Maximilian
Blaue Augen ruhen mit ernstem Blick auf Benjamin, der hilflos am Boden liegt und nach Luft schnappt. Es folgen heftige Tritte in die Magengegend, wo er nur Keuchen kann und wobei die gelb-blonden Strähnen von Jens hin und her wackeln.
„So, jetzt bekommst du was du verdienst!“, schreit Jens förmlich und lacht undefinierbar.
Benjamin hat schon das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, an Hilfe rufen ist also gar nicht zu denken. Ihm scheint sogar für einen Moment schwindelig zu werden, wohl weil er heute noch nichts weiter getrunken hat, denn die Tritte sind nicht allzu doll.
Plötzlich hören diese jedoch auf und nach einer erschreckenden Stille folgt eine heftige Auseinandersetzung.
„Lass mich…“, brüllt Jens und es folgt eine bekannte Stimme, die Benjamin schon einmal geholfen hat.
„Du handelst dir nur wieder Ärger ein“, kommt es von Maximilian, der krampfhaft versucht Jens von Benjamin wegzuziehen.
„Das ist doch meine Sache!“, protestiert Jens, wobei sein Blick auf dem am Boden kauernden Benjamin fällt.
Der hat die Augen fest verschlossen und die Arme stützend vor seinem Gesicht verschränkt. Er hofft, so dem Ganzen entkommen zu können, obwohl es vielleicht besser wäre, einfach wegzulaufen.
Maximilian ist Jens nicht wirklich gewachsen, da dieser ihn etwas überragt und auch kräftiger als er ist.
Maximilian versucht es gerade auch deshalb auf die nette Art: „Hör zu Jens, ich meine es doch nur gut und will dir helfen“, versucht Maximilian Jens zum Gehen zu überreden.
„Die Schwuchtel bekommt jetzt das, was sie verdient hat!“, schimpft dieser und will gerade wieder zum Treten ansetzen, als Maximilian ihn mit einem kräftigen Ruck wegreißt.
„Bist du jetzt auch eine Tunte, oder was?“, fragt Jens diesen und schubst ihn gegen die Wand, wobei eine seiner Hände sich in Maximilians mittelblonden Haaren festkrallt.
Dabei reißt er natürlich Haare raus und entlockt Maximilian einen Schmerzensschrei. Anschließend spuckt Jens noch in Benjamins Richtung und verlässt dann die Toiletten. Erst als Benjamin die Tür hört, traut er sich seine Arme wegzunehmen und blick in Maximilians mittelblaue Augen.
„Alles okay?“, fragt dieser.
Doch Benjamin kann nur nicken, da er sich noch nicht ganz vom Schrecken erholt hat.
„Jens ist weg, du kannst also beruhigt aufstehen“, kommt es von Maximilian, „wir sollten einem Lehrer Bescheid geben.“
Während Benjamin aufsteht, nickt er wieder, da er sich in Begleitung gleich viel sicherer fühlt sich einem Lehrer anzuvertrauen. Vorher schaut er sich im Spiegel noch seine Lippe an, die schon etwas geschwollen ist und leicht blutet.
Mit etwas Wasser und einem Tempo, ist nur noch die Schwellung zu sehen. Beim Lehrerzimmer angekommen, suchen sie ihren Vertrauenslehrer auf, der auch gleich Zeit für sie hat.
„Wie kann ich euch denn helfen?“, will dieser von den Jungs wissen.
Maximilian deutet mit der Hand auf Benjamin und dieser versucht zu schildern, was er in letzter Zeit durchmachen musste. Weil Maximilian bei ihm ist, hat er den Mut wirklich alles zu erzählen.
Nachdem das erledigt ist, müssen sich beide beeilen, da die Stunde bereits begonnen hat und natürlich werden sie herzlich von der Klasse begrüßt: „Ei, ei, ei, was sehen wir da, ein verliebtes Ehepaar…“, singt die Klasse im Chor und der Lehrer ist mal wieder machtlos.
Benjamin und Maximilian gehen zu ihren Plätzen und Maximilian scheint nicht sehr erfreut zu sein.
Als die Stunde vorbei ist, wagt es Benjamin eher aus der Klasse, als sonst.
Er hofft sich Maximilian anschließen zu können, doch dieser ist überhaupt nicht begeistert: „Was willst du?“, fragt er Benjamin, als er bemerkt, dass dieser ihm folgt.
„Ich dachte…“, stottert Benjamin sich zu recht.
„Was dachtest du?“, will Maximilian wissen.
„Na ja…du hast mich doch gerettet…“, kommt es von Benjamin.
„Und? Jetzt sind wir Freunde, oder was?“, wettert Maximilian.
„Ich… ich weiß nicht?“, sagt Benjamin ziemlich unsicher.
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich das jetzt jeden Tag mitmache“, schreit Maximilian Benjamin an.
„Da hast du dich geschnitten.“
Und dann geht er und lässt den verunsicherten Benjamin im Schulflur stehen. Zu allem Überfluss wird er auch noch von einem Lehrer nach draußen geschickt, wo er sich total schutzlos fühlt. Maximilian hat sich aus dem Staub gemacht und so versucht Benjamin immer in der Nähe des Lehrers zu bleiben, der Aufsicht führt.
Doch als es zur Stunde klingelt, ist das nicht mehr machbar und Benjamin versucht so schnell es geht rein zu kommen. Leichter gesagt, als getan bei dem Gedränge. Und so kommt es, dass Jens auf einmal beim Reingehen direkt hinter Benjamin ist, mit noch zwei anderen Raufbolden.
Benjamin wird geschubst und landet gegen andere Schüler, die sich beschweren: „Hey, kannst du nicht aufpassen?“
„Entschuldigung“, wispert Benjamin, woraufhin er wieder gegen die Schüler gedrängt wird.
„Ich kann da nichts für“, versucht sich Benjamin zu verteidigen.
Wieder und wieder spürt er diesen Druck gegen seinen Rücken, der nicht wirklich sanft ist und langsam aber sicher laufen ihm Tränen über die Wangen. Warum müssen die nur so gemein zu ihm sein?
Beim Klassenzimmer angekommen stellt Benjamin sich in eine Ecke und versucht die Tränen irgendwie aufzuhalten, was gar nicht so einfach ist, wenn sie erst mal laufen.
„Heulsuse!“, kommt es von dem ein oder anderen und Benjamin wünscht sich an einen anderen Ort.
Für ihn vergehen gespürte Stunden bis endlich der Lehrer erscheint und zu seinem Glück ist es sein Vertrauenslehrer, der Benjamin gleich beiseite nimmt. Der Lehrer gibt der Klasse ein paar Aufgaben und nimmt Benjamin mit ins Lehrerzimmer, wo er ihm erst einmal einen Tee anbietet.
Benjamin nimmt aber doch lieber einen Kaffee und erzählt dann alles, was passiert ist. Der Lehrer notiert alles eifrig und verschwindet dann für eine Weile mit den Worten: „Ich bin gleich wieder da. Nimm dir doch noch eine Tasse. Kekse müssten da auch irgendwo sein. Und falls dir was weh tut, geh lieber zur Schulschwester.“
Benjamin bedient sich an den Schokoladenkeksen und trinkt noch reichlich Kaffee, wonach es ihm schon viel besser geht, so dass er gar keine Schmerzen mehr hat. Noch nicht einmal seine Lippe tut weh, obwohl er ständig drüber lecken muss, wegen der Schokolade.
Die Schwellung spürt er zwar schon noch, aber die geht auch früher oder später weg. Es klingelt schon wieder zur Pause und das Lehrerzimmer füllt sich mit Lehrern, als Benjamins Vertrauenslehrer auch wieder auftaucht.
Erwartungsvoll schaut Benjamin den Lehrer an und dieser sagt zu ihm: „Jens Eltern werden informiert werden. Mal wieder. So wie es aussieht wird er der Schule verwiesen.“
Benjamin kann ein Lächeln nicht unterdrücken und fällt dem Lehrer sogar um den Hals. Dieser räuspert sich und löst den kleinen Klammeraffen vorsichtig von sich.
„Jens hat mittlerweile schon so eine dicke Akte, dass es keine andere Wahl mehr gibt“, erklärt der Lehrer Benjamin noch, bevor dieser sich zum Schulhof begibt, um seine Pause zu genießen.
Endlich scheint sich auch mal etwas zum Guten zu wenden für ihn und als er die Pausenhalle betritt, sieht er wie Jens gerade auf seine Eltern trifft. Ein lauter Knall erklingt und Jens hat von seinem Vater eine gewaltige Ohrfeige bekommen.
Die hat er bestimmt auch verdient, doch für einen kleinen Augenblick empfindet Benjamin so etwas wie Mitleid für Jens, da es ihm mit seinem Vater ja ähnlich ergeht. Doch daran will er in diesem Moment nicht lange dran denken, viel lieber genießt er den kleinen Triumph in seinem Leben.