Fünf Buchstaben – Teil 3

Jens

Der Wecker klingelt mal wieder viel zu früh für Benjamins Geschmack, aber es bleibt ihm ja nichts anderes übrig, als aufzustehen. Erst die angenehme Dusche lässt ihn etwas wach werden und nachdem er angezogen und frisiert ist, fühlt er sich auch schon putzmunter.

Dann beginnt sein Tag, wie jeden Morgen heißt es den Tisch decken und Kaffee kochen.

Sein Vater kommt auch bald die Treppe runter, fertig für die Arbeit, „Guten Morgen“, kommt es von ihm mit fester Stimme.

„Morgen“, versucht Benjamin zu strahlen.

Sie setzen sich zum Frühstücken an den Tisch, was genauso ruhig wie das Abendessen verläuft und danach muss Benjamins Vater auch los zur Arbeit. Benjamin muss dann noch den Abwasch machen und auch wenn er weiß, dass sein Vater heute nicht nach Hause kommt, macht er ihn besser, denn man weiß ja nie, ob sein Vater nicht doch noch nach Hause kommt, weil er vielleicht etwas vergessen hat.

Dann schmiert Benjamin sich noch schnell ein Pausenbrot und geht raus zu seinem Fahrrad, als es ihm wie Schuppen von den Augen fällt – er hat vergessen den neuen Reifen drüber zuziehen.

„Mist“, schimpft Benjamin. Jetzt kommt er bestimmt zu spät und die blöden Sprüche seiner Mitschüler hört er jetzt schon.

Also nimmt er die Beine in die Hand und geht auch alle Abkürzungen zur Schule, die er kennt, doch trotz alledem kommt er fast zehn Minuten zu spät.

„Morgen. Entschuldigung das ich zu spät komme, aber…“

Da stockt Benjamin, denn er hat sich vor lauter Stress gar keine Ausrede einfallen lassen.

Doch das erledigen seine Mitschüler schon für ihn, denn Jens ruft in den Raum: „Er musste sich erst noch von seinem Freund verabschieden.“

Und während die Klasse laut lacht, mach Jens einen Kussmund und wirft Küsse in die Luft. Der Lehrer versucht die Klasse zu beruhigen und Benjamin nimmt unterdessen hinter seinem Tisch Platz.

Er vergräbt seinen Kopf hinter seinen Büchern und vertieft sich in das, was er am Besten kann, er zeichnet mal wieder ein Portrait eines Schauspielers. Die Stunde ist mal wieder viel zu schnell um und so geht Benjamin wie immer den gleichen Weg zu den Toiletten, bewaffnet mit Stift und Papier.

Doch dieses Mal kommt er nicht weit, denn vor den Toiletten steht eine kleine Gruppe seiner Mitschüler, unter anderen auch Jens.

„Da ist ja unser Knutscher“, kommt es auch gleich von ihm, als er Benjamin entdeckt.

Und ehe dieser sich versieht, ist er auch schon umkreist und steht völlig schutzlos in der Mitte. Es prasseln jede Menge Beschimpfungen auf ihn ein, während er von links nach rechts geschubst wird.

Unter vielen Bemerkungen fällt immer öfters das Wort „Schwuchtel“ oder auch „Tunte“ und das nur weil er vom Aussehen her total nach seiner Mutter kommt.

Beschützend presst Benjamin seinen Block an sich und schließt krampfhaft die Augen. Er wünscht sich an einen anderen Ort, während Jens Stimme sich in sein Gehör frisst und immer deutlicher unter den anderen Schülern zu hören ist.

„Schwuchtel… Na, gefällt dir das du Tunte…?“

Doch plötzlich ist eine erschreckende Stille da und Benjamin landet nicht wie zuvor gegen einer seiner Mitschüler, sondern ziemlich unsanft auf dem Fußboden. Ein Lehrer hat den Flur betreten und die Schüler waren schneller weg, als dieser etwas sagen konnte.

„Ist alles okay bei dir?“ fragt er deshalb Benjamin, aber der kann nur nicken und muss ein Schluchzen unterdrücken.

„Wer war daran beteiligt? Kanntest du jemanden?“, will der Lehrer wissen.

„…J-Jens…“, kriegt Benjamin nur raus, denn mehr weiß er wirklich nicht, schließlich ging alles ziemlich schnell und dann hatte er die Augen geschlossen.

„Natürlich. War ja klar“, kommt es vom Lehrer, „ich kümmere mich darum.“

Sicher tut er das und Jens wird nachsitzen müssen. Die Stunde beginnt und Benjamin fühlt sich nicht wirklich wohl in seiner Haut. Seine Stimmung wird nicht wirklich besser, als ein zusammen gefalteter Zettel auf seinen Tisch geworfen wird.

Langsam entfaltet Benjamin diesen und entdeckt folgende Botschaft.

DAS WIRST DU MIR BÜßEN!

Ein Schauer läuft ihm über den Rücken, seine Hände fangen an zu zittern  und nur zaghaft wagt er es in Jens seine Richtung zu schauen. Dieser hat ein breites Grinsen auf den Lippen, knabbert an einem Bleistiftende rum und scheint sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein.

Der Rest der Stunde zieht sich wie Kaugummi in die Länge und Benjamin ist sich immer noch nicht schlüssig darüber, ob er sich einem Lehrer anvertrauen sollte. Das Bild das er zeichnet, will ihm irgendwie gar nicht gelingen und so zerknüllt er es letzten Endes.

Der Stoff, der vom Lehrer durch genommen wird, scheint auch nicht wirklich interessant zu sein und so wandert Benjamins Blick schweifend durch die Klasse. Dabei beobachtet er Jens und Maximilian, die miteinander tuscheln und er bemerkt dass, sie irgendwie streiten.

Trotzdem scheint auch das nicht wirklich interessant zu sein und so meldet er sich: „Ich müsste mal aufs Klo.“

„Sicher geh ruhig“, antwortet der Lehrer und so macht Benjamin sich auf den Weg.

Normalerweise vermeidet er es sich zu melden, damit nicht ständig blöde Sprüche auf ihn einprasseln, aber das ist ihm nun auch egal.

„Oh unsere kleine Tunte trifft sich bestimmt heimlich mit seinem Freund“, kommt es noch von Jens, bevor Benjamin die Klassentür hinter sich schließt.

Und das Grölen der anderen Mitschüler hört man bis auf den Flur, nur der Lehrer scheint nicht wirklich dagegen anzukommen, denn den hört man nicht. Benjamin geht den leeren Flur entlang, lauscht an der einen oder anderen Tür und genießt die Stille.

Eigentlich muss er gar nicht auf Toilette, aber dennoch geht er da hin, um sich etwas Wasser ins Gesicht zu hauen. Sein Blick fällt in den Spiegel, wo ihm nasse Haarsträhnen ins Gesicht hängen, da seine Locken durch das Wasser etwas glatt geworden sind.

Seine dunkelbraunen Augen wirken starr und angsterfüllt, da er nicht weiß was auf ihm zukommt. Was hat Jens vor? Will er Benjamin vielleicht nur Angst einjagen? Dieser schüttelt den Kopf und holt noch einmal tief Luft, bevor er sich wieder zum Klassenraum begibt.

Der Lehrer scheint wieder alles im Griff zu haben und so nimmt Benjamin wieder auf seinem Stuhl Platz und beginnt eine neue Zeichnung. Mit neu gewonnener Energie, klappt es dieses Mal auch viel besser und so ist der Rest der Stunde schnell vorüber.

Das Klingeln der Pausenglocke hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack bei Benjamin und so zögert er mit dem Hinausgehen aus der Klasse. Doch es ist weit und breit niemand zu sehen, weshalb Benjamin auch zielstrebig auf die Toiletten zu geht.

Sein Puls rast und beruhigt sich erst, als er in den Räumlichkeiten angekommen ist. In diesen Toiletten ist nur sehr selten was los und so hat er hier stets seine Ruhe, die er sehr genießt. Da sein Bild fertig ist, überlegt er krampfhaft welchen Schauspieler er als Nächstes malen will und bemerkt gar nicht, dass er nicht allein ist.

Schritte hallen im Raum, weshalb Benjamin sich ruckartig umdreht und auch gleich zu Boden geht.

„Aua“, schreit er, piepsiger als er wollte und hält sich seine Lippe. Vorsichtig tastet er, was geschehen ist und sieht sein eigenes Blut laufen.

Benjamins Unterlippe ist aufgeplatzt und ein brennender Schmerz macht sich breit, während er direkt in das Gesicht seines Angreifers blickt.

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