Herbstzeitlose sind schöne Blumen, die jeder kennt und die nur im Herbst wunderschön blühen. Sie zeigen, dass auch am Ende des Sommers noch leuchtende und lebendige Farben möglich sind.
So kann man den Titel vielleicht auch besser verstehen – die Story schildert die Geschichte zweier Männer, die sich einst geliebt hatten und im Herbst ihres Lebens zufällig wieder begegnen. In jeder Minute, in der sie sich an diese gemeinsame Zeit erinnern, treten mehr und mehr Details von damals in den Vordergrund und lassen sie die Welt, in der sie augenblicklich leben, vergessen. Gleichzeitig ahnen sie, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt.
Kleine Schneehäufchen unter den Hecken des Parks zeugten vom letzten Aufbäumen des Winters. Noch vor vier Tagen lag die Landschaft unter einer dünnen Schneedecke, die der abziehende Winter wie einen Schwanz hinter sich hergezogen hatte. Nun schien die Sonne von einem blitzblauen Himmel, die Luft war frisch und warm.
Um diese Vormittagszeit gingen nur wenige Leute durch den mitten in der Stadt liegenden Park. Vor allem Mütter mit ihren Kindern, Hausfrauen mit Einkaufstüten, Jugendliche die offenbar die Schule schwänzten, junge Leute die man als Studenten einstufen konnte, einige wenige Gestalten schoben Einkaufswagen, mit bis zum Rand durch allerlei Gerümpel gefüllt – offenbar ihr ganzes Hab und Gut – vor sich her und vor allem ältere Leute waren hier jetzt unterwegs.
Manche der Alten hatten Zeitungen zusammengefaltet, als Sitzpolster für die noch kalten Holzbänke benutzt und ließen sich ihre müden Glieder von der schon kräftigen Maisonne aufwärmen.
Auch Andreas Feger war unterwegs. Das kalte Wetter setzte dem zwar sonst rüstigen Mittsechziger regelmäßig zu und er verließ sein Haus nur dann freiwillig, wenn so schönes Wetter herrschte wie an diesem Tag. Im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten im Park hatte er ein kleines Sitzkissen in einer Stofftasche, die noch einige andere Utensilien barg.
Er nahm das Kissen heraus und setzte sich etwas abseits vom Hauptweg auf eine freie Bank. Andreas wollte seine Ruhe haben, seinen Gedanken nachhängen. Nichts störte ihn mehr als ein quasselnder Nachbar auf der Bank, oft genug schon war ihm das passiert. Wenn Andreas merkte dass der Redner so gar nicht aufhören wollte, verabschiedete er sich und verschwand wenn möglich in eine ruhige Ecke des Parks.
Nun zog er noch die Tageszeitung aus der Tasche und zündete sich eine Zigarillo an. So, dachte er, könnte der Tag jetzt weitergehen.
Vorübergehenden Fußgängern schenkte er ab und an einen kurzen Blick, um sich danach wieder der Zeitung zu widmen.
»Ist hier noch frei?«, hörte er nach einer Weile eine schöne, angenehme Stimme.
Er sah zu dem Fragenden hoch. Auch wenn es ihm in der ersten Sekunde nicht recht war, so schwanden seine Bedenken, den Rest des Vormittags mit inhaltslosem Gerede eines anderen verbringen zu müssen. Denn der Mann war in seinem Alter, von großer, aber drahtiger Figur, hatte wohl schon ziemlich graues Haar, das in ihm etwa einen Professor vermuten ließ, trug einen etwas abgenutzten Lodenmantel und braune Stoffhosen. Die Schuhe waren ordentlich geputzt und auch sonst machte der Mann einen recht gepflegten Eindruck. Andreas spürte sofort dass es sich bei dem Mann nicht um einer dieser üblichen Zeitdiebe handelte.
»Bitte«, sagte er dann auch höflich und zeigte mit der Hand neben sich. Er rückte ein Stück beiseite um sein Willkommen zu unterstreichen.
»Danke«, bekam er als Antwort und der Mann setzte sich, ohne eine Unterlage.
»Das ist aber noch recht kalt..«
Der Mann sah ihn an und zum ersten Mal sahen sie sich in die Augen. In diesem Zustand verharrten die Augenpaare eine zeitlang. Andreas Feger als auch sein Nachbar überkamen das Gefühl, diese Augen zu kennen.
»Macht mir nichts aus, bin zum Glück nicht empfindlich«, lächelte der Mann zurück.
Andreas Feger sah als erster wieder weg. Zu dumm war sein sekundenlanger Glaube, diesen Mann irgendwie zu kennen und dennoch blätterte er eher unruhig in der Zeitung.
Sein Nachbar saß aufrecht da, nicht gesenkten Hauptes wie so viele, die er hier schon beobachtet hatte. Aufrecht war vielleicht auch sein Leben..
So saßen sie eine ganze Weile, bis der Mann in seinen Taschen kramte und eine Packung Zigarettentabak herausfischte.
Andreas sah nur kurz nach der Bewegung neben ihm, dann vertiefte er sich wieder in den Artikel. Wieso kam er sich so merkwürdig vor, nur weil sie stumm nebeneinander saßen? Er sollte doch froh sein dass ihm niemand ein Gespräch aufzwang. Aber zum ersten mal fühlte er sich so nicht wohl dabei.
»Die wollen doch tatsächlich das alte Denkmal in der Heinrichstraße entfernen, nur weil es ein paar Leuten nicht passt. Sollen doch froh sein dass es noch so etwas wie Kultur in dieser Stadt gibt«, äußerte er sich dann auch zu diesem Artikel. Er hatte einfach das Bedürfnis, sich mit diesem Mann zu unterhalten. Vielleicht erging es ihm nun so wie sonst nur denjenigen, die ihn anquatschten.
»Ja, eigentlich schon, aber sie haben in der Vergangenheit dieses Denkmals – beziehungsweise in dessen, dem es gewidmet ist – herumgekramt. Hatten wahrscheinlich nichts anderes zu tun. Jetzt ist man der Meinung, dieser Schatten der Vergangenheit würde reichen um das Denkmal wegzunehmen. Ich halte mich da raus, man kann es eh nicht ändern. Oder gar allen recht machen.«
Er hatte genau zugehört. Diese Stimme.. auch die Art, wie der Mann etwas sagte.. Und schließlich diese Kenntnisse. Er hatte recht gehabt, das war nicht einer der üblichen Schwätzer bei denen es nur um Geld oder Gesundheit ging.
Ein Ball flog genau zwischen sie, knallte an die Rücklehne der Bank und fiel herunter. Beide Männer überflog ein Lächeln, als ein kleiner Junge herangerannt kam, die beiden kurz ansah, seinen Ball schnappte und davonrannte.
Der Mann an Andreas’ Seite seufzte. »Tja, das ist wohl vorbei.«
Andreas sah ihn an. »Was ist vorbei, wenn ich fragen darf?«
»Einem Ball so hinterherzulaufen.«
Er lächelte und nickte. »Ja, das würd ich meinen..«
Er hob die Zeitung erneut hoch und versuchte zu lesen. Die folgende, merkwürdig bedrückende Stille nahm ihn gefangen. Er hatte so etwas schon lange nicht mehr erlebt. Aber er fragte sich schließlich, ob sein Nachbar vielleicht auch nur seine Ruhe haben wollte. Immerhin hatte er selbst ein Gespräch angefangen, was schon ziemlich außergewöhnlich war.
Eine ältere Frau kam vorüber, offenbar war sie den Taschen nach zu urteilen einkaufen gewesen. Sie hob den Kopf im vorbeigehen, hielt einen Moment inne und rief dann:
»Hallo, guten Morgen Herr Urig. Schöner Tag heute, wie? Für Rentner genau das Richtige.«
Der Mann nickte, hob die Hand zum Gruß. »Morgen Frau Weber. Ja, so könnt es bleiben.«
Sie nickte und ging geschäftig weiter.
Andreas Feger traf der Name wie ein Keulenschlag. Wolfgang Urig.. Das konnte gar nicht sein. Aber er begann, eins und eins zusammenzuzählen. Die Augen, die Stimme. Er schielte kurz neben sich, versuchte bestimmte Merkmale herauszufinden. Die Nase, ja, die passte auch. Und der Mund… Er musste schon genauer hinsehen um einigermaßen sicher zu sein, aber da waren unverkennbare Zeichen..
Rentner, genau wie er selbst. Also in etwa die gleiche Altersklasse.
Er räusperte sich. Es galt, der Sache auf den Grund zu gehen. »Darf ich Sie mal etwas fragen?«
Der Mann sah ihn an und nickte. »Nur zu.«
»Sind Sie hier aus der Stadt?«
»Ja, aber ich habe nicht immer hier gewohnt.«
Andreas nickte, er hoffte die restliche Antwort käme von allein – was dann auch passierte.
»Geboren und aufgewachsen bin ich in Heidelberg.«
Andreas Feger nickte, und ein ganz leichtes Lächeln überzog sein Gesicht. Ein Zufall war ausgeschlossen. Nun atmete er auf. »In der Rohrbacher Straße, richtig?«
Plötzlich stutzte der Mann.
»Und Ihr Vorname ist Wolfgang…«
Wolfgangs Augen wurden groß und rund. Ähnlich, als würde ihm ein Gespenst in die Augen sehen. »Ja, aber woher wissen Sie..«
Andreas beugte sich leicht zu seinem Nachbarn und reichte ihm die Hand. »Andreas Feger.«
Wolfgang stand so schnell auf wie noch selten in den letzten Jahren und starrte ihn an.
»Andreas?.. Nein, das kann… Moment..« Hastig fummelte er erst in seiner Manteltasche, dann in seinen Hosentaschen, in der Westentasche wurde er schließlich fündig und setzte mit zitternden Händen seine darin gefundene Brille auf. Dann starrte er weiter, musterte den noch sitzenden Mann ganz genau. Schien ihn wie mit einem Scanner abzufahren und Andreas ließ es sich gefallen. Noch immer hatte er dieses Lächeln nicht abgelegt.
Nach einer Weile, als sich Wolfgangs Überraschungsgesicht entspannt hatte, deutete er auf den Platz neben sich. »Komm, setz dich doch wieder.«
Nur langsam ließ sich Wolfgang neben ihm nieder, scheinbar immer noch nicht sicher ob das alles kein Traum war.
»Andy, was um Himmels Willen..?«
»Wolf, ich bin genauso überrascht wie du..«
»Hatte meine Brille nicht auf, sonst wär mir vielleicht dies oder das aufgefallen.. Obwohl..«
Sie saßen Minutenlang da und sahen sich an. Niemand der gerade vorüberging bekam etwas mit von der knisternden Spannung, die sich zwischen den beiden Männer immer stärker aufbaute.
»Andy, wie lange ist das jetzt her?«
Der grübelte eine Weile. »Wir sind jetzt 65.. äh du müsstest 64 sein.. dann ist das jetzt… das sind fast.. oh je, 45 Jahre?«
»So etwa. Anfang der Sechziger Jahre«, bestätigte Andreas Wolfgangs Rechenexempel und schüttelte den Kopf. »Die Zeit.. Damals wurde die Mauer gebaut..«
»Ja«, spann Wolfgang die Gedanken fort, »und nun ist sie schon seit 16 Jahren wieder weg.«
»Und du bist Rentner.. Was hast du denn gemacht in all den Jahren?«, fragte er anschließend.
»Ich bin im Job geblieben.«
Andreas machte große Augen. »Du hast bis zum Schluss im Gaswerk gearbeitet? Diese Kräne an der Kokshalde und die kleinen Dampfeisenbahnen gefahren auf dem Werksgelände? Und immer im Schichtbetrieb..«
Wolfgang drehte seine Finger umeinander, etwas das er schon immer tat wenn er verlegen wurde. »Ja, genau das. War dann Schichtführer bis zum Schluss. Und du, was hast du gemacht? Wolltest du nicht nach der Lehre studieren?«
»Ja, wollte ich. Aber ich hab dazu auf einmal keinen Bock mehr gehabt. Bin auf die Meisterschule und hab bis letztes Jahr im Kfz-Handwerk gearbeitet. Als die Firma schließen musste hab ich aufgehört. Es reicht zum leben und das ist alles was zählt.«
»Hm, obwohl dein geplantes Studium.. «
».. das Ende unserer Freundschaft war, ich weiß. «
Wieder sahen sie sich an, schienen die Augen nicht voneinander lassen zu können. Sie ahnten, ja wussten, dass dieser Tag sehr lange werden würde. Jeder wartete darauf, seine Geschichte zu erzählen, überlegte wo er anfangen könnte.
Aber das alleine war es nicht. Wollten sie überhaupt von dem Zeitpunkt ab erzählen, an dem sich ihre Wege damals trennten oder war es nicht viel schöner, die gemeinsame Zeit noch einmal wie in einem Film ablaufen zu lassen? Beide wussten jedoch, dass sie in den Erzählungen irgendwann an die Stelle kommen würden, an der sie einen Schnitt gemacht hatten. So wie man schlechte Szenen aus einem Film herausschneidet. Aber was damals hinter ihnen lag war nicht schlecht. Es war schön. Viel zu schön als es auch nach Jahren irgendwo im Hinterkopf vergraben zu lassen.
Gleichzeitig geschah mit beiden Männern Unerklärliches. Es kam etwas in Gang, was sie lange, sehr lange vermisst hatten ohne dessen wirklich bewusst zu werden. Absolut vertraute Gefühle begannen sich auf den Weg in ihr Gedächtnis zu bahnen; Gefühle, Worte, Taten. Handlungen, Szenen, Erlebnisse. Wie ein gesprengter Staudamm ergossen sich die alten Zeiten über die beiden Männer, schlugen wie tosenden Wogen über ihnen zusammen und ließen alles, was nach ihrer gemeinsamen Zeit kam, in Bedeutungslosigkeit versinken.
Andreas spürte Tränen aufsteigen, aber er hatte gelernt mit seinen Gefühlen umzugehen. Er würde es nicht zeigen, auch Wolfgang gegenüber nicht.
Sie kamen gleichzeitig an dem Punkt an, wo sich die Frage der Schuld zu stellen begann. Was und warum war das damals passiert? Wer trug die größte Last an der Trennung, die so schnell und unerwartet kam?
Sie wussten es beide nicht, jeder nahm einen Teil der Schuld auf sich. Die Zeiten, wo man auf einen anderen mit den Fingern zeigte und eindeutig Schuld zuwies, waren vorbei. Das Leben hatte beide geprägt, sie wussten wie sie mit solchen Situationen umgehen mussten ohne zu verletzen.
»Wie geht es dir?«, unterbrach Andreas dann auch die verwirrenden Gedankengänge.
»Man schlägt sich halt durch. Und dir?«
»Könnte auch meine Antwort sein. Lebst du alleine?«
Wolfgang holte hörbar Luft und nahm seine Brille ab, um sie wieder sorgfältig in der Tasche zu verstauen. »Ich bin wieder alleine«, antwortete er.
Andreas nickte. »Ah so.«
»Meine Frau ist vor drei Jahren gestorben.«
»Das tut mir leid..«
»Muss es nicht, Andy. Sie war sehr krank am Ende und ihr Tod eine Erlösung.«
»Hast du je geheiratet?«, wollte Wolfgang im Gegenzug wissen.
»Nein, ich hab es immer verhindern können. War nicht einfach manchmal, schon wegen meiner Eltern, aber ich konnte es einfach nicht.«
»Ich habe einen Sohn«, setzte Wolfgang das Gespräch fort, während sie die Leute, die vorüberkamen, gar nicht mehr beachteten. »Lebt in den Staaten mit seiner Familie.«
Schweigen. Erneut schwappte eine Woge der Erinnerung über beiden zusammen. Ihre Blicke trafen sich. Jeder konnte in den Augen des anderen lesen, wie damals, so lange sie sich nahe waren.
»Du warst all die Jahre alleine?«, wollte Wolfgang wissen.
Andreas lächelte, obwohl ihm die Erinnerungen daran weh taten. »Nein, nicht immer. Ich war es, ja, drei oder vier Jahre.. danach. Aber dann konnte und wollte ich nicht mehr alleine sein. Es waren aber keine Jungs darunter, die mir das geben konnten.. «
Wolfgang spürte wie schwer sich Andreas mit den Worten tat. Er legte seine Hand auf Andreas’ Arm. »Du musst dazu nichts sagen wenn..«
»Nein, ist schon in Ordnung. Nach der ewigen Suche habe ich es dann aufgegeben. Ich war der Meinung, den Richtigen gibt’s gar nicht für mich. Danach waren es nur noch Abenteuer. Ich wollte, dass wenigstens meine Gefühle hin und wieder zu ihrem Recht kamen.«
Wolfgang verstand. Er hatte diesen Mut nicht, danach niemals mehr gehabt. »Ich habe mein Leben dann geändert«, gestand er ein, »der Druck meiner Eltern und Verwandten war zu groß.«
Zwei Tauben landeten fast direkt vor der Parkbank und blickten unruhig die beiden Männer an.
»Ach so, entschuldigt, euch hab ich fast vergessen«, ließ sich Andreas von den beiden Vögeln ablenken. Er kramte in seiner Tasche und förderte ein paar Stücke trockenes Brot zu Tage. Sorgfältig riss er kleine Bröckchen ab und warf sie den Tauben hin.
»Das ist eigentlich verboten«, murmelte Wolfgang mehr zu sich selbst.
»Ich weiß, aber ich hab mich schon einige Male in meinem Leben über Verbote hinweggesetzt..« Er beugte sich zu Wolfgang hinüber um leiser sprechen zu können. »Es ist wegen dem Kick, erwischt werden zu können, weißt du?«
Wolfgang grinste breit, denn das war eindeutig eine Anspielung auf ihr damaliges Treiben.
Aus anfänglichen Erinnerungsfetzen begannen sich jetzt Szenen zu formen. Nie wirklich Vergessenes wurde wieder griffig, verlor seine Durchlässigkeit. Ganze Abschnitte ihres damaligen Lebens fügten sich zu einem Ganzen zusammen, festigten sich und ergaben ein buntes Bild der Vergangenheit. Nicht mehr einfarbig oder Schwarz-Weiß. Und auch längst gelöscht geglaubtes tauchte wieder auf.
Wolfgang beobachtete Andreas, wie er das Brot zerteilte. Da waren noch immer diese filigranen Finger, ein wenig dürrer heute und mit dunklen Muttermalen übersät, aber dennoch so zart und geschickt.
Er sah auf, in den blauen Himmel und breitete seine Arme auf der Rücklehne aus, so dass ein Arm hinter Andreas zum liegen kam. »Weißt du, als mir im Tanzkurs Christine über den Weg lief, war plötzlich alles so anders…«
Andreas fütterte die Tauben weiter ohne aufzusehen. »Hast du sie wirklich geliebt?«
»Ich habe mich das nach ihrem Tod oft gefragt, sehr oft, vielleicht zu oft. Denn ich konnte mir die Antwort bis heute nicht geben. Kurzum – ich weiß es nicht. Ich habe einfach Probleme mit diesem Wort. Als unser Sohn geboren wurde schwebte ich in einer anderen Welt. Mir war klar, ich bin nicht schwul, nie gewesen, was immer auch zwischen uns beiden vorher war. Glücklich und zufrieden, so könnte man es nennen.«
»Wenn man es von außen betrachtet, vielleicht. Aber wie sah es ganz tief in dir drin aus?«
»Ich habe es geschickt vermieden, so tief in mich zu sehen. Wenn ich mit Christine im Bett lag, so dicht beieinander, wenn wir miteinander schliefen – ich habe es genossen, jede Minute ausgekostet. Sie war eine ganz wundervolle Frau, das bestimmt.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet. Ich bin sicher, du hast an uns beide gedacht, sehr oft glaube ich sogar.«
»Ja, ich kann das nicht leugnen. Aber ich habe es als Phase betrachtet, als Ersatz für nicht vorhandene Möglichkeiten. Du weißt ja wie wenig junge Mädchen in unserem Viertel wohnten. Sehnsucht danach oder so, das hab ich nie gehabt. «
Andreas lächelte. »Das hast du dir als Ausrede zurechtgelegt, all die Jahre?«
Wolfgang verschränkte seine Arme vor der Brust und sah verlegen zu Boden. »Schon möglich.«
»Damit hast du mit ..Christine?.. nie über uns gesprochen..«
»Nein, wozu auch. Ich wollte die Vergangenheit bewältigen und war selig, dass mir das gelungen war. Ich konnte es auch nicht.«
»Klar, dein Kartenhaus wäre zusammengestürzt..«
Wolfgang spürte, dass aus diesem Gespräch ein Vorwurf entsehen könnte. Andreas versuchte ihm einzureden, dass er sich ein Leben lang betrogen hatte. Aber nach allem was mit Christine passiert war, durfte er das nicht zulassen.
Er beobachtete Andreas weiter und begann angestrengt nachzudenken. Hatte er doch recht, irgendwie? Oder wenigstens teilweise? Hatte er nie an ihn gedacht, wenn er mit Christine schlief? Oder konnte er seine wirklichen Gefühle tatsächlich so geschickt vor sich selbst verbergen? Nein, dazu ist niemand in der Lage, beruhigte er sich. Er war eben einer Menschen, die sich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlen, auch wenn er jetzt der Meinung war, dass die weibliche Variante bei weitem überwog. Andreas war ein Abenteuer, auch wenn es fünf Jahre gedauert hatte.
»Hättest du an meiner Stelle alles riskiert? Frau, Kind, Haus, den Rest der Familie, den Arbeitsplatz?«, fragte er dann fast vorwurfsvoll.
Andreas zog die Schultern hoch. »Das weiß ich nicht. Vielleicht bist du einfach zu weit gegangen.«
»Das sagst du so einfach. Ich habe Christine geliebt, zumindest ordne ich dieses Gefühl für sie so ein. Was hätte ich für einen Grund haben sollen, sie nicht zur Frau zu nehmen? Nachdem du weg warst, hatte ich nie wieder solche Gefühle für einen Jungen. Für mich war dieses Thema abgeschlossen.«
»Schwulsein ist für dich nur ein Thema? Oder ein Gefühl? Oder eine unumstößliche Tatsache..«
Wolfgang begann das Gespräch unangenehm zu werden. Aber dennoch konnte er sich dem ständig anwesenden Gefühl der Geborgenheit und Wärme nicht entziehen. Andreas war sicher nicht mehr der attraktive, äußerst hübsche Junge von damals, aber er war auch kein abgetakeltes Wrack. Was in aller Welt kochte plötzlich in ihm hoch? Wut, Trauer, Zorn? Oder war es etwas ganz anderes?
»Andreas, ich werde mein Leben nicht rechtfertigen. Vor Gott vielleicht einmal, aber bestimmt nicht vor dir oder jemand anderem.«
Andreas spürte dass er zu weit gegangen war. Absicht war das nicht, vielleicht ein wenig Vergangenheitsbewältigung. Im Gegensatz zu Wolfgang hatte er diese kurze, wunderschöne Zeit mit ihm nie vergessen. Dazu musste er nur andere Jungs sehen, wenn sie eindeutig etwas miteinander hatten. Und er hatte sein Schwulsein nie verleugnet; zumindest dann nicht, wenn es angebracht schien, darüber zu reden, mit wem auch immer. Einfach war das vor allem damals nicht, wo das Wort Schwul nicht einmal ausgesprochen wurde. Er hatte auch verbale Prügel bezogen, mehr als einmal. Anfangs war das ein echtes Problem für ihn, dann aber stumpfte er dagegen ab. Und mit jedem Outing ging es ihm besser.
»Ist schon gut, ich wollte dir nicht zu nahe treten«, versuchte er die Lage zu entschärfen.
»Bist du nicht, Andreas, ich kann dich verstehen. Aber sieh es doch mal so: Wir haben beide versucht, das Beste aus unserem Leben zu machen. Du auf deine, ich auf meine Art. Welche besser war oder ist, das werden wir sicher nicht zu Ende diskutieren können. Auch wenn du Single geblieben bist, warst du denn nicht oft so richtig todunglücklich?«
Andreas warf den Tauben den Rest des Brotes zu und klopfte die Krümel aus seinen Händen. »Nein, eigentlich nicht. Bin vielleicht Rastloser gewesen. Denk mal wie lange du verheiratet warst – in all der Zeit war ich irgendwie auf der Suche. Auch wenn ich es nachher aufgegeben habe, es gab trotzdem noch das Prinzip Hoffnung.«
Wolfgang sah sich um als würde er jemanden suchen. »Hast du Lust? Ich möchte dich zu einem großen Kaffee einladen, drüben im Cafe am Teich.«
Andreas überlegte nicht lange. Dort gab es viele kleine Tische, fast versteckt hinter den Büschen. Ein geeigneter Ort, um das Gespräch fortzusetzen. Zudem war ein Kaffee jetzt wirklich angebracht. Er nickte und stand sogleich auf.
Schweigend gingen sie den sich durch blühendes Gestrüpp windenden Weg, vorbei an einem Pavillon, einem größeren Platz, dessen Bodenfläche mit zweifarbigen Karos gepflastert war und auf dem einige Leute mit übergroßen Figuren Schach spielten. Einige der Spieler hoben die Hand zum Gruß, man kannte sich hier. Ein Hort der Ruhe und Besinnung dachten die beiden Männer und hörten dennoch das Toben der Kinder vom gegenüberliegenden Spielplatz.
Als sie an dem Cafe ankamen waren ihre gedanklichen Puzzles zusammengefügt. Aus
Teilen zusammengesetzt war ein Spielfilm entstanden, ohne dass dort wichtige Dinge fehlten.
Immer noch ohne ein Wort zu sprechen setzten sie sich an einer der abgelegensten Tische und befanden genau die Richtige Stelle gefunden zu haben. Keine Blicke vom Weg hierher waren möglich, der nächste Tisch weit genug um sich ungehört mit normaler Lautstärke unterhalten zu können. Sie hatten immer noch ein starkes Mitteilungsbedürfnis, nur fehlte noch der Regisseur. Jener Aktzionist, der Anweisungen gibt wie etwas richtig ablaufen sollte.
Wenig später standen zwei Kaffee vor ihnen auf dem Tisch, die Sonne blinzelte ab und zu durch das überhängende Blätterdach der Büsche und nun war es, als hätte jemand die Klappe geschlagen.
Wolfgang lehnte sich zurück und fixierte eine unbedeutende Stelle neben seinem Gegenüber. »Weißt du, es ist so schrecklich lange her.. Aber ich glaube ich habe kaum einen Tag vergessen.«
Andreas nickte und nippte an der Kaffeetasse. »Ich glaube das können wir beide nicht.«
»Ich werd nie vergessen, als damals einige Klassen zusammengelegt wurden und du damals in unsre kamst«, begann Wolfgang das Gespräch. »Wie alt waren wir da? Fünfzehn, Sechszehn? Ja, Sechzehn. Du standest da vorne an der Tür und hast in die Klasse geguckt. Ziemlich hilflos muss ich sagen. Zumindest kam mir das so vor. Und dann hat dich Frau Emmerich auf den Platz neben mich diktiert. Eigentlich hab ich dich ja gar nicht richtig wahrgenommen, denn im Grunde war mir immer egal wer neben mir sitzt, Hauptsache der konnte gut Mathe. Zum abschreiben..« Wolfgang schmunzelte.
»War ja auch ein Scheißgefühl da vor der Klasse, so allein. Ich kannte ja keinen richtig. Vom sehen her, ja, aber ich hatte mit keinem vorher gesprochen. Und dann diese Lehrerein.. so alt und schrumpelig, mit ihrer Dutt hinten im Genick. Ich ahnte nichts Gutes, hab mich richtig unwohl gefühlt. Und dann hat die Emmerich den Platz neben dir für mich ausgesucht. Ich weiß noch dass da mehrere Plätze frei waren, aber ausgerechnet neben dich musste ich mich setzen. Na ja, ich hab dich schon genauer betrachtet beim hinlaufen, die anderen haben mich nicht so interessiert. Und dann, als ich neben dir saß, du hast nichts gesagt, nicht mal Tach oder so. Das war frustrierend. Ich kam mir vor wie ein Fremdkörper.«
Wolfgang nickte. »Ich sag ja, ich legte keinen Wert auf Nachbarschaft. Die erste gemeinsame Stunde war dann aber Mathe und ich hab dich genau beobachtet wie du mit den Zahlen umgegangen bist. Schon nach ein paar Minuten war ich begeistert. Ein Rechengenie, neben mir. Besser konnte es gar nicht laufen bei meinen miesen Noten.«
»Hab’s gemerkt wie du mir auf die Finger geschaut hast. Das war erst mal nichts besonderes, aber dann ging mir das beinahe auf den Geist. Ich war froh als die Stunde um war und der Unterricht zu Ende. Ich hab meine Sachen gepackt und wollte aus der Klasse als du mich gerufen und aufgehalten hast. Zuerst wusste ich nicht was das werden sollte, aber dann.. ja ich glaub dann nahm das irgendwie seinen Anfang. Ich meine heute, es war genau diese Stelle.«
»Ja«, setzte Andreas fort, »das sehe ich auch so. Als du aufgestanden bist und rauslaufen wolltest hab ich dich von hinten gesehen. Deinen Knackarsch konntest du auch in den damals relativ weiten Hosen nicht sonderlich gut verbergen. Der ist mir wie ins Auge gesprungen. Mein Blick ging dann über deinen ganzen Körper. Ich dachte noch, ui, der macht bestimmt viel Sport so wie der gebaut ist. Ich mein, ich wusste damals schon dass ich mit Jungs viel mehr am Hut hatte als mit den Weibern. Ich hab das Gefühl, dass sich da zum erstenmal so richtig in mir breit machte, zugelassen. Alle Bedenken waren auf einmal vom Tisch. Ich bekam keinen Steifen oder so, aber mein Interesse an dir war geweckt. Von einer Sekunde auf die andere. Ich dachte, das geht nicht dass der jetzt einfach rausgeht, auch wenn ich heute nicht mehr weiß wieso ich das gedacht hab. Ich meine, ich wusste ja dass wir ab dem Tag nebeneinander sitzen würden, aber ich konnte gegen mein neues Verlangen nichts machen.«
»Ich bin ja auch gleich stehen geblieben als du mich gerufen hast. Die Klasse war schon leer, keiner mehr da. Und dann hab ich dir in die Augen gesehen. Diese dunkle Augen, die so was melancholisches an sich hatten. Traurig und dennoch voller Leben. Dein Gesicht ist mir dann aufgefallen. Dieser makellose Teint, die vollen, rosigen Lippen. Das dichte, dunkle Haar, das völlig im Gegensatz zu den pomadigen, glatten Scheiteln der anderen chaotisch auf deinem Kopf lag. Ich denke das richtige Wort weiß ich heute: Ich war auf einmal fasziniert. So, als hätte ich endlich das Spielzeugauto bekommen das ich mir schon so lange gewünscht hatte.«
Andreas musste laut lachen. Es war dieses beherzte, ungekünstelte Lachen einer unbeschwerten Jugend. Unglaublich dass es nichts von seiner Ansteckung verloren hatte.
»Du warst ja brav gekämmt; jedes einzelne, dunkelblonde Haar lag fein säuberlich auf seinem Platz. Aber deine blauen Augen, umrahmt von diesen langen Wimpern, diese niedliche Stupsnase und deine stolpernde Stimme zogen mich an. Magisch eigentlich und ich konnte mich, nach diesen ersten Minuten, deiner Anziehungskraft nicht mehr entziehen. Ich hab gewartet was du von mir willst, aber du hast ja erst mal gar nichts gesagt.«
»Nein, ich wusste ja auch auf einmal nicht mehr was ich sagen wollte. Da standest du so vor mir, mit dem weiten, beigen Hemd, den Schulranzen noch in der Hand und sahst mich an. Ich denke, tatsächlich wie ein Auto.«
»Dann fiel es mir wieder ein«, sagte Wolfgang und trank seinen Kaffee leer. So, als legte er eine künstlerische Pause ein. »Ich hab ganz banal gefragt, woher du so gut rechnen kannst. Ne saublöde Frage, aber ich musste irgendwie zum Punkt kommen. Dir direkt zu sagen dass du mir gefällst – das war damals so ja kaum möglich, selbst wenn da keiner in der Nähe war. Und an Sex und Freundschaft dachte ich überhaupt nicht. Da war nur dieses Gefühl, das ich bis dahin so nicht gekannt hatte.«
»Wenn ich es heute betrachte, empfand ich für dich erst mal gar nicht so viel. Du bist mir sozusagen aufgefallen, das ja, aber dass ich behaupten könnte es hat Klick gemacht, nein, mit Sicherheit nicht an dem Tag. Zumal die Emmerich plötzlich wieder in der Klasse stand. Sie hatte, wenn ich mich recht erinnere, was im Pult vergessen. Sie hat noch gefragt was da los wäre und uns aus dem Zimmer gescheucht.«
»Ja, Andy, eben fällt es mir wieder ein. Sie fragte wörtlich „habt ihr was auszutragen? Nicht in der Schule. Geht rüber auf den Sportplatz, da könnt ihr euch meinetwegen blaue Flecken holen.“ Tja, richtig genommen war sie Zeuge des Beginns einer… wunderbaren Freundschaft.«
Wolfgang war beim letzten Satz leiser geworden. Zu intensiv wurden plötzlich seine Gefühle, zu deutlich tauchte die Vergangenheit samt allen möglichen Schattierungen wieder auf. Hatte er sie verdrängt, die Vergangenheit? Oder doch verleugnet, vor allem vor sich selbst? Und die Gefühle? Nur getauscht gegen das, was man von ihm verlangte? Saß er ein Leben lang hinter Gittern ohne es zu wissen? Er schämte sich der Gefühle nicht, die plötzlich wieder da waren. So frisch, so neu, so faszinierend und nach Neugier jappend. Sie bestimmten einst einen Teil seines Lebens, sie waren Lebenswichtig für ihn. Und was waren sie heute? Nur eine Erinnerung, eine Phase die er durchlebt hatte? Nein, es wäre vermessen gewesen sie als bloße Begleiterscheinung abzustempeln, als gegeben dahinzunehmen. In der Tat, so einfach konnte er es sich nicht machen. Sie waren schließlich einmal da, lenkten sein Denken und Handeln, bestimmten über einen Zeitraum seinen Lebensrhythmus. Sie verbanden ihn mit einem Jungen, und die Zuneigung zu ihm würde er auch heute noch, so wie damals, als Liebe bezeichnen.
Vielleicht war ja Christine eine Phase. Sie war da, sonst niemand. Sie kümmerte sich, sie liebte ihn, schenkte ihm einen Sohn und sie war eine großartige Ehefrau und Mutter. Als sie starb, ging ein Stück mit von ihm ins Grab. Mit einem Mal war er alleine. Leonhard war schon vor fünfzehn Jahren in die Staaten ausgewandert, sie hatten nur wenig Kontakt miteinander. Trotzdem hielt Wolfgang nicht an der Vergangenheit fest. Er trennte sich von seinen Gefühlen, gleich welcher Art. Auch Andreas blieb in den Tiefen seiner Seele verschollen, er suchte ihn dort nicht einmal. Und plötzlich war alles wieder da. Er drehte sich auf seinem Stuhl und suchte die Bedienung. »Ich glaube, ein Gläschen Wein wäre um diese Zeit nicht verkehrt«, sagte er.
Andreas nickte. »Nein, bestimmt nicht.«
Sie bestellten sich Merlot, fahren mussten sie beide nicht mehr. Und sie gerieten in eine Art Feierstimmung. Wiedersehensfreude. Es war klar, dass man sich nach so vielen Jahren etwas zu sagen hatte, aber dies hier war etwas Besonderes. Vielleicht eine Art Abrechnung mit der Vergangenheit. Eine Bilanz ziehen aus ihrem Leben. Niemand sonst konnte an diesem kleinen Tisch mitreden, sie waren die einzigen, die wussten, was hinter ihnen lag.
Langsam wanderte die Nachmittagssonne um die Büsche, schickte ab und zu ihr blankes Licht auf die Gesichter der beiden Männer. Wohlwollend nahmen sie die wärmenden Strahlen in sich auf. Es war, als würden sie die restlichen, dunklen Stellen in den Köpfen erhellen. Letzte Eisreste schmolzen in ihnen dahin.
Die beiden prosteten sich zu und stießen an. Noch während sie absetzten knüpfte Wolfgang das Gespräch wieder an.
»Jaja, die Emmerich.. sie ist ein Jahr später in Pension. Aber nach diesem Rausschmiss sind wir dann am Sportplatz vorbeigekommen. Ich weiß noch dass es geschüttet hat wie aus Eimern und wir in den Umkleideräumen Schutz gesucht hatten. Patschnass standen wir da und das war überhaupt nicht lustig. Unsere Eltern waren ja beide streng und wenn wir so nach Hause kamen gab’s ja immer ne ganze Menge Probleme. In den Räumen war niemand und es war schön warm. Ich hab wohl gesagt, wir könnten die Klamotten hier wenigstens ein bisschen trocknen. Außerdem wäre dann vielleicht der Regen weg. Genau weiß ich’s nicht mehr, aber ich hab mir nichts dabei gedacht mich so einfach da auszuziehen. Bis auf die Unterhosen, die hab ich angelassen..«
»Oh ja, Wolf, dieses Bild.. Als du fast nackt vor mir standest wurde mir erst mal ganz anders. Man muss schließlich wissen dass ich ohne Geschwister aufgewachsen bin während du noch zwei Brüder hattest.. Ihr habt euch ein Zimmer geteilt und sowas war für dich deswegen nichts besonderes. Aber ich hatte bis dahin noch nie einen Jungen so fast nackt gesehen. Ich bin vor Scham beinahe im Boden versunken und dachte noch, das werd ich nicht machen. Ich zieh mich nicht aus, egal was zu Hause passiert. Aber dennoch.. ich musste dich betrachten. Wie du so vor mir deine Sachen ausgezogen hast regten sich eigentlich auch zum ersten Mal Gefühle einer Art, die ich noch nicht kannte. Es zog zwischen meinen Beinen und ne Erklärung hatte ich eigentlich gar nicht. Ich sehe aber noch immer deinen schönen Körper vor mir. Diese Vollkommenheit.. Du hast mich in deinen Bann gezogen in dem Moment.«
Wolfgang grinste. »Schon komisch hab ich gedacht. Der steht da und guckt.. Ich hab wohl schon meine Brüder gesehen, auch ganz nackt, in der Badewanne. Aber die waren ja jünger als ich, Kinder eigentlich noch. Kein Vergleich zu einem Jungen in deinem Alter damals. Ich hab mich dann auch nicht mehr so wohl gefühlt als du mit deinen triefend nassen Klamotten so herumgestanden bist und ich hatte nur diese altmodischen Boxer an. Ich hab dir den Rücken zugedreht damit du mich nicht von vorn sehen sollst, obwohl ich das später irgendwie immer bereut habe. Ich glaub ich hab sogar die Hände zwischen meine Beine gehalten. War wohl Angst, du könntest da mehr haben und mich auslachen.«
»Ja, das war wirklich komisch. Du hast dich nicht gemuckst, ne ganze Weile nicht. Ich sah nur auf deinen Rücken und wusste überhaupt nicht was ich tun sollte. Aber dann wurde mir richtig kalt in dem nassen Zeug. Ich hab geguckt ob ich mich da irgendwie ausziehen konnte ohne dass du das siehst. Aber das war ja nichts, nur dieser große Raum mit den hölzernen Bänken. Da gab’s das Klo und die Duschen, aber da wollte ich nicht hin, das wäre dir sicher zu sehr aufgefallen. Letztendlich ist mir ja nichts geblieben als es da auf der Stelle zu tun. Immerhin warst du mir weggedreht und da dachte ich dass du das extra machst, um mich nicht zu verunsichern. Dann hab ich erst Hemd und Unterhemd abgestreift, die Schuhe und Strümpfe ausgezogen. Es war alles so eklig glitschig und kalt und hat so schrecklich auf der Haut geklebt.. Dann hab ich meine Hose aufgemacht und dich ganz intensiv fixiert. Ich dachte nur, hoffentlich dreht er sich jetzt nicht um. War natürlich Quatsch irgendwie. Einmal mussten wir uns ja ansehen. Aber soweit hab ich da echt nicht gedacht.«
Sie waren beim zweiten Glas Wein, die Sonne begann allmählich im Häusermeer der Stadt unterzugehen.
Andreas sah nach oben und hielt den Atem an. »Sieh mal, Wolf, die Mauersegler sind wieder da!«
»Echt? Wo?«
»Da oben, ein ganzer Schwarm. Und hör, jetzt hört man sie auch. Wolf, der Sommer ist heute gekommen.«
Andreas sagte das in einem Ton, dass Wolf ganz anders wurde. Ja, sie hatten früher immer die Ankunft dieser schnellen Segler gefeiert. Das war das Zeichen für warme und heiße Tage, mit der Rückkehr aus dem Süden brachten sie den Sommer mit.
Ihre Laune wurde dadurch noch einen Tick besser. Vorbei die dunklen Tage, nicht nur im Herzen. Vorbei der Frost, Schnee, eisiger Wind. Jetzt begann in der Natur ein neues Leben. Und so fühlten sich die beiden plötzlich. Erfüllt mit neuem Leben.
Andreas blickte Wolfgang seit Beginn ihres Gesprächs an dem Tisch wieder in die Augen. Nein, sie hatten nichts an Glanz verloren und in ihnen spiegelten sich langsam die kleinen bunten Birnchen aus den Lichterketten wider, die überall in den Büschen angebracht waren. Die Stadt wurde Schritt für Schritt ruhiger, immer leiser wurde die Geräuschkulisse im Hintergrund. Jetzt zog es auch die Liebespaare in das Cafe.
»Spätestens als ich mich umdrehte wird dir das gedämmert sein«, setzte Wolfgang das Gespräch fort. »Ich hab dich gemustert, ein anderes Wort gibt es dafür wohl nicht. Du hattest nicht deine Hände in den Schritt gelegt um deine Beule in der Unterhose zu verbergen. Und da hab ich zum ersten mal bewusst auf so eine Stelle gesehen. Du weißt ja noch, die Anzugshosen, alles andere als hauteng und man konnte sich den Inhalt nur zusammendichten. Aber soweit war ich damals ja noch gar nicht. Du hast da gestanden, die Arme hingen herab und deine Haare klebten nass auf deinem Kopf, ein paar Strähnen waren in die Stirn gefallen. Das hat mich unheimlich angemacht. Das sah so frech und erotisch aus..« Er kicherte. »Meine Güte, mit dem Wort konnte ich auch noch nichts anfangen. Aber am meisten musste ich mir deine süße Beule betrachten. Ich weiß ja nicht ob du da schon.. langsam einen Steifen kriegen wolltest oder ob das der Ruhezustand war. Glaub mir, von dem Bild hab ich Nächtelang geträumt, selbst heute hab ich es nicht vergessen. Aber auch nicht dein bedeppertes Gesicht dabei. Wärst du völlig nackt da gestanden hättest du nicht anders dreinschauen können.«
Andreas grinste, fast so frech wie früher wenn er etwas unanständiges im Schilde führte.
»Weißt du noch die Farbe meiner Unterhose?«
»Da muss ich nicht nachdenken. Grau. Ein ekliges, verwaschenes, dumpfes Grau. Die Dinger waren die reinsten Liebestöter.«
Sie lachten beide laut auf, so laut, dass die jungen Leute von den Nachbartischen herüberschauten. Aber es war ihnen egal. Zu köstlich war das Bild, das sie jetzt beide gleichermaßen im Kopf hatten. Sie waren nicht mehr hier in diesem kleinen Cafegarten, nicht wirklich. Sie waren dort, im Umkleideraum der Sporthalle, die längst einer Schnellstraße an der Schule weichen musste. Diesen Ort gab es nicht mehr, aber die Erinnerung an ihn war geblieben, eingebrannt für die Ewigkeit in den Köpfen der beiden Männer.
»Und deine war wohl irgendwann einmal weiß, Wolf. Hundertmal gekocht gab sie das aber auch nicht mehr her. Ich hab mich erst nicht getraut dir zwischen die Beine zu sehen. Mein Gott, was waren wir verklemmt. Obwohl, ich denke das war wohl auch viel Schüchternheit. Wann gab man sich denn damals so freizügig? Nur im Schwimmbad, wenn der ganze Pulk dabei war spielte es keine Rolle. Aber in dem Raum, nur zu zweit und dann ohne einen richtigen Grund. Den hat man beim schwimmen ja. Aber außerdem war da noch was in der Kabine. Etwas, das man nicht greifen kann, nicht sieht, schmeckt oder riecht. Es war meine erste Begegnung damit, aber es sollten ja noch so viele folgen..«
»Oh Andy, meine Unterhose war nicht nur nicht mehr weiß. Ich kann mich erinnern dass sie sogar schon brüchig war. Nicht viel später ist sie regelrecht auseinander gefallen. Aber auch kein Wunder, viel Geld hatten meine Eltern nicht. Es war nicht immer einfach in dieser Zeit, obwohl es das Wirtschaftswunder gab. Aber Vater war ja krank wie du dich sicher noch erinnern kannst.. «
»Ich weiß was du meinst, ich hab dieses Etwas erst später so richtig kennen gelernt. An dem Tag war ich viel zu aufgeregt um das wahrzunehmen. Du meinst doch auch – diese Mordsspannung. Hochbrisant. Aufreizend?«
»Ja, die, genau. Erotik halt. Mensch, wie einfältig diese erste Begegnung. Ähm, naja, die ersten Minuten.«
Wolfgang grinste. »Der Vorteil war, dass es nichts gab um diesen Zustand schnell zu ändern. Es war nicht kalt da drin, keine Menschenseele und Zeit hatten wir auch, weil wir ja nach der Schule Fußball spielen wollten. Dass das nicht geht bei dem Wetter würden die Eltern schon wissen, aber wenn schon mal so eine Situation war, sind wir einfach ins Clubhaus gegangen.«
Allmählich wurde es kühl, zu kühl um draußen zu sitzen. Wolfgang schlug den Kragen seines Mantels hoch. »Wollen wir reingehen?«, fragte er, nachdem auch Andreas seine Hände in die Jackentaschen gesteckt hatte.
Er nickte und sie gingen, beladen mit ihren Gläsern, hinüber zu dem Cafe, das noch lange offen haben würde. Außerdem war Andreas schon etwas bekannt bei den Besitzern, er kam hier öfter zu Besuch.
Sie fanden einen freien Tisch in einer Ecke, wo die Musik nicht zu laut war und einem auch sonst keine Nachbarn zu arg auf die Pelle rückten.
»Irgendwie hat das Rentnerdasein doch seine Vorteile. So selten wie in der letzten Zeit hab ich noch nie auf die Uhr gesehen«, bemerkte Wolfgang, nachdem sie Jacke und Mantel abgelegt und sich hingesetzt hatten.
»Ja, ohne Zweifel. Ich schlaf ja immer aus Morgens, wozu in aller Herrgottsfrühe im Dunkeln in der Wohnung herumschleichen.«
Andreas nickte zustimmend. Sie nahmen einen Schluck, zündeten sich ihre Rauchwaren an und kehrten an den Ort des Geschehens zurück. Hin zu den Umkleideräumen des Sportplatzes.
Andreas kicherte. »Ich würd sagen, ein Bild für die Götter wie wir so dastanden. Wobei – ein kleiner Gott warst du dann schon für mich. Das hat auch mein kleiner Freund gemeint und ist langsam größer geworden. Ich muss rot geworden sein in dem Moment wo ich sah, dass du das bemerkt haben müsstest. Zum Glück konnte ich mich ablenken, indem ich an ganz andere Sachen dachte in dem Moment. Ich hab einfach nicht gewagt dich so zu betrachten wie du mich, sonst hätt ich wohl sehen können ob du auch „reagierst“ «
»Dazu war ich zu angespannt, im Inneren meine ich. Trotzdem überkam mich dann dieses Gefühl, dich anfassen zu wollen. Überall wollte ich dich streicheln.. Und kam irgendwann an den Punkt wo ich sogar daran dachte, dich zu küssen. Klar ging das nicht, aber der Gedanke ließ mich nicht los. Bis du irgendwas in der Form sagest, dass die Klamotten nie und nimmer trocknen würden. Sie lagen einfach so da auf dem Boden herum und natürlich war klar dass diese Idee Blödsinn ist. Es gab ja keine Möglichkeit sie aufzuhängen, die Heizkörper waren kalt und einen Fön gab’s auch nirgends.«
Die Bedienung stellte nun kleine Teelichter auf die Tische und die Atmosphäre in dem kleinen Cafe wurde heimelig. Ruhige Hintergrundmusik störte kaum, die Gespräche der anderen Gäste glichen eher einem Murmeln. Die beiden Männer fühlten sich in dieser Umgebung sichtlich wohl.
»Das schlimme an sich war aber«, setzte Andreas fort, »dass die Kleider jetzt richtig kalt waren. Ich wusste dass ich empfindlich bin dagegen und auch, dass ich mir eine Erkältung holen würde wenn ich sie dann wieder so einfach angezogen hätte. Davor hatte ich mehr Angst als vor allem anderen. Aber wir hatten ja keine Chance, die Zeit begann uns ja dann doch davonzulaufen und wir hätten uns alles leisten können, nur nicht zu spät nach Hause zu kommen.«
Wolfgang zog an seiner Zigarette. »Ja, die einzige Möglichkeit bestand letztlich darin, zu demjenigen nach Hause zu gehen der am nächsten wohnte. Und das war ich. Wie einfach das heute wäre – man nimmt das Handy und sagt zu Hause was Sache ist. Aber dergleichen gab’s ja noch nicht. Fernseher gab’s kaum und Telefon auch nicht unbedingt. Wir hatten eins und da fassten wir den Entschluss, zu mir zu gehen. Ich fand das nicht gut, mir gefiel es so wie es grade war. Ich hätte dich stundenlang ansehen können, aber mir war klar dass wir hier nicht ewig herumstehen konnten. Wie das dann bei mir zu Hause weitergehen sollte wusste ich auch nicht so genau, aber ich dachte dann schon dass ich dir ein paar Klamotten von mir ausleihen könnte, wir hatten die gleiche Größe. Und dann waren meine Brüder bei der Oma für ein paar Tage, weil Vater die Wohnung renovieren wollte. So stellte ich mir vor, dass du dich n unserem Zimmer wieder ausziehen müsstest. Das hat mich richtig aufgewühlt und da spürte ich dann auch dass sich etwas an mir regte. Um Schlimmeres zu verhindern hab ich ja dann zum gehen gedrängelt. Also rein in die eiskalten, nassen Klamotten. Es war wirklich furchtbar.«
»Ich hätte heulen können, Wolf. Denn als wir rauskamen regnete es immer noch. Bis wir endlich bei dir zu Hause ankamen war ich fertig. Ich hab gefroren wie ein Schneider und wusste, das gibt ne Erkältung. Zum Glück haben meine Eltern nichts gesagt als ich sie anrief um ihnen mitzuteilen dass es später werden würde. Und deine Mutter war auch nicht böse dass ich bei euch so einfach aufgetaucht bin. Sie hat uns ja ins Bad gescheucht..«
Andreas grinste und nahm einen Schluck. Diesen Tag hatte er fast minutiös im Kopf.
Aber auch Wolfgang erinnerte sich an einzelne Sätze. »Oh ja. Ich hab dich meiner Mutter kurz vorgestellt – wobei mir jetzt einfällt dass sich das alles am ersten Tag unserer Begegnung abgespielt hat. „Marsch, alles ausziehen“, hat sie ohne Umstände befohlen und die Badewanne eingelassen. Mann oh Mann, da standen wir also mit den Unterhosen im Bad und warteten, bis die Wanne soweit voll war. Mutter blieb dabei, damit das Wasser die richtige Temperatur haben würde. Uns hat sie das ja nicht zugetraut.
„Ihr bleibt wenigstens ne halbe Stunde da drin“, hat sie noch gesagt. Dann endlich ist sie raus und hat die Tür zugemacht. Du bekamst einen roten Kopf, ich seh ihn noch vor mir. Groß war unser Bad eh nicht, wir hatten kaum räumlichen Abstand voneinander. Wer zog zuerst die Unterhosen runter? Ich glaub jeder hat da auf den anderen gewartet. Dabei wurde es so richtig schön warm im Bad und meine Gefühle begannen erneut ihr Eigenleben zu führen. Die einzige Chance, dass du das nicht mitbekamst war, so schnell wie möglich unter dem von Kernseife trüben Wasser zu verschwinden. Also Hosen runter und mit einem Satz saß ich im heißen Wasser. Ich dachte, mein Arsch verglüht so heiß kam es mir vor. Dabei war es ja nur weil wir so abgekühlt waren. Tja, und du Armer standest vor der Wanne und dein Kopf ist noch röter geworden.. Denn jetzt warst du dran und ich konnte dich genau beobachten. „Sei kein Frosch, komm schon rein“, hab ich zu dir gesagt. Aber du hast nur geguckt und bist immer kleiner geworden. Und ich bekam bei deinem Anblick zum ersten Mal einen richtigen Steifen. Ich mein, du standest direkt an der Wanne, deine Beule war nur ein Griff weit weg. Ein saugeiles Gefühl war das und der hauchdünne Schaumteppich auf dem Wasser gab mir Sicherheit.«
»Das alles war mir furchtbar peinlich«, fügte Andreas an, »ich wusste überhaupt nicht wo mir der Kopf stand. Zum einen hätte ich mich direkt vor deinen Augen ausziehen sollen, dann war mir klar was es bedeuten konnte – ich und du, da in der Wanne. Enger konnte es gar nicht werden und wir mussten uns berühren, ob wir wollten oder nicht. Mit der Situation bin ich überhaupt nicht klar gekommen. Selbst deine Aufforderung und die Bezeichnung Frosch konnten mich nicht aus dieser komischen Lähmung bringen. Ich hab ernsthaft überlegt, ob ich nicht einfach mit der Unterhose in die Wanne steigen sollte, egal was du darüber sagst oder denkst.«
»Ich dachte dann ich seh nicht recht – du bist tatsächlich mit samt deiner Unterhose reingekommen. „Sag mal, spinnst du? Wieso ziehst du deine Hose nicht aus?«, hab ich gefragt. „Ich will das nicht“, hast du total verschämt gesagt. „Ich will’s nicht und ich kann’s nicht. Punkt.“
Freilich war ich mächtig enttäuscht, aber was hätt ich machen sollen? Jetzt aber saßen wir uns da gegenüber, die Beine übereinander und näher konnten wir uns unfreiwillig so nirgends kommen. „Dann zieh sie wenigstens jetzt aus. Oder meinst du ich guck dir etwas ab?“, hab ich gefragt. Dann hast du nach einer Weile genickt und die Dinger umständlich ausgezogen. Aber das war ja noch schlimmer als alles andere. Es war einfach obergeil wie du dich angestellt hast. Ich konnte ja nichts sehen, aber die Vorstellung dass wir nun beide völlig nackt waren, nachdem du die Hose vor dem Bad auf den Boden fallen ließt.. das war schon ziemlich heftig. Mein Schwanz tat schon weh, so hart war er geworden und irgendwie hab ich gehofft dass du das mitkriegst. Ich war drum und dran mir einen runterzuholen, denn so geil war ich in meinem ganzen Leben noch nie. Dauernd hab ich an meinem Sack herumgespielt, während ich dich betrachtet hab. Irgendwie kam der Schwamm ins Spiel…«
»Sag mal, hast du keinen Hunger?«, unterbrach Andreas das Gespräch. »Ich für meinen Teil könnte jetzt was gescheites vertragen.«
Wolfgang nickte. »Aber wohin und was?«
»Hm, bin ja immer noch Hobbykoch, aber ich hätte da auch Pizza im Angebot.. Im Gefrierfach mein ich..«
»Andy, der Koch.. Ja, das hab ich noch in Erinnerung. Deine Kreationen.. Aber klar, ich bin nicht abgeneigt.«
Wenig später verließen sie das Cafe, durchquerten den Park und setzten sich in ein Taxi. Andreas wohnte etwas außerhalb der City und so waren sie schneller an ihrem Ziel.
*
»Dein Stil hat sich all die Jahre nicht geändert«, stellte Wolfgang fest, nachdem er Andreas’ Wohnung inspiziert hatte. Natürlich gab es keine Poster mehr an den Wänden, auch keine knalligen Tapeten. Nur im Schlafzimmer, direkt über dem Bett, prangte ein unbekannter Mann, fast nackt. Kunst würde man eher dazu sagen. Ansonsten legte Andreas Wert auf Zweckmäßigkeit. Und alles ordentlich. Eigentlich sahen die Zimmer so aus, als würde momentan dort gar niemand wohnen.
»Ich hab ja Zeit.. «, erklärte Andreas diesen Zustand.
Während er sich um die Pizzen kümmerte, stöberte Wolfgang in der CD-Sammlung.
»Nicht schlecht, dein Musikgeschmack hat sich dann doch ein bissen… hm, entschärft«, rief er in die Küche.
»Leg auf was dir gefällt.. heute kann ich alles hören – was nicht immer der Fall ist«, antwortete Andreas zurück.
Rasch hatte er den Tisch im kleinen Esszimmer gedeckt, die Pizzen und eine Flasche Wein aufgetragen.
»Wenn ich jetzt noch zwei Gläser trinke…«, stellte Wolfgang nachdenklich fest.
»Komm, dieser Tag ist einmalig. Ich ruf dir ein Taxi nachher, da kann gar nichts schief gehen.«
»Der Schwamm, ja..«, knüpfte Andreas an Wolfgangs Ausführungen an, während sie sich über die Pizzen hermachten. »Ein echter Schwamm sogar. Sündhaft teuer damals.. Du hast ihn aus der Seifenschale an der Wand genommen, ordentlich mit Wasser vollgesaugt, bis dann damit über dein Gesicht gefahren und hast ihn über deinem Kopf ausgedrückt. Von einer Sekunde auf die andere saß da ein anderer Wolfgang. Deine Haut schien plötzlich wie durchsichtig, Strähnen deiner Haare fielen über deine Stirn und das Wasser tropfte von deinem Kinn. Du sahst um Jahre jünger aus, fast noch wie ein kleiner Junge. Der Anblick hat mich sofort gefesselt und ich meine, du hast das auch gemerkt. Und dann hast du den Schwamm neuerlich mit Wasser aufgesogen und.. mir über dem Kopf ausgedrückt. Es war angenehm wie das warme Wasser so über mein Gesicht lief und du hast dabei ganz entzückt geguckt.. Dann bist du mit dem Schwamm ganz sanft über mein Gesicht gefahren und hast gelächelt dabei. Später wusste ich, in diesem Moment haben wir uns ineinander verliebt. Zumindest waren das die ersten, zarten Triebe, oder? Schüchtern, zärtlich, vorsichtig.. so sind wir uns näher gekommen und dies war der Anfang. Du bist dann mit dem Schwamm über meine Schultern gefahren, ganz langsam und wir haben kein Wort gesprochen..«
»Stimmt, Andy, ohne Worte. Ich glaube die waren auch gar nicht notwendig. Mutter rief irgendwann im Flur dass sie mit Vater einkaufen ginge und wir keine Dummheiten machen sollten. Außerdem müssten wir langsam wieder raus aus der Wanne. Aber die Tür ging zu, die beiden waren weg und wir waren allein in der Wohnung, allein da in der Wanne. Ich wusste, dass meine Eltern vor einer Stunde nicht zurücksein würden, das waren sie noch nie. Als ich dir dann so mit dem Schwamm über deinen zarten Oberkörper gefahren bin dachte ich ans ausflippen. Ich war so dermaßen erregt.. Und immer hoffte ich, du würdest das bei mir auch machen. Aber hast nur da im Wasser gesessen und die Augen zugemacht damit dir keine Seife in die Augen kam. Das war auch schön anzusehen. Ganz still hast du gehalten, wie ein Lämmchen das man hinter den Ohren krault.« Wolfgang grinste schelmisch..»Hat nur gefehlt dass du schnurrst wie eine kleine Katze.«