Margie 13 – Chaos im Kopf

Es hörte auf, irgendwann. So einigermaßen kam ich erst zu mir, als ich auf einem Klappstuhl neben dem Sanitätswagen einen Eisbeutel an meiner Stirn fühlte. Und den hielt ich sogar selbst.
Was passiert war, musste ich dann nicht fragen, die Schrecksekunden hatte ich noch sehr genau im Kopf, der scheinbar in einer Schraubzwinge steckte. Ein paar Blutspritzer auf meinem Shirt und dieses Dröhnen im Schädel war alles was ich zunächst registrierte.
Einen Blick zur Unfallstelle hatte ich nicht, da standen andere Autos davor und mir schien dann, es herrschte Chaos. Stimmen, Hupen, Leute wimmelten hin und her. Doch, da über den Dächern der Autos, konnte ich einen der Brummis ausmachen.
Nach diesen ersten Eindrücken um mich herum fiel mir Angelo ein. Rasch sah ich mich um, aber ich konnte ihn nirgends sehen. Ich stand mit wackligen Beinen auf, also war am Gehapparat scheinbar nichts kaputt.

»Geht’s?«, wollte ein Sani wissen, der in der Nähe stand.

Ich nickte nur, sah in den Saniwagen, aber der war leer. Wo war mein Freund? Erst jetzt stellte sich so eine Furcht ein, eine Ahnung und ich fragte mich, ob alles was da grade passiert war, eben diese Ahnungen der letzten Zeit gewesen waren.
Aber das spielte dann auch gleich keine Rolle mehr. Ich ging davon aus dass die Angelo vom Namen her nicht kannten.

»Wo ist der Fahrer von dem Porsche?«, fragte ich deshalb.

Der Sani sah mich an und ich dachte ich kippe um. Die Schmerzen, die Hitze, ich war eigentlich völlig fertig. Warum sagte der nichts?

»Wissen Sie, wo der Porschefahrer ist?«, fragte ich dann etwas lauter.

»Der ist ins Krankenhaus geflogen worden«, hörte ich ihn wie durch dicke Watte sagen.

Und weiter? Ich brachte noch soviel zusammen, dass man nicht wegen einer Schramme mit dem Hubschrauber weggebracht wird.

»Wie schlimm?«, hakte ich dann nach, schon etwas ungehalten weil der sich alles aus der Nase ziehen ließ.

»Sind Sie ein Bekannter?«, wollte der dann wissen.

»Nein, ich bin sein Freund«, antwortete ich dann schon fast bissig.

»Ich kann Ihnen leider auch nicht mehr sagen.«

Haha. Der wollte nicht, das war mein erster Gedanke. Wieso hatte ich mich nicht einfach als Bruder ausgegeben? Dann hätte der mir mehr erzählt. Und überhaupt, wie fasste der am Ende „mein Freund“ auf?
Ich versuchte ihm näher auf den Zahn zu fühlen, aber er meinte nur ich solle mich setzen und nicht anstrengen, ich stünde noch unter Schock. Das wusste ich sehr wohl selbst.
Drüben an den anderen Autos stand noch einer von der Sorte und obwohl ich nie schlechte Erfahrungen mit Sanitätern gemacht hatte, scherte ich sie da über einen Kamm.
Dennoch, vielleicht hatte ich bei dem etwas mehr Glück. Der Sani war noch nicht alt, wahrscheinlich ein Zivi so wie es mir vorkam. Ich schleppte mich mehr zu ihm hin als ich ging.

»Wissen Sie zufällig, was mit dem Porschefahrer passiert ist? Ich war Beifahrer.«

Er sah mich an, eher ein mustern würde ich sagen. Seinem Gesicht war zunächst nichts zu entnehmen.

»Wohl etwas schnell unterwegs gewesen?«, sagte der nur mit einem richtig gehässigen Grinsen im Gesicht. Liebend gern hätte ich jetzt darauf eingeschlagen, bis den auch der Heli holen musste. Ich hatte die letzten Sekunden noch vor Augen und sah den Wagen ausscheren. Wir waren unter diesen Umständen eher zu langsam – aus diesem Blickwinkel betrachtet.

»Das wollt ich nicht wissen«, fauchte ich ihn an und er merkte, dass man mit mir auf so einer billigen Basis nicht reden konnte. Vielleicht fand ich wegen meines Schocks ja doch ein gutes Wort bei ihm. Wenn er denn so dachte.
Weil er aber erst mal schwieg, war mir klar dass er einen Hals hatte, bei dem Wetter einen Einsatz fahren zu müssen. Bloß weil zwei Halbwüchsige Formel Eins spielen wollten, seiner Meinung nach. Ich wünschte ihm und mir, dass er an dieser Stelle nun nichts Falsches mehr sagen würde.

»Ich hab ihn nicht gesehen. Er ist ins Krankenhaus geflogen worden.«

Gut, da weiter nachzufragen schien mir dann Sinnlos. „Hab ihn nicht gesehen.“ Wer es glaubt wird selig, dachte ich zornig. Es musste doch verdammt noch mal einer am Ort sein, der mir Auskunft geben konnte. Von allein war Angelo bestimmt nicht in den Hubschrauber gestiegen.

Aber das war Fehlanzeige. Keiner der Sanis, die hier herumstolperten, konnten oder wollten mir sagen was genau mit Angelo passiert war. Nicht mal, wohin man ihn geflogen hatte. Das war blanke Wut auf uns, da war ich mir dann sicher.
Wenn Unfälle mit solchen Autos passierten war eben immer Leichtsinn im Spiel. Das waren die anderen nicht, mit ihren lahmen Kisten konnten sie so was gar nicht produzieren. Das wurde mir an dem Tag Klipp und Klar. Selber Schuld, das war’s. Aber okay, es würde ja ein Nachspiel geben. Spätestens der hintere Brummifahrer..
Ich machte mich auf den Weg zur Unfallstelle hin. Eigentlich wollte ich nicht, ich wäre auch nicht hin wenn man mir vernünftig Auskunft gegeben hätte. Keiner hielt mich auf, scheinbar wollten sie, dass ich sehe was wir angerichtet hatten.
Und es sah mehr als Böse aus. Immer wenn ich solche Unfälle gesehen habe stand da meistens die Fragen im Raum, erstens, wie konnte das passieren, zweitens, wie konnte jemand lebend aus diesen Trümmern steigen? Ich zwang mich regelrecht, nicht näher hinzusehen; auch aus Angst, ich könnte da etwas entdecken was in meinen schlimmsten Träumen nichts zu suchen hatte.
Dann sah ich sie stehen, die Brummifahrer, eingekreist von wenigstens vier Polizisten. Sie diskutierten, wedelten mit den Händen. Ausländer wahrscheinlich. Auch noch das, dachte ich. Aber das war im Zuge der Ermittlungen sicher kein Problem.
Ich stellte mich so quasi dazu, bekam dann mit, dass einer der Kraftfahrer doch etwas Deutsch zu sprechen schien.

»Entschuldigung, ich war Beifahrer – in dem Porsche da«, sprach ich den einfach an und nickte zu dem Schrotthaufen, dessen Form in nichts mehr an ein Auto erinnerte.

Die Polizisten wurden auf der Stelle aufmerksam und nahmen mich sofort zur Seite. Wahrscheinlich durfte ich gar nicht mit ihnen reden, unter Schock, aber ich hatte ja alle meine Sinnen beisammen und ich musste endlich wissen, wo Angelo war und wie es ihm ging.
Ohne diese Info würde ich sowieso überhaupt nichts sagen. Man fragte nach meinem Namen, Adresse, Papiere und all den Kram. Meinen Ausweis hatte ich nie dabei, was die natürlich gleich wieder skeptisch dreinblicken ließ.
Und endlich.. wer war der Fahrer? Das wussten sie anscheinend noch nicht und da hörte ich ein weiteres, schreckliches Geräusch. Die Feuerwehr war mit einer Blechschere zugange, um an das Fahrerhaus unseres Autos zu gelangen. Wie waren wir dort herausgekommen?
Saßen wir überhaupt in dem Auto oder war das ein ganz anderes? Seltsame Fragen bohrten in mir, aber die wichtigste war immer noch nicht beantwortet.

»Wo ist der Fahrer hingekommen?«

»Wer war denn der Fahrer?«, wollte einer der Grünen wissen.

Sollte ich dem antworten? Wenn ich’s nicht tat, war das nicht gut für mich. Tat ich’s, würden die auch wieder nichts wissen. Es war schon blöd, zumal sich meine Kopfschmerzen in den Vordergrund arbeiteten.

»Er heißt Angelo Kassini.«

Der Grüne stand da mit seinem Notizblock, starrte mich an und mir war klar, dass der mehr, sehr viel mehr wissen wollte. »Wo ist er hingebracht worden?«, versuchte ich es jetzt doch.

»Da müssen Sie die Sanitäter fragen. Wissen Sie was passiert ist? Haben Sie was gesehen?«

Ich befahl mir, die Klappe zu halten. Wie war das? ..Kann gegen Sie verwendet werden?.. Nein, ich habe nichts gesehen, hab rausgeguckt zur Seite als es krachte. So in der Art formulierte ich dann meine Antwort, wobei sich mein Blick auf den Kraftfahrer heftete.
Der sah mich auch an, aber so gar nicht böse irgendwie. Sofort schöpfte ich Hoffnung. Wenn die wissen dass wir nicht Schuld waren, würde ich vielleicht doch mehr erfahren.

»Was ist passiert?«, fragte ich dann den Fahrer.

Der fing auch sofort an zu plappern. Ich hörte nur.. „keine Schuld, Auto zwischen uns, rausgeschert.. hat es kommen sehen weil er uns im Rückspiegel beobachtet hatte..“ und so weiter. Mit jedem seines Worts wurde mir etwas besser.
Ich für meinen Teil könnte mich ja nach und nach wieder an den Unfallhergang erinnern. Wenn diese Amnesie vorüber war.. auf die würde ich es jetzt schieben. Nur, allmählich wurde mir dieses Theater zu bunt.

»Die Sanitäter sagen mir nicht was mit dem Fahrer ist und wo man ihn hingebracht hat«, sagte ich dann zu einem der anderen Polizisten, der sich zu uns gestellt hatte und mir eigentlich ganz sympathisch vorkam.

»Er ist ein guter Freund und ich muss wissen wo er ist.«

Verleugnete ich Angelo, weil ich nicht „mein Freund“ gesagt hatte? Er würde es mir verzeihen, denn irgendwie war es eine Notlösung. Wer wusste schon, wie die Schwulen gegenüber eingestellt waren und diese Komplikation wollte ich einfach nur umgehen.

Der Grüne nickte kurz und winkte einen der Sanis zu sich. Genau den ekligen, den ich am Anfang gefragt und der so blöd geantwortet hatte. Sie tuschelten kurz, ich kriegte aber noch mit dass der Sani leicht rot wurde und mir einen giftigen Blick zuwarf. Wenigstens ein Lichtblick hier.

»Er hat Verletzungen an den Beinen, was genau weiß man nicht. Er ist jetzt in der Unfallklinik Ludwigshafen.«

»Dankeschön«, brachte ich noch raus, dann wurde es Nacht. Aber richtig Nacht.

Schon ein komisches Gefühl wenn man es nicht gewohnt ist, flach in einem fahrenden Auto zu liegen. Mein erster Blick ging in das Gesicht eines Sanis, das ich noch nicht kannte und sich über mich gebeugt hatte. Allerdings wusste ich dann sehr rasch wo ich mich befand.

»Ganz ruhig, alles in Ordnung«, hörte ich die angenehme Stimme das Sanitäters. Wir fuhren scheinbar nicht sonderlich schnell und ohne Blaulicht. »Bist ein bisschen zusammengeklappt. Das kriegen wir schon wieder hin.«

Nun fing mein Schädel wieder an verrückt zu spielen. Irgendwie Gehirnerschütterung, das nahm ich dann einfach mal an.

»Wo bringt ihr mich hin?«

»Heidelberg. Wir sind gleich da.«

»Und dann?«

»Wir checken dich mal richtig durch. Kann ein oder zwei Tage dauern. Wen sollen wir benachrichtigen?«

Oh, mein Kopf. Ich tastete meine Taschen ab, aber ich konnte mein Handy nirgends fühlen. Ich wollte mich aufrichten, aber zwei Gurte hielten mich stramm auf der Tragbahre.

»Meine Eltern sind in Urlaub und ich kann sie nur über Handy erreichen. Aber, ich hab’s nicht mehr.«

»Hm, wird wohl noch im Auto liegen. Aber das wird sicher gefunden.«

Oh Mann, tausend Gedanken. Wer suchte danach, wann wurde es gefunden und wer würde es mir bringen? Das konnte ewig dauern. Aber es half nichts. Ich nickte, weil mir das Sprechen irgendwie unheimlich schwer fiel.
Dann dämmerte ich weg, wahrscheinlich hatten die mir was gegeben. Diese Dämmern war stärker als Fragen nach Angelo, aber mit Sicherheit konnte man mir hier ebenso wenig sagen. Für mich war zunächst wichtig und etwas beruhigend, dass ihm wirklich nichts Schlimmes passiert war. Ich mein, er war am Leben. Oder? Wenn es so war, und daran musste ich einfach glauben, konnte er seinen Eltern selbst Bescheid sagen. Aber Hubschrauber..
Vielleicht war er gar nicht bei Bewusstsein. Seine Handynummer hatte ich nicht im Kopf und von sich zu Hause wusste ich sie gar nicht. Das alles bäumte mich auf, aber es kam nicht richtig durch. Ein paar Mal versuchte ich gegen diese Trance anzukämpfen, aber sie siegte immer wieder.

Erst als man mich durch die Gänge des Krankenhauses schob kam ich wieder zu mir. Eine Mischung aus totaler Erschöpfung, Schmerzen, Angst. Kaum richtig zu beschreiben. Ich ließ alles mit mir geschehen, mir fehlte einfach die Kraft mich irgendwie zu wehren.

Ein Scheißzustand. Ich wurde dann in ein Zimmer gebracht, zweifellos nicht eins der gewöhnlichen. Überall Apparate, und ich war allein. Eine Schwester half mir beim ausziehen, nicht mal dabei weckte sich mein Schamgefühl.
Ich dachte bloß, erstens sieht die das nicht zum ersten Mal, und dann hast ja auch nix zu verbergen. Sie verpasste mir so ein Flügelhemdchen und meinte dann ich solle einen Moment warten, der Arzt käme gleich. Ein Notfall war ich schon mal nicht, sonst hätte man mit solchen Sachen keine Zeit verplempert.

Der Arzt kam dann auch, ein junger Kerl noch. Ja, Uniklinik, fiel mir dann ein, während er seine Untersuchungen an mir durchführte.

»Tut’s irgendwo weh?«, fragte er.

»Nur mein Kopf.. aber wie kann ich erfahren, was mit meinem Freund passiert ist? Man hat ihn nach Ludwigshafen geflogen«, fragte ich den Arzt, als er meinen Brustkorb abhorchte.

»Mal tief ein- und wieder ausatmen«, hörte ich aber nur.

»Können Sie mir nicht irgendwie helfen?«, bohrte ich weiter, als er dann meine Beine rumknautschte.

Hätte ihm aber sagen können dass ich noch alles fühlte und da auch keine Schmerzen hatte.
Sein Blick daraufhin war nicht jener, aus dem man Hoffnung schöpfen darf.

Trotzdem: »Wie heißt er denn? Ich kann es mal versuchen.«

»Angelo Kassini.«

»Kassini? Hm, der mit den Immobilien?«

Mein Gesicht hellte sich auf, einen Moment lang. Dann kamen schon wieder Bedenken. Hatte der ihm vielleicht eine alte Bude für viel Geld untergejubelt? Man weiß, die Welt ist bekanntlich ein Dorf.

»Ja. Kennen Sie ihn?«

Er klopfte mit einem Stahlhämmerchen auf meine Kniescheibe, worauf mein Bein fast in die Waagrechte schnellte.

»Nicht persönlich, aber unter uns Ärzten ist der Name schon Begriff, sozusagen.«

Ich nickte, meine andere Kniescheibe war dran. Wie auch immer, nachteilig schien dieser Name nicht zu wirken.

»Gut. Soweit scheint alles in Ordnung zu sein. Wir werden aber deinen Kopf röntgen, einfach um sicher zu sein. Ich werde zusehen was ich erfahren kann.«

Er kritzelte etwas in eine Kladde und befahl mir, mich hinzulegen. Man würde mich dann abholen.

»Und mein Handy.. im Auto. Ich muss meine Eltern benachrichtigen, sie sind in Urlaub.«

Er lächelte und nickte. »Ich werd mich drum kümmern, versprochen.«

Ups. Ich ließ mich ins Kissen sinken, sehr vorsichtig. Nachdem ich ja nun irgendwie einen Verbündeten hatte und auch sonst nicht weiter lädiert war, begann ich mir wachsende Sorgen um Angelo zu machen.

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