Ableitungen und ähnliche Unfälle 2 – Teil 1

Prolog

*** Joshua

Flo sah mich dankbar über den Tisch hinweg an.

„Josh, dein Essen war fantastisch.“

„Danke. Aber ich bin echt tierisch nervös, wegen morgen.“

„Du willst es ihnen wirklich erzählen?“

„Also Linda und Alex ja, sonst niemandem!“ — „Um es mal eben aufzuklären: mein Name ist Joshua Dellmer, Schüler der 12.ten Klasse. Letzte Woche hatte ich einen Unfall, der mein Leben grundlegend verändert hat. Mein Opfer war der neue Referendar meines Gymnasiums. Ich trennte mich von meiner Freundin und verliebte mich tatsächlich in diesen liebevollen, zärtlichen, gut aussehenden, cleveren,…“

„Josh, mach mal schneller und hör auf mir schmeicheln zu wollen, dass hast du nicht nötig!“

„Danke Flo. Lange Rede kurzer Sinn: ich bin schwul. Das ist übrigens auch Peter, ein Freund von mir. Leider unglücklich verliebt (in mich). Sein Selbstmordversuch hat uns alle sehr bewegt. Er wohnt jetzt bei Alex, dem ehemaligen Klassengroßmaul. Nun, ein Großmaul ist er zwar immer noch, aber er hat das Herz am Rechten Fleck. Und mit meiner besten Freundin Linda ist er auch zusammen. Leider hat ihn Peters Vater wegen Einbruchs angezeigt. Eine total verrückte Geschichte. Wie das weitergeht, da bin ich selber noch total gespannt. Flo und ich wünschen Dir also viel Spaß bei der zweiten Staffel unserer…“

„Joshi, wir haben hier nur ne kleine Rolle, diesmal, vielleicht später mehr. Aber unsere Geschichte ist erzählt.“

„Jahaaaaa! Also gut… Flo und ich wünschen Dir viel Spaß bei der zweiten Staffel von ‚Ableitungen und ähnliche Unfälle’.“

***

Linda

Insgeheim ärgerte ich mich, dass ich mich von Jenny zu diesem Treffen überreden ließ. Alex war völlig allein auf dem Weg zur Polizei, und Jenny heulte mir die Ohren voll. Gedankenverloren nippte ich an meinem Darjeeling und hörte ihr nur halb zu.

„… es ist aus’, und dann drehte er sich um und ging. Einfach so! Meinst du ihm bedeutet unsere Beziehung nichts mehr?“

„Jenny, welche Beziehung? Wer hat denn Schluss gemacht? Du oder er?“

„Ich hab das doch nicht so gemeint. Ich war sauer wegen der Sache mit Chantal…“

„Die du höchstpersönlich eingefädelt hast und die Josh fast das Leben gekostet hätte!“

„Ich hab ihm doch noch eine Chance gegeben! Und er schlägt sie einfach aus.“

Ihr Egoismus war unbeschreiblich.

„Ich, ich, ich, ich. Immer nur du. Denk mal an ihn! Warte mal ab, bis du ihn siehst. Dieses Lächeln im Moment hatte er schon ewig nicht mehr drauf. Josh geht es gut, ohne dich!“

Jenny schaute mich giftig an. „Und wie es mir dabei geht, ist das völlig egal?“

„Wie oft willst du das eigentlich noch durchkauen? Seh es doch einfach so: ihr passt nicht zusammen. Oder willst du behaupten, dass zwischen euch alles perfekt war? Also Josh sieht das nicht so. Akzeptier ‚seine’ Entscheidung, aber lass mich damit in Ruhe. Geh doch zu Gloria, die hat da vielleicht mehr Verständnis für dich.“

„Ach Gloria… die meidet mich plötzlich und hat Angst um ihren Ruf, die Schlange. Alle reden über mich und sie will plötzlich nichts damit zutun gehabt haben. Dabei war Chantal sogar ihre Idee.“

„Da kann ich dir auch nicht helfen. Jenny, ich muss weg. Josh wartet noch auf seine Hausaufgaben, damit er morgen vorbereitet ist. Wenn du willst, dann rede morgen noch mit ihm, aber mach dir keine Hoffnungen.“

„Du bringst ihm die Aufgaben? Da kann ich doch mit und wir können gleich reden.“

„Ich schleppe dich nicht mit zur Wohnung vom Dietz. Und Josh will da seine Ruhe vor dir.“

„Na dann, viel Spaß. Und du warst mal meine Freundin.“

„Jenny … ach komm, vergiss es. Hab noch nen schönen Tag.“ Ich griff nach meiner Tasche, zahlte meinen Tee und verließ das Café.

Die Frau war echt unglaublich. Alle hatten daran Schuld, nur sie nicht.

„Das wird er mir noch büßen!“ rief sie hinterher.

Alex

Mit gemischten Gefühlen verließ ich, an diesem matschig-grauen Montag, das Polizeirevier. Hauptkommissar Grüner war sehr überrascht, als ich plötzlich in der ‚Einbruchssache Busseck’ vor ihm stand. Ihm kam diese Angelegenheit auch nicht geheuer vor. Gabriel, Peters’ Vater, hatte sich mit seiner Racheaktion bestimmt keinen Gefallen getan. Ein Blick auf die Uhr ließ mich lossprinten. Es war bereits 16:45, und wir hatten uns um 17 Uhr zur ersten Bandprobe in der Schule verabredet.

Wir, dass waren Luka Bender, unser Keyboarder, der zusammen mit Guido Sandmann, unserem Drummer, einer der Ältesten unserer Band war. Beide bereits 19 und kurz vor dem Abi, in derselben Klasse wie die Schlampe, also Jenny Wallhaus.

Hendrik van Baas, meistens am Bass, aus der 11, war mit 17 unser Nesthäkchen, aber an der Gitarre ein Genie.

Last but not Least, Max Ohlsdorf aus der Parallelklasse unserer 12, 18 wie ich und der Sänger der Band. Sein Gesang war nicht übel, aber manchmal brachte er uns mit seinen Allüren fast um den Verstand. Kaum zu glauben, aber unsere ‚Diva’ war hetero. Nicht das es mir unbedingt wichtig war, aber mittlerweile hielt ich meine Augen offen, ob sich da nicht was Nettes für meinen ‚Bruder’ Peter finden ließe. Aber Max hätte ich ihm, so oder so, nicht antun wollen.

Peter war weiterhin von der Schule befreit und erholte sich, seit Freitag, unter den erdrückend fürsorglichen Armen meiner Mutter, jeden Tag etwas mehr. Linda war mittlerweile fast jeden Tag bei uns. Von Samstag auf Sonntag hatte sie sogar bei mir übernachtet, zum ersten Mal. Mit dem Sex wollten wir uns noch Zeit lassen, aber mit ihr zu kuscheln war wunderschön.

Mittlerweile war ich an der Schule angekommen, und hetzte die letzten Stufen zum Musiksaal hoch. Die Tür zum Probenraum stand bereits offen. Hendrik und Luka standen dicht beieinander und flüsterten sich irgendwas zu.

„Hey Jungs, wo ist denn der Rest von uns?“

Erschrocken schossen die Beiden auseinander.

„Man Alex, musst du hier so rumbrüllen? Ich hab mich fürchterlich erschrocken!“ brummte Luka mich an.

Hendrik stand da, und kämpfte gegen das aufsteigende Rot in seinem Gesicht.

„Guido ist vor 5 Minuten verschwunden und sucht Max“, meinte er.

„Also hängt es an unserer Primadonna?“

Luka nickte bestätigend. Wie aufs Stichwort ertönten laute Schritte auf dem Flur.

„Jetzt hetz mich doch nicht so, du weißt genau wie mich das nervt!“ kam es unverkennbar von Max, der hektisch in der Tür erschien. Innerlich musste ich grinsen, sein Aufzug war mal wieder typisch. Ein tailliertes schwarzes Hemd über den mageren Hüften, eine schwarze Jeans, mit zahlreichen Ketten behangen, schwarzer Kajal um die Augen und, scheinbar neu, ein schwarz-weiß kariertes Halstuch. Die langen, natürlich schwarz gefärbten, Haare standen wirr ab. Der krönende Abschluss waren allerdings die gelben Kontaktlinsen.

Luka und Hendrik schüttelten simultan den Kopf.

Ich grinste Max an. „Na Prinzessin, auch mal wieder hier? Was ist mit dem Halstuch, haste nen Knutschfleck?“

„Mein lieber Alex, deine Sprüche kannst du dir sonst wo hinstecken! Ich bin etwas erkältet. Dieses Matschwetter ist zum kotzen. Ich freu mich schon auf den Frühling.“

„Was willst du mit Frühling? Du gehst doch eh nicht an die Sonne.“

„Können wir Anfangen?“ unterbrach er mich unwirsch.

Guido stand mittlerweile bei uns, und zuckte hilflos mit den Schultern.

„Natürlich, Mäxchen. Wir sollten gleich mit unserer Ballade anfangen.“

Max sah mich entgeistert an. „Ihr wollt diese Schmusenummer wirklich durchziehen?“

„Ja. Linda hat sie sich gewünscht, und wir waren uns doch einig.“

„Ihr wart euch einig. Mich fragt ja niemand.“

Unser sanftmütiger Hendrik zog die Augenbrauen zusammen „Jetzt halt doch endlich mal die Klappe und nörgele nicht immer rum! Mir vergeht echt die Lust auf den Mist.“

„Reg dich hier nicht künstlich auf, du Käsespachtel!“

So lieb und nett unser Hendrik auch war, auf Beleidigungen, über seine holländische Herkunft, reagierte er allergisch. Er machte einen Schritt auf Max zu, doch Luka hielt ihn an der Schulter fest. Hendrik entspannte seine Haltung wieder etwas, funkelte Max jedoch weiter giftig an.

Ich wollte gerade einschreiten, als eine Stimme durch den Raum donnerte. Es war die Stimme unseres Musiklehrers, Axel Lüden, der auch das Bandprojekt begleitete.

„Jungs, wenn ihr euch hier zerfleischen wollt, dann blasen wir die Sache ab. Max, mit dir will ich nachher sprechen.“

„Wenn es sein muss, Herr Lüden…“ zickte dieser.

„Es muss!“

Ich lief schnell zu unserem Lehrer und zog ihn vor die Tür. Wir kannten uns schon eine Weile und duzten uns, wenn wir allein waren.

„Axel, wir regeln das schon. Max bellt mal wieder rum, wegen der Ballade.“

„Die auch eine gute Idee von euch war. Sein Teamwork ist erschreckend.“

„Das kriegen wir schon hin und einen besseren Sänger haben wir leider nicht.“

„Alex, ich glaub dir ja, aber trotzdem: wenn ihr fertig seid, dann erwarte ich ihn in meinem Zimmer. Ihr werdet schließlich auch benotet, ganz wie von euch gewünscht. Einen Quertreiber können wir dabei nicht brauchen. Und jetzt rein mit dir, ihr habt nicht mehr viel Zeit heute.“

Ich nickte und verschwand wieder im Probenraum, wo die Jungs bereits an ihren Instrumenten standen. Wegen Max hatten wir die Instrumente anders verteilt und nun war auch ein Schlagzeug mit dabei. Das gab es im Original nicht. Überhaupt mussten wir das Tempo der Nummer etwas erhöhen und rockiger machen. Die Version hatte zwar nicht mehr die Ausstrahlung des Songs von Marc Terenzi, aber übel war unser Cover trotzdem nicht.

Ich begab mich zu meiner Gitarre und Guido zählte am Schlagzeug an. Unser ‚Tokio Hotel-Verschnitt’, Max, spulte sein ‚Love to be loved’ Programm ab. Technisch war es wirklich okay, aber irgendwie kam heute kein Gefühl rüber.

Wir probten den Song noch drei weitere Male, aber Max veränderte nichts. Abgesehen davon, dass seine Stimme immer dünner wurde, fast schon heiser. Also im Bezug auf die Erkältung hatte er wohl nicht gelogen.

Nach ‚Breakfast at Tiffanys’ brachen wir für den Tag ab. Es hatte einfach keinen Sinn mehr.

„Max, denk dran, der Lüden wartet auf dich. Und schon mal deine Stimme für die Probe am Wochenende.“

„Leck mich, Alex.“ krächzte er und rauschte ab.

Hendrik stellte sein Instrument in die Halterung und schüttelte den Kopf.

„Mit der Diva hab ich langsam keine Lust mehr. Der ist ja nur noch mies drauf.“

„Da müssen wir durch. Lass uns nur nicht im Stich“, meinte Luka und legte eine Hand auf Hendriks Schulter, welcher auch sofort seine körperliche Anspannung verlor.

„Keine Sorge. Aber der bekommt irgendwann noch nen Tritt in seinen Allerwertesten von mir.“

Grinsend lauschte ich dem Gespräch. Unser Nesthäkchen ließ sich schon immer gut von Luka beruhigen.

„Was ist jetzt eigentlich mit Peter? Warum wohnt der bei dir?“ wollte Luka wissen.

„Darüber reden wir ein anderes Mal, ich frag ihn, ob ihr es wissen dürft.“

„Okay, scheint wohl was Ernstes zu sein.“

„Wie man es nimmt. Jungs, lasst uns aufräumen, Linda und Peter warten auf mich.“

„Aye, Boss!“ tönte es aus drei Kehlen gleichzeitig.

Nur wenige Minuten später waren wir fertig, und verließen den Probenraum. Max rauschte gerade sauer aus Axels Büro heraus und verschwand. Kurz darauf befand ich mich allein auf dem Heimweg.

Linda

Doro und ich hatten gerade das Abendessen fertig, da kam auch schon Alex zur Tür herein. Er stiefelte kurz zu uns in die Küche, begrüßte mich mit einem Kuss und drückte seine Mutter.

„Riecht lecker, ihr Zwei. Jetzt fehlt nur noch Peter, und ich kann mit meinen drei Mädels essen.“ Frech zwinkerte er mich an.

„Ich bin keins deiner Mädels, Arsch.“ Peter stand nun auch in der Tür. „Aber Linda hat mich ja schon letzte Woche vor deinen sensiblen Sprüchen gewarnt.“

„Zu Recht, Bruderherz!“ grinste mein Schatz, klaute ein Stück Paprika aus der Salatschüssel und lief Richtung Tür. „Ich bin mal eben oben und mach mich frisch.“

Mit einem besonders frechen Grinsen drückte er Peter noch einen Kuss auf die Wange. „Ich liebe dich, Schwesterchen!“ und dann rannte er die Treppen hoch.

„Kindskopf!“ brüllte Doro ihm noch hinterher.

Peter stand total geplättet an der Tür.

„Du tust mir echt Leid, Peter. Mein Sohn ist einfach unmöglich.“

Er grinste Doro an. „Das ist er. Aber mir geht’s echt gut wie ewig nicht mehr. Nur an seine Küsse und Umarmungen muss ich mich erst noch Gewöhnen.“

Alex kam wieder, und wir aßen gemeinsam zu Abend und erzählten vom Tag. Die Sache bei der Polizei ließen wir natürlich aus.

„Und wie war die Bandprobe?“ wollte ich wissen.

„Max dreht langsam ab und sein Gesang war auch schon besser. Hendrik wäre ihm ja am liebsten an die Gurgel gegangen. Aber mal abwarten, einen anderen Sänger haben wir nicht. Ach Pete, man fragt nach dir. Soll ich ihnen bei Gelegenheit davon erzählen?“

Peter grübelte angestrengt nach. „Nichts von den Tabletten. Der Rest wird sich ja eh nicht vermeiden lassen.“

„Kein Problem, dass kriegen wir schon hin.“

Nach dem Essen wurde es langsam Zeit fürs Bett. Doro und ich kümmerten uns noch um den Abwasch bevor ich mich dann nach Hause verabschiedete.

Manfred Grüner

Es war bereits nach 22 Uhr, als ich mein Büro abschloss und heimfuhr. Heute hatte sich der Beschuldigte im Fall Busseck ‚gestellt’. Eine absolute Farce, in meinen Augen, nach den Erzählungen von diesem Alexander. Aber es konnte ja niemand ahnen, dass Busseck weit reichende Kontakte hatte und heute noch einiges in Gang brachte.

Grübelnd betrat ich das Bad und stockte erstmal. Offenbar war mein Sohn heute mal daheim gewesen. Die Badewanne war mit einem, nicht näher zu definierenden, gelb-orange Ton überzogen. Ich hasste diese Unart, sich bei mir die Haare zu färben, und dann nicht aufzuräumen.

Ich sah in sein Zimmer. Entweder war er heute in seinem Internatszimmer, oder mal wieder auf Männerfang, jedenfalls war er nicht daheim. Mit dem Schwamm bewaffnet reinigte ich erstmal die Badewanne und aß danach noch eine Kleinigkeit.

Kurz darauf klingelte mein Handy.

„Hi Dad, du ich komm morgen auf der Wache vorbei. Du weißt ja Bescheid, wegen der Klassenfahrt.“

„Moment mal, ich muss dringend mit dir reden, also dass hier im Bad heute ist wieder eine absolute…“

„Daddy, wir reden morgen ja? Ich hab hier grad was zu tun. Hab dich lieb Paps!“ er kicherte jemandem noch etwas zu, bevor er auflegte.

Seit dem Tod seiner Mutter kam ich schwer an ihn ran, und ließ ihm leider viel zu viel durchgehen. Aber solange er sich nicht ungesetzlich verhielt, wollte ich noch ein Auge zudrücken. Außerdem waren seine Noten gut, also schien er ja doch ein paar Dinge auch richtig zu machen. Er war schon ziemlich begabt, auch musikalisch. Auf dem Internat nahm er schon lange Klavierunterricht.

Ja, er war ein guter Junge. Zwar flippig und überdreht, aber wenn es darauf ankam, dann konnte ich mich wirklich auf ihn verlassen.

Nachwort:

Hallo zusammen, ich hoffe, dass der erste Teil der neuen Staffel Euch gefallen hat. Im Gegensatz zur Staffel 1 werde ich hier leider nicht fast täglich ein Update bringen können, da mich in den nächsten Wochen Berufsbegleitende Schulungen erwarten und meine Zeit zum Schreiben nun relativ begrenzt ist. Also dann, bis zum nächsten Teil. Euer Gaius.

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