Das Boycamp I – Teil 1

So ein Mist, dachte Nico, als der Kleinbus in dem kleinen Nest in Norddeutschland auf dem Bahnhofsvorplatz vor ihm einfuhr. Er hatte so gehofft, dass die ganze Aktion hier ins Wasser fallen würde, aber dem war anscheinend nicht so.
Dass ihn seine Eltern so mir nichts dir nichts für 14 Tage in ein Camp stecken wollten war immerhin schon ein Hammer. Eine Gruppe von Pschologen hatten eine Idee, und Nicos Vater war sofort Feuer und Flamme. Er kannte diese Leute und an einem schwülen Abend im Biergarten entstand wohl die Idee. Jungs aus unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten zusammen in einem Camp die Natur erleben lassen – mit und in ihr zu leben.
Er stellte seine Reisetasche auf den Boden und verhielt sich zunächst unauffällig. Nichts an ihm deutete an, dass er zu dieser sicher illustren Gruppe gehörte.
Sinn und Zweck des Ganzen? » Ich denke du solltest lernen dass es auch noch andere Dinge als Schule und Computer gibt. Zusammenhalt, Freundschaft, Vertrauen – das meine ich, kann man immer lernen. Geh da mal hin, schaden wird es dir nicht « war der Kommentar seines Vaters dazu.
Nico blieb nicht viel anderes übrig als Missmutig zuzustimmen. Ferien konnte man sicher auch anders erleben, aber er würde das nur einmal in seinem Leben mitmachen. Und mit 16 hat man nun eben mal ein eher stark eingeschränktes Stimmrecht.
Genaues über den Ablauf dieser zwei Wochen erfuhr er nicht, anscheinend hielten seine Eltern dieses Schreiben von ihm fern. Aber egal, notfalls konnte man ja krank werden. Besonders wenn es regnen sollte.
Schon auf der Hinfahrt im Zug bastelte sich Nico alle möglichen Ausweichsituationen zusammen und irgendwie würde er sich um vermeidlich gefährlichen Einsätze herumdrücken.
Mehr alles andere beschäftigte ihn die Frage, wen alles er dort wohl antreffen würde. Wahrscheinlich irgendwelche ausgeflippten Tpen, die man jetzt wieder in die soziale Struktur einfügen wollte. Ihm grauste es immer mehr, mit jedem Kilometer den er fuhr.
Nun also stand dieser Bus vor ihm. Und drinnen saß niemand, außer dem Fahrer. Vielleicht kamen die anderen ja gar nicht und man blies die Aktion ab.
Nico drehte sich vom Bus weg und zündete sich eine Zigarette an. Wahrscheinlich die letzte für lange Zeit.
» He, Kleiner « hörte er jemanden rufen und drehte sich erschrocken nach dem Urheber der Stimme um. Erleichtert stellte Nico fest, dass er nicht damit gemeint war.
Ein Junge, höchstens 14, zerrte seine Tasche zu dem Bus, dessen Fahrer diese Stimme gehörte.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Nico, wie der Fahrer dem Jungen die Hand gab und sein Gepäck im Heck des VW – Busses verstaute.
» So, jetzt fehlt nur noch einer « hörte er den Mann sagen, der vielleicht Vierzig war und ziemlich durchtrainiert aussah.
Nico überkam eine Gänsehaut. Verschwinden, das war die einzige Möglichkeit dem hier zu entrinnen. Rasche Flucht mit dem nächsten Zug zurück.
Aber es war zu spät.
» Bist du zufällig Nico Hartmann? «
Nico ließ den Kippen unauffällig hinter seine Füße fallen. » Äh, ja, schon.. «
Der Mann streckte ihm seine Hand entgegen. Naja, Hand war das nicht, das war eine Bärenpranke.
» Leo Meier. Kannst aber Leo zu mir sagen, ich werd diese Tage mit ein Auge auf euch werfen. «
Nico überkam ein ungutes Gefühl Wo geriet er da hin? In eine Besserungsanstalt? Ein bisschen Knast? Freiheitsberaubung? Er wähnte sich plötzlich in einem schlimmen Alptraum, auch wenn dieser Leo trotz seinen fast zwei Metern und sicher 80 Kilo Lebendgewicht einen smpathischen Eindruck machte. Irgendwie wenigstens.
Leo nahm Nicos Tasche, staute sie ins Heck und warf sich wuchtig hinter das Steuer. Erstaunlich, dachte Nico noch, dass der den Wagen überhaupt steuern konnte.
Er sah neben sich. Der Junge neben ihm war noch ziemlich klein, also im Verhältnis, rote Haare, blasse Haut, Sommersprossen. Aber irgendwie schien der sich im Gegensatz zu Nico zu freuen. Strahlend hielt er Nico seine Hand hin.
» Ich bin Oliver Klein. Also, klein bin ich schon noch, aber das ist mein wirklicher
Nachname. «
Etwas gequält drückte Nico die Hand und stellte sich vor.
Leo nahm sein Hand nachdem er losgefahren war und begann mit jemandem zu schwatzen. Laut tat er das und er konnte markerschütternd lachen.
» Hab die beiden letzten eingefangen. Sind in einer halben Stunde da « hörte Nico ihn sagen.
Der Bus verließ die Kleinstadt und nun nichts als Felder, Wälder, Wildnis. Ab und an ein Bauernhof, aber auch die ließen mit jeder Minute Fahrzeit nach, bis es schließlich nur noch auf einem staubigen Feldweg in die Pampa ging.
Nico verstand sich gut mit seinen Eltern, aber ab heute nahm er sich vor das zu ändern. Er würde ihnen wohl zum ersten Mal in seinem jungen Leben die Meinung über ein solches Verhalten geigen. Ihm war eigentlich zum heulen zumute und Hunger hatte er auch.
Was würde es da draußen wohl geben? Würmer? Gras? Baumblätter? Keine Pommes, kein Schnitzel, kein Burger. Nichts. Und trinken? Wasser aus dem Fluss? Bach? Quelle?
Ihm wurde leicht übel. Das konnte aber auch an der Straße gelegen haben, die jetzt wirklich nur noch ein holpriger, schmaler Waldweg war. Ab und an rauschte es in den Radkästen, wenn Leo mit einem Affenzahn durch die wenigen, aber tiefen Wasserpfützen donnerte.
Plötzlich flog eine Schachtel Zigaretten nach hinten, direkt in Nicos Schoß.
» Hier, die letzte. Wenn du rauchen musst ist es die nächste Zeit besser, du lässt dich nicht dabei erwischen. «
Nico sah, wie Leo in den Rückspiegel grinste.
Wenn es einen in dieser Öde gab, dem Nico ab diesem Moment rigoros vertraute, dann würde das Leo sein.
» Du rauchst schon? « fragte Oliver mit großen Augen.
» Nee, hast ja grade gehört, ich bin dabei anzufangen aufzuhören. «
Oliver schien über die Worte ernsthaft nachzudenken und Nico huschte das erste Mal seit zu Hause ein Lächeln über das Gesicht.
Mitten in dem dichten Buchenwald tauchte dann eine Holzhütte auf. Sie war nicht eben klein, einige Geländeautos standen davor und – eine ganze Horde Jungs hockten auf oder um ihre Gepäckstücke. Neugierig beobachteten sie die Ankunft des Busses.
Nico wurde wieder ungemütlich in seiner Haut. Was war das bloß für eine Gesellschaft?
Schnell versuchte er sich ein Bild von den Geschöpfen zu machen, aber es gelang ihm kaum. Die meisten Jungen hatten ganz normal Jeans und T-Shirts an, normale Frisuren, er konnte nichts Gammeliges feststellen.
Leo tritt unwirsch in Bremsen so dass Staub aufwirbelte, stieg aus und öffnete die Heckklappe.
» Aussteigen, Jungs, wir sind da « sagte er und hob die Taschen freischwebend in den Händen den beiden hin.
Kraft, dachte Nico, dieser Mann ist nichts als Kraft.
Langsam bewegten sich die beiden dem losen Haufen zu. Kein Laut, niemand unterhielt sich, die sahen nur zu Nico und Oliver herüber.
Nico spürte dass seine Knie weich wurden. 16 Jungs zählte er rasch durch. Und irgendwie passte der bunte Haufen überhaupt nicht in diesen grünen, von der Sommersonne durchfluteten Wald.
Ein Mann kam die Veranda der Hütte herunter. Tarnanzug, so wie ihn die Bundeswehr trägt, bemerkte Nico schnell. Und dieser Mann da drin war schmal, hochgewachsen, kantiges Gesicht, dunkle, kurze Haare und ein Gang wie eine Katze.
Der Mann stellte sich mitten in die Gruppe und stemmte die Hände in die Hüften. Langsam ließ er seinen wachen, mit blauen Augen bestückten Blick in die Runde streifen.
» Hallo zusammen. Mein Name ist Falk Stein und ich bin eurer Betreuer für die nächsten 14 Tage. Also, ihr habt richtig gehört, ich bin Betreuer, kein Ausbilder. Mein Aufzug muss euch nicht stören, der ist einfach nur praktisch hier draußen. Wie ihr wisst, geht es um ein neues Projekt und ihr seid die ersten die es ausprobieren sollen. Macht euch keinen Stress, es gibt nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren. Ihr werdet über dieses Projekt am Ende einen Bericht anfertigen, und an dem werden wir messen was wir besser oder eben auch anders machen sollen. «
Einige Gesichter hellten sich nach diesen Worten auf, Gemurmel war zu hören.
Nico ließ seine Blicke jetzt etwas intensiver über die Truppe schweifen. Eigentlich ziemlich passable Figuren dachte er und in diesen Sekunden regte sich endlich auch wieder ein Gefühl.
Jenes nämlich, das seit seiner Erwartungsangst über dieses „Seminar“ fast gestorben war. Seit einiger Zeit fühlte er sich seltsam zu Jungs hingezogen, obwohl er es nicht verstehen konnte. Seine erotischen Träume beschränkten sich auf ein paar sehr junge Popdivas und deren Poster an der Wand in seinem Zimmer waren auch immer schon sein Blickfang. Aber nun schien das plötzlich irgendwie anders zu sein.
Die Jungs dürften so zwischen 14 und 17 gewesen sein, dazwischen vielleicht ein Jahr jünger oder älter.
An einem der Jungen blieb sein Blick hängen, fast schon kleben. So groß wie er, schlank, verwaschene Jeans, ein dunkles Trägerhemd, Turnschuhe. Dunkelblonde, kurze Haare, in die er seine Sonnenbrille geschoben hatte und alles in allem eine sehr anziehende Erscheinung. Aber da, zwei Reihen weiter, noch einer. Etwas kleiner, kurze Jeans, grellgelbes T-Shirt, dunkle, halblange Haare und ziemlich braungebrannt. Auch nicht schlecht. Er fand noch drei weitere Bos, die wirklich zum anbeißen aussahen. Der Rest war halt der übliche Durchschnitt, aber ein so richtig kleines hässliches Entlein war nicht darunter.
» So, Männer. Jetzt gehen wir rein und ich werde euch vorstellen, was so auf euch zukommt. «
Nico blinzelte kurz, als sei er aus einem Traum hochgeschreckt worden. Nachdenklich nahm er seine Tasche und folgte den anderen in die Hütte.
Innen war die erstaunlich groß, ein Raum war zu einem kleinen Hörsaal umgebaut worden. Ein weiterer Mann stand bereits in dem Raum – ebenfalls im Kampfanzug, aber der Mann war wesentlich jünger als Falk Stein.
Fast wortlos setzte sich die Truppe auf die spartanischen Stühle und Falk Stein begann mit seinen Ausführungen.
» Das hier ist Rainer Bode, einer meiner Mitarbeiter. Er wird sich neben mir um euch kümmern. «
Der junge Mann hob die Hand und lächelte.
Stein fuhr fort. » Also, zunächst werdet ihr hier in dem Haus die erste Nacht verbringen. Morgen früh beginnt um 6 Uhr Wecken.. « vereinzelt war ein tiefer Seufzer zu hören.. » Frühstück um 7 Uhr und um 8 Uhr einkleiden. Vergesst eure Klamotten, damit könnt ihr hier nichts anfangen; wir wissen von euren Eltern die Konfektionsgröße und haben alles vorbereitet. Außer euren privaten Habseligkeiten braucht ihr also nichts. Um Zehn aufsitzen in den Bus, Abmarsch ins Gelände. Ankunft am Zielort um 11 Uhr, danach einteilen der Mannschaften. Um 12 Uhr Mittagessen. 13 Uhr Aufbau der Zelte unter Anleitung, sowie Aufteilen der Aufgabengebiete. Erste Exkursionen je nach Uhrzeit und um 18 Uhr Einteilung der Kochmannschaft. Um 19 Uhr Grill anwerfen, um 20 Uhr Abendessen. Danach Gruppenabend zum kennenlernen und um 22 Uhr ist Feierabend. Gibt’s da noch Fragen? «
Die Truppe schluckte. Jeder, und Nico sah die ungläubigen Gesichter. Erste Arme flogen nach oben.
Stein deutete mit einem Stab auf die, die ihre Frage stellen sollten.
» Äh, das ist ja doch Militär.. «
Stein entwich ein Lächeln. » Es hört sich so an, ist es aber nicht. Ihr werdet sehen. «
» Um Sechs wecken? Jeden Morgen.. ?«
» Ja, um Sechs. «
» Und kochen müssen wir auch selbst? «
» Ja, jeder kommt dran. «
» Und was machen wir die restlichen Tage da draußen? «
» Das ist noch geheim, aber ihr werdet es nicht bereuen. «
» Und wenn es nun regnet? «
» Wetter ist etwas, das man durchaus ignorieren kann. «
Nico wusste in dem Augenblick, dass er flüchten würde. Abhauen, türmen, stiften gehen.. nur nicht hier bleiben. Verstohlen zog er sein Hand aus der Tasche und sah ungläubig auf das Displa. Kein Empfang. Das war gewollt. Man hatte eine Gegend gewählt die keine Art von Zivilisation mehr enthielt. Leergesaugt vom Vakuum der Natur.
Sein Blick fiel auf den linken Nachbarn. Das war der mit dem grellen T-Shirt. Wie auf Kommando sah auch er in diesem Augenblick zu Nico.
» Schöne Scheiße « hörte ihn Nico flüstern.
» Kannst du wohl sagen. «
Er hielt seine Hand hin. » Nico. «
Der Junge lächelte etwas. » Stefan. «
Immer noch wurden Fragen gestellt und beantwortet. Stein wurde es nicht leid, er schien Geduld zu haben. Eine doch eher seltene Gabe, dachte Nico.
Irgendwann war dann Ruhe in dem kleinen Saal.
» Ok, ihr könnt weitere Fragen jederzeit stellen, aber ich denke es wird Zeit dass ihr eurer heutiges Nachtquartier bezieht. Es ist ein bisschen eng und vielleicht auch etwas unbequem, aber hier draußen gibt’s halt keine Kompromisse. «
Falk Stein trat zur Tür und bat die Jungs mit einer Handbewegung, ihm zu folgen.
Die Truppe folgte ihm, mehr oder weniger schweigsam. Stein blieb an einer stabilen Holzleiter stehen.
» Allesamt hier hoch « sagte er, jedoch nicht im Befehlston. Nacheinander stiegen die Jungs die Leiter nach oben.
Nico steckte den Kopf durch die Luke. Es war warm hier oben und roch nach frischem Heu. Er zog sich in den Dachboden und erkannte 18 Schlafsäcke, säuberlich wie auf einer Schnur nebeneinander aufgereiht im Stroh. Dazwischen nicht mehr Platz als ein halber Meter.
» Was soll das denn? « jammerte einer der Jungs.
» Glaub ich jetzt nicht « ein anderer.
» Die spinnen. Wie soll…« konnte ein dritter nicht beenden.
Rainer Bode stand plötzlich im Raum. » Also, meine Herren. Das ist ja nur für diese Nacht, immerhin kommen einige von euch von ziemlich weit her und Schlaf ist das Gebot der Stunde. Waschen kann man sich unten, hinter dem Haus ist ein Brunnen, Waschzeug habt ihr ja hoffentlich dabei.
Die Toiletten sind hier hinten an der rechten Seite und den Schlafsack, den sich jetzt jeder heraussucht, wird er dann auch mitnehmen. Also merkt euch euren Platz. Und – hier oben wird übrigens nicht geraucht, verstanden? «
Grummeln, wild durcheinander. Nico war klar dass kaum einer diese Nacht ein Auge zumachen würde. Er auch nicht. Dennoch spürte er jetzt die Müdigkeit und ließ sich einfach auf einen der Schlafsäcke fallen. Neben ihm dann ein weiteres dumpfes Geräusch – der Junge mit der Sonnebrille schlug rechts neben ihm auf.
Der starrte an die Decke. » Uff. So eine Kacke. Und ausgerechnet mir muss das passieren. «
Nico konnte das Gesicht in dem schwach beleuchteten Raum kaum erkennen, aber es reichte ihm, das Profil zu studieren. Und es gefiel ihm sehr gut. Dieser Nachbar war auszuhalten.
» Ich glaub das geht hier jedem so « sagte er. » Heiße Nico. «
Der Junge sah ihn an. » Manuel. «
Plötzlich war Nico wieder wach, aber zu einem Gespräch kam es nicht.
» Dann werd ich jetzt mal runtergehen und meinen Bod abstauben « sagte Manuel eher gedrückt als fröhlich.
» Warte, ich komm mit. «
Wieso sagte er das? Egal, hier war heute jeder durcheinander und so manches würde seine Zeit brauchen um in die Reihe zu kommen.
» Hast du Deo dabei? « fragte Manuel plötzlich. » Hab meins aufgebraucht in dem beschissenen heißen Zug. «
Nico grinste. » Klar. «
Sie stiegen die Leiter nach unten und brauchten eine Weile bis sie den Brunnen hinter dem Haus gefunden hatten.
Manuel verdrehte ungläubig die Augen.» Ich glaub das einfach nicht. Keine Dusche, kein Fön, kein Radio – einfach nur pures Nichts. «
» Nö, ich glaub das können wir uns erst Mal abschminken. «
» UND-DANN-IST-DIESES-VERDAMMTE-WASSER-AUCH-NOCH-SAU-KALT! « rief Manuel jedes Wort laut betonend, als er seine Hand in das Wasser tauchte.
» Nana, wer hat dir denn das Fluchen beigebracht? « wollte Falk Stein plötzlich wissen.
Manuel schluckte. Vielleicht braute sich jetzt ein Streit zwischen den beiden zusammen, und dieser Falk stand auf einmal dicht bei ihm.
» Ich kann ja verstehen dass euch da jetzt einiges nicht passt, aber vielleicht erinnert ihr auch nach dieser Zeit daran wie schön ihr es eigentlich habt. Denkt bitte dran, dass eure Eltern euch nicht loswerden oder umerziehen wollen. Nehmt es einfach mal als ganz andere Abwechslung – und dieser Spaß ist im übrigen alles andere als billig. Denkt drüber nach. «
Nico und Manuel sahen sich mit großen Augen an, als Stein um die Ecke verschwand.
» SPAß? Sag mal, was haben wir eigentlich angestellt, damit uns unsere Ellis hier vergammeln lassen? «
Nico zog die Schultern hoch. » Keine Ahnung. Aber wir sollten vielleicht mal abwarten. Abhauen können wir ja immer noch. «
Manuel stutzte. » Abhauen? Wohin um Gottes Willen? Hier kommst du doch höchstens mit Flügeln weg. «
Manuel zog sein Hemd über den Kopf und Nico schielte zu ihm hin. Ein wunderschöner Bod, dachte er. Ein Piercing am Bauchnabel ist vielleicht nicht Jedermanns Sache, aber ihm gefiel es.
Bibbernd schüttete sich Manuel das Wasser ins Gesicht und tauchte jammernd seine Arme in den Brunnen.
» Das glaubt mir zu Hause niemand « sagte er und dann tauchte er seinen ganzen Kopf in das kalte Wasser. Prustend schüttelte er anschließend seinen Kopf und damit wurde auch Nico nass, der sich eher zimperlich mit dem Wasser abgab. Aber Manuels Körperspiel gefiel ihm.
Manuel frottierte sich die Haare. » Was meinst du, wie viel Schwule werden wohl da oben liegen? « fragte er plötzlich wie beiläufig. Und in seinen Augen war etwas, das Nico nicht deuten konnte.
Er schluckte.
Nico versuchte aus der Frage schlau zu werden. » Wie meinst du das denn? «
Manuel hängte sich sein Hemd um die Schulter und starrte ihn an.
» So wie ich es fragte. «
» Äh, und dann? «
Manuel starrte weiter. » Was und dann? «
» Ja, wenn da welche drunter wären, mein ich? «
» Das wär nicht gut. Ich kann solche Tpen nicht leiden. «
In Nico brach etwas zusammen, was er gar nicht richtig deuten konnte.
» Aha. Und warum nicht? « Er wusste, dass diese Frage Probleme aufwerfen würde, aber er merkte es erst nachdem er sie gestellt hatte.
» Mann, gehörst du auch zu der Sorte? Die sind das Letzte. «
Nico begab sich aufs Glatteis. Abhauen – das konnte er immer noch. Und außerdem würde er all die Jungs hier nie wieder sehen. Er gestand sich ein, Gefallen an Manuel gefunden zu haben und nun würde es eben nichts mit einer Freundschaft.
» Und warum sind sie das? « fragte er deswegen leicht provokant.
Manuel sagte nichts mehr. Er winkte abweisend und ließ Nico stehen.
Gerade als Nico die Leiter hochsteigen wollte, kamen ihm zwei Füße entgegen, jemand war im absteigen begriffen. Es war einer der Bos, die ihm auch positiv aufgefallen waren und in den engen Shorts zeichnete sich ein schöner Hintern ab. Notgedrungen machte er dem Jungen Platz.
» Wo geht’s denn hier zur Waschmöglichkeit? « fragte dieser, nachdem er neben ihm stand.
Nico suchte nach Worten. » Äh, da, hinter dem Haus. Aber ich kann’s dir auch zeigen. «
» Ja, dann mach mal, die machen Stress wenn wir nicht um zehn in der Falle liegen. «
Nico ging voraus, der Junge mit seinem großen Badetuch um die Schultern hinterher.
» Da ist es. Aber paß auf, das Wasser ist schweinekalt. «
Der Junge grinste. » Macht nichts, ich komm vom Land, da ist man sowas schon mal gewöhnt. «
Er hatte eine schöne Stimme und auch sonst passte da alles zusammen. Nico ertappte sich dabei, ihm zuzusehen wie er sein Hemd auszog.
Und dann harrte der Junge in seinem Tun. » Sag mal, ist was? «
Nico wurde unsicher. Er hatte das ja nicht gewollt, es war wie ein Zwang. » Äh, nö, im Gegenteil. «
Der Junge begann sich zu waschen. » Dann ist ja gut. «
Nico drehte sich um und zog es vor zu verschwinden. Er hatte keine Lust, sich noch einmal als Schwuler schimpfen zu lassen. Er würde sich ab jetzt noch mehr zurückhalten als sonst.
Es war zu heiß auf dem Dachboden um in den Schlafsack zu schlüpfen und nun lag Nico, bekleidet mit einer kurzen Schlafanzughose, auf diesem.
Vor seinem rechten Nachbarn hatte er nun irgendwie Respekt, obwohl er kein Angsthase war. Aber wer lag eigentlich links von ihm? Er konnte es nicht sehen, nur ein zusammengeknüllter Schlafsack, in dem jemand stecken musste.
Irgendwer schnarchte wohl schon, einige Jungs unterhielten sich leise – bis plötzlich eine Stimme den Raum erfüllte.
» Meine Herren, Nachtruhe. «
Mehr sagte Falk Stein nicht. Nico rätselte, wie der Mann so lautlos die Leiter heraufgestiegen war.
Stein blickte in die Runde und dann ging das Licht aus und nur eine kleine, schwache Lampe brannte noch am Ausgang wo die Leiter stand und Falk Stein verschwand auf dieser nach unten.
Nachdem sich Nicos Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten setzte er sich auf. Wie zu erwarten war, begann kurz darauf leises Gewisper, rascheln der Schlafsäcke und weiter hinten leuchtete erst ein Feuerzeug, dann das Glimmen einer Zigarette auf.
» Spinnst du? Willst du uns hier oben abfackeln? «
» Quatsch, ich paß schon auf. Ich brauch die gegen den Stress hier. «
Nico konnte nicht erkennen wer den leisen Disput führte, aber er überlegte, ob er sich dem Raucher nicht anschließen sollte.
» Ich könnt jetzt auch eine brauchen « hörte er seinen linken Nachbarn plötzlich flüstern.
» Na komm, dann lass es uns tun. Wenn sie uns erwischen schmeißen sie uns raus und schon sind wir weg aus dieser Scheiße hier « flüsterte er zurück.
Der ihm noch Unbekannte setzte sich ebenfalls auf und reichte Nico die Hand.
» Erkan Yüslüm. «
Nico stutze. Das war der Türke, der ihm nur am Rande aufgefallen war. » Nico Hartmann. Na dann komm, lass uns sündigen. «
Er kramte in seiner Tasche nach der Schachtel. » Aber ich denke wir sollten trotzdem aufpassen. Vielleicht schicken sie uns dann gar nicht heim und wir müssen Strafarbeit leisten. «
Als sein Feuerzeug aufleuchtete konnte er zum ersten Mal das Gesicht seines Nachbarn richtig erkennen. Ihm stockte fast der Atem. Es war der einzige Ausländer in dem Camp, aber sein Gesicht war unbeschreiblich hübsch. Halblange, rabenschwarze Haare, ein feuriges Funkeln in den Augen im Lichtschein des Feuerzeugs und ein ebenmäßiges Gesicht, untermalt von blendend weißen Zähnen. Nico begann zu zittern als er Erkan das Feuer gab.
» Muss das sein? « maulte ein Junge zwei Plätze weiter.
» Yep, es muss, sonst würden wir es ja nicht tun « gab Nico genervt zurück.
Grummelnd drehte sich der Junge auf die Seite.
» Komm, wir legen den Schlafsack drüber, dann stört es niemand « flüsterte Erkan.
Nico rückte ein Stück weiter zu ihm und sie schlugen seinen Schlafsack über sich. Jetzt war er dem Jungen ganz nah und diese Nähe beflügelte ihn. Er hatte eh nie etwas gegen Ausländer gehabt und Erkan war ja zudem überaus hübsch.
Sie bliesen den Rauch am Kopfende aus dem Schlafsack.
» Wie kommst du hierher? « wollte Nico wissen.
» Ach, ich bin selber Schuld. Mein Vater bekam einen Brief und da war von diesem Camp die Rede. Er fragte mich, ob das nichts für mich wäre und ich hab spontan ja gesagt. Naja, nun bin ich hier. «
» Du sprichst gut Deutsch. Wohl hier geboren? «
Erkan grinste. » Ja, seit meinen 18 Jahren. «
Nico war nicht der Tp, der gleich mit jedem gut Freund sein konnte. Er brauchte lange, bis er Vertrauen gewann, aber diesmal nicht. Er spürte sofort dass Erkan ein Mensch war, mit dem er auskommen würde.
» Und du, wie alt bist du? « fragte Erkan.
» Ich bin 16. Nicht mehr lange zwar, aber ich bin’s noch. «
» Und wo kommst du her? «
» Aus Frankfurt. «
» Nee, ehrlich? Ich komm aus Wiesbaden. «
» Na bitte, Nachbarn « lächelte Nico.
Nachdem sie ihre Kippen sorgfältig auf einer blanken Stelle des Bodens ausgedrückt hatten rückte Nico wieder auf seinen Platz.
Sein rechter Nachbar meldete sich verschlafen. » Sag mal, könnt ihr Tucken Nachts nicht gescheit schlafen? Es geht mir echt auf den Wecker mit der Unruhe hier. «
Nico regte sich nicht auf. Irgendwie verständlich dass sich Manuel beschwerte. Nur das Wort Tucken störte ihn, aber er wehrte sich nicht.
Er lag auf seinem Schlafsack und schielte immer wieder zu Erkan hinüber. Auch der lag jetzt nicht mehr zugedeckt auf dem Rücken und hatte seinen Kopf auf die verschränkten Arme gelegt. Schemenhaft war seine Boxershort zu erkennen, die sich durch ihre helle Farbe deutlich von der dunkelbraunen Haut abhob.
Nico richtete sich auf, auch wenn Gefahr bestand von Manuel wieder angemotzt zu werden.
» Kannst auch nicht schlafen, wie? «
» Wie auch? Ich muss dauernd an zu Hause denken. Meine Mutter, meinen Vater, meine Geschwister. «
Nico rückte noch näher.
» Magst sie wohl sehr. Wieviele hast du denn? «
» Zwei Brüder und zwei Schwestern. Und du? «
» Ich bin Einzelkind. « Nico sagte das etwas traurig, denn er konnte sich schon immer vorstellen auch Geschwister zu haben.
» IST-JETZT-VIELLEICHT- BALD-RUHE-HIER-OBEN? «
Von wem das kam war nicht zu überhören. Allerdings war Manuels ziemlich laute Frage nicht nur an seine unmittelbaren Nachbarn gerichtet, auf dem ganzen Dachboden herrschte immer mehr Unterhaltung und Gelächter.
» Komm, wir kriechen unter meinen Schafsack, da können wir uns noch ein bisschen unterhalten. «
Als Nico erneut zu Erkan krabbelte, fühlte er es wieder. Hingezogen zu dem hübschen Nachbarn war seine Müdigkeit wie weggeflogen und gerne folgte er dem Angebot. Wieder war er diesem Körper mehr als nah.
» Was glaubst du, wie alt dieser Stein ist? « fragte Erkan.
» Schwer zu sagen, aber ich schätze ihn Anfang Dreißig. «
» Ja, kann hinkommen. Aber er hat ne gute Figur. «
Sie redeten und redeten. Nico hörte seinem Nachbarn gerne zu, aber der ihm ebenso.
Schule, Eltern, Freunde. Nico erfuhr, dass Erkans Freundin in der Türkei lebte und er irgendwann wolle er sie zu sich holen. Nach der Lehre oder so. Er hatte sie schon zwei Jahre nicht gesehen weil sein Vater arbeitslos war und es deswegen kein Geld für eine Reise gab.
Nico rückte unwillkürlich ein Stück von Erkan ab, als er das hörte. Natürlich war es Blödsinn zu glauben, dass Erkan etwas von ihm wollen könnte. Aber er wollte trotzdem wissen, welche Ansichten er hatte.
» Der neben mir, der Manuel, glaubt, dass hier ein paar Schwule dabei sein könnten. Glaubst du das auch? «
Erkan sah ihn an. » Warum sollten keine dabei sein? «
» Und das würde dich nicht stören? «
Erkan lächelte. » Nö. Hab ein paar Schulfreunde, die sind auch schwul und wir kommen prima klar miteinander. «
Nico atmete auf. Wie auch immer, in Erkan hatte er einen Begleiter gefunden, der ihn – vielleicht – verstehen würde.
Irgendwann wurden sie dann doch müde.
» Ich glaub, wir sollten jetzt schlafen, sonst können wir uns das ganz sparen « flüsterte Erkan irgendwann in dieser Nacht.
» Ja, denk ich auch. «
Nico wollte gerade auf seinen Platz, als ihn Erkan am Arm aufhielt. » Nico? «
» Ja? «
» Ich mag dich. «
Nico grinste. » Hm, ich dich auch. «
Ehe er sich versah, drückte ihm Erkan einen leichten Kuss auf die Stirn.
Das war eine neue Erfahrung für ihn. So neu, dass ihm beinahe das Blut in den Adern stockte. Verwirrt sah er Erkan an.
» Gut Nacht « flüsterte Nico mit einem leichten Zittern in der Stimme. Es fiel ihm schwer sich jetzt von ihm zu trennen.
» Nacht. «
Er kroch unter dem Schlafsack hervor und legte sich so leise wie es möglich war auf seinen. Manuel atmete leicht und gleichmäßig, er schlief.
Nico brachte kein Auge zu. Ein Junge hatte ihm einen Kuss gegeben. Den ersten, den er überhaupt je bekommen hatte. Und das, obwohl Erkan doch eine Freundin hatte und er Moslem war – und soviel er wusste durften die gar nicht schwul sein. Seine Gefühle kam in Wallung, die Gedanken stürzten wild durcheinander. Dass ihn Jungs in letzter Zeit mehr beschäftigten als Mädchen, das war ihm ja selbst aufgefallen. Und nun hatte er die erste Berührung mit diesem Gefühl. Es war überwältigend. Und schön. Und Erkan? Kein Zweifel, dieser Junge hatte es ihm in kürzester Zeit angetan. Dann fiel ihm ein, dass sich die Männer im Süden Europas oft umarmten und auch ein Küsschen unter ihnen hat er schon oft beobachtet. Ein Freundschaftskuss war das also, oder zumindest etwas ähnliches.
„…aber er hat ne gute Figur“. Würde ein Junge so etwas eigentlich sagen, wenn er nicht schwul war?
Unruhig schlief er ein.
Obwohl er nur wenige Stunden Schlaf zur Verfügung hatte, wachte er um halb Sechs auf. Ein paar der Jungs schnarchte, sonst war es still auf dem Dachboden.
Leise stand Nico auf und schlich in dem ersten Licht, das durch die Dachluke fiel, zur Toilette.
Wider Erwarten war sie geräumig und sehr sauber. Ein winziges Waschbecken an der Wand und drei Kabinen. Er nahm die erste und setzte sich auf den Klo; die Nacht zog noch einmal an ihm vorüber. Und nun regten sich seine Gefühle. Seit drei Tagen hatte er keinen Orgasmus gehabt, zu viel Aufregung. Jetzt sah er die Gelegenheit gekommen. Er hatte genügend Zeit und langsam massierte er seinen Schwanz.
Die Tür ging leise auf und Nico hielt sofort inne, er lauschte den Dingen vor seiner Kabine.
» Komm hier rein « hörte er eine ganz leise Stimme. Sie war ihm unbekannt. Dann schloss sich die Tür neben ihm und sofort begann ein leichtes Stöhnen, anscheinend hatten die beiden nicht bemerkt dass da schon jemand war.
Er hörte leise, flüsternde Worte, die sich aber ganz offensichtlich auf ein spezielles Thema bezogen – die beiden trieben es. Nicos Gefühle wurden dadurch wieder angestachelt und er setzte seine Massage fort.
Ein gurgelnder Laut und lautes Atmen sagten ihm, dass einer der beiden wohl grade einen Orgasmus hatte.
Er spürte schon den Druck im Unterleib, doch bevor er ihn loswerden konnte ging die Tür erneut auf – und er hörte Stimmen von draußen. Er hatte nicht bemerkt wie schnell die Zeit vergangen war, es war Sechs Uhr. Man hatte die Meute anscheinend geweckt.
Schnell verflog seine Lust und er drückte den Spüler. Nebenan war genauso plötzlich Ruhe, während immer mehr Jungs in die Toilette kamen.
Jemand klopfte an seine Kabinentür. » He, ich steh hier schon fünf Minuten, bist du bald fertig? «
Nicos Herz klopfte. Nicht wegen ihm, sondern wegen den beiden in der Kabine nebenan. Was passieren würde wenn man die beiden da drin fand war auszudenken.
» Gleich, ich hab Durchfall « rief Nico.
» Das nenn ich schöne Scheiße « kam es von draußen.
Jetzt hatten 15 Jungs nur eine Kabine zur Verfügung und das würde sogleich ziemlich viel Ärger bedeuten. Trotzdem harrte er aus. Wie konnte er den beiden helfen?
Langsam braute sich ein Tumult zusammen. » He, macht dass ihr rauskommt, andere müssen auch mal! «
Nico stellte fest, dass er den beiden nicht helfen konnte und schloss die Tür auf.
» Na endlich, wird langsam Zeit « sagte der Tp an der Tür und stürzte an Nico vorbei hinein.
Er konnte sich vorstellen, dass die beiden in der Kabine nebenan einem Herzinfarkt nahe waren.
Nico hatte kaum einen Blick für die vielen Bods um ihn herum, die meisten hatten Shorts und Trägerhemden, einige T-Shirts an. Und eine Handvoll trug gar kein Hemd und nur einen ziemlich knappen Slip.
» Geht doch in den Wald wenn es so dringend ist « sagte Nico plötzlich. Nachgedacht hatte er darüber nicht, es war ihm einfach entwischt.
» Prima Idee « hörte Nico jemand sagen und plötzlich war der Raum leer.
Er klopfte an die Kabinentür. » Ihr könnt rauskommen, es ist niemand mehr da. «
Das Schloss ging vorsichtig auf und ein Kopf lugte durch die Tür.
» Wirklich? «
» Wenn ich es doch sage. «
Verschämt kamen die beiden aus der Kabine. » Wir müssen uns bei dir bedanken « sagte der eine. Blond, groß, etwas hager und blass, aber ein durchaus sehenswertes Geschöpf. Der andere war etwas kleiner, braune verwuschelte Haare und nicht minder im Aussehen.
» Gerd « sagte der Große und hielt Nico die Hand hin.
» Jochen « der andere.
» Ich bin Nico. «
» Du hast mitgekriegt… ? «
Nico grinste. » Klar, hab ich. Ihr habt ja nicht bemerkt dass ich nebenan war. «
Die beiden liefen rot an.
» Äh, das ist, das war.. « stotterte Gerd.
» Macht doch nichts. Im Grunde war ich… bin ich.. naja, ein bisschen neidisch. « Jetzt wurde auch er rot.
» Ehrlich? «
Nico zuckte nur mit den Schultern.
Sie gingen zurück in den Schlafsaal. Ein paar der Jungs hockten auf ihren Schlafsäcken und starrten vor sich hin, drei saßen zusammen und unterhielten sich. Der Rest war offensichtlich unten bei der Körperpflege.
» Kommt, wir gehen uns waschen « meinte Jochen.
Sie nahmen ihre Waschbeutel und Handtücher und stiegen die Leiter nach unten. Schon am Haus hörten sie das Grölen der Truppe.
Etwas unsicher gingen sie zu dem Brunnen, um den einiges los war.
Zuerst fing Nico Manuels Blick auf. Sie sahen sich an und Nico fürchtete sich vor einer Attacke, auch wenn sie nur verbal sein würde. Aber Manuel sagte nichts, nahm sein Handtuch und ging wortlos an ihm vorbei.
Sie gingen zu dem Brunnen und Nicos Körper überzog sich mit einer Gänsehaut als er mit dem Wasser in Berührung kam. Zum Glück war es Hochsommer und auch hier im Wald schon angenehm warm.
Erkan stand plötzlich neben ihm.
» Und, wie hast du geschlafen? « wollte er wissen.
Nico sah sich den Jungen an. Ein durchtrainierter Körper, stellte er fest. Gleichmäßig braun und schmale Hüften. Viel hatte er von ihm ja nicht sehen können letzte Nacht.
» Es ging. «
» Also nicht gut? «
Sie standen dicht beieinander und man konnte ihr Gespräch nicht hören.
» Dein Kuss heute Nacht… «
Erkan lächelte. » Der hat dich nervös gemacht, wie? «
» Ja klar. Bin’s halt nicht gewohnt. «
» Das ist bei uns aber so Sitte. «
» Ja, ich weiß. Aber… «
» Ich tu’s nie wieder, oka? «
» Nein Erkan, das ist es nicht. «
» Was dann? «
Nico strauchelte, aber sein Gedanke an Flucht war noch nicht verblasst. Es würde egal sein.
» Erkan, ich mag dich. Nicht nur so… «
Er erntete erst einen ungläubigen Blick, dann ein Lächeln.
» Du bist schwul, oder? «
Nico wurde unsicher. » Ich hoffe das stört dich nicht.. « sagte er verlegen.
Erkan legte eine Hand auf seine Schulter. » Hab ich dir heute Nacht doch schon erklärt. Es stört mich wirklich nicht. Komm, lass und raufgehen. «
Nachdenklich lief Nico hinter Erkan her, wobei er dessen stolzen Gang beobachten konnte. Und auch den Hintern in den engen Shorts. Schade dass Erkan nicht auf Jungs steht, dachte er.
Kaum waren alle wieder oben versammelt, erschien Rainer Bode an der Leiter.
» So, runterkommen zum Frühstück « rief er.
» Möchte wissen was das für ein Frühstück sein wird. Das kann doch gar nichts werden. Mann, wär ich bloß zu Hause geblieben « murmelte Erkan.
Vor der Hütte standen Reihen von Bänken und Tischen, die gestern Abend hier noch nicht waren und beim Anblick dessen was da aufgetischt war, entwischte so manchem der Jungs ein Pfiff.
Es schien auf den ersten Blick nichts zu fehlen. Kaffee, Tee, Kakao, Orangensaft, Brötchen, Brot, Eier, Marmelade, Käse, Wurst und Corn Flakes nebst Müsli und Milch.
Vor diesem Panorama hatte sich Falk Stein aufgebaut.
» Guten Morgen Jungs « rief er.
Ein ziemlich müdes und unkoordiniertes » Guten Morgen « ließ den Mann lächeln.
» Das war ja nun wohl nix. Also, noch mal: GUTEN-MORGEN-JUNGS! «
» GUTEN MORGEN HERR STEIN! « kam es dann fast gleichzeitig und schallte durch den Wald.
» Na seht ihr, geht doch. Ok, dann wünschen wir euch guten Appetit und ihr habt eine knappe Stunde Zeit dafür. «
Er trat beiseite und deutete mit der Hand dass sich die Jungs setzen sollten, was auch sofort geschah.
» Das ist jetzt aber ne Überraschung « sagte Erkan, der sich neben Nico gesetzt hatte.
Gespräche fanden kaum statt, jeder stopfte in sich hinein was er greifen konnte.
»Und, immer noch Fluchgedanken? « sagte Manuel, der Nico überflüssigerweise gegenübersaß.
»Im Moment hab ich die zurückgestellt « antwortete er, zwang sich dabei nicht freundlich zu klingen. Denn Manuel war nun mal sehr hübsch aber sein Verhalten passte einfach nicht zu ihm.
Satt knüllte Nico seine Serviette auf den Teller. Sein Blick ging nach oben in die hohen Baumkronen der Buchen, durch die der dunkelblaue Himmel zu sehen war, Vögel zwitscherten und nichts erinnerte im Moment daran, wo sie waren. Es war der erste Moment, wo es ihm hier gefiel. Und sein Blick fiel auch auf Erkan. Verstohlen sah er zwischen seine Beine.
» Du, ich… «
Manuels Blick ließ ihn stocken. Warum war dieser Junge nur so negativ eingestellt?
Zigarettenrauch stieg auf.
Stein, Bode und dieser Leo saßen an einem Extratisch und sahen immer mal wieder herüber – und da, Leo qualmte auch.
Sofort nestelte Nico seine Schachtel aus der Tasche und hielt sie Erkan hin. » Komm schon, die rauchen auch. «
Erkan fischte sich eine Zigarette aus der Schachtel und Nico gab ihm Feuer. Ansonsten schwiegen sie.
Nico konnte den Kuss nicht vergessen und jetzt, wo er neben Erkan saß, wurde alles nur noch schlimmer. Immer wieder sahen er und Manuel sich an, aber der schwieg einfach nur. Nico hatte Mühe sich von diesem Blick abzuwenden. Diese blauen Augen und dieses schöne Gesicht.
Er konnte es nicht lassen. » Sag mal, du bist doch ganz anständig, aber warum so verbittert? Es geht mich wirklich nichts an, aber all das passt nicht zu dir. «
Manuel starrte ihn an. Nico erwartete jetzt die übliche Standpauke, in der es um nichts als „in Ruhe lassen“ gehen würde, aber Manuels Blick wurde plötzlich nachdenklich.
» Ich möchte nicht darüber reden, oka? « sagte der stattdessen nur. Aber seine Stimme verriet ihn. Da war mehr als nur eine Abneigung, da waren Gefühle mit im Spiel, das spürte Nico ganz deutlich. Hinter dieser harten Schale lag ein weicher Kern. Und er hatte das von Anfang an gespürt.

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