Margie 04 – Herrenrunde

Nur nicht umdrehen, das war dann der einzige Gedanke der mit durch den Kopf schoss. Und nur den drehte ich soweit herum, dass ich sehen konnte wer da grade das Bad betreten hatte. Mein erster Gedanke war ja Angelo, aber man konnte schließlich nicht wissen.

»Oh«, hörte ich nur und schon von der Stimme her wusste ich, dass es nicht mein Hase war. Ein Typ von da draußen hatte sich offensichtlich in der Tür geirrt, denn »Tschuldigung, muss mich verlaufen haben. Können Sie mir sagen wo hier die Toilette ist?« bestätigte dann auch meine Vermutung.

Konnte ich nicht, jedenfalls nicht auf Anhieb und in meiner augenblicklichen Situation klar zu denken, war eh praktisch unmöglich. »Nein, tut mir leid, so gut kenn ich mich hier noch nicht aus.«

»Aha. Dann nichts für Ungut«, und weg war er, allerdings nicht, ohne mir noch mal so einen komischen Blick zuzuwerfen. Na ja, gesehen hatte er ja nicht was ich da getrieben hab, aber vielleicht so etwas Ähnliches gedacht.

Mein kleiner Freund hatte es unter diesen Umständen ziemlich rasch vorgezogen, sprichwörtlich klein beizugeben. Im Moment war ich mir nicht sicher ob mich das ärgern sollte.
Der Typ war eigentlich, im Prinzip wie die anderen auch, recht passabel. So ein typischer Yuppie, wie man früher zu der Sorte zu sagen pflegte. Geschniegelt und fast steril im Auftreten. Na ja, das musste nichts heißen.
Ich kannte Videos, da waren die am schlimmsten wenn’s um richtig harten Sex ging. Aber diese Gedanken wischte ich schnell beiseite, sie kommen einen manchmal schneller in den Sinn als man möchte.
Ich packte meinen Freund in Angelos Slip und zog den Rest auch noch an. Passte wie für mich geschneidert und nun fühlte ich mich auch wieder irgendwie wohl in meiner Haut. Der Gedanke, dass ich möglicherweise zu jenen Unterwäschefetischisten gehören könnte, kam für einen kurzen Moment, dann zuckte ich mit den Achseln.
Und wenn schon, gefährlich sind solche Leute letztendlich nicht. Haargel gab’s auch, von der feineren Sorte übrigens, und schon war ich bereit für meinen nächsten Auftritt da draußen. Ich war ziemlich gespannt, was Angelo noch so anstellen würde.

»Hui, da kommt ja direkt frischer Wind auf «, rief mir Angelo von der Terrasse aus zu – und das vor den Blicken und dem Gehör seiner Gäste.

Er verstand es, mich das eine ums andere Mal verlegen zu machen und eigentlich benahm er sich, als wären wir schon Jahre zusammen. Und dem Kuss nach sogar ein Paar. Aber gut, von beidem waren wir wohl noch eine Ewigkeit entfernt. Allerdings, die Annäherungs-geschwindigkeit war doch schon fast im Überschallbereich. Das war jedenfalls mein Gefühl.

Da stand ich nun inmitten dieser Gesellschaft, von der ich noch immer nichts wusste. Aber Angelo stellte sie mir dann nacheinander vor. Zwar sagten mir ihre Namen überhaupt nichts, aber ihre Titel – fast alle Manager einer großen Musikfirma.
Also einer, die man auch kannte. Und eine Person war dabei, die sicherlich eine Schlüsselrolle für Angelo spielen würde, zumindest stellte ich mir das vor. Er war Leiter eines großen Rundfunkorchesters. Hatte ich schon öfter mal gehört und Angelos Augen leuchteten um ein Vielfaches mehr, als er mich dem großen, hageren Mann mit den fast weißen Haaren vorstellte.
Angelo zog einen freien Korbstuhl unter dem Tisch hervor und bat mich, dort Platz zu nehmen. Da saß ich nun, mit der großen 66 auf der Brust. Irgendwie war mir in dieser Gruppe nicht so sonderlich wohl, obgleich sich die Männer nicht an mir zu stören schienen. Angelo hatte mich lediglich als „guten Freund“ vorgestellt.
Nun gut, ob man nur guten Freunden einen Kuss gibt – das war dann noch die andere Frage. Aber solche hatten die Herren nicht und es schien, als sei das geschäftliche, wie auch immer, erledigt. Denn keine fünf Minuten nachdem ich mich an der Tisch gesetzt hatte standen sie auf, fast wie auf Kommando. Sie verabschiedeten sich von mir und Angelo begleitete sie nach draußen.
»Ich bin gleich wieder hier. Da hinten stehen Getränke und was zum Essen«, sagte er noch, dann ging er mit denen im Schlepptau nach draußen.
Irgendwie war mir noch leicht schwummrig von dem Getränk, aber es hatte so lecker geschmeckt. Und es löste auch etwas meine Anspannung, die ich doch hatte. Was würde gleich passieren, wenn er zurückkam? Ich durchforstete das Getränkearsenal und mischte mir einfach was zusammen, nebenher vergriff ich mich an den Lachs, – Kaviar und Schinkenschnittchen.
Dann ließ ich mich auf den Stuhl fallen, ich war wirklich völlig kaputt.
Es dauerte eine Weile bis Angelo wieder auftauchte, aber das hatte ich eh befürchtet. Nun war ich doch ziemlich gespannt was er mir zu berichten hatte.

»Na ja, so wie dir Dinge liegen werde ich wohl das Orchester wechseln«, sagte er und mischte sich dabei auch etwas von den Getränken zusammen.

»Willst zum Rundfunk?«

»Ja, das ist besser als der Tingelverein. Gut, es ist nicht schlecht dort, aber von der Sache her reizt es mich schon.«

»Dann wirst du aber.. nicht mehr hier sein können?« Allein die Frage machte mir Angst. Kaum hätte ich jemanden gefunden der irgendwie zu mir passt und in den ich mich in jeder Minute ein bisschen mehr verliebte, war es schon wieder vorbei. Gut, das passt zu deinem Pech, so mein erster Einfall dazu.

»Ach, Frankfurt ist nicht weit von hier. Ich hab ja bis auf mögliche Konzerte ganz normale Arbeitszeiten. Vorerst wird sich also nichts ändern.«

Vorerst. Wie das klang. Irgendwie nach Galgenfrist. »Und was ist mit – Margie?«

»Ja, meine Margie. Robert hat sie zu einem Bekannten gebracht, dem Schumann. Ist so ein wirklich alter Geigenbauer. Der wollte mich heute noch anrufen ob sie zu retten ist.«

»Und wenn nicht?«

Angelo setzte sich neben mich und nippte an seinem Cocktail. »Gute Frage. Wenn sie nicht zu reparieren ist werde ich mir wohl oder übel eine neue zulegen müssen. Das ist zwar ziemlich bedauerlich, aber nicht zu ändern.«

So wie er über seine Margie redete, musste er richtig verliebt in sie sein.
»Sag mal, ich hab dir ne SMS geschickt und versucht dich anzurufen…«

»Oh.. mein Handy.. ich hab’s gestern Abend im Auto liegen lassen. Und heute Mittag kamen die Leute.. jetzt wo du es sagst.. warte einen Moment, vielleicht wollte mich ja jemand anrufen.« Damit stand er auf und eilte erneut ins Haus.

Ich lümmelte mich auf den Stuhl, zum Glück war mein Sonnenbrand nicht mehr so wild. Wie schön es hier doch war. Blick über die Felder, kein Lärm, nichts.

Angelo blieb nur wenige Minuten weg. »Tschuldige die Sache mir dem Handy, aber das war…«

»Macht doch nichts. Kommt vor. Allerdings – das hast du nun davon, nämlich dass ich hier bin.«

Er setzte sich wieder neben mich. »Wieso das denn?«

»Nun, irgendwie hatte ich das Gefühl, es könnte was passiert sein.«

Er hielt den Kopf etwas schräg und grinste. »Was soll mir denn schon passieren?«

»Nun, immerhin hattest du fremde Leute im Haus. Man kann schließlich nie wissen.«

Er zündete sich eine Zigarette an und hielt mir die Schachtel hin. Ich zog eine heraus. »Hm«, setzte er etwas nachdenklich fort, »das klingt als wärst du um mich besorgt gewesen..«

»So ist es. Und das geht ja nicht. Aber sag mal, was genau haben die Typen denn von dir gewollt? Ich mein, die kommen ja nicht einfach so hier reingeschneit.«

»Nein, das stimmt schon. Also.. na ja, ich sag’s ja ungern, aber das hat schon mit Opa und meinem Dad zu tun. Die haben ja auch in Orchestern gespielt, mein Opa war sogar Solist. Konzertmeister. Und da gibt’s eben Beziehungen, weißt du.«

»Ah, jetzt ist mir das klar. Und dein Vater?«

Angelo wurde nachdenklich. »Der hat die Musik früh aufgeben müssen. Er bekam eine schwere Mittelohentzündung und seitdem war’s halt nichts mehr.«

»Oh.«

»Er ist dann über Freunde ins Immobiliengeschäft eingestiegen. Aber keine Angst, er ist kein Halsabschneider wie andere.«

Das setzte er sofort hinterher als er meinen Gesichtsausdruck sah. »Es wird halt da auch schwarze Schafe geben, wie überall«, beruhigte ich ihn. »Sind deine Eltern nicht hier?«, wechselte ich dann das Thema.

»Die sind für zwei Tage nach Spanien geflogen. Ein Projekt meines Vaters.«

»Bist du alleine, oder hast noch Geschwister?« Ich begann immer neugieriger zu werden.

»Bin allein. Ich glaub das ist auch ganz gut so. Ich hab jedenfalls nie bereut allein aufgewachsen zu sein. Und du, was ist mit dir?«

»Bin auch allein. Allerdings, einen Bruder oder Schwester hätte ich mir schon gewünscht.«

»Und was machen deine Eltern so?«, fragte er mich dann.

»Vater arbeitet in einer Chemiefabrik, meine Mutter ist Hausfrau. Zurzeit schwirren sie in der Toskana herum. Hab mal sturmfreie Bude.«

»Und was machst du so?«

»Industriekaufmann. Nicht meine Welt, aber die Lehre zieh ich noch durch.«

Er hob das Glas und stieß mit mir an. Es machte Spaß sich mit ihm zu unterhalten. Gut, ein bisschen neidisch war ich schon wenn ich mich dort umsah. Da war alles vom Feinsten, mein Dad hätte da einiges an Überstunden machen müssen. Dennoch, ich wollte nicht undankbar sein.

»Schon wieder ein Tag vorbei«, seufzte Angelo und sah auf die Uhr. »Was kann man denn heute noch so anstellen?«

»Hm, ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich jedenfalls körperlich nichts mehr auf die Rolle kriege.« Der Blick, den er mir dann zuwarf, hatte ich erwartet. Denn das konnte man nun auch wieder in alle Himmelsrichtungen interpretieren. Aber ob er dabei an Sex dachte konnte ich so nicht aus dem Blick herauslesen.

»Also zum Essen ist genug da und wenn du schon nicht nach Hause musst..«

Was ich sehr komisch fand, war, dass wir nicht irgendwie auf das Thema Freundschaft zu sprechen kamen. Darum musste ich an dieser Stelle einhaken. »Sag mal, hast du eigentlich keine Freunde, oder einen Freund?« Das war wohl ziemlich direkt, aber eben auch nicht unwichtig.

»Freunde, woher sollte ich die haben? Wir wohnen eben noch nicht lange hier und zudem hatte ich ja auch kaum Zeit dafür. Einen Freund.. nee, erst recht nicht.«

Erschöpfend war die Aussage nicht, aber fürs erste sollte es mir reichen. Ich dachte nur, jetzt kommt er gleich wieder mit dem Angebot, hier zu bleiben und was das bedeutete musste man nicht erst aus den Fingern saugen.
Er war scharf, rattenscharf, das sah ich ihm an oder glaubte es zumindest es sehen zu können. Seine Blicke, die er manchmal über meinen Körper schweifen ließ, mochten mich zu diesem Schluss kommen lassen.
Aber einen Jungen nur für den Sex, das wollte ich nicht. Klar machte auch mir das Spaß, aber es fehlte eben dieses gewisse Etwas. Vertrautheit, Zuneigung, Verständnis, Kompromissbereitschaft. Davon war dummerweise überhaupt nichts zu spüren. Von meiner Seite aus natürlich schon; da gab es Zeichen der Verliebtheit.
Ich begehrte ihn, das war keine Frage. Aber wie stand er zu mir? Welche Rolle spielte ich in seinem Leben, wenigstens seit ein paar Stunden? Ich überlegte mir die richtigen Worte. Weder wollte ich mit der Tür ins Haus fallen, noch ihn auf diese Art vielleicht sogar erschrecken. Natürlich kam nun wieder Panik in mir auf. Würde er gar keinen Freund wollen? Verständlich, wenn ich mir seine Zukunft vor Augen führte. Immer unterwegs, selten zu Hause oder immer nur am späten Abend. Und auf eine Wochenendbeziehung hatte ich natürlich auch keine große Lust.
Alles in allem wurde ich zunehmend nervös, aber ich musste Bescheid wissen. „Stell erst mal dumme Fragen, dann siehst weiter.“

»Wie ist das bei dir so.. ich mein, mit Freundschaft?«

Sein Blick ging an mir vorbei, hinter mich in die blühenden Rosen unter der Pergola. Er wusste sehr genau worauf ich hinauswollte und mir schien, dieses Thema behagte ihm gar nicht. Umso besser, dachte ich, dann rückt er jetzt damit raus und ich kann mich drauf einstellen.
Ich stand auf und ging zu der Anrichte hin, um mir noch ein paar von den Schnittchen zu genehmigen, zudem mixte ich mir noch einen Drink. Insgeheim gab ich Angelo damit Zeit, auf meine Frage zu antworten.
Ich setzte mich wieder hin und sah ihn an. Nein, er durfte nichts Negatives über Freundschaften erzählen, das hätte ich kaum überlebt. Freilich fiel mir in dem Moment jener dumme Spruch ein, den ich schon öfter gehört hatte.
Zwar eher in Bezug auf weibliche Welten, aber das würde hier genauso passen: Ein schöner Mann gehört einem nie allein. Und wenn ich alles auf dieser Welt getan hätte, aber ihn oder auch jeden anderen mit jemand zu teilen, das käme nie in Frage. Dann würde ich lieber jetzt gehen.

»Ich hatte einmal einen Freund«, begann er dann ziemlich leise, so dass ich es kaum verstehen konnte. »Aber das ist ne Weile her. Er wohnte bei uns in der Nachbarschaft und war ziemlich süß – so wie du..« Dabei grinste er breit, wurde aber sofort wieder ernst. »Ich war 15, er schon 17. Aber das hat uns nie gestört.«

Ich spürte, dass das nicht alles war, irgendetwas schien zwischen den beiden passiert zu sein. Ich fragte nicht weiter, denn wenn es ihm wichtig war darüber zu reden würde er selbst damit herausrücken. Und das tat er dann auch.

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