ich Phillip uns nachrufen.

Als wir etwas später wieder nach unten kamen, war Phillip verschwunden. Wir betraten das Wohnzimmer.

„Wo willst du ihn denn hinstellen?“, fragte, „… oder wo steht er denn sonst?“

Da in der Ecke, neben dem Bücherregal“, zeigte mir David die ungefähre Richtung.

„Ist das nicht zu dicht am Kamin…, zu warm für den Baum?“

„Bisher wollte ihn Glenda ihn dort immer stehen haben.“

„Was hältst du davon, wenn wir ihn dort drüben neben dem Fenster aufstellen, da ist viel mehr Platz und er kommt besser zur Geltung. Auch auf die Gefahr hin, dass ich Glendas Traditionen breche.“

David grinste mich an.

„Dann machen wir das so, mich hat es eh gestört, wenn der Baum immer so schnell das Nadeln angefangen hat.“

„Kein Wunder so dicht beim Kamin… ähm, wo ist der Baumständer?“, fragte ich.

„Ach so…, das Weihnachtszeugs ist alles unten im Keller glaube ich.“

Ich stemmte meine Hände in die Seiten.

„So glaubst du, vielleicht fragen wir mal lieber Glenda, die wird sicher wissen, wo alles steht.“

„Lieber nicht! Wenn wir jetzt ihre Küche betreten, kommen wir ohne Sklavendienste nicht mehr heraus.“

Er schien dies ernst zu meinen, denn kein Lächeln zierte seine Lippen.

„So schlimm?“

„Du vergisst, ich verbringe schon ein paar Weihnachten mehr hier als du.“

„Okay. Dann hilft es wohl nichts, dann müssen wir wohl selbst auf die Suche gehen.“

„So schlimm ist das auch nicht, so ungefähr weiß ich, wo die Sachen stehen.“

Etwas später standen wir in einen der Gewölbekeller und ich schaute ratlos auf eine Vielzahl von Kartons, die fein säuberlich beschriftet, gestapelt, vor mir standen.

„Und was sollen wir da nehmen? Sag mal hat Glenda irgendein Weihnachtsgeschäft aufgekauft? Das hier reicht ja mindestens für zehn Weihnachtsbäume!“

„David… Finn, seid ihr da irgendwo unten?“, hörten wir Phillip rufen.

„Ja, wir sind im Gewölbekeller!“, antwortete David laut und es halte etwas nach.

Wenige Augenblicke später kam Phillip in Sicht. Auch er hatte seine Wintersache gegen gemütliche Klamotten eingetauscht. Er trug eine verblichene Jeans und ein einfaches weißes Shirt darauf.

Ich musste zugeben, dass ich ihn bisher nur mit Anzug oder Mantel drüber gesehen hatte. Er machte keine schlechte Figur.

„Glenda hat jedes Jahr den Baum anders geschmückt. Deshalb die vielen Farben?“, nahm David wieder den Faden von vorhin auf.

„Boah ist das viel“, meinte Phillip, der anscheinend über die vielen Kartons genauso überrascht war, wie ich.

„Warst du noch nie hier unten?“, fragte David.

„Nicht das ich mich erinnern kann“, grinste ihn Phillip an, „du weißt, wie gerne ich mich gedrückt habe.“

„Und warum bist du jetzt hier?“

„Weil ich irgendwie Lust darauf habe.“

„Okay…, aber das löst das Problem nicht, welche Farbe wir nehmen sollen.“

„Was hattet ihr letztes Jahr?“, wollte ich wissen.

Die beide sahen sich fragend an.

„Kommt, ihr werdet doch noch wissen, welche Farbe letztes Jahr am Baum hing.“

David schüttelte leicht den Kopf. Ich konnte nicht anders und fing zu lachen an, was sich in diesem Gewölbe komisch anhörte.

„War das nicht rot-grün-silber?“, kam es von Phillip, der sich nachdenklich am Kopf kratzte.

„Stimmt, so langsam erinnere ich mich.“

„Lasst dies ja nicht Glenda hören…, schämt euch!“

Beide grinsten mich verlegen an und ich schaute derweil die Vielzahl der Beschriftungen an.

„Was haltet ihr von Silber und Gold?“

„Wird das nicht zu edel?“, wand Phillip ein.

„He Bruderherz“, kam es von David, boxte ihn leicht gegen die Schulter, „ist das nicht ein besonderes Weihnachten?“

Phillip schaute ihn mit einer Fratze an und massierte seine Schulter, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass es weh getan hatte.

„Edel ist doch gut, wenn wir morgen die kleine Weihnachtsfeier haben?“, meinte ich.

„Klein? So wie ich mitbekommen habe, wird es doch recht eng.“

Fragend schaute ich zu David und sein Blick wanderte zu Phillip.

„Das kommt dir nur so vor!“

Da nun David mit dem Rücken zu mir stand, sah ich nicht, was er vor sich machte. Ich sah nur, dass sich seine Arme bewegten.

„Öhm… gut, was muss nach oben?“

„Als erstes der Baumständer“, meinte ich und zeigte grinsend auf das antike Stück.

*-*-*

Ich sollte mir unbedingt notieren, wenn es jemals wieder dazu kommen würde, nie wieder mit den beiden einen Baum aufzustellen. Während ich einen Karton nach dem anderen hoch getragen hatte, waren Phillip und David dabei, den Baum auszupacken, in den Ständer zu verfrachten und nun schon eine Ewigkeit dabei, ihn auszurichten.

„Seid ihr immer noch nicht fertig?“, fragte ich leicht ärgerlich, weil ich nun alle Karton alleine hochgetragen hatte.

„Wir können uns eben nicht entscheiden, ob links oder rechts vom Fenster…, was besser wirkt.“

Ich drängte mich an den beiden vorbei, ging auf die linke Seite, griff nach dem langen Vorhang und schob ihn zur Seite. Die beiden beobachten mich tonlos, wie ich auf der anderen Seite das gleich tat.

Ich wurde fündig und zeigte auf die Steckdose.

„Rechts, wenn es den Herren genehm ist!“

Kopfschüttelnd lief an den beiden vorbei zurück zu den Kisten. Ohne einen Ton stellten sie den Baum auf die rechte Seite des Fenster.

„Kann mir einer sagen, wo die Lichterkette ist?“, fragte ich, nach dem ich einige Kisten bereits geöffnet hatte.

„Die sind extra!“, meinte David, „aber warte, ich hole sie und verschwand aus dem Zimmer.

„Und das willst du alles an den Baum hängen?“, fragte Phillip neben mir.

„Nicht alles…“, sagte ich und griff nach ein paar Kartons mit Kugeln darin, als David wieder im Zimmer erschien.

„Hier, welche nehmen wir?“

Er stellte die Kiste auf dem Tisch ab und nahm den Deckel herunter. Auch hier schien Glenda halb Edinburgh aufgekauft haben. Alle Kerzenformen, groß oder klein, weiß, grün oder schwarz, alles war vertreten.

Ich entnahm die drei grünen Ketten, denn bei der Größe vom Baum, war ich mir nicht sicher, ob eine Kette reichen würde. Phillip und David machten sich sogleich daran, die Lichterkette auszupacken und sie am Baum anzubringen.

Eine gefühlte Stunde später, hingen dann wirklich alle drei Ketten, aber dafür schaute der Baum jetzt schon edel aus. Mein Hals war etwas trocken, ich musste husten.

„Durst?“, fragte David besorgt.

Ich nickte.

„Ich hol etwas!“, meinte Phillip und war schon aus dem Zimmer verschwunden.

David und ich sahen uns an.

„So, mit was fangen wir an?“, fragte David, als hätte er noch nie einen Baum geschmückt.

Da ich es jedes Jahr mit Granny gemacht hatte, ist mir das irgendwie in Fleisch und Blut übergegangen. Ich lächelte leicht, beim Gedanken an Granny.

„Mit den Kugel. Von oben angefangen mit den Kleinen, nach unten immer größer werdend!“

„Okay!“, meinte David und griff sich die erste Kugelkiste.

Etwa eine halbe Stunde später, wir waren mittlerweile bei den großen Kugeln angekommen, die wir an den unteren Ästen anbrachten, kam Phillip ins Wohnzimmer zurück.

„Wo warst du so lange?“, wollte David wissen.

„Ich sag nur Küche und Glenda.“

David fing an zu lachen, während Phillip drei Gläser abstellte und ich einen Rotwein bei ihm entdecken konnte.

„Wäre ich nicht geflohen, hätte sie mich noch zum Zwiebel schälen verdonnert!“

Er begann ein zu schenken.

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen“, sagte David und hängte seine letzte Kugel an den Ast.

„Sieht übrigens cool aus, der Baum.“

„Danke“, meinte ich, „aber wir sind noch nicht fertig.

„Was fehlt noch?“, fragte Phillip und reichte David eins der Gläser.

„Girlanden, Lametta und eine Spitze haben wir auch noch nicht.“

„Okay, auf was warten wir?“

*-*-*

Im Wohnzimmer sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Überall leere Kartons der Kugel und es sah so aus, als würde mehr Lametta auf dem Boden liegen, als am Baum hängen.

„So, welchen Engel willst du?“, fragte Phillip schon leicht angesäuselt.

Auch ich spürte den Rotwein. Phillip hielt ein Silberengel in die Höhe und einen Goldengel. Der silberne hatte ein schönes Gewand, aber seine Flügel waren aus Plastik und wirkten irgendwie unecht, nicht zum Engel passend, außerdem sahen die Haare mehr nach Lametta aus, als richtige Haare.

Die Flügel des goldenen Engel waren aus Federn und seine leicht gelockten langen Haare wirkten echt. Dafür war das Gewand sehr schlicht gehalten.

„Nimm den Goldenen“, meinte ich und nahm erneut einen Schluck.

„Ich?“, sagte Phillip und ließ des Silberengel einfach in seine Kiste plumpsen, „ich komm da nicht rauf!“

Er hatte recht, keiner kam an die Spitze, ohne den Baum zu ruinieren. David fing komisch an zu kichern. Dann kniete er sich neben mich.

„Komm!“, meinte er.

„Hä?“, entfleuchte es mir.

„Steig auf meine Schultern!“

„Das mach ich nicht, du wirst dir einen Bruch heben!“

Er sagte nichts darauf, sondern griff nach mir, zog mich zu sich und steckte seinen Kopf zwischen meine Beine.

„Könnt ihr so etwas nicht fürs Zimmer aufheben?“, frotzelte Phillip, wich aber einen Schritt zurück, als David mit einem Urschrei aufstand.

Ich erschreckte mich so heftig, plötzlich so schnell in die Höhe gehoben zu werden, dass ich fast von Davids Schultern rutschte. David aber, griff mit einer Hand nach mir und hielt mich fest!

In der anderen Hand hatte er immer noch seinen Rotwein, von dem er sich jetzt einen Schluck genehmigte.

„David…, warum bist… plötzlich so stark? Kommt das vom Wein?“, fragte Phillip verzückt und trank in einem Zug seinen Rotwein aus.

Leicht geschockt, hielt ich meine Hand vor den Mund. Zudem musste ich versuchen mein Gleichgewicht zu halten, denn David stand auch nicht mehr still, sondern schwankte auch schon etwas.

„Gib Finn endlich den Goldengel!“, meinte David.

Wurde ich ihm, doch zu schwer?

„Ähm… okay“, sagte Phillip, blieb aber beim Versuch zu mir zu laufen, am Sessel hängen.

Er rammte David, bevor er sich neben uns niederlegte.

„Mensch du Idiot, pass doch auf!“, fuhr ihn David an, der gerade damit beschäftigt war, den Stoß auszugleichen.

Ich machte es ihm auch nicht leicht, denn meine Finger hatten sich in seine Haare gekrallt.

„Boah Finn, dass tut weh!“

„…schuldigung“, kicherte ich, denn irgendwie fand ich das lustig.

In dem Augenblick kam Glenda die Tür herein gestürmt.

„Ist etwas passi…?“

Mit im Satz brach sie ab und schaute sich entsetzt um. Dann wanderte ihre Augen zu uns. Ihr Blick wanderte erst von mir oben, dann an David vorbei, zu Phillip, der immer noch David zu Füßen lag.

„Er ist noch heil!“, rief Phillip vom Boden aus und hielt den Engel in die Höhe.

„Hallo ich bin wieder zu Hause!“, hörten wir Pauls Stimme.

„Mist!“, kam es vom Boden.

„Wolltest du Paul nicht abholen?“, fragte ich von oben.

Paul erschien in der Tür, sah uns, schaute Glenda an und fing schallend laut an zu lachen.

„Wie kannst du da noch lachen?“, fragte Glenda ihren Mann entsetzt, „schau wie es hier aussieht!“

Sie lief auf Phillip zu und wollte ihm den Engel abnehmen. David war aber schneller. Er hielt ihn in die Höhe, so dass ich ihm zu greifen bekam. Dann schaukelte mein Freund Richtung Baum und ich konnte endlich den Engel auf die Baumspitze setzten.

„Fertig!“, rief ich stolz.

Paul klatschte in die Hände und lachte immer noch

„Finn, du kommst jetzt da runter, bevor dir noch etwas passiert“, rief Glenda und zog an Phillips Arm, den er immer noch in die Höhe hielt.

Oh, war da jemand böse? David drehte sich überraschend, lief Richtung Couch und ich hatte wieder Mühe, mich auf seinen Schultern zu halten. Natürlich griff ich erneut in seine Haare.

„Finn… aua!“

Paul kam aus dem Lachen nicht mehr heraus und Glenda versuchte verzweifelt Phillip auf die Beine zu bekommen. Als sich David auf die Couch niederließ, dachte ich, ich falle und ließ einen Schrei los.

Unsanft kam ich mit meinem Hintern auf der Sofalehne auf, aber fallen konnte ich nicht, denn David hielt immer noch meine Beine fest. Mein Ego etwas angekratzt, rieb ich an Hintern. Warum ich plötzlich anfing zu kichern schien wohl am Wein und an Pauls Gelächter zu liegen.

„Ach ihr!“, meinte Glenda resigniert, ließ Phillips Arm los und lief auf dem Zimmer.

Während Paul ihr folgte, stieg ich umständlich von Davids Schultern und landete in seinen Armen.

„Da fallen Engel vom Himmel“, hörte ich Phillips kichernde Stimme vom Boden.

„Und was für ein schöner Engel“, säuselte David, der halb über mir hing.

Ein kurzer Kuss auf meine Nasenspitze folgte.

Wieder fing ich an zu kichern und David half mir halbwegs, mich richtig hinzusetzten, während Phillip es endlich geschafft hatte, wieder in die Senkrechte zu kommen. Wie er so schnell wieder zu seinem Glas gekommen war, wusste ich nicht.

„Das… hat Spaß gemacht“, meinte er und hielt uns sein Glas entgegen.

Paul kam wieder ins Zimmer.

„Jungs, was habt ihr nur angestellt?“

„Den Baum geschmückt!“, sagte Phillip und drehte sich zu Paul.

„…aber wie es hier aussieht.“

Phillip drehte sich einmal im Kreis und zum Glück stand der Sessel hinter ihm, in den fiel er geradewegs mit Schwung hinein. Natürlich fingen ich und David wieder an zu kichern.

„Versucht hier noch etwas Ordnung zu schaffen, bevor ihr euer Saufgelage in eure Zimmer verlegt!“, meinte Paul amüsiert und verschwand aus dem Zimmer.

„Niemand sagt etwas zu unserem tollen Baum!“, meckerte David.

*-*-*

Wie ich ins Bett kam, wusste ich nicht mehr, ich konnte mich nur noch an die anschließende Aufräumaktion erinnern. Während David und ich die Schachteln zusammen räumten saß Phillip auf dem Boden und sammelte das Lametta einzeln auf.

„Wach?“, hörte ich eine angenehme und bekannte Stimme neben mir.

Ich drehte den Kopf in die Richtung, bereute es aber sofort wieder. In meinem Schädel hämmerte es.

„So, wie du das Gesicht verziehst, hast du auch Schädelbrummen.“

„Ja“, meinte ich kleinlaut, „was hat der uns da zu trinken gegeben.

„Zwei Flaschen Rotwein?“

Entsetzt sah ich David an.

„Wir haben zwei Flaschen Rotwein getrunken?“

David nickte leicht. Ich atmete tief durch und hielt mir die Augen zu. Der Geschmack den ich in meinem Mund schmeckte, war auch nicht besonders.

„Sollen wir aufstehen?“, fragte David, „duschen gehen?“

„Wieso, wie spät ist es denn?“

„Schon fast neun…“

„Echt und ich habe Glenda gestern versprochen, ihr heute Morgen in der Küche zu helfen.“

„Das tu schon jemand anders.“

„Wer?“

„Du erinnerst dich nicht mehr?“

Ich schüttelte ganz langsam den Kopf, ohne David aus den Augen zu lassen.

„Du hast gestern Abend noch deinen kleinen Bruder angerufen und ich denke, der steht schon unten und hilft Glenda.“

„Hab ich?“

„Japp!“

„Shit, daran kann ich mich nicht mehr erinnern.“

„Auch nicht, dass du im Treppenhaus mit Phillip ein Weihnachtslied angestimmt hast?“

Verwirrt schaute ich David in die Augen, ob er mich anflunkerte, aber ich konnte nichts erkennen, dass darauf schließen konnte.

„Oh Gott, ich kann mich unten nicht mehr blicken lassen…“

„Wieso, ich fand es schön und unser Baum, sieht wirklich cool aus. Glenda fand, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, dass er imposant ist.“

„Ich glaub, ich habe den totalen Filmriss, was gestern Abend betrifft.“

„Du bist entschuldigt…, der viele Rotwein.“

Ich schämte mich und versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen.

„He komm, so schlimm war es doch gar nicht!“, versuchte mich David aufzumuntern und bevor ich darauf etwas sagen konnte, hatte er meine Hände weggezogen und gab mir einen Kuss.

*-*-*

Die Tablette schien zu wirken, dass Trommeln in meinem Kopf hatte nach gelassen. Langsam lief ich die Treppe hinunter, in der Hoffnung David würde mich einholen, nachdem er mich vorgeschickt hatte.

Alleine wollte ich Glenda nicht gegenüber treten. Zu sehr schämte ich mich über mein Verhalten gestern Abend. David kam hinter mir die Treppe herunter.

„Vorauf wartest du?“, fragte er und griff nach meiner Hand.

„Auf dich…“

Alles klar mit dir?“

„Ja“, log ich und versuchte etwas zu lächeln.

„Willst du noch den Baum begutachten, oder gleich zu Glenda in die Küche.“

„Lieber…, lieber erst den Weihnachtsbaum!“, meinte ich immer noch verunsichert.

David zog mich ins Wohnzimmer, dessen Tür offen stand. Fast grell glitzerte mir der Baum entgegen.

„Wow!“, meinte ich nur.

David kicherte neben mir.

„Das habe ich auch gedacht, als ich ihn gestern mit Licht sah. Du weißt schon, dass du das jetzt jedes Jahr machen musst?“

„Aber bitte ohne Rotwein!“

Wenig später betraten wir gemeinsam die Küche, wo Glenda mit Angus am wirbeln war. Er war also tatsächlich gekommen.

„He, hallo Finn!“, begrüßte mich Angus, als er mich entdeckte.

Er trocknete sie Hände ab, kam zu mir und fiel mir um den Hals.

„Hallo Kleiner!“, begrüßte ich ihn und drückte ihn kurz.

„Finn, du hast gar nicht erzählt, dass dein Bruder sich so super Kochen kann“, meinte Glenda und unterbrach ebenso ihre Arbeit.

„Nicht?“, meinte ich immer noch etwas verschüchtert und David legte seinen Arm um mich.

„Glenda könntest du meinem Finn hier sagen, dass du ihm nicht böse bist?“

Glenda schaute mich fragend an.

„Wieso böse?“

„Er denkst, du bist ihm noch böse wegen gestern Abend beim Baumschmücken!“

„Ach was! Sicherlich nicht.“

„Ist beim Baumschmücken etwas vorgefallen?“, wollte Angus neugierig wissen.

„Nein“, sagte Glenda nur und widmete sich wieder ihrem Essen.

Angus schaute uns an.

„Dein Brüderchen hat nur etwas zu viel Rotwein intus“, meinte David neben mir.

„Den er nicht verträgt!“, kicherte Angus.

„Können wir irgendwie helfen?“

„Nein, es ist fast alles gerichtet!“, antwortete Glenda, „aber ihr könnt zu Phillip gehen und ihm beim eindecken helfen.“

„Phillip ist schon wach?“, fragte David verwundert.

„Schon eine ganze Weile.“

*-*-*

So wurde Angus Wunsch eine kleine Weihnachtsfeier zu machen, doch noch erfüllt. Nur fiel sie nicht so klein aus. Nach und nach fanden sich am Nachmittag auch noch Blair und Connor mit Nian ein. Es war eine Premiere, denn ich hatte Connor noch nie im Anzug gesehen.

Man entschied sich, erst zu Essen und die Geschenke später zu verteilen. Es dauerte nicht lange, da stellte sich schon das erste Völlegefühl ein. Glenda und Angus hatten sich wirklich ins Zeug gelegt.

Nach einem leichten Cocktail wurde zuerst eine Karotten-Koriander-Suppe serviert. Glenda sprach mit Nian, über das Rezept, während wir anderen artig unsere Suppe löffelten. Danach wurden die Suppenteller abgeräumt und Angus verschwand mit Glenda in die Küche.

Ich bekam fast ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn telefonisch, zum Kochen verdonnert hatte. Aber es schien ihm Spaß zu machen. Bedie kamen zurück, mit einem kleinen Wagen. Als er den gefüllten Truthahn auf den Tisch stellte, brachen die Ah‘s und Oh‘s nicht ab.

Schüsseln mit Kartoffeln und verschiedenen Gemüsen wurden auf dem Tisch verteilt, auch Roastbeef fand den Weg auf den Tisch, bevor Paul die Ehre hatte, den Truthahn anzuschneiden. Aber er hielt inne und reichte Messer und Gabel an David weiter.

Über das ganze Gesicht strahlend, verteilte David Portionen vom Truthahn auf die Teller, während Angus Kartoffel und Glenda Gemüse verteilten. Ich war dann auch froh, dass sich während des Essen weiterhin über schottische und Asiatische Küche unterhalten wurde und nicht irgendwelche Anekdoten meinerseits.

Ich wusste wie gerne Connor und Blair ihre Geschichten erzählten, aber an diesem Abend blieb ich verschont. Beim späteren Abräumen, beteiligten wir uns dann alle, weil wir einfach etwas Bewegung brauchten.

Schnell war in der Küche die Spülmaschine befüllt und wurde eingeschaltet, bevor wir alle wieder ins Esszimmer geschickt wurden. Während sich Paul mit Connor und Nian unterhielt, kam Blair zu mir.

„Und? Gefällt es dir?“, fragte ich.

„Da fragst du noch? Ihr habt euch wirklich übertroffen. Ich wollte noch fragen, was ihr mit Phillip gemacht habt, der ist so nett heute Abend.“

„Wir? Gar nichts!“

David kam zu uns und reichte mir mein Wasser. Ichbedankte mich, mit einem Küsschen auf die Wange.

„Du trinkst Wasser?“, fragte Blair erstaunt, während sie vor mir mit ihrem Glas Wein stand.

„Ja“, grinste David, „unser Kleiner hat gestern etwas zu viel des guten gehabt.“

„Eh, ich war nicht alleine!“

„Ihr ward saufen?“

Ich war froh, dass Blair in normaler Lautstärke sagte, sonst hätten wir die Aufmerksamkeit des ganzen Zimmers gehabt.

„Nein, wo denkst du hin. Wir haben den Weihnachtsbaum geschmückt und etwas Rotwein dabei getrunken.“

„Etwas…“, kicherte David neben mir.

„Dann wir der Weihnachtbaum ja dementsprechend aussehen.

„Da tust du Finn Unrecht“, verteidigte mich David plötzlich, „ich habe noch nie so einen schönen Weihnachtsbaum gesehen, wie dieses Jahr.“

„Lass das Glenda nicht hören“, raunte ich ihm lächelnd zu.

„Ach was, du schaust durch deine rosa Brille und alles ist schön!“, sagte Blair und nippte an ihrem Glas.

„Nein rosa ist er nicht“, grinste ihr David entgegen, aber bevor Blair darauf etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür erneut und Angus mit Glenda traten ein. Wieder schob er den Servierwagen vor sich her.

„Oh Cranachan, ihr wisst, dass ich dafür töten würde“, meinte Blair und eilte an ihren Platz.

„Ich hätte Glenda vielleicht warnen sollen, dass Blair die Himbeercreme mit Haferflocken und Whiskey gerne isst!“

„Keine Sorge, es ist doch genug von allem da“, beruhigte mich David, „Glendas legendärer Dundee Cake…“

„Sind die Früchte in Whiskey eingelegt gewesen?“

„Klar, was denkst du.“

„Ist das Selkirk Bannock neben der Butter?“

„Ja Glenda berühmter Hefekuchen mit Rosinen und Orangenat.“

„Man ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich den zum letzten Mal gegessen habe. Du scheinst Glendas Küche zu lieben, ein Wunder, dass du nicht auseinander gegangen bist“, grinste ich David an.

„Warum glaubst du, habe ich mit Kraftsport begonnen?“

Wir mussten beide kichern.

„Setzt euch endlich“, meinte Angus, der noch einen Teller mit Shortbread auf den Tisch stellte.

„Wer soll das alles essen?“, fragte ich, während Glenda noch eine Platte mit Apple Scones auf den Tisch stellte.

Ein leichter Duft von Whiskey breitete sich aus.

*-*-*

Natürlich war Blair von dem Weihnachtsbaum genauso hingerissen, wie die anderen. Als erstes wurden Glenda und Paul beschenkt. Die Geschenke meiner Freunde fielen natürlich etwas kleiner und dezenter aus, aber damit hatte niemand Probleme.

Glenda war hin und weg, als sie ihr Amulette unseren Bildern drin auspackte, da fiel Phillips europäisches Kochbuch fast ins Hintertreffen. Dass er im Amulette ebenso verewigt war, vertröstete ihn aber wieder.

Alle lachten, weil Paul gleich zwei Krawattennadeln bekam, Phillip hatte wohl die gleiche Idee wie wir. Danach kamen wir dran. Wir hatten zusammen gelegt und Angus ein neues Handy gekauft, da seins im Feuer vernichtet wurde und Connor ihn nur mit Mühe davon abhalten konnte, sich gleich ein Neues zu kaufen.

Blair wurde mit einer edlen Holzkiste mit erlesenen Teemischungen aus der ganzen Welt überrascht und Connor und Nian bekamen einen Korb voller asiatischer Lebensmittel plus zwei wunderschön gearbeiteten Schalen und Stäbchen.

Ich dagegen bekam ein neues Geschirrset für die neue Küche. Glenda und Paul waren spendabel und brachten gleich mehrere verpackten Schachteln zu mir. Darin befanden sich eine Vielzahl von Küchengeschirr und Utensilien, was man ebenso in einer Küche alles braucht.

So war der halbe Hausstand schon gerettet. Obwohl David und ich uns geeinigt hatten, uns nichts zu schenken, war ich überrascht, als er mit ein kleines Geschenk reichte. Nach dem ich es ausgepackt hatte und den Inhalt sah, bekam ich völlig gerührt einen der beiden Ringe angesteckt, die sich darin befanden, der andere nahm David.

Ich fiel ich um den Hals.

„Das ist wohl das schönste Weihnachten seit langem!“, meinte ich zu allen.

„Halt, da fehlt noch ein Geschenk“, meinte Angus und kam zu mir.

Es war nicht wie üblich, mit Weihnachtspapier eingepackt, sondern zierte viele Blumen, so wie ich sie von einer Blumenwiese her kannte. Mit gemischten Gefühlen riss ich das Papier auf und ein Bilderrahmen kam zum Vorschein.

Immer langsamer werdend wurde nun das Bild auch sichtbar und die ersten Tränen kamen geflossen. Ich schaute Angus fragend an.

„Aber woher…“, weiter kam ich nicht, denn Angus strahlte mich breit grinsend an.

„Du meinst…?“

Er begann wild zu nicken.

„Was ist denn auf dem Bild?“, fragte Blair neugierig.

„Meine Granny…“, meinte ich stolz und drehte das Bild zu den anderen.

Es zeigte Granny auf der Blumenwiese, im Hintergrund war ihr Häuschen zu sehen. Jetzt wusste ich, dass wirklich alles gut werden würde.

*-*Ende*-*

Pitstories wünscht allen ein frohes Weihnachtsfest!

 

 

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2 Kommentare

    • Norbert Hanke auf 24. Dezember 2020 bei 08:25
    • Antworten

    Hallo Pit,
    vielen Dank für die wie immer sehr schöne Geschichte. Wie ein kleines Kind habe ich jeden Tag auf die Fortsetzung gewartet.

    Ich wünsche dir und deinen Lieben ein besinnliches Weihnachtsfest, einen guten Rutsch ins neue Jahr und bleib vorallem gesund.

    Norbert

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    • Calippo auf 24. Dezember 2020 bei 01:26
    • Antworten

    Hallo lieber Pit,

    ich möchte Dir für die Wunderschöne Geschichte danken. Es war wie jedes Jahr ein tolles Leseerlebniss und ich möchte Dir dafür danken das du uns so durch die Adventszeit gebracht hast. Ich möchte mich immer wieder vor Dir verneigen für deine tolle Art zu schreiben. Und zum Abschluss, möchte ich Dir ein besinnliches Weihnachten wünschen und ein gesundes Jahr 2021.

    Glædelig Jul og godt nytår 2021
    Calippo

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