Das Boycamp I – Teil 2

» Ok, Leute, es wird Zeit für die Einkleidung « rief Rainer Bode in die Runde.
Enttäuschtes Gemurmel raunte über den Platz.
» Ich rufe jetzt Namen auf, und diejenigen sammeln sich bitte bei mir. «
Sammeln, dachte Nico. Doch ein Ausdruck den die Militärs benutzen.
Bode rief fünf Namen auf und Nico stellte fest, dass es die jüngsten aus der Truppe waren.
Er redete kurz mit den Jungs, dann folgten sie ihm in die Hütte.
» Ok, nächste Gruppe « rief Falk Stein anschließend.
Sechs Namen folgten, darunter waren auch Nico, Manuel und Erkan. Nächste Altersgruppe, dachte Nico. Es dürften wohl die 16 und 17jährigen sein.
» Erkan Yüslüm, Nico Hartmann, Mirko Engel, Manuel Gräber, Lucas Finzer, Alexander Berger «
Sie versammelten sich um Stein und folgten ihm anschließend ebenfalls in die Hütte. Nico hörte noch kurz wie Leo den Rest der Truppe zu sich rief.
Stein ging voraus in den Keller der Hütte, während ihnen die Jüngsten, angeführt von Bode, schon wieder entgegen kamen, jeder bepackt mit einem Rucksack und ein paar Stiefeln in den Händen.
Der Keller war nicht sehr groß, dennoch gab es einen großen Tisch, auf dem Rucksäcke und Kampfstiefel standen. Jeder Rucksack war mit einem Namensschild versehen.
» So, jeder nimmt seinen Rucksack und die Stiefel auf. Umziehen könnt ihr euch oben unter dem Dach. Eure Privatklamotten könnt ihr da oben lassen, die Hütte wird abgeschlossen. Und vergesst euren Schlafsack nicht.«
» Warum bin ich bloß hierher gekommen? Es ist ja nicht zu fassen was die mit uns treiben « flüsterte Mirko.
» Wieso? Bis jetzt geht es doch noch « erwiderte Lucas.
Rainer Bode beendete die leise Diskussion. » Ok, ab nach oben, ihr habt 15 Minuten Zeit zum umziehen, dann kommt wieder vor die Hütte; mit Gepäck natürlich. «
Schweigend ging die Gruppe über die Kellertreppe nach oben, während ihnen Leo mit den ältesten Jungs entgegenkam.
» Mal sehen was die uns da so verpasst haben « sagte Erkan auf dem Dachboden und öffnete seinen Rucksack. Er zog eine Kampfjacke heraus.
» Hm, ganz neu der Kram. «
Es folgte eine Hose, ebenfalls mit Fleckentarnung, Unterhemden und Unterhosen. Eine davon hob er vor sich und zog am Bund.
Er pfiff leise. » Naja, wenn das mal nicht die neue Mode ist « grinste er.
» Ich find die geil « sagte Mirko, » irgendwie jedenfalls. Sehen doch fast aus wie Boxer. «
» Geil? « fragte Erkan erstaunt. » Da sind mir meine Tangas aber doch lieber. «
Mirkos Augen wurden groß. » Tanga? Du trägst Tanga? «
Ohne weiteren Kommentar zog Erkan seine Shorts herunter – und sah gespannt in Mirkos Gesicht. » Noch Fragen? «
Mirko wurde leicht rot und schluckte. » Oh « sagte er knapp.
Nico verzog das Gesicht. Erkan überbot alles was er bisher gesehen hatte. Allerdings hatte Erkan dieses knappe Stück Stoff letzte Nacht nicht angehabt.
Nico zog sich das Hemd über den Kopf und schielte dabei zu den anderen.
Manuel hatte einen wirklich schönen Körperbau und Mirko war etwas schmächtiger als die anderen, aber das machte ihn nicht gerade unattraktiv. Nico ertappte sich dabei, sehr genau hinzusehen.
Alexander Berger war der kleinste aus ihrer Runde, und wohl auch ziemlich gut genährt. McDonalds – Typ dachte Nico und musste über sich selber grinsen.
Ziemlich schüchtern versuchte sich Lucas umzuziehen. Er war der dünnste, aber auch der größte unter ihnen und seine Bewegungen wirkten irgendwie unbeholfen und staksig. Er hatte sich von der Gruppe etwas abgesetzt und versuchte so schnell wie möglich in seine Hose zu schlüpfen und es schien, als wolle er etwas vor den Augen der Gruppe verbergen. Dabei verhedderte er sich in einem Hosenbein und fiel mit einem Seufzer der Länge nach ins Heu.
» Hey Langer, nicht so hastig « lachte Mirko und die anderen stimmten mit ein.
Verdattert blickte Lucas die anderen an, die Sache war ihm sichtlich peinlich.
Ohne Scheu zog Manuel seinen Slip herunter und Nico stockte der Atem. Auch an dieser Stelle konnte sich Manuel sehen lassen, und schnell drehte Nico sich um. Er spürte dass ihn dieser Anblick erregte und das schien ihm nach dem missglückten Versuch heute Morgen sehr gefährlich. Er würde seinen Slip anbehalten, das beschloss er in der Sekunde.
Und so wie der Sache sah, taten es ihm die anderen nach.
» Was ist das für ein Gürtel? Den kann man ja wohl den Hasen füttern. Keine Schnalle, keine Löcher.. Wie soll man den anziehen? «
Nico grinste. Etwas hilflos stand Manuel da und hielt den Gürtel in der Hand.
» Mann, bei dem gibt es keine Schnalle. Und keine Löcher. «
» Und wie, bitte, funktioniert das? «
Nico nahm den Gürtel aus Manuels Hand.
» Warte, ich zeig es dir. «
Er begann, den Gürtel in Manuels Hose einzufädeln. Dabei war er ihm zwangsläufig sehr nah und es bestand kein Zweifel – Manuel war im wahrsten Sinne des Wortes anziehend.
Nachdem Nico den Gürtel durch die Schlaufen gezogen hatte, hielt er die beiden Enden vor Manuels Bauch.
» So, jetzt zieht man das Ende durch beide Metallringe. Siehst du, so. «
Er sah dabei in Manuels Gesicht und ihre Augen trafen sich. Nico begann leicht zu zittern.
» Und dann ziehst du das Ende wieder durch einen Metallring zurück. «
Während er es tat, blickte er auf Manuels Hosenschlitz. Er hatte den Jungen ja eben noch nackt gesehen, aber nun fummelte er nur wenige Zentimeter von der Stelle herum, wo sich ein sehr interessantes Teil dieses Körpers befand.
» Na Jungs, alles klar bei euch? « wollte Stein wissen, der plötzlich bei ihnen stand.
» Ja, alles Okay. Manuel wusste nur nichts mit dem Gürtel anzufangen « stotterte Nico.
» Aber wie ich sehe klappt das jetzt wohl « grinste Stein.
» Nicht ganz. Wie geht das denn mit dem Schlafsack? Ich mein, den müsste man ja zusammenlegen « wollte Mirko wissen.
» Okay, ich zeig es euch. «
Falk Stein kniete sich vor Mirkos Schlafsack, begann ihn zusammenzulegen und aufzurollen, dann schnallte er ihn am Rucksack fest.
» Kapiert? « fragte er.
Die Jungs nickten und machten es ihm nach.
» Diese verdammte Hitze « fluchte Manuel, » ich werde flüchten wenn ich keine Dusche nehmen kann! Und überhaupt geht mir das Ganze hier mächtig auf den Sack.«
Er nahm seinen Rucksack auf und warf ihn gekonnt auf seinen Rücken.
Nico hielt ein paar Sekunden inne. War Manuel eh schon ein hübsches Geschöpf, so sah er in diesem Aufzug noch anziehender aus. Der Kampfanzug saß maßgeschneidert an dem eleganten Körper, betonte zudem die schmalen Hüften.
» Steht dir gut « hörte Nico Erkan sagen, der offenbar ähnliches bemerkte.
» Was? « fragte Nico.
» Dein Anzug meine ich « und grinste.
Nico errötete. Erkan hatte ihn, nicht Manuel gemeint. Ein Kompliment? An ihn? Von einem Jungen? Er betrachtete Erkan genauer.
» Dich macht das Ding aber auch nicht grade hässlicher « sagte er, obwohl er wusste dass er mit dieser Aussage einen Pfeil in Richtung Manuel abschoss.
Plötzlich meldete der sich zu Wort.
» Und ich? Wie seh ich in dem Ding aus? «
» Kannst damit angeben « erwiderte Erkan.
Manuel sah an sich herab. » Naja, ich weiß nicht.. «
» Glaub es ruhig « sagte Nico. Er hätte am liebsten hinzugefügt „siehst zum anbeißen aus“.
Nico setzte sich auf seinen Schlafsack und zog die Stiefel an. » Komisch, die passen wie angegossen. «
» Stimmt « mischte Mirko sich ein.
» Tja, da kann man sehen wie sich unsere Ellis mit unseren Klamottengrößen auskennen « grinste Erkan.
» Los, wir müssen runter « beendete Lucas den Disput.
Wenig später standen sie mit ihrem Gepäck vor der Hütte, wo alle anderen schon auf sie warteten.
» Gibt’s irgendwelche Probleme? « fragte Falk Stein laut in die Runde.
Die Jungs schüttelten den Kopf, nur einer der älteren hob die Hand wie in der Schule.
» Ja? « fragte Stein.
» Was passiert mit den Klamotten wenn das hier vorbei ist? «
» Die gehören euch. Ein Andenken sozusagen. «
Gemurmel.
» Geil, dann kann ich zu Hause ja ein bisschen Krieg spielen « flüsterte Manuel und erntete damit Erkans leichtes Kopfschütteln.
» So. Die Gruppe der ältesten an den VW – Bus da drüben « wies Stein an und deutete zu dem Transporter.
» Die zweite Gruppe zu dem da.. « und zeigte auf den zweiten Bus.
».. und die Jüngsten zum Range Rover. Das Gepäck in den Kofferraum. «
Nicos Herz klopfte. War es die Aufregung dass es jetzt endlich losging oder die Frage, wo sie eigentlich unterkamen und wer mit wem?
Nico saß auf der Rückbank in der Mitte. Rechts Manuel, links Erkan. Wieso hatte er den Verdacht, dass ihn die beiden irgendwie mochten? Klar, Manuel hatte seinen Standpunkt in Sachen Schwulsein bekundet, aber da war ja auch noch diese Sache, über die er nicht reden wollte.
Und Erkan hatte ihm versichert dass es ihm nichts ausmachen würde. Aber beide waren trotzdem sein Fall. Lucas mit seinen hellblonden Haaren und den blauen Augen – nunja, auch da würde er nicht nein sagen. Mirko? Er erinnerte ihn irgendwie an einen Schulfreund. Er machte so ein bisschen auf Macho. Braungebrannt, Ohrringe und eine Halskette aus irgendwelchen hellen Steinen. Stand ihm gut, das war nicht ihm abzusprechen. Aber der erotische Kick fehlte ihm, irgendwie.
Alexander schließlich wäre derjenige, mit dem er am wenigsten in ein Zelt wollte. Der war nun wirklich nicht sein Fall.
Nico wunderte sich über sein eigenes Denken, aber er konnte es nicht abstellen.
» Also meine Herren.. « begann Falk Stein, der Höchstselbst den Bus steuerte, nachdem sie losgefahren waren.
» ..wir werden jetzt etwa eine Stunde fahren. Wohin müsst ihr nicht wissen. Wenn wir angekommen sind baut ihr eure Zelte auf, die sind schon vor Ort. Vielleicht wisst ihr ja dann auch, wer mit wem in dem Zweimannzelt schlafen möchte. «
Nico schluckte. Das war zu erwarten, auch wenn er gehofft hatte, sie würden alle in einem großen Zelt unterkommen.
Er sah zu Manuel, ihre Blicke trafen sich. Nico konnte leider keine Gedanken lesen, was er in dem Moment bereute.
Dann sah er Erkan an. Das gleiche. Eine blöde Situation. Beide wären ihm lieb gewesen, entscheiden konnte er sich nicht.
» Nico und ich « rief Manuel plötzlich.
Nico wurde heiß. Warum ausgerechnet er? Warum wollte Manuel mit ihm in ein Zelt? Nach allem was passiert war?
» Erkan und ich « rief Lucas anschließend.
Damit stand fest, dass sich Mirko und Alexander ein Zelt teilen würden.
Richtig glücklich war Mirko über die Entscheidung scheinbar nicht, er schielte etwas enttäuscht zu Lucas.
Die Fahrt ging über eine Landstraße immer weiter ins Hinterland. Orte, durch die sie fuhren, sagten ihnen nichts, Nico vermutete dass die nicht mal in allen Straßenkarten vermerkt waren.
Wälder, Wiesen, Felder – das war alles was sie nach einer halben Stunde zu sehen bekamen. Nico zog sein Handy aus der Tasche, es gab wenigstens wieder Empfang in dieser Gegend. Seine Fluchtgedanken hatte er aber zunächst zurückgestellt.
Erkans Kopf lag zur Seite und er hatte die Augen geschlossen, Manuel blickte etwas teilnahmslos durchs Fenster.
» Warum willst du, dass ich bei dir im Zelt schlafe « fragte Nico leise, » immerhin bin ich vielleicht – naja, nicht grade das was du dir so vorstellst? «
Manuel sah ihn nachdenklich an. » Was meinst du? «
» Mensch, Manuel. Du weißt ganz genau von was ich rede. «
Manuel sah in seinen Schoß und spielte verlegen mit seinen Fingern.
Er sah Nico mit traurigen Augen an. » Könnten wir vielleicht in einer ruhigen Minute drüber sprechen? «
» Klar, wie du willst. «
Manuel hatte seine Neugier geweckt. Was war denn da so unheimlich geheimnisvoll? Was wollte Manuel ihm sagen und warum nicht hier und jetzt? Fragen über Fragen.
» Yep, wir sind da « schreckte Stein die dösende Gesellschaft auf.
Er hielt den Bus auf einem Waldweg, auf der einen Seite war eine Lichtung und auf der anderen ein dichter Tannenwald.
» Alles aussteigen. «
Müde stiegen die Jungs aus dem Bus und streckten sich.
Stein öffnete den Kofferraum und stellte die Rucksäcke auf dem Weg ab.
» Also, hier, dieser Wald, wird euer zu Hause sein für 12 Tage. Keine Angst, es gibt nichts worüber ihr euch fürchten müsstet. Dort drüben führt ein Pfad in den Wald, nach etwa 200 Metern findet ihr das Camp. «
Erkan hob die Hand. » Bescheidene Frage: Was machen wir eigentlich die ganze Zeit hier draußen? «
» Werdet ihr zum gegebenen Zeitpunkt selbst feststellen. Setzt euch mal da hin. «
Die Gruppe setzte sich auf einen gefällten Baum.
Stein ging zum Bus und holte eine Kamera heraus. Ohne weitere Worte machte er ein paar Aufnahmen von den Jungs.
» Für eure Kinder und Enkel « grinste er dann.
Nico schüttelte leicht seinen Kopf. Kindern und Enkeln. Seinen nun mal jedenfalls nicht.
» Gut. Dann ein paar Worte zu all dem. Ihr wisst vielleicht, dass ihr hier den Zusammenhalt und Kameradschaft üben sollt. Dieses Projekt soll später einmal jenen zugute kommen, die eben genau diese Dinge falsch verstanden oder sogar missbraucht haben. «
» Das heißt wohl, soziale Rückführung oder so was? « fragte Manuel.
»Naja, so ähnlich. Resozialisierung sagt man eher dazu. Vielleicht habt ihr ja auch einen Bekannten oder Freund, der schon mal auf die schiefe Bahn geraten ist. Dann geht es darum, diesen Menschen zu helfen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Übrigens, dass ihr euch nicht kennt ist Absicht. Es gibt hier niemanden, der sich vorher schon mal gesehen hat. Die Gefahr, dass sich dann eigenständige Gruppen bilden, ist einfach zu groß. Ihr habt das hier freilich auch nicht nötig, aber es geht ja nur um die Sache an sich, nicht um das Ergebnis. Bei euch jedenfalls. «
» Sorry, hab den Sinn noch immer nicht verstanden. Also zumindest, was uns betrifft « mischte sich Lucas in das Gespräch.
Falk Stein holte Luft. » Okay, ich denke, wir sollten jetzt erst Mal Quartier beziehen. Wir haben genug Zeit um über das ganze Projekt zu reden. Denkt an den Bericht anschließend, der ist das Wichtigste eures Aufenthalts. «
» Dann geht es in der Hauptsache um das Projekt, nicht um uns? « fragte Nico.
» So ganz richtig ist das nicht, es geht wohl auch um euch. Aber du hast recht, das Projekt steht im Vordergrund. Und deswegen habt ihr es auch viel leichter als eure Nachfolger. «
Nicos Gesicht hellte sich auf. Sie waren zwar Versuchskaninchen, aber sie dürften Freiheiten haben, die andere dann nicht mehr genießen konnten. Sein Blick fiel auf Erkan. Wie das wohl wäre, eine Nacht mit ihm? Einfach so, ohne Pflichten danach? Nur mit den Händen über diesen Körper fahren. Spüren wie das ist. Irgendwie wurde ihm klar, dass er sehr viel Zeit hatte über solche Dinge nachzudenken. Es wirklich zu tun würde ein Traum bleiben.
» So, kommt, wir müssen langsam « sagte Stein nach einem Blick auf seine Uhr.
Sie nahmen ihr Gepäck auf und folgten Stein in den Wald. Die Tannen waren nicht sehr hoch, aber ungewöhnlich dicht. Es roch nach feuchtem Waldboden und Pilzen und es war unheimlich still.
Aber die Hitze des Sommers machte auch hier kein Halt. Nico spürte nach einer Weile Schweißtropfen seine Schläfen herunterlaufen, Manuel wischte sich ebenfalls über die Stirn. Nur Erkan, der vor ihm herlief, schien es nichts auszumachen. Südländer eben, dachte Nico und studierte Erkans Hintern, der durch die fast hautengen Hosen jede Kontur zum besten gab.
Mitten in dem Tannenwald tauchte plötzlich ein Bauwagen auf, etwa in der Art wie ihn die Waldarbeiter benutzen.
» Damit ihr nicht lange suchen müsst: Das ist euer Sanitärwagen « erklärte Stein kurz als sie an dem Gefährt vorbeigingen.
» Hab ich richtig gehört? « fragte Manuel erstaunt.
» Ja, richtig gehört. Da könnt ihr duschen und Toiletten sind auch drin. «
Manuel atmete sichtlich auf. » Damit ist zumindest für mich das Experiment bereits gelungen. «
» Ja, für mich auch « fügte Alexander hinzu.
Zwischen den Tannen lagen größere olivgrüne Pakete, im Abstand von etwa zehn Metern scheinbar willkürlich verstreut.
» So, das sind die Bundeswehzelte – oder zumindest das, was einmal ein Zelt werden soll. Die Paare mögen sich bitte eines heraussuchen « sagte Stein mit einem komischen Grinsen ins Gesicht.
» Die Paare « stöhnte Manuel, » wie sich das anhört.. «
Nico nahm das erste in der Nähe des Pfades.
» Genehm dieses, der Herr? Dann hast du nicht weit zu den Duschen « sagte er verschmitzt zu Manuel.
» Klar, das ist schon fast Luxus « gab der zurück.
Sie standen ziemlich ratlos vor dem olivgrünen Packen und sahen sich an.
» Schon mal ein Bundeswehrzelt aufgebaut? « fragte Manuel.
» Nö. «
» Prima. Ich auch nicht. Aber zusammen kriegen wir das ja vielleicht hin. «
Falk Stein stand – wie schon so oft – plötzlich neben ihnen.
» Das war es was ich hören wollte. «
» Was denn? « fragte Nico erstaunt.
» Zusammen kriegen wir das hin. Das ist ein gutes Motto. Merk ich mir. In diesem Sinne versucht erst Mal das Zelt alleine aufzubauen. Ich geb euch eine halbe Stunde – so wie den anderen auch. «
» Aha, jetzt geht es also los. Komm, irgendwie kriegen wir den Bau schon in den Griff « sagte Manuel und rieb sich die Hände.
Sie öffneten das Paket, worin sich zwei Zeltbahnen, Heringe, Schnüre, ein Klappspaten, ein Hammer und Isoliermatten befanden.
» Hätte schwören können, dass das einfacher ist « stöhnte Manuel nach einer Weile. » Und wozu eigentlich ein Spaten? Soll unser Zelt unterkellert werden? Das hätten wir dann aber zuerst machen sollen.. «
Nico lachte. » Ein Keller.. Kann nur von dir kommen. Aber ich hab keine Ahnung was wir mit dem sollen. «
» Na, klappts? « fragte Erkan, der sich zu ihnen gesellt hatte.
» Und bei euch? « wollte Manuel im Gegenzug wissen.
Inzwischen waren auch Lucas, Alexander und Mirko zu der Gruppe gestoßen.
» Nu, wohnen können wir in unserer Bude wohl kaum, irgendwie stimmt da was an der Symmetrie nicht « sagte Erkan mit einem breiten Lächeln.
Etwas Abseits stand Stein und beobachtete die Szene. » Festhalten « sagte er, nachdem er zu ihnen gekommen war.
» Was? « fragte Mirko.
» Was da grade läuft meine ich. Denkt bitte an euren Bericht. Alles was passiert, egal welcher Art, ich möchte dass ihr das aufschreibt. Dazu würde ich gern einen Protokolllist ernennen. «
Manuel schüttelte den Kopf. » Oh Gott, was ein Wort. Stammt das von Ihnen? «
Stein lachte. » Nee, nicht wirklich. Also, wer würde der Schreiberling bei euch machen wollen? «
Sie sahen sich an. Gleich würde Stein einen einteilen und jeder hoffte, nicht der Auserwählte zu sein.
» Ok, ich mach’s « sagte Nico schließlich.
» Schön. Hast das wohl schon mal gemacht? « fragte Stein.
» Klassensprecher und in meinem Wetterclub zu Hause. «
Stein sah in verwundert an. » Wetterclub? «
» Ja, das sind so etwa 10 Verrückte, deren Hobby das Wetter ist. «
» Aha, interessant, das musst du mir bei Gelegenheit mal näher erklären. Hast du was zum schreiben dabei? «
» Klar, für meine Wetteraufzeichnungen. «
» Prima. Dann muss ich dazu ja nichts mehr sagen. Einfach immer aufschreiben was so alles passiert. Wie du denkst. «
Dann stellte er sich über das Chaos, das ein Zelt werden sollte, und begann ihnen zu zeigen wie es aufgebaut wird.
Ohne jede Hilfe war er nach 15 Minuten fertig.
» Habt ihr es gesehen? «
Allgemeines Nicken.
» Und wofür, wenn man fragen darf, ist die Schippe? « wollte Manuel dann noch wissen.
Stein lachte. » Gut, das könnt ihr nicht wissen. Damit wird, wenn das Zelt steht, ein Graben drumherum gezogen. Nicht tief, aber soviel, dass wenn es regnet, das Wasser darin in den Wald und nicht ins Zelt laufen kann. «
Staunende Gesichter.
» Okay « schloss er dann ab.
In weniger als zwei Minuten lag das Zelt wieder so chaotisch da wie vorher.
» Dann mal los. «
Als Nico die Heringe mit dem Hammer in den Boden schlug, kniete sich Manuel neben ihn.
» Soll ich dir helfen? «
» Nö, geht schon. «
Plötzlich hielt Manuel Nicos Hand fest, so dass er nicht mehr zuschlagen konnte.
» Was ist? « wollte er überrascht wissen.
» Ich, äh, ich… «
» Was ist denn? Stimmt was nicht mit dir? «
» Doch doch, alles Bestens. Aber um auf deine Frage von vorhin zurückzukommen.. «
Nico ließ den Hammer fallen und stand auf. » Möchtest du mir etwas sagen? «
» Ja, ich muss es dir sagen. Jetzt und hier. «
» Ihr habt noch zehn Minuten « unterbrach Stein das Gespräch aus großer Entfernung, so dass es die anderen auch hören konnten.
» Komm, lass uns das hier fertig machen, wir haben später noch genug Zeit dafür. «
Manuel nickte enttäuscht und nach weiteren zehn Minuten stand ihr Zelt.
Sie setzten sich neben ihr Werk und betrachteten es.
» Zwölf Tage wird das unser Zimmer sein. Mann oh Mann, wie kann man nur so blöd sein. Kein TV, keine Stereoanlage, kein PC, kein DVD deswegen. Und bequem schlafen – ich mag gar nicht dran denken « seufzte Manuel.
» Du, jetzt haben wir Zeit und Ruhe. Was wolltest du mir vorhin sagen? «
Manuels Gesicht verdüsterte sich wieder. Er legte sich neben Nico, der sich auf dem weichen Waldboden ausgestreckt hatte.
» Ich hab es niemandem sagen wollen, aber ich denke ich kann jetzt nicht anders. «
» Na dann komm, ich werde auch alles für mich behalten. «
» Es ist so.. Es geht um meinen Bruder. «
» Aha. Und was ist mit ihm? «
» Er ist schwul. «
Nicos Kreislauf begann zu schwanken. Zwölf Tage, dachte er, und es war der erste davon. Wie viel schlimmer konnte es kommen?
» Und, das ist dein Problem? «
Manuel stützte seinen Kopf auf den Arm und starrte Nico an.
» Nein, nicht direkt. Aber Stefan hat sich bei einem seiner Freunde…. « Er schluckte »..also er hat sich bei einem Freund mit AIDS angesteckt. «
Nico setzte sich auf. » Was? «
Manuels Augen glitzerten.
» Du hast richtig gehört. Er wird sterben wegen so einem… so einer.. verdammten Schwuchtel. Und er ist doch erst 17, ein Jahr jünger als ich. «
Eine Träne rann seine Wange herunter.
Nico war wie gelähmt. Er hasste solche Situationen, in denen er nicht das geringste tun konnte. Jedes Wort war zuviel. Aber er verstand jetzt, warum Manuel so reagiert hatte.
Manuel schluchzte. » Tut mir leid, dass ich dich gestern Abend so angefahren habe, aber ich.. «
Nico legte seinen Arm um ihn. » Kann ich verstehen, ich hätte an deiner Stelle wahrscheinlich auch so reagiert. «
» Ich weiß ja, dass nicht alle Schwule AIDS haben, aber wenn ich einen sehe oder glaube, dass es einer ist, dann kann ich mich nicht beherrschen. «
Sie schwiegen eine Weile.
» Ich werde Stein bitten, mich nach Hause zu schicken « sagte Nico dann.
» Warum? «
» Manuel. Du wirst doch nicht mit einem Schwulen zwölf Tage in einem Zelt schlafen wollen, oder? Keiner hier wird das wollen und du wohl erst recht nicht. «
Manuels Augen wurden groß und größer.
» Was, du bist es also wirklich? «
» So wie du es vermutet hast. Tut mir leid, aber ich kann es nicht ändern. Und ich will es auch gar nicht. Nur sollst du es wissen. Ich werde es auch Stein sagen wenn er mich nachher löchert. Alle können es wissen. «
Nico spürte, wie sich Tränen ihren Ausgang suchten, und er ließ ihnen freien Lauf. Stein konnte ihn ja nach seinem Outing einfach zum Bahnhof fahren. Aber er würde zumindest hier kein Verstecken mehr spielen.
Manuel seufzte. » Bitte bleib. «
» Wie? «
» Ich möchte, dass du bleibst. Ich weiß dass du mich in Ruhe lässt und ich mag dich. Vielleicht kann ich durch dich meinen Bruder besser verstehen. «
» Manuel, das geht nicht. Frag nicht warum, du bist sehr hübsch und ich könnte mich in dich verlieben. Denk an die lange Zeit hier. Nein, ich mute das weder dir noch mir zu. «
Manuel setzte einen unerwarteten Dackelblick auf.
» Bitte, sage einfach niemandem etwas und geh nicht. Es muss außer mir doch keiner wissen. «
Nico wischte sich die Tränen aus den Gesicht. » Ich weiß nicht.. «
Er überlegte einen Moment. » Nein, Manuel, ich gehe. «

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