Johannes Schmidt – Teil 2

Manfred
Er sah wieder so nachdenklich aus wie vorhin im Cafe.
»Nein, im Grunde nicht.«
»Aber warum tust du es dann? Es ist ja nun nicht so, dass du hässlich wärst. Du kannst doch jeden Jungen kriegen, der da unter der Sonne herumturnt.«
Er lachte.
»Schön hast du das gesagt.«
Dann wurde er wieder ernst.
»Es geht dir also nur ums Geld?«
Er nickte und ich sah seine feuchten Augen. Dann begann er zu erzählen.
Dass er vor einem halben Jahr als Lagerarbeiter arbeitslos geworden war, ihn seine Eltern kurz darauf nach seinem Outing aus dem Haus geschmissen hatten und er jetzt nicht wüsste wie es weitergeht.
»Aber so ein richtiger Grund, dafür Tränen zu vergießen, ist es doch sicher nicht?« fragte ich.
Er sah zum Fenster.
»Nein, nicht wirklich. Aber mein Freund hat sich auch noch von mir getrennt und ich hab ihn wirklich sehr geliebt. Und das alles innerhalb eines halben Jahres.«
Am liebsten hätte ich ihn da in den Arm genommen.
»Der nächste kommt bestimmt«, sagte ich ernsthaft.
Er antwortete darauf nicht.
»Was sagt das Arbeitsamt?« lenkte ich dann das Gespräch in eine andere Richtung.
»Kein Job. Ich bin erst 22, aber für meinen Beruf gibt es keinen Bedarf.«
»Du kannst ja umsteigen. Haben sie dir kein Angebot gemacht?«
»Doch schon, ich gehe ja auch auf Weiterbildung, war in der Schule nie besonders gut. Aber mit Computern hatte ich nie etwas zu schaffen gehabt und jetzt tu ich mich da sauschwer.«
Sofort gingen alle Lampen an in meinem Kopf, aber ich musste zunächst mehr wissen über mein Gegenüber. Nach dem dritten Glas Sekt während unserer Unterhaltung wurde ich mutiger.
»Wie kamst du darauf, mit Männern ins Bett zu gehen?«
»Hat mal einer gesagt, in dem Cafe.«
»Und, wie ist das… so?«
Er sah mich mit großen Augen an.
»Beschissen. Man kann sich seine Kunden nicht aussuchen.«
Ich wusste, was er damit meinte.
»Und.. wie geht es weiter?«
Er zog die Schultern hoch.
»Wie schon. Vorläufig… muss es so gehen.«
»Wo… wo nimmst du eigentlich deine, äh, Kundschaft her? Aus dem Cafe ja wohl nicht.«
Er lächelte gequält.
»Nein, dazu gibt’s ja eine Straße hier.«
Ich kannte sie. Jeder kannte sie. Ein schmuddliges Wohnviertel am Rande der Stadt mit hohem Ausländeranteil. Die Kohlsteinstraße war freigegeben für Strichjungen. Aber Florian passte dort nicht hin.
»Hör mal, ich komm um diese Zeit auch ohne Auto nach Hause. Wenn du… lieber allein sein möchtest..«
Er riss ruckartig den Kopf hoch.
»Nein, bleib doch.«
Florian war einsam, vielleicht der einsamste Mensch, den ich je kennengelernt hatte. Ihm war nicht nach Sex, er wollte jemanden um sich haben. Und ich hatte insgeheim gehofft, dass er so reagierte.
»Wir sollten etwas essen«, sagte er dann und ging in die Anrichte. Ich folgte ihm.
»Was hast du im Angebot?«
Er lachte und das machte mich glücklich. Kannte ich Florian erst ein paar Stunden? Es könnten Jahre sein.
»Wie wär’s mit einem Toast Hawaii?«
Ich grinste.
»Es gibt Schlimmeres.«
Während er die Zutaten zusammenstellte redete er über seine Vergangenheit. Die Schule, seinen Freund Andreas, den Abbruch der Lehre als Bürokaufmann, weil er mit den Chef nicht klar kam, seine letzte Arbeitsstätte im Großmarkt. Seine Eltern erwähnte er mit keinem Wort.
Er gab mir eine Dose Ananas und einen Öffner.
»Hier, mach sie auf.«
Ungeschickt fummelte ich an dem Deckel.
»Hey, so müssen wir verhungern«, grinste er und nahm mir die Dose ab. Dabei berührten sich unsere Hände. Ja, da war er, dieser leichte Stromschlag. Florian hatte mich gefangen genommen. Er sagte, ich wäre in Ordnung. Das hatte mir gut getan.
Wir aßen den Toast und tranken Sekt dazu, nebenher lief eine langweilige Soap im TV.
Ich kannte Hawaii – Toast bis dahin nur als gelegentliche Zwischenmahlzeit, aber an diesem Abend schmeckte er mir besonders und satt wurde ich auch. Ich schwankte trotzdem, ob ich bleiben sollte oder lieber nicht.
»Du Florian.?«
»Was gibt’s?«
»Eigentlich… ist es ja wohl nicht möglich hier… woanders zu schlafen, als in deinem Bett.«
Ich musste das loswerden, genau auf diese Art.
»Ja, und?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Also ich weiß nicht, soll ich wirklich in deinem Bett schlafen? Ich mein, ich bin doch ein Fremder für dich. Ich möchte keinen Sex mit einem Menschen, den ich nicht kenne – auch nicht für Geld.«
Er nickte nachdenklich und sah mich mit diesen traurigen Augen an.
Ich schluckte. Er würde mich vielleicht angrabschen, was sicher alles andere als unangenehm war. Aber nicht unter solchen Voraussetzungen. Und die Vorstellung, wieviele Männer da schon in diesem Bett gelegen hatten, machte es nicht einfacher.
»Florian, ich denke, ich geh jetzt lieber.«
Seine Augen… Ihnen zu widerstehen war fast unmöglich.
»Soll ich dir ein Taxi rufen? Fahren lass ich dich so nicht mehr.«
Wie er das sagte, diese Stimme.
Ich stand auf.
»Florian, wir kennen uns nicht. Ich möchte nicht… für etwas bezahlen, was ich so in der Form nicht will…«
Auch er stand auf und stellte sich direkt vor mich.
»Ich versprech dir, dich nicht anzufassen. Bleib einfach nur hier, okay? Nur dableiben kostet nichts.«
Zwei Seelen in meiner Brust kämpften wie wild miteinander. Was könnte es Schöneres geben, als neben diesem Jungen zu liegen? Eine Nacht, endlich eine Nacht, in der ich nicht alleine ein – und ausschlafen musste?
Aber diesen Kampf musste die Vernunft gewinnen. Vielleicht war ich am nächsten Morgen tot? Erschlagen, erstochen? Oder er war weg mit meiner Brieftasche, weil ihm die Wohnung gar nicht gehörte? Ein völlig irrsinniges Szenario vernebelte vernünftige Gedanken.
»Florian, ruf bitte ein Taxi.«
Er nickte stumm und lief zum Telefon. Aber es war nicht so dunkel in der Wohnung, als dass ich seine Gesichtszüge nicht hätte sehen konnte. Ich spürte, wie sich mein Herz zusammenzog. Er wollte, dass ich bei ihm blieb und warum zum Teufel sollte ich es nicht tun? Diese Unsicherheit machte mich innerlich rasend. Ich entschied mich zu bleiben, stand auf und folgte ihm in den kleinen Flur, wo das Telefon stand.
»Andresen, Mozartstraße 8, bitte.«
Er legte auf, es war zu spät.
»Mach’s gut, Sebastian. Vielleicht sehen wir uns wieder, man weiß ja nie. Bist’n feiner Kerl, sieh zu, dass du den findest, der zu dir passt.«
Sein Blick ließ meine Beine weich werden. Da stand er vor mir, derjenige, nach dem ich so lange gesucht hatte.
»Florian, ich… «
»Ist schon gut, ich kann dich verstehen. Geh jetzt, die Taxis hier brauchen nie lange.«
Er öffnete die Tür und nahm mich am Arm.
»Es war schön, dich kennen zu lernen«, sagte er leise und gab mir einen Kuss auf die Wange.
»Mach’s gut. Ciao.«
Dann stand ich im Hausflur und wusste nicht, was grade geschehen war. Mir tanzten Sterne vor den Augen und ich starrte auf seine Tür. Ich hatte mich im Grunde genommen grade selbst hinausgeworfen. Zittrig fuhr ich mit den Fingern über die Stelle, wo er mich geküsst hatte.
Herr Schmidts Kommentare
Herr Schmidt saß in seiner Kuschelecke, starrte mich an und ich erzählte ihm die Geschichte jenen Abends.
Und er konnte plötzlich reden. Nicht wirklich, aber seine Worte formten sich in meinem Kopf.
»Depp«, hörte ich ihn sagen.
»Ja, ich weiß, ich hab Scheiße gebaut. Aber ich kann doch nicht bei einem wildfremden Jungen übernachten.«
»So, kannst du nicht? Er hat dir doch gefallen?«
»Du blöder Leguan. Natürlich hat es das. Aber wer weiss, was er mir in der Nacht angetan hätte?«
»Glaubst du das wirklich?«
»Ja, glaube ich.«
»Und wenn er sich nun wirklich nur nach deiner Nähe gesehnt hat und gar nichts von dir wollte? Was dann? Ich könnte mir vorstellen, dass er sich zumindest ein bisschen in dich verliebt hat.«
»Schwachsinn. Der und verliebt. Er lässt sich für seine Liebesdienste bezahlen.«
»Und? Sagtest du nicht, dass er das Geld braucht?«
»Ja doch, das hat er so gesagt. Aber wer braucht das nicht?«
»Du solltest ihn wieder treffen.«
»Bitte? Und dann?«
»Blöder Mensch. ‘Und dann’… als ob das jemand wüsste.«
Ich schaltete das Licht über dem Terrarium aus, Herr Schmidt regte mich auf. Natürlich waren das Selbstgespräche, deren Antworten ich ihm ins Maul schob. Aber sollte er Recht haben, dann…
Die Nacht war einfach für den Arsch. Ich wachte ständig auf und mit jedem Mal tauchte zuerst Florians Gesicht auf. Dieses süße Lächeln, die Figur, sein ruhiges Reden und seine Worte überhaupt. Wäre er in der Lage mich umzubringen, wegen ein paar Kröten? Würde er mich im Schlaf ans Bett fesseln und vergewaltigen? Diese abstrusen Gedanken schreckten mich ständig hoch.
»Papa, brauchst du deinen Wagen?«, fragte ich etwas zittrig beim Frühstück. »Ich hab was getrunken und ihn stehen lassen… ich geh ihn auch sofort holen.«
Er ließ seinen Löffel in die Müslischale fallen und starrte mich an. Das war’s dann wohl, dachte ich. Zukünftig Bahn fahren.
Dann überzog sein Gesicht das breiteste Lächeln, das ich je bei ihm gesehen hatte. Er langte über den Tisch und wuschelte meine Haare.
»Ich brauch ihn nicht. Hol ihn, wann du Lust hast.«
Die Bahnfahrt wurde begleitet von allen Bildern des Vorabends. Aber am deutlichsten war Florians Lächeln, seine Gestik, seine Mimik, sein Verhalten mir gegenüber. Seine Bombenfigur und dieser leichte, süßliche Geruch in der Wohnung. So riechen Jungen wenn sie… ich bremste mich aus.
Ich stand vor seinem Haus und sah hoch zu den Fenstern der Wohnung.
‘Andresen’. Der Name auf dem Klingelschild brannte in meinem Kopf.
‘Idiot’ sagte ich zu mir, ‘du bist verliebt.’
Entschlossen drückte ich den Klingelknopf, aber niemand öffnete. Entweder war Florian nicht zu Hause oder er schlief noch. Irgendwie wurde ich plötzlich wehmütig, ich vermisste etwas.
‘Du hast deine Chance verpasst’, hörte ich Herrn Schmidt sagen.
Geneigten Kopfes lief ich um die Straßen zu Papas Auto.
Erst als ich drin saß, fiel mir ein Zettel auf, der hinter den Scheibenwischer geklemmt war.
‘Hallo Sebastian. Ich wollte mich nur noch mal für den schönen Abend mit dir bedanken. Leb wohl. Flori.’
Ich knüllte den Zettel in meiner Hand und spürte Tränen aufsteigen. Leb wohl hieß, er wolle mich nicht wieder sehen.
‘Hast du gründlich versaut’, sauste es durch meinen Kopf. Florian war nicht der, für den ich ihn gehalten hatte. Kein Fesseln, kein Diebstahl. Keine fremde Wohnung, in der er hauste.
Eilig stieg ich aus dem Auto und drehte mich im Kreis, aber an einem Sonntagvormittag war auch in der Großstadt nicht das gewohnte Gewusel. Ich hatte gehofft, Florian zu sehen.
Ich sah zu dem Cafe hinüber, jede Sekunde des Abends tauchte wieder auf. War es Schicksal, dass wir uns hier begegnet waren? Gibt es überhaupt Zufälle?
Plötzlich trat ein junger Mann aus dem Cafe auf die Straße. Also hatte der Laden schon offen. Ich zögerte einen Moment, dann ging ich auf das Cafe zu. Mit jedem Meter zitterten meine Knie mehr, legte mein Herz einen Schlag zu. Saß er jetzt da drin? Ich musste Klarheit haben.
Am Tresen saßen zwei Jungs, die ziemlich verschlafen aussahen und betrachteten mich. Ansonsten waren die Tische leer. Der junge Wirt sah mich freundlich an und ich beschloss, einen Kaffee zu trinken, bevor ich nach Hause fuhr.
Die beiden Jungs musterten mich neugierig und das machte mich nervös. Aber sagen wollte ich nichts.
Immer wieder fiel mein Blick zur Tür, aber es kam niemand.
Die Heimfahrt verlief zweigeteilt. Mit einem Stück meines Gehirns folgte ich dem Verkehr, mit dem größten Teil aber war ich bei Florian.
Bevor ich die City verließ, entschied ich mich, durch die Kohlsteinstraße zu fahren. Es war nicht die Zeit für Stricher, aber eine merkwürdige Neugier trieb mich.
Langsam bog ich in die Straße ein und fuhr sie im Schritttempo entlang. Keine Menschenseele war zu sehen und die Gegend war unheimlich. Alte, fast verfallene Häuser, in denen neben Ausländern eben auch einige Stricher wohnten. Das war stadtbekannt.
Plötzlich trat einige Häuser vor mir jemand aus einer der Türen und lief die Straße entlang. Ich erkannte Florian sofort. Kurz nach ihm verließ ein weiterer Mann das Haus. Ich verstand Florians Worte, mit denen er umschrieb, dass man es sich nicht immer aussuchen könnte. Der Mann war klein, dick, eine Halbglatze und Brille. Mich ekelte schon der Gedanke, mit so einem ins Bett gehen zu müssen. Wie viel Überwindung musste das kosten? Und nur des Geldes wegen.
Ich vertrödelte den Rest des Tages zu Hause auf der Terrasse.
Am Abend im Chat:
Ixus, Dotti, Krümel, Loggi.
Ixus: ‘Nabend Ra. Was gibt’s Neues?’
Ra: ‘ Bin ein Dummkopf.’
Dotti: ‘Hoppla, was ist? Hast du den Schmidt immer noch? Dann passt’s ja.’
Login: – ‘Hamster’
Loggi: ‘Der wird den schrumpeligen Kerl doch nicht rausschmeißen.’
Ra: ‘Es geht nicht um Herrn Schmidt.’
Krümel: ‘NICHT???’
Dotti: ‘Du hast doch nicht… sag, was ist los.’
Ra: ‘Ich hab gestern einen Jungen kennen gelernt.’
Loggi: ‘Dann ist man aber im allgemeinen kein Dummkopf. Was ist mit ihm? Wie alt, wie sieht er aus, wie heißt er, wo wohnt er, was macht er.. Mann Ra, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.’
Ra: ‘Spielt ja keine Rolle mehr.’
Dotti: ‘Ach, nicht?’
Ra: ‘Ich bin weggelaufen.’
Login: – ‘Arschmade’.
Dotti: ‘Hallo Arschi. Stell dir vor, Ra hat nem Jungen einen Korb gegeben.’
Arschmade: ‘Na prima. Endlich hätte er seinen ollen Schmidt eintauschen können..’
Ra: ‘Ich werde Herrn Schmidt gegen niemanden eintauschen.’
Dotti: ‘Nun sag doch was passiert ist.’
Ra: ‘Er hat mir angeboten bei ihm zu übernachten. Aber das war mir zu.. schnell.’
Hamster: ‘Was war dir zu schnell?’
– Zum ersten Mal meldete sich der Neuling zu Wort –
Ra: ‘Wer würde gleich die erste Nacht mit einem eigentlich Fremden verbringen?’
Arschmade: ‘Gib mir seine Adresse *g*’
Ixus: ‘Mir auch *herumhechelt*’
Ra: ‘Ihr seid ja auch genügend verdorben. Das bin ich eben nicht.’
Ixus: *in die Küche geht und das Messer wetzt*
Hamster: ‘War er wirklich so fremd?’
Ra: ‘Klar, oder würdest du sagen dass man jemanden nach zwei Stunden kennt?’
Hamster: ‘Das nicht, aber man spürt ja oft auch ob da was passt oder nicht.’
Dotti: ‘Recht haste, Hamster. Ra tappst dermaßen blind durch die Landschaft, der merkt das nicht.’
Ra: ‘Ich war mir einfach nicht sicher.’
Arschmade: ‘Ja, und nun?’
Ra: ‘Er will mich nicht wiedersehen.’
Krümel: ‘Würd ich auch nicht.’
Ra: ‘Dummkopf.’
Hamster: ‘Hat er das so zu dir gesagt?’
Ra: ‘Nicht direkt..’
Hamster: ‘Und wie kommst du dann zu dieser Erkenntnis?’
Ra: ‘Ich weiß es halt.’
Arschmade: ‘Ach, weibliche Intuition?’
Krümel: ‘Klar, was denn sonst.’
RA: ‘Ich geh jetzt ins Bett, Nacht zusammen.’
Nach der üblichen Verabschiedung durch die Anderen loggte ich mich aus.
Wieder lag ich auf meinem Bett, beobachtete, wie der warme Nachtwind meine Gardinen wedelte.
Hätte ich bei ihm bleiben sollen? Obwohl ich wusste, dass er mich nicht wiedersehen wollte, kreiste dieser Gedanke durch meinen Kopf.
Ich fasste meinen Penis an, aber er reagierte selbst auf die zärtlichste Berührung nicht. Normalerweise hatte ich kein Problem damit, einmal am Tag war schließlich so eine Art Pflicht.
Ich setzte mich auf. Obwohl wirklich müde konnte ich nicht schlafen. Was war bloß passiert?
»Ich sagte dir ja, du bist verliebt«, hörte ich Herrn Schmidt sagen, »und dann reagiert der Mensch genau so.«
»Und, was deiner Meinung nach, soll ich jetzt tun? Aus dem Fenster springen?«
»Wer weiß, vielleicht nicht das verkehrteste.«
»Dummkopf. Gib mir eine gescheite Antwort.«
»Geh halt hin zu ihm. Sieh ihm in die Augen. Er wird dir damit schon zeigen, was er denkt. Und ob er es wirklich ernst meint, dich nicht wiedersehen zu wollen.«
Ein heißer Tag
Es sollte laut Wetterbericht der heißeste Tag des Jahres werden. Trotzdem lehnte ich das Angebot einiger meiner Freunde, mit an den Baggersee zu fahren, ab. Zum einen würde ich nicht die erforderliche Stimmung aufbringen und zum anderen hatte ich keine Lust auf kreischende Kinder und Menschenmassen.
Im Zug war es fast unerträglich heiß, obwohl es erst gegen neun am Morgen war.
Fast vertraut war mir schon das Haus, in dem Florian wohnte. Sollte ich ihn wieder nicht antreffen, würde ich ihn vergessen müssen.
Ganze Sturzbäche aus Schweiß liefen an mir herunter, während ich auf die Klingel drückte. Der Türöffner knarrte, ich stand im Hausflur.
Langsam ging ich die Treppen nach oben, jede Stufe geriet zur Zerreißprobe.
Dann stand ich vor seiner Tür, die nur angelehnt war. Ich lugte mit dem Kopf durch den Türspalt und rief ein Hallo in seine Wohnung.
Plötzlich stand er vor mir, nur bekleidet mit einem äußerst knappen, silbernen Slip. Rasch registrierte ich die dicke Beule und musste schlucken. Florian trocknete seine Haare, die standen denn auch verwuschelt ab und ein aufreizender Duft schlug mir entgegen. Was immer es auch war, es verlieh der Situation eine besondere Note. Diese Lippen, die Wimpern, die Augen, das sanfte Gesicht, die leicht gebräunte Haut. Ich wähnte eine Gestalt aus einer fernen Welt vor mir. Schön, dachte ich, dieser Mensch ist einfach nur schön. Zum hineinbeißen.
»Du?«, fragte er fast entsetzt.
»Ja, ich.«
In dem Moment wusste ich, was da lief. Ich hob beide Hände.
»Ich bin schon wieder weg«, sagte ich knapp und stürmte aus der Wohnung.
Auf der Straße atmete ich die heiße Luft ein. Mir wurde schwindlig, was nicht nur an meinem schnellen Rennen nach unten gelegen hatte. Dieser wahnsinnig schöne Körper…
Ein Mann kam auf mich zu, ging an mir vorbei und ich sah genau, welchen Klingelknopf er drückte. Klar, auf ihn hatte Florian gewartet.
Schnell betrachtete ich die Gestalt. Der Mann war wohl Ende Zwanzig, groß, gut gebaut und wie alle in dieser Jahreszeit leger gekleidet. Auch kam er mir sehr gepflegt vor und längst nicht so hässlich, wie der Dicke neulich. Dabei dachte ich, sie kämen erst Abends, besser Nachts, im Schutze der Dunkelheit. Aber Geilheit – das wusste ich ja selbst – kannte keine Tageszeit.
Eifersucht keimte in mir auf. In Sekunden lief vor meinem geistigen Auge ab, was da oben jetzt gleich passieren würde.
Ich ließ mir Zeit an dem Vormittag. Schlenderte durch die Kaufhäuser, deren Klimaanlagen willkommene Abwechslung in der Hitze brachten.
Aber ständig sah ich Florian vor mir stehen. Ein Adonis, schöner konnte ein Mann kaum noch werden. Und ich wurde wütend. Auf mich, auf den Freier, der grade bei ihm lag.
Irgendwie brachte ich das nicht auf einen Nenner, es passte nicht. Schon gar nicht zu Florian. Sollte ich mich so in ihm getäuscht haben? War er wirklich das, was er vorgab zu sein? Klar, er musste aufreizend auftreten. Das machte diese Säcke geil und sie zahlten dann auch sicher gut. Aber dass Florian seinen himmlischen Körper dafür verkaufte, wollte mir nicht in den Sinn.
Und ich begann mich zu fragen, ob ich das dulden dürfte.
Manfred
An dem Abend besuchte ich nicht den Chat. Ich war so aufgewühlt dass ich eine Flasche Rotwein kappte und mich ins Wohnzimmer setzte.
Papa hatte angerufen und mitgeteilt, dass es später würde, er ginge mit Kollegen essen.
Ohne genauer darüber nachzudenken, rief ich Manfred an. Einer meiner engeren Freunde, übriggeblieben aus alten Realschulzeiten. Ich musste einfach mit jemandem reden.
»Hallo Sebastian.«
Mit Manfred verband mich eine innige und doch gelöste Freundschaft. Wir sahen uns nach der Schulzeit selten, obwohl er hier im Ort wohnte. Ein Junge war aus der Hochzeit mit seiner Karin hervorgegangen. Ja, der Manfred war fleißig und es gab Zeiten, da hatte ich ihn beneidet. Besonders die schöne Hochzeit in unserer alten Kirche hatte es mir angetan. Aber als mir klar wurde, dass mir so eine Zukunft nicht bevorstand, legte sich dieser Neid und wir blieben was wir waren. Er treusorgender Familienvater, ich ein freundloser Schwuler.
Wenn wir uns trafen, war seine erste Frage immer, wann ich denn nun endlich heiraten würde. Ja, er wusste nichts von meiner Neigung und es gab nie einen Grund, es ihm zu sagen.
Er war übrigens Mitarbeiter in der Firma meines Vaters. Besser gesagt, in dessen Vizeposition. Papa hielt schon immer große Stücke auf ihn und schon bald saß er in diesen jungen Jahren auf einem Führungsposten.
»Hallo Manfred. Wie geht’s euch?«
»Prima, und dir? Naja, ich frag nicht mehr nach der Frau deines Lebens.«
Ich lächelte gequält.
»Hast du mal wieder Zeit für mich, so ein paar Stunden?«
»Oh, da hast du Glück. Karin ist mit Pascal bei ihren Eltern, sie bleiben über Nacht. War schon lang mal geplant.«
»Hast du heute Abend Zeit?«
»Ja, würde mir passen, dann muss ich nicht allein hier herumhängen.«
»Schon gegessen?«
»Nein.. «
»Wollen wir uns beim ‘Schafwirt’ treffen, in einer halben Stunde?«
»Ja, ich bin da.«
________________________________________
Es dauerte keine zehn Minuten, da merkte Manfred, dass etwas mit mir nicht stimmte.
»Ich kenn dich lang genug. Also, was ist los? Hast wenigstens mal Liebeskummer? Ich habe immer den Verdacht du… «
»Was?«
»…du willst gar nicht. Dich verlieben, mein ich. Familie gründen.«
Ich musste grinsen.
»Du liegst mit diesem Verdacht zum Teil richtig.«
Das Essen kam.
Verklärt sah er mich an.
»Wie meinst du mit zum Teil?«
»Verlieben: ja, heiraten: schon möglich, Familie: geht so nicht.«
Er starrte mich an, ich konnte die Rädchen in seinem Kopf arbeiten hören.
»Was heißt, geht so nicht? Bist du krank… ich meine, kannst keine Kinder kriegen…?«
Ich lächelte.
»Oh, das würde ich ganz bestimmt.«
Plötzlich bekam er große Augen.
»Aber du erzählst mir jetzt nicht, dass du… «
Er sah sich um, so als wolle er sicher gehen, dass man das, was er mir dann sagen wollte, nicht hören konnte.
»…gar keine Frau suchst?«
Mir blieb nichts als dieses Dauergrinsen.
»Erfasst, mein Lieber, erfasst.«
Er zog eine Augenbraue hoch und hob das Glas Rotwein.
»Is ja n Ding. Da hab ich dir ja immer einen reingewürgt, wenn ich dich nach Frau, Familie und Kindern gefragt hab.«
»Nee, bestimmt nicht. Ich wusste ja, eines Tages wirst du es erfahren, wie auch immer.«
»Und nun? Jammertal?«
»Genau. Aber ich piense dir hier nicht die Ohren voll, von diesen Sachen wirst du eh nichts hören wollen.«
Er musterte mich.
»Aha, und wieso zum Beispiel nicht?«
»Kann’s mir nicht gut vorstellen.«
»Soso. Könnte es aber sein, dass sich dein alter Freund um dich sorgt? Also, erzähl, Sebi. Was ist los?«
Ich sah nicht auf die Uhr, aber eine Stunde war es bestimmt, in der ich ihm mein ganzes, bisher geheim gehaltenes, Leben unterbreitete. Und mit jedem Satz fühlte ich mich freier, gelöster, entspannter. Manfred war der geborene Zuhörer. Er fragte nicht, sagte nichts. Hörte nur zu.
Nach meinen Offenbarungen lehnte ich mich zurück und stieß das dritte oder vierte mal mit ihm an.
»Vielleicht hab ich dich ja jetzt enttäuscht, aber ich kann’s nun mal nicht ändern.«
Er lachte.
»Warum willst du es ändern?«
Er beugte sich über den Tisch und flüsterte mir ins Ohr:
»Ich wollt immer schon mal nen Schwulen zum Freund. Einfach so, weil’s doch auch In ist…«
Dabei zwinkerte er mit einem Auge und ich musste grinsen. Manfred war auch betäubt von diesen Klischees, aber ich sagte darauf nichts. Wenn es ihm egal war, mir erst recht.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als unsere Gläser über dem Tisch klimperten.
»Und du glaubst, du würdest es mit Florian mal versuchen? Ich weiß ja nicht, was er nun schon über das Computerwesen gelernt hat.«
Wir waren auf Florians Weiterbildung zu sprechen gekommen.
»Vergiss das. Word, Excel, Powerpoint – das übliche Strickmuster der Bundesanstalt für Arbeit. Ich nehm ihn für erstmal sechs Wochen unter meine Fittiche und dann wird man sehen, wie er sich anstellt.«
»Das würdest du tun?«
»Klar.«
»Und … was zahlt ihr ihm dafür?«
»Darüber muss ich mit deinem Vater sprechen, so weit geht meine Kompetenz nicht.«
Ich hätte ihm um den Hals fallen können. War meine Rechnung aufgegangen? Konnte ich Florian aus diesem Sumpf herausziehen? Ich war überglücklich. Mein Papa war kein Hindernis, da war ich mir sicher. Er war halt der Nächste, der sich eine Nacht mit mir um die Ohren schlagen müsste.

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