Feliz Navidad oder nie wieder Weihnachten – Teil 3

Weihnachten 2007

Und – kaum zu glauben – es hat geklappt! Schon seit einer Woche bin ich mit Peter hier auf der „Insel des ewigen Frühlings“. Heute ist der Tag vor Heilig Abend. Fast genau ein Jahr ist vergangen, seit ich Peter so hilflos am Friedhof aufgefunden habe und es sind morgen bereits zwei Jahre seit dem Unfalltod von Alex.

Peter und ich – wir sind uns im vergangenen Jahr immer näher gekommen. Freilich, beiden ist uns klar, dass wir uns zwar mögen, sehr gern haben, aber dass es nicht, oder noch nicht, die große Liebe ist. So haben wir uns auch bisher nicht getraut, zusammenzuziehen, jeder hat seine Wohnung behalten. Wir wollen diesen ersten gemeinsamen Urlaub abwarten, wie wir miteinander auskommen, wenn wir mal mehrere Tage dauernd beisammen sind und dann eventuell über eine gemeinsame Wohnung nachdenken.

Wir haben viele Wochenende zusammen verbracht, viel gemeinsam unternommen. Aber außer Umarmungen und gelegentlichem Kuscheln und Küsschen hat es bisher keinen körperlichen Kontakt gegeben. Wir haben schon über dieses Thema geredet und übereinstimmend festgestellt, dass die Zeit einfach nicht reif ist. Irgendwie stehen unsere verstorbenen Freunde, also Alex und Andreas, immer noch zwischen uns. Uns ist aber auch klar, dass wir endlich los lassen müssen, wenn zwischen uns beiden mehr werden soll als gute Freunde, die wir ja schon lange sind. Und im Grunde wollen wir ja mehr!

Peter ist im Moment nicht hier, er ist kurz zum Einkaufen gegangen, Wasser will er holen und ein wenig Gebäck für den Nachmittagskaffee. Ja, wir haben hier ein Apartment gemietet mit einer kleinen Küche, Kitchenette nennen sie das. Wir haben zwar Halbpension gebucht, aber so können wir uns doch während des Tages auch selbst was zubereiten. Ist ja doch eine lange Zeit zwischen Frühstück und Abendessen.

Und so freue ich mich schon auf einen guten Kaffee, den wir hernach draußen am Balkon trinken werden. Das muss man sich auch erst mal auf der Zunge zergehen lassen – heute am Tag vor Heilig Abend – Kaffee trinken am Balkon! Dem Golfstrom und den Passatwinden sei dank! Diesen verdanken ja die Kanaren das milde Klima, habe ich gelesen. Freilich, sobald die Sonne weg ist, kann es ganz schön frisch werden, da geht es dann ohne Jacke nicht mehr.

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Aber noch haben wir Sonne pur und ich lasse mich hier am Balkon von ihr verwöhnen, der Winter in der Heimat kommt früh genug wieder.

Eine Woche sind wir nun bereits hier und haben bisher nur Schönes erlebt. Jeden Tag nach dem ausgiebigen Frühstück marschieren wir barfuss den langen Sandstrand von Ingles entlang. Gehen dann entweder durch bis Maspalomas, oder aber, wenn der Wind zu sehr bläst, kehren wir früher wieder um. Diese stundenlangen Strandwanderungen, mal im Wasser, mal im Sand, finden wir einfach herrlich. Machen aber auch ganz schön hungrig. So ist es nicht verwunderlich, dass wir die Zeit bis zum Abendessen im Hotel mit selbst zubereiteten Speisen verkürzen.

Auch abseits der Touristenpfade haben wir uns schon bewegt. Von einem Kollegen, einem echten Kanarenfan, habe ich den Tipp bekommen, nach Möglichkeit nicht in den Touristenzentren einzukaufen, sondern lieber etwas weiter zu gehen, nach San Fernando zum Beispiel, dort, wo die Einheimischen wohnen und eben auch einkaufen. Und so waren wir schon ein paar mal dort, ist auch nur ein Fußmarsch von vielleicht zwanzig Minuten, und haben wesentlich preiswerter eingekauft.

Es gibt vor der Kirche in San Fernando einen Park mit in Zuckerhutform geschnittenen Birkenfeigen, riesige Bäume bereits und wunderschön anzusehen. Vor allem Peter hat es dort so gut gefallen und so sind wir jetzt schon des öfteren dort gewesen und haben viele Fotos geschossen.

Natürlich waren wir auch schon im Yumbo-Zentrum, der Schwulenhochburg. Haben uns ein wenig dort umgesehen. Lästig ist es, weil man immer gleich angesprochen wird und zum Eintreten animiert wird, sei es in den Geschäften oder den Esslokalen. Überrascht waren wir von der Vielzahl der schwulen Kneipen, die vor allem im Untergeschoss wuchern.

Für die paar Tage unseres Urlaubs, die uns nach den Feiertagen noch bleiben, haben wir uns für eine sogenannte Panoramafahrt angemeldet. Sie führt rund um die ganze Insel und zeigt uns auch den angeblich grünen Inselnorden und die Hauptstadt Las Palmas.

Aber vorerst ist ja Weihnachten angesagt, morgen der Heilige Abend. Wir haben eigentlich nichts Besonderes geplant. Ein festliches Weihnachtsbüfett wird es am Abend im Hotel geben. Naja, mussten wir auch extra zahlen dafür. Aber sonst? Irgendwie fehlt uns einfach bei diesem Wetter der Bezug zu dem Fest.

Ich weiß auch noch gar nicht, was ich Peter schenken soll. Nur eines weiß ich: Ein Christbaum muss her! Schon Peter wegen! Und ich habe auch schon einen ins Auge gefasst. In einem Geschäft in San Fernando haben wir künstliche Weihnachtsbäume gesehen, in allen Größen und Preisklassen, bereits wunderbar geschmückt und in allen Farben leuchtend. Kitschig vielleicht, aber die Spanier, wie wir feststellten, lieben zu Weihnachten eben das Bunte, Grelle und Glitzernde. Und sind wir derzeit nicht auch so was wie, naja, sagen wir mal halbe Spanier? Vor allem Peter war ganz begeistert von dem Baum, nur mit Mühe konnte ich ihn vom Geschäft und den Bäumen losreißen. Ich muss ihm einfach die Freude machen! Irgendwie bringe ich den Baum schon heimlich ins Hotel, irgendwie schaffe ich es schon, ohne dass Peter was mitkriegt.

Ich weiß nicht, wo Peter so lange bleibt. Er wollte doch nur einkaufen! Mich beschleicht wieder diese Angst: Es wird doch nichts passiert sein! Ja, ich weiß, ich muss mich zusammenreißen, was soll auch schon groß geschehen sein. Sicher kommt er gleich.

Aber er kommt nicht und ich vergehe vor Angst! Natürlich, ob ich will oder nicht, gehen meine Gedanken zwei Jahre zurück. Alex wollte ja auch nur noch schnell die Lichterkette holen und ist nie mehr zurückgekommen. Freilich, Alex war mit dem Auto unterwegs, Peter „nur“ zu Fuß. Aber trotzdem, wenn ich sehe, wie manche hier im Ortsbereich rasen und auch an einem Fußgängerübergang nicht halten, da ist man doch auch als Fußgänger nicht sicher! Warum muss ich immer gleich das Schlimmste annehmen! Aber ist das ein Wunder nach den Geschehnissen vor zwei Jahren?

Ja, jetzt merke ich erst so richtig, was mir dieser Mensch bedeutet und dass ich mir ein Leben ohne ihn – ja, es ist wirklich so – gar nicht mehr vorstellen kann. Ich habe mich so an ihn gewöhnt, sein Lächeln, seine charmante Art, seine Hilfsbereitschaft, einfach alles! Gerade diese Tage des gemeinsamen Urlaubs bisher haben mir gezeigt, dass wir zusammengehören, ja, dass ich ihn liebe! Ich kann es nicht anders sagen.

Ich halte es im Hotel nicht mehr aus, ich bin zu Fuß unterwegs Richtung San Fernando. Ich weiß ja, wo er einkaufen wollte. Aber mir begegnen zwar viele Leute, vollgepackt mit allen möglichen Tüten, aber kein Peter ist dabei.

Wo könnte er nur sein? Natürlich, warum bin ich da nicht eher drauf gekommen, der Platz vor der Kirche, sein Lieblingsort, seit wir hier sind, dort wird er sein!

Ich gehe am Kinderspielplatz vorbei, den Weg hinauf zur Kirche. Ein paar ältere Kanarios sitzen auf einer Bank, unterhalten sich lautstark und genießen nebenbei die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Die anderen Bänke sind unbesetzt, bis auf eine, ganz vorne.

Jawohl, da sitzt Peter, genau, wie ich es mir vorgestellt habe. Und jetzt, wo ich ihn so vor mir sitzen sehe, endlich wieder sehe, ja, jetzt weiß ich genau, ich liebe diesen Kerl!

Leise trete ich zu ihm hin. Er ist so in Gedanken, dass er erst jetzt, da ich schon unmittelbar vor ihm stehe, zu mir aufsieht und mich anlächelt.

„Tut mir leid, Tom, dass ich so lange fort geblieben bin und noch nicht einmal eingekauft habe ich, aber weißt du, ich habe das jetzt einfach gebraucht, musste über Vieles nachdenken, da wollte ich alleine sein, sei mir bitte nicht böse!“

Ich setze mich neben ihn auf die Bank, lege meinen Arm um ihn, ziehe ihn zu mir heran und gebe ihm einen Kuss. Etwas überrascht sieht er mich mit großen Augen an.

„Ich bin dir nicht böse, Peter, wie könnte ich auch. Aber lass mich bitte nie mehr so lange allein. Du warst jetzt nur die paar Stunden weg und trotzdem hast du mir so sehr gefehlt. Peter, ja, jetzt ist mir klar geworden, ich liebe dich und möchte dich nie mehr verlieren!“

Er hat Tränen in den Augen, möchte etwas sagen, aber ich komme ihm zuvor.

„Tut mir leid, Peter, wenn ich dich jetzt mit meinen Geständnissen überfahren habe, aber ich wollte das einfach los werden. Du musst nichts darauf sagen, lass uns einfach heimgehen, miteinander heimgehen!“

Heiliger Abend auf Gran Canaria. Nach dem Frühstück haben wir uns, wie schon die Tage zuvor, zum Strand aufgemacht. Da der Wind erträglich war, sind wir wieder mal durchgegangen, den ganzen Strand von Ingles bis zum Leuchtturm in Maspalomas und natürlich auch zurück.

Da sich Peter später ein Mittagsschläfchen gönnte, um für den langen Abend fit zu sein, habe ich mich leise davongeschlichen, um das Bäumchen zu holen. Ich hatte Glück, dass gerade der Baum, der Peter so gefallen hat, noch zu haben war. Ich habe ihn gleich so mitgenommen, gar nicht einpacken lassen. Zwar haben die Leute unterwegs etwas komisch geschaut, wie ich da mit dem geschmückten Baum durch die Straßen latsche, aber das war mir sowas von egal. Hauptsache, ich kann Peter eine Freude machen! In einem Kämmerchen hinter der Rezeption durfte ich den Baum vorerst bis zum Abend deponieren.

Und als ich ins Zimmer kam und den noch immer schlafenden Peter sah, habe ich mich gleich wieder aufgemacht und in einem Geschäft im Yumbo-Zentrum einen Ring für Peter gekauft. Wir haben sie uns schon mal zusammen angesehen, so weiß ich ungefähr, was ihm gefällt. Ich will ihm den Ring schenken. Ob es eine Art Verlobungsring wird, das kann ich nicht sagen. Das hängt ja auch von ihm ab. Er hat nämlich bisher auf mein Liebesgeständnis gestern im Park von San Fernando nicht reagiert. Und so hänge ich quasi in der Luft, weiß nicht, wie er denkt. Und das kann ganz schön nerven! Freilich sind wir bisher gut zurecht gekommen als gute Freunde, aber ich möchte halt mehr, weil ich ihn liebe. Und er? Wenn ich das nur wüsste!

Es ist nun früher Abend an diesem Heiligen Abend. Ja, es ist Zeit für die Bescherung. Peter ist im Bad und das kann etwas dauern. Ich hole rasch den Christbaum und stelle ihn auf das Tischchen. Ich schalte die Beleuchtung ein und sogleich glitzert der Baum in allen Farben.

Endlich kommt Peter aus dem Bad und mit großen Augen schaut er auf den bunten Baum. Die Überraschung ist mir scheinbar wirklich gelungen, denn Peter bekommt den Mund nicht zu vor lauter Staunen und immer wieder schüttelt er den Kopf

„Du bist verrückt, du bist verrückt“ lachend fällt er mir um den Hals.

Und nach einer Weile des Baumbestaunens fährt er fort:

„Ich habe gestern nicht reagiert auf deine Aussagen im Park. Aus dem einfachen Grund, weil ich kein eigentliches Weihnachtsgeschenk für dich habe. Zumindest nicht hier, du kriegst es daheim. Und so habe ich halt leider nur ein verbales Geschenk für dich. Tom, ich habe es mir lange nicht eingestehen wollen, aber ja, ich liebe dich auch von ganzem Herzen und will nie mehr ohne dich sein!“

Überwältigt von diesem „Geschenk“ hole ich den Ring und stecke ihn Peter an den Finger.

„Woher weißt du..?“

„Was soll ich wissen?“

„Naja, ich habe doch auch einen Ring für dich, warte mal…“

Und Peter öffnet eine Schublade und zaubert ebenso einen Ring hervor und steckt ihn wiederum mir an den Finger.

Was soll man da noch sagen? Wir umarmen und küssen uns wie nie zuvor.

Gemeinsam treten wir auf den Balkon hinaus, sehen über uns die vielen leuchtenden Sterne am Himmel, unter uns die bunten Lichter der Touristenstadt und von irgend wo her erklingt ein „Feliz Navidad“.

„Fröhliche Weihnachten, Peter, und dass wir noch viele solche glückliche Stunden zusammen erleben dürfen!“

„Feliz Navidad, Tom, an mir soll es nicht liegen!“

Ich sehe wieder hinauf zu den Sternen und denke an unsere verstorbenen Freunde und ich weiß, ich glaube es einfach, das sie uns sehen und sich mit uns freuen.

„Feliz Navidad, Alex“ flüstere ich vor mich hin „und es wird immer ein Weihnachten geben, weil die Liebe nie ausstirbt!“

Peter muss meine Wort genau verstanden haben. Mit Tränen in den Augen sieht er mich an, sieht ebenso hinauf zu den Sternen und flüstert:

„Feliz Navidad, Andreas, auch wenn es uns auf Erden nie vergönnt war, ein gemeinsames Weihnachten zu erleben, ich weiß, du freust dich mit mir, dass ich nun mit Tom Weihnachten feiere,  und dass wir uns lieben!“

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