Mann mit Hund sucht Freund -Teil 1

Ich stand am Fenster und sah hinaus. Er lehnte sich von hinten an mich und seine Hände wanderten über meinen nackten Oberkörper. Sein heißer Atem und seine Küsse auf meinem Nacken verursachten eine Gänsehaut.

„Patrick? Kommst du zum Essen?“

Ich öffnete meine Augen und vorbei war der schöne Traum. Ich stand alleine am Fenster und hatte mich selbst umarmt.

„Ja Paps, ich komme gleich“, antwortete ich.

Ich atmete tief durch und griff nach meinem Pulli, der über dem Stuhl hing. Nach dem ich ihn mir übergezogen hatte, lief ich hinunter in die Küche, wo Paps mit dem Abendbrot auf mich wartete.

„Na, Hausaufgaben fertig?“

„Ja, schon eine ganze Weile.“

„Sorry, dass ich so spät bin, aber es kam noch ein Wagen rein. Der Fahrer wollte neue Reifen.“

„Nicht schlimm, ich hoffe nur der Alte berechnet dir auch die Überstunden.“

„Rede nicht so über Herr Heinrich. Ich bin froh dass er mich in meinem Alter noch eingestellt hat.“

Ich setzte mich an den Tisch und griff nach einer Brotscheibe.

„Du und alt. Mit fünfundvierzig bist du noch nicht alt. Du siehst gut aus, bist fit, was willst du mehr?“

„Soll ich das jetzt als Kompliment von meinem schwulen Sohn auffassen, oder an deinem Geschmack zweifeln.“

„Bisher hatte ich immer einen guten Geschmack“, meinte ich und schreckte ihm die Zunge raus.

„Was man von mir nicht sagen kann… auch einen Tee?“

Ich nickte.

„Paps, es war halt noch nicht dein Mister Big dabei“, meinte ich und strich das Brot mit Butter ein.“

„Mister Big? Hat man das nicht mal anders dazu gesagt?“

„Traumprinz? Mister Right? Nein, du musst mit der Zeit gehen. Schau ein paar Folgen von Sex in the City, dann bist du auf dem neusten Stand.“

„Pah…, Weiberkram, so etwas schaue ich mir nicht an.“

„Tja, dann wüsstest du, dass es jetzt Mister Big heißt und nicht mehr Traumprinz.“

„Na ja, bei mir eher der König…, vom Alter her.“

Dass er immer so mit seinem Alter hadern musste. Klar war es ein Schock, als meine Mutter einfach davon lief. Auch als er feststellte, nach dem ich mich bei ihm geoutet hatte, dass er  selbst eigentlich auch auf Männer stand.

„Jetzt übertreibe nicht“, sagte ich und legte Salami auf mein Brot.

„Du hast es viel leichter…“, redete er weiter und schenkte mir Tee ein.

Immer diese Grundsatzdiskussionen.

„Wieso habe ich es leichter? Habe ich einen schnuckeligen Freund, der mich liebt? Ich sehe keinen.“

„Es gibt doch genug Väter mit schönen Söhnen.“

„Es gibt auch genug Söhne mit schönen Vätern.“

Na ja, dass passte jetzt nicht so, aber er hörte mit seiner Grübelei auf.

„Was steht am Wochenende an?“, fragte er.

„Weiß noch nicht. Chris gibt wieder mal eine Party, aber darauf habe ich eigentlich keinen Bock.“

„Chris ist doch ganz nett.“

„Chris ist nicht schwul“, meinte ich vorwurfsvoll, „und eh nicht mein Typ!“

Er grinste und biss in sein Brot.

*-*-*

Wir hatten alles verräumt und saßen nun im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Wer dachte, dass man mit seinem Vater mit siebzehn nicht mehr kuscheln konnte, der kannte mich schlecht.

Schön angelehnt mit dem Arm um den Bauch saß ich bei Paps und ließ mich von der Tierdokumentation berieseln, die er eingeschalten hatte.

„Soll ich dich zum Einkaufen morgen Mittag abholen?“

„Nein, ich laufe lieber, dann komme ich wenigstens an die frische Luft. Wann hast du Feierabend?“

„Gegen zwei, wie immer.“

„Ok.“

„Was mir gerade einfällt, hast du dich entschieden, wo du die zwei Wochen Praktikum von der Schule machst?“

Unser Klassenlehrer fand die Idee gut, uns für zwei Wochen ins Berufsleben zu schicken. Gut es war während der Schulzeit, aber richtig Lust hatte ich nicht darauf. Besonders die Angebote, die er uns unterbreitete. Ich zuckte mit der Schulter.

„Die Angebote eures Lehrers liegen dir wohl nicht.“

„Stimmt“, meinte ich und war fasziniert, wie der Löwe in der Doku, zärtlich mit seinem Jungen umging.

„Könnt ihr euch auch eigene Stellen suchen, denn Herr Heinrich…“

„Paps, ich will nicht in die Autowerkstatt.“

„Jetzt lass mich doch mal ausreden“, beschwerte sich Paps und piekte mir mit dem Finger in die Seite.

„Aaah, ja ist ja gut, entschuldige.“

Paps grinste breit über das ganze Gesicht.

„Beruhigend, wie schnell man dich in der Hand hat… also Herr Heinrich hat eine Schwester, die eine Gärtnerei besitzt.“

„Gärtnerei?“

„Mit Blumen, Pflanzen und so…, würde dich das nicht interessieren?“

„…hm… schon.“

„Ich war mit Herr Heinrich am reden und so, da hatte ich ihm das erzählt, dass eure Schule Praktika veranstaltet und da erzählte er mir von der Gärtnerei…, soll ich nachfragen, ob du ein Praktikum dort machen kannst?“

„Muss ich erst mal den Müller fragen, ob das geht“, antwortete ich.

„Wenn er etwas sagt, dann kann ich ja auch noch einmal anrufen.“

Ich hob meine Kopf nach hinten und schaute Paps an.

„Danke…“

„Nichts zu danken…“

*-*-*

Am Samstag wachte ich von alleine auf. Paps war schon weg, besser gesagt er hatte bald wieder Feierabend und so hatte ich unser kleines Häuschen für mich alleine. Ich legte Laith al Deen ein und drehte die Anlage auf. Während meine Shorts durch mein Zimmer flog, war ich schon ins Bad unterwegs.

Natürlich sang ich jeden Titel lautstark mit, den ich unter dem Wasser aufschnappte. Wenn mich jetzt einer sehen konnte, würde er lachend auf dem Boden liegen. Nicht dass ich unansehnlich war, oder eine schlechte Stimme hatte.

Aber meine unbeholfenen Tanzbewegungen unter der Brause, waren eine Geschichte für sich. Tanzen hatte ich bisher nicht gelernt, so versuchte ich mich halt im Takt zu bewegen. Drei Lieder später stand ich schon mitten im Bad und trocknete mich ab.

Zurück im Zimmer, drehte ich nun die Musik etwas leiser und zog mich an. Ein kurzer Blick in den Spiegel sagte mir, dass alles richtig saß. Na ja, wie Lukas sah ich ja nicht aus, aber seit ich laufen ging, hatte sich mein Körperbau wesentlich verbessert.

Ich strich meine braunen Haare aus dem Gesicht und bemerkte ein Blinken an meinem Handy, da hatte wohl jemand eine SMS geschickt. Ich rief das Menu auf und lass die Mitteilung.

Chris. Er bettelte förmlich, dass ich auf die Party kam, aber nach dem Debakel auf der letzten Party, hatte ich keine Lust mich dort zu zeigen. Es war ein schöner Abend, bis Lukas auftauchte.

Er war eine Augenweite und nicht nur ich, sondern auch die Mädels fanden das. Mit seinen kurzen blonden Haaren und den stechend braunen Augen war er der absolute Schwarm. Auch sonst stimmte alles an ihm.

Mir war nicht bekannt, dass er irgendeinen Sport trieb und trotzdem hatte er eine gute Figur, sah vor allem durchtrainiert aus. Immer war er umhüllt von einer Traube voller Mädchen, keine Chance an ihn heran zukommen um mehr über ihn zu erfahren.

Das änderte sich im Lauf des Abends und irgendwann saßen wir zusammen und redeten über Gott und die Welt. Fasziniert hing ich an seinen Lippen und war erstaunt, wie sehr er bemüht war mit mir zu flirten.

Gut, ich war offiziell geoutet, doch keiner sprach da groß darüber. So war ich doch verwundert, dass Lukas so heftig mit mir flirtete vor all den Anderen. So kam es wie es kommen musste.

Unter Einfluss des Alkohols, hing ich dann wirklich an seinen Lippen, sprich wir küssten uns. Normalerweise passierte mir so etwas nicht so schnell, aber Lukas Charme hatte mich gefangen genommen.

Plötzlich wurde es hell im Raum und alles johlte. Lukas stand auf und stellte sich in Siegerpose. Ich verstand erst nicht, was das sollte. Viel zu spät merkte ich, dass ich aufgelaufen war.

Als ein paar Jungs herkamen und ihm Geld gaben, erfuhr ich, dass er eine Wette abgeschlossen hatte, dass er als Hetero auch einen Schwulen zum Küssen brachte. Alle fanden das absolut geil.

Keiner dachte aber an mich, dass mich so etwas verletzten könnte. So war ich schnell von der Party verschwunden. Ich tippte – nein danke, kein Bedarf – ins Handy ein und schickte es an Chris zurück.

Dad hatte ich natürlich nichts davon erzählt, auch wenn er sofort bemerkt hatte, dass mit mir etwas nicht stimmte. Wenig später, frisch in meine Laufklamotten eingehüllt, nahm ich unten in der Küche einen Schluck Milch zu mir.

Mein Blick zur Uhr zeigte mir, dass ich mich sputen musste, denn sie zeigte schon halb zwei. So lange hatte ich doch gar nicht geduscht. Ich schnappte mir meine Schlüssel und verließ das Haus.

Ein kühler Wind schlug mir entgegen und ich entschloss mich noch einmal aufzuschließen, um einen Schal anzuziehen.

*-*-*

Etwas außer Puste kam ich dann an der Autowerkstatt an. Kollegen von Paps fuhren bereits vom Gelände. So hatte er wenigstens rechtzeitig Feierabend. Meine Hände wanderten an die Seite und ich versuchte wieder auf Normalatmung zu kommen.

Die Tür zur Werkstatt ging auf und Paps kam heraus, dicht gefolgt von Herr Heinrich. Ich setzte mein schönstes Sonntagslächeln auf und lief zu den beiden hin.

„Hallo Patrick“, hörte ich Herr Heinrich sagen.

„Hallo Herr Heinrich“, erwiderte ich schwer atmend.

„Sag bloß du bist bei dem kalten Wetter gelaufen?“

„Spüre ich nicht, ich bin warm angezogen.“

„Trotzdem mein Respekt. Ich weiß nicht, ob ich so diszipliniert am Laufen festhalten könnte.“

„Ich laufe auch nicht jeden Tag, wegen Schule und so…“

„Dein Vater hat mir erzählt, du suchst eine Praktikantenstelle?“

Ich nickte und Paps grinste. Bisher hatte er noch gar keinen Ton von sich gegeben.

„Na ja, suchen nicht gerade, unser Lehrer hat uns Vorschläge gemacht, war aber keiner dabei, der mich so recht überzeugt hat.“

„Und zwei Wochen bei meiner Schwester in der Gärtnerei würde dir gefallen?“

„Hört sich nicht schlecht an.“

„Gut, ich habe deinem Vater die Nummer meiner Schwester gegeben, dann kannst du anrufen, wenn du möchtest. Ich habe schon mit ihr gesprochen, sie würde sich freuen dich kennen zu lernen.“

„Danke Herr Heinrich.“

„So jetzt aber weg mit euch, es ist Wochenende. Meine Frau wartet sicher auch schon auf mich.“

Paps und ich verabschiedeten uns von ihm und liefen zum Wagen. Er selbst stieg in seinen Mercedes und verließ ebenso das Grundstück.

„War doch nett von ihm dir das anzubieten?“, fragte Paps.

„Ja, war nett“, meinte ich etwas genervt.

„Okay, ich bin ja schon ruhig, es ist Wochenende!“

Ja, das war eine Abmachung zwischen uns. Am Wochenende wurde nicht über den Beruf oder die Schule geredet, außer es war ein Notfall. Ich ließ mich auf den Beifahrersitz des Golfs fallen und Paps startete den Wagen.

„Was wollen wir heute Abend kochen?“, fragte Paps, als wir zu Ausfahrt rollten.

„Wie wäre es mit deinem berühmten Nudelauflauf?“

„Hatten wir den nicht schon letztes Wochenende?“

„Schon, aber du weißt, ich könnte darin baden, so höllisch gut ist der.“

„Ob er dann noch schmeckt…, aber wenn du so weiter isst, könnte das Spuren hinterlassen.“

„Paps, ich bin mit meinen siebzehn noch voll im Wachstum und brauche Energie. Zudem habe ich dank der Lauferei, kein Gramm zu viel an mir.“

Paps grinste und lenkte den Wagen auf die Straße.

„… ist das nicht die falsche Richtung? Zum Supermarkt geht es doch in die andere Richtung?“

„Ich möchte noch kurz wo anders hin.“

Ich schaute ihn an, aber er sagte nichts weiter. Im dem Teil der Stadt war ich noch nie. Hier standen jede Menge Wohnblocks und recht sauber sah es auch nicht aus. Was wollte Papa mit mir hier.

Plötzlich bremste er ab und bog in eine Einfahrt ein, die sehr umwuchert war. Ein kleiner Hof mit wenigen Parkplätzen kam in den Sichtbereich. Jetzt wusste wo wir hier waren. An dem Haus prangte ein großes Schild.

„Elfriedes Blumenlädle“

„Ich dachte, du willst es dir vielleicht vorher mal anschauen, bevor du dich entscheidest“, sagte Paps und stellte den Motor aus.

„Das gehört dem Alten seiner Schwester?“

„Ja.“

„Etwas herunter gekommen.“

„Ja, aber Frau Heinrich ist sehr nett.“

Ich atmete tief durch. Wenn es denn sein muss. Ich öffnete die Wagentür und stieg aus. Ein eigentümlicher Geruch stieg mir in die Nase und ich rümpfte die Nase. Der Grund waren die Abfallcontainer, die offen neben den Parkplatz standen und fast überliefen.

Ich schaute kritisch zu Paps.

„Hier soll ich arbeiten?“

„Jetzt warte es doch erst einmal ab.“

So lief ich hinter ihm in den Laden. Eine kleine Glocke läutete bei Eintritt.

„Komme gleich!“, rief es aus den hinteren Räumen.

Wenige Augenblicke später kam eine Frau Mitte Fünfzig von hinten gelaufen.

„Gunnar? Das ist aber schön, dass sie mal vorbei kommen“, begrüßte sie Paps.

Sie zog ihre Handschuhe aus und reichte ihm die Hand.

„Hallo Elfriede, darf ich ihnen meinen Sohn Patrick vorstellen?“

„Ja, mein Bruder hat angerufen, wegen dem Praktikum, stimmt’s? Hallo Patrick.“

Se musterte mich von oben bis unten, was mir Unbehagen einbrachte.

„Hallo Frau Heinrich.“

Auch ich schüttelte ihr die Hand.

„Gunnar, haben sie in der nächsten Stunde etwas vor?“

„Wir wollten noch für das Wochenende einkaufen gehen.“

„Kann ich dann ihren Sohn für diese Stunde entführen und sie kommen dann wieder und holen ihn hier wieder ab?“

Paps sah mich an.

„Ja, kein Problem…“

Scheiße, was soll das, ich wollte mit einkaufen. Nicht dass es mich nicht interessieren würde, wie es hier lief, aber doch nicht jetzt am Wochenende. Gequält schaute ich Paps an, aber er reagierte nicht darauf.

„Schön, dann sehen wir uns ja gleich wieder.“

Paps nickte, wuschelte mir kurz durchs Haar und zog ab. Ich durchfuhr mit den Finger mein Haar und richtete es wieder hin. Frau Heinrich zog wieder ihre Handschuhe an.

„Komm, ich zeige dir alles… ich darf doch du sagen?“

„Ja…“, antwortete ich und vermied es einen Seufzer dran zu setzten.

Sie lief wieder in die Richtung, aus der sie vorhin gekommen war und ich folgte ihr. Vor uns tat sich ein großes Gewächshaus auf.

*-*-*

Ich war fasziniert, was Elfriede, so durfte ich sie schon nennen, alles hier hatte. Traurig war, dass ihr Gärtner sie im Stich gelassen hatte und wie es aussah, die Hilfe, die im Laden mithalf auch.

Die Dame war seit zwei Tagen einfach nicht mehr gekommen und reagierte auch nicht auf Anrufe. Nun stand Elfriede alleine da, war auch nicht verheiratet und von ihrem Bruder konnte sie keine Hilfe erwarten, weil er ihr prophezeit hatte, dass sie mit dem Laden untergeht.

Sie tat mir richtig Leid. Die Glocke ertönte. Sie hatte ich die ganze Zeit nicht gehört. Für einen Samstag war hier richtig wenig los. Vielleicht lag es auch an der Gegend, oder wie es draußen aussah. Elfriede lief in Richtung Laden und ich war nun alleine im Gewächshaus.

Ich schaute mir die Blumen an, die in den herrlichsten Farben blühten und auch gut rochen. Am Rand der Blumentische war eine Tür. Ich öffnete sie und stand wieder im freien. Von der Straße aus hatte man nicht gesehen, wie groß das Grundstück war.

Hier war eine weitere Rasenfläche, natürlich auch nicht gemäht. Und am Ende des Grundstücks stand ein kleines Häuschen.

„Patrick?“

Ich drehte mich um. Da stand Elfriede mit meinem Vater.

„Dein Vater möchte dich abholen“, rief sie.

So lief ich den schmalen Plattenweg, den ich gegangen war zurück, bis ich wieder bei den beiden war.

„Wer wohnt in dem kleinen Häuschen dahinten?“, fragte ich neugierig.

„Niemand. Ich habe meine Wohnung über dem Laden, die genügt mir vollkommen. Das Haus war ursprünglich für den Gärtner gedacht, aber der wollte es nicht, obwohl es komplett saniert ist.“

Ich sah wieder zu dem Häuschen.

„Oh, wenn mein Sohn so schaut, dann heckt er wieder etwas aus“, hörte ich Paps sagen.

„Ist das gut oder schlecht?“, fragte Elfriede.

„Positiv für ihn, negativ für mich, weil es immer irgendwelche unliebsamen Überraschungen mit sich bringt.“

„Was würde denn die Miete kosten?“, fragte ich weiter.

„Ich wollte eigentlich nur die Nebenkosten damit decken, so 400 oder 500 Euro, mehr aber nicht.“

Ich schaute zu Paps, dessen Gehirn auf Hochtouren lief. Er senkte den Kopf leicht nach links, was er immer machte, wenn er versuchte zu ergründen was ich dachte.

„Schau nicht so. Du hast selbst erst vor kurzem gesagt, dass die Miete für die Wohnung viel zu hoch wäre und sie jetzt wieder eine Mieterhöhung verlangen wollen.“

Elfriede schaute zwischen Paps und mir hin und her.

„Du willst hier her ziehen?“, fragte er fassungslos.

„Ich habe mir überlegt, dass ich hier mein Praktikum machen möchte und zu dem, braucht Elfriede Hilfe. Der Gärtner ist weg und die Ladenhilfe nun auch. So weit ist es auch nicht zu deinem Arbeitsplatz, du könntest sogar mit dem Fahrrad fahren.“

„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich dachte es war nur von einem Praktikum die Rede“, sagte Elfriede leise.

„Tja, dass ist mein Sohn live. Sehr sprunghaft, was seine Gedanken betreffen, aber ich denke, dass ist in dem Alter normal.

„Entschuldigt, wenn ich euch beide so überrumple, aber es würde mir Spaß machen hier zu wohnen, na ja es müsste noch einiges gemacht werden, aber ich finde es cool hier.“

„Vorhin hast du anders geredet“, meinte Paps ernst.

„Da habe ich auch noch nichts von hier gesehen.“

Die Türglocke ging wieder.

„Kundschaft, ich muss kurz nach vorne“, meinte Elfriede und verschwand.

Paps wartete noch einen Augenblick, bis sie weg war und drehte sich dann wieder zu mir.

„Kannst du mir sagen, was mit dir los ist? Vorhin Mr. Skepsis und jetzt Mutter Theresa?“

Ich musste kichern, denn noch nie hatte mich jemand mit Mutter Theresa verglichen.

„Dein Vorschlag in Ehren, Sohnemann, aber das muss gut durchdacht sein.“

„Dir gefällt es doch in der Mietwohnung auch nicht und die Nachbarn sind unausstehlich.“

„Na ja hier sind sie auch nicht besonders.“

„Hier wohnen sie aber nicht Tür an Tür und klopfen wegen jedem Mist an die Wand wir wären zu laut. Du weißt selbst, seit sie mitbekommen haben, dass wir beide nie Frauenbesuch bekommen oder bekommen werden, benehmen sie sich total daneben.“

„Da hast du Recht“, seufzte Paps, … und du meinst wirklich, wir sollen hier her ziehen?“

„Ja und Elfriede wäre nicht so alleine und wir könnten ihr etwas helfen und dafür wohnen wir viel besser haben Garten und Blumen und…“

„Halt Patrick, da hat Frau Heinrich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Du weißt doch gar nicht, ob es ihr recht ist.“

„Was ist mir nicht recht?“

Elfriede war zurück gekommen.

„Mein Sohn hat sich in den Kopf gesetzt in das Haus einzuziehen.“

Elfriede lächelte mich an.

„Ich kann gerne die Schlüssel holen, wenn sie es sich ansehen möchten.“

„Ja“, sagte ich.

„Machen sie sich keine Umstände wegen uns“, sagte Dad fast gleichzeitig.

„Das ist kein Problem, einen Augenblick, der Schlüssel hängt da drüben am Schlüsselbrett.“

Sie lief hinüber, zog den Schlüssel ab und kam wieder zu uns. Dann lief Elfriede den gleichen Plattenweg, den ich vorhin schon genommen hatte. Wenig später standen wir vor dem Haus. So dicht davor, wirkte es gar nicht mehr so klein.

„Es könnte etwas staubig sein, ich war schon eine Weile nicht mehr hier hinten“, sagte Elfriede.

Sie schob die Holztür auf und gewährte uns Einblick in das Innere.

„Hier rechts ist eine kleine Küche auf der anderen Seite ein Wohnzimmer. Oben gibt es noch zwei Zimmer und ein Bad“, erklärte sie.

„Perfekt“, meinte ich und lief die Treppe hinauf.

Da wir schon unter dem Dach waren, gefielen mir die Zimmer mit der Dachschräge noch mehr. Hinten raus, befand sich noch ein Balkon, der von beiden Zimmern zugänglich war. Dahinter hatte man eine herrliche Aussicht auf den Fluss, der sich durch die ganze Stadt wand.

.“Was meinst du Paps?“, fragte ich.

„Patrick, ich muss erst einmal sehen, ob wir so einfach aus dem Mietvertrag herauskommen.“

„Gefällt es dir hier?“

„Ja Patrick, es gefällt mir hier.“

„Siehst du, habe ich mir gleich gedacht“, meinte ich grinsend.

*-*-*

Drei Wochen später…

„Also ich hätte nicht gedacht, dass die unsere Kündigung sofort annehmen und nicht mal den Rest der Miete für drei Monate haben wollten.“

Paps hatte die letzte Kiste in den Lieferwagen gestellt, den uns sein Chef freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte.

„Haben wir dann alles?“, fragte ich.

„Ja, die Wohnung ist leer, wir brauchen nicht mehr hinauf.“

„Und die Schlüssel?“

„Die werfen wir beim Verwalter in den Briefkasten. Habe keine Lust noch einmal einem von denen zu begegnen.“

Er lief noch einmal an die Haustür, als diese gerade aufging. Der Verwalter kam heraus.

„Ah, Herr Hersflor, ich habe gerade eben die Wohnung angeschaut. Die Kaution von 500 Euro müssen wir natürlich einbehalten, da die Wohnung von Grund auf renoviert werden muss.“

„Damit habe ich gerechnet, obwohl alles frisch gestrichen oder tapeziert wurde“, antwortete Paps ruhig.

Darauf antwortete der Alte nichts.

„Hier die Schlüssel der Wohnung und somit haben sie uns dann los.“

Der Alte räusperte sich.

„Ich hoffe ihre Vermieter haben nicht so viel Ärger, wie wir mit ihnen.“

„Ärger? Sicher nicht, die freuen sich sogar darauf.“

Da log Paps nicht mal und ich wunderte mich immer noch, dass er so ruhig blieb.

„Na ja, werden sie in ihrer Sozialwohnung glücklich, hier sind sie auf alle Fälle nicht mehr erwünscht!“

Jetzt wurde es mir zuviel und wollte etwas sagen, aber Paps bremste mich aus.

„Wer hat etwas von Sozialwohnung gesagt? Da hat ihnen Frau Krämer wohl einen Bären aufgebunden.“

Frau Krämer war eine alte Frau, alleinstehende Frau im Haus, die überall alles herum erzählte, niemand war vor ihr sicher.

„Wir haben ein schönes Häuschen gefunden, die nicht von so Mietwucherern wie ihnen…“, Paps hielt kurz inne, „sie werden uns sicher nicht mehr zu Gesicht bekommen, denn auch wir wollen mit ihnen nichts mehr zu tun haben.“

Der Alte drehte sich ohne Wort um und knallte die Haustür hinter sich zu. Paps und ich sahen uns an und fingen an zu lachen.

„Los Sohnemann, fahren wir. Ich will hier nicht länger bleiben als nötig.“

Gemeinsam liefen wir zum Transporter.

*-*-*

Es war schon am Dunkel werden, als wir mit dem Transporter den Hof befuhren. Auch hier hatte sich einiges geändert. Die Einfahrt hatten ich und Dad mit einer Heckenschere bearbeitet.

Mit Holz, das Elfriede in Massen hatte, wurde ein kleiner Unterstand für die Mülltonnen gebaut. Da gingen zwar unsere Wochenenden und Mittage drauf, aber es hatte sich gelohnt. Der kleine Hof vor dem Laden sah jetzt richtig ansehnlich aus, auch der Geruch war weg.

Jemand verließ mit einem Strauß den Laden.

„Guten Abend“, meinte Paps.

Der Mann nickte, setzte sich in sein Auto und verließ den Hof.

„Da seid ihr ja und alles hergeschafft?“

Elfriede stand in der Tür ihres Ladens.

„Ja, müssen nur noch ausladen“, sagte ich.

„Wenn ihr fertig seid, kommt ihr her, ich habe gekocht.“

„Elfriede, du sollst dir doch nicht so viel Umstände machen“, meinte Paps.

Ja, mittlerweile waren wir mit Elfriede per Du. Auch sonst wusste sie nun alles über diesen Männerhaushalt, auch das Paps und ich mehr zu Männern tendierten und Elfriede sich lachend dazu äußerte, das wir also hier keine Frauengeschichten erwarten konnten.

„Das sind keine Umstände, also keine Widerrede!“

Paps grinste und öffnete die Hecktüren, des Transporters.“

Eine Kiste nach der anderen wanderte in unser neues Domizil, bis der Transporter leer war.

„Ich bring noch schnell den Wagen zurück, du kannst ja schon mal die Kartons verteilen, weißt ja, wo was hin kommt.“

„Mach ich“, versprach ich.

Dann war ich alleine. So machte ich mich an die Arbeit und verteilte auch noch den Rest unserer Habe in die Zimmer. Der letzte Karton kam in mein Zimmer. Mit den Möbeln aus meinem alten Zimmer, fand ich es hier richtig urig.

Am Montag würde das Praktikum anfangen und somit hatte ich den kürzesten Arbeitsweg in der ganzen Klasse. Durch das Fiasko auf Chris Party, hatten recht viele, Abstand von mir genommen.

Allein Chris redete noch mit mir, aber eher wegen seinem schlechten Gewissen, dass er seit seiner Party hatte. Im Augenblick war mir das alles egal, da ich sowieso mit keinem Kontakt zu irgendjemand wollte.

Da kamen mir die zwei Wochen Praktikum gerade recht. Der Karton war schnell ausgeräumt und zusammen gefaltet. Da Paps noch nicht da war, lief ich durch die Zimmer und räumte alles aus.

Es waren eh die letzten Dinge, die liegen geblieben waren und ihre festen Plätze hatten. Nach einer halben Stunde Rekordzeit legte ich den letzten zusammen gefalteten Karton auf den Stapel.

Gerade rechtzeitig, denn die Haustür wurde aufgeschlossen.

„Sorry, ich musste noch etwas an einem Wagen richten“, entschuldigte sich Paps.

„Heute am Freitagabend? Du hast heute Urlaub!“

„Ja ich weiß, aber der Mann tat mir Leid.“

„Aha… ein Mann.“

Ich grinste. Paps knuffte mich.

„Ich geh duschen. So will ich nicht bei Elfriede auftauchen.“

„Manche Männer stehen da drauf“, sagte ich frech.

„Ich nicht!“

Auf dem Weg die Treppe hinauf, blieb er plötzlich stehen.

„Hast du schon alles verräumt?“, fragte er und zeigte auf den Stapel Karton.

„Ja!“

„Respekt!“

Ich lächelte. Dann verschwand er in den oberen Flur. Ich dagegen öffnete die Haustür und trat vor das Haus. Ich fand es einfach himmlisch hier, auch wenn der Lärm aus der Nachbarschaft, dies etwas einengte.

Aber die direkten Nachbarn waren weg und wir hatten einen eigenen Garten. Nur war es gerade dunkel und man konnte nicht soviel davon sehen. Irgendwie konnte ich es auch noch nicht richtig fassen, dass wir nun hier wohnten.

„Fertig…, können wir gehen?“

Ich fuhr zusammen, denn ich hatte Paps nicht kommen gehört.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Nicht schlimm, ich war nur im Gedanken.“

„Über was hat mein Sohn denn nach gedacht?“

„Das hier alles, ich kann das noch gar nicht richtig fassen, dass ging jetzt alles so schnell.“

„Daran bist du nicht ganz unschuldig, aber ich kann dir nur Recht geben… und ich finde es absolut toll, dass du mich dazu überredet hast. Es geht mir jetzt schon viel besser, als in der alten Wohnung.“

Ich lächelte ihn an.

„Komm lass uns gehen, Elfriede wundert sich bestimmt schon wir bleiben.“

*-*-*

Mein erster Tag bei Elfriede. Ich musste grinsen, da ich doch in den letzten Wochen oft hier geholfen hatte. Ab heute nun offiziell, mein Schulpraktikum.

„Morgen Elfriede.“

„Morgen Herr Hersflor.“

Ich lächelte sie an.

„Was steht an?“, fragte ich.

„Wie wäre es mit Frühstück?“

„Habe ich nichts dagegen einzuwenden.“

„Du musst nur noch Brötchen holen, außer du nimmst mit altem Brot vorlieb.“

„Kein Problem“, sagte ich und sie ging an die Kasse und gab mit einen zwanzig Euroschein.

„Irgendetwas Spezielles?“, fragte ich.

„Nein, einfach nur Brötchen.“

„Okay, ich bin gleich wieder da.“

„Lass dir Zeit, ich muss doch erst mal den Kaffee kochen.“

Ich lächelte und verließ den Laden wieder. Da es nicht weit zum Bäcker war, beschloss ich zu laufen. Bis ich jetzt mein Fahrrad geholt hätte, war ich schon lange dort. Wenig später betrat ich die Bäckerei.

„Guten Morgen, was kann ich…“

Mein Gegenüber brach mitten im Satz ab und sah mich genauso geschockt an, wie ich ihn. Vor mir stand Lukas.

„… für sie tun“, sprach er leise weiter.

Die Chefin kam herein und ich besann mich, warum ich hier war.

„Sechs Spitzweg bitte…“

„Oh hallo Patrick, wie geht es dir?“, fragte mich Frau Kallos.

„Gut, danke“, erwiderte ich.

Durch ihre häufigen Einkäufe im Blumenladen kannte sie mich mittlerweile.

„Euer Umzug gut überstanden?“

„Ja, gestern Abend haben wir die letzten Sachen abgeholt und die Schlüssel abgegeben.“

„Und heute fängt euer Praktika an?“

„Ja“, antwortete ich und schenkte ihr ein Lächeln.

„Ja, der Lukas hier ist heut auch den ersten Tag hier. Kennt ihr euch nicht?“

Lukas sah mich an.

„Ja, wir gehen in die gleiche Klasse“, antwortete ich.

„Das macht zwei Euro vierzig!“, sagte Lukas nur.

„Aha“, kam es nur von Frau Kallos und schaute zwischen mir und Lukas hin und her.

Ich legte die zwanzig Euro auf den Geldteller.

„Dann sag mal Elfriede einen schönen Gruß von mir.“

„… äh… ja richte ich aus.“

Lukas legte das Wechselgeld auf den Teller und stellte die Tüte mit den Brötchen daneben.

„Danke…“, sagte ich leise, ohne das Geld nach zuzählen.

„Auf Wiedersehen, Frau Kallos“, meinte ich und verließ den Laden, ohne ein weiteres Wort zu Lukas zu sagen.

„Patrick…“, hörte ich plötzlich hinter mir Lukas Stimme.

Ich drehte mich um und sah wie er auf mich zu kam.

„… ähm… ich habe dir falsch heraus gegeben“, meinte er verlegen.

Ich nickte und hielt meine Hand auf.

„Entschuldige…“

Dabei sah er mich so seltsam traurig an.

„… kann ja mal passieren“, meinte ich und versuchte ruhig zu bleiben.

Vor ein paar Wochen hatte er mich noch vor der ganzen Truppe vorgeführt und mich tödlich blamiert und jetzt stand er wie ein Jammerhaufen vor mir. Aber anstatt sich umzudrehen, blieb er immer noch stehen.

„Ist noch etwas?“, fragte ich jetzt doch leicht angespannt.

Er schüttelte den Kopf und lief zur Bäckerei zurück. Was war das denn jetzt? Ich machte mich ebenfalls auf den Weg zurück, denn Elfriede würde sicher schon auf mich warten.

*-*-*

„Was ist los, Patrick? Du rührst jetzt schon fünf Minuten im Kaffee herum?“

Elfriede wusste mittlerweile über Paps und mich Bescheid. Sie hatte es sehr locker aufgenommen und war stets versucht, uns aufzumuntern, wenn wir die Köpfe hängen ließen. So kam es öfter vor, dass Elfriede mit mir auch über mein Liebesleben redete.

„Ich habe vorhin Lukas getroffen…“

„Lukas?“

„Der Typ der mich auf der Party verarscht hat…“

„Auf dem Weg zur Bäckerei?“

„Er macht sein Praktikum bei Frau Kallos und beim Brötchen kaufen habe ich ihn dort angetroffen.“

„Ich kenne einen Lukas, der wohnt hier in der Nähe und hat schon früher bei Gertrude gearbeitet, meist samstags. Hat er irgendetwas gesagt?“

„Glaube nicht, dass wir denselben Lukas meinen, denn ich glaube er würde nicht in so einer Gegend wohnen und nein, er hat nichts gesagt, Frau Kallos war dabei. Er rannte mir nur nach, weil er mir falsch heraus gegeben hatte. Dabei hat er mich so traurig angeschaut.“

Ich biss von meinem Brötchen ab.

„Autsch“, entfuhr es mir und hielt meine Hand an die Wange.

„Was ist?“

„Ich weiß es nicht…, habe mir auf die Wange gebissen oder so etwas?“

„Patrick, du bist ganz schön neben der Rolle. Hat dich das Treffen mit diesem Lukas jetzt so aus der Bahn geworfen?“

Ich zuckte mit den Schultern und aß vorsichtig weiter. Ich konnte diese traurigen Augen nicht vergessen.

*-*-*

„Patrick, kannst du die Lieferung entgegen nehmen?“, rief Elfriede, die gerade Kundschaft hatte.

„Ja, mache ich“, rief ich zurück.

Ich lief zwischen den Blumentischen nach vorne, durchquerte den Laden, grüße höflich die Kundschaft und verließ den Laden durch die Eingangstür.

„Wird auch Zeit… ich habe noch andere Kundschaft“, giftete mich der Fahrer an.

„Ähm, Entschuldigung, Frau Heinrich hat mir eben erst gesagt, dass Ware angekommen ist.“

Der Typ war ungefähr so groß wie Paps und auch in dem Alter musste er sein. Aber um einiges muskulöser als mein Vater. Die braunen Haare schauten unter seiner Mütze hervor und die braunen Augen funkelten mich genervt an. Vor ihm stand eine Palette voll mit Kartons.

„Wo muss ich unterschreiben?“, fragte ich wie weiterhin höflich.

Er hob mir ein Klemmbrett hin und ich unterschrieb. Mein Blick fiel auf die Palette.

„Ist da etwas ausgelaufen?“, fragte ich und zeigte auf den einen Karton, der an der Seite braun verfärbt war.

„Weiß ich nicht“, gab der Fahrer knurrig von sich.

Ich riss die Plastikfolie ab, die alles zusammen hielt und zog einen Karton, nach dem anderen herunter. Den verfärbten Karton riss ich auf.

„Diese Flaschen sind kaputt…“, meinte ich und sah ihn an.

Ich wartete nur darauf, dass er gleich explodierte, aber nicht kam.

„Dann nehme ich den wieder mit zurück…, einen Moment, ich brauche einen Rückgabeschein…“

„Auf Wiedersehen“, hörte ich hinter mir Elfriede, die sich von dem Kunden verabschiedete und nun zu mir kam.

„Ist etwas Patrick?“

„Ja, die Flaschen in dem Karton sind kaputt…“, antworte ich.

„Ach herrje, das ist vielleicht eine Sauerei.“

Ich nickte. Der Fahrer kam zurück.

„Frank…?“, sagte plötzlich Elfriede neben mir.

Der Fahrer schaute auf.

„Hallo Elfriede…, was machst du denn hier?“

Die zwei schienen sich gut zu kennen.

„Ich bin die Besitzerin…, dass ist meine kleine Gärtnerei.“

„Dann hast du dir deinen Traum also erfüllt. Jetzt weiß ich auch, warum mir der Name Heinrich so bekannt vor kam. Entschuldige, ich muss noch kurz den Rückgabeschein ausfüllen.“

Elfriede schaute mich lächelnd an.

„Ich kenne Frank noch aus meiner Rehazeit. Wir waren beide in der gleichen Klink.“

„Hattest du einen Unfall?“

Ihr Gesicht verdunkelte sich etwas und ein leises ja folgte. Frank schaute kurz auf und sah sie an, als wüsste er darüber Bescheid.

„So hier, da musst du unterschreiben junger Mann“, kam es wesentlicher freundlicher von Frank und hielt mir erneut das Klemmbrett hin.

Artig unterschrieb ich und er bekam die Papiere zurück. Er verfrachte die Palette wieder auf die Ladefläche, stellte den Karton an den Rand und schloss die Klappe des LKW.

„Hast du noch Zeit für einen Kaffee?“, fragte Elfriede.

„Du, das tut mir Leid, ich muss noch ein paar Auslieferungen machen. Aber wenn es dir recht ist, schaue ich morgen vorbei, da habe ich nicht so viel Fracht und bin auch hier in der Nähe.“

„Das würde mir gefallen…, denn es gibt sicher viel zu erzählen.“

Er nickte und beugte sich kurz zu Elfriede vor um ihr ein Küsschen auf die Wange zu geben. Ich sah nur verwundert zwischen den beiden hin und her.

„Okay bis morgen, wir sehen uns. Und… netten Bengel hast du dir da geangelt“, meinte er noch, bevor er zum Führerhaus verschwand.

Meine Kinnlade läge auf dem Boden, wäre sich nicht angewachsen gewesen. Der Lkw zog aus dem Hof heraus und wir standen mit den Kartons alleine da.

„Dann werden wir mal alles verräumen“, meinte Elfriede.

Ich starrte immer noch zur Straße.

„Patrick?“

„Hm?“, meinte ich und drehte mich zu Elfriede.

„Der ist viel zu alt für dich!“, kicherte sie.

Ich verzog mein Gesicht zu einer Fratze und nahm den ersten Karton auf.

*-*-*

Eine Stunde später und drei Kunden mehr im Laden band ich meinen ersten Strauß, unter Elfriedes strengen Blicken.

„So, nun steckst du hier noch drei Gräser hinein und dort nimmst du das große  Palmblatt dazu und fertig.“

Ich wunderte mich selbst, wie schnell ich das hingekriegt hatte und der Strauß gefiel mir auch noch.

„Du hast ein Händchen für“, meinte Elfriede und wandte sich an den Mann.

„Ist er so recht?“, fragte sie und hielt ihm der Strauß entgegen.

Der Mann nickte. Elfriede drehte sich lächelnd zu mir.

„Siehst du, war doch ganz einfach, so und jetzt noch binden, Papier darum und wir können kassieren.“

Ich wusste nicht woher Elfriede die Gewissheit her nahm, dass ich das alles jetzt schon gut konnte. Ja, ich hatte in den letzten Wochen Zeit zum üben, aber ich dachte nicht, dass mich Elfriede an die Kundschaft heran lässt.

Nachdem sie kassiert hatte, drehte ich mich zum nächsten Kunden. Wieder stockte ich und bleib wie angewurzelt stehen, während Elfriede dann eine Frau bediente.

„Was willst du?“, fragte ich Tonlos, denn Lukas stand vor mir.

„Ähm… ich… soll für Frau… Kallos Blumen holen…“

„Aha, und welche?“

Mit großen Augen schaute mich Lukas an. Plötzlich kramte er in seiner Hosentasche und zog einen Zettel hervor. Er schaute darauf und lass vor.

„Ähm… Gerberer und ähm… Rosen.“

„Welche Farbe?“

„Weiß nicht…“

Warum musste dieser Typ jetzt ausgerechnet hier Blumen kaufen müssen. Ich hatte gute Lust einen Strauß Blumen zu nehmen und die ihm um die Ohren zu schlagen.

„Moment“, sagte ich leicht säuerlich und lief zur Elfriede.

„Elfriede, entschuldige wenn ich störe…, weißt du welche Farben Frau Kallos bevorzugt?“

Sie schaute auf.

„Rot und Gelbtöne… warum?“

„Lukas ist hier, soll für Frau Kallos Blumen holen.“

„Die Rosen… der dritte Eimer links und die Gerberer findest du neben dem Eingang.“

So lief ich an die angegebenen Orte und fand die Blumen.

„Ähm… Elfriede?“, rief ich.

„Ja?“

„Wie viele denn?“

„Jeweils zehn.“

„Danke.“

Ich zog jeweils zehn der Blumen aus dem Eimer und legte sie auf den Tresen. Lukas stand die ganze Zeit nur stumm da. Seine Hände tief in den Hosentaschen vergraben, schaute er mich unsicher an.

Ich ging zur Papierrolle und zog daran. Als das Wickelpapier lang genug war, riss ich es ab. Bisher war es mir noch nie gelungen, es in einem Stück abzubekommen, immer hingen da irgendwelche Fetzen weg.

Doch dieses Mal blieb es ganz und so legte ich es neben die Blumen auf den Tresen und wickelte die Rosen und Gerberer ein.

„Sonst noch etwas?“, fragte ich, aber in einem leicht patzigen Ton und etwas genervt.

Elfriedes Kunde hatte bezahlt und war gegangen. Sie selbst stand nun neben mir und stupste mich mit ihrem Ellebogen leicht in die Seite. Ich schaute kurz zu ihr und bekam dafür einen fragwürdigen Blick zurück.

„Nein…“, meinte Lukas nur.

Elfriede zog die Schublade auf und entnahm ihm ein kleines Buch.

„Ich schreibe es auf, wie immer“, meinte sie und griff nach dem Stift.

„Danke… ähm… wiedersehen…“, meinte Lukas noch, griff nach dem Bund Blumen und verließ den Laden.

„Was war das jetzt?“, fragte Elfriede und ließ das Büchlein wieder in der Schublade verschwinden.

„Lukas…, von dem ich dir heute morgen erzählt hatte.“

„Ich weiß, dass das Lukas war, ich kenne ihn, wie schon erzählt, aber ich habe ihn noch nie so angespannt erlebt.“

„Du bist sicher, dass es der Lukas ist. Er hat doch von reichen Eltern erzählt und einer reichen Wohngegend…, hat er uns angelogen?“

„Das glaube ich weniger. Aber er ist wirklich anders als sonst.“

„Wundert dich das?“

„Schon.“

„Warum?“

„Er ist normalerweise ein aufgeweckter Junge, sehr freundlich und zuvorkommend.“

„Freundlich und zuvorkommend…, wer soll dir das glauben?“, sagte ich fing an sarkastisch zu lachen.

„Du bezweifelst meine Worte?“

„Elfriede, in der Klasse ist er ein Großkotz, alles was nicht seiner entspricht wird links liegen lassen und denke daran, wie er mich verarscht hat…“

„Das verstehe ich nicht…, reden wir von demselben Lukas?“

„Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal. Ich möchte nichts mehr mit ihm zu tun haben.“

„Aber er vielleicht mit dir?“

„Wie kommst du jetzt darauf?“

„Weil er immer noch an der Einfahrt steht…“, meinte Elfriede und ging wieder zu den Blumen.

Ich sah durch die verschlossene Glastür nach draußen und konnte Lukas wirklich an der Einfahrt entdecken.

*-*-*

Es war kurz vor Ladenschluss. Ich kehrte die Reste der abgeschnittenen Blumen zusammen, als die Tür zum Geschäft aufging. In meinem Blickfeld erschien
Chris.

„Hallo Alter und schon den grünen Daumen?“, fragte er und hob seinen Daumen hoch.

„Hallo Chris, ich weiß nicht was du meinst“, antwortete ich und grinste dabei, „was verschafft mir die Ehre?“

„Och, ich habe früher Feierabend bekommen und wollte bei dir vorbei sehen.“

„Ja, ich hab auch gleich Schluss, wenn du kurz wartest…“

„Kein Problem, ich habe Zeit.“

Ich schaufelte den Dreck in die Tonne mit Blumenabfällen und verstaute die Besen wieder im hinteren Teil des Ladens.

„Elfriede ich bin dann fertig“, rief ich.

„Gut, dann schließ ab“, hörte ich Elfriede aus dem Gewächshaus rufen.

Chris schaute mich verwundert an. So ging ich an die Ladentür, drehte das Schild auf geschlossen und drehte den Schlüssel herum.

„Mein Chef besteht darauf, dass ich ihn mit sie anrede…“, sagte Chris leise.

„Nein, Elfriede hat mir sofort das du angeboten“, meinte ich und lief nach hinten und Chris mir folgte.

„Öhm und wo kommen wir jetzt raus?“

„Wir nehmen den Hinterausgang, da bin ich schneller zu Hause.“

„Stimmt ja, du bist umgezogen und wo wohnt ihr jetzt?“

„Das wirst du gleich sehen“, meinte ich und hängte meine Schürze an den Haken.

Chris folgte mir quer durch den Laden, bis wir das Gewächshaus ereichten.

„Soll ich noch die Lichter ausmachen?“, fragte ich Elfriede, die gerade etwas umtopfte.

„Nein Patrick, ich muss noch mal an die Kasse… oh du hast Besuch.“

„Ja, dass ist Chris aus meiner Klasse.“

„Hallo“, meinte Chris.

„Hallo Chris. Wo arbeitest du während deines Praktikums?“

„In einem Fachgeschäft für Elektronikzubehör für Hausbau.“

„Und? Macht es dir Spaß?“

„Na ja, ich muss viel aufräumen und im Lager Ware einsortieren.“

Elfriede grinste mich an.

„Und was habt ihr noch vor ihr zwei?“

„Ich möchte ihm mein neues Zuhause zeigen.“

„Weiß er denn noch nicht wo du wohnst?“

„Nein“, grinste ich.

„Sag deinem Vater einen Gruß.“

„Mache ich Elfriede, bis vielleicht später.“

Ich lief mit Chris durch die Seiten Tür nach draußen.

„Kommst du später noch mal hier her?“, fragte Chris verwundert.

„Nein.“

Wieso sagst du dann, bis später vielleicht?“, sprach Chris weiter und schaute blöd aus der Wäsche.

„Ich wohne hier…“

„Hier?“, fragte Chris und hob die Augenbraun an.

„Ja, hier in dem Häuschen da hinten bin ich mit Paps eingezogen.“

„Cool!“

„Stimmt. Willst mein neues Zimmer sehen.“

„Dumme Frage!“

Ich grinste.

*-*-*

Chris war gegangen. Ich saß vor dem Haus auf der Bank und wartete auf Paps. Ein Blick auf meine Uhr zeigte mir, dass er heute sehr spät dran war. Aber kaum fertig gedacht, bog Paps mit dem Wagen auf das Grundstück und stellte ihn auf den Kundenparkplatz.

„Hallo Paps“, rief ich, als er ausgestiegen war.

„Hallo Junior“, kam es zurück.

Ich beobachtete ihn, wie er den schmalen Weg zum Haus lief. Er wirkte müde und abgeschafft.

„War heute viel los?“

„Ja, das kann man so sagen. Ein Azubi hat Mist gebaut und wir hatten zusätzliche Arbeit.“

„Tzis…, die Jugend von heute.“

Paps schaute mich kurz an und fing an zu grinsen, was ihm deutlich besser stand.

„Hast du Hunger?“, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.

„Ich möchte nur unter die Dusche, sonst nichts.“

„Gut ich sitze hier draußen.“

Paps schaute mich durchdringend an.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Klar, was sollte denn sein?“

„Weil ich diesen Gesichtsausdruck meines Sohnes gut kenne, wenn ihm etwas über die Leber gelaufen ist.“

Er setzte sich neben mich und ließ seine Sachen einfach auf den Boden nieder.

„Du wolltest duschen…“

“Und du hast etwas auf dem Herzen.“

„Was auch noch Zeit nach der Dusche hat…“

„Sicher?“

„Ja“, meinte ich leicht genervt und verdrehte die Augen.

„Okay, ich bin dann duschen“, meinte er und erhob sich wieder.

Er öffnete die Haustür.

„Du, was hältst du von einem Hund?“

„Hä?“, rief ich und drehte mich zu ihm um.

Hatte ich richtig gehört?

„Hund! So ein Tier auf vier Pfoten der WAU… WAU macht.“

Ich konnte nicht anders und grinste.

„Was soll ich davon halten?“

„Eine Kunde…, der wegen der Sache mit dem Azubi länger auf seinen Wagen hat warten müssen, hatte einen Beagle dabei. Sehr nett!“

„Der Mann oder der Hund?“

Ich grinste fies und Paps streckte mir die Zunge heraus, bevor er im Haus verschwand.

*-*-*

Ich hatte Paps alles erzählt, was mit Lukas vorgefallen war, auch dass mit Chris Party.

„Jetzt wundert mich überhaupt nichts mehr, warum du zum Stubenhocker geworden bist und auf keine Party mehr gehst.“

Ein langes Schweigen folgte.

„Und du bist dir sicher, dieser Lukas wohnt in einem dieser Hochhäuser?“

„Ja, wenn ich Elfriede richtig verstanden habe.“

Wie auf ein Stichwort kam Elfriede in den Hof gelaufen.

„Hallo ihr zwei“, rief sie uns zu und brachte etwas zur Mülltonne.

„Guten Abend, Elfriede“, rief Paps zurück.

Langsam kam sie den schwach beleuchteten Plattenweg zu uns herüber.

„Das ist ein herrlicher Abend“, meinte sie.

„Ja…komm, setz dich noch etwas zu uns“, meinte Paps.

„Gerne.“

Ich stand auf und legte ein Sitzkissen auf den Holzstuhl neben der Bank. Elfriede bedankte sich und ließ sich auf den Stuhl nieder.

„Ähm… Elfriede, was weißt du über Lukas“, fragte ich.

Verwundert schaute sie mich und auch Paps an.

„Wie kommst du jetzt auf den?“

„Patrick hat mir gerade die ganze Geschichte mit Lukas erzählt, dass mit der Party und so“, beantwortete Paps die Frage.

„Das wusstest du nicht?“

Paps schüttelte den Kopf. Elfriede schaute kurz in das Dunkel des Gartens.

„Da weiß ich leider zu fiel… und irgendwie fühl ich mich auch noch schuldig, obwohl ich es nicht bin.“

„Wie meinst du das denn?“, fragte ich unwissend.

„Da muss ich etwas weiter ausholen…“

„Kein Problem, aber was hältst du von einem Bier…“, fragte Paps.

„Dagegen ist nichts einzuwenden.“

„Schon verstanden“, meinte ich, „ich hole euch Bier.“

„Danke Sohnemann.“

Elfriede lächelte. Also stand ich auf und verschwand ins Haus um wenige Minuten mit zwei Gläsern und Bier wieder zu kommen.

„Trinkst du nichts?“

Ich schüttelte den Kopf und stellte das Mitgebrachte ab. Paps ganz Gentlemen schenkte Elfriedes Glas voll und reichte es ihr, bevor er sein Glas füllte.

„Danke“, meinte Elfriede und setzte das Glas gleich an.

Als sie absetzte breitete sich ein Grinsen auf ihren Lippen aus.

„Das hatte ich jetzt gebraucht“, meinte sie, was wiederum bei uns ein Lächeln auslöste.

Aber ihr Lächeln verschwand schnell wieder und sie stellte das Glas ab.

„Du erinnerst dich sicher an die Unterhaltung mit Frank?“, fragte sie mich.

Ich nickte.

„Frank?“, fragte Paps.

„Ja unser Lieferant“, meinte ich und Elfriede lächelte wieder, weil ich unser gesagt hatte.

„Da hatte ich doch eine Reha erwähnt…“

„Ja“, meinte ich.

„Die Reha hatte ich wegen eines Unfalls, jemand hat mich hier direkt vor dem Grundstück angefahren… war betrunken und ich Krankenhausreif.

„Autsch“, meinte ich und verzog das Gesicht.

„Mein Oberschenkel war zertrümmert und musste eben nach benanntem Krankenhausaufenthalt, dann zur Reha, damit ich wieder richtig laufen konnte.“

„Und da hast du Frank kennen gelernt?“

„Ja, er war wegen eines Motorradunfalls dort. Aber das ist nicht die Sache…, der betrunkene Autofahrer… war Lukas Vater.“

„Oh“, entfleuchte es Paps.

„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr…, warum bist du dann schuld, wenn der dich betrunken anfährt?“, fragte ich.

„Das meinte ich nicht damit, Patrick. Es kam natürlich zu einer Verhandlung…, er wurde auf Schmerzensgeld und soziale Arbeit verklagt und bekam natürlich den Führerschein abgenommen.“

„Verdienter Maßen oder?“, fragte ich.

„Ja und nein…“, antwortete Elfriede.

Fragend schaute ich sie an, während sie noch mal an ihrem Bier trank und das Glas wieder abstellte.

„Lukas Vater hat seinen Alkoholkonsum nicht gedrosselt und verlor kurze Zeit darauf seine Arbeitsstelle. Als es nicht besser wurde, verließ ihn seine Frau und ließ ihn mit Lukas alleine. Er musste das gemeinsame Haus verkaufen und zog hier her in diese Siedlung.“

„Daran bist du aber nicht schuld!“, meinte Paps.

„Ja… ich weiß, aber es tut mir so Leid, dass es so ausgehen musste.“

„Davon hat in der Schule niemand etwas erfahren. Lukas spielt sich immer noch als reicher Schnösel auf“, sagte ich.

„Mit dem Geld, das er bei Frau Kallos verdient…“, fügte Elfriede an und langsam begann ich zu verstehen.

„Der arme Junge“, meinte Paps, wofür er einen vorwurfsvollen Blick von mir erntete.

Elfriede nickte.

„Tut mir Leid, Patrick. Ich wusste nichts davon, dass Lukas so eine Geschichte vor euch abzieht und dann auch noch die Sache mit dir, dass sieht ihm gar nicht ähnlich. Gertrude hält auch große Stücke von ihm.“

Ich atmete scharf aus. Warum dieses Theater? Paps schien meine Gedanken zu lesen.

„Patrick, er schämt sich sicher und möchte nicht, dass es jemand erfährt.“

Ich schaute erst ihn und dann Elfriede an.

„Ich hoffe, du benutzt das, was ich dir eben erzählt habe nicht gegen Lukas…“

„Nein Elfriede, keine Sorge, dann wäre ich nicht besser als er, aber ärgern tut es mich trotzdem.“

„Ich verstehe dich ja…, die Sache mit dem Kuss ist ja schon heftig gewesen.“

„Heftig ist gut, seit dem redet in der Klasse kaum einer mehr mit mir.“

„Das legt sich sicher wieder…“, mischte sich Paps ein, „warte ab, wenn die zwei Wochen Praktikum vorbei sind, ist Gras über die Sache gewachsen.“

„Dein Wort in Gottes Gehörgang“, meinte ich.

„Apropos Gras…, es wird Zeit für mich ins Bett zu gehen, morgen ist wieder Arbeit angesagt“, meinte Elfriede, „und danke für das Bier.“

„Gern geschehen“, sagte Paps.

*-*-*

Ich war lange wach gelegen, denn was Elfriede erzählt hatte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Trotz Paps Erklärungsversuchen, verstand ich Lukas immer noch nicht. War ihm sein Ansehen so wichtig?

Irgendwann war ich doch eingeschlafen, denn plötzlich wurde ich durch meinen Wecker wach und wunderte mich, dass die Nacht schon wieder vorbei war. Im Haus war alles still, kein Wunder, Paps war schon aus dem Haus.

Mich streckend stand ich auf und tapste ins Bad. Da ich Schwierigkeiten hatte überhaupt meine Augen offen zu halten, beschloss ich einfach unter die Dusche zu steigen. Ich drehte den Hahn auf und ließ erst einmal einen lauten Schrei.

In meiner Schläfrigkeit hatte ich vergessen, dass erst einmal kaltes Wasser kam, bevor sich das wärmende Nass ihre Bahn suchte. Plötzlich hell wach konnte ich dann doch langsam die Wärme auf meinem Körper spüren und irgendwie fanden auch meine Lebensgeister den Weg zurück in den Körper.

Frisch gestriegelt stand ich wenig später im Gewächshaus und wunderte mich, dass Elfriede noch nicht da war. Ich nahm mir den Schlauch und begann die gestern frisch eingepflanzten Setzlinge zu gießen.

„Guten Morgen, Patrick.“

Mein Kopf fuhr herum, denn ich hatte meine Chefin nicht kommen hören.

„Morgen Elfriede“, entgegnete ich gähnend und stellte fest, dass die Dusche nicht lange angehalten hatte.

„Zu spät ins Bett?“

„Nein ich habe nicht einschlafen können…“

„Weil ich dir das gestern erzählt habe?“, meinte Elfriede und war schon wieder dabei, in den Pflanzen zu wühlen.

„Vielleicht…“, antwortete ich und ging an den nächsten Tisch.

„Dann hätte ich dir das gar nicht sagen dürfen…?“

„Nein Elfriede, dass ist schon Recht gewesen, so weiß ich zumindest Bescheid.“

„Benimmst du dich jetzt Lukas anders gegenüber?“

Ich schaute auf die Pflanzen, die jetzt fast schon im Wasser zu ertrinken drohten und drehte das Wasser ab.

„Um ehrlich zu sein…, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“

Elfriede sagte nichts und setzte ihre Pflanze in einen neuen Topf. Ich dagegen hing mit dem Gedanken bei Lukas und rollte den Schlauch auf. Der Kuss damals war wirklich schön, nur das was danach folgte, tat unheimlich weh.

Lukas sah auch gut aus, seine wirren Haare die ihm halb ins Gesicht hingen und die braunen Augen fast verdeckten. Man was tat ich hier, ich träumte von einem Typen, den ich nicht leiden konnte.

„Patrick kannst du mir bitte einen neuen Sack Blumenerde auf den Tisch legen?“

„Ähm, ja mache ich dir sofort“, meinte ich und verließ das Gewächshaus.

Neben Elfriedes Haus war noch ein kleiner Verschlag, wo sie alle benötigten Erden oder andere Dinge aufbewahrte. Natürlich fiel mir erst vor der Tür ein, dass ich den Schlüssel vergessen hatte.

So lief ich zurück, durch den Blumenladen und holte mir den Schlüssel am Board.

„Habe den Schlüssel vergessen“, meinte ich zu Elfriede die kurz aufsah und dann lächelte.

„Dann nimm doch einen aus dem Laden.“

„Nein, den muss ich ja dann doch wieder auffüllen, ich hol gleich direkt einen aus dem Schuppen.“

„Oder so…“

Also wieder durch den Laden hinaus ins Freie. Ein Wagen bog auf das Grundstück, während ich mich zum Schuppen begab. Aufgeschlossen, betrat ich nun das Teil und suchte die gewünschte Blumenerde.

Draußen hörte ich einen Hund bellen. War sicher Kundschaft. Schließlich fand ich die Erde und schulterte den Sack. So beladen, verließ ich den Schuppen wieder und verschloss artig die Tür.

Vor dem Laden war niemand mehr zu sehen. So beschloss ich mit der Blumenerde den Seiteneingang am Gewächshaus zu nehmen, um damit nicht durch den Laden zu tapsen. Wenig später dort angekommen, lud ich den Sack auf dem Tisch ab und schnitt ihn gleich auf.

„Patrick, kommst du mal bitte?“

„Ja, Elfriede sofort, nur noch Hände waschen…“, rief ich zurück.

Eilig lief ich an das kleine Waschbecken und säuberte meine Hände, bevor ich den Laden betrat. Beim Hineingehen fiel mir auf, dass ich die Schürze noch nicht anhatte, was ich gleich nachholte.

Wieder ansehnlich, betrat ich den Laden. Dort fand ich Elfriede mit Frank vor.

„Hast du Lust auf eine Tasse Kaffee?“, fragte ich.

„Hallo Frank“, meinte ich und streckte meine Hand aus, „und gegen einen Kaffee habe ich nie etwas einzuwenden.

Frank lächelte mich an und schüttelte meine Hand.

„Patrick, wenn ich mich recht erinnere“, gab er von sich und ich nickte.

Plötzlich sah ich einen kleinen Schatten auf dem Boden herumflitzen.

„Bruno, bei Fuß!“, sagte Frank plötzlich und wenige Sekunden später tauchte der Gerufene auf.

Ein Beagle gesellte sich zu Frank. Ich musste lächeln, denn irgendwie sah der Hund völlig frech aus und das Gespräch mit Paps fiel mir wieder ein.

„Du bist früh“, meinte Elfriede zu Frank.

„Ja, ich wollte eigentlich später kommen, aber ich hatte gestern Ärger mit meinem Wagen und musste heute früh wieder in die Werkstatt. Der ist aber noch nicht fertig, so habe ich einen Leihwagen bekommen und soll in zwei Stunden wieder da sein.“

„Aber nicht bei meinem Bruder?“, fragte Elfriede.

„Doch“, grinste Frank und ich wurde hellhörig.

„Was ist den am Wagen?“, fragte ich unwissend gespielt, aber ahnend.

„Ach ich wollte nur neue Reifen drauf machen lassen und deren blöder Azubi lässt den Wagen herunter und hat das eine Rad nicht fest geschraubt. Das Ende vom Lied war, der Reifen rutschte ab und nun haben wir den Salat.“

„Das hört sich aber gar nicht gut an.“

„Na ja, da war ein freundlicher Mann, der versicherte mir, dass der Schaden sehr gering sei und alles wieder in Ordnung kommt.“

Mein Grinsen war Elfriede nicht entgangen.

„Der Mann hieß nicht zufällig Hersflor mit Nachname“, fragte sie.

„Jetzt wo du es sagst, ja! Sehr netter Mann muss ich sagen, ist mir gleich aufgefallen…“

Ich konnte nicht anders und musste kichern und Elfriede fing ebenfalls an zu grinsen.

„Habe ich etwas verpasst?“, fragte Frank verwundert.

„Nein“, meinte Elfriede, „der junge Mann neben dir heißt ebenso Hersflor, der Mann bei meinem Bruder ist sein Vater…“

Franks Gesicht wurde rot, was mich noch mehr kichern ließ. Bevor er aber versuchte sich in irgendeinem Blumentopf verschämt zu vergraben, ergriff ich einfach die Initiative.

„Mein Vater freut sich sicher über dieses Kompliment“, meinte ich weiterhin grinsend.

„Ähm… es tut mir Leid…, ich wusste nicht…“

„Frank, seit wann bist du auf einmal so schüchtern?“, warf Elfriede ihre Frage dazwischen.

Er zuckte mit den Schultern.

„Ich bin es anderes gewohnt von dir.“

Jetzt lächelte er verlegen.

„Wolltest du nicht ein Kaffee machen?“, fragte ich Elfriede.

„Schon in Arbeit“, meinte sie und verschwand in ihrem privaten Bereich.

Immer noch verlegen stand Frank unbeholfen vor mir.

„Dir macht das… ähm nichts aus…, dass ich auf Männer stehe. Das wirst du ja inzwischen gemerkt haben.“

Ich musste kichern.

„Nein sicherlich nicht“, beteuerte ich.

„Du sagst das so selbstbewusst.“

Mein Kichern hörte nicht auf. Aus reiner Verzweiflung, weil ich nicht wusste, was ich machen sollte, nahm ich einen Lappen und wischte über die saubere Theke. Sollte ich jetzt auch so ehrlich sein, er war es schließlich auch.

Ich atmete tief durch.

„Weißt du, was Elfriede gestern gesagt hatte, als du weg warst?“

„Woher sollte ich?“

„Sie meinte, du wärst zu alt für mich.“

Deutlich sah ich, wie es in Franks Kopf anfing zu arbeiten. Plötzlich fing er an zu lachen.

„Du auch?“

„Japp!“

„Und keine Probleme mit deinen Eltern?“

„Ich lebe mit meinem Vater alleine und nein, er hat keine Probleme mit mir.“

„Das ist schon viel wert.“

Ich nickte. Sollte ich auch von meinem Vater erzählen? Ich grübelte, während wie beide stumm bei einander standen. Nein, dass wollte ich doch lieber Paps überlassen…, wenn da vielleicht etwas zu Stande kommen würde.

Vielleicht sollte ich etwas nachhelfen.

„Und mein Vater gefällt dir also?“, fragte ich.

Wieder schoss Blut in Franks Gesicht.

 

„Hör mal… ähm… ja er gefällt mir…, aber bitte sag ihm das nicht.“

„Warum denn? Ist sicher interessant, wenn sich mal ein Mann für ihn interessiert.“

„Das glaube ich eher weniger…, habe da so meine Erfahrungen. Heten reagieren da oft ungehalten.“

„Da kennst du meinen Vater nicht, der ist recht aufgeschlossen.“

Darauf sagte Frank nun nichts, und als ob es Elfriede genau wüsste, nahte sie als Rettung.

„So meine Herren, der Kaffee ist fertig und wer will, der Kuchen ist frisch.“

„Wann hast du denn den gebacken?“, fragte ich.

„Heute morgen.“

„Aha.“

„Greift zu!“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, denn ich hatte ja eh noch nicht gefrühstückt.

*-*-*

Der Morgen war richtig schön. Kundschaft war zwar leider mager, aber so hatte ich mehr Zeit mich mit Frank zu unterhalten. Bruno saß zwischen meinen Beinen und ließ sich die ganze Zeit von mir kraulen.

Frank hatte ziemlich Pech gehabt in den letzen Monaten, war immer an den Falschen geraten. Er war schon soweit, es einfach mal eine Weile alleine zu versuchen. Er ging nicht mehr weg, außer mit Bruno spazieren.

Er lebte wieder im Haus seiner Eltern, einer eigenen Wohnung dort, ging seinem Beruf als Kraftfahrer nach, aber alles andere hielt sich in Grenzen. Umso mehr freute er sich, Elfriede wieder gefunden zu haben.

Plötzlich klingelte sein Handy. Er ging dran, sagte ein paar Mal ja und legte wieder auf.

„Das war dein Vater, mein Wagen ist fertig.“

„Dann solltest du ihn nicht warten lassen.“

Er grinste wieder.

„Elfriede, danke für Kaffee und Kuchen. Wir werden uns sicher bald wieder sehen.“

„Ja, wäre schön“, meinte Elfriede und begann abzuräumen.

Bruno sprang auf und lief zur Tür, als wüsste er, dass sie gehen würden.

„Grüß meinen Vater schön von mir.“

„Öhm, ja kann ich machen…“, meinte Frank und schüttelte meine Hand.

Dann war er schon verschwunden.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass du etwas vor hast?“, fragte Elfriede hinter mir.

„Was meinst du?“, fragte ich scheinheilig.

„Das weißt du ganz genau! Nur eins Patrick. Es ist vielleicht eine gute Idee, die zwei zusammen zubringen, das wird sich zeigen, aber pass auf, dass du nicht mit den Gefühlen der beiden spielst…“

„Das werde ich sicher nicht machen, ich will nur, dass mein Vater glücklich ist.“

„Na ja, du wirst es schon Recht machen! Da kommt ein Kunde denke ich, kümmerst du dich um ihn, ich räume schnell das Kaffeegeschirr weg.“

„Kann ich machen.“

*-*-*

Gegen Mittag fuhr plötzlich Paps Wagen aufs Gelände.

„Nanu, du bist aber früh.“

„Ja, da staunst du. Ich gebe aber auch zu, dass ich selbst überrascht hatte, dass Elfriedes Bruder mir den Mittag frei gegeben hat.“

„Netter Zug von ihm.“

„Finde ich auch!“

„Und? Viel zu tun?“

„Nein eher weniger.“

„Woran liegt es?“

„So wenig Kundschaft, aber ich weiß auch nicht wie man mehr Leute zu uns locken könnte.“

Paps sah sich um.

„Der Hof sieht doch jetzt einladend aus.“

„Ja, wenn man ihn befährt, aber dazu muss man erst Mal auf das Grundstück kommen.“

„Was heckt mein Sohnemann denn wieder aus?“

Ich schaute zur Hecke.

„Ich habe frei!“

„Das weiß ich und kommt mir gerade recht!“

Er grinste mich an.

„Hast du Elfriede denn schon gefragt?“

Ich schüttelte den Kopf. Eine viertel Stunde später standen wir zu dritt auf der Straße und schauten die Mannshohe Tujahecke an.

„Ihr meint wirklich, wir sollten die weg machen?“, fragte Elfriede noch einmal.

„Also ich kann Patrick nur beipflichten. Wenn man die Gärtnerei von außen besser sieht, könnten auch mehr Kundschaft kommen“, sagte Paps und legte seine Hand auf meine Schulter.

„Aber einen Zaun finde ich auch nicht schön“, warf Elfriede ein.

„Wie wäre es mit Beeten und Kübeln?“, schlug ich vor.

„Viel Arbeit“, meinte Paps.

„Sie aber sehr schön aus“, widersprach ich, „und würde sicher Kundschaft anlocken.

„Bist du dir sicher?“, fragte Elfriede.

„Ja!“, sagte ich einfach, obwohl ich mir überhaupt nicht sicher war.

„Und wohin mit den ganzen Tujas? Für unsere Fläche zufiel Abfall.“

Ich überlegte kurz.

„Ob Frank uns vielleicht helfen würde? Kommt auch darauf an, ob er seinen Lkw nutzen kann, aber mit dem wären wir alles mit einem Schlag los.“

„Gute Idee“, meinte Elfriede, „aber ich habe keine Telefonnummer von ihm… daran habe ich gar nicht gedacht, ihn zu fragen.

„Die hat Paps“, meinte ich und sah mit vergnügen wie er rot anlief.

„Öhm…, Frank… ähm Herr Niebsen…ja… notgedrungen… ich musste Herr Niebsen ja irgendwie verständigen, dass er seinen Wagen abholen konnte.“

„Dann werde ich mal meinen Bruder anrufen, der kann sie mir ja geben.“

„Elfriede, ich weiß dass mein Paps ein gutes Zahlengedächtnis hat und sicher die Nummer noch weiß.“

Elfriede sah mich durchdringend an und Paps Gesicht schattierte sich noch etwas dunkler.

„Kann ich sie dir irgendwo aufschreiben?“, fragte Paps verlegen.

Elfriede nickte.

„Komm einfach mit in den Laden“, meinte sie.

Dad folgte ihr.

*-*-*

„So schnell sieht man sich wieder“, meinte ich, als Frank von seinem Laster sprang.

„Hallo Patrick… stimmt! Du hast ja schon ganz schön ran geklotzt. Kann ich die alle schon aufladen?“

„Ja.

„Hallo Frank…“, hörte ich Elfriedes Stimme.

Ich drehte meinen Kopf und sah sie, dich gefolgt von Paps.

„Hallo Herr Niebsen…“, meinte er und schüttelte Frank die Hand.

„Ähm… ich bin mit ihrem Sohn auf Du und mit Elfriede auch…, wäre blöd… wenn wir weiter sie sagen…, oder. Ich bin Frank.“

Ich drehte mich weg, weil ich mein Kichern nicht mehr unterdrücken konnte. Was mein Vater dazu sagte, konnte ich nicht mehr hören, weil ich die Motorsäge bereits gestartet hatte. Als ich mich wieder zu ihnen herum drehte, waren sie bereits dabei, alles in den Lkw zu schmeißen.

Elfriede rückte mit Besen und Schaufel an. Sie tippte mich an und ich schaltete die Säge ab.

„Was ist denn?“

„Hast du dir schon Gedanken gemacht, wie wir die Wurzeln heraus bekommen… jede einzeln ausgraben?“

Oh, da hatte sie mich kalt erwischt. Darüber hatte ich mir wirklich noch keine Gedanken gemacht.

„Da kann ich vielleicht aushelfen. Mein Vater besitzt noch so einen kleinen Bagger“, mischte sich Frank ein.

„Beziehungen sind alles“, sagte Elfriede und zu mir, „hast du ein Glück.“

Sie begann hinter mir den Gehweg sauber zu machen.

„Ich würde vorschlagen, wir bringen das Grünzeug, dass wir schon aufgeladen haben zur Deponie und auf dem Rückweg holen wir den Bagger ab.“

Frank hatte dies zu Paps gesagt, der im nickend beipflichtete.

„Du kannst ja den Rest fertig sägen, wenn ich mit Frank unterwegs bin.“

„Kein Problem“, lächelte ich ihn an.

Er grinste zurück und lief zu Franks Lkw.

„Gut eingefädelt“, gab Elfriede von sich und kicherte.

„Habe ich nicht!“, beschwerte ich mich.

„So, so!“

*-*-*

„Morgen schauen wir, welche Pflanzen wir hier her machen können“, meinte Elfriede und schaute sich die Front ihres Grundstückes an.

Frank hatte auch daran gedacht, dass man die freien Flächen absperren sollte und wickelte gerade das letzte Stück rot weißes Band um den Stock, den Paps eben in die Erde gehämmert hatte.

„Sieht jetzt schon richtig gut aus.“

„He cool, da hinten steht ja ein Häuschen, dass ist mir noch gar nicht aufgefallen“, sagte Frank plötzlich.

„Das bewohnen wir“, meinte ich und zog meine Mütze ab.

„Ihr zwei?“

Paps nickte.

„Aha.“

„Was halten die Herren, wenn wir heute Abend gemeinsam etwas essen gehen, ich lade euch natürlich ein.“

Elfriede hatte gesprochen und natürlich wurde der Vorschlag angenommen.

„Ich habe meine Klamotten zwar dabei, aber ich müsste erst einmal den Lkw zurückbringen und duschen müsste ich auch noch.“

„Und was ist mit dem Bagger?“, fragte Elfriede.

„Der kann noch hier bleiben, wer weiß was der Junior noch für verrückte Einfälle hat.“

Alle fingen an zu lachen, nur ich wurde rot.

„Verrückt ja, aber gute Einfälle“, meinte Paps stolz und nahm mich von hinten in den Arm.

„Okay, dann bring ich den Lkw weg.“

„Duschen könntest du auch hier, dann kannst du dir den Weg nach Hause sparen.“

Diese Idee kam diesmal von Paps. Mein Blick wanderte zu Elfriede, die grinsend zum Laden zurück lief.

„Bloß keine Umstände.“

„Sind es nicht…, also bis gleich.“

Flirtete mein Vater gerade? Zwischen den zwei knisterte es heftig. Doch wusste ich immer noch nicht, ob Frank mittlerweile über Paps Bescheid wusste, zu hören war in ihren Gesprächen auf alle Fälle nicht.

„Ja, bis gleich…“, meinte Frank und lief zum Lkw.

„Dann sollten wir uns mal auch ausgehfein machen“, sagte Paps und zog mich Richtung Haus.

*-*-*

Es klopfte an der Haustür und nur in Shorts düste ich die Treppe hinunter. Da es nur Frank sein konnte, öffnete ich die Tür und wurde eines Besseren belehrt. Vor mir stand Lukas. Meiner Fastnackheit bewusst, trat ich etwas hinter die Tür.

„Wenn es Frank ist, das Bad ist dann frei“, hörte ich Paps von oben rufen.

„Nein ist er… noch nicht.“

„Hallo… ähm… hast du kurz… ähm Zeit“, stammelte Lukas.

Ich schaute kurz nach oben, wo Paps gerade nackt in sein Zimmer flitzte.

„Eigentlich nicht…, wir bekommen gleich Besuch und wollten dann essen gehen… um… was geht es denn?“

Ich war überrascht, dass ich weder gereizt noch irgendwie überspannt klang.

„Oh, entschuldige… es war ein blöde Idee herzukommen…“

Er drehte sich um und wollte loslaufen.

„Lukas…“

Er stoppte.

„Was ist los?“

Er stand immer noch von mir abgewandt.

„Ich… ich wollte…“, mehr kam nicht.

Ich trat hinter der Tür hervor, wohl bewusst, dass ich nur knappe Shorts anhatte. Lukas gab ein Geräusch von sich, das ich nicht genau definieren konnte.

„Wenn es dir nichts ausmacht…, könnten wir in mein Zimmer gehen…, muss nicht die ganze Nachbarschaft mit in Shorts sehen…“

Lukas drehte sich um. Seine Augen waren feucht und es liefen Tränen über seine Wangen. Wo war der fiese Kerl von vor drei Wochen, der mich vor der ganzen Truppe so blamiert hatte?

„Komm…!“, meinte ich und zog die Haustür weiter auf.

Zögernd lief er los und betrat unser Haus.

„Mein Zimmer ist oben rechts…“, meinte ich und schloss die Wohnungstür hinter ihm.

Langsam lief ich hinter ihm die Treppe hinauf und gerade als er in mein Zimmer bog, ging Paps Zimmertür auf.

„Wer war es… denn?“, fragte er und sah dann nur den Rücken von Lukas.

Er hob die Augenbraue und schaute mich durchdringend an. Ich formte meinen Mund und sagte still Lukas und hoffte Paps konnte von meinen Lippen ablesen.

„Aha…“, entfleuchte es Paps und verschwand wieder im Zimmer.

Ich hingegen lief Lukas nach und schloss meine Zimmertür.

„Setz dich doch…“, meinte ich und griff nach einem Shirt.

Bisher war Lukas stumm geblieben und setzte sich an den Rand meines Bettes. Ich schlüpfte in Rekordzeit in meine Jeans, Strümpfe an und zu guter Letzt noch die Turnschuhe.

„So und jetzt sage mir bitte, was du von mir willst. Du weißt sicher, ich bin der, den du vor ein paar Wochen…“

Weiter sprach ich nicht, denn ich hatte das Gefühl, die Tränen aus Lukas Augen wurden stärker. Ich ließ mich auf meinen Stuhl am Schreibtisch fallen und sah ihn weiter an.

„… es… tut mir… so Leid“, konnte ich Lukas weinerliche Stimme hören.

Etwas spät, dachte ich, sagte es aber nicht laut. Ich spürte aber plötzlich eine Kraft in mir, die mich über der ganzen Sache stehen ließ. Ich kannte nun Lukas Geschichte und irgendetwas Seltsames ging in mir vor.

Beschreiben konnte ich es nicht, aber ich kam mir plötzlich so überlegen vor. Vor mir saß ein Häufchen Elend, dass mit aller Kraft nach Worten suchte. Mir war mittlerweile klar, dass Lukas sich bei mir entschuldigen wollte, aber warum, die Frage stand weiterhin im Raum.

„Weißt du Lukas…, es mag sein, dass dir das Leid tut, aber ändern kann man es nicht mehr…“

Er nickte, sah aber nicht auf.

Mir fielen die Worte von Elfriede ein.

„Du hast mit meinen Gefühlen gespielt…“

Er schaute auf.

„Du… du hast etwas für mich empfunden?“

Draußen hörte ich Gepolter. Paps rannte die Treppe hinunter, anscheinend war Frank gekommen.

Mein Blick wanderte wieder von der Tür zu Lukas. Meine Augen verengten sich etwas.

„Glaubst du ich küsse dich einfach ohne Grund?

„Dir war das… ernst…?“

Ich nickte.

„Scheiße…“, entfleuchte es ihm und sein Tränen kullerten wieder ungehindert.

„Ich weiß nicht wie du darauf kommst, dass ich aus Spaß an der Freude einfach mit jemand herum knutsche, womöglich noch zur Belustigung der anderen.“

Lukas stand auf und rannte aus dem Zimmer. Draußen im Treppenhaus war Gebell zu hören und wenig später stand plötzlich Bruno vor mir, der freudig an mir hoch sprang. Langsam erhob ich mich und lief in den Flur.

Dort fand ich einen Frank und Paps auf der Treppe, die beide zur offenen Haustür starrten.

„Was war das?“, fragte Frank und drehte sich nun in meine Richtung.

„Öhm… Lukas.“

„Der Lukas?“

„Ja, der Lukas.“

„Aha.“

*-*-*

Ich stocherte lustlos in meinem Essen herum.

„Patrick komm, nimm es doch nicht so schwer.“

Paps hatte gut reden. Ich fühlte mich beschissen und wusste nicht mal warum.

„Lass doch den Jungen in Ruhe“, meinte Frank.

Ich schaute auf. Paps und Elfriede sahen Frank verwundert an.

„Was denn?“, sagte Frank, „unser einer hat es doch schon schwer, wie soll dann ein Siebzehnjähriger mit diesen Problemen herum schlagen.“

Unser einer…, hatte ich da etwas verpasst?

„Das ist wohl doch etwas anders“, widersprach Paps.

„Ist es nicht. Die Jungs haben dieselben Gefühle und Wünsche wie wir, sind aber um einiges jünger als wir. Wie sollen die denn da bitte schön damit zu Recht kommen, wenn sie nicht die nötige Lebenserfahrung haben?“

Wir…, da hat wohl ein Gespräch stattgefunden, über das ich nicht Bescheid wusste. Paps schob ein weiteres Stückfleisch in den Mund.

„Klar kann man euch alten Stoffel nicht mit den Jungs vergleichen!“, warf Elfriede ein.

Ich konnte nicht anders und fing laut an zu lachen, so dass die anderen Gäste sich nach uns herum drehten.

„Sorry“, meinte ich und versuchte mich zu beherrschen, was mir aber nicht so recht gelang.

„Zumindest kann er wieder lachen“, meinte Elfriede trocken und trank ein Schluck aus ihrem Bierglas, während mich die Herren verwirrt anschauten.

„Läuft da etwas zwischen euch, dass ich wissen sollte?“, fragte ich hinter meinem Glas versteckt.

Paps verschluckte sich an dem Fleischstück, dass er gerade seinen Mund zugeführt hatte. Er begann fürchterlich an zu husten, was bei mir einen neuen Lachanfall auslöste. Frank klopfte ihm kräftig auf den Rücken, so dass Elfriede nun auch lachen musste.

„Vergesst nicht, die Kids sind nicht blöd“, meinte sie und tupfte mit ihrer Serviette den Mund ab.

„Ähm… habe ich nie gesagt“, meinte Paps und trank einen kräftigen Schluck Bier.

„Wenn bei euch beiden etwas am laufen ist, solltet ihr dem Jungen das sagen, er hat genug mit sich selbst zu tun und braucht turtelndes Versteckspiel nicht.“

Das waren klare Worte von Elfriede und es wurde auch weiter nichts dazu gesagt.

*-*-*

Still war ich neben Elfriede hergelaufen, während Frank und Paps sich die ganze Zeit angeregt unterhielten. Mir gefiel es irgendwie, Paps so lustig zu sehen, hatte er doch in den letzten Monaten nicht gerade fiel zu lachen.

„Du bist so still“, riss mich Elfriede aus den Gedanken.

„Ach ich weiß auch nicht.“

„Wegen Lukas?“

„… ja“, seufzte ich.

„Lass ihm Zeit.“

„Warum sollte ich ihm Zeit lassen, ich möchte nichts von ihm.“

„Bist du sicher?“

Ich atmete tief aus. Die Fragen aller Fragen. War ich mir sicher, über das, was ich da sagte? War da mehr…, fühlte ich doch mehr für Lukas?

„Du hast vorhin dass mit dem Kuss erzählt und dass du nicht einfach so jemanden küsst, also muss da ja schon etwas mehr gewesen sein, sonst hätte dich die Blamage auch nicht so übel mitgenommen und würde dich nicht noch immer beschäftigen.“

Elfriede hatte Recht. Ich fühlte etwas für Lukas, sonst wäre ich nicht so enttäuscht von ihm.

„Werde dir deiner Gefühle bewusst. Entweder du lässt los, oder dein Zustand wird sich nie bessern.“

Ich blieb stehen.

„Ich weiß du bist viel älter als ich und es heißt ja immer, ihr habt viel mehr Erfahrung als wir. Hast du schon mal etwas Ähnliches erlebt?“

„Hundert Punkte…, ja so etwas habe ich in der Tat schon erlebt.“

Ich lief weiter.

„Mach nicht denselben Fehler wie ich damals. Zu lange habe ich darunter gelitten.“

„Bist du deswegen heute alleine?“, fragte ich leise.

„Ja“, hauchte sie leise und ich spürte die Traurigkeit in ihrer Stimme.

„Soll ich alles vergessen und tun als wäre nie etwas passiert.“

„Das habe ich nicht gesagt!“, meinte Elfriede wieder mit gewohnter fester Stimme.

Wieder blieb ich stehen.

„Es tut mir Leid, Elfriede, aber ich weiß wirklich nicht, wie ich mich verhalten soll.“

„Mit Lukas darüber reden…“

„Hat das einen Sinn, ich meine, wer sagt mir, dass er dies nicht noch einmal durchzieht.“

„Bist du sicher, dass er das noch einmal machen würde?“

„Nein.“

Elfriede lief weiter und ich folgte ihr.

„Hast du dich in den letzten Tagen nicht gefragt, warum Lukas sich so sonderbar dir gegenüber benimmt?“

„Doch schon…“

„Aber?“

„Ich weiß es einfach nicht…, ich verstehe Lukas nicht.“

„Ich wusste nicht, dass du schlecht siehst.“

„Hä?“

„Du hast schon verstanden?“

„Ich sehe sehr gut!“

„Patrick, bist du so blöd, oder tust du nur so.“

Wieder war ich stehen geblieben und sah Elfriede schockiert an. Sie drehte sich zu mir.

„Ist dir vielleicht schon einmal der Gedanke gekommen, dass was Lukas mit dir abgezogen hat, gar nicht gespielt war und wie bei seinem Vater sich einfach schämte, etwas preiszugeben, dass niemand wissen soll?“

„Du meinst…?“

„Ich meine gar nichts, höchstens, dass es dringlich wäre, dass ihr beide euch aussprecht.“

„He, was ist mit euch los… so müde, dass ihr Pause machen müsst?“, rief Paps und unterbrach damit unsere Unterhaltung.

„Denk in Ruhe darüber nach“, meinte Elfriede noch, bevor wir die beiden eingeholt hatten.

*-*-*

Nach einer viel zu kurzen unruhigen Nacht stand ich wieder in Elfriedes Laden. Ich band für eine Kundin einen Rosenstrauß zusammen und wickelte ihn in Klarsichtfolie. Die Tür zum Laden öffnete sich und ich konnte Frau Kallos aus dem Blickwinkel heraus erkennen.

Sie lief direkt zu Elfriede, die gerade neue Blumen in den Eimern verteilte. Ich konnte nicht verstehen, was die beiden sprachen, dazu redeten sie zu leise.

„Das macht 17,95“, meinte ich zur Kundin und legte den Strauß vorsichtig auf die Theke.

Die Dame gab mir einen zwanzig Euroschein.

„Elfriede… ähm Kasse…“, sagte ich.

„Patrick, kassier du“, meinte sie, was mich verwunderte.

Ich öffnete die Kasse holte das Wechselgeld heraus und gab es der Dame. Die bedankte sich und verließ den Laden. Ich räumte gleich meine Blumenreste zur Seite, bevor neue Kundschaft kam.

„Patrick.“

Ich drehte mich zu Elfriede.

„Ja…?“

„Hier…“, meinte Elfriede und hielt mir ein Brief entgegen.

Erst jetzt sah ich, dass Frau Kallos Tränen in den Augen hatte.

„Ist etwas passiert?“

„Lies selbst.“

Ich nahm den Brief und öffnete ihn.

Lieber Patrick,

es tut mir Leid, was ich gemacht habe, du weißt gar nicht wie

sehr. Ich weiß nicht, was ich machen soll, ich kann nur immer

Entschuldigung sagen.

Aber auch das ist nicht genug was ich dir angetan habe. Die

Idee, dich auf das Glatteis zuführen stammte zwar nicht von

mir, aber ich fand sie lustig.

Darüber nach gedacht, dass ich deine Gefühle verletzten

könnte habe ich nicht. Das wurde mir erst bewusst, als du es

mir ins Gesicht gesagt hast.

Ich würde das gerne ungeschehen machen, aber weiß auch, dass

du mir sicher nie verzeihen wirst. Deshalb habe ich beschlossen

einfach zu gehen…

Bitte was…? Geschockt sah ich Elfriede und Frau Kallos an.

 Wenn du diesen Brief liest, werde ich nicht mehr sein. Es gibt noch

viele andere Dinge, von denen du nichts weißt, die ich einfach nicht

mehr ertrage .Glaube mir das ist das Beste so für alle.

Ich will niemand zu Last fallen und ich will auch für niemand

peinlich sein. Eines wollte ich dir aber noch sagen…, auch wenn du

es mir nicht glauben wirst. Du bist mir sehr wichtig!

Lebe Wohl!

 Lukas

Fassungslos schaute ich die beiden an.

„Wir haben ihn zwischen den Abfallbehältern gefunden“, sprach Frau Kallos leise.

Mein Herz klopfte bis in meinen Kopf, mir wurde übel.

„Er… er… ist…tot?“

*-*-*

„Gunnar endlich, seit einer Stunde sitzt der Junge so da und sagt kein Wort mehr.“

Elfriede hatte Recht. Seit ich den Brief gelesen hatte, saß ich da und war zu keiner Regung mehr fähig. In meinem Kopf verschwamm alles, ich wusste nicht mehr was real war, oder Einbildung. Nun tauchte auch noch mein Vater in meinem Blickfeld auf.

„Patrick, was machst denn du für Sachen?“

Meine Augen brannten vom Weinen und mein Blick wanderte auf Lukas Abschiedsbrief. Paps nahm ihn mir ab und lass die Zeilen, die ich jetzt schon fast auswendig konnte.

„Oh mein Gott, der arme Junge.“

„Gertrude hat mich angerufen“, hörte ich Elfriede erzählen, „er ist so weit stabil. Sie mussten ihm den Magen auspumpen. Die Schlaftabletten hatten Gott sei noch nicht ihre volle Wirkung entfaltet.“

„Schlaftabletten…?“

„Ja.“

„Wo hatte er die denn her, an so was kommt man doch nicht so einfach.“

„Man denkt von seinem Vater.“

„Und was ist mit dem?“

„Der sitzt in der Ausnüchterungszelle. Als die Polizei bei ihm war, um das mit seinem Sohn zu erzählen, begann er auf die Beamten einzuschlagen.“

Paps schüttelte den Kopf.

„Meinst du, es bringt etwas, wenn wir ins Krankenhaus fahren?“, fragte Paps und ich schaute auf.

„Ich weiß es nicht. Lukas soll zumindest nicht auf der Intensivstation liegen. Aber eigentlich dürfen ja nur enge Verwandte ihn besuchen“, antwortete Elfriede.

Paps ging vor mir auf die Knie.

„Patrick…, ich weiß du empfindest mehr für Lukas, als du dir selbst eingestehen willst, sonst würde dich das alles nicht so mitnehmen…“

Er griff nach meiner Hand und streichelte sie.

„Er… er hat sich… wegen mir… umbringen…“

Weiter kam ich nicht. Mein Stimme versagte und ich begann wieder hemmungslos an zu weinen. Paps nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich.

„Patrick, dass darfst du nicht denken…, bitte… das ist falsch!“, hörte ich ihn sagen.

„Ich denke, die Umstände, in denen Lukas in der ganzen letzten Zeit leben musste, es vor den anderen zu verstecken, dann die Sache mit dir…, dass ist zu viel für ihn gewesen.“

Ich drückte mich von Paps weg.

„Du… du sagst es doch selber… die Sache mit mir… ich bin Schuld“, sagte ich mit trotziger, weinerlicher Stimme.

„Patrick, dass ist gequirlte Scheiße die du da redest. DU hast keine SCHULD! Lukas hat einfach den Halt verloren und hatte auch niemand zu dem er gehen konnte. Das hat nichts mit dir zu tun.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Elfriede ich fahre mit dem Jungen ins Krankenhaus, mir ist das ganze nicht geheuer. Patrick ist total weiß um die Nase.“

„Das wäre vielleicht besser. Ich kann für dich Josef anrufen und ihm Bescheid geben, das du ins Krankenhaus fährst.“

„Das wäre lieb…, danke Elfriede.“

„Nichts zu danken… und dann mal los mit euch.“

„Öhm…, könntest du auch Frank anrufen… der wollte heute Abend vorbei schauen…“

Elfriede lächelte Paps an.

„Auch das mache ich gerne für dich.“

*-*-*

Mir war kalt. Zitternd stand ich neben Paps, der gerade mit einer Schwester redete.

„Da müssten sie in die ambulante Behandlung, Herr Hersflor. In dieser Station wird nicht ambulant behandelt.“

„Es steht aber im direkten Zusammenhang mit dem heut morgen eingelieferten Lukas Heger, der hier auf ihrer Station liegt, deshalb würde ich gerne den behandelten Arzt sprechen.“

„Ich muss erst mit dem Arzt sprechen, nehmen sie bitte da drüben einen Moment Platz.“

„Danke“, meinte Paps und die Schwester ließ uns alleine im Flur stehen.

„Komm Patrick, setzten wir uns dahin“, meinte Paps und schob mich sanft Richtung Stühle.

Er streichelte mir durch die Haare und setzte sich neben mich. Ich ließ mich einfach in seinen Arm sinken und starrte ins Leere.

„Du bist ganz kalt… und zitterst…Frierst du?“

Ich nickte leicht. Paps zog seine Jacke aus und legte sie um mich. Ich hörte, wie die Tür zur Station aufgestoßen wurde und schaute auf. Es war aber nicht die Schwester, sondern Frank.

„Hallo ihr beiden, Elfriede hat mich angerufen… dass ist ja schrecklich.“

„Hallo Frank… du hättest doch nicht kommen brauchen…“

Frank setzte sich neben Paps.

„Doch…, die Aufträge kann ich noch morgen erledigen. Mir war das jetzt wichtiger. Und wie hat es Patrick aufgenommen?“

„Siehst du ja. Er ist total benommen und gibt sich auch noch die Schuld daran.“

„Och Patrick, du bist nicht Schuld“, hörte ich Frank sagen.

„Das erzähle ich ihm schon die ganze Zeit. Hier, das hat Lukas an Patrick geschrieben.“

Paps gab Lukas Abschiedsbrief an Frank.

„Oh man…“ kam es von Frank.

Die Tür ging wieder auf und dieses Mal war es die Stationsschwester gefolgt von einem Arzt.

„Guten Tag…, sie sind Herr…?“

„Hersflor“, sagte Paps.

„Schwester Inge hat es ihnen sicher schon gesagt, normalerweise müssten sie sich unten in der Ambulanz melden, aber jetzt wo sie schon da sind und ich etwas mehr darüber weiß, mache ich eine Ausnahme.“

„Danke.“

„Ist das der junge Mann.“

„Ja, mein Sohn Patrick.“

Ich bekam alles um mich herum mit, aber doch kam es mir vor, als wäre alles weit weg. Wie eine Nebelwand, die mich umgibt und Stimmen und Bilder nur als Traumgebilde zu mir durchließ-

„Er sieht nicht gut aus…“, sagte der Arzt.

„Ihn hat das sehr mitgenommen.“

Ich hörte, wie der Arzt tief durchatmete.

„Herr Hersflor…, ich würde mir ihren Sohn gerne erst anschauen, hätten sie etwas dagegen?“

Paps schüttelte den Kopf.

„Schwester Inge…, ist hier irgendein Zimmer frei?“

„Nur das Zimmer von Lukas, der liegt alleine.“

Der Arzt blies Luft aus.

„Na ja, wird zur Not auch gehen. Herr Hersflor… um ehrlich zu sein, ihr Sohn gefällt mir überhaupt nicht. Ich habe ihn zwar noch nicht untersucht, aber so wie ich das jetzt sehe, steht ihr Sohn unter Schock.“

„So etwas habe ich mir leider schon gedacht“, meinte Paps leise.

„Schwester Inge, mache sie bitte das Bett für Patrick fertig… Herr Hersflor, könnte ich kurz unter vier Augen mit ihnen reden.“

„Äh…, ja natürlich.“

„Geh ruhig“, meinte Frank, „ich bleibe bei Patrick sitzen.“

„Das ist lieb von dir.“

Ich spürte, wie ich von einem Arm in den nächsten wanderte. Paps war auf gestanden und lief ein paar Schritte mit dem Arzt zur Seite. Hören konnte ich nicht, was sie sagten, sie standen einfach zu weit weg.

Frank streichelte mir die ganze Zeit über den Kopf. Meine Gedanken kreisten um Lukas. Ich wäre ihm wichtig… Warum hatte er das geschrieben? Meine Augen wurden wieder feucht, mein Blick trübte sich.

„Dann wird mir einiges klar. Okay Her Hersflor. Wir werden Patrick stationär aufnehmen. Schwester Inge wird mit ihnen alles Formale machen, während ich mir ihren Sohn anschaue.“

Ich wurde hochgezogen und in ein Zimmer geführt. Ich blieb abrupt stehen, als ich da Lukas liegen sah. Ein Schlauch steckte in seinem Arm und neben ihm standen Kästen die piepten und blinkten.

„Lukas“, meinte ich weinerlich.

„Schhhh“, hörte ich Franks Stimme, der mich weiter in den Raum führte.

Auf dem Bett neben Lukas setzte er mich ab. Er zog meine Schuhe aus und drückte mich aufs Bett. Die ganze Zeit sah ich zu Lukas, der aber nicht reagierte. Die Tür ging auf und Schwester Inge kam herein.

„Könnten sie kurz draußen warten, bis der Arzt ihn untersucht hat?“, fragte sie.

„Kein Problem“, meinte Frank.

Aber ich hielt sein Hand fest, klammerte mich regelrecht an sie. In mir stieg Angst auch, aber ich wusste nicht mal warum.

„Patrick, ich bin draußen vor der Tür und dein Dad kommt auch gleich wieder.“

Mich verließ die Kraft und Franks Hand glitt mir aus meiner.

„Kopf hoch, das wird wieder, okay?“

Er streichelte mir durchs Haar und verließ dann das Zimmer. Schwester Inge nahm meine Hand und schaute auf ihre Uhr, als die Tür erneut aufging und der Arzt von eben herein kam. Die Schwester sagte etwas zu ihm, was ich aber nicht richtig verstand.

Mein Blick wanderte wieder zu Lukas, der leblos auf dem Bett lag. Lediglich sein Brustkorb hob und senkte sich langsam.

„Keine Sorge, der wird wieder“, hörte ich den Arzt sagen, der meinem Blick gefolgt war, „Lukas muss seinen Rausch ausschlafen…“

Rausch?

„Rausch?“

Meine Stimme war wieder da, leise, aber ich konnte etwas sagen.

„Ja, er hat die Tabletten wohl mit Alkohol genommen. Aber jetzt erst mal zu dir. Ist dir immer noch kalt?“

Ich nickte. Er fingerte an mir herum, schaute in meine Augen, nahm ebenfalls meine Hand und schaute auf seine Uhr.

„Schwester Inge, können sie mir eine Spritze mit Sedativum ziehen?“

Die Schwester verließ den Raum.

„Was ist das?“, fragte ich unruhig.

„Ein Beruhigungsmittel. Ich finde, du solltest dich etwas schlafen… okay?“

Ich nickte.

*-*-*

Ich hörte Geräusche, konnte sie aber nicht zuordnen. Auf einmal war alles wieder da. Lukas.., das Krankenhaus. Ich öffnete die Augen und sah eine Schwester. Sei hantierte an Lukas herum, genau sehen konnte ich es aber nicht, da sie mit dem Rücken zu mir stand und ihn verdeckte.

„So fertig“, meinte sie und gab die Sicht zu Lukas frei.

„Falls die Kopfschmerzen zu stark werden, dann gib mir bitte Bescheid.“

Lukas nickte. Er war wach.

Ich wollte Lukas sagen, aber meine Stimme versagte. Es kam nur Gekrächze heraus.

„Oh, du bist wieder wach. Und wie fühlen wir uns?“

Lukas Kopf wandte sich leicht zu mir und unsere Blicke trafen sich. Währenddessen nahm auch diese Schwester meine Hand. Lukas Blick war traurig und er schaute wieder weg.

„Dein Puls ist normal. Dann werde ich mal den Arzt rufen.“

Sie verließ den Raum und ich war mit Lukas alleine. Er starrte gegen die Decke, als würde er mich nicht wahrnehmen. Mit ihm gesprochen hätte ich gerne, aber meine Stimme war weg und ich wusste sowieso nicht, was ich sagen sollte.

Er hatte sich versucht das Leben zu nehmen, was soll man darauf schon sagen? Alles wird wieder gut oder schlimmer wird’s nicht mehr? Meine Körperfunktionen kamen mir verlangsamt vor, was sich zeigte, als ich mir mit der Hand über das Gesicht streichen wollte.

Die Hand kam nur zögernd in Bewegung. Ich atmete tief durch und mein Blick wanderte wieder zu Lukas, der immer noch an die Decke starrte. Ich kam mir irgendwie blöd vor. Eigentlich hätte mir das alles egal sein müssen.

Der Brief von Lukas änderte das alles. Vor allem, dass er mir einen Brief geschrieben hatte und jetzt lag ich halb betäubt hier im Krankenhaus neben ihm und wusste nicht, was ich machen sollte.

Die Tür ging auf und ein junger Mann kam dicht gefolgt von der Schwester herein.

„Wäre es möglich, dass ich mit den Jungs erst einmal alleine rede, Schwester Christa.“

„Kein Problem, Doktor Schwenk. Rufen sie einfach, wenn sie mich brauchen.“

„Danke.“

Die Schwester ging und schloss hinter sich die Tür. Dieser Doktor nahm einen Stuhl und setzte sich genau zwischen unsere Betten.

„So meine Herren. Ich bin Doktor Julian Schwenk und der Psychologe in diesem Haus. Ich bin im Grobschnitt über alles informiert worden, würde aber jetzt gerne von euch hören was passiert ist. Ich darf doch du sagen oder?“

Ich nickte. Etwas jung dachte ich. Er sah erst Lukas dann mich an. Lukas traurige Augen wanderten ebenfalls zu mir. Ich wollte etwas sagen, aber meine Stimme war noch immer durch ein fürchterliches Krächzen belegt.

Hilflos sah ich zu Lukas, der tief durchatmete und seinen Kopf ins Kissen fallen ließ.

„Ich werde die nächsten drei Stunden nicht gebraucht, also habt ihr alle Zeit der Welt. Aber vielleicht sollte ihr euch mir erst mal vorstellen, ihr wisst ja nun, wer ich bin“, fügte dieser Doktor Schwenk noch an.

„Ich bin Lukas…“, hörte ich meinen Bettnachbar sagen.

„Dann bist du, der keine Stimme hat, wohl Patrick?“

Ich nickte.

„Ihr zwei seit in derselben Klasse?“

Wieder nickte ich.

„Leider…“, kam es leise von Lukas.

„Wieso leider?“, fragte Doktor Schwenk.

Lukas antwortete nicht.

„Ich weiß es muss einiges bei dir schief gelaufen sein Lukas, genaue Hintergründe kenne ich aber nicht, die musst schon du liefern.“

„Was…, was hat das jetzt noch für einen Sinn?“, fragte Lukas.

Der Doktor beugte sich weiter vor und stützte die Arme auf seinen Knien ab.

„Lukas… mal vorneweg. Du hast einen Selbstmordversuch unternommen. Die reguläre Behandlung sieht vor, dass du erst einmal wieder gesund wirst. Doch dann wirst du noch nicht entlassen.“

Entsetzt sah Lukas zu Doktor Schwenk.

„Dann wirst du in die psychiatrische Abteilung verlegt…“

„Wie… so?“

„Lukas, du wolltest deinem Leben ein Ende setzten. Meinst du wirklich, du wirst, wenn du körperlich wieder gesund bist, einfach entlassen?“

Bei dieser Frage hob Doktor Schwenk beide Augenbraun an, während Lukas ihn weiterhin fassungslos ansah.

„Wie gesagt, ich bin über deine Lage informiert, möchte es aber gerne von dir hören und weil ein Teil deiner Geschichte mit Patrick zu tun hat, möchte ich auch, dass du ehrlich zu ihm bist.“

Der Doktor sah kurz mich an und lächelte, obwohl ich an dieser Situation nicht zum Lächeln finden konnte.

„Ich weiß nicht…, wo ich… anfangen soll.“

„Schämst du dich vor Patrick?“

Er sah kurz zu mir und nickte leicht. Wie gerne hätte ich gesagt, dass er sich nicht schämen brauchte, ich wusste doch mittlerweile was vorgefallen war. Aber außer einem Husten brachte ich nichts hervor.

„Versuch doch einfach von Anfang an, als deine Probleme begannen…“

Wieder ließ Lukas seinen Kopf ins Kissen fallen, rieb sich durch das Gesicht.

„Begonnen hat alles, als meine Mutter abgehauen ist. Mein Vater und sie haben sich nur noch gestritten.“

„Warst du bei den Streits anwesend?“

Lukas schüttelte den Kopf.

„Ich versuchte immer…, ich bin dann einfach aus der Wohnung, wenn es möglich war… oder habe mich in mein Zimmer verkrochen…“

„Und dann?“

Die Streits wurden immer schlimmer und dann… eines Tages, als ich von der Schule kam, war meine Mutter weg…, die Schränke leer…, nichts von ihren Sachen war mehr da.“

„Was hast du dann gemacht?“

„Meinen Vater angerufen.“

Diesmal fragte der Doktor nichts und ich schaute wieder zu Lukas.

„… doch der wollte davon nichts wissen…, er braucht sie nicht und hat einfach aufgelegt.“

„Hattet ihr finanzielle Schwierigkeiten?“

„Nein…, meine Eltern haben beide sehr gut verdient.“

„Was geschah dann?“

„An dem Abend kam mein Vater zum ersten Mal betrunken nach Hause. Er…“, Lukas brach ab und seine Augen füllten sich mit Tränen.

„…er… er schrie herum, schmiss Sachen durch die Gegend und… und schlug mich.“

Entsetzt schaute ich zu Lukas. Davon hatte Elfriede nichts erzählt, das war mir neu.

„In der folgenden Zeit öfter?“

Lukas nickte.

„Was ist dann passiert?“

Lukas atmete tief durch, wischte sich die Tränen aus den Augen und setzte sich auf.

„Er hat… seinen Job verloren. Der Alkohol… er kam morgens nicht aus dem Bett… ist wohl nicht arbeiten gegangen…, denn ich habe die Kündigung im Briefkasten gefunden, wegen unentschuldigendem Fehlens am Arbeitsplatz.“

„…ich… hust… habe das… hust… nicht gewusst…“, bekam ich plötzlich heraus.

Meine Stimme kam zurück. Doktor Schwenk legte seine Hand auf meine und schüttelte leicht den Kopf. Ich verstand, ich sollte ruhig sein.

„Hast du je den Grund für die Streitereien deiner Eltern erfahren?“

Lukas nickte, wirkte aber nun leicht abwesend. Wartend schaute Doktor Schwenk auf ihn.

„Ich… bin schuld.“

„Wieso?“, fragten der Doktor und ich gleichzeitig.

Lukas hob den Kopf und schaute jeden von uns beiden an.

„Ich habe den beiden etwas… über mich erzählt…“, sprach Lukas leise und senkte den Kopf.

Wieder entstand eine kleine Pause.

„Ich… ich bin schwul…“

Mit großen Augen starrte ich Lukas an. Schwul? Er?

„Und was war daran so schlimm?“, fragte Doktor Schwenk unbeeindruckt weiter.

Lukas blies scharf Luft aus.

„Mein Vater meinte ich wäre krank…, ich müsse zum Arzt, das muss geheilt werden. Meine Mutter dagegen ergriff Partei für mich, dann haben sie sich in die Wolle gekriegt“

„Sie haben sich immer wegen dir gestritten?“, kam es vom Doktor.

„Anfangs ja…, dann aber wurde ich zur Nebensache und sie zählten sich vorwährend ihre Fehler auf.“

„Bis eure Mutter euch verließ.“

Wieder nickte Lukas.

„So. Den einen Teil der Geschichte kenne ich nun…“, meinte der Doktor.

Machten die das immer so, ich kam mir vor, wie als würde irgendwo eine Kamera versteckt sein und gleich kommt jemand die Tür herein und sagt dass alles nur Spaß wäre. Aber Lukas Tränen auf den Wangen sagten mir das Gegenteil. Die waren echt.

Lukas war schwul. Ich konnte das nicht richtig fassen. Ich habe nie etwas gemerkt und nach dem Ding auf der Party sowieso nicht. Da war er für mich ein absolutes Heteroarschloch. Der Doktor schwieg und sah Lukas die ganze Zeit dabei an.

„Mein… Vater hat das Haus dann verkauft…, es war kein Geld mehr da… und wir sind dann in die Niederreuter Siedlung gezogen“, erzählte Lukas plötzlich einfach weiter.“

Harter Abstieg von der Bondorfer Wiese in die Niederreuter Siedlung…, da waren Welten dazwischen.

„Da mir mein Vater kein Taschengeld mehr gab, jobte ich in einer Bäckerei, damit die in der Schule nichts merkten und ich weiterhin Geld hatte.“

„Warum hast du es niemandem gesagt?“, fragte der Doktor.

Lukas sah mich flehend an und dann senkte er wieder seinen Kopf und starrte auf die Bettdecke.

„Ich… ich habe mich… so geschämt…“, flüsterte er sehr leise.

„Gab es niemand…, mit dem du reden konntest?“

Lukas schüttelte den Kopf, sah aber dann zu mir.

„… habe mich nicht… getraut.“

„Hat dich dein Vater weiterhin geschlagen?“

Mein Bettnachbar senkte den Kopf wieder und nickte fast nicht sichtbar. Lukas wurde die ganze Zeit geschlagen? Ich fasste das nicht. Nie hat jemand etwas gemerkt und gesagt hat er auch niemandem etwas.

Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. Es tat weh, Lukas da so zusammengekauert sitzen zu sehen. Doktor Schenk beugte sich wieder nach vorne.

„Keine Sorge, dein Vater wird dir nichts mehr tun…, dafür sorge ich.“

„Aber…, er ist mein Vater.“

„Ein Vater der dich schlägt!“

Lukas fing an zu weinen, Verschränkte seine Arme auf den Knie und vergrub sein Gesicht darin.

*-*-*

Der Doktor hatte das Gespräch unterbrochen und ließ uns für kurze Zeit alleine. Ich kam mir zwar noch total schwammig vor, aber versuchte dennoch aus dem Bett zu steigen. Vorsichtig schwankte ich zu Lukas Bett und ließ mich neben ihm fallen.

Erschrocken schaute Lukas auf und ich konnte ihm genau in die Augen sehen, die jetzt dick geschwollen waren und heftig rot.

„Ähm Lukas…, es tut mir Leid…, ich wusste das nicht… ich… ich möchte dich gerne verstehen… Du sagst du bist schwul und… und ziehst dann so eine Nummer ab… dann kommt… dein Brief… da steht drin… ich bedeute dir viel… Wie passt das… zusammen?“

Lukas atmete tief durch und fuhr mit den Fingern durch seine Augen.

„Du…, du warst der einzige… Normale…“, bekam ich als Antwort.

Fragend schaute ich ihn an.

„Dir war mein Geld egal, für dich war ich eben Lukas“, meinte er mit weinerlicher Stimme.

„Die anderen sind nur bei mir gewesen, weil ich immer etwas springen ließ. Doch dir war das anscheinend egal.“

„Und der Kuss?“, fragte ich.

Er senkte den Kopf, doch ich griff zu ihm und zog sein Gesicht am Kinn sanft nach oben.

„Ich weiß, es war eine blöde Idee die Wette einzugehen…, aber… ich sah das Geld… ich hatte nichts mehr. Mein Vater hat alles versoffen, der Kühlschrank war leer… was sollte ich tun?“

Dicke Tränen rannen über seine Wangen und mir ging es genauso.

„Nur wegen dem Geld?“, fragte ich.

Er nickte

„… jetzt hasst du mich… oder?“

„Quatsch, ich hasse dich nicht.“

Beschämt sank Lukas Kopf wieder nach unten, während ich tief durch atmete und einen Entschluss fasste. Ich beugte mich etwas nach vorne und nahm Lukas einfach in den Arm. Er begann zu weinen und laut zu schluchzen.

Mir selbst liefen ebenso die Tränen herunter. Es tat mir alles so Leid. Ich wusste nichts über Lukas, hatte ihn vorschnell verurteilt. Klar würde jeder sagen, dass das mein Recht war, nach dieser Blamage.

Aber jetzt wo ich all die Hintergründe kannte, dachte ich ganz anders darüber. Lukas beruhigte sich in meinen Armen, das Weinen weniger.

„Du… du hast echt… etwas… für mich…?“, hörte ich seine leise Stimme.

Ich atmete tief durch und blies die Luft wieder hinaus.

„Tu… ich immer noch…“, sagte ich genauso leise.

Bevor Lukas irgendwie reagieren konnte, ging unsere Tür wieder auf und Doktor Schwenk kam zurück. Beide schauten wir ihn an. Sein Blick wanderte zwischen uns hin und her.

„Habt ihr beiden miteinander geredet?“

„Ja…“, sagte ich leise, während sich Lukas aus meiner Umarmung befreite.

Der Doktor nahm sein Stuhl und stellte ihn an den Tisch zurück. Dann kam er an Lukas Bett.

„Positiv oder negatives Ergebnis?“

Ich zuckte mit der Schulter und sah zu Lukas. Eine kleine Pause entstand.

„Folgendes“, sprach Doktor schwenk weiter und baute sich vor uns auf.

„Lukas du siehst, wenn man mit jemandem redet, können sich Dinge klären und es bleibt nicht der verzweifelte Weg, den du gegangen bist.“

Das klang jetzt etwas vorwurfsvoll.

„Aber ich weiß auch, dass man dazu Vertrauen braucht, dass du gänzlich verloren hast. Ich hatte eben mit dem Stationsarzt, deinem Vater Patrick, eine Frau Kallos und einer Elfriede Heinrich ein längeres Gespräch.“

„Die sind da?“, fragte ich verwundert.

„Ja. Alle drei haben ein gutes Wort für Lukas eingelegt und ich mache jetzt etwas, was ich hoffentlich nicht bereuen werde.“

Verwirrt schaute ich den Doktor an, denn ich hatte absolut keinen Plan, was er jetzt meinte.

„Wenn das Jugendamt mitspielt, das ab sofort für dich zuständig ist, erklärt sich Frau Kallos bereit, sich bei sich aufzunehmen. Sie selbst hat keine Kinder und würde sich freuen, dir zu helfen.“

„Frau Kallos…?“, fragte Lukas fassungslos.

„Ja, aber es wird auch noch Einiges davor auf dich zu kommen. Die Sache mit deinem Vater wird eine Gerichtsverhandlung nach sich ziehen, dann ist auch noch deine leibliche Mutter, eine Komponente, die bisher noch nicht in Betracht gezogen wurde.“

„Meine Mutter will nicht mehr von mir wissen…, hat ihre Handynummer geändert… weiß nicht mal wo sie jetzt wohnt“, flüsterte Lukas.

„Du wirst eine Therapiegruppe aufsuchen müssen“, sprach Doktor Schwenk unbeeindruckt weiter, „und alles andere wird sich dann dadurch ergeben.“

„Und wenn ich das nicht möchte?“

Der Doktor schaute Lukas lange an.

„Dann bleibt dir nur noch der Weg in die Psychiatrie…“

Lukas sah mich verzweifelt an und ich wollte darauf schon etwas sagen, aber Doktor Schwenk kam mir zuvor.

„Lukas, du hast etwas gemacht, das kann man nicht so einfach unter den Teppich kehren. Aber du hast das Glück, dass es Menschen gibt, die sich für dich einsetzten und dir somit eine neue Chance ermöglichen, dein Leben wie gewohnt weiter zu führen. Den Weg in die Psychiatrie würde ich dir gerne ersparen.“

*-*-*

Drei Wochen später

„Hallo Elfriede, ich komme gleich, bringe gerade meine Schulsachen weg.“

Elfriedes Laden lief. Egal wann man kam, es standen Autos auf dem Parkplatz. Dank Frank hatte Elfriede jetzt sogar eine kleine Seite im Internet, um die er sich kümmerte. Sie hatte nun auch wieder eine Halbtagskraft.

„Ja danke, dass am Wochenende auch immer so viel los ist.“

Meine Sachen hatte ich schnell ins Häuschen gebracht, meine Gärtnerklamotten übergeworfen und war schnell wieder zurück im Laden. Eine halbe Stunde später war der Laden dann leer.

„So Frau Heinrich, ich mach dann mal Feierabend“, meinte die Neue.

„Danke Frau Siebel, dass sie eine halbe Stunde angehängt haben, sonst hätten wir den Ansturm jetzt nicht bewältigt.“

„Kein Problem…, jetzt muss ich mich aber sputen, mein Sohn wartet sicher schon zu Hause.“

Sie brachte ihre Schürze nach hinten, verschwand noch einmal kurz auf der Toilette und verabschiedete sich dann.

„Nette Frau“, meinte ich und schaute auf die Uhr.

„Ja und sie kann einem richtig zur Hand gehen. Und der Halbtagesjob ist genau das Richtige für sie, hat sie erzählt. So ist jedem geholfen“, erzählte Elfriede.

„Kommen heute noch einmal Blumen?“, fragte ich, während ich den Besen durch den Laden schwang.

„Nein, Frank war schon da, steht alles noch im Gewächshaus hinten.“

„Gut, dann kann ich das ja gleich einsortieren.“

Wieder schaute ich kurz auf die Uhr.

„Das wäre nett. Ich muss noch ein Gesteck für eine Beerdigung machen, das wird heut Abend abgeholt. Könntest du den Kübeln an der Straße auch noch Wasser geben, dazu bin ich heute noch nicht gekommen.“

„Kein Problem.“

„Ist irgendetwas?“

„Ähm… nein, warum?“

„Weil du ständig auf die Uhr schaust.“

Ich atmete durch und lächelte.

„Lukas wird heute entlassen und zieht bei Frau Kallos ein.“

„Heute schon? Wie die Zeit vergeht und du wärst natürlich gerne dort.“

„Nein. Lukas hat extra gesagt, ich soll dir ja helfen am Freitag.“

„Netter Junge und du willst wirklich nicht hin?“

Ich schüttelte den Kopf und warf den letzten Rest Abfälle in den Mülleimer.

„Ich freu mich auf alle Fälle für euch, dass ihr endlich zusammen gefunden habt.“

„Du sagst dass so, als hättest du von Anfang an gewusst, dass wir zusammen kommen.“

Elfriede grinste mich an.

„Schon ab dem Zeitpunkt, als ihr euch hier im Laden gegenüber standet. Dass es natürlich so kompliziert werden würde, hätte ich nicht gedacht.“

„Hat dich deine weibliche Intuition verlassen?“, fragte ich frech.

„Nein, bei deinem Vater und Frank wusste ich das ja auch schon vorher.“

„Wer hätte das auch gedacht, dass mein alter Herr auf den Hund kommt.“

„Lass ihn dass ja nicht hören?“

„Wer soll was nicht hören?“

Erschrocken fuhr ich herum und Lukas stand direkt hinter mir.

„He, wo kommst du denn plötzlich her.“

„Ist er nicht süß, wie wahnsinnig er sich über mein Kommen freut, Elfriede?“

Sie lächelte.

„Klar freue ich mich, ich dachte nur…“

„Denk nicht, sondern begrüße mich mal anständig.“

Sagte ich schon, dass es mir gefiel, wenn jemand so eins auf dominant machte?

Ich ließ die Kehrschaufel fallen und fiel ihm um den Hals.

„Hallo Kleiner“, raunte er mich an.

„Hallo Lukas“, hauchte ich zurück.

Ewig schauten wir uns in die Augen.

 

„Noch irgendwelche Gerüchtekocherei in der Schule, wegen meines Fehlens?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Du bist eben die ganze Zeit krank gewesen.“

„Bin ich immer noch, laut Doktor Schwenke.“

„Der soll sich mal nicht so haben, für mich siehst du gesund aus.“

Er lächelte.

„Aber jetzt erzähl mal. Ich dachte du ziehst heute bei Frau Kallos ein.“

„Bin ich schon heute Morgen. Ich durfte die Psychische früher verlassen und bin auch echt froh, dass ich da raus bin.“

„Kann ich verstehen.“

„Nächste Woche Dienstag und Donnerstag muss ich mich bei der Therapiegruppe melden.“

„Ja und wenn ich dich dort hinbringe… ist wichtig für dich.“

„Keine Sorge. Doktor Schwenk hat heute Morgen noch mal ausführlich auf mich eingeredet.“

Er ließ mich los und schaute mich an.

„Das grün steht dir“, meinte er und grinste.

„Tja, wer ein richtiger Gärtner werden will, muss auch so aussehen!“

Lukas schaute sich um.

„Es hat sich hier ja einiges verändert“, sagte er.

„Ja, ich hatte da so ein paar kleine Einfälle…“

„…paar kleine Einfälle“, äffte mich Lukas nach und kicherte.

„Lach nur…, den Leuten gefällt es.“

Lukas griff nach mir uns zog mich wieder zu sich.

„Mir auch…, so richtig zum Seele baumeln lassen.“

„Das kannst du hier jederzeit“, sprach ich leiser.

Unsere Köpfe wanderten langsam auf einander zu.

„Das werde ich mir merken“, hauchte Lukas.

„Gut zu wissen…“, flüsterte ich.

Unsere Münder vereinigten sich zu einem sinnlichen Kuss.

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