Margie 27 – Klartext

Felix und ich blieben nicht lang am Felle, wir waren beide müde und am anderen Tag musste oder besser durfte ich ja eine Stunde eher aufstehen. Aber wir verabredeten uns gleich wieder, für den kommenden Abend.
Kein Baggersee, auch nicht bei Tina. Der Felle und Felix, das schien mir im Augenblick das Wichtigste überhaupt. Egal wie sich der nächste Tag entwickeln würde, es gab unter Garantie etwas zu erzählen. Vielleicht könnte man behaupten, ich klammerte mich förmlich an die beiden.

Diese Preisfrage, die nach der Million, ging mir dann auch am Abend zu Hause nicht aus dem Kopf. War Angelo wirklich der Arsch, für den ich ihn hielt oder konnte er nur nicht anders weil man ihn so quasi herumdiktierte?
Immer mehr Fragen warfen sich auf und immer mehr betete ich, ihn am nächsten Tag sprechen zu können. Im Grunde dürfte sich am Tagesablauf ja nicht viel ändern, zumindest so lange wie er zu Hause war.

„Am Nachmittag können sich erste Schauer und Gewitter bilden“, hörte ich dann im Radio. Na gut, wenigstens hatte ich ja richtig geiles Wetter im Urlaub. Von nun an war mir recht wenn die Hitzewelle eine Pause machen wollte.
Dumm nur, wenn wir bis dahin nicht das Dach fertig haben sollten. Nun, was soll ich sagen. Ich nahm mal wieder die berühmte CD in die Hand. Ob ich sie abspielen lassen sollte, darüber grübelte ich nicht lange nach.
Komisch, als ich so auf meinem Bett auf den Schlaf wartete und die Klänge durch den Kopfhörer dudelten, da meinte ich an einigen Stellen, Margie herauszuhören. Vielleicht traf ich ja mal einen Kenner und konnte den fragen, denn sicher war ich mir eben nicht.

Ganz schön hart, eine Stunde weniger Schlaf. Denn mein Vorhaben, eben diese Stunde früher einschlafen zu wollen, wurde durch eine sehr lange Einschlafzeit vereitelt. Ich drehte mich von einer Seite auf die andere, wobei einzig Angelos geistige Anwesenheit Schuld an diesem Dilemma hatte.
Dabei wühlte ich nicht in Vergangenem, sondern an dem, was mich erwarten würde. Zeitweise wurde ich dadurch wieder so wach, dass ich aufstehen und zur Arbeit hätte gehen können.
Aber nachts um Drei ist das eigentlich eher nicht so prickelnd. Und wie immer wenn so etwas ist, schlief ich erst richtig ein als es bereits langsam dämmerte. Allerdings, unter dem Aspekt, dass dies ein äußerst entscheidender Tag werden könnte, war ich nach dem ersten Mucks meines Weckers und dann nach der Dusche hellwach.
Ungewöhnlich nur, dass meine Eltern noch nicht am Frühstückstisch saßen.

Es war wirklich noch in angenehmen Temperaturbereichen, als ich mit dem Rad in der Firma ankam.
Werner war auch schon recht munter und schon ging’s los, Abmarsch zur Arbeitsstelle. Irgendwelche Vorkehrungen in Sachen Angelo hatte ich nicht getroffen, alles, nur nicht verrückt machen lassen. Es musste letztendlich so kommen, wie es vorbestimmt war.

»Sag mal, glaubst du an Zufälle?«, fragte ich Werner denn auch, als er den Kastenwagen, den wir wegen des Material statt den Kombi an dem Morgen fuhren,

Richtung Ortskern und Bäckerei steuerte.

Er sah mich kurz an.

»Ralf, also ich weiß nicht. Du kommst mir seit deinem Urlaub so.. verändert vor. Ist da was passiert? Ich mein, du weißt, ich bin sozusagen der Ausbildungsbeauftragte und wenn dich was beißt wär’s besser wenn ich es wüsste. Dabei ist es egal ob du geschäftliche oder private Probleme hast.«

Insgeheim hatte ich ja befürchtet dass er was merkt. Werner hat nämlich außer Ausbildungsqualitäten auch ein feines Gespür. War das der Punkt, über den ich schon so lange nachdachte?
Wenn er wüsste dass ich schwul bin, dann könnte ich mich bei ihm ausheulen wenn’s mal schief geht. Bislang musste ich ja Dinge aus dieser Richtung in mich reinfressen. Gut, es gab ja bisher keine prekäre Situation wo ich das nötig hatte, aber wer konnte wissen was in den nächsten Stunden passiert..?

Bevor ich ansetzten konnte waren wir an der Bäckerei. Völlig in mein geplantes Outing versunken stieg ich mit aus und trottete Werner hinterher, mitten rein in den Laden.
Als mein Blick auf Renate traf kehrte ich in die aktuelle Realität zurück und als hätte diese seltsame Macht an dem Tag alle ihre Register gezogen, traf mein zweiter Blick auf die alte Manske und mein dritter schließlich auf Frau Kassini höchstpersönlich.
Der schnellen Überlegung, warum Paul nicht stattdessen hier stand, konnte ich dann nicht nachgehen. Am Ende spielte es ja auch überhaupt keine Rolle. „Hundert Punkte.“ Oh, die reichten bei weitem nicht.
Ich wollte im Erdboden versinken, so schnell wie möglich. Aber diese Möglichkeit ergab sich leider nicht, der Boden unter mir blieb dicht verschlossen.

»Guten Morgen«, hörte ich Renate sagen.

Aber das galt wohl weniger mir als meinem Begleiter. Mein Blick ging drum starr geradeaus, hinter die Theke in die Regale, dorthin wo Brot und Brötchen geduldig auf ihre Abnehmer warteten.
Aber ich spürte die Augen der beiden anderen Frauen auf mir ruhen. Oder eher lasten? Nur schnell weg hier, das war der einzige Gedanke, der mir durch meinen erhitzen Kopf schoss. Mit niemand von denen wollte ich auch nur ein Wort wechseln.
Wenn ihnen meine Anwesenheit unbehaglich war – selber Schuld. Warum mussten sie auch jetzt einkaufen und nicht fünf Minuten später oder früher? Gut, all das half nichts.

»Zwei bitte«, äußerte ich eher verhalten meinen Wunsch und deutete auf den Korb mit den belegten Brötchen.
Was wussten die alle in dem Raum hier, außer Werner? Logische Folgerung war ja, dass Angelo eigentlich überhaupt keine Rolle spielen dürfte. Das ganze Elend lastete garantiert auf mir.
Ich war der Schwule im Ort, der die reichen Jungs verführte, nicht umgekehrt. Die Eheleute Kassini müssten wahrscheinlich selbst ihre Koffer packen, wenn öffentlich herauskäme was sie da für ein Früchtchen großgezogen hatten.
Von daher war es absolut nachvollziehbar dass ich in ihren Augen die alleinige Schuld trug. Und sonst keiner. Allerdings, unter logischen Aspekten betrachtet konnte etwas nicht stimmen. Allein, wenn Angelo nur im Gespräch war, dann reichte das ja schon; und die Kassini würde sich zumindest vorerst gar nicht in die Höhle des Löwen, sprich das Dorf, trauen.
Nun stand sie aber hier, noch dazu neben der Manske und schien so ganz und gar nicht beschämt zu sein. Entweder war das Fegefeuer für mich schon voll im Gang oder sie schaltete einfach auf Durchgang. Eine weitere, dritte Möglichkeit kam mir da zunächst gar nicht in den Sinn.
Na ja, die Manske, da war auf keinen Fall das letzte Wort gesprochen. Meinem sehnlichen Wunsch, sie augenblicklich hinten in die Knetmaschine zu stopfen, konnte ich nun leider nicht folgen.

Nachdem Werner ebenfalls seinen Wunsch geäußert hatte, zahlten wir. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis mit der Kassini zu reden, bloß, über was? Dann überließ ich es urplötzlich der Macht.

»Wie geht es Angelo?«

Ja, mich ritt in diesem Augenblick wahrscheinlich der Teufel.

Frau Kassini drehte sich langsam zu mir und sah mich an.

»Oh, entschuldigen Sie, ich hab Sie gar nicht erkannt.«

Wer das glaubte, wurde auf der Stelle bestimmt ganz selig. Aber gut, immerhin, sie redete mit mir. Rasch ging mein Blick zu der Manske, die schien fast hinter Angelos Mutter in Deckung gegangen zu sein.
Aber trotzdem, Elefantenohren waren Briefmarken im Größenvergleich. Klaro, die musste zuhören, galt es doch das Dorf mit brühwarmen Neuigkeiten zu versorgen. Allerdings versuchte ich, meine Augen in ihre Richtung böse funkeln zu lassen.

»Er macht Fortschritte. Aber sagen Sie, arbeiten Sie zufällig gerade bei uns, an dem Dach?«

Ups. Sie hatte mich gesehen, aber wahrscheinlich nicht gedacht, dass ich das tatsächlich bin. Ihr Sohn würde sich doch nicht mit einem Dachdecker abgeben.. Aber nun wusste sie es besser.

»Zufällig. Ja«, entgegnete ich, »wir sind auf dem Weg zu Ihnen.«

Sie drehte den Kopf nachdenklich Richtung Renate. Was immer die Kassini jetzt auch dachte, ich hätte ein Vermögen dafür bezahlt wenn ich es gewusst hätte.

»Nun, dann sehen wir uns ja gleich«, sagte sie, ohne mich anzusehen.

Ich nickte, was sie deswegen gar nicht sehen konnte. Auch nicht, dass ich tief Luft holte. Nicht dass ich vorhatte jetzt noch irgendwelche große Reden zu schwingen, sondern deshalb, weil Dinge in Gang gekommen waren, oder werden.
einem Wunsch, mit Angelo zu reden, kam ich somit sicher eines guten Stücks näher. Wie war das mit diesen Mächten?

Werner und ich verließen dann zügig den Laden, wir wollten dort ja nicht übernachten. Renate warf uns ein ziemlich verhaltenes „Tschüs“ hinterher, was aber eher der Höflichkeit wegen passierte. Kundenfreundlich wollte man ja trotz allem bleiben, egal was sie sonst noch von mir dachte.
Die Manske bedachte ich dann rasch mit einem richtig bösen Seitenblick. Verächtlich würde man wohl eher dazu sagen. Wären da nicht ihre riesigen Lauscher gewesen, hätte sie in ein Mauseloch gepasst.

»Dann bis gleich«, sagte ich zu Frau Kassini.

»Du scheinst die ja doch ganz gut zu kennen«, bemerkte Werner kurz darauf als wir losfuhren.

»Und wer.. ist dieser Angelo?«

Jedem anderen hätte ich gesteckt, dass ihn das nichts anginge, aber immerhin hatte ich nicht vergessen, dass ich etwas Wichtiges loswerden wollte. Nun konnte ich so quasi Lückenlos an dieses Vorhaben anknüpfen.

»Angelo.. den hab ich im Urlaub kennen gelernt.«

Werner sah mich an, trotz voller Fahrt.

»Davon hat du ja gar nichts erzählt.«

»Nein. Ich wollte nicht…dass..«

Damit hatte ich ihn freilich vollends neugierig gemacht.

»Ja warum das denn nicht? Nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«

Seine Ungeduld war völlig verständlich, also begann ich, wie schon einmal, von ganz vorne. Freilich reichte meine Schilderung nicht für den relativ kurzen Weg an unsere Baustelle, weshalb ich Werner den Vorschlag machte, in der Pause weiterzureden.
Vielleicht musste ich das ja gar nicht..

Es war schon wieder viel zu heiß, trotz der einen Stunde die wir früher dran waren. Mein erster Blick auf die Terrasse bestätigte dann auch den gewissen Rhythmus, der hier herrschte. Noch nichts war gedeckt, alles lag noch da wie im Dornröschenschlaf.
Aber, unsere Arbeit begann und ich verlor die Sache eine gewisse Zeitlang aus dem Kopf.

Natürlich blieben meine Blicke ab und zu nicht aus, für die reichte es ja immer. Ich war unglaublich gespannt was passieren würde, wenn die Frau des Hauses vom einkaufen zurückkam.
Sie musste Angelo ja von mir erzählen, ihn vor die Tatsache stellen, dass ich bereits einen ganzen Tag hier gewesen war und sie hatten es nicht bemerkt. Zumindest seine Mutter nicht.

Gut, gewisse Dinge verloren ihren Reiz als ich beobachtete, dass Frau Kassini nur ein Gedeck auf die Terrasse trug. Entweder hatte Paul seinen freien Tag oder er war krank. Aber warum nur ein Gedeck?
Mir schwante so einiges. Sie hatte ihm Bericht erstattet und nun zog er es vor, mir nicht unter die Augen zu kommen. Nennt man sowas kneifen? Was hatten die Mächte jetzt vor? Ich muss zugeben, dass das eine Riesenenttäuschung für mich war.
Eine Nacht um die Ohren geschlagen und das möglicherweise völlig für die Katz.

Nun, die Pause kam und mit ihr der zweite Teil meiner Geschichte. Werner musste mir während der Arbeit viel erklären über Schiefer und Bauweisen und all die Dinge. Ich war ja in der Lehre, nicht auf einem Tratschbasenseminar.
Dann saßen wir wieder auf den Kisten und nun hakte ich geistig schon mal den leckeren Tee ab, den Paul uns Gestern gebracht hatte. Offenbar geschah das dann doch unter seiner eigenen Regie.

Ich wartete, bis Werner seine ersten Züge aus der Bierflasche genommen hatte.

»Also, der Grund warum ich diesen Musiker näher kennen lernen wollte, war.. ich hab mich in den verliebt.«

Werner gehört zum Glück nicht zu den Menschen, die eine ewig lange Leitung haben und denen man ein solches Anliegen in winzig kleine Häppchen zerlegen muss, damit sie das irgendwann kapieren.

Werner hielt im kauen inne und sah mich an. Ich ließ es zu dass er mich musterte und ich wich seinem Blick auch nicht aus. Irgendwie sollte er spüren dass ich zu mir und meinen Gefühlen stehe und mich deswegen nicht schäme.
Herzklopfen hatte ich schon, logisch, aber keine Angst.

»Oh.«

Mehr kam erst Mal nicht. Ich setzte ein entschuldigendes Lächeln auf.

»Kein Angst, ich bin kein Sexmonster, das über jeden Mann herfällt der mir einen Schritt zu Nahe kommt.«

Meine Absicht lag darin, ihm eventuell aufkommenden Wind aus den Segeln zu nehmen und siehe da, diese Rechnung ging auf.

Werner lächelte zurück, aber nicht tückisch oder hinterhältig. Er zwinkerte.

»Na, das ist aber ne Überraschung. Wissen das alle.. ich mein?«

»Die Eltern, Cheffe und meine engsten Freunde. Und du.«

Ja, Applaus, Applaus. Mir diesem „Und du“ wollte ich ihm ganz einfach meinen Vertrauensbeweis bescheinigen und das war mir dann auch gelungen. Ich wusste nämlich, dass man Werner sehr schnell schmeicheln konnte wenn man ihn ins Vertrauen zog.
Ich hätte es ihm nie gesagt, wenn ich in ihm nicht so ne Art Vaterfigur gesehen hätte. Er wusste das, auch ohne dass ich ihm das groß erzählen musste. Unter anderem war es mir gerade jetzt und noch dazu hier sehr wichtig dass er wusste, wie es um mich stand.
Auch wenn Werner ein Hetero ist, ein paar Tipps oder sogar Tricks, die könnte er trotzdem für den Fall wie meinen parat haben. Wenn nicht, dann war das auch kein Beinbruch. Was ich natürlich auch logischerweise nicht in meine Erzählungen mit einbrachte, waren Worte wie Sex oder dergleichen. Das musste ich Werners Fantasie überlassen.
Ich merkte, dass er dann nicht so konzentriert seine Zeitung las wie sonst. Wenn Pause war, da konnte manchmal wirklich ein Dach so halb einstürzen, das kriegte er kaum mit. Aber nun schien ihn mein Outing zu beschäftigen.

Er sah dann auch irgendwann zu mir auf.

»Ich find’s toll dass du es mir gesagt hast.«

Ich nickte nur, immer schön bescheiden bleiben. Jedenfalls war das ein Pluspunkt und von nun an könnte ich mit Werner über absolut alles reden. Na ja, mit Ausnahme über jene Dinge, die sich zwischen zwei schwulen Jungs in intimer Atmosphäre abspielen.
Aber Werner erzählte ja auch nicht, wie er und seine Frau zugange waren.

Kaum war ich mit meinen Ausführungen dann am Ende, da tauchte Frau Kassini im Schuppen auf. Ich stockte, woraufhin Werner erst mich ansah und dann meinem Blick folgte.

Sie kam zu uns, in der Hand jenes, von mir schon vermisste Tablett mit dem Tee.

»Oh, Sie machen schon Pause.. da komm ich wohl etwas spät.«

Mit diesen Worten stellte sie das Tablett ab. Nun, sie war ja nicht Paul, der nur auf Kommando reden durfte. Ich hatte sie im Bäckerladen nach Angelo gefragt und nur eine knappe Antwort bekommen, vielleicht gab’s das ja auch ein bisschen ausführlicher.
Meinem fragenden Blick wich sie nicht aus, aber ich spürte dass Werner in diesem Augenblick fehl am Platz war. Und er auch.

»Ähm, ich muss mal.. Kann ich Ihr Klo benutzen?«, fragte er prompt.

Am Vortag hatten wir unsere kleinen Geschäfte in den Hecken hinter dem Schuppen erledigt. Das war ja nun so in der Art nicht möglich.

»Ach so, ja, entschuldigen Sie. Kommen Sie bitte?«

Nun entfernten sich beide aus dem Schuppen und ließen mich zurück. Mit ner Menge Fragen im Kopf. Werner hatte das zwar klug eingefädelt, aber dass es so ausgehen würde hatten wir beide nicht gedacht.
Immerhin, ich hätte den Weg aufs Klo allein gefunden.

Aber Frau Kassini kam kurz darauf zurück – ohne Werner.

Sie setzte sich auf die Kiste, auf der er vorher gesessen hatte und ich zündete mir nun relativ frech eine Zigarette an. Auf den Dächern ließ ich das nämlich tunlichst bleiben.

»Also, Paul hat Angelo heute Morgen schon früh nach Frankfurt gefahren. Mein Mann ist nicht da und ich fahre solche Strecken nicht gerne.«

Ich verschluckte mich beinahe am Rauch.

»Spielt er vor?«

»Ja. Er hat all die Tage geübt wie ein.. na ja, Irrer könnte man fast sagen.«

Ich lag also richtig mit meiner Vermutung. Nur, was sollte ich dem nun hinzufügen? Dass ich ihm aus sechzig Kilometern Entfernung die Daumen drücken würde? Nein, hier und jetzt ging es um etwas ganz anderes und wenn ich schon meinen Prinzen nicht habhaft werden konnte, dann musste ich mit seiner Mutter Klartext reden.
Nur, wie sollte ich es anfangen? Warten bis sie aus der Reserve kam? Sie da herauszulocken sah ich eher problematisch, denn diese Frau schien mir mit einem Mal nicht mehr so naiv wie zuvor.
Es schlich sich sogar das Gefühl bei mir ein, dass sie alles andere als zufrieden war. Kurzum, jetzt oder nie.

»Haben Sie Angelo.. wirklich rausgeschmissen?«

So, jetzt war es gesagt, kein Rückzieher mehr möglich. Klipp und klare Antworten waren fällig.

Sie sah mich an als wäre ich vom Dach gefallen.

»Wie meinen Sie das?«

»Angelo hat sowas gesagt..«

Sie winkte ab.

»Dann hat er das wohl falsch verstanden. Wir redeten von seiner Arbeit in Frankfurt und dass es besser für ihn wäre, wenn er sich dort eine Wohnung sucht. Seien Sie versichert, dass das nichts mit Ihnen beiden zu tun hat.

Möglicherweise brachte er es deswegen damit in Verbindung.. weil das zum gleichen Zeitpunkt Thema war.«

Das wurde ja immer schöner. Ich war anscheinend dabei, die Million zu gewinnen.

»Also, nur noch mal zum mitschreiben – Sie haben Angelo nicht wegen der Sache zwischen uns.. so quasi auf die Straße gesetzt?«

»Nein, ich sagte es bereits. Aber.. jetzt verstehe ich auch, warum er seit diesem Tag so seltsam ist. Er hat nicht viel geredet und schien in einem fort zu grübeln. Ich dachte es liegt an der Probe heute, aber nun..«

Das klang dann schon etwas härter und ich spürte ganz genau was da in ihr ablief. Was in dem Moment in mir passierte, spottete jeder Beschreibung. Angelo hatte seine Eltern dazu benutzt, mich loszuwerden.
Ich sackte innerlich in mir zusammen. Nun war mir auch klar, warum sie mir im Bäckerladen nicht ausgewichen war.

»Aber, eins möchte ich trotzdem wissen.. Wird im Ort geredet? Über uns mein ich?«

Mein Visier war auf die Manske ausgerichtet.

»Geredet wird überall und immer, das ist auch in der Showbranche so. Nur, wenn man darauf etwas gibt kommt man zu nichts anderem mehr.«

»Dann, sind Sie nicht.. irgendwie sauer auf mich?«

Sie lächelte.

»Sauer? Wir haben mit Angelo gesprochen, ausführlich. So wie die Dinge liegen mag er Sie sehr. Wir können das nicht ändern und wollen es auch gar nicht, es ist sein Leben und nicht unseres. Nur, er scheint auch furchtbare Angst davor zu haben, man könnte ihm etwas nachsagen. Vielleicht deshalb sein Verhalten.«

Mir wurde schwindlig, wie nach dem Unfall. Schlecht nicht, aber diese Schleuderstufen in meinem Kopf wurden allmählich zu hoch.
„Angelo liebt dich. Er hat vor etwas ganz anderem Angst.“ Ich trat mit roher Gewalt auf die Bremse. Aufhören mit diesen Drehungen, denn eines war in dieser Richtung doch sehr seltsam:
Warum hatte er dann so überhaupt keine Bedenken, mich am ersten Tag vor diesen Krawattenheinis und später im Auto unter den Augen der größten Klatschbasen zu küssen? Warum hatte er vor, bei Sammy Willard einzusteigen?
Und nun war er in Frankfurt. Bei diesen Heinis. Und Willard..? Was war da? Unterschrieb er bei beiden? Hier Musik, dort das lukrative Pornogeschäft?

Satt einer Lösung kam ein ganzer Schwung neuer Fragen auf und irgendwie hatte ich mit einem Mal die Furcht, die Dinge gar nicht mehr zu überblicken.

Angelo wurde allmählich zu einem riesigen Rätselgebilde mit Millionen von Fragezeichen.

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