Genial dieser Tag, wirklich. Raus aus den Federn in aller Frühe schon obwohl es Sonntag war und dann entschied ich mich bei dem herrlichen Wetter einen Ausflug zu machen. Ausnahmsweise mit dem Auto. Ist ja eigentlich viel zu teuer, aber Ausnahmen müssen sein. Lange schon wollte ich mal wieder in diese Ortschaft, am Fuße des Odenwaldes gelegen. Ich fuhr also die 10 Kilometer, mitten hinein in den Ortskern, die Hauptstraße entlang. Erstaunlich viele Autos in der schmalen Gasse, die sich Hauptstraße nennt und alle scheinen einen Parklatz zu suchen. Ich biege irgendwann in eine Seitenstraße ab, finde eine Parklücke und gehe zu Fuß den Weg zum Zentrum zurück.
Schön ist es hier, denke ich, richtig dörflich und doch Leben. Vor allem die Kirche vermittelt dem Ganzen ruhige Dörflichkeit. Und wie um sie herum in den Straßen kleine Geschäfte und Lokale. Viel verändert hat sich in den Jahren hier nichts.
Mein Blick bleibt an einem Straßencafe hängen. Italienisch klingt der Name, aber das ist ja egal.
Langsam schlendere ich dem kleinen Cafe zu, vier Tische samt den Stühlen laden zum verweilen ein, noch waren die Plätze leer. Haben die überhaupt geöffnet am Sonntag? Ja, die Tür steht offen.
Ich lege meine Zeitung vom Vortag (die lag noch im Auto herum) auf einen der Tische und gehe hinein in das Cafe. Zweifellos italienisches Ambiente, einige ältere Leute sitzen schon da und mustern mich. Sicher Bekannte oder Verwandte des Besitzers denke ich.
»Kann ich draußen einen Kaffee bekommen?«, frage ich einen jungen Burschen hinter der Theke. Er scheint mich nicht zu verstehen, dafür kommt aus einer Ecke des relativ kleinen Raums ein »Ja«.
Ich winke dem Mann zu, der vielleicht der Vater des Jungen sein könnte und gehe wieder nach draußen.
Ich setze mich so, dass ich auf die schmale Einbahnstraße sehen kann. Normalerweise sind mir Fußgängerzonen lieber, aber hier stört es mich nicht. Die Autos müssen wegen der Enge langsam fahren und zudem gibt es dann auch etwas zu sehen.
Sehen ja. Ich blicke links die Straße hinauf, wo die Kirche mit ihrem großen Vorplatz den Abschluss bildet. Nach rechts kann man wegen der parkenden Wagen und den Bäumen nicht weit sehen. Über der ganzen Straße aber in Abständen von Hauswand zu Hauswand gespannte Banner: „Achtung, Schule fängt an!“
Gegenüber ein Discounter, Angebote in bunten Farben leuchten in den großen Fensterscheiben. Im zweiten Stock rote Klebebuchstaben „Nachhilfe – auch für Ihr Kind“.
Weiter links über dem Eingang in großen Lettern „Tanzschule Klieber“, an der Ecke „Fahrschule Lohmeier“ . Welch passender Sprung. Schule, Nachhilfe, Tanzstunde und schließlich fahren lernen..
Mein Blick geht nach oben. Ein Himmel wie sonst nur am Mittelmeer. Tiefblau, nirgends eine Wolke, jedenfalls von hier aus nicht. Und es ist hier nicht windig an dem Platz. Noch sitze ich im Schatten, aber die Sonne wird in die Straße scheinen, in ein paar Minuten schon.
Ein Flieger am Himmel kreuzt die Straße scheinbar, silbrig glänzend steigt er vom nahen Frankfurt in den Himmel. Ob viele Leute drin sitzen? Und wo mag er hinfliegen?
Ich nehme meine Zeitung, derweil stellt der Kellner meinen Kaffee auf den Tisch.
„Die Sonne scheint den ganzen Tag“ lese ich im Wetterbericht. Das gilt auch für den heutigen Tag. Es ist mit 14 – 16 Grad nicht grade warm, aber hier spürt man es nicht. Oder ist es eine innere Wärme, die der Kaffee auslöst und es mich nicht so empfinden lässt?
Immer wieder hebe ich meinen Blick wenn ein Auto vorbeifährt, betrachte den oder die Insassen. Ist das Neugier oder Langeweile? Ich gehe der Frage nicht weiter nach, sie ist im Prinzip unwichtig.
Aha, in New Orleans gehen die Aufräumarbeiten weiter.. erste Geschäftsleute kehren zurück. Aber draußen auf dem Atlantik braut sich ein neuer Hurrikan zusammen, man gab ihm den Namen „Rita“..
Ich blicke wieder hoch. Wie schön wir es doch haben hier. Keine Wirbelstürme, kein Hochwasser. Keine Bretterbuden und vor allem nicht so arm wie viele dort. Sollte ich dankbar sein? Ja, eigentlich schon. Gesund, nicht reich aber es reicht, Freiheit hab ich auch. Zum Beispiel genau das jetzt zu tun wozu ich Lust habe. Niemanden fragen müssen, keine Kompromisse. Wie schön.
Jeder dritte Deutsche findet die Freiheit der Homosexuellen zu übertrieben, im übrigen Europa ist es nur jeder vierte, lese ich da. Na ja, was soll’s mich scheren. Ich lebe so wie ich es für richtig halte, trage kein Schild um den Hals dass ich schwul bin und nur wenige um mich herum wissen es überhaupt. So kann es bleiben meinetwegen, mehr verlange ich gar nicht.
Wirklich nicht? Na ja, ein bisschen schon. Wie lange bin ich jetzt alleine, seit Ralf und ich uns getrennt haben? 5 Jahre? Ja, so in dem Dreh. Kommt ja nicht drauf an, es ist so oder so lange her.
Drüben auf der anderen Seite läuft ein älteres Ehepaar. Nun ja, ich nehme an dass es eins ist, sie gehen Arm in Arm. Wie alt mögen sie sein? Ich schätze sie um die Achtzig. Beide haben einen Stock und schlurfen langsam dahin. Sie können nicht schneller, denke ich. Wollte ich mal so alt werden? Und wenn, hab ich dann auch jemand im Arm der mich durch den Herbst des Lebens begleitet?
Ich lehne mich zurück, blicke wie im Gebet wieder nach oben in den Himmel, der immer noch so unnatürlich blau ist. Du bist jetzt 28, sage ich zu mir, so langsam kommt die Zeit wo einfach etwas passieren muss. Sonst ist es vielleicht ganz schnell vorbei.
Wenn du die Wahl hättest, frage ich mich, alleine und dafür frei oder einen Freund und Kompromissbereit zu sein – wozu würdest du dich entscheiden?
Ich horche in mich hinein, warte auf eine Antwort, aber es kommt keine. Alles hat seinen Reiz, sein Für und Wider. Im Moment bin ich froh allein zu sein, aber heut Abend wird es wieder anders aussehen..
Ich sehe mich um und bemerke erst jetzt dass die übrigen Tische besetzt sind. Lauter ältere Leute. Klar, die Jungen schlafen noch oder stehen grad erst auf.
Ich nehme einen Schluck des köstlichen Kaffees als mich mitten in dieser inspirativen Handlung eine Stimme unterbricht
»Ist hier noch ein Platz frei?«
Ich sehe auf und blicke in zwei wache, blaue Augen, umrahmt von langen Wimpern und kleinen Krähenfüßchen, die mir sagen, dass dieser Mann gerne lacht.
Ich nicke und biete ihm mit der Hand einen Platz, nehme aber schnell meine Zeitung und tue so als wäre nichts passiert. Ist es aber doch. Der Mann, der wohl mein Alter haben durfte, legt seinerseits eine Lektüre auf den Tisch. Ein Hochglanz-Politik-Magazin. Schön, das deutet immerhin auf etwas Gehobenes hin. Oder auch nicht. Tarnung nennt man das im Allgemeinen.
Egal, ich mustere mein Gegenüber so unauffällig wie möglich. Am besten die Zeitung hochheben und ab und an mit einem Auge zu ihm schielen. Das fällt um so weniger auf als er ebenfalls sein Magazin aufblättert und vor die Brust hält.
Er hat sich nicht rasiert, zwei oder drei Tage schon nicht. Aber trotzdem sieht er sehr gepflegt aus und dieser Dreitagebart ist sicher keine Ausnahme. Steht ihm nämlich gut und macht ihn – na a, sexy eben.
Einen schönen Anzug hat er an. Karamellfarben, ganz dünn und kein billiger Stoff. Ein hellblaues Hemd darunter, die oberen Knöpfe sind offen und lassen einen Blick auf den schönen, schlanken Hals zu, der von einer eng anliegenden Kette geziert wird. Steht ihm gut denke ich und scanne das, was mein Blickwinkel noch zulässt.
Dunkelbraune Haare, die an den Schläfen schon leicht angegraut erscheinen. Er hat seine Sonnebrille in die Haare geschoben. Na a, so as tun ja sonst nur Angeber, heißt es. Aber ich habe diesen Eindruck von ihm nicht, warum auch immer.
Langsam wandert die Sonne über die Straßenmitte und verjagt den dunkelblauen Schatten, der einigen Gegenständen eine unnatürliche Farbe gibt.
Eine hübsche Nase. Und sehr gepflegte Hände. Was er wohl beruflich macht? Ist mir egal, vielleicht arbeitet er ja auch gar nichts. Seinen Wagen hätte ich sehen wollen, aber weit und breit parkt nichts was zu ihm passt.
Er bestellt einen Cappuccino und liest weiter. Welchen Artikel kann ich leider nicht sehen, aber vielleicht liest er ja gar nicht. Inspiziert er mich am Ende auch, so wie ich ihn?
Mir entweicht ein leiser Seufzer. So leise, dass er es nicht hören kann.
Ralf taucht auf. Eigentlich ist alles was mit ihm zu tun hat abgespeichert auf meiner Festplatte da oben. Als ZIP-Datei. Nur in Momenten wie diesem werden die Daten von damals entpackt und laufen als Text und Bilder ab. Text – Ralfs manchmal erniedrigenden Worte, wenn er meinte mir überlegen zu sein. Wie oft in den vier Jahren die wir zusammen waren hatte ich klein beigegeben, dem lieben Frieden willen.
Natürlich auch Spaß und Freude. Oft saßen wir in solchen Cafes und lästerten über die anderen Bürger.
Die Bilder.. sie gehören ja eigentlich nicht an einem Sonntagmorgen in die Öffentlichkeit, bestimmt nicht, aber nur ich kann sie sehen, sonst niemand. Ralf war hübsch, eigentlich schon schön. Ein Mensch aus einem Katalog. Wir waren Neunzehn als wir uns über den Weg liefen und eigentlich war’s Liebe auf den ersten Blick. Vier schöne, viel zu kurze Jahre. Sie sind vorbei, ein für alle mal. Ralf hat einen anderen gefunden und ich hab ihn nie wieder gesehen. Würden wir jetzt auch hier sitzen wenn es ihn noch gäbe in meinem Leben?
Nun gut, aus und vorbei. Zu schön ist dieser Tag um darüber nachzudenken, viel zu schön. Und zudem ist dieser Mann gegenüber sehr interessant. Er hat keine abgenagten Fingernägel, er wippt nicht ständig mit dem Fuß. Sitzt nur da und liest.
Jetzt fummelt er in seinen Hosentaschen.
»Darf ich rauchen?«, fragt er mich dabei. Wir sitzen draußen, was soll diese Frage. Aber sie sticht mich. Höflich scheint der Unbekannte nämlich auch noch zu sein.
»Natürlich«, antworte ich ihm. Ich hab die Qualmerei vor drei Jahren aufgegeben, es reizt mich auch nicht. Bisher jedenfalls nicht.
Er zieht keine Schachtel aus der Tasche, es ist Tabak. Er dreht also. Lässt so etwas auf den Charakter eines Menschen schließen? Eher nicht. Vielleicht spart er ja auch nur.
Ich beobachte wie er die Zigarette dreht. Das macht er nicht erst seit Gestern. Schön wird die Kippe, gleichmäßig rund. Ein goldenes Feuerzeug. Irgendwie passt das alles nicht zusammen, ich hätte jetzt ein Einwegfeuerzeug erwartet.
Langsam zieht er an dem Glimmstängel, nimmt einen Schluck Cappuccino und liest weiter. Nein, der schaut dich nicht an, du bist ihm egal. Oder tut er nur uninteressiert? Mir fällt auf, dass er keinen Ring trägt.
Aber – was macht er eigentlich hier? Liest er wirklich nur oder wartet er? War er nicht wählen, seine Freundin aber schon und die kommt gleich? Ich sehe mich um in dem Augenblick. Nur, wozu? Wenn sie kommt, dann an diesen Tisch.
Irgendwie muss ich grinsen. Hab’s noch nicht ganz verlernt, diesen Funken Hoffnung zu schöpfen. Eher ein winziges Fünkchen gestehe ich mir dann ein.
Langsam wandert die milde Herbstsonne an den Tisch, taucht dieses Geschöpf in ein schönes, helles und weiches Licht. Jedes Fältchen in seinem Gesicht zeigt einen winzigen Schatten, löst das Gesicht in viele Details auf. Ist er doch schon älter als ich denke? Wozu darüber nachdenken. Er will nichts von mir denke ich und bestelle erneut einen Kaffee am vorbeikommenden Kellner.
Die Menschen haben gewechselt neben mir, ein paar jüngere sind nun auch dabei. Aber niemand schafft es, meinen Blick länger als eine Sekunde auf sich zu ziehen.
Mein Gegenüber liest immer noch und scheinbar an ein- und demselben Artikel, er blättert nämlich kaum.
Hat er grade seinen Blick gesenkt als ich zu ihm hinüber sehe? Mir wird etwas warm, was nicht nur an der Sonne liegt die jetzt auch meinen Platz erreicht. Soll ich ein Gespräch anfangen? Irgendwas Belangloses vielleicht? Wetter? Nee, zu lapidar. Was Besseres fällt mir nicht ein und ich beschließe es nicht zu tun. Wahrscheinlich ist ihm meine Spionage eh schon aufgefallen, dann wäre das jetzt eine Bestätigung für ihn. Nämlich dass er mich neugierig gemacht hat und das kann schnell daneben gehen. Also lieber nicht. Nicht ärgern an so einem schönen Tag.
Das Wetter soll so bleiben, lese ich weiterhin. Fein, dann konnte ich meine Woche Urlaub ja noch ganz toll verbringen. Leider schon zu kühl um schwimmen zu gehen, aber Radfahren, das wäre ideal. Wenn ich es nur nicht alleine machen müsste..
Jetzt blättert er schneller. Scheinbar hat ihn nur ein Artikel so interessiert. Nun klappt er das Magazin zu und legt es auf den Tisch.
Zahlt er jetzt und geht? Nicht doch, junger Mann. Der Tag ist so schön. Hier sitzen und sonst nichts tun, okay?
Was rede ich da zu mir. Warum sollte er dableiben? Hat sicher noch ganz andere Sachen vor.
Wieder kreuzt ein Flieger die Straße da oben am Himmel. Viel größer ist er als der vorhin und man hört auch deutlich das fauchen der Düsentriebwerke. Ralf und ich wollten auch immer in Urlaub fliegen. Weit weg, nur wir zwei. In die Sonne, ans Meer. Schöne Träume hatten wir. Aber sie sind vorbei. Nicht dran denken an so einem schönen Tag. Ein herrlicher Tag eigentlich.
Ich schlürfe meinen Kaffee, nachdem ich die Zeitung endgültig beiseite gelegt habe. Ich mag nicht mehr lesen, nur noch schauen. Der Fremde kommt mir plötzlich gar nicht mehr fremd vor, so, als würden wir uns schon viel länger kennen.
Blödsinn. Eine Stunde ist vergangen, vielleicht auch ein bisschen mehr.
Als hätte sie es geahnt schlägt die Turmuhr die elfte Stunde. Jeder Gong hallt in die Straße. Mal mahnend, mal erinnernd. Wann war ich das letzte Mal in der Kirche? Eine Taufe war’s. Lange her. Ich glaube irgendwie an Gott, nicht an die Institution Kirche. Aber das ist ein anderes Thema. Nicht jetzt. Nicht an diesem schönen Tag.
Der Unbekannte kramt in den Taschen, sucht bestimmt Geld. Er wird gleich zahlen, aufstehen und gehen. Mich alleine hier sitzen lassen.
Er sieht hinein in das Cafe, will auf sich aufmerksam machen. Wie schön wenn er für mich mitzahlen würde weil wir nämlich zusammengehören und dann auch gemeinsam fortgehen. Ein bisschen durch die Straßen wandern, die Geschäfte ansehen. In sein oder mein Auto steigen und hochfahren zum Sendeturm, wo man herrliche Aussicht hat auf die Rheinebene. Der Wind kräuselt die Blätter der Bäume auf der Terrasse am Fuße des Turms, die ersten bunten Blätter weht er auch schon herunter. Es gibt da einen vorzüglichen Rotwein, dessen Trauben da vor der Tür wachsen. Einen Sauerbraten essen oder auch nur Schnecken in Kräuterbutter. Und ganz dicht am Freund sitzen, so dass man seine Wärme spüren und das zitronig, herbe Rasierwasser riechen kann.
Das weht nämlich jetzt von dem Unbekannten herüber und reißt mich aus den Gedankengängen.
Er legt ein paar Euros auf den Tisch weil sich der Kellner nicht blicken lässt.
»Würden Sie für mich bezahlen?«, fragt er wieder so höflich, »ich muss nämlich dringend weg.«
Ich nicke zunächst nur weil ich nichts sagen kann. Er geht also wirklich. Kann ich ihn denn gar nicht aufhalten? Was soll ich sagen?
»Klar, wenn es so eilig ist«, entgegne ich.
Er lächelt mich an, ja wirklich. Seine weißen Zähne.. Ob sie echt sind? Ich meine, dieses Weiß ist fast schon unnatürlich. Dabei raucht er doch.. Und zudem fällt mir jetzt seine fabelhafte Figur auf. Groß und schlank. Wie Ralf damals. Er schon wieder..
Zurück bleibt das Geld, das er in seinen schönen Händen gehalten hat und sonst nichts. Er geht die Straße hoch, biegt irgendwo weiter in eine Seitenstraße und weg ist der Traum. Ein Traum an einem schönen Tag. Jetzt scheint die Sonne ganz in die Straße hinein, durchflutet alles mit ihrem warmen Licht. Ein schöner Tag.
Ist er das wirklich? Von außen ja, sicherlich. Aber in mir ist’s irgendwie leer auf einmal.
Während ich mich einige Male einen Dummkopf schimpfe zahle ich beim Kellner, drücke ihm auch die Münzen des Unbekannten in die Hand. Und bekomme noch etwas heraus. Der Fremde hatte das Geld nicht abgezählt. 60 Cent zuviel.
Ich nehme es, denn Trinkgeld habe ich schon gegeben, lasse die Münzen in meine Jackentasche fallen und gehe langsam in Richtung zu meinem Auto. Viel mehr Menschen sind jetzt unterwegs, fast wie an einem Werktag.
Als ich die Straße einbiege sehe ich – ihn. Der Unbekannte steht bei meinem alten Auto und scheint irgendwie nervös. Er bückt sich, fährt an einer Stelle am Kotflügel über den schon verblassten Lack meines Wagens. Mein Herz klopft auf einmal. Was hat das zu bedeuten? Ich beschleunige meine Schritte, dann stehe ich bei ihm.
Stimmt etwas nicht?«, frage ich ihn.
»Ähm, ist das Ihr Fahrzeug?«
Man sieht, dass er mich soeben erkennt.
»Oh, was ein Zufall… Ich hab beim ausparken nicht aufgepasst..«
Er zeigt auf eine winzige Delle im Lack. So winzig, dass ich mich auch in die Hocke begeben muss.
»Macht nichts, das ist nicht seine erste.. Ach übrigens, Sie bekommen noch etwas..«
Ich greife in die Tasche und halte ihm mit offener Hand die 60 Cent hin.
Er sieht erst in meine Hand, dann mitten in meine Augen und er grinst. Ja, das wusste ich, das kann er gut. Die Krähenfüßchen.
»Oh..«
»Das ist Restgeld von vorhin..«
»Ich hatte es ja eigentlich eilig, aber nun ist’s eh zu spät«, sagt er dann. »Wenn ich noch ein paar Euro drauflege könnte man die Sache mit dem Schaden ja bei einem Bier oder so besprechen.«
Mir trocknet der Mund aus, es wird wieder warm. Sehr warm.
»Also ich hab nichts dagegen«, höre ich mich mit kiekender Piepsstimme sagen.
»Okay, ich lade Sie ein. Nur kenne ich mich hier nicht so aus« sagt er etwas verlegen.
»Kein Problem. Nehmen wir Ihren oder meinen Wagen?«
»Wir nehmen meinen«, sagt er und dann sehe ich erst den Porsche der etwas weiter oben auf der Straße steht.
Wir sitzen auf der Terrasse unter dem Sendeturm, ich halte das Glas Rotwein gegen die Nachmittagssonne und gerate nicht nur ob des betörenden Funkelns ins schwärmen. Ein paar bunte Laubblätter flattern vom Baum über uns und eines landet direkt in meinem Glas.
Ich hab doch gewusst dass er lachen kann. Laut und herzlich. Die Krähenfüßchen..
Wir stoßen an und nehmen einen Schluck.
»Also, das mit der Delle..« beginnt er zu reden. Ich höre zu und doch nicht.
Ich weiß nichts von ihm, noch nicht. Von mir weiß ich jetzt nur, dass ich mich allmählich zu verlieben beginne. In diesen Menschen, in diesen Tag, der hoffentlich noch lange anhält.
Ich finde, es ist ein sehr schöner Tag, ein herrlicher Tag.
Mrz 24