Ein neuer Anfang – Teil 12

41. Am nächsten Morgen

Jonas

Nebeneinander ritten wir gemeinsam am Waldrand entlang.

Am Himmel waren nur wenige, kleine Wolken zu sehen und kurz über den Bäumen versuchte die Sonne ihre letzte Kraft zu entfalten, in dem sie die vor uns liegende Landschaft in ein wunderschönes Abendrot tauchte.

Vom See her hörte ich das Quaken der Frösche; der Wind strich seicht über die Wiese und aus dem Wald drang leise der Singsang der Vögel zu uns.

Falco ritt ein wenig näher zu mir, wechselte die Zügel in die linke Hand und hielt mir die andere entgegen. Ich nahm sie und lächelte ihn glücklich an.

„Komm, lass uns langsam umdrehen. Bald wird es dunkel.“

„Weißt du, ich könnte noch stundenlang so mit dir weiter reiten. Es ist einfach traumhaft schön.“

Nun lächelte auch Falco mich an.

„Ich liebe dich Jonas!“

Plötzlich wunde es dunkel und der Wecker klingelte schrill.

Langsam öffnete ich meine Augen und sah auf die leuchtenden Ziffern, des Weckers.

„Mist, schon 6:00 Uhr, dabei hatte mein Traum doch erst angefangen schön zu werden“, dachte ich.

Meine Hand wanderte an meine Seite, aber alles, was ich ertasten konnte, war die leere Matratze neben mir.

Ich reckte mich ausgiebig und öffnete verschlafen meine Augen. Die Vorhänge waren zugezogen und somit blieb mir der Schock, ins Helle zu schauen, erspart.

Müde rappelte ich mich auf und torkelte schlaftrunken zur Tür.

An das frühe Aufstehen musste ich mich erst mal wieder gewöhnen, die letzten Wochen konnte ich ausschlafen. Jedenfalls so einigermaßen.

Aber heute ging die Schule wieder los.

Ich war schon sehr gespannt, was mich dort erwartete.

„So richtig Lust habe ich ja nicht, wenn ich ehrlich bin habe ich sogar ein recht flaues Gefühl im Magen.“

In den letzten Tagen hatte ich schon zwei Schulkameraden von Falco kennen gelernt, Fabian und Tom. Die beiden waren in den Ferien mit ein paar anderen zelten gewesen und waren erst in der letzten Woche wieder nach Hause gekommen. Seit dem haben wir fast jeden Tag miteinander verbracht.

Tom war schlank und hatte kurzes lockiges, schwarzes Haar. Er wohnte auf dem Nachbarhof und Falco kannte ihn schon aus seiner Kindergartenzeit. Tom hatte immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, er scherzte viel und ich mochte ihn von der ersten Stunde an.

Fabian dagegen war das komplette Gegenteil. Er war in etwa so groß wie ich und hatte dunkelblondes Haar. Fabian war die ersten beiden Tage etwas schüchtern gewesen, hatte nur sehr wenig mit mir gesprochen. Ab und an hatte ich bemerkte, wie er mich musterte, doch immer, wenn er mitbekam, dass ich ihn ansah, hatte er sofort weg gesehen.

Falco

Als ich im Bad fertig war, ging ich zurück ins Zimmer und kaum hatte ich die Tür geöffnet, lief mir Jonas direkt in die Arme.

„Guten Morgen mein Schatz.“

„Guten Morgen“, murmelte er mir leise entgegen.

Er nahm mich in den Arm und kuschelte sich fest an mich, während ich ihn festhielt und ihm liebevoll durch sein wuscheliges Haar strich.

„Spring schnell unter die Dusche, dann bist du wach. Ich suche schon mal unsere Sachen zusammen.“

Jonas gab mir einen Kuss und schon war er in Richtung Bad verschwunden.

Ich zog mich schnell an und suchte auch ein paar Sachen für Jonas raus. Am ersten Tag sollte er gleich einen guten Eindruck machen und so suchte ich ihm ein paar geile Klamotten raus.

Als ich noch schnell die letzten Sachen in unsere Schultaschen packte, war Jonas auch schon wieder zurück.

„Nun geht es mir schon viel besser. Aber am liebsten wäre ich noch ein wenig liegen geblieben.“

Grinsend ging er nur mit Shorts bekleidet zum Bett.

„Na, ich könnte mir auch gerade etwas Schöneres vorstellen, aber wir müssen uns ein wenig beeilen. Du musst ja noch vorm Unterricht zum Direx.“

Schnell zog sich Jonas an und gemeinsam gingen wir dann nach unten in die Küche, wo Frida uns bereits das Frühstück hingestellt hatte.

„Guten Morgen!“, riefen wir zusammen.

„Hallo Jungs. Freut ihr euch schon auf die Schule?“

„Naja, wie man sich halt auf unsere Lehranstalt freuen kann. Viel mehr freue ich mich darauf, meine Freunde wieder zu sehen.“

Grinsend schenkte sie uns Kaffee ein.

Als wir fast fertig mit dem Frühstücken waren, kam meine Mutter in die Küche. Sie wünschte uns ebenfalls einen guten Morgen und gab uns beiden einen Kuss.

„Wenn ihr dann fertig seid, bringe ich euch schnell mit dem Auto in die Schule. Mit dem Bus nehmt schafft Jonas es nicht rechtzeitig, um sich beim Direx vorzustellen.“

Schnell trank ich meinen Kaffee aus und steckte das letzte Stück Toast in den Mund.

„Fertig, wir können meinetwegen los.“

42. Der erste Schultag

Jonas

„Wenn du vorher noch etwas kauen würdest, könnte man dich glatt verstehen.“, kicherte ich.

Auch ich war bereits fertig

„Dann lasst uns los fahren, Jungs“

Heidi ging schon mal nach draußen zum Auto und wir folgten ihr langsam.

Die Schule war im nächst größerem Ort und nach circa 20 Minuten hatten wir diese dann erreicht. Heidi hielt kurz hinter der Bushaltestelle.

„Viel Spaß euch beiden.“

Schnell stiegen wir aus und schauten dem wegfahrenden Wagen noch kurz nach.

Meine Laune war nicht die Beste, ich hatte etwas Angst vor dem, was mich hier erwarten würde. Falco merkte das, nahm schnell noch meine Hand und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen.

„Komm, es hilft ja nichts. Ich bringe dich noch ins Sekretariat und gehe dann schon mal in meine Klasse.“

Gemeinsam machten wir dann auf den Weg, den Schildern „Verwaltung“ folgend.

Nach endlosen Minuten blieb Falco stehen und klopfte an eine Tür mit der Aufschrift „Sekretariat“. Ohne auf ein hörbares „herein“ zu achten, öffnete er die Tür und schon standen wir vor einem Tresen.

Hinter dem Tresen befand sich ein großer Schreibtisch mit allerlei Papieren, die fein säuberlich auf verschiedene Stapel verteilt waren. An den Seiten standen große Schränke mit Aktenordnern und an der Tür war ein Regal mit den Lehrerfächern.

Freundlich schaute uns eine kleine, etwas untersetzte Frau an. Sie war gerade am telefonieren, lächelte uns aber aufmunternd zu.

Geduldig warteten wir, bis sie ihr Telefonat beendet hatte.

„Was kann ich denn für euch tun?“, fragte sie uns auch gleich.

„Mein Name ist Jonas Kölling, ich bin neu hier und sollte mich beim Direktor melden.“

„Dann wollen wir mal schauen, ob Direktor Steinhauer Zeit hat.“

Erneut griff sie zum Telefon und sprach kurz ein paar Worte, bevor sie meinte: „Du kannst rein gehen.“

Als ich sie etwas verwirrt ansah, lächelte sie mich an und deutete mit der Hand auf die geschlossene Tür, die auf der linken Seite aus dem Sekretariat führte.

„Ich gehe dann schon mal vor, sonst komme ich noch zu spät zum Unterricht und das mag unser Mathegenie nicht so gerne.“

Frau Seifert unterdrückte ein Lachen und hüstelte nur gekünstelt.

Falco legte mir noch kurz seine Hand auf die Schulter und schon war er verschwunden.

Vorsichtig klopfte ich an die Tür des Direktors und hörte von drinnen, kurze Zeit später, ein „herein“.

Als ich diese öffnete und ins Zimmer trat, stand der Direktor auf und kam mir entgegen.

„Setz dich bitte, du musst Jonas Kölling sein.“

Er deutete in die Richtung, in der sein Schreibtisch, sowie zwei Stühle standen, verschloss die Tür und setzte sich wieder auf seinen Platz.

„Ja, der bin ich. Danke“

Ich setzte mich auf den Stuhl gegenüber und wartete.

Direktor Steinhauer war ein groß gewachsener, kräftiger Mann Mitte fünfzig. Er hatte dunkle Haare und ein markantes Gesicht. Er nahm die Akte, die vor ihm lag und blätterte sie kurz durch. Ab und an las er ein wenig darin. Als er fertig war, nahm er seine Brille ab und sah mir in die Augen. Er lächelte freundlich und schob die Akte ein wenig vor.

„Du hast ja einiges durchgemacht. Ich habe letzte Woche lange mit Herrn Brinkmann vom Jugendamt telefoniert. Er sagte, dass die Bernsteins dich adoptieren wollen. In Anbetracht der Tatsache, dass es anscheinend nur noch eine Formsache ist, halte ich es für besser, wenn du dich mit deinem neuen Namen hier vorstellst.“

Ich schaute ihn ungläubig an.

„Michael Brinkmann ist der Meinung, dass es für dich das Beste ist und diese Meinung teile ich auch.“

Demonstrativ zog er die Akte wieder zu sich, strich meinen Nachnamen fein säuberlich durch und schrieb Bernstein darüber.

„So, das wäre dann ja geklärt“, meinte er mit einem verschmitzten Lächeln zu mir, bevor er plötzlich wieder ernst wurde.

„Darf ich dich etwas Persönliches fragen?“

Ich wusste nicht, worauf er hinaus wollte und nickte nur zaghaft.

Er zögerte einen Moment und schien sich die richtigen Worte zurecht zu legen.

„In dem Telefonat erwähnte Hr. Brinkmann auch, dass du schwul bist.“

Erschrocken schaute ich ihn an.

„Du brauchst keine Angst haben, ich habe damit kein Problem. Du solltest aber ein wenig vorsichtig sein, wem du das hier an der Schule sagst, es gibt bestimmt einige Mitschüler, die das anders sehen.“

Er lächelte mich wieder an und ich entspannte mich ein wenig.

„Du kannst jederzeit zu mir kommen, falls du Probleme hast. Und nun schauen wir, dass du zum Unterricht kommst. Deswegen bist du ja eigentlich hier.“

Ich war immer noch völlig perplex und nicht in der Lage, etwas darauf zu erwidern.

Er stand auf und ich folgte ihn.

„Ich bringe den jungen Mann grad zu seinem Klassenraum“, rief er im Rausgehen Frau Seifert zu.

Einige Ecken später standen wir vor einer grünen Tür, neben der ein Schild mit der Aufschrift „Raum 603“ hing.

„So, da sind wir schon. Keine Angst, dich wird niemand beißen.“

Er klopfte kurz und öffnete die Tür kurz danach.

43. Im Tal der Ahnungslosen

Falco

Gerade als Herr Kramer eine recht kompliziert aussehende Formel an die Tafel schrieb, klopfte es. Warum musste er auch gerade in der ersten Stunde nach den Sommerferien mit sowas Blödem anfangen.

Die ganze Klasse raunte, als unser Direktor mit meinem Schatz ins Klassenzimmer trat.

„Herr Kramer, ich hab hier einen Neuzugang. Das ist Jonas Bernstein! Jonas, viel Glück.“

Abermals ging ein Raunen durch die Klasse und alle schauten zwischen Jonas und mir hin und her.

„Hab ich das gerade richtig gehört, Jonas Bernstein?“, dachte ich.

Vorsichtig schob er Jonas in den Klassenraum und war auch schon wieder verschwunden.

Jonas stand etwas unbeholfen an der Tür und schaute in die Runde.

„Jonas, herzlich willkommen in meinem exklusiven Unterricht.“

Ich verdrehte die Augen.

„Sei bitte so nett und komm nach vorne und stell dich kurz vor.“

Zaghaft ging er nach vorne zum Lehrerpult und schaute mir dabei ängstlich in die Augen.

„Ja … ähm …“, er räusperte sich.

„Ich bin Jonas … ähm Bernstein und werde wohl nun öfters hier her kommen.“, sagte er leise.

„Okay Jonas, setz dich bitte, du kannst dich ja noch in der Pause mit allen bekannt machen.“

Herr Kramer zeigte auf einen freien Tisch in der zweite Reihe und Jonas ging schnell hin und setzte sich hin.

Jonas

„Oh man, ich hasse das. Erst schauen mich alle an, als wäre ich ein UFO und dann stottere ich auch noch rum, als ob ich der letzte Depp wäre“, dachte ich.

Ich drehte mich schnell zu Falco um, der einige Tische weiter hinter mir saß und sah, wie er mir aufmunternd zulächelte.

„So, meine Herren, wenn wir dann weitermachen dürften.“

Leise packte ich meine Schreibsachen aus und versuchte dem Unterricht zu folgen. Von dem, was Herr Kramer erzählte, verstand ich nicht besonders viel. Aber als ich vorsichtig zu den anderen schaute, sah ich, dass es denen nicht viel anders ging.

Nach langen Minuten klingelte es und die Doppelstunde Mathe war endlich vorbei. Nicht ohne dass wir massig Hausaufgaben aufbekamen.

Langsam leerte sich das Klassenzimmer und Falco und Fabian kamen zu mir.

„Komm, lass uns raus gehen. Deine Sachen kannst du hier lassen, die nächste Stunde ist auch hier.“

Falco legte mir kurz seine Hand auf die Schultern und ich fühlte mich sofort viel besser. Auch wenn er sie schnell wieder weggenommen hatte.

Zu dritt gingen wir durch die Massen von Schülern nach draußen. Falco voran. Ab und an blieb er abrupt stehen, um nicht mit einem der Mitschüler zusammen zu stoßen.

Es war hier ganz anders als auf meiner alten Schule. Alles war viel größer und unübersichtlicher. Ich werde wohl noch einige Zeit brauchen, bis ich mich hier zurechtfinde.

Mittlerweile waren wir auf dem Schulhof angekommen und Falco steuerte auf eine kleine Gruppe zu.

Soweit ich das sehen konnte, waren alle aus unserer Klasse.

44. Pause

Falco

„Leute, darf ich euch meinen neuen Bruder vorstellen.“

Ich legte die Hand auf Jonas Schulter und alle schauten mich erstaunt an.

„Bruder?“, fragte Klaus.

„Wie Bruder?“, meinte Jan verwirrt.

Alle schauten mich fragend an.

„Also“, fing ich an zu erklären.

„Jonas ist, wie ihr wisst, nicht mein richtiger Bruder. Er ist der Sohn von einer Bekannten meiner Eltern, die vor Kurzem gestorben ist. Und damit er wieder eine Familie hat, ist er zu uns gezogen.“

„Aber er heißt auch Bernstein?“, frage Klaus nach.

„Ja, meine Eltern haben ihn adoptiert und so ist Jonas nun mein Bruder.“

Ich sagte das nicht ohne Stolz.

Diese kleine Geschichte hatten wir uns gemeinsam mit Michael Brinkmann ausgedacht, um nicht zu viel von Jonas Vergangenheit erzählen zu müssen. Bis auf dass unsere Eltern nicht bekannt waren, war es ja auch soweit nicht mal gelogen.

Wir unterhielten uns noch ein wenig über die Ferien und dann klingelte es auch schon wieder, woraufhin wir uns wieder in Richtung Schule begaben.

Plötzlich kam ein großer kräftiger Junge auf uns zu und schubste einige kleinere Mitschüler an die Seite.

„Hey!“

Er zeigte mit dem Finger auf Jonas und kam immer näher.

„Dich Schwein kenne ich. Mit dir habe ich noch eine Rechnung offen!“

Fortsetzung folgt…

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4 Kommentare

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    • walter leutwyler auf 12. Juni 2012 bei 08:52
    • Antworten

    Ach ja, leider vermisse ich folge 13 dieser tollen geschichte! Ich hoffe dem autor ist die tinte nicht aus gegegangen so dass ich nicht vergebens warte. Es wäre ja sehr schade.
    mfg
    Walter

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    1. Hallo Walter,
      leider kam bisher nichts mehr von Autor Daniel. Wir wissen nicht ob der Autor die Geschichte noch weiter schreibt.
      Liebe Grüße
      Pit

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  1. Huhu, ein sehr schöner Mehrteiler, ich kann mich Walter nur anschließen.

    VlG Andy

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  2. Ohjeeeee 😭 Bitte weiter schreiben

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