Stille Nacht – Teil 2

von Co-Autor

An der Rezeption sehe ich Señor Ramos, ich winke ihm freundlich zu und er winkt ebenso.

„Na Señor aus München, hab ich zuviel versprochen? Fernando spricht gut Deutsch, nicht wahr? Hat er Küche gezeigt, ja? Ja ja, Fernando ist ein Schatz!“

Das kann ich nur mit Nicken bestätigen. Aber was gäbe ich darum, wenn er mein Schatz wäre! Nur, selbst wenn er zur Zeit solo wäre, immerhin hat er von Freunden, nicht von einem Freund gesprochen, also selbst wenn er keinen festen Freund hätte, wie könnte es jemals etwas zwischen uns werden? Er lebt und arbeitet hier auf Gran Canaria, ich in Deutschland. In wenigen Tagen ist mein Urlaub zu Ende, mit etwas Glück sehe ich ihn noch einmal, und was ist dann?

Nein, ich halte es jetzt alleine im Zimmer, in dem ich inzwischen angekommen bin, nicht mehr aus. Dietmar ist irgendwo unterwegs, wie üblich halt. Also gehe ich noch ein wenig spazieren, schlendere bis zur Promenade vor und gehe dann Richtung San Agustin. Wir profitieren immer noch von einer Schönwetterperiode mit angenehmen 22 Grad und kaum Wind und das alles zwei Tage vor Heilig Abend.

Selbst wenn ich jetzt beim Gehen durch entgegen kommende Urlauber oder durch das laute Zischen und Tosen der Meeresbrandung, die das Wasser an die Felswand unterhalb des Promenadenweges peitscht, abgelenkt werde, meine Gedanken gehen immer wieder auf eine Person zurück, auf Fernando, der von mir Feri genannt werden will, so wie seine Familie und Freunde zu ihm sagen. Von Freunden – zählt er mich dazu?

Ich sehe all die Blütenpracht in den gepflegten Gärten und Anlagen, an denen mich der Weg vorbeiführt, die blühenden Hibiskus- und Oleanderstauden, Gummibäume und Palmen, vereinzelt auch Weihnachtssterne auf der einen Seite meines Weges, zur Rechten dann das in allen Blau- und Grüntönen schillernde Wasser des Meeres.

Aber ich sehe auch überall zwei braune funkelnde Augen, sehe ein lächelndes, liebes Gesicht, sehe einen schlanken Körper in Kochkleidung. Und in meinen Ohren klingen seine Worte und vor allem sein, so bilde ich es mir wenigstens ein, zärtlich gesprochenes „Flori“. Ich glaube immer noch seine Umarmung zu fühlen und den leichten Hauch seiner Lippen auf meiner Wange.

„Fernando“, halblaut spreche ich seinen Namen nach. Klingt das nicht wie Musik? Ja, ich könnte mir keinen schöneren Namen vorstellen! Fernando – Koch wie ich und in meinem derzeitigen Urlaubshotel beschäftigt, so nahe und doch unerreichbar!

„Fernando“, ja, ich gebs zu, mich hat es erwischt! Ich bin in den Kerl verknallt, verliebt bis über beide Ohren und das nach dem relativ kurzen Gespräch. Ich könnte auf der Stelle vor Freunde in die Luft springen oder aus lauter Übermut auf dem Geländer der Promenade balancieren – himmelhochjauchzend

Aber dann wird mir im nächsten Moment bewusst, wie unsinnig das Ganze doch ist. Ich habe mich verliebt, ja, aber das heißt noch lange nicht, dass er ähnlich fühlt, überhaupt nicht. Und außerdem, in wenigen Tagen werden uns über dreitausend Kilometer trennen!

„…Und das Wasser war viel zu tief!“ Schon komisch, dass mir jetzt das Lied von den zwei Königskindern einfällt, die auch nicht zusammen kommen konnten. Zwar sind wir „nur“ Köche und keine Königskinder, aber mich macht das wirklich sehr traurig – zu Tode betrübt. Ein Wechselbad der Gefühle!

Aber vorläufig haben alle Gefühle hinten an zu stehen, denn, wie mir ein Blick auf die Uhr zeigt, es ist höchste Zeit, mich auf den Rückweg zu machen, will ich noch rechtzeitig zum Abendessen im Hotel sein. Vielleicht hab ich ja Glück und sehe dabei Fernando wieder.

Nein, ich hatte nicht das Glück, konnte auch gar nicht sein, dass ich ihn sehe. Sagte er doch, dass er nur bis sieben Uhr Dienst hat. Jetzt wird er vor dem Bildschirm sitzen und zittern bei der Aufzeichnung der mittäglichen Live-Sendung.

Ja, Fernando sitzt sicher im Kreise seiner Familie und Freunde und fiebert den Gewinnzahlen entgegen. Und ich liege wieder mal auf meinem Bett im Hotelzimmer, alleine, wie könnte es anders sein. Dietmar ist zwar mit zum Abendessen gegangen, anschließend aber gleich wieder verschwunden. Heute hatte er sogar seine Brille auf, nicht dass ihm nochmals so ein Mißgriff wie mit den Zwiebeln passiert.

Ja, Dietmar trauere ich nicht nach, bestimmt nicht, wohl aber….Ja, wem schon! Und dabei soll ich ihn bis zum neuen Jahr nicht mehr sehen, hat er doch erst dann wieder Dienst. Wie grausam das Leben doch sein kann!

Ich darf jetzt gar nicht an Weihnachten denken, da wird mein Alleinsein unerträglich werden. Wird wohl am besten sein, ich genehmige mir am frühen Abend ein paar Gläser Punsch und verziehe mich dann auf das Zimmer und versuche, baldmöglichst und lange zu schlafen, um den ganzen Weihnachtstrubel zu umgehen.

Nun ist der Tag des Jahres da, Heiliger Abend. Es ist kurz nach Mittag und ich bin unterwegs nach San Fernando, wo ich in früheren Urlaubsaufenthalten mit Julian hin und wieder war. Wir sind dort gerne rumgegangen, in der Gegend, wo die Einheimischen wohnen und sich selten Touristen verirren.

Ich komme an den Sportplätzen und -hallen vorbei. Wie oft haben wir hier den jungen Basketballspielern zugesehen, die mit Feuereifer trainierten, in allen Altersstufen sah man sie, sowohl in der Halle als auch im Freien. Wenn man die Begeisterung der Jungen und Mädchen gesehen hat, kann man verstehen, warum Spanien so gut in diesem Sport dasteht.

Ich überquere die Straße am Kreisel, marschiere am Schwimmstadion, das derzeit wieder mal umgebaut und erneuert wird, vorbei und bin schon fast am Fußballstadion angelangt, am „Estadio Muncipal Maspalomas“, wie es an der Fassade in großen Lettern prangt.

Auch hier haben wir uns oft aufgehalten, haben den trainierenden Fußballern oder Leichtathleten zugesehen. Ungehindert konnten wir jeweils ins Stadion bis zum Spielfeld oder an die Laufbahn gelangen.

Auch konnte man ohne weiteres ins Innere des Stadions, wo Fitnessräume zum Trainieren einladen und wo sich Umkleide- und Duschräume befinden. Nie hat uns auch nur einer zurückgewiesen. Man stelle sich das in Deutschland vor, undenkbar, dass man so in ein Stadion marschieren kann, auch wenn gerade keine Veranstaltung ist.

Nein, heute sind keine Fußballer am Trainieren. Das riesige Stadion ist fast menschenleer, nur drüben auf der Gegengerade, sehe ich eine Handvoll Läufer, die augenscheinlich gymnastische Übungen machen. So setze ich mich auf einen der blauen Plastiksitze und überdenke meine unschöne Situation an diesem für viele wohl schönsten Tag des Jahres.

Warum nur musste ich hierher fahren! Wäre ich doch zu Hause geblieben! Gut, da wäre ich jetzt auch alleine, wahrscheinlich jedenfalls, aber ich könnte mich ablenken mit Fernsehen, Musik, Lesen, mit gutem Essen und Trinken. Naja, das Letztere soll es ja auch im Hotel geben, ein „Großes Weihnachtsbüfett“ ist angesagt. Aber das ist halt auch nicht das Wahre! Mich ins Vergnügen stürzen, vielleicht im Yumbo einen „aufreißen“ und mit ins Hotel nehmen – nein, das ist bestimmt nicht meine Art. Mit Dietmar brauche ich nicht rechnen, der wird mich wie jeden Abend nach dem Essen alleine lassen, ob Weihnachten oder nicht, ist dem doch egal.

Was meine ohnehin schon miese Stimmung auf einen Nullpunkt drückt, war die SMS, die ich vor einer Stunde von Julian bekam. Er wünscht mir frohe Weihnachten und dass ich ihm fehle. Das reißt natürlich wieder alte Wunden auf. Ja, ich hatte ihn doch auch gerne.

Und es war ja eine wunderschöne Zeit mit ihm, gerade auch hier auf der Insel. Hier, wo ich jetzt sitze, ja, ich glaube, es war genau hier, da saßen wir beide voriges Jahr im Sommer. Damals gab es noch keine Susi in seinem Leben und die Welt war noch in Ordnung. Und heute? Was fühle ich noch für Julian? Ich weiß es nicht. Er hat mir sehr weh getan, ohne Zweifel. Aber tief in Innern, ist da noch was? Ich weiß es wirklich nicht. Auf alle Fälle treibt es mir die Tränen in die Augen und das reichlich.

„Mensch Florian, was machst du denn hier?“

Bin ich jetzt erschrocken, na klar, wenn mich da in dem fast menschenleeren Stadion plötzlich jemand anspricht, noch dazu mit meinem Namen! In meinem tieftraurigen Sinnieren und dem Suhlen im Selbstmitleid habe ich gar nicht bemerkt, dass die kleine Läufertruppe, die ich vorhin auf der Gegengerade ausmachte, inzwischen im Laufschritt an der Tribünenseite und damit an mir angelangt ist und weitertrabt.

Nur einer aus der Gruppe ist stehen geblieben und kommt jetzt auf mich zu. Ich traue meinen nassen Augen kaum: Es ist Fernando, der da vor mir steht, logischerweise diesmal ohne Kochkleidung, dafür mit einem weißen T-Shirt und kurzer hellblauer Sporthose mit schwarzen Streifen.

„Flori,was ist mir dir? Du hast ja….Sag mir, was ist los?“

Ja. er hat meine nassen Augen bemerkt, ist ja auch kaum zu Übersehen. Er setzt sich auf den Sitz neben mir, legt seinen Arm auf meinen und sieht mich an.

„Ach weißt du, der Wind hier, der tut meinen Augen nicht so gut!“ rede ich mich heraus.

„Soso der Wind, a ha, ihr in Bayern habt wohl keinen Wind, was? Komm Flori, heute ist Heilig Abend, da darfst du doch nicht weinen! Was ist wirklich los und warum bist du allein hier, wo ist dein Freund?“

„Ach Feri, das ist eine lange Geschichte, ich bin doch mit gar keinem Freund hier, mein Freund hat eine Freundin. Und ich bin mit einem andern hier, aber der…naja, ist alles recht kompliziert und ich will es dir nicht antun, das alles anzuhören!“

„Ich möchte es aber hören, Flori, und jetzt erst recht. Jaja, ich hab von meinem langen Aufenthalt in Bayern schon einiges mitgenommen, unter anderem auch meinen Sturschädel, so sagt man doch, wenn ich mich recht erinnere. Und ich habe Zeit, die da drüben laufen auch ohne mich, wie du siehst, also, was ist los? Ich geb keine Ruhe, bis du es mir erzählst und zwar alles! Du weißt ja – Sturschädel!“

Und ich erzähle ihm alles, angefangen von Julian und seiner Susi bis hin zu Dietmar und seinem Eigenleben in diesem Urlaub.

„Und nun bist du Weihnachten alleine, das ist alles andere als schön und absolut ungerecht! Freilich gibt es sowas wie eine Weihnachtsfeier im Hotel, ein wirklich festlich arrangiertes Büfett, es gibt Punsch und Stollen, dazu einen Weihnachtsbaum und stimmungsvolle Weihnachtsmusik. Ist sicher alles schön, aber du bist trotzdem allein.

Nein Flori, das lasse ich nicht zu! Du kommst mit mir mit zu meiner Familie und ich lass keinen Widerspruch gelten. Sonst werd i grante, verstehst mi? Siehst du, so gefällst du mir schon viel besser, wenn du lachst, steht dir auch viel besser, als das traurig sein.“

„Ach Feri, ich kann doch nicht einfach so bei deiner Familie auftauchen, die kennen mich doch gar nicht, nein, das will ich nicht!“

„Unsinn, ich kenne dich, das reicht. Was glaubst du, wie sich meine Eltern freuen, wenn ich jemanden aus Bayern und noch dazu von meinem ehemaligen Hotel mitbringe!“

„Aber der Heilige Abend ist doch gerade bei euch Spaniern ein Abend mit der Familie!“

„Aber auch mit Freunden, Flori! Bitte, tu mir den Gefallen! Ich hätte im übrigen keine ruhige Minute, wenn ich dich in dem Zustand und ganz allein im Hotel wüsste. Also abgemacht, ich hole dich, sagen wir um sechs Uhr vorm Hotel ab, ist das Ok? Du versäumst zwar dann das Essen dort, aber ich glaube, dafür wirst du bei uns mehr als entschädigt.“

„Aber ich habe doch gar keine Geschenke für deine Eltern und Geschwister. Wieviel hast du eigentlich?“

„Was, wieviele Eltern ich habe?“

„Quatsch, wieviele Geschwister natürlich?“

„Also heute Mittag waren es noch vier, drei Brüder und eine Schwester. Aber Geschenke brauchst du auch gar nicht. Es ist bei uns etwas anders, als bei euch. Die richtigen Weihnachtsgeschenke bringen erst die Heiligen Drei Könige, also am sechsten Januar.“

„Ach so ist das, wusste ich nicht. Also wenn ich darf und nicht allzu große Umstände mache, dann komme ich gerne.“

„So ist es recht! Aber glaub mir, du hattest gar keine Wahl, niemals hätte ich dich allein gelassen, an so einem Abend. Also abgemacht, ich bin um Sechs vor dem Hotel. Ach ja, brauchst nichts Besonderes anziehen!“

„Was? Ich soll nackig kommen?“ lache ich ihn an.

„Wäre mir zwar recht, aber da bekämen wir wohl Schwierigkeiten. Also, ich laufe jetzt noch mit den anderen.“

„Ach ja Feri, wo wohnst du eigentlich?“

„Na wo wohl? In San Fernando natürlich!“

„A ha, hätte ich mir denken können, Fernando aus San Fernando, ist doch wohl klar!“

„Adios Flori und ich freue mich auf heute Abend!“

Und wieder komme ich in den Genuss einer Umarmung und eines Küsschens auf die Wange. Aber diesmal halte ich ihn auch fest und küsse ebenfalls seine Wange. Dann erst lass ich ihn los. Er lächelt mich an und eilt auf die Laufbahn. Dort sieht er nochmals her und winkt mir zu.

Erst jetzt fallen mir seine langen, schlanken Beine auf, fast unbehaart. Auch sehe ich nochmals auf seine kurze Hose, die sicher manche Kostbarkeit verbirgt. Schon in seiner profanen Kochkleidung, wie ich ihn vor zwei Tagen sah, konnte man erkennen, was sich jetzt in der knappen Sportkleidung bestätigt, Fernando hat einen athletischen Körper, wunderbar anzusehen. Ich glaube, gar mancher Fotograf, der auf Männerfoto spezialisiert ist, würde Fernando liebend gerne als Modell haben. Dieser aber zieht mit seinen Läuferkollegen weiterhin seine Runden auf der Bahn im Stadion von Maspalomas.

Ich aber mache mich auf den Weg zurück ins Hotel und bin naturgemäß in einer völlig anderen Stimmung als auf dem Weg hierher. Ich habe entgegen der Befürchtung Fernando nun doch heute schon wieder gesehen und nicht nur das. Er hat sich geduldig, wie kaum ein Zweiter, meine ganze Geschichte angehört und mich für heute Abend eingeladen.

Ich kann es immer noch kaum fassen. Er nimmt mich mit zu seiner Familie, ich darf mit ihnen Weihnachten feiern! Wenn man weiß, dass den Spaniern die Familie über alles geht, dann bin ich mir der Ehre, die mir zuteil wird, sehr wohl bewusst.

Und vor allem, ich bin für ein paar Stunden Fernando nahe. Und dass er mich auch mag, das kann ich wohl annehmen, sonst würde er das kaum machen. Wie hatte ich Angst vor dem Alleinsein gerade an dem heutigen Abend. Und nun werde ich nicht allein sein, dank Fernando. Und wie ich mich auf den heutigen Abend freue!

Die Freude ist mir ein wenig vergangen. Ich bin wieder zurück auf unserem Zimmer im Hotel und finde tatsächlich Dietmar auf dem Bett liegend vor. Aber er ist nicht allein. Hat doch mein sogenannter Reisebegleiter seinen Urlaubsflirt, denn um wen soll es sich bei der zweiten Person sonst handeln, mit aufs Zimmer genommen und sie schmusen auf dem Bett rum wie zwei frisch verliebte Teenager. Aber wenigstens sind beide noch vollständig angezogen.

Dürfte sich bei seinem Flirt wohl um einen Engländer handeln, noch ziemlich jung, klein von Statur, rotbraune Haare, bleiches Gesicht, sieht gar nicht mal schlecht aus, aber bestimmt nicht mein Geschmack. Wenigstens haben die Beiden noch so viel Verstand und hören jetzt mit der Schmuserei auf und setzen sich aufs Bett. Ist schon spaßig, zu sehen, wie sie alle zwei bemüht sind, das wohl aufrührerische Innenleben ihrer Hosen in die rechte Lage zu bringen.

Ich gebe Dietmar dann die Essensmarken für heute Abend und erkläre ihm, dass ich eingeladen bin und nicht mit zum Abendessen gehe. Mehr braucht er auch gar nicht zu wissen. Von mir aus kann er ja seinen Spielgefährten zum Essen einladen.

„Aber irgendwann in der Nacht bin ich wieder da und dann wäre es mir schon recht, wenn du dann alleine wärst, verstehst du, Dietmar?“ ermahne ich ihn.

„Isch klar, wir gäa dann eh in Dischko und i ka dann beim David penna.“ erwidert er mir.

Soso, David heißt also das kleine Bürschchen, das bisher keinen Mucks getan hat und wahrscheinlich auch nichts versteht.

„Ist er Engländer?“ frage ich dann so nebenbei. Nicht dass ich neugierig wäre, aber interessiert mich halt doch, wer sich hier in unserem Zimmer aufhält.

„Mensch Mann, ik bin ein Baliner, jetzt kiegste doof, watt?“

Der kann ja doch reden! Na gut, ist er halt kein Engländer sondern Berliner. Für einen Süddeutschen wie mich, ist das doch die gleiche Ecke, ob Berliner oder Engländer, also was solls.

Ich jedenfalls geh dann mal ins Bad, das man ja, wie Dietmar gleich nach unserer Ankunft feststellte, nicht absperren kann. Hat mich aber auch bisher nie gestört. Ich bin nie hinein, wenn ich wusste, Dietmar ist drinnen, auch wenn man das Wasser rauschen hörte und ich wusste, er ist „nur“ unter der Dusche. Und er wird wohl nicht mal in die Nähe des Bades gekommen sein, wenn ich es benutzt habe.

Ich gönne mir jedenfalls jetzt mal eine ausgiebige Dusche, will natürlich sauber und gepflegt zu Fernando kommen. Fröhlich pfeife ich ein „Jingle bells“, dem heutigen Tag angemessen. Plötzlich geht die Tür auf und ich staune nicht schlecht, als da der kleine englische Berliner rotzfrech und kichernd ins Bad kommt.

„He, kannst du nicht warten, ich dusche gerade!“

„Na und? Mich stört das doch nicht. Menste, ik kieg dir wat wech? Außerdem muss ik dringend pipi.“

Und schon stellt er sich an das Klobecken und lässt es plätschern. Naja, so geht es auch, Frechheit siegt. Endlich hat er ausgestrullert und verpackt alles. Dann stellt er sich direkt vor die Dusche, mustert mich von oben bis unten, grinst wieder und meint:

„Also ehrlich Mann, dich würde ik auch nicht von der Bettkante stoßen, ehrlich du!“

Und schon ist er draußen, bevor ich auch nur ein Wort dazu sagen kann. Naja, direkt sind sie ja die Berliner, und dieser David ist es besonders, echte Berliner Schnauze eben. Kann das mit seinem neuen Freund, dem Dietmar gut gehen? Gegensätzlicher könnten die beiden ja gar nicht mehr sein, aber das ist ihre Sache.

Kurz vor sechs Uhr stehe ich frisch gestriegelt und geschniegelt vor dem Hotel und warte auf mein Taxi, namens Fernando. In einer Hand halte ich einen großen Weihnachtsstern, mit wunderschönen hellrot-weiß-gesprenkelten Blättern. Dieser Stock stand bis vor kurzem noch in einer prächtigen Weihnachtsdekoration neben der Rezeption unseres Hotels, zusammen mit vielen Kollegen in allen möglichen Farben.

Nein nein, ich habe ihn nicht heimlich mitgehen lassen, das würde ich nie machen, schon gar nicht an diesem Tag. Ich habe Herren Ramos an der Rezeption gefragt, was man mitbringen kann, wenn man an so einem Tag zu einer spanischen Familie eingeladen ist. Wissend hat er gelächelt und nur „Aha, Fernando!“ gemurmelt. Auch er hat mir nochmals versichert, dass es ja heute noch keine Geschenke gibt, höchstens Kleinigkeiten.

Und dann haben wir gemeinsam überlegt. Viele Möglichkeiten gibt es nicht mehr, die meisten Geschäfte haben bereits das „Cerrado“- Schild hängen, haben also geschlossen. Als Herr Ramos dann sah, dass ich das Weihnachtsstern-Arrangement neben der Rezeption bewundere, da huschte ein Lächeln über sein Gesicht und er hatte eine Idee:

„Da sind so viele Stöcke, fällt gar nicht auf, wenn einer fehlt!“ meinte er und weiter:

„Und Weihnachtssterne, noch dazu ein so großer, hübscher Stock, den mögen alle Spanier sicher gerne.“

Ich wollte ihn zwar daran hindern, als ich sah, dass er es wirklich ernst meinte und einen der vielen Töpfe wegnahm. Aber er ließ sich nicht beirren. Freilich hat er sich vorher vergewissert, dass sonst niemand in der Nähe ist. Das entsprechende Blumenpapier zum Einwickeln war rasch gefunden und in einem Raum hinter der Rezeption haben wir den Stock verpackt. Selbstverständlich wollte ich Herrn Ramos dafür Geld geben, aber er lehnte es vehement ab. Das sei eben sein Weihnachtsgeschenk für mich. Naja, ich werde ihm an einem der nächsten Tage irgend eine Kleinigkeit kaufen, seine Hilfe muss belohnt werden.

Und nun stehe ich also heraußen vor dem Hotel und warte auf Fernando. Also pünktlicher geht es wirklich nicht mehr! Genau um Punkt sechs Uhr hält ein silbergrauer BMW direkt vor mir und Fernando springt aus dem Wagen und eilt auf mich zu.

„Sag mal, verdient ihr Köche hier soviel, dass du dir so ein Auto leisten kannst?“ kann ich nicht umhin, das zu fragen.

Er lacht und meint dann:

„Den hab ich noch von meiner Münchner Zeit und hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Nein, einen neuen könnte ich mir nicht leisten, als Koch hier verdienst du nicht gerade die Welt! Aber erst mal, Grüß dich, Flori, schön dich zu sehen und gut siehst du aus. Sag grad, du hast dich für mich so herausgeputzt, hm?“

Dabei umarmt er mich und drückt mir einen Kuss auf die Wange und ich mache es ihm gleich.

„Nein, für deine Mutter, habe ich mich so schön gemacht, ist doch wohl klar!“

Dabei lache ich ihn frech an.

„Soso, für meine Mutter und nicht für mich! Auch gut, aber ohne Spaß, ich freue mich ehrlich, dass du mitkommst und alle daheim sind voller Spannung und neugierig auf dich!“

„O je, du machst mir ja Mut, ich habe jetzt schon feuchte Hände!“

„Ach halb so schlimm, sind lauter nette Leute, ist schließlich meine Familie!“ sagt er grinsend zu mir.

Ein lautes Hupen erschreckt uns und unterbricht unser Gespräch. Ein Bus ist es, dem wir, das heißt Fernandos BMW, die Zufahrt versperrt. Ja ja, mit Hupen, da sind sie schnell zur Hand hier auf der Insel. Aber der Busfahrer hat ja in dem Fall auch recht, wir sollten wirklich endlich wegfahren. So verstaue ich rasch meinen Stock auf den Rücksitz und schon kann es los gehen. Wir fahren und der Bus kann endlich seine Insassen weiter befördern.

„Sag mal, was hast du da auf dem Rücksitz verstaut, Flori?“

„Ach nur eine Kleinigkeit, irgendwas muss ich doch mitbringen, gehört sich schließlich, wenn man so lieb eingeladen wird..“

„Nein, musst du nicht, ich hab dich eingeladen und du kommst mit zu mir und meiner Familie, das ist Geschenk genug!“

Dabei sieht er mich an und lächelt mir zu, muss sich aber gleich wieder auf den Verkehr konzentrieren, der hier auf der Avenida, der Hauptverkehrsstraße, die wir gerade befahren, doch sehr dicht ist.

„Ach übrigens Feri, ich hab noch gar nicht gefragt, wie denn die Loteria ausgegangen ist, hast du den, wie sagt ihr, ach ja, den Dicken?“

Jetzt fängt er lauthals zu lachen an und kann sich kaum mehr beruhigen. Und ich, ich lach einfach mit, weil sein Lachen so ansteckend ist. Endlich hat er sich wieder gefangen und meint, immer noch leicht schmunzelnd:

„Also, ich hab einen Dicken, obwohl eigentlich ist er mehr ein Langer als ein…..“

„Feri, du Schwein, du weißt genau, was ich meinte!“l

„Ja ja, den El Gordo, den Dicken in der Lotterie, nein, den hab ich auch diesmal nicht und auch sonst keinen der Preise, wie jedes Jahr halt. Man wartet und hofft und ist gespannt, es könnte ja doch sein, aber jedesmal die gleiche Enttäuschung. Aber im nächsten Jahr sind wir alle trotzdem wieder dabei und kaufen Lose und hoffen auf den Dicken.“

Letzteres kann er wieder nur kichernd vortragen.

„Du bist unmöglich, Feri, weißt du das? Aber was anderes – ich hab dir soviel von mir und meinen Freundesgeschichten erzählt, von dir weiß ich nicht viel. Vor allem würde ich gerne wissen, wenn wir jetzt dann bei euch zu Hause sind, ist auch ein Freund da? Entschuldige, wenn ich so direkt frage, aber….“

„Nein nein, ist schon in Ordnung. Ja, es ist ein Freund da, wenn wir dann daheim sind, nämlich du! Ich hoffe doch, ich darf dich als Freund bezeichnen?“

„Ich würde mich glücklich schätzen, ja, wenn ich dein Freund sein darf! Aber ich meinte, ob du, naja, also ob du….“

„Du willst wissen, ob ich einen festen Freund, einen Freund fürs Herz habe, ja?“

„Ja, so ungefähr.“

„Nein, Flori, bisher nicht. Ich hatte in München einen festen Freund, mit dem ich mich wirklich gut verstand, bis er plötzlich entdeckte, dass ihn Titten stärker erregen als Schwänze. Entschuldige, aber manchmal bin ich leider sehr direkt.“

„Stört mich überhaupt nicht, Feri!“

„Also jedenfalls hatte er dann eine Freundin und der Freund, also ich, sollte die zweite Geige spielen. Aber in dem Orchester spielte ich nicht mit und es war aus.“

„Dein Freund hieß nicht zufällig Julian?“

„Ach so, so hieß ja dein Verflossener, der sich ja auch mehr für weibliche Körper interessierte, nein, er hieß Felix. War ein sehr guter Skifahrer, für mich aber die Enttäuschung meines Lebens. Naja und hier auf der Insel hat sich bisher auch nichts ergeben. Gewiss, ich hab einige Freunde in der Arbeit, in der Nachbarschaft, im Verein, du hast uns ja heute laufen sehen, aber eben bisher nicht den Richtigen gefunden.

Weißt du, hier ist das alles nicht so einfach. Gewiss, Gran Canaria ist als Insel der Schwulen bekannt, wenn ich da nur mal an das Yumbo Zentrum denke. Tu mal alle Schwulen, die hier her kommen und Urlaub machen weg, was bleibt dann noch? Das wissen hier alle, darum sind sie ja als Touristen sehr willkommen. Und alle Einheimischen geben sich sehr tolerant und weltoffen, solange es sich um die Devisen bringenden Urlauber handelt.

Das gilt aber nicht für uns Canarios. Gewiss, Spanien hat ein sehr liberales Gesetz was gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften anbelangt. Aber in der Realität, da sind wir Schwulen doch immer noch zweite Wahl und es wird sich daran kaum was ändern. Schon auch, weil wir keine Kinder kriegen und somit in den Augen Vieler keine echte Familie sind. Und zur Familie da gehören nun mal Kinder, vor allem hier in Spanien. Naja, so ist das eben. Aber ich quatsche und quatsche dir die Ohren voll und wir sind längst da.“

„Was? Wo?“

Tatsächlich stehen wir vor einem schmucken Reihenhaus, direkt gegenüber dem Stadion.

„Hier wohnst du? Dann bin ich ja schon oft bei dir vorbei gekommen.Wenn ich das geahnt hätte, dass hier drinnen so ein schmuckes Kerlchen wohnt….“

„Wer wohnt hier? Na jedenfalls vielen Dank für das nette Kompliment!“

Und dabei drückt er meine Hand.

„Aber du hast ja wirklich feuchte Hände, so nervös? Brauchst du nicht, sind alles nette Leute, so wie ich!“

Dabei lächelt er mir zu. Dieses Lächeln ist aber auch zum Dahinschmelzen, einfach umwerfend. Und dazu seine großen Augen, die mich schon wieder so lieb ansehen, und seine Lippen, die direkt zum Küssen einladen, und sein…..Stopp! Ich muss mich zusammenreißen, jetzt werde ich mit der realen Welt, sprich seiner Familie konfrontiert. Apropos Familie:

„Jetzt habe ich doch noch schnell eine Frage, Feri, wissen alle in deiner Familie über dein Schwulsein Bescheid, nicht dass ich da ….“

„Nein Flori, kannst nichts verkehrt machen, die wissen es alle, schon seit München und keiner hat ein Problem damit, ganz im Gegenteil, meine Mama sucht mir immer Männer aus, die zu mir passen würden, meint sie. Aber los jetzt, wir müssen hinein gehen, die warten doch alle.“

Wir gehen auf die Eingangstüre zu, da wird diese mit Schwung aufgerissen und eine Frau mittleren Alters, die Fernando als seine Mutter benennt, kommt auf uns zu und begrüßt mich mit einer herzlichen Umarmung.

„Du musst Florian sein, schön dich zu sehen! Wir freuen uns alle seit heute Mittag als Feri uns erzählt hat, dass du kommst!“

Ich komme gar nicht dazu, mich zu bedanken, denn der Hausherr, so schätze ich den älteren, grau melierten, dunkel gebräunten Herrn mit Brille ein, ist an der Haustüre, schüttelt mir die Hand und mit einem herzlichen: „Willkommen Florian“ begrüßt er mich. Nach und nach erscheinen Feris Geschwister an der Tür und geben mir die Hand und umarmen mich.

Ich bin total überwältigt von der so herzlichen Begrüßung. Da ist nichts aufgesetzt oder wirkt künstlich, nein, das ist echt, das spürt man, sprichwörtliche kanarische Gastfreundschaft. Und dabei sehen sie mich alle heute zum ersten mal, ich bin doch ein Fremder für sie und trotzdem haben sie mich gleich ins Herz geschlossen.

Feri hat noch eine Schwester, Theresa mit Namen, sie ist älter als er und hat bereits eine eigene Wohnung in Tablero, einem Ort unweit von hier. Heute aber ist sie auch bei der Familie. Dann sind da noch drei Brüder, der jüngste gerade mal sechzehn, wie man mir erzählt. Ja und alle sehen sie Feri sehr ähnlich und sehen somit sehr gut aus.

Nachdem die gesamt Begrüßungszeremonie vorbei ist, wobei sie ja alle wirklich lieb waren, treten wir in das Innere. Ich hätte gar nicht gedacht, dass die Wohnung so geräumig ist. Von außen wirkt das bei weitem nicht so groß, ein kleines Reihenhäuschen meint man.

Noch auf dem Flur räuspert sich Feri und reicht mit dann mein Mitbringsel. Schau mal, er hat daran gedacht, ich hätte den Weihnachtsstern im Auto liegen lassen. Nun ist wieder ein großes Hallo, als sie den wirklich einmalig schönen Stock sehen, der gleich einen Ehrenplatz bekommen soll, wie Feris Mutter, Rosalie mit Namen, erzählt.

Feri zeigt mir nun die Wohnung, führt mich überall rum. Hier im Erdgeschoss ist die Küche und ein sehr geräumiges Wohnzimmer, das auch als Esszimmer benutzt wird. Auf dem langen Tisch ist bereits alles vorbereitet, um hernach das Weihnachtsessen einnehmen zu können. Auch ein Christbaum steht in einer Ecke, herrlich bunt geschmückt. Daneben auf einem Tischchen ist die Krippe aufgebaut, die ja in keiner Familie fehlen darf. Herunten sind auch noch ein Bad und eine Abstellkammer.

Im ersten Stock befinden sich die Schlafzimmer für die Eltern und die zwei jüngsten Sprösslinge, für Ernesto und Raphael, dem Benjamin der Familie. Im ausgebauten Dachgeschoss hat schließlich Rodriges, nach Feri der älteste der Brüder, sein Domizil, gleich daneben ist Feri daheim.

Nun stehen wir also in seinem Zimmer und ich sehe mich um. Ja, das passt alles zu ihm, sehr geschmackvoll eingerichtet und so schön aufgeräumt. Ein paar Poster hängen an der Wand, einmal eine kanarische Küstenlandschaft, dann die Skyline von Las Palmas, wie mir scheint, und daneben, ich glaubs ja nicht, eine Stadtansicht von München mit den berühmten Türmen der Frauenkirche, vom Alten Peter, vom Rathaus und der Theatinerkirche im Hintergrund.

„Schlägt halt immer noch a bissal mein Herz für die Stadt an der Isar. Und jetzt, wo du da bist, fast ein echter Münchner, noch um ein Stück mehr.“

So erklärt mir Feri, der hinter mir steht und meine Überraschung über das heimatliche Poster bemerkt hat. Dann legt er von hinten seine Arme um meine Hüften und zieht mich zu sich hin.

„Und das ist Las Palmas, unsere Hauptstadt, aber das hast du sicher eh erkannt, oder?“

„Ja Feri, Las Palmas kenne ich, war ja schon ein paar mal in der Stadt. Aber ehrlich du, schön hast du es hier. Und alles ist da, hier ein Computer, ein Fernseher und ach ja, so ein breites Bett habe ich bei mir nicht.“

„Ach Flori, was nützt das breiteste Bett, wenn ich immer nur alleine drin liege?“

Naja, jetzt wird es aber doch ein wenig heikel, noch dazu, wo sich Feris Körper ganz dicht von hinten an mich drückt und ich seinen heißen Atem in meinem Nacken spüre. Und ich spüre noch was, viel weiter unten, das hart auf meinen Po drückt. Ist ja alles wunderbar, aber wenn jetzt plötzlich jemand hereinplatzt, bei der großen Familie ist das wohl nicht auszuschließen.

„Du Feri, müssen wir nicht wieder runter gehen, deine Eltern warten sicher schon auf uns, oder?“

„Hmm!“ gibt er nur von sich, macht aber keine Anstalten, sich von mir zu lösen. Was kitzelt mich denn da am linken Ohr? Du liebe Zeit, Feri knabbert an meinem Ohrläppchen, ich geh kaputt!

„Weißt du Flori, dass du mich so richtig heiß gemacht hast, ich könnte dich auf der Stelle….“

„Ich spürs Feri, ja ich spürs wie heiß du bist aber sollten wir nicht doch jetzt….“

Er seufzt tief und lässt mich los.

„Gut, dass wenigstens einer von uns vernünftig ist. Aber bevor wir gehen, Flori, ich hätte noch einen Wunsch, also eine Bitte, darf ich dich, also…naja, ich würde dich halt gerne…küssen, ich wünsche es mir schon seit unserer ersten Begegnung.“

Ja, was soll ich dazu sagen. Wenn er es so direkt wünscht und außerdem ist Weihnachten, wo Wünsche erfüllt werden müssen. Wer kann dazu schon nein sagen! Ich sage gar nichts, trete nah zu ihm hin, umarme ihn und dann treffen sich unsere Lippen ganz automatisch und vollenden sich in dem von beiden so heiß ersehnten Kuss. Leider unterbricht ein lauter Schrei von unten die Vereinigung unserer Münder.

„Zum Essen kommen!“ heißt es da und es dürfte Feris Vater, Carlos, sein.

Wir trennen uns, sehen uns in die Augen, wohl wissend, dass dieser erste Kuss nicht der Letzte gewesen ist und vielleicht die Einleitung zu mehr bedeutet.

Nun sitzt die ganze Familie, also die Eltern, die Schwester, die vier Brüder, sowie ich als Gast am großen Esstisch und erfreuen uns an den köstlichen Speisen, die das große Weihnachtsessen beinhalten und die von Rosalie und Theresa liebevoll zubereitet wurden.

Zunächst gibt es etwas Käse und Schinken, quasi als Vorspeise, dann aber wird der knusprig gebratene, mit Kastanien gefüllte Truthahn auf den Tisch gestellt. Der Hausherr waltet seines Amtes und zerlegt den großen Vogel und jeder bekommt ein Stück.

Was mir bei dem Essen auffällt ist, dass sich alle viel Zeit nehmen, da gibt es kein hastiges Runterschlingen. Es wird nebenbei viel geredet und erzählt, mal das Besteck aus der Hand gelegt und sich zurück gelehnt. So dauert dieses Mahl schon seine zwei Stunden. Sie fragen mich auch über München aus und was sich dort in den paar Jahren, seit sie weg sind, getan hat. Ich beantworte, so gut ich kann, ihre Fragen.

Von ihnen erfahre ich nun auch, dass es in Spanien kein typisches Weihnachtsessen gibt. So gibt es heuer eben den Truthahn, letztes Jahr war es ein Lammbraten, ein ander mal gibt es vielleicht Fisch oder Meeresfrüchte.

Was aber nicht fehlen darf und das wird jetzt als Nachspeise auf den Tisch gebracht, das ist das „Turron“, gehört, so sagt man mir, zu jedem Weihnachtsessen und wird aus gerösteten Mandeln, Zucker, Honig und Eiern hergestellt. Feri, der Fachmann ist es, der mir das so genau erklärt.

Ja aber jetzt geht wirklich gar nichts mehr, keinen einzigen Happen könnte ich noch hinunter bringen. So satt war ich wohl schon lange nicht mehr und so gut geschmeckt hat es mir auch schon seit ewiger Zeit nicht mehr. Das sage ich Rosalie und sie freut sich darüber.

Nun aber wird rasch der Tisch abgeräumt, mit vereinten Kräften geht das sehr rasch, den Abwasch erledigt eh die Maschine.

Feri erklärt mir, dass nun eine weitere Weihnachtstradition folgt, eine Art private Lotterie, nach der großen vor zwei Tagen.

„Gibt es da auch einen Dicken?“ kann ich mir nicht versagen, Feri leise zu fragen.

Da lacht er laut auf und alle schauen ihn an und wollen natürlich wissen, was los ist. Aber Feri schweigt und ich bin froh darüber.

Was hat es nun mit dieser Lotterie auf sich? Es wird ein großes Gefäß auf den Tisch gestellt, die „Urne des Schicksals“ nennen sie es. Darin sind viele kleine in Geschenkpapier gehüllte Präsente enthalten. Nach und nach darf sich jeder ein Geschenk nehmen. Wenn man Glück hat, erwischt man was Schönes, Wertvolles. Aber es sind auch Nieten dabei, also leere Schächtelchen, was man aber von außen nicht sieht, da ja alles schön und gleich eingepackt ist.

Naja und ich erwische natürlich gleich so eine Niete. Kann man nichts machen.

„Pech im Spiel, Glück in der Liebe, heißt es nicht so in Deutschland, Florian?“ fragt Rosalie und sieht mich lächelnd an.

Ich sehe unwillkürlich zu Feri, der neben mir sitzt und ebenso leicht lächelt. Ich werde feuerrot, was aber sicher am heißen Punsch liegt, den wir inzwischen serviert bekommen haben.

„Ja, so sagt man bei uns, muss aber nicht immer stimmen!“ versuche ich zu erklären.

„Aha!“ meint Rosalie kurz und sieht abwechselnd zu Feri und mir und wieder erscheint auf ihrem Gesicht dieses wissende Lächeln.

Ich darf mir jedenfalls noch mal ein Geschenk rausziehen, es soll ja keiner leer ausgehen. Naja, Pralinen sind es, ist ja auch nicht schlecht. Zum Schluss hat jeder irgend eine Kleinigkeit gewonnen und alle freuen sich.

Es ist ja der Sinn des ganzen Abends, dass man beisammen sitzt, eben die ganze Familie, miteinander isst und trinkt, miteinander spielt, redet und sich freut. Und das zieht sich dann schon hin, an diesem Noche Buena, dem Heiligen Abend.

„Ich habe dir noch gar nicht gesagt, dass es auch zur Tradition hier gehört, dass wir alle gemeinsam zur Mitternachtsmesse gehen, in unsere Kirche hier in San Fernando, die ´Missa del Gallo´, also die ´Messe des Hahns´, ja heißt so, weil ein Hahn als erster die Geburt Jesu verkündet haben soll. Aber du musst natürlich nicht mitgehen, wenn du nicht….“ erklärt Feri.

„Das wäre ja noch schöner, selbstverständlich komme ich mit Feri!“

Zunächst aber nimmt er mich nochmals mit auf sein Zimmer.

„Ich hab noch ein Geschenk für dich, Flori. Du bist ja leider am Dreikönigstag, wo es die eigentlichen Weihnachtsgeschenke gibt, nicht mehr hier, so bekommst du es eben heute.“

„Aber Feri, das ist jetzt unfair. Ich hab doch für dich nichts!“

„Pscht Flori, Hauptsache du bist hier, das ist Geschenk genug, hab ich dir doch schon gesagt.“

Und Feri überreicht mir ein kleines Päckchen, das ich öffne und ein wunderschönes silbernes Kettchen mit einem Fische-Sternzeichen enthält. Ein Fische-Sternzeichen, mein Sternzeichen – Moment – woher weiß Feri ….? Ich sehe ihn fragend an. Er nimmt mir das Kettchen aus der Hand und hängt es mir um den Hals.

„Weißt du Flori, wenn man in einem Hotel arbeitet, wo Touristen sich anmelden und ihre Ausweise abgeben und man dazu einen verschwiegenen Komplizen an der Rezeption hat, da ist es gar nicht so schwer, das Geburtsdatum und damit das Sternzeichen herauszubekommen. Denn das war es doch, warum du mich so erstaunt angesehen hast, oder?“

„Señor Ramos, natürlich!“ erwidere ich.

„Ich hab nichts gesagt.“ entgegnet Feri leicht schmunzelnd.

„Aber du wusstest doch bis heute Mittag gar nicht, dass ich abends hier bei dir bin, doch erst, als wir uns im Estadio getroffen haben, oder?“

„Du hast schon recht, aber bis sechs Uhr abends ist viel Zeit, alles in die Reihe zu kriegen. Und außerdem….“

„Ja, außerdem….?“ frage ich zurück.

„Naja, sagen wir mal so, ich hab es mir gewünscht, dass du heute Abend bei mir bist. Hört sich jetzt  eigenartig an, aber seit wir uns vorgestern in der Küche getroffen haben, als ich dir die Küche zeigen sollte, seit dem ertappe ich mich immer wieder bei dem Gedanken an dich, Flori. Du bist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und so hab ich mir heute Morgen noch gedacht, wie schön wäre es, wenn ich mit dem Flori heute Abend Weihnachten feiern dürfte. Aber gleichzeitig wusste ich ja von dir, dass du mit einem Freund hier bist, also musste ich mir diesen Wunsch aus dem Kopf schlagen.“

„Und dann treffen wir im Stadion aufeinander, hätte ja später dort sein können, dann hätten wir uns nicht getroffen. Aber es musste wohl so sein, ein Wink des Schicksals? Jedenfalls vielen vielen Dank Feri für das schöne Geschenk und überhaupt für diesen Abend, es war wirklich wunderschön mit deiner Familie und natürlich mit dir!“

„Und noch ist der Abend ja noch gar nicht vorbei, denk an die Missa del Gallo, dauert zwar etwas lang, aber es ist sehr festlich und stimmungsvoll, wird dir sicher gefallen.“

„Mit dir, Feri, ist es doch überall schön! Ehrlich du, ich hätte heute Morgen nie gedacht, dass ich einen derart schönen Heiligen Abend erleben darf. Und was du davor gesagt hast, ich hätte es genau so sagen können. Du gehst mir ja auch nicht mehr aus dem Kopf seit unserer Begegnung vorgestern, ehrlich Feri. Und auch ich hab mich ein paar mal bei dem Gedanken ertappt, wie schön es wäre, mit dir Weihnachten feiern zu dürfen. Ja, auch ich hab es mir gewünscht, aber gleichzeitig gewusst, dass es unmöglich ist. Und nun kommt es mir wie ein Wunder vor.“

„Wenn sich zwei das Gleiche wünschen, muss es ja in Erfüllung gehen, Flori, schließlich ist Weihnachten, da gibt es schon manchmal kleine Wunder.“

Mir ist es jedenfalls ein Bedürfnis, Feri jetzt zu umarmen und zu küssen und ihm so meine große Dankbarkeit zu zeigen. Wieder werden wir unterbrochen, es klopft an der Tür und schweren Herzens trennen wir uns voneinander.

Auf das „Si“ von Feri kommt Raphael, sein jüngster Bruder, herein. Er ist wirklich bildhübsch, das jüngere Abbild von Feri. Er grinst und meint:

„Habe ich euch gestört? Tut mir leid, aber es wird Zeit für die Messe, wir müssen bald gehen, soll ich ausrichten. So, jetzt könnt ihr weitermachen!“

Und draußen ist der Frechdachs, aber ein lieber. Wir beide sehen uns an und müssen über den vorlauten Knaben lachen.

„Aber Raphael sieht wirklich gut aus, warst du mit Sechzehn auch so ein hübscher Bengel, Feri?“

„Was heißt da ´warst´, warum die Vergangenheit? Sag blos, ich bin heute kein hübscher Bengel mehr? Wer hat denn vom schmucken Kerlchen gesprochen?“

„Oha, sind wir vielleicht eitel? Na gut, hübsch bist du auch heute noch, aber über das Bengelalter bist du doch wohl hinaus, oder? Aber komm, wir müssen uns fertig machen, die warten sicher schon auf uns!“

Ist schon sehr ungewohnt – zu Hause in Deutschland, wenn wir in die Christmette gehen, da ziehen wir dicke Wintermäntel an, binden einen warmen Schal um und setzen Mützen oder Pelzhauben auf, außerdem tragen wir Winterstiefel und Handschuhe. Bei uns ist ja tiefster Winter und klirrend kalt und vielleicht liegt sogar Schnee.

Heute, wo wir auch zur selben Zeit in die Kirche gehen, da genügt eine leichte Sommerjacke, darunter nur ein T-Shirt, an den Füßen leichte Sommerschuhe. Natürlich ist es draußen jetzt auch etwas kühler geworden, aber so um die achtzehn Grad wird es immer noch haben.

Wir sind nicht die einzigen, die sich aufgemacht haben, in die Missa del Gallo zu gehen. Von allen Seiten strömen die Leute der Kirche zu. Die Kirche, Sankt Fernando geweiht, daher auch der Ortsname, ist bereits gut gefüllt. Wir bekommen aber alle noch Sitzplätze, die in einem Halbrund um den Altar aufgebaut sind. Vorne stehen zwei große Christbäume, mit Strohsternen und bunten Kugeln geschmückt, außerdem brennen hunderte von Lichtern.

Wenn man es nicht bestimmt wüsste, dass man in einer Kirche ist, würde man es gar nicht glauben. Es ist nämlich ein Stimmengewirr zu hören, ein Getuschel und Ratschen und gelegentliches Kichern und Lachen. Man könnte sich auf einem Jahrmarkt wähnen. Aber man hat sich ja soviel zu erzählen, man begrüßt und umarmt sich, wünscht „Feliz Navidad“ und bespricht das vor wenigen Stunden eingenommene Weihnachtsessen und die neue Kleidung.

Feri steckt mir einen kleinen Zettel zu.

„Was ist das?“ frage ich flüsternd.

Hätte es genau so gut, laut rufen können, bei dem Geräuschpegel hier drinnen. „Noche de paz, noche de Amor“ steht als Überschrift und darunter einige Zeilen, alles auf spanisch natürlich.

„Kennst du das nicht? Das ist doch das bekannteste aller Weihnachtslieder, kennt ihr doch auch, wir haben es in München öfter gesungen. Moment….wie heißt es gleich wieder auf Deutsch….Ach ja, ´Stille Nacht, heilige Nacht´ genau, so heißt es.“

„Aber natürlich kenne ich das, und das ist also der spanische Text?“

„Ja, dann kannst du mitsingen. Wird immer am Schluss gesungen, ist sehr feierlich.“

Wir werden unterbrochen, die Orgel fängt zu spielen an und die Missa beginnt. Natürlich verstehe ich nichts von den Gebeten, schon gar nicht von der Predigt, aber die beeindruckenden Gesänge des Chors, die Musik, die festliche Atmosphäre, aber auch die Nähe zu Fernando lassen keine Langeweile aufkommen.

Echt überrascht mich aber jetzt der sogenannte Friedensgruß. Während man bei uns dem linken oder rechten Nachbarn in der Bank stumm die Hand gibt, gezwungenermaßen mehr oder weniger, ist das bei den Canarios hier ein freundliches, ungezwungenes Grüßen. Man umarmt sich, lächelt einander zu, sagt ein paar Worte, nicht wenige küssen sich. Natürlich entsteht dadurch wieder etwas Unruhe im weiten Rund, aber keinen stört das, es gehört hier einfach dazu.

Die Missa del Gallo geht dem Ende zu. Der Priester sagt noch ein paar Worte. Ich glaube ein „Feliz Navidad“ herausgehört zu haben. Alle stehen auf, die Orgel stimmt eine Melodie an, die ich sehr gut kenne, natürlich unser „Stille Nacht“. Feri stößt mich an, flüstert mir zu, ich soll den Spickzettel, also den spanischen Text zur Hand nehmen und mitsingen. Auf spanisch mitsingen, na, das kann ja was werden“!

Ich halte also den Zettel bereit, aber da verlöschen alle Lichter in der Kirche, nur die beiden Christbäume funkeln mit ihren unzähligen Lichtern um die Wette. Den Zettel kann ich natürlich jetzt in der Dunkelheit vergessen. Und während nun alle das „Noche de paz, noche de amor“ anstimmen, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als den mir bekannten deutschen Text mitzusingen. Feri neben mir hat eine wunderbare Stimme und er singt sehr laut, so fällt mein deutsches Singen gar nicht auf. Außerdem singe ich nicht so laut wie mein Canario und die Melodie ist ja ohnehin die selbe.

„Y la estrella de paz, y la estrella de paz!“

Das Lied und somit die Mitternachtsmesse ist zu Ende. Alles verlässt die Kirche und versammelt sich auf dem großen Platz vor dem Gebäude. Nun begrüßen sich auch die noch, die sich erst jetzt sehen und zusammenkommen. Und so begrüßt auch Feri seine Freunde, Kollegen, Nachbarn und ich werde einfach in die ganze Begrüßungszeremonie mit einbezogen, einschließlich Umarmung und Wangenküsschen und als „Amigo Aleman“ vorgestellt.

Naja, bei manchen lass ich mir das Ganze gerne gefallen, sind ja wirklich ein paar Schnuckelchen dabei. Aber bei anderen wieder, die scheinbar schon eine ganze Schnapsfabrik leer gesoffen haben, da versuche ich rasch, die Umarmung abzukürzen. Endlich erlöst mich Feri und zieht mich in eine ruhigere Gegend, direkt unter eine Birkenfeige, die hier in Zuckerhutform zugeschnitten sind.

„Tut mir leid, Flori, dass du das alles ertragen musst, aber das gehört hier einfach dazu. War es sehr schlimm?“

„Ach wo, die Leute sind ja alle so nett und lieb. Bei uns wäre das im übrigen unvorstellbar. Naja, meistens ist es ja auch bitter kalt, da bleibt kaum einer vor der Kirche stehen.“

„Da hast du recht, Flori, aber das hier stehen bleiben hat schon noch einen Grund, wirst du gleich sehen!“

Naja, zum Sehen gibt es nicht mehr als vorher, aber dafür zum Hören! Das ganze Volk hier vor der Kirche fängt zum Singen an.

„Spanische und kanarische Weihnachtslieder!“ flüstert mir Feri zu.

Und wie sich das anhört, einmalig schön. Ist ja klar, wenn aus mehreren hundert Kehlen im Freien Lieder erklingen, da läuft es einem schon mal eiskalt über den Rücken. Längst hat mich Feri bei der Hand genommen und er singt die Lieder stimmgewaltig mit.

In einer kurzen Singpause lobe ich ihn wegen seiner tollen Stimme. Er lächelt nur und drückt meine Hand fester. Ja, es ist wirklich ein wundervoller Ausklang des Heiligen Abends, wie ich ihn noch nie erlebt habe.

Allmählich werden die vielen Leute wohl müde, der Gesang wird spärlich und hört dann ganz auf. Es ist inzwischen kurz vor drei Uhr morgens und somit auch für mich Zeit, mich ins Hotel aufzumachen.

„Du Feri, ich hätte eine Bitte, ich will um diese Zeit nicht mehr zu Fuß ins Hotel laufen, könntest du mich bitte fahren, geht das?“

„Nein, das geht auf keinen Fall, glaubst du, ich reiße jetzt noch das Auto aus der Garage?“

„Oh, naja, wenn es so ist, geh ich halt zu Fuß!“ sage ich enttäuscht.

„Also dann Feri, sag deiner Familie nochmals vielen Dank für alles und dir danke ich auch. Naja, vielleicht sehen wir uns ja noch mal, bevor ich fliege.“

Ich drehe mich um, will mich auf den Weg ins Hotel machen, da stößt mich Feri von hinten an:

„He du da, wo willst du denn hin? Du läufst ja in die verkehrte Richtung, hier geht es lang!“

Und der deutet in die entgegengesetzte Richtung. Jetzt bin ich total verwirrt. Zuerst lehnt er meine Bitte ab, dann nennt er mich „du da“ und jetzt zeigt er mir einen völlig falschen Weg.

„Aber nein, Fernando, du irrst, ich muss doch zur Avenida vor und dann…“

„Flori, Flori, was hast du nur für eine lange Leitung! Ja hast du wirklich auch nur eine Sekunde daran gedacht, dass ich dich jetzt ins Hotel lasse? Natürlich reiße ich das Auto jetzt nicht mehr aus der Garage, weil es eh im Freien steht. Du kommst selbstverständlich mit mir mit!

Hab ich dir nicht vor ein paar Stunden gesagt, dass der Abend noch lange nicht zu Ende ist, hmm? Und wer hat denn mein breites Bett gerühmt, hmm?

Und mit wem, außer mit dir, soll ich es ausprobieren, ob es breit genug für zwei ist, hmm?“

Bei jedem „hmm“ gibt er mir einen Stups auf die Nase und lacht mich frech an.

„Und wer gibt dir die Zuversicht, dass ich die Breite deines Bettes ausprobieren will, hmm?“ frage ich genau so frech zurück.

„Ganz einfach, der da!“ erwidert Feri ganz spontan und greift mir zwischen die Beine.

Und der Verräter entlarvt mich natürlich. Bei diesen eindeutigen Beweisen bleibt mir gar nichts übrig, als nachzugeben. Was heißt nachgeben – natürlich hatte ich gehofft, ich könnte über Nacht bei Feri bleiben, aber ich hätte mir nie getraut, ihn zu fragen.

Wir sind mit die Letzten, die jetzt den Vorplatz der Kirche verlassen und sich auf den Heimweg machen. Feris Familie ist bereits zu Hause. Alle sitzen einträchtig am großen Tisch im Wohnzimmer zusammen. Wir müssen uns dazu setzen und bekommen wie alle anderen von Rosalie einen Punsch serviert. Dazu gibt es Weihnachtsplätzchen, wie wir sie auch in Deutschland kennen. Etwas haben sie halt doch von ihrem langen Aufenthalt bei uns mitgenommen.

Nun wird nochmals getratscht und über die Missa und die verschiedenen Bekannten geplaudert. Meist geschieht es in Deutsch, so wie auch vorhin beim Essen schon, aber hin und wieder geht es weiter im spanischen Text.

So ist es bereits vier Uhr, als ich mit Feri auf seinem Zimmer ankomme. Im übrigen haben es auch seine Eltern als selbstverständlich angesehen, dass ich bei Feri bleibe.

Ich darf als Erster das Bad benutzen. Feri gibt mir eine Schlafshorts von ihm. Natürlich bin ich inzwischen zum Umfallen müde, es war ja auch ein sehr langer Tag und eine lange Nacht, aber es war auch wunderschön.

Feri ist im Bad und ich lege mich schon mal ins Bett, muss schließlich die Bequemlichkeit prüfen. Ach tut das gut das Liegen, noch dazu in so einem bequemen Bett, und wie gut und frisch das Bettzeug riecht. Hab übrigens von Rosalie einen eigene Zudecke und Kissen bekommen. Wo bleibt denn Feri so …..

„Guten Morgen, Schlafmütze, na endlich wach?“

Ich drehe mich zu der Stimme um, die mich da von der Seite anspricht. Hab ich das also doch nicht geträumt? Tatsächlich ich liege neben Feri im Bett. Aber Moment…da war doch…war was in der Nacht?

„Du bist mir so einer, kaum bin ich fünf Minuten im Bad, schläft der Kerl ein!“

„Tut mit leid Feri, aber ich war todmüde. Normalerweise brauche ich schon ein paar Minuten zum Einschlafen, aber gestern…und das breite und bequeme Bett…“

„Na ja, es war ja auch schon ziemlich spät, besser gesagt früh, hab ja auch bald geschlafen. Und, wie ist mein Bett?“

„Wie ich schon sagt, sehr bequem, aber viel zu groß für eine Person!“

Langsam rückt er näher zu mir her, schlägt meine Decke zurück und – schwuppdiwupp – liegt Feri mit seiner ganzen Pracht auf mir drauf und drückt mir einen dicken Kuss auf. Zärtlich wischt er mir die Haare aus der Stirn, streichelt meine Wangen, stupst meine Nase, streift meine Brust, umkreist meine Nippel, lässt sanft seine Fingerspitzen die Brust abwärts gleiten, bohrt einen Finger in meinen Nabel, dass ich kichern muss.

Dann hebt den Bund meiner Shorts an, dazu muss er natürlich von mir runter gehen, um auch unter die Hose zu langen, wo logischerweise schon längst Aufruhr herrscht und den er jetzt verstärkt. Während er das alles bisher mit seinem bekannten Lächeln begleitet hat, schaut er mit einem mal ziemlich ernst drein und hört abrupt mit seinen Streicheleinheiten auf.

„Was ist los Feri, was hast du plötzlich?“

„Ach, mir ist nur eingefallen, dass du ja in wenigen Tagen wieder zurück musst und dann so weit weg von mir bist. Und das ist gar nicht gut, nein, gar nicht gut, weil….“

„Ja Feri, weil?“

„Na ja, was soll ich sagen, weil…ach Flori, ich hab mich unsterblich in dich verliebt. Ist das nicht schlimm?“

Ich weiß im Moment gar nicht, was ich antworten soll, so überwältigt bin ich von seinem Geständnis. Sicher, ich habe schon bemerkt, dass er mich mag, aber dass er sich verliebt hat, das macht mich dann doch sprachlos. Und wenn man nicht weiß, was man sagen soll, na dann küsst man eben. Und das tu ich auch und drücke ihn fest an mich.

„Feri, warum soll das schlimm sein, ist es doch das schönste Geständnis, das ich je gehört habe. Und ja Feri, du stehst nicht alleine da, ich habe mich auch verliebt, und zwar in so einen lieben Canario mit zwei wunderschönen Augen und einem umwerfenden Lächeln, das schönste Lächeln der Welt. Und ich glaube, schon bei unserer ersten Begegnung in der Küche ist es passiert.“

„Gut dass du das von der Küche hinterher gesagt hast, jetzt hätte ich beinahe angenommen, du meinst irgend einen anderen, denn dass ich ein umwerfendes Lächeln habe, nein, das ist mir neu. Aber ehrlich Flori, du machst mich zum glücklichsten Menschen zumindest hier auf der Insel, wenn nicht auf der ganzen Welt!“

„Nicht übertreiben Feri, aber im Ernst, ist es nicht sonderbar, dass wir uns nach so kurzer Zeit, immerhin haben wir bis vor zwei Tagen nichts voreinander gewusst, dass wir uns derart mögen, ja sogar verliebt sind? Eigentlich kennen wir uns doch kaum. Obwohl es mir vorkommt, als würde ich dich schon sehr lange kennen.“

„Du hast recht Flori, aber ich glaube, uns verbindet einfach viel, nicht nur der gleiche Beruf, oder die Tätigkeit im Hotel, oder München, wir sind, wie sagt man, ach ja, vom gleichen Holz geschnitzt, haben ähnliche Charaktere, so dass von Anfang unseres Zusammentreffens eine Vertrautheit entstanden ist, die ich vorher nie kannte.

Aber was anderes, bei aller Freundschaft und allem Verliebtsein – wie kann es mit uns weiter gehen? Du in Deutschland, ich hier auf Gran Canaria, so viele Kilometer zwischen uns?“

„Schau Feri, wie haben ja noch einige Tage hier, du hast ja, wie du gesagt hast, bis nach Neujahr Urlaub. Ja und später – es gibt Telefone, wir können E-Mails schreiben, und naja, vielleicht schaffen wir es ja, dass wir zu Ostern spätestens wieder zusammen sind, ob bei mir oder bei dir ist ja egal, Hauptsache zusammen!“

„Hast ja recht, Flori, und wer weiß, vielleicht komme ich eines Tages wieder nach Deutschland, könnte ja sein, dass sich was ergibt, arbeitsmäßig meine ich.“

„Richtig, so gute Köche wie du werden immer gebraucht. Ich kann mich ja schon mal umhören, wenn ich wieder daheim bin. Und du würdest tatsächlich wieder bei uns arbeiten wollen?“

„Ja, mir hat es in München immer gut gefallen. Und wenn das mit dem Hotel meiner Eltern nicht gewesen wäre, wer weiß, ich wäre vielleicht heute noch in München.“

„Ja ja, aber dann hätte ich die Stelle im „City“ nie bekommen und wir wären uns auf Gran Canaria nie begegnet. So hat alles seinen Sinn Feri!“

„Ja, hat alles seinen Sinn, auch dass du jetzt deine Hose ausziehst!“

„Was soll das für einen Sinn haben?“ frage ich zurück.

„Na weil der Gummi der Hose so eng ist und ich deswegen so schlecht mit meiner Hand hinein komme!“ erwidert er frech.

„Feri, Feri, du denkst auch immer nur an das eine, du Ferkel!“

„Ha, du etwa nicht? Selber Ferkel, brauch ja nur deine ausgebeulte Hose ansehen!“

„Die hast du mir geliehen, ist schließlich deine Hose, also hast du sie schon dermaßen ausgebeult!“

„Ja mei, wenn halt soviel da ist!“ meint er gespielt eingebildet und greift nach seinem stolzen Besitz.

„Aber jetzt mach endlich, runter mit dem Ding, ich will sehen, wie so ein gestandener Bayer wie du ohne Lederhosen aussieht!“

„Erstens ist das keine Lederhose, müsstest du eigentlich wissen, und zweitens – nur über meine Leiche!“ spiele ich den Gehemmten.

„Nur über deinen Schwanz, wolltest du wohl sagen, ist schon klar, sonst kriegen wir sie ja gar nicht runter!“

Das Ende vom Lied? Wir liegen beide völlig nackig auf dem Bett und bewundern uns gegenseitig.

„Also ehrlich Feri, ich habe ja schon einige nackte Männer und Jungs gesehen, aber an dich kommt keiner hin, du hast wirklich einen Klasse Körper, einsame Spitze!“

„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben. Und ja, eine Spitze habe ich auch, noch ist sie einsam, aber das wirst du doch wohl ändern, oder?“

Und ob ich das ändere und er zahlt es mit gleicher Münze zurück.

Nach einem ausgiebigen Frühstück am frühen Nachmittag, fährt mich Feri ins Hotel, muss mich dort ja auch wieder mal sehen lassen. Feris Eltern und Brüder sind im übrigen heute den ganzen Tag bei der Verwandtschaft, irgendwo im Landesinneren von Gran Canaria.

Feri begleitet mich aufs Zimmer und wir treffen tatsächlich Dietmar an, er sitzt auf dem Balkon. Es geht ihm zwar nichts an, aber ich bin ja höflich und stelle ihm Fernando vor. Ich will Dietmar gerade fragen, wo er seinen Berliner hat, da spaziert doch tatsächlich dieser splitternackt aus dem Bad und mit einem „Hallo Leute“ begrüßt er uns.

„Na wat haste heute für nen Schnuckel dabei?“ fragt mich dieser David mit Blick auf meinen Freund.

„Dieser Schnuckel, du Berliner Schnauze, ist mein Freund und für dich absolut kein Schnuckel. Deiner ist nämlich der da draußen am Balkon, falls du es vergessen haben solltest!“

Nein, er hat es nicht vergessen, geht zu ihm, so nackig wie er ist, auf den Balkon und setzt sich auf Dietmars Schoss. Ich nehme nur ein paar Sachen von mir mit, brauch ja schließlich frische Wäsche, und dann mach ich mich mit Feri wieder auf den Weg. Wir wollen ja das junge schwäbisch-berlinische Glück nicht stören.

Aber unterm Hinausgehen hören wir noch ein ganz schwärmerisches „Didimäuschen“ vom Balkon herein, begleitet von einem extrem lauten Schmatzen. Lachend schließen wir die Tür und eilen zum Aufzug.

„Aber einen knackigen Hintern hat er ja der kleine Berliner!“ resümiert Feri.

„Hehe, da hast du gar nicht hinzusehen, merk dir das!“ antworte ich lachend.

Bei Feri zuhause stellen wir uns gemeinsam in die Küche und bereiten ein Abendessen vor, die spanische Spezialität schlechthin, die Paella. Es soll ein Essen für die ganze Familie sein, die wir für sechs Uhr zurück erwarten. Eine Riesenpfanne steht am Ofen und Feri gibt alles hinein, was zur echten Paella gehört, soweit es halt in der Küche vorrätig ist.

Ich darf ihm ein wenig helfen, aber wirklich nur ein wenig. Denn zwei Köche zusammen in einer Küche, das geht meist nicht gut. Aber wir kriegen es ohne größere Streitereien hin und schon bald durchzieht ein köstlicher -Duft den Raum.

Die Familie kommt zwar erst um halb Sieben heim, aber alle lassen sich die Paella schmecken und loben den Koch. Feris Schwester ist heute nicht mehr hier, sie hat ja eine eigene Wohnung, aber die Brüder langen ordentlich zu und es schmeckt ihnen offensichtlich.

Nach dem Essen sitzen wir wie gestern Abend beisammen und unterhalten uns über alles mögliche. Es gibt dann ein paar Spiele, die ich aber nicht kenne und deshalb zusehe. Vor allem natürlich beobachte ich Feri, wie er mit Feuereifer bei der Sache ist.

So geht auch dieser Weihnachtstag zu Ende. Nein, halt, noch nicht, das Ende oder sagen wir den krönenden Abschluss des Tages, den gibt es dann oben unterm Dach in Feris Zimmer, wo es keine Familie, nur uns zwei gibt.

Bei uns in Deutschland kommt ja nach dem ersten Weihnachtsfeiertag der zweite. Nicht so in Spanien! Nur wenn der erste Feiertag auf einen Sonntag fällt, dann ist auch am Montag noch frei. So hat es mir Feri erklärt. Aber das ist heuer nicht der Fall und so ist heute, am 26. Dezember schon wieder ein Werktag.

Aber für mich ist das heute erstens mal ein Urlaubstag und zweiten ein Tag mit Feri und das ist mehr als ein Feiertag. Er will mit mir nach Las Palmas fahren und mir dort in der Hauptstadt einiges zeigen.

Was war das heute für ein anstrengender, aber gleichzeitig wundervoller Tag! Jetzt ist es Abend, ich liege auf Feris Bett, er selbst ist im Bad, und ich denke an all das Schöne, das ich heute zusammen mit Feri sehen durfte.

Las Palmas, die größte Stadt aller Kanaren, ist eine bezaubernde Stadt, weltoffen und irgendwie fröhlich. Wir bummelten in der Calle de Triana, der Fußgängerzone, mit einer unerschöpflichen Auswahl aller Arten von Waren. Wir waren an der Plaza de Santa Ana, heute der Veranstaltungsort für verschiedene Feierlichkeiten, mit dem Rathaus, dem Bischofspalast und der Kathedrale Santa Ana, das erste Gotteshaus auf den Kanaren.

Wir waren am Hafen und sahen ein Kreuzfahrtschiff, das gerade angelegt hatte und spazierten auf der Promenade an der Playa de Las Canteras, dem Strand, den sie mit der weltberühmten Copacabana vergleichen. Und das ist wirklich nicht weit hergeholt.

Ja,. es waren schon einige Kilometer, die wir beide heute zurückgelegt haben, zu Fuß meine ich, aber jeder Meter war es wert und mit Feri zusammen doppelt schön.

Und – wie sagten wir immer – der Tag ist noch nicht vorbei, oder man kann auch sagen, er fängt jetzt erst so richtig an, wenn wir uns haben und beisammen sind und nur wir Zwei.

Heute ist nun bereits der 28. Dezember, ja ja, der Urlaub ist zu mehr als der Hälfte bereits um. Aber das verdränge ich im Moment.

Das war vielleicht eine Enttäuschung am Morgen, als Feri nach dem Aufstehen erklärte, dass vom Hotel angerufen wurde, er müsse heute, trotz Urlaub, aushelfen, Personal ist ausgefallen. Naja, kann  man halt nichts machen.

So bin ich unterwegs in mein Hotel. Ich wollte zu Fuß gehen, obwohl mich Feri gerne mit dem Auto mitgenommen hätte. Aber was soll ich dann so früh im Hotel und außerdem habe ich so Zeit,  nochmals an den gestrigen Tag zurück zu denken.

Wieder haben wir nämlich eine wunderbare Fahrt unternommen, diesmal auf die andere Seite der Insel. Wir waren in Puerto Rico und dann in Puerto de Mogan, wo noch nicht so viele Bausünden zu sehen sind, wie anderswo.

Ich bin im Hotel angekommen und schon winkt mir Herr Ramos zu. Hat denn der immer Dienst?

„Schlechte Nachricht, Señor Florian, drei Köche ausgefallen in Küche, alle krank, müssen sie verpflichten, ja sie Florian!“

„Was bitte?“

„Ja, sie sind doch Koch und wenn Notfall hier im Hotel, wir können Urlauber verpflichten, in Küche zu helfen, Notfall eben, haben wir jetzt, steht im Gesetz, tut mir leid, Señor! Aber sonst bricht Betrieb zusammen. Senor Fernando ist ja auch schon hier.

„Das weiß ich, dass er hier ist. Aber er ist ja hier angestellt, aber ich…das ist doch nicht ihr Ernst, oder? Sie wollen mich verarsch….Entschuldigung, aber gibt es wirklich so ein Gesetz, ein spanisches Gesetz, dass sie Urlauber zwangsverpflichten können? Das gibt es doch nicht!“

„Wollen sie Gesetz sehen, Florian?“

„Nein, nein, ich glaub es ihnen ja, ist aber ein saublödes Gesetz!“

„Haben sie in Deutschland keine, wie sagen sie, saublöden Gesetze?“

„Ja, das stimmt auch wieder. Ja und wann….?“

„Jetzt gleich, sofort! Hier hinten in der Kammer habe ich schon Kochkleidung für sie bereit liegen, können sich gleich umziehen und ihre Sachen liegen lassen, kommt niemand hinein. Ach ja, natürlich müssen sie nicht umsonst arbeiten, ist ja klar!“

„Klar, aber wie lange eigentlich?“

„Ich fürchte bis zum Abend, tut mir leid, aber das wird ihnen Chef schon sagen.“

Ich halte zwar immer noch nach einer versteckten Kamera oder so Ausschau, aber da ist wohl nichts. Und Herr Ramos ist zu seriös, als dass er mich zum Narren halten würde. Also raus aus meiner Urlaubskleidung, rein in die Kochklamotten, einschließlich Mütze.

Na wenigstens passt alles. Wo wird die der Ramos her haben? Ach egal, ich werde dann mal den Chef von der Küche suchen, er wird mich schon einweisen. Hoffentlich versteht er mich, naja, Feri wird dann schon dolmetschen.

Ha, Feri wird Augen machen, wenn er mich sieht, er wird ja noch gar nicht wissen, dass sie mich dienstverplichtet haben. So ein Blödsinn aber auch!

Ich gehe durch den Speisesaal, der noch einzelne verspätete Frühstücksgäste beherbergt. Ich marschiere durch die Reihen und komme prompt am Tisch mit Dietmar und seinem David vorbei. Hätte mir ja denken können, dass die beiden erst jetzt auf sind und frühstücken. Aber überhaupt, wieso ist dieser Berliner hier beim Frühstück, der gehört doch gar nicht hier rein? Aber mir soll es egal sein, isst er halt meinen Teil mit.

Scheinbar haben sie mich in den Kochklamotten erst jetzt erkannt, als ich direkt an ihrem Tisch vorbei komme. Denn plötzlich prusten sie gleichzeitig los und kriegen sich gar nicht mehr ein.

„He ihr zwei Schlafmützen, das ist meine Berufskleidung, was gibt es da zu kichern, ihr Knalltüten, aber echt!“

Aber ich lasse sie einfach links liegen und gehe weiter Richtung Küche. Ist ja auch wahr, die sollen froh sein, dass ich Koch bin und hier aushelfe. Die würden vielleicht dumm schauen, wenn sie heute Abend vor leeren Tellern sitzen müssten, dieser schwäbische Zwiebelfresser und der kleine Berliner Nacktarsch!

Ich bin nun in der Küche angelangt, wo noch reger Betrieb herrscht. Ein paar Kollegen stehen in einer Ecke beisammen und sehen jetzt zu mir her. ´He, ihr da, ja, ich bin der Neue, ich soll hier singen, äh aushelfen natürlich!´ So denke ich, sage es aber nicht laut, die würden mich ja doch nicht verstehen. Aber wer ist hier nun der Chef? Also ich frage mal den Ersten:

„He Kollege, wo ist Chef?“

Er zuckt nur mit der Schulter und sagt ein paar Worte auf spanisch. Ja, das verstehe ich ja prima! Dann halt zum nächsten:

„Du wissen, wo Chef ist?“

Erst schaut er etwas ungläubig, aber dann hellt sich seine Miene auf und er deutet in die andere Ecke, wo ich jetzt auch noch einen Kollegen sehe, der mit dem Rücken zu mir steht. Na gut, dann geh ich zu ihm und sehe mir den Chef an. Ich möchte ja nur wissen, wo Feri steckt, dann wäre das alles viel einfacher.

Als ich nun kurz vor der als Chef bezeichneten Person stehe, dreht sich diese um.

„Feri, du, gut dass du da bist, wo ist nun der Chef, ich soll mich doch bei ihm melden, stell dir vor, sie haben mich zur Aushilfe dienstverplichtet, ist doch verrückt, oder?“

Und Feri sieht mich an, ganz ernst, dann aber merke ich, dass er schwer zu kämpfen hat, ein Lachen zu unterdrücken.

„Sie sind hier schon richtig, zur Zeit bin ich hier der Chef. Also Herr….wie war doch gleich ihr Name?“

„Ich gebe dir gleich einen Namen, du Blödmann, aber sag, was muss ich jetzt wirklich tun?“

„Sieh mal auf den heutigen Kalender, Flori, hier, da hängt einer. Und, was siehst du?“

„Was soll ich schon sehen, heute ist der 28. Dezember, na und?“

„Na und? Was ist das für ein Tag?“

„Der 28. Dezember halt, was sonst?“

„Du weißt es scheinbar wirklich nicht. Es ist der ´Dia de los inocentes´, der ´Tag der unschuldigen Kinder´, so heißt er doch bei euch, wenn ich mich recht erinnere.“

„Ja und?“ Ich verstehe immer noch Bahnhof.

„Weißt du, was bei euch der erste April ist? Siehst du, das ist bei uns der 28. Dezember!“

„Dann ist das Ganze…ich glaubs einfach nicht!“

Mit einem Male geht mir das Licht einer ganzen Weihnachtsbeleuchtung auf. Das war alles eine abgemachte Sache!

„Und das hast du dir alles ausgedacht, das ist alles auf deinem Mist gewachsen, und der Ramos, der Hund, hat mitgemacht, und die da, deine Kollegen, wussten auch alle Bescheid, ihr Banditen!“

Und nun klicken Kameras, keine versteckten, die ich vorher vermutete, Fotokameras der Köche hier, die den Aprilscherz im Dezember verewigen wollen.

„Schau Flori, ich wollte dich doch so gerne mal in Kochkleidung sehen, wie hätte ich das sonst anstellen sollen, da kam mir dieser Tag gerade recht. Aber du siehst wirklich fesch aus, muss ich neidlos anerkennen! Aber unter uns gesagt, das Hosentürl könntest du schon zumachen!“

„Was?“ entsetzt schaue ich zu der erwähnten Stelle.

„Aber das ist doch gar nicht….!“

Hat er mich doch schon wieder dran gekriegt! Und wie er lachen kann! Nur gut, dass die anderen Köche nicht mehr in unserer Nähe sind, wäre doch peinlich gewesen.

„Also Flori, dann können wir ja gehen!“

„Wie gehen? Du musst heute gar nicht…?“

„Natürlich nicht, ich hab doch Urlaub. Komm, ziehen wir uns um und verschwinden!“

„Wo hast du denn deine anderen Sachen?“

„Na da, wo du die deinen auch hast!“

„Ja dann sind das vielleicht deine Kochklamotten, die ich anhabe?“

„Freilich, meinst du, ich lass dich in fremde Hosen steigen, wär ja noch schöner!“

Wir gehen nun nicht mehr durch den Speisesaal, wäre mir doch peinlich, nochmals an den beiden kichernden Idioten vorbei zu müssen, sondern benutzen einen Seitenausgang. An der Rezeption steht nach wie vor Herr Ramos und lacht über das ganze Gesicht. Ich drohe ihm mit dem Finger. Er aber zuckt nur mit der Schulter und lacht.

„Ich habe es ja eh nicht glauben wollen, so ein blödes Gesetz kann es doch auf der ganzen Welt nicht geben!“

„Das war ja der Schwachpunkt unseres Unternehmens, ob du überhaupt mitmachst, aber es hat ja geklappt.“

„Naja, schließlich war es eine Gelegenheit, dich wieder zu sehen,“ gestehe ich lächelnd.

„So kann man es auch sehen, ja.“

Wir sind nun in dem Kämmerchen, wo wir uns umziehen. Richtig, da hinten liegen ja auch die Zivilsachen von Feri, hab sie vorhin gar nicht gesehen.

„Aber ich zahl dir das schon noch heim, das darfst du mir glauben, mich so zu foppen!“

„Und wie willst du es mir heimzahlen, hmm Flori?“ lächelt er mich schelmisch an.

„Indem ich dich hier auf der Stelle vernasche!“ sage ich und ziehe ihm die Unterhose runter.

„Und das nennst du heimzahlen? Ist mir doch ein Vergnügen, von dir vernascht zu werden. Aber bitte nicht hier, wenn der Ramos reinkommt…“

„Ach, dem würde das nichts ausmachen, glaube ich, aber es gibt schon noch Gelegenheiten, freu dich nur nicht zu früh, mein Freund! Apropos freuen – fahren wir jetzt zu dir heim, dort wartet ein sehr breites Bett auf seine Bewohner, ist noch nicht mal gemacht…“

„Du bist mir vielleicht ein Nimmersatt, aber das Bett kann warten! Hast du nicht bemerkt, welch schönes Wetter wir heute haben? Es sind 25 Grad draußen und es geht nur ein leichter Wind. Also was gibt es da Näherliegendes, als dass wir uns zum Strand aufmachen, ist doch klar, oder?“

„Na klar, ist das klar!“

Wir parken das Auto in der Nähe des Einkaufszentrums Plaza, gehen zur Promenade vor und fahren mit dem Lift beim „Atlantik“ zum Strand hinunter. Muss man sich vorstellen – mit dem Lift zum Strand! Gibt es wahrscheinlich auch nur hier.

Jedenfalls laufen wir dann barfuß, die Schuhe in der Hand, den langen Sandstrand an der Playa del Ingles entlang. Immer wieder umspülen die ausufernden Wellen des Atlantiks unsere Füße. Ja, das Wasser ist zwar anfangs schon recht kühl, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Ist ja überhaupt ein Ding, jetzt, Ende Dezember, im Meer zu baden.! Nun gut, wir baden zwar nicht direkt, aber immerhin geht uns das Wasser schon fast bis zu den Knien.

Wir gehen an den Dünen vorbei und sehen bereits in der Ferne Maspalomas und natürlich den Leuchtturm Faro, das Phallussymbol, wie es viele nennen. Es gibt da gleich am Anfang des Strandes von Maspalomas einen Abschnitt, der überwiegend von den Schwulen eingenommen wird, und der heute, keine Wunder bei dem Wetter, sehr gut besucht ist.

Da wir den überteuerten Liegen und Schirmen ausweichen, suchen wir uns in der Nähe, etwas oberhalb auf einer Düne, ein Plätzchen, wo wir uns niederlassen. Von hier haben wir einen tollen Überblick auf die zahlreichen Sonnenhungrigen unter uns.

Uns selber kann man aber nur schwer einsehen. Deshalb denke ich mir auch nichts dabei, als Feri vorschlägt, Nudisten zu spielen. Wir ziehen uns aus und genießen das geile Gefühl, dass die Sonnenstrahlen und der leichte Windhauch, Stellen am Körper berühren und zart streicheln, die eben in der Regel nicht so offen der Natur ausgesetzt sind.

„Ehrlich, wenn ich dich hier so nackt sehe, wird mir gleich ganz anders,“ meint Feri, lächelt mir zu und leckt seine Lippen.

„Ist ja nicht zu übersehen, du hast ja schon wieder den Haupttreffer in der Lotterie“!“ spiele ich auf seine vorhandene Steife an.

Erst sieht er mich etwas verwundert an, dann aber lacht er lauthals.

„Ach so, weil ich den Dicken hab, aber, wie ich schon sagte, meiner ist doch gar kein so Dicker, eher ein ganz Langer!“

Und um das Gesagte zu beweisen, greift er nach seinem „Haupttreffer“ und streichelt ihn.

„Hör sofort auf damit, sonst kann ich für nichts garantieren!“ warne ich ihn.

„Auf alle Fälle sind wir nun beide mit Haupttreffern ausgestattet, wie ich sehe, hoffentlich kommt hier keiner vorbei!“ meint Feri.

„Ach, wer wird sich schon die Mühe machen, auf die hohe Düne raufzuklettern.“ entgegne ich.

Und schon greift er zu und ich wehre mich mit Händen und Füßen, wobei ich mich natürlich ganz sanft wehre, nicht dass er vorzeitig aufhört….

Aber alles hat einmal ein Ende und es wird auch wirklich Zeit, uns auf den Heimweg zu machen. Für den Abend haben wir ja noch geplant, uns im Yumbo umzusehen.

Dort sitzen wir nun auch, genauer gesagt, in der „Wunderbar“ und lassen uns je ein großes Glas Sangria schmecken. Plötzlich taucht auch Raphi wieder auf und setzt sich zu uns an den Tisch. Er kriegt aber nur einen Orangensaft von Feri spendiert, auch wenn er etwas mosert. Er trinkt ihn aus und ist auch schon wieder verschwunden.

Nach einer Weile geht Feri auf die Toilette, ich sitze also alleine am Tisch und nuckle am Strohhalm. Ich bin ja nicht unbedingt ein Freund dieses spanischen Nationalgetränkes, aber einmal muss man es doch probiert haben.

Feri bleibt aber lange weg, denke ich mir, braucht er solange, bis er sein Ding findet? Ich muss für mich selber lachen, naja, hab die Sangria wohl doch etwas zu schnell gesöffelt, hatte eben Durst, ist ja auch kein Wunder, ist ja immer noch angenehm warm.

Feri kommt nicht, dafür taucht Raphi wie aus dem Nichts wieder auf und ich sage ihm, dass ich mich wundere, wo Feri so lange bleibt.

„Ach der, ja, der sitzt dort vorne in der anderen Bar und schmust mit einem Typen rum!“ erklärt mir bierernst der kleine Bruder. So ganz beiläufig sagt er das, wie wenn das das Normalste der Welt wäre.

„Was?“ kreische ich leicht hysterisch, „dem kratze ich die Augen aus, wen ich den erwische!“

„Wem, mir oder dem Typen?“ fragt mich von hinten jemand.

Ich drehe mich um – Feri ist es, er steht direkt hinter mir.

„Wie lange stehst du denn schon da?“ frage ich.

„Ach lang genug, um mitzukriegen, dass du schon wieder reingefallen bist. Flori, wir haben immer noch den 28. Dezember! Und außerdem bist du scheinbar schon so voll, dass du meine Ankunft gar nicht bemerkt hast!“

„Ihr Schlawiner, ja ja, wenn es gegen mich geht, da haltet ihr zusammen. Hoffentlich ist dieser komische Tag bald zu Ende!“

„Noch lange nicht, Flori, aber jetzt fahren wir heim. Schau mal, du kannst ja gar nicht mehr gerade stehen!“

„Unsinn, ich stehe gerade wie eine…Hoppla, gibt es bei euch öfter Erdbeben, da wackelt ja alles. Ja, besser wir gehen, hier ist es mir nicht geheuer. San Fernando ist kein Erdbebengebiet, oder? Gut, dann sind wir dort sicher!“

Raphi kriegt sich gar nicht mehr ein vor lauter Gekichere. Hat der auch zuviel getrunken? Ach egal, Hauptsache wir kommen bald heim und ich kann mich hinlegen.

„Sag mal Feri“, frag ich ihn, als wir dann nebeneinander auf seinem breiten Bett liegen, „sag mal, jetzt ist der Spaß vom 28. Dezember aber vorbei, oder? Schau auf die Uhr, es ist bald Mitternacht.“

„Unsinn Flori, jetzt fängt doch der Spaß erst richtig an, rück mal etwas näher…!“

Wie lange ziehen sich oft die Tage, wenn man in der Küche steht und der Stress des Arbeitstages voll zuschlägt. Und wie rasch vergehen die Urlaubstage. Man möchte sie direkt aufhalten, geht aber leider nicht. Und so haben wir heute bereits den 31. Dezember, Silvester.

Auch in den beiden letzten Tagen haben wir Fahrten unternommen, Feri spielte einen sehr einfühlsamen und kundigen Fremdenführer.

So sind wir nochmals über Las Palmas in den Norden der Insel gefahren, dauerte etwas, weil, wie üblich, ein langer Stau vor der Hauptstadt sich gebildet hatte. Aber irgendwann waren wir dann doch in Agaete, mit dem gleichnamigen, blütenreichen Tal, und wir sind weitergefahren bis Puerto de Las Nieves, wo die Fähren zu den Nachbarinseln übersetzen und einst der „Finger Gottes“ zu sehen war, ein Felsblock, aus dem Meer ragend, jetzt leider vom Sturm abgebrochen. Weiter ging die Fahrt über San Nicolas und Mogan zurück nach Maspalomas. So haben wir also die ganze Insel umrundet und eben auch das „grüne Gran Canaria“ kennengelernt. Sicher war die Fahrt anstrengend, aber auch wunderschön.

Ja und gestern waren wir im Gebirge. Sind über Fataga und Santa Lucia bis zum höchsten Gipfel der Insel, dem Pico de Las Nieves. Ebenfalls eine schöne und interessante Fahrt.

Aber heute ist Silvester und das wird hier vor allem laut gefeiert, das ist nicht zu überhören. Überall knallt es ohrenbetäubend, und das schon seit dem frühen Abend.

Die ganze Familie von Feri saß wieder beisammen, es gab gutes und reichliches Essen und wieder zog es sich eine ganze Weile hin. Aber jetzt, es ist kurz vor Zwölf, jetzt ist Zeit, hinauszugehen, denn den Jahreswechsel, den feiert man im Freien.

Und so haben sich auf dem Platz vor der Kirche jede Menge Leute versammelt, um gemeinsam auf das neue Jahr anzustoßen. Jeder hat etwas Trinkbares in der Hand.

Feri hat mir schon im Haus ein Sektglas in die Hand gedrückt. In dem Glas befinden sich Weintrauben, zwölf Stück, so hat er mir erklärt. Und das ist auch so eine typische spanische Silvestertradition. Es ist Brauch, zu jedem Glockenschlag um Zwölf, eine Weintraube zu essen. Schafft man es mit den zwölf Schlägen, die zwölf Trauben zu schlucken, bedeutet das Glück und Gesundheit für das bevorstehende Jahr. Die „uvas de suerte“ heißen diese Glückstrauben, erklärt mir ein kluger Feri.

Ich glaub ja nicht, dass ich alle zwölf Trauben schaffe, ich bin nun mal kein so schneller Schlucker. Feri kann das besser. Wenn ich da an gestern Abend denke…Nein, das waren keine Weintrauben, aber immerhin musste er unvermutet und schnell schlucken und nichts ging verloren….

Es ist Mitternacht, der erste Glockenschlag ertönt und die erste Traube ist fällig. Dann schon der zweite Schlag, aber ich hab doch die erste Traube noch gar nicht…Nein, unmöglich mit den Schlägen mitzuhalten! Ich gebs auf!

Ich sehe zu Feri, sehe, wie sich sein Adamsapfel in Rekordzeit hebt und senkt, wie er rasend schnell schluckt. Der kaut die Trauben ja gar nicht, der schluckt sie anscheinend ganze hinunter. Aber anders ist es wohl auch gar nicht zu schaffen.

Und tatsächlich – Feri schluckt mit dem letzten Glockenschlag die zwölfte Traube, er hat es geschafft! Ich dagegen bin erst bei der Fünften. Enttäuscht sehe ich zu Feri.

„Macht doch nichts Flori, ist ja eigentlich ein blöder Aberglaube. Und überhaupt – meine geschluckten Trauben gelten doch für uns beide, es gibt doch nur mehr ein gemeinsames Glück, oder?“

„Hast du wunderschön gesagt, Feri, danke! Ach ja, ´feliz ano nuevo´, ja, da staunst du, hab ich extra gelernt, ich wünsche dir ein gutes neues Jahr, bleib gesund und bleibe so ein lieber, netter Kerl, bleib mein Feri, den ich von Herzen gern habe!“

„Danke Flori, danke auch, dass du mich magst, und das nach so kurzer Zeit! Ja, ich wünsche dir auch alles Liebe und dass wir uns in diesem neuen Jahr, oft sehen, nicht nur in einem Urlaub. Und dass wir vielleicht eines Tages für immer beisammen sind. Ich hab dich doch auch so gern und will dich nicht mehr hergeben!“

Ein inniger Kuss besiegelt unsere Wünsche Und dabei ist es uns egal, ob Hunderte von Menschen um uns sind. Aber heute und in diesem Augenblick fallen wir gar nicht aus dem Rahmen, denn überall umarmen und küssen sich die Canarios, egal ob Männlein oder Weiblein.

Nun aber bewundern wir die imposanten Feuerwerke, die von allen Seiten zu sehen sind. Engumschlungen sehen wir dem Farb- und Lichtspektakel zu.

Nun stoßen auch Feris Eltern und Brüder zu uns und wir tauschen die Neujahrswünsche aus. Feris Mutter flüstert mir bei der Umarmung zu:

„Werdet glücklich ihr Zwei, denn ihr gehört zusammen, das habe ich vom ersten Augenblick an gespürt!“

Was soll man dazu sagen? Mir treibt es das Wasser in die Augen, ich bin zu tiefst gerührt. Feris Familie ist wirklich einmalig! Sie haben mich vom ersten Moment an in ihr Herz geschlossen und mir das Gefühl gegeben, zur Familie zu gehören.

Und zur Familie gehört auch Raphael, der freche, aber allerliebste Bengel. Gibt er mir doch tatsächlich einen Kuss direkt auf den Mund, einen richtig festen Schmatzer, und umarmt mich, dass mir beinahe die Luft wegbleibt. Der Kerl verwirrt mich doch ein ums andere mal. Aber er macht es bei Feri genauso, brauche ich mir also keine Gedanken machen.

Wir bleiben noch eine ganze Weile vor der Kirche stehen. Erst jetzt werden die mitgebrachten Sektgläser mit dem gefüllt, was wirklich hinein gehört, nämlich mit Sekt, den Feris Vater mitgebracht hat. Immer wieder stoßen Bekannte und Verwandte der Familie zu uns und werden Neujahrswünsche ausgetauscht.

Zu Hause gibt es dann noch einen kleinen Mitternachtssnack und viel zu trinken. Ich bin wirklich todmüde, als wir gegen vier Uhr ins Bett kommen.

„Was, müde bist du? Du bist vielleicht ein müder Käfer!“ ereifert sich Feri. „Aber keine Angst, ich weiß da schon ein Mittel, dass dir die Schläfrigkeit austreibt. Lass mich nur machen! Vor allem zeige ich dir, wie man rasch schlucken kann, ich weiß da eine gute Übung! Vielleicht kannst du ja dann nächstes Silvester alle Zwölf schlucken. Also pass auf, dass du was lernst!!“

Ja, ich habe viel gelernt in diesen vierzehn Tagen meines Urlaubs, vor allem aber habe ich Feri kennen- und lieben gelernt, hab wunderschöne Tage mit ihm verbracht. Julian zählt überhaupt nicht mehr! Hat der überhaupt mal gezählt?

Aber alles hat ein Ende und das Urlaubsende ist nun da. Wir haben den dritten Januar, endgültig letzter Tag auf Gran Canaria! Feri hat es sich nicht nehmen lassen und fährt mich zum Flughafen. Er hat erst am Nachmittag Dienst im Hotel. Wir haben uns schon zu Hause intensiv verabschiedet, wollen doch hier am Flughafen kein Aufsehen erregen. Feri will keine Tränen und Traurigkeit sehen, hat er gesagt. Wir sehen uns bestimmt wieder, daran sollen wir uns halten und darauf auch freuen! Ist leichter gesagt als getan, aber wir versuchen es halt.

Dietmar ist jetzt zu uns gestoßen und sein David, der kleine Berliner, steht daneben. Beide haben verweinte Augen. Naja, denen geht es ja auch nicht besser, der eine in Schwaben, der andere in Berlin. Sind zwar keine dreitausend Kilometer wie bei Feri und mir, aber halt auch zu viele Kilometer. Es hilft alles nichts, wir müssen uns trennen, so hart es auch ist. Ein letztes Umarmen, ein letzter Kuss und Schluss!

Nun sitzen Dietmar und ich im Flugzeug und sind beide zu Tode betrübt. Aber es hilft ja nichts, man kann ja nicht dauernd Urlaub haben. Ich glaube auch zu erkennen, dass sich Dietmar etwas verändert hat, sicher durch den Umgang mit seinem neuen Freund. Er entschuldigt sich sogar, dass er mich so oft alleine gelassen hat und so kratzbürstig war.

„Ach Dietmar, Schwamm drüber! Es hat schon so sein müssen, hätten wir sonst unsere Freunde getroffen? Also, was soll´s! Aber wie wird es mit euch weitergehen, seht ihr euch wieder?“

„Er bleibt noch zwei Tage auf der Insel, dann muss er auch heim. Jedenfalls will er versuchen, zu mir zu kommen, vorausgesetzt, er findet bei uns Arbeit. In Berlin hat er nämlich zur Zeit keine. Der Urlaub war ein Geburtstagsgeschenk seiner Eltern. Naja, mal sehen, wie es weitergeht.“

München hat mich wieder! In zwei Tagen muss ich auch wieder zur Arbeit. Gestern Abend, kaum hatte ich ausgepackt, stand Julian vor der Tür. Naja, er war mit seinem Aufenthalt im Schnee nicht so ganz zufrieden. Seine Susi ist sehr fordernd. Und das mag er halt gar nicht. Ist halt doch ein Unterschied, ob man einen Menschen gelegentlich für ein paar Stunden besucht, oder mehrere Tage in einem Stück beisammen ist.

Ja und dann war in der Hütte nicht nur der ältere Bruder mit Frau dabei, sondern auch ein jüngerer Bruder von Susi, der ohne Begleitung. Und dieser, Sven heißt er, ist schwul. Julian wusste das vorher nicht, hab es aber auf der Hütte schnell herausgekriegt. Und der hat doch tatsächlich mit diesem Sven was angefangen. Susi ist dahinter gekommen und sofort heimgefahren. Es war aber eh schon der vorletzte Tag.

Naja, das mit Susi hat sich wieder eingerenkt, aber auch mit Sven ist er nach wie vor beisammen. Alle wissen von der Dreierbeziehung, aber keiner hat was dagegen, solange keiner bevorzugt wird. Jetzt hat Julian also alles, was er braucht, Mann und Frau, und das in einer Familie. Kann das auf Dauer gut gehen? Ich bezweifle es! Aber mir kann es ja eh egal sein.

Ich suche jetzt täglich die Stellenanzeigen in den Zeitungen durch, ob für Feri etwas dabei ist. Aber bisher war Fehlanzeige. Natürlich möchte ich, dass er so schnell wie möglich, hier eine Arbeit kriegt, aber es dauert halt.

Wir telefonieren oft und schreiben täglich E-Mails. Aber ich würde ihn halt so gerne wieder sehen und ihm nahe sein dürfen.

Gestern hat er mir von Raphael geschrieben. Dieser hat sich mit Feri übers Schwulsein unterhalten. Raphi weiß nicht, ob er schwul ist, weil er doch auch Mädchen mag, aber eben auch Männer interessant findet. Eines weiß er aber schon, dass er nämlich Männer von hinten lieber mag als Frauen, weil „nichts so knackig ist, wie ein Männerpo“, so soll er gesagt haben. Naja, lassen wir ihm Zeit, er wird schon seinen Weg gehen. Ich wünsche ihm wirklich, dass er den richtigen Weg findet, weil er einfach ein lieber Kerl ist.

Ich weiß, dass Feri am 22. Januar Geburtstag hat. Ich überlege schon die ganze Zeit, was ich machen kann, ob ich nicht doch….ein Kurztrip auf die Insel? Aber mein Budget ist halt recht knapp. Ja, wenn es einen kostengünstigen Flug gäbe, eine Art Schnäppchen! Ich werde mich mal im Reisebüro umhören, ich kenne da einen Angestellten, vielleicht hat er was.

Ja, er hatte was! Er hat mich am Zwanzigsten abends noch angerufen. Ich hab gleich noch im Hotel Urlaub beantragt und auch sofort bekommen. Sind ja nur zwei Tage! Und so sitze ich nun heute am 22. Januar im Flieger und wir werden bald auf Gran Canaria landen.

Ich weiß, ich bin verrückt, wegen einer Nacht, länger kann ich ja nicht bleiben, auf die Insel zu fliegen! Aber ja, ich bin verrückt, verrückt nach meinem Feri! Der wird vielleicht Augen machen, er weiß natürlich nicht, dass ich komme. Aber ich habe erfahren, dass er heute und morgen Urlaub hat, also müsste er eigentlich zu Hause sein.

Was bin ich aufgeregt, endlich darf ich ihn wieder sehen! Auch wenn es nicht mal drei Wochen sind, seit wir uns trennen mussten, es waren eindeutig zu viele Wochen! Ich habe regelrecht Entzugserscheinungen, jawohl Feri-Entzugserscheinungen! Mir geht er einfach entsetzlich ab! Aber ihm scheint es ja nicht anders zu ergehen, wie ich seinen E-Mails entnehmen konnte.

Wir sind gut gelandet und ich bin mit einem großen Strauß roter Rosen, den ich am Flughafen erstanden habe, per Taxi unterwegs nach San Fernando, zu meinem Fernando. Aber ich habe noch zwei Sachen für ihn in meinem kleinen Handgepäck. Bin sehr gespannt, was er dazu sagt.

Wir sind vor dem Haus angekommen, ich zahle und mache mich auf zur Eingangstür. Hoffentlich habe ich Glück und seine Mutter oder eines der Geschwister macht auf, sonst ist ja gleich die ganze Überraschung weg.

Ja, ich habe Glück, Rosalie, Feris Mutter öffnet und schlägt spontan die Hände über den Kopf zusammen, als sie mich erkennt. Bevor sie jetzt womöglich in voller Lautstärke, wie sie es gerne tut, meinen Namen ruft, flüstere ich ihr zu:

„Pst, wo ist er?“

Ich nehme an, sie weiß, wen ich meine.

„O Florian, welche Freude, ja ja, ich bin leise, das ist vielleicht ein Überraschung. Und Feri wird sich freuen. Ja, er ist oben in seinem Zimmer und tieftraurig, weil er von dir bis jetzt nichts gehört hat. Es ist ja doch bereits zwei Uhr am Nachmittag und immer noch kein Anruf und keine Post von seinem Liebsten. Er ist wirklich ganz unglücklich. Jetzt geh nur schnell nach oben!“

Und das mache ich. Ich klopfe an die Tür, höre ein leises „Si“, öffne die Tür und halte meinen Rosenstrauß in das Zimmer, mich selber versuche ich zu verstecken.

„Flori!“ hör ich von drinnen rufen, „Flori, du spinnst, wo kommst du denn jetzt her?“

Er kann doch nur die Blumen gesehen haben, woher weiß er, wer den Strauß hält? Aber er ist jetzt an der Tür, macht sie ganz auf und steht mir gegenüber.

„Ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag, Feri!“ und überreiche ihm die Rosen.

„Aber sag mal,. Feri, du hast doch nur die Rosen gesehen, wie hast du denn gewusst, dass ich dahinter stehe?“

„Na du Riesenkanoppl, wer würde mir wohl rote Rosen schenken, hmm? Das kann doch nur mein Liebling sein!“

„Aha, jetzt bin ich der Liebling, zuvor war ich ein Kanoppl.. Kanoppl? Was ist das überhaupt, hab ich noch nie gehört!“

„Ach das ist so ein kanarisches Wort für…oder ist es ein bayrisches…? .Ach egal, jetzt komm doch endlich rein und lass dich ansehen! Also diese Überraschung ist dir gelungen, hab nie im Traum daran gedacht. Ich war schon sehr enttäuscht, weil bis jetzt kein Anruf kam. Aber dass stattdessen du selber auftauchst – das ist das schönste Geschenk, das du mir machen konntest, Flori. Und danke für die wunderschönen Rosen! Aber sag, wie lange kannst du bleiben, wieder zwei Wochen?“

„Natürlich nicht, muss morgen zu Mittag schon wieder am Flughafen sein. Aber mir war es das wert!“

„Flori du bist verrückt!“

„Ja, das sagtest du bereits, ich bin verrückt, verrückt nach dir, Feri. Ich hätte es nicht mehr länger ausgehalten, ohne dich!“

„Warum soll es dir anders gehen, als mir? Aber leg endlich deine Tasche weg, dass ich dich anständig begrüßen kann!“

Und nun folgt also die anständige Begrüßung mit einer innigen Umarmung und vielen vielen Küssen.

„Aber warte, Feri, ich hab da noch was für dich. Wo ist meine Tasche? Ach hier!“

Ich krame in der Tasche rum und halte ihm ein Schriftstück unter die Nase.

„Was ist das?“

„Das, lieber Feri, ist ein Vorvertrag, Arbeitsvertrag genau genommen, den du durchlesen und unterschreiben sollst. Ich hab jeden Tag nachgesehen und mich umgehört, wo Köche gesucht werden. Es wurden zwar jeden Tag in den Zeitungen Kochstellen ausgeschrieben, aber das wäre alles nichts für dich gewesen.

Aber vor drei Tagen, da erfuhr ich von meinem Chef, also dem Luigi, dass eine spanische Restaurantkette Speiselokale in verschieden Städten in Deutschland, eben auch in München, eröffnen will, mit spanischer Küche, zumindest hauptsächlich. Für die Niederlassung in München suchen sie händeringend einen Koch, der die spanische Küche perfekt beherrscht und außerdem sowohl spanisch als auch deutsch und a bissal bayrisch kann. Wer würde da besser passen, als du, Feri? Ich war in dem Büro, die die Leute einstellen und habe dich in den höchsten Tönen gelobt, auch Luigi hatte dort schon angerufen und von dir erzählt. Er kann sich noch gut an deine Zeit bei ihm erinnern und er war mehr als zufrieden mit dir.

Was soll ich sagen, sie würden dich gerne nehmen. Natürlich musst du mir noch Zeugnisse mitgeben, aber das ist nur Formsache. Die wichtigste Frage aber ist, willst du nach Deutschland und wann kannst du weg?“

„Ob ich nach Deutschland will, fragst du. Natürlich will ich, am liebsten gleich morgen mit dir! Ach das mit meinem Arbeitsvertrag hier dürfte kein Problem sein. Ich hab was gehört, dass bei uns demnächst Köche entlassen werden müssen, die Touristen bleiben aus und wo wird sofort gespart, wie überall beim Personal halt. Also da mach ich mir keine Gedanken. Freilich, dass ich von meiner Familie weg muss, das wird am Anfang sicher nicht einfach, aber wenn ich dann bei dir sein darf, komme ich sicher bald damit zurecht. Aber sag, wann soll es los gehen, wann könnte ich anfangen?“

„Also das Lokal will zum ersten März aufmachen, aber du müsstest unbedingt schon ab Mitte Februar an Ort und Stelle sein, denn du wärst ja dann der Chef dort.“

„Wahnsinn Flori, und ich kann dann bei dir wohnen, geht das?“

„Nein, das geht nicht, du Kranoppl oder wie das heißt, du kannst nicht bei mir wohnen, weil es dann nämlich nicht meine sondern unsere Wohnung ist, kapiert? Und irgendwann suchen wir uns dann zusammen eine größere Wohnung, das ist klar. Vorerst aber passt es schon, denn wie heißt es so schön: Raum ist in der kleinsten Hütte, für ein sich liebend Paar!“

„Komm her, jetzt muss ich dich umarmen. Also mit Vielem habe ich an meinem Geburtstag gerechnet, aber das übertrifft alles. Ich kann es immer noch gar nicht glauben, ich komme nach Deutschland und wir zwei werden zusammen sein. Ich bin einfach sprachlos!“

„Ja Feri, jetzt hab ich aber noch etwas, das eigentliche Geschenk zum Geburtstag.“

„Aber Flori, du hast mir doch eh schon so viel geschenkt, das ist….“

„Ich denke du bist sprachlos? Hier, das ist mein Geschenk, öffne die Schatulle!“

Und Feri öffnet mit zittrigen Händen das Kästchen und hält zwei goldene Ringe in der Hand.

„Für mich?“

„Für uns, Feri, was willst du mit zwei Ringen. Aber ich muss dich fragen, ob du den Ring tragen willst, wir gehören dann praktisch…..naja zusammen.“

„Da fragst du noch? Natürlich will ich ihn tragen, siehst du, er passt sogar, naja, ein bisschen eng am Gelenk, aber jetzt, ja, er passt wunderbar! Danke Flori, du überrascht mich heute ein ums andere mal!“

„Dazu ist ja ein Geburtstag da! Und siehst du, ich trage den anderen Ring. Nun wissen wir beide, wo wir hingehören. Ja Feri, ich hoffe und wünsche, dass wir die Ringe viele Jahre tragen, weil ich dich nämlich von Herzen liebe!“

„Ich liebe dich auch Flori, ja, ich liebe dich, wie nie zuvor einen Menschen!“

„Na dann zeig mir mal, wie sehr du mich liebst, ich bin schließlich nur einen Tag auf deiner Insel!“

„Ja, aber bald für immer zusammen in Bayern!“

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