Ableitungen und ähnliche Unfälle 3 – Teil 1

Peter

Der Typ am Empfang händigte mir die Schlüsselkarte aus und wünschte mir einen schönen Abend. Mit einem leisen Klicken schloss sich die Tür meines Hotelzimmers, nachdem ich das Zimmer bei meiner Gastfamilie überraschend räumen musste, da sich Besuch angekündigt hatte.

Als Wiedergutmachung übernahmen die Barlows auch die Kosten für die Nacht im Hotel. Gedankenverloren starrte ich aus dem Fenster des spärlich eingerichteten Zimmers und blickte direkt auf den Atlantik.

Es war mein letzter Tag in Coral Gables, ganz in der Nähe der Universität von Miami Dade, wo ich mein Studienjahr verbracht hatte. Das Jahr war spannend und ein großes Abenteuer. Unter der Sonne Floridas war vieles anders als ich es vorher kannte.

Der Tagesablauf in der Schule, die gigantischen Parties in den Strandvillen der reichen Kids: nichts glich meinen Erfahrungen aus Deutschland. Hier war alles irgendwie größer. Die Vergangenheit zog in bewegten Bildern durch meinen Kopf.

Der Rauswurf bei meinen Eltern lag mittlerweile fast vier Jahre zurück und mir fehlte Dominik, der sein Musikstudium in der Heimat absolvierte.

„Oh Dominik“, seufzte ich leise.

Mein schlechtes Gewissen quälte mich. Er hatte mich nur einmal besuchen können, ganz am Anfang des Jahres und musste dann überraschend abreisen, weil sich sein Vater im Dienst eine Kugel eingefangen hatte.

Danach stand uns das Studium im Weg und Domi gab zudem Klavierunterricht. Vor nicht ganz zwei Monaten wurde ich fast verrückt vor Sehnsucht. Einer meiner amerikanischen Mitstudenten, Justin MacNeill, lud mich an dem Abend zu sich ein, um mich auf andere Gedanken zu bringen.

Sein Plan ging auf: nach vier seiner selbstgemachten Mojitos landeten wir in seinem Bett. Ich konnte es meinem Freund bisher nicht sagen, obwohl wir weiterhin mehrmals in der Woche telefonierten.

Am nächsten Tag, nach der Nacht mit Justin, verabschiedete er sich mit den Worten „Nur noch zwei Monate, du fehlst mir so sehr, mein Froschkönig.“ Danach fing ich an zu heulen. Ich war mehrfach kurz davor, mit Alex darüber zu reden, aber das wollte ich ihm nicht zumuten.

Wer weiß, ob er es überhaupt verstanden hätte. Außerdem hatte der im Moment ganz andere Sorgen: Linda und er bekamen Nachwuchs. Es klopfte an der Tür.

„Come in!“

„Peter, ich …“

Mein Besucher schwieg und schloss die Tür hinter sich. Ich atmete tief durch und drehte mich um.

„Was willst du, Justin?“

„Du gehst mir ständig aus dem Weg und ich hatte bisher noch keine Chance… Ich wollte mich von dir verabschieden.“

Er stand unsicher in der Tür und hielt eine kleine Plastikschatulle in der Hand.

„Und mich entschuldigen, weil ich dir Probleme gemacht habe. Glaub mir, ich wollte mich nicht verlieben. Mir war klar, dass du wieder gehen wirst.“

„Probleme? Ich bin doch nur wieder Single, wenn ich es ihm sage, denke ich.“

„Dann sag“s ihm nicht.“

„Ich kann ihn nicht anlügen und es zu verschweigen ist eine Lüge“, entgegnete ich scharf.

Der irischstämmige Amerikaner strich sich nervös durch sein braunes Haar.

„Es tut mir leid.“

„Ach fuck, hör auf! Wir wussten was wir taten und ich hab es zugelassen. Es ist auch meine Schuld.“

Justin kam näher und hielt mir die Schatulle entgegen.

„Was immer es ist, ich will es nicht.“

„Schau es dir wenigstens an.“

Er öffnete die kleine Schachtel und zog eine silberne Kette mit einem Anhänger heraus. Es war ein vierblättriges Kleeblatt aus Silber und die Blätter waren, der Maserung nach, aus Jade.

„Es soll dir Glück bringen. Peter, ich wünsche mir sehr, dass dein Freund dir verzeiht. Ich war selbstsüchtig und du sollst nicht darunter leiden. Bitte, nimm es an.“

Ich ergab mich mit einem Seufzer.

„Also gut. Danke.“

Die Kette wechselte den Besitzer und ich versuchte erfolglos den winzigen Verschluss im Nacken zu verschließen.

„Warte“, meinte Justin und er trat hinter mich.

Anschließend verweilten seine Finger ein wenig länger als nötig auf meinem Nacken und sein Daumen strich über die empfindliche Haut. Energisch ging ich einen Schritt nach vorne und befreite mich von ihm.

„Bitte geh. Leb wohl, Justin.“

Er gab mir einen letzten Kuss auf die Wange.

„Bye Peter, alles Gute.“

Dann war er weg und ich ein Stückchen verzweifelter. Ich wollte ihm nicht wehtun, aber es blieb keine Wahl. Dominik war und blieb der Mensch den ich liebte. Justin stieg in seinen Pick-Up und ich sah dem Wagen nach, wie er entlang der Küstenstraße verschwand.

Ich mochte ihn schon, irgendwie und mein Verhalten war unfair. Doch die Situation hatte mich überfordert. Mit den Kopfhörern meines MP3-Players im Ohr, legte ich mich aufs Bett und fiel bald in einen unruhigen Schlaf.

Miami lag hinter mir.

*-*-*

Dominik

Die Instrumentenprobe verlief nicht besonders gut. Hendrik war nicht bei der Sache und griff auf seinem Bass mehrfach daneben. Die Band musste heute ohne Sänger auskommen, da Josh, mittlerweile ein Kollege meines Vaters, unterwegs auf einem Lehrgang war und Max machte Urlaub.

Alex ließ seine Gitarre sinken und sah verzweifelt in Richtung Luka, der gerade den Probenraum betreten hatte. Ich war, wie öfters in letzter Zeit, für ihn am Keyboard eingesprungen. Luka stand mit ausdruckslosem Gesicht an der Tür und warf dann Hendrik einen eisigen Blick zu, welcher in ängstlicher Erwartung ausharrte.

„Ich bin raus, endgültig“, kam es unterkühlt von der Tür und der Keyboarder schnappte sich einen Rucksack, den er im Flur deponiert hatte.

„Hier, deine restlichen Sachen.“

Hendrik schluckte schwer, als er den Rucksack in die Hand gedrückt bekam.

„Bitte, lass wenigstens die Band nicht hängen. Ich hab den Mist gebaut.“

Luka packte seinen Ex-Freund am Kragen und hielt ihn unerbittlich fest.

„Mist gebaut? Du hast mich betrogen, Arschloch!“

Die blanke Wut konnte den verletzten Ausdruck in seinen Augen nicht überdecken. Guido sprang auf und riss die beiden auseinander, da Hendrik bereits erste Zeichen von Atemnot hatte.

„Luka, dann geh. Es tut mir leid für euch, aber du hast dich entschieden.“

„Du stehst wohl auch auf seiner Seite, was? Er betrügt mich und ihr haltet zu ihm!“

In seiner Raserei ging der Ex-Keyboarder nun auf den Drummer zu.

„Du hast echt nur Scheisse im Hirn. Hier steht niemand auf irgendeiner Seite. Aber wenn du vor unseren Augen auf ihn losgehst, dann rechne gefälligst auch mit einer Reaktion.“

Guido ließ sich nicht einschüchtern, zumal er auch der Stärkere war. Hendrik wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht und legte seinem Kumpel die Hand auf die Schulter.

„Lass gut sein. Er hat ja Recht, es ist meine Schuld.“

„Das war es dann wohl mit uns. Domi kann nicht immer einspringen und er dürfte wohl bald wenig Zeit für uns haben. Peter landet nachher.“

Alex machte keinen Hehl aus seiner Resignation, lächelte mich aber aufmunternd an. Er hatte Recht, ich konnte es kaum noch erwarten. Die lange Zeit der Trennung nagte schwer an mir, doch sie war endlich rum.

Wirkliche Ablenkung gab es im Freundeskreis nicht. Linda und Alex waren furchtbar verliebt und kaum noch ohne den anderen zu sehen. Seine Freundin hatte bereits ein ansehnliches Babybäuchlein, aber ich freute mich für sie.

Hendrik und Luka dagegen verströmten seit Wochen pure Depression, seit Hendriks Fehltritt mit einer Clubbekanntschaft. Rückhalt fand ich ansonsten noch bei Paps und Doro. Mittlerweile waren die beiden verheiratet. Aber wirklich helfen konnten sie mir nicht.

„Gutes Stichwort“, sagte ich, „Paps wartet bestimmt schon.“

In diesem Moment drehte sich auch Luka um und verließ wortlos den Raum. Hendrik sah ihm mit Tränen in den Augen nach. Er bereute seinen Ausrutscher sehr, aber er musste die Tatsachen akzeptieren.

„Jungs, wir sollten uns morgen trotzdem treffen und nochmals über die Situation reden. Aber jetzt bring ich erst mal meinen Stiefbruder heim.“

Alex lächelte mir zu.

„Wann bekommst du eigentlich deinen Führerschein wieder?“, wollte Guido wissen.

„Nächste Woche“, antwortete ich zerknirscht.

Paps hatte mir die Hölle heiß gemacht, dass ausgerechnet ich, der Sohn eines Polizisten, vier Wochen Fahrverbot für überhöhte Geschwindigkeit bekam. Sein Vortrag, über Verantwortung im Straßenverkehr, klingelte immer noch in meinen Ohren.

Ich verabschiedete mich mit einer herzlichen Umarmung von Hendrik, der mich fest umklammert hielt und leise in mein Ohr schluchzte. Ich hätte ihm gerne geholfen, aber da musste er nun durch.

Der Arme blieb alleine mit Guido zurück, nachdem uns Alex nachdrücklich getrennt hatte. Es war wirklich Zeit zum Gehen.

„Er schafft das. Der Kleine ist stark genug“, unterbrach mein Stiefbruder die Stille zwischen uns, während er den Wagen sicher nach Hause lenkte.

„Ja, aber ich kann es nicht sehen, wenn Menschen leiden. Luka hätte ruhig versuchen können, etwas mehr Verständnis zu zeigen. Denk mal dran, was ich dir von früher erzählt habe. Ich hätte ihn ohne weiteres ins Bett bekommen.“

„Hätte. Aber es ist nicht passiert. Der Grund zählt doch heute kaum noch.“

„Warum fällst du mir in den Rücken?“, entgegnete ich angesäuert.

„Das tu ich doch gar nicht. Es ist nicht dein Kampf, was mit den beiden passiert. Klar, Hendrik war dämlich es zu riskieren und ich glaube auch, dass es ihm Leid tut. Aber er hat Lukas Vertrauen missbraucht. Und dieser kann damit offensichtlich nicht umgehen.“

Er hatte eindeutig was von seiner Mutter, mit diesen Psychosprüchen. Wen wunderte es da noch, er ebenfalls diesen Beruf gewählt hatte.

„Kannst du nicht mit ihm reden?“

Seine Antwort darauf war mir schon klar und er schüttelte lediglich den Kopf.

„Wie würdest du reagieren, wenn Peter dir fremd geht?“

Er bedachte mich mit einem forschenden Blick.

„Würde er nicht“, gab ich trotzig zurück. Solche Themen behagten mir nicht.

„Hypothetisch, wie würdest du reagieren?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Dunkle Erinnerungen an Fabian, meinen letzten Freund vor Peter, wurden wach. Er hatte es damals mit einigen aus dem Internat getrieben.

„Gut. Und würdest du wollen, dass alle Welt deswegen auf dich einredet? Unabhängig von deiner Entscheidung?“

„Nein“, presste ich zwischen den Zähnen hervor.

„Penner!“

Alex grinste mich an.

„Für dich doch immer wieder gern, Stinker.“

Er hatte es mal wieder geschafft und mich auf andere Gedanken gebracht. Nach wenigen Minuten blieb er vor dem Haus seiner Mutter stehen.

„Sag Mum und Manfred noch einen Gruß von mir.“

„Kommst du nicht mit rein?“

Er schüttelte den Kopf.

„Schwangerschaftsgymnastik, ich muss Linda noch abholen.“

Wir verabschiedeten uns und Paps kam aus dem Haus.

„Wird ja auch Zeit, willst du deinen Freund etwa warten lassen.“

„Nur keine Hektik, Paps. Es ist doch erst …“

Ich sah auf die Uhr und stellte mit Schrecken fest, dass sich keiner der Zeiger auch nur ein Millimeterchen bewegt hatte. Sie stand still.

„Wir haben noch ungefähr zwanzig Minuten.“

Er drückte mir noch mein Handy in die Hand.

„Ich wollte dich ja anrufen, aber es klingelte in deinem Zimmer.“

Ich ließ den Kopf schuldbewusst hängen. Mein Aufbruch am Mittag war etwas überstürzt, durch die Vorfreude war ich ein wenig zerstreut.

„Na komm, lass uns fahren.“

Paps schob mich sanft zum Auto und wir fuhren los.

*-*-*

Manfred

 

Mein Sohn war völlig durch den Wind. Während der Fahrt spielte er an dem kleinen Ohrstecker herum, den er sich vor wenigen Wochen rechts hatte stechen lassen und bekam vor lauter Aufregung kein Wort raus.

Ich hatte natürlich vollstes Verständnis dafür, von Doro würde ich auch nicht für so lange Zeit getrennt sein wollen. Kaum hatten wir den Flughafen erreicht, da stürmte er auch schon vor. Er musste dringend auf die Toilette.

An der Anzeigetafel fand ich den Flug aus Miami und begab mich zum Gate. Die Maschine war ein paar Minuten zu früh. Ich kämpfte mich durch das Gewühl und warf einen Blick in die Ankunftshalle.

„Hi Manfred“, wurde ich von der Seite angesprochen.

War das Peter? Die Haarfarbe stimmte zwar, aber er trug sie kurz. Nichts erinnerte mehr an den schmächtigen Körper von damals, als er in die Staaten aufbrach. Er musste viel trainiert haben und war knackig braun gebrannt.

„Peter?“

Ich war etwas verunsichert, aber er lächelte mich an.

„Ich hab mich wohl ein wenig verändert. Wie geht es der Schulter?“

Es klang ein leichter Akzent durch.

„Oh, alles bestens. Es war ein glatter Durchschuss, nicht ganz so schlimm wie es anfangs aussah. Ein wenig verändert? Du untertreibst. Aber es sieht gut aus, wenn ich es so sagen darf.“

Die interessierten Blicke anderer Reisegäste untermauerten meine Worte. Seine Augen blickten mich unerwartet ernst an.

„Ist okay. Ist Dominik nicht da?“

„Doch, er musste nur mal ganz schnell. Und bevor du dich fragst, warum ich hier bin: er hat noch eine Woche Fahrverbot. Zu schnell gefahren.“

Peter schüttelte leicht den Kopf und ein kurzes Grinsen umspielte seine Mundwinkel.

„Einmal Chaot, immer Chaot.“

Doch dann blickte er wieder ernst zu mir, bevor er seine Arme um mich schloss.

„Ich hab euch vermisst“, wisperte er leise.

„Wie war es denn in Miami? Dominik hat nicht besonders viel erzählt, obwohl er oft bei uns war.“

„Es war schön, aber auch anstrengend. Ich hab viel gelernt. Es ist gar nicht übel dort.“

Er schien nicht ganz bei der Sache und die Antworten kamen nur schleppend.

„Du bist noch fertig vom Flug, richtig? Macht nichts, wir können uns ja später unterhalten.“

Erleichtert nickte er. Mit Peter war etwas nicht in Ordnung, er hatte sich nicht nur körperlich verändert. Sein ganzes Verhalten war ernsthafter, trauriger und ich war nicht sicher, ob das wirklich nur mit dem Flug zusammen hing.

„Au, mein Fuß!“

Jemand hinter uns schrie vor Schmerz auf.

„Tut mir leid, ich hab es eilig!“

Die Stimme meines Sohnes klang hektisch und aufgeregt. Dann stand er neben mir.

„Hab mich beeilt. Ist er schon da?“

Dominik warf einen kurzen Blick auf Peter, und nickte diesem freundlich zu, bevor er sich zu den Milchglastüren umdrehte.

„Hi.“

Der Gesuchte sah mich entgeistert an und ich unterdrückte mühsam ein Lachen. Und auch Dominik schien plötzlich etwas zu bemerken und drehte sich ganz vorsichtig um.

„Oh mein Gott!“

„Hi, Baby.“

Der Groschen fiel und mein Sohn sprang Peter um den Hals. Scheinbar mühelos hob letzterer seinen Freund an und presste ihn an sich. Der stürmische Kuss wurde von den meisten Umstehenden ignoriert.

Keuchend lösten sich die beiden. Dominik schaute irritiert an sich herunter und bemerkte, dass er keinen Bodenkontakt mehr hatte.

„Ach du Scheisse, was ist denn mit dir passiert? Wow, das sieht geil aus!“

Mein Sohn strich bewundernd über die muskulösen Arme, die aus den Ärmeln des engen Shirts ragten.

„Ich hatte viel Zeit.“

Irgendetwas stimmte nicht mit Peter, dies sagte mir mein Instinkt. Seine knappe Antwort hatte etwas Schwermütiges. Domi schien es nicht zu bemerken, er war völlig gefangen und überglücklich. Ich gönnte es ihm.

Ich nahm Peters Trolley und sah die beiden an.

„Kommt, lasst uns verschwinden. Ihr habt euch sicher eine Menge zu erzählen.“

Bei diesen Worten musterte ich den Studenten intensiv und sah, wie er leicht verspannte und blass wurde. Seinen Blick kannte ich nur zu gut: So verhielten sich Menschen, die sich etwas zu Schulden kommen ließen, wenn man sie erwischt hatte. Das personifizierte schlechte Gewissen. Ich ahnte Fürchterliches.

*-*-*

Guido

Unser Bassist und ich waren die Letzten im Probenraum und sorgten für Ordnung. Hendrik war gedanklich ganz woanders und starrte betrübt vor sich hin. Ich ertrug den Anblick nicht länger und zog ihn freundschaftlich in meine Arme.

Seine roten Augen sahen zu mir auf, bevor er sich, hemmungslos heulend, in meine Brust vergrub. Bis zu Lukas Auftritt hatte er sich noch eine Chance auf Vergebung ausgerechnet und war jäh enttäuscht worden.

„Es war doch nur Sex“, schluchzte er, „ich fühle nichts für den Kerl.“

„Luka war dein erster Freund, richtig?“

Ein schwaches Nicken war die Antwort.

„War es aus Neugierde, mit dem anderen?“

„Auch“, schniefte es unter mir, „der hat mich total hemmungslos angemacht und irgendwie… es ist halt passiert.“

Hendrik löste sich von mir und sah mir verzweifelt in die Augen.

„Ich liebe nur Luka. Glaub mir bitte.“

Aus einem kleinen Impuls heraus gab ich ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Ich hatte nie Zweifel daran. Vielleicht braucht er nur noch etwas mehr Zeit.“

„Meinst du?“

Hoffnung glomm in seinem Blick auf.

„Kann sein. Aber hoff nicht zu sehr. Er ist ein verdammter Dickschädel.“

Wieder ließ er die Schultern hängen.

„Du kommst erst mal mit zu mir, wir gehen heute Abend aus.“

Er musste auf andere Gedanken kommen, doch er schüttelte nur schwach den Kopf.

„Keine Widerrede. Du probierst es zumindest. Gehen können wir dann immer noch.“

Auf dem Weg zu mir machten wir bei seinen Eltern halt, wo er kurzfristig und provisorisch untergekommen war. Luka hatte ihn gleich nach dem Geständnis vor die Tür gesetzt. Bald darauf kam der Kleine mit frischen Klamotten zurück, damit er sich bei mir für den Abend zurechtmachen konnte.

Lustlos schob er sich die Pizza rein, die ich uns zur Stärkung in den Ofen geworfen hatte.

„Das ist keine gute Idee. Du meinst es ja nur gut, aber ich bin nicht massentauglich.“

„Wir besuchen deinen Stammschuppen, hören laute Musik, ziehen uns ein paar Bier rein und lassen es uns gut gehen. Hey, ich lad dich auch ein.“

„Nicht nötig“, gab er kapitulierend zurück.

„Ich zahl schon selber. Kann aber passieren, dass dich einer von den Jungs da angräbt.“

Ich grinste ihn an.

„Und wenn? Du weißt doch, ich tanze auf beiden Hochzeiten.“

Er schien das ganze falsch zu verstehen und guckte wieder missmutig aus der Wäsche.

„Keine Sorge, ich bin nicht darauf aus. Dann tust du halt so, als ob wir zusammen wären. Es wird schon, nur Mut.“

Wir waren etwas zu früh im Rainbows, der aktuellen In-Disco der schwulen Szene. Hendrik und ich verzogen uns auf eine gemütliche Couch im Loungebereich, von wo man einen guten Blick auf die Tanzfläche hatte.

Er startete auch gleich mit Wodka-Mixgetränken durch, was ich ein wenig kritisch beäugte. Die Pizza hatte er gerade mal zu einem Viertel gegessen. Ich wechselte beständig zwischen Bier und Cola, während mein Arm locker über seiner Schulter lag.

Wir wurden weitestgehend von Anmachen verschont.

„Das ist Antonio“, rief er gegen die Musik an und zeigte auf einen südländischen Typen, der sich gerade halb nackt auf der Tanzfläche verausgabte.

Ziemlich attraktiv, ich schätzte ihn auf Mitte dreißig und er war durchtrainiert.

„Schon ein wenig älter, oder?“

Hendrik zuckte mit den Schultern.

„Er weiß was er tut. Ist jetzt auch egal.“

Seine Stimmung fiel rapide ab. Doch dann änderte sich die Situation, Luka tauchte auf und hatte jemanden im Schlepptau. Er sah uns und küsste seinen Begleiter provozierend, während sie sehr eng tanzten.

Ehe ich mich versah, war Hendrik aufgesprungen und schlingerte auf die Tanzenden zu. Der Wodka hatte ihm schon ziemlich zugesetzt. Ich rannte hinterher und war gerade rechtzeitig da, um ihn aufzufangen.

Luka hatte ihn rabiat von sich gestoßen und blitzte auch mich kampflustig an. Mit platzte der Kragen und ich brachte den wimmernden Hendrik zur Couch zurück.

„Er hasst mich, siehst du? Er hasst mich!“

„Bleib hier sitzen, ich bin gleich wieder bei dir.“

Mit diesen Worten ging ich zurück und zog meinen Ex-Keyboarder unsanft am Arm in eine ruhigere Ecke. Alles in allem erinnerte mich das an den Proberaum, wo er das erste Mal handgreiflich wurde. Luka war alles zuzutrauen.

„Was stimmt eigentlich nicht mit dir? Er liebt dich und das weißt du!“

„Er hat eine tolle Art es zu zeigen“, giftete er mich an.

„Er hat einen Fehler gemacht und leidet höllisch deswegen. Ihr habt schon soviel zusammen durchgestanden. Denk doch bitte drüber nach.“

„Halt dich da raus, es geht dich nichts an. Er leidet noch nicht genug.“

Dann bedachte er mich mit einem abfälligen Grinsen.

„Fick du ihn doch, wenn er dir so am Herzen liegt. Er lässt ja anscheinend jeden ran.“

Ich war fassungslos und wusste darauf keine Antwort. Luka interpretierte mein Schweigen völlig falsch.

„Wusste ich es doch. Du bist selber scharf auf ihn. Toller Freund“, schrie er mir entgegen.

Hier lief was verkehrt.

„Das stimmt doch gar nicht. Ich will nichts von ihm.“

Es geriet völlig außer Kontrolle. Ich sah die Bewegung kaum und plötzlich blitzte es vor meinen Augen auf. Benommen torkelte ich rückwärts, bis eine Säule in meinen Rücken krachte. Ich nahm alles nur noch verschwommen wahr und mein Kopf tat weh.

Die Beine gaben nach und ich sank an der Säule zu Boden. Dann tauchten Lukas Schuhe vor mir auf. Erfolglos versuchte ich meinen Blick zu fokussieren. Mein ehemaliger Kumpel hockte sich vor mich hin und riss an meinem Kinn, damit ich ihn ansah.

„Das war eine Warnung. Bleib von mir fern, mach mit der Schlampe was du willst, aber verpiss dich.“

Ich saß eine kleine Weile auf dem Boden, ohne das mich jemand beachtet hätte. Aufstehen war nicht möglich, zum Teil vor Schock und zum anderen, weil mir total schwummrig war. Ein Paar Hände rüttelte vorsichtig an meinen Schultern und ich hörte Hendriks Stimme.

„Guido, alles okay? War er das etwa?“

Seine Finger tasteten vorsichtig über meine linke Schläfe und ich atmete zischend aus, der Schmerz war enorm.

„Komm, stütz dich auf mich, wir gehen. Da muss was drauf. Scheisse, das wird dick werden.“

Er wirkte deutlich nüchterner.

„Und das alles wegen mir. Tut mir leid.“

„Du hast nicht zugeschlagen“, keuchte ich vor Anstrengung.

Die Beine waren noch immer sehr wackelig.

„Aber…“

„Hendrik, halt den Rand. Das er so ausflippt war nicht zu erwarten.“

Irgendwie musste man doch diese Selbstvorwürfe stoppen können.

„Er will dass du leidest. Deswegen die Show auf der Tanzfläche und das hier… er ist nicht mehr ganz dicht.“

Mein Auto konnte ich vergessen, dafür war die Benommenheit noch zu stark und wir nahmen ein Taxi. Die Treppen zur Wohnung konnte ich wieder alleine gehen, doch Hendrik blieb dicht hinter mir, für den Fall der Fälle.

Er bugsierte mich aufs Sofa und holte mir eine Flasche Mineralwasser aus der Küche, bevor er sich dann auf dem kleinen Sessel niederließ und mich besorgt anstarrte.

„Du kannst ruhig nach Hause, den Rest schaff ich alleine. Aber danke für die Hilfe.“

„Vergiss es. Du hast dich meinetwegen mit ihm angelegt, da bleib ich selbstverständlich bei dir und passe auf. Hast du eine Salbe gegen Blutergüsse?“

Ich kapitulierte und seufzte.

„Im Schlafzimmer. Obere Schublade am Sideboard.“

Hendrik war schnell zurück und verteidigte die Tube eisern.

„Hinlegen“, kommandierte er. Übervorsichtig verteilte er die kühlende Salbe auf der brennenden Schläfe.

„Sieht nicht besonders gut aus, er hat ziemlich zugelangt.“

„Ach wirklich? Und ich dachte, mich hätte eine Mücke geküsst.“

Er kicherte leise.

„Die hat aber einen umwerfenden Kuss.“

Ich rollte gequält mit den Augen.

„Danke, dass du mein Freund bist, Guido.“

„Jetzt werd bloß nicht sentimental. Einer muss ja auf unser Nesthäkchen achtgeben.“

Mit einem Gähnen erhob ich mich, einige Zeit später, vom Sofa und schlurfte ins Badezimmer, mein gesamter Körper schrie nach Schlaf.

„Wohin gehst du?“ Sofort schreckte Hendrik hoch, der selber fast eingeschlafen war.

„Ich mach mich bettfertig.“

Vor dem Waschbecken streifte ich mein Shirt ab und warf es in die Wäschebox. Mit einem feuchten Lappen wusch ich mir den Oberkörper ab.

„Geht es?“

Abwartend hockte er sich auf den Klodeckel neben mir.

„Hendrik, ich bin nicht aus Zucker. Mein Stolz hat mehr abbekommen.“

„Sorry. Hast du eigentlich noch „ne Decke für mich?“

Ups, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht.

„Sieht schlecht aus. Aber das ist kein Problem, du kannst auch bei mir pennen.“

Er dackelte mir aus dem Bad hinterher und ich zog ein Extrashirt aus dem Schrank, welches ich ihm zuwarf.

„Hier, ist vielleicht ein wenig groß, aber besser als mit den verrauchten Klamotten.“

„Und es stört dich wirklich nicht?“, fragte er unsicher.

„Schnarchst du?“

„Nicht das ich wüsste.“

„Dann stört es mich nicht.“

Ohne einen weiteren Kommentar krabbelte ich unter meine Decke. Ich bekam nicht einmal mehr mit, wie er sich umzog und das Licht löschte, der Schlaf kam erbarmungslos über mich.

Ein merkwürdiges Gefühl weckte mich irgendwann auf, eine warme Hand strich über meinen Bauch und löste ein erregendes Kribbeln aus.

Schlagartig ruckte ich weg und schaltete das Nachtlicht an. Ein verdatterter Hendrik blickte zu mir auf.

„Hey, so geht das nicht.“

„Tut mir leid. Ich dachte es gefällt dir vielleicht“, kam es geknickt von der anderen Seite des Bettes.

Wie war der denn drauf?

„Selbst wenn, wir sind Freunde und ich will das nicht. Und solche Gefälligkeiten schuldest du mir schon gar nicht.“

Es war ja nicht so, dass es mir nicht gefallen hätte und Hendrik wäre nicht mein erster Kerl gewesen, aber beziehungstechnisch hielt ich es dann doch deutlich lieber mit Frauen. Mehr als ein Abenteuer wäre nicht drin gewesen und dies mit einem bitteren Beigeschmack, wenn man sich die Situation und unsere Freundschaft vor Augen hielt.

„Du magst mich auch nicht“, flüsterte er.

Ich wurde sauer und die angeschlagene Schläfe fing an zu pochen.

„Sag mal, tickst du noch ganz richtig? Seit wann muss ich mit dir schlafen, um dich vom Gegenteil zu überzeugen?“

Das leise Schniefen wurde zu einem ausgewachsenen Schluchzen. Etwas unbeholfen nahm ich ihn in den Arm.

„Hey, ich mag dich doch, aber was du hier vor hattest, dass würde alles nur komplizierter machen und außerdem hätte ich das Gefühl deine Situation ausgenutzt zu haben. Du bist mein Freund, kein billiger Spaß für zwischendurch.“

„Tut mir leid, ich fühl mich total beschissen. Innerlich total leer.“

„Lass gut sein. Du kannst dich ruhig ankuscheln, wenn du dich damit besser fühlst, aber mehr nicht. Okay?“

„Okay. Und nochmals danke.“

Ich ließ mich wieder auf die Matratze zurückfallen und er schob sich näher heran, die Hände diesmal artig auf der Decke. Damit begann dann auch eine Nacht ohne weitere Zwischenfälle.

*-*-*

Peter

Die Heimfahrt verlief mit gemischten Gefühlen. Manfred setzte uns vor unserer Wohnung ab. Seine Blicke bereiteten mir eine Gänsehaut, er schien etwas zu ahnen und der unausgesprochene Vorwurf in seinen Augen traf ins Schwarze.

Dominik hing an mir und zerdrückte mich fast. Sein vertrauter Geruch tat gut, aber mein Gewissen meldete sich stärker als je zuvor. Das letzte Jahr hatte einiges in mir verändert und ich fühlte mich wie ein Fremder in unserem kleinen Reich.

Der Eindruck verstärkte sich noch, als Domi mich in die Küche führte und mir einen Salat auftischte. Sein fröhliches Gesicht bereitete mir seelische Schmerzen.

„Endlich allein. Und, jetzt erzähl doch mal. Ich sterbe vor Neugierde.“

Er hibbelte aufgeregt auf seinem Stuhl herum.

„Was willst du denn wissen?“

Er kicherte.

„Du hast den totalen Ami-Akzent, klingt echt cool. Das kam am Telefon nicht ganz so deutlich rüber.“

„Echt? Fällt mir gar nicht so auf, aber wenn man den ganzen lieben Tag lang nur Englisch spricht, dann passiert das wohl irgendwann.“

Seine Augen musterten mich eingehend.

„An die ganzen Muskeln muss ich mich noch gewöhnen. Du siehst total anders aus. Aber es steht dir. Du bist so richtig der totale American Highschool Dreamboy geworden.“

Er lachte.

„Sind die anderen Jungs dort auch so süß?“

Mein Herz setzte aus, doch er sprach weiter, bevor ich antworten konnte.

„An dich reicht da bestimmt keiner ran.“ Er stand auf und ließ sich auf meinem Schoß nieder, die Hände tasteten forschend über meinen Körper.

„Was gibt es hier denn für Neuigkeiten“, versuchte ich den Themenwechsel.

„Erst einen Kuss. Du hast mich bisher kaum geküsst!“, antwortete er mit einem Schmollen.

Schweren Herzens erfüllte ich seinen Wunsch. Der Geschmack seiner Lippen hielt mich gefangen und ich klammerte mich an ihn. Ich wusste nicht, ob ich dazu noch viele Gelegenheiten haben würde.

Plötzlich ächzte Domi auf.

„Uff, mach mal langsam, du zerquetscht mich sonst, Superman.“

„Sorry“, sagte ich atemlos und lockerte den Griff.

Das Verlangen nach seinem Körper hatte mich voll erwischt.

„Ist ja noch alles dran.“

Dann zwinkerte er mir zu.

„Ziemlich gut, für den Anfang. Bin schon auf den Rest gespannt.“

Seine Augen blitzten lüstern auf.

„Und was gibt es für Neuigkeiten?“, griff ich das Thema von vorher wieder auf.

Der Kleine wirkte etwas nervös.

„Naja, also du musst mir versprechen, dass du nicht böse wirst. Ich hab was machen lassen.“

„Den Ohrring hab ich schon gesehen. Steht dir.“

„Danke, aber den hab ich nicht gemeint.“

Domi stand auf, drehte sich mit dem Rücken zu mir und zog sein Shirt über den Kopf. Geschwungene schwarze Linien zogen sich von den Schulterblättern bis hin zur Wirbelsäule, wo sie sich verbanden.

Die Gebilde erinnerten entfernt an Flügel und, dort wo sich die Linien trafen, konnte ich vage die Buchstaben P und D erkennen. Ich hatte mir früher nicht viel aus Tätowierungen gemacht, aber in den Staaten hatte ich mich dran gewöhnt. Und bei Domi sah es absolut heiß aus.

„Es passt zu dir. Absoluter Wahnsinn.“ Ich stand auf und strich mit den Fingern an den Linien entlang. Eine Gänsehaut lief über seinen Rücken. Als er sich umdrehte, konnte ich seine Erregung an den verhärteten Brustwarzen deutlich erkennen.

„Ansonsten gibt es nicht viel Neues. Die Band löst sich wahrscheinlich auf, so wie aussieht.“

„Oh, warum das denn?“

Insgeheim war ich froh, dass er die Spannung zwischen uns wieder unterbrach. Ich wollte keinen Sex vor der Aussprache.

„Zum einen stehen die beiden Sänger ziemlich im Berufsleben und Luka fällt als Keyboarder aus. Dauerhaft einspringen kann ich nicht.“

Diese Nachricht überraschte mich sehr.

„Wieso fällt er aus, ist ihm was passiert?“

Domis Gesicht verfinsterte sich.

„Wie man es nimmt. Er hat sich von Hendrik getrennt. Der Kleine hat sich einen Ausrutscher geleistet und ist nun völlig verzweifelt. Luka ist absolut unerbittlich.“

„Oh shit“, entfuhr es mir überrascht.

„Das kannst du wohl laut sagen. Aber Hendrik hat da auch richtig Mist gebaut.“

Allmählich schnürte sich mir der Hals zu. Ob mein Freund auch einen Schlussstrich ziehen würde? Ich liebte ihn noch immer wahnsinnig, aber mein Gewissen hielt mich wieder auf Distanz. Die Wahrheit musste ans Licht.

„Hey, warum weinst du?“

Domis Finger glitt über meine Wange und wischte über eine Träne, die nicht alleine blieb. Unablässig floss das salzige Wasser aus meinen Augen. Ich wollte den Blick abwenden, doch seine Hände zogen mein Gesicht in seine Richtung.

„Was ist los? Du bist nicht einfach nur müde, oder? Du verhältst dich den ganzen Tag schon merkwürdig. Freust du dich nicht?“

„Ich… doch“, meine Stimme klang belegt.

„Domi, es tut mir so leid. Ich hab mich einsam gefühlt. Aber es war eine einmalige Sache!“

Die Worte brachen einfach heraus.

„Das ist nicht wahr, oder?“

Seine Hände glitten von meinem Gesicht ab.

„Doch, leider…“

Er ließ mich stehen und ich hörte, wie er sich seine Schuhe anzog. Gerne hätte ich ihm die Sache erklärt, aber dazu bekam ich keine Chance. Nach dem Zuschlagen der Tür war ich allein und heulte.

*-*-*

Jens

 

Ich hatte gerade meinen Dienst im Krankenhaus angetreten und unterdrückte ein Gähnen. Das Medizinstudium und der Teilzeitjob im Krankenhaus verlangten mir einiges ab. Zwei Jahre hatte ich noch vor mir.

Mein Mentor, Dr. Decker, kam gerade zur Tür herein und warf mir einen belustigten Blick zu.

„Nicht gut geschlafen?“

„Doch, aber du weißt bestimmt selber, dass Bücher verdammt harte Kissen sind.“

Die letzte Nacht endete mal wieder schlafend am Schreibtisch, bis Peer mich irgendwann ins Bett holte. Er war auch nicht besonders glücklich, unsere gemeinsamen Stunden waren auf ein frustrierendes Minimum zusammengeschrumpft und eine gewisse Distanz lag zwischen uns.

Florian hatte er damals verlassen, als dieser sich wie besessen auf sein Studium konzentriert hatte. Ich tat alles Mögliche, um ihn spüren zu lassen, dass er mir wichtig war. Was in letzter Zeit aber immer seltener gelang.

„Das ist wohl wahr. Bereust du es?“

„Willst du eine ehrliche Antwort, oder die diplomatische Variante?“, grinste ich ihn an.

Er wusste ja, dass mir der Job Spaß machte.

„Jaja. Vor der Tür wartet übrigens jemand auf dich, ein Freund von dir.“

Heinz Decker  öffnete die Tür und ein Uniformierter mit einem wohlbekannten Gesicht betrat das Arbeitszimmer. Ich lief ihm entgegen und umarmte ihn herzlich.

„Mensch Joshua, lange nicht gesehen.“

Mit Josh hatte ich nun gar nicht gerechnet. Alte Erinnerungen wurden wach, wie ich ihn damals hier kennengelernt hatte, als psychisch labilen und todunglücklichen ‚Hetero“, dem sein Coming Out ein zweites Leben beschert hatte.

Seit mittlerweile drei Jahren war er mit dem Ex meines Lebensgefährten verheiratet und laut Florian, mit dem ich noch regelmäßigeren Kontakt hatte, waren sie glücklich wie am ersten Tag. Ein echtes Traumpaar.

„Hi Jens, schön dich zu sehen, wenn auch eher zufällig.“ Er lächelte spitzbübisch.

„Was führt dich denn her?“

„Eure Neuzugänge von gestern Abend, die Messerstecherei. Aber die sind noch nicht vernehmungsfähig. Einer der Täter ist noch unterwegs. Naja, es gibt angenehmere Themen. Von deinem Chef hab ich dann erfahren, dass du heute Schicht hast. Solche Gelegenheiten darf man nicht verstreichen lassen.“

„Ja, eine kleine Pause von den Büchern. Und du bist heute allein unterwegs?“

Er nickte.

„Ja, Manfred hat sich den Vormittag überraschend frei genommen, ein familiärer Notfall. Was Genaueres hat er nicht gesagt.“

„Verstehe. Ich hab gehört, du leitest jetzt die Nahkampfausbildung?“

Sein stolzes Grinsen war Antwort genug.

„Meine Mutter wollte es auch erst nicht glauben. Mich zieht es momentan auch wieder an die Schule zurück. Selbstverteidigungskurse und Verhaltensregeln in kritischen Situationen. Es ist verrückt, wie stark die Anzahl der Anzeigen bei schulischer Gewalt zugenommen hat. Lauter kleine Simons da draußen.“

Bei der Erwähnung dieses Namens blieb seine Miene völlig unbewegt. Wenn jemand wusste, wie man sich als Opfer von schulischer Gewalt fühlte, dann Josh. Gott sei Dank, der Kerl saß noch immer hinter Schloss und Riegel, für seinen versuchten Anschlag auf den jungen Polizisten. Und daran würde sich in den nächsten elf Jahren auch nichts ändern.

„Wem sagst du das. Ihr bekommt den Papierkram, wir die Kinder zum flicken.“

„Alex will sich da auch mit reinhängen, wenn er mit dem Studium fertig ist. Das der mal Kinderpsychologe wird, hätte ich mir damals nicht vorstellen können.“

Joshs Pieper beendete unser kurzes Treffen.

„Sorry, die Pflicht ruft. Melde dich doch mal bei Flo, vielleicht bekommen wir mal ne Gelegenheit für ein Abendessen zu Viert. Hatten wir schon ewig nicht mehr.“

Ich nickte zustimmend.

„Gerne. Ein Abend lässt sich bestimmt irgendwie freischaufeln.“

Kurz darauf war ich wieder allein und kümmerte mich um die Akten.

*-*-*

Dominik

Ich war fassungslos. Mein Froschkönig hatte mich betrogen. Alex Frage hallte durch meine Gedanken.

Wie würdest du reagieren, wenn Peter dir fremd geht?

Es tat so unglaublich weh. Ich hatte unsere Wohnung verlassen und irrte eine Weile durch die Stadt, bis das Haus von Paps und Doro vor mir auftauchte. Mein Vater nahm mich gleich in den Arm, als er meine verheulten Augen sah. Sofort brach es wieder aus mir heraus.

„Er ist…“, schluchzte ich.

Er schien zu verstehen und die Arme schlossen sich fester um mich. Bald darauf verkroch ich mich in Peters altem Zimmer. An Schlaf war nicht zu denken. Immer wieder ließ ich mir die letzten Wochen durch den Kopf gehen.

Vieles ergab plötzlich einen neuen Sinn, warum er in den letzten Wochen immer schweigsamer wurde. Die Telefonate beschränkten sich immer mehr auf das Nötigste.

„Einsam“, lachte ich bitter.

Das war ich auch. Aber ich hatte unsere langjährigen Freunde, die mich immer wieder aufmunterten. Peter war aber nicht der Typ, der mit irgendeinem Kerl aus Einsamkeit ins Bett hüpft. War da mehr im Spiel?

Je mehr ich nachdachte, desto verzweifelter wurde ich. Es steigerte sich immer weiter und ich traute mich nicht mal mehr die brennenden Augen zu schließen, weil ich sofort Bilder zweier verschlungener Körper vor mir sah.

Irgendwann klopfte es leise an meiner Tür und der graue Haarschopf von Paps schob sich in das Sonnenlicht, welches bereits durch das Fenster schien.

„Du hast nicht geschlafen“, stellte er mit einem bedrückten Gesichtsausdruck fest.

Ich nickte nur.

„Hier, trink das. Kaffee und Kakao, halb und halb, wie du es magst.“

Ich musste lächeln. Meine Vorliebe für diesen Getränkemix war sonst oft genug der Grund für leichten Spott. Und meine Kehle schrie nach etwas Flüssigem.

„Danke, Paps“, krächzte ich. „Du musst doch zur Arbeit, oder?“

Laut der Wanduhr hätte er schon zwei Stunden zuvor mit der Schicht anfangen müssen.

„Nein. Ich bin hier bis Doro aus der Praxis kommt. Wir möchten dich nicht alleine lassen.“

„Du musst dir nicht meinetwegen freinehmen“, seufzte ich.

„Ich weiß, aber ich tu es trotzdem.“

Er wuschelte mir durch die Haare und ich seufzte dankbar.

„Warum hat er das getan?“

„Solltest du ihn das nicht selber fragen?“

Das war wieder typisch, ich befand mich im Haus der Gegenfragen.

„Ich will ihn nicht sehen“, gab ich störrisch zurück.

Es war gelogen. Natürlich wollte ich, aber es fehlte mir die Kraft dazu.

„Aber wie soll ich dir die Frage beantworten? Es gibt kaum eine Entschuldigung für so was. Aber jeder Straftäter verdient eine Anhörung, eine Verwertung der Beweise und ein faires Verfahren. Vielleicht gibt es mildernde Umstände? Eine Strafe zur Bewährung bewirkt manchmal mehr als das Wegsperren.“

„Ach Papa!“

Ich rollte genervt mit den Augen. Er zog ständig diese Straftätervergleiche. Und trotzdem hatte er Recht.

„Also willst du mir sagen, dass er es zwar verbockt hat, aber der Rest an mir liegt?“

Er machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Er ist auf deine Gnade angewiesen. Aber setz dich deswegen nicht unter Druck, lass dein Gefühl entscheiden. Und eines sage ich dir im Vertrauen: ich hatte eine Ahnung. Am Flughafen hast du es nicht bemerkt, aber er hatte Angst. Er bereut es.“

Das machte Sinn. Ich wäre auch völlig panisch, wenn mir so etwas, warum auch immer, passiert wäre.

„Er war einsam, sagt er.“

„Und weiter?“

„Weiß nicht. Er behauptet, es wäre was Einmaliges gewesen. Ich bin sofort abgehauen, bevor er noch mehr sagen konnte.“

„Glaubst du ihm nicht?“

Ich hasste seinen Verhörmodus.

„Ich weiß es nicht. Man, Papa. Woher denn auch. Ich bin total durch den Wind.“

Seine Hand legte sich beruhigend auf meine Schulter, während mein Puls raste.

„Okay, aber sieh es mal so: warum sollte er dich in der Situation noch anlügen?“

„Er hat geweint“, schluchzte ich.

„Aber er hat sich benommen wie ein Fremder, die ganze Zeit über. Vielleicht liebt er mich auch nicht mehr und … und …“

Ich brachte kein Wort mehr heraus.

„Ihr habt euch beinahe acht Monate nicht gesehen und dann ist so was passiert. Du solltest mit ihm reden, mein Großer.“

Ich ließ mich in seine Arme fallen und heulte.

„Fährst du mich hin?“, fragte ich, nachdem ich mich etwas beruhigt hatte. Paps hatte Recht, wir mussten reden, schnellstens.

„Mach dich frisch, dann fahren wir.“

Er streichelte mir noch einmal über den Kopf und verschwand in den Tiefen des Hauses. Mein Vater wirkte gefasst, aber auch ihn nahm es ziemlich mit, dass konnte ich spüren. Schnell verschwand ich unter der Dusche und hüllte mich in frische Klamotten.

Es dauerte nicht lang und wir parkten vor der kleinen Wohnung, in der ich Peter gestern allein zurückließ. Meine Nervosität stand mir schon an der Haustür im Weg und ich gab den Schlüssel weiter, da meine zittrigen Finger nicht in der Lage waren, das Schloss zu öffnen.

Papa ließ mich in die Wohnung und blieb im Hausflur stehen.

„Ich warte hier, lasst euch Zeit.“

„Nein, komm bitte mit rein“, sagte ich in einem Anflug von Panik.

Er schüttelte den Kopf.

„Das ist keine gute Idee. Denkst du nicht es würde ihn einschüchtern, wenn dein alter Herr noch als Verstärkung dabei ist?“

Und wieder hatte er Recht, auf eine schreckliche und vernünftige Art. Ich seufzte ergeben und betrat die stille, viel zu stille Wohnung. Peters Tasche stand noch immer unangetastet am selben Fleck.

Langsam sah ich in alle Räume, doch von meinem Freund fehlte jede Spur. Dusche und Waschbecken wirkten unbenutzt. Die Verletztheit wich der Sorge. Ich wusste nicht warum, aber die Geschichte des Selbstmordversuchs, die Alex und er mir erzählt hatten, geisterte wieder durch meinen Kopf.

Eilig machte ich mich auf den Weg zur Haustür, doch das Telefon stoppte mich.

„Peter?“

„… Erm, no. This is Justin speaking. Justin MacNeill, from Miami. Is he okay?”

Wer zum Teufel war das?

„My name is Dominik“, stotterte ich mühselig hervor.

Ich konnte hören, wie der Anrufer die Luft anhielt. Es klapperte, als ob der Hörer runtergefallen wäre und nach einem lauten ‚Klack“ war das Gespräch weg.

Man musste kein Ermittler sein, um hier Eins und Eins zusammenzuzählen. Es war offensichtlich, um wen es sich bei diesem Justin handelte. Warum rief der hier an? War denn nicht alles schon schlimm genug?

Unverrichteter Dinge verließ ich die Wohnung und stapfte auf meinen Vater zu. Hatte Peter etwa Sehnsucht gehabt und ihm schon alles brühwarm aufgetischt? Zur Hölle, die Festnetznummer musste dieser Ami ja irgendwoher haben. Paps sah mich nur irritiert an und folgte mir zum Ausgang.

*-*-*

Alex

Das Treffen meiner Lerngruppe in der Unibibliothek war beendet, und ich entschied mich für einen kurzen Besuch bei Domi und Peter. Die hatten sich vermutlich schon ausreichend ausgetobt, fürs Erste.

Und wie das aussah, dass wusste ich nur zu gut. Bei der Erinnerung an damals, als ich die Beiden im flagranti erwischt hatte, stahl sich ein dreckiges Grinsen auf mein Gesicht.

Die Haustür stand offen und ich ging direkt bis zur Wohnung. Ich lauschte angestrengt, aber es war nichts zu hören.

Es dauerte einen ganzen Moment, bis jemand auf mein Klingeln reagierte. Peter öffnete die Tür und starrte mich aus seinen übernächtigten Augen an. Es war unglaublich, wie sehr er sich in dem Jahr verändert hatte.

„Hi Pete“, ich umarmte ihn und er erwiderte es nur matt.

„Mein Stiefbruder hat dich wohl ziemlich geschafft, was?“

Schniefend wandte er sich ab und ich glaubte eine Träne zu sehen.

„Lass mich einfach alleine, bitte“, kam es leise von ihm.

So sah kein glücklicher Heimkehrer aus und mein Kopf schlug Alarm.

„Was ist los? Und wo ist Domi?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Er ist gestern verschwunden und ich verstehe ihn. Es ist meine Schuld. Geh nach Hause, ich komm klar.“

„Ich gehe, aber du kommst mit.“ So wollte ich ihn nicht allein lassen.

„Alex, was soll das? Ich will nicht. Sorg dich lieber um deinen Stiefbruder, er hat es nötiger.“

Ich hatte eine ungefähre Ahnung, was hier passiert war.

„Peter, ich hab dir damals geschworen, dass ich mich wie ein Bruder um dich kümmern würde. Glaubst du wirklich, du könntest mich einfach wegschicken? Erzähl mir lieber was los ist.“

„Ich hab Mist gebaut.“

„Ja, ich weiß. Domi würde nicht grundlos verschwinden, nachdem er so lange auf dich verzichten musste.“

Seine Stimme begann zu zittern.

„Er hat mich es nicht mal erklären lassen.“

„Dann erkläre es mir“, bot ich ihm an.

„Nicht hier. Können wir zu dir fahren?“

Nickend stimmte ich zu und Peter zog sich kurz um. Ein wenig neidisch betrachtete ich seinen Körper. Er war super in Form, während ich ein ganz klein wenig an Bauch bekommen hatte. Das Studium beanspruchte viel Zeit, die dann für den Sport fehlte.

Und Linda kochte im Moment sehr kalorienreich. Das würde sich hoffentlich wieder ändern, wenn unsere Tochter endlich auf der Welt wäre. Im Auto starrte Peter einfach nur geradeaus, die Lippen fest aufeinander gepresst, sodass sie zu fast blutleeren Strichen wurden.

Die Hände waren zu nervösen Fäusten geballt, die sich ständig öffneten und wieder schlossen. Offensichtlich war er wütend auf sich.

„Tee?“, fragte ich und schloss die Haustür hinter uns.

Linda war mit ihrer Mutter unterwegs zum Babyshoppen. Peter nickte und folgte mir in die Küche, wo er sich am Tisch niederließ. Er fing an zu erzählen und rührte ständig in seiner Tasse, ohne davon zu trinken. Schweigend hörte ich ihm zu.

„Und jetzt ist alles vorbei“, schloss er seinen Bericht.

„Domi liebt dich abgöttisch. Ich verstehe, dass er enttäuscht und gekränkt ist, aber er ist nicht Luka.“

Peter sah mich fragend an und ich erklärte ihm die Situation. Guido hatte mich angerufen und von dem Zwischenfall in der Disco erzählt. Luka würde ich auch noch aufsuchen, mit der Aktion war er zu weit gegangen. Mein ‚Brüderchen“ lauschte mit offenem Mund, sichtlich geschockt.

Peter kannte die Jungs ziemlich gut und hätte es unserem Keyboarder nie zugetraut. Aber das hatte von uns auch niemand.

„Hat sich ja einiges getan, in meiner Abwesenheit.“

„Allerdings. Aber zurück zu dir: ich will dir keine falschen Hoffnungen machen, aber Domi ist anders als die Meisten. Er wird dir bestimmt zuhören. Klar, dass er nicht glücklich darüber ist, dass wäre niemand, aber unter seinem manchmal kindlichen Gemüt steckt ein wahnsinnig toller Mensch.“

Peter lächelte ein wenig.

„Kindliches Gemüt… seine verrückten Ideen haben uns wirklich viel Spaß gebracht.“

Er spielte mit seiner Kette, an der ein Kleeblattanhänger baumelte.

„Aber ich hab ihn noch nie so gesehen wie gestern. Er fehlt mir.“

„Hübsche Kette.

„Das Abschiedsgeschenk von Justin. Zu ihm war ich auch nicht besonders fair. Ich mag ihn ja wirklich, aber ich liebe nur Domi.“

Peter sah auf die Uhr.

„Oh, acht Uhr in Miami, er hat meine SMS bestimmt gelesen.“

„Was für eine SMS?“

„Das es aus ist und das er mich anrufen soll. Frag nicht warum, ich weiß es selber nicht.“

„Weil Justin dich liebt und du Bestätigung brauchst, nachdem du glaubst, es mit Domi versaut zu haben“, präsentierte ich ihm die Fakten.

„Aber soweit musst du gar nicht schauen. Ich liebe dich wie meinen Bruder, auch jetzt noch. Du bist halt nur ein Mensch und wir sind bekannt für unsere Fehler.“

„Du willst mich doch nur wieder vor mir selber retten, geb es zu“, grinste er leicht.

„Musst du denn wieder gerettet werden?“

„Nein, ich denke nicht. Du hast es bereits getan. Danke.“

Er stand auf und umarmte mich.

„Auf dich war schon immer verlass.“

„Hab ich gern getan. Du kannst auch hier bleiben, das Kinderzimmer ist noch frei, wir können dir ein Klappbett reinstellen.“

„Gerne, ich will nicht allein sein.“

Ich informierte Linda und sie war einverstanden. Gemeinsam würden wir Peter schon wieder auf Vordermann bringen. Er bestand aber darauf, dass ich sonst niemandem Bescheid sage. Es gefiel mir zwar nicht, da auch andere sich Sorgen machen könnten, aber es war seine Entscheidung.

Meine Freundin kam bald darauf zurück und ich konnte, mit gutem Gewissen, zur Lagebesprechung der Band.

*-*-*

Joshua

Seufzend löste ich mich von Flo. In letzter Zeit ging alles etwas drunter und drüber, sodass wir kaum Gelegenheiten hatten, um Mal alleine zu sein. Aber ich hatte Alex versprochen, dass wir uns im Probenraum sehen.

„Tut mir wirklich Leid, aber ich muss los.“

„Klar, Schatz.“

Er seufzte.

„Sag bitte Bescheid, falls es doch später wird.“

Seine Zunge glitt in mein Ohr.

„Ich halte es nämlich keinen Abend länger ohne Sex aus.“

Das Versprechen war eindeutig und darauf wollte ich auch nicht mehr verzichten.

„Wird nicht nötig sein, ich bin pünktlich.“

Er zwinkerte mir zu und ich ging widerwillig.

*-*-*

Die Truppe war schon versammelt und Alex“ Stimme dröhnte mir bereits auf dem schmalen Gang entgegen.

„Hi Josh“, ertönte ein Chor von Stimmen.

Es folgten die üblichen Umarmungsrituale, wir hatten uns, zum größten Teil, schon einige Wochen nicht mehr gesehen. Als Guido vor mir stand erschrak ich ein wenig. Seine linke Gesichtshälfte war stark angeschwollen.

„Was ist denn mit dir passiert?“

„Luka ist passiert“, antwortete Hendrik an Guidos Stelle.

Ich hob fragend eine Augenbraue.

„Das war Luka? Ist der verrückt geworden?“

„Jein“, kam es ausweichend von unserem Drummer.

„Er hat da wohl was falsch verstanden und dachte, ich würde jetzt mit Hendrik was anfangen.“

„Jetzt verteidige ihn nicht noch“, platzte Hendrik dazwischen.

„Er hat angefangen. Wenn er nicht mit diesem Typen aufgetaucht wäre…“

Meine beiden Freunde erzählten mir von dem Abend, beziehungsweise versuchten sie es. Es klang beinahe wie ein handfester Streit, sie fielen sich ständig ins Wort. Hendrik hatte seine Lethargie offenbar überwunden und wetterte heftig gegen seinen Ex.

„Jungs, stopp! Ich habe es verstanden. Warst du beim Arzt?“

Guido schüttelte den Kopf.

„Nein, ist ja nicht so schlimm. Wenn ich es dem Arzt erkläre, dann bekommt Luka am Ende noch Ärger. Und Lügen muss ich auch nicht.“

„Ich werde mir den Burschen mal vorknöpfen. Sowas geht gar nicht… inoffiziell“, fügte ich noch an, da Guido den Kopf beinahe flehentlich schüttelte.

Hendrik zuckte mit den Schultern, aber so ganz egal war ihm die Sache nicht: seine Augen glänzten verdächtig.

„Fehlt nicht noch unser Ersatzmann?“

Alex schüttelte den Kopf.

„Domi kommt nicht, aber lass uns das Thema verschieben“, sagte er mit einem sorgenvollen Unterton.

Das hörte sich zumindest nicht nach einer glücklichen Wiedervereinigung von unserem Zweitpianisten und Peter an.

„Und damit wären wir auch wieder beim eigentlichen Thema. Im Prinzip sind wir uns alle einig, wir lösen uns auf. Seit damals sind die Auftritte eh weniger geworden. Luka ist komplett raus, Domi hat nicht immer Zeit und du hast andere Verpflichtungen. Max ja leider auch. Es macht keinen Sinn mehr“, fasste Alex die Fakten zusammen.

Was sollte ich dazu noch sagen, er hatte Recht. Unser Song ‚Out Now!“ hatte es zwar bis ins Radio geschafft, aber das lag bereits Jahre zurück und einen Durchbruch konnten wir auch nicht verzeichnen.

Es war toll, dass der Titel sich ein paar Wochen in den Top 10 der lokalen Charts gehalten hatte und wir hatten sogar ein wenig daran verdient, aber für den Vorruhestand hatte es absolut nicht gereicht.

Etwas wehmütig fühlte ich mich schon, die Jungs hatten mein Leben entscheidend geprägt.

„Schade, wirklich. Aber es stimmt wohl.“

Eine kleine Träne konnte ich dabei nicht vermeiden. „Aber versprecht mir, dass wir uns ab und an mal zum Jammern treffen. Einfach mal so.“

Meine Stimme bekam einen schluchzenden Unterton.

„Ach scheiße, Jungs, ich liebe euch.“

Das kleine Treffen gipfelte in einer Gruppenumarmung und mein Liebesgeständnis wurde eifrig erwidert. Die Gruppe löste sich danach ziemlich schnell auf, was auch nicht weiter verwunderlich war. Nachdem Guido und Hendrik weg waren, stand ich mit Alex alleine da.

„Was ist mit Domi?“

Alex seufzte.

„Ich vermute mal, bei seinem Vater. Komm lass uns gehen, du hast doch hoffentlich noch ein paar Minuten? Wir können zu mir.“

Ich sah auf die Uhr: das Treffen war kürzer als gedacht.

„Ja klar, etwas Zeit hab ich noch. Jetzt verstehe ich auch, warum Manfred heute nicht im Dienst war. Er hatte nachträglich Urlaub eingereicht.“

Alex fuhr vor und bald darauf waren wir in seinem heimeligen Zuhause.

*-*-*

„Hi Linda. Du siehst gut aus.“

„Du Lügner“, lachte sie, „ich bin fett. Aber du bist schnuckelig wie eh und je.“

Alex knurrte gespielt und kassierte einen sanften Rippenknuff. Verlegen schaute ich mich um und sah jemanden auf dem Sofa.

„Oh, ihr habt Besuch?“

Der Kerl war ziemlich attraktiv und sah mich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. Er kam mir bekannt vor.

„Hey Josh.“

Die matte Stimme läutete sämtliche Glocken.

„Ach du Scheisse, Peter? Was ist denn mit dir passiert?“

„In den Zaubertrank gefallen, so was geht nur in Amerika.“

Den zynischen Unterton kannte ich von ihm nicht.

„Okay, verrät mir jetzt mal irgendwer was los ist?“

Die Stille schien zuzunehmen. Linda sah bedrückt zur Seite und Alex versuchte Peter mit Blicken zum Reden zu bewegen. Dieser starrte jedoch durch mich hindurch. Es war ein seltsames Gefühl.

Eigentlich hatte sich unser Verhältnis in den letzten Jahren deutlich verbessert. Das er in mich verliebt war gehörte der Vergangenheit an und wir hatten, mit der Zeit, eine recht gute Freundschaft aufgebaut.

Ich setzte mich neben ihn auf das Sofa und legte meinen Arm etwas unbeholfen um seine Schulter.

„Wenn du nicht reden willst, dann ist es okay, aber ich bin dein Freund, oder nicht? Ich habe zwar jetzt ein Ahnung…“

Die starre Maske fiel schlagartig und die Augen füllten sich mit Salzwasser.

„Ich habe es versaut, Joshi. Völlig. Ich hab Domi betrogen.“

Alex nickte mitleidig, als ob ich noch eine Bestätigung gebraucht hätte, nachdem Peter nun endgültig heulend um meinen Hals hing. Hilflosigkeit machte sich in mir breit.

„Möchtest du mir davon erzählen?“

Ein schwer verständliches „Alex… bitte“ war zu hören und der Angesprochene berichtete was er wusste. Und es stimmte, er hatte Mist gebaut. Trotzdem konnte ich ihn verstehen, es war bestimmt nicht immer leicht, so völlig allein in einem fremden Land zu sein, tausende Kilometer von der Heimat entfernt.

Das Dominik verletzt war stand außer Frage. Der Kleine hatte der Heimkehr entgegengefiebert. Auch ihn fraß die Sehnsucht auf, aber er hatte uns. Und dann so was.

„Ich bin trotzdem dein Freund“, versuchte ich ihn aufzumuntern, „man, was macht ihr alle nur für Sachen.“

„Es kann ja nicht jeder so eine verdammte Bilderbuchbeziehung führen, wie du und Flo.“

Er riss sich los und stieß mich zur Seite, bevor er im zukünftigen Kinderzimmer verschwand. Alex starrte ihm mit offenem Mund nach und auch ich war völlig überrumpelt.

„Was war denn das jetzt?“

Alex zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung, du hast doch eigentlich nichts gesagt.“

„Hier wird wohl weibliche Empathie gebraucht.“

Linda schob sich an ihrem Freund vorbei und klopfte an der Tür.

„Hau ab, lass mich in Ruhe!“

„Ich bin es. Darf ich reinkommen?“

Linda wartete geduldig. Da kein ‚Nein“ durch das Holz scholl, trat sie ein. Ein paar wenige Minuten betretenen Schweigens herrschten zwischen uns.

„Der ist ja völlig hinüber, der Arme.“

„Schon, aber das war jetzt neu.“ Alex war nicht minder besorgt.

„Glaubst du, er könnte wieder… was Dummes versuchen?“

Sein Selbstmordversuch lag zwar schon lange zurück und er hatte, nach seinem Rauswurf, eine neue Familie gefunden. Doch diese aus dem Vater seines Freundes, oder Ex-Freundes, bestand war nicht besonders hilfreich.

„Ich denke nicht. Aber ich hab ihn nicht ganz grundlos zu uns geholt. Du weißt ja… Vertrauen ist gut…“

„Aber Kontrolle ist besser. Verstehe“, beendete ich seinen Satz.

„Ach Josh, ich weiß nicht was wir tun sollen. Ich hab beide gern. Als ob ein Schlachtfeld nicht reichen würde. Aber Luka lässt ja erst Recht niemanden an sich ran.“

„Geht mir auch so.“

„Wir können einfach nur hoffen, dass die Beiden sich wieder fangen, irgendwie. Domi ist nicht Luka.“

Ich nickte.

„Hoffentlich hast du Recht. Die Zwei gehören zusammen.“

„Tut mir Leid, Joshua. Ich wollte dich nicht anbrüllen.“

Erschrocken zuckte ich zusammen, als Peters Stimme hinter mir erklang.

„Schön dass wenigstens ihr noch an eine Zukunft glaubt.“

„Schon vergessen. Wir wollen doch nur, dass es euch gut geht. Warte mal kurz, ich sag eben Flo Bescheid, dass es doch später wird.“

Er würde nicht gerade begeistert sein.

„Nein!“, sagte Peter bestimmt.

„Ich weiß, dass ihr euch auch nur selten seht. Mir geht es gut, relativ. Die Zwei hier“, er deutete auf die werdenden Eltern, „passen schon auf mich auf…damit ich nichts Dummes tue.“

Er lächelte leicht.

„Keine Angst, Alex, ich mache keinen Blödsinn. Das tue ich keinem an.“

Unser Freund schien wohl schon einen längeren Moment gelauscht zu haben.

„Und es ist wirklich okay für dich, wenn ich…“

„Jetzt hau schon ab“, fiel mir Peter ins Wort. Ich musste mir eingestehen, dass der –deutlich-verbesserte Muskelaufbau und dieser dominant-bestimmende Tonfall ihm etwas anziehend Verwegenes gaben. Dennoch, ich hegte nichts außer freundschaftlichen Gefühlen.

Nach einer weiteren Umarmungsrunde machte ich mich auf den Weg zu meinem Mann, der uns mit seinen Verführungskünsten noch einen unvergesslichen Abend bescheren würde.

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2 Kommentare

    • paulipapi auf 22. August 2011 bei 14:27
    • Antworten

    Endlich habe ich die Geschichte wieder gefunden. Bin bis 2. Staffel Teil 5 gekommen und dann fand ich die Geschichte nicht mehr.
    Jetzt habe ich mir den Rest herunter geladen und muss sier nur noch lesen. Jedenfalls gefällt mir deine Art zu schreiben sehr!
    LG
    Pauli

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  1. Danke 🙂

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