Margie 36 – Frankfurt ist nicht Sydney

Keine Ahnung wie lange ich auf den Monitor gestiert habe, es hat jedenfalls ne Weile gedauert bis ich aus dieser Starre herauskam. Das konnte doch nicht wirklich Angelo nicht sein, der sich da mit einem anderen Boy auf einem Bett räkelte.
Sie ergötzten sich in liegender Stellung der 69. Das war schon heftig, also nicht was die da machten. Aber in der weiten Welt des Netzes ausgerechnet diese eine Bild zu finden.. „Glaubst du immer noch an Zufälle?“
Langsam aber sicher tat ich das nicht. Manchmal gibt’s zu den Fotos auch Videos, aber meine Suche danach blieb erfolglos. Immer wieder sah ich mir das Foto an, es gab nur dieses eine. Die Auflösung war nicht sonderlich hoch, wenn ich das Bild näher ranzoomte wurde es nur unscharf.
Hatte Angelo einen Doppelgänger? Konnte es noch jemanden auf dieser Welt geben, der ihm so ähnlich sah? Sämtliche Mutmaßungen, die ich seit diesem fremden Kerl angestellt hatte, begannen sich weiter zu verstärken.
Schwer zu sagen, in welchen Räumlichkeiten das Bild gemacht worden war, das konnte so gut wie überall entstanden sein. Zugegeben, falls es wirklich Angelo war, dann verspürte ich angesichts des Jungen mit dem er auf diesem Bett lag, richtige Eifersucht.
Der war nämlich ziemlich hübsch. Allerdings, es war nicht der Typ aus dem Auto, den hätte ich sofort wiedererkannt. Nun saß ich also da, immer wieder mit Blick auf das Bild. So nebenher druckte ich es mir aus, denn es begann dann natürlich in mir zu gären.
Darüber musste ich Genaueres wissen, wie war mir dann egal. Dumm dass es erstens zu spät war um zu reagieren und der Montag sozusagen ausgebucht. Keine Zeit, um Angelo zur Rede zu stellen. Und das musste ich.

Die Nacht verlief dann auch ziemlich unruhig. In einem meiner vielen Träume befand ich mit Angelo in einem Studio und wir zogen uns vor laufender Kamera langsam aus.. Als ich ihm an den Slip ging, wachte ich auf.
Das war ein richtig desolater Zustand danach und dazu gesellte sich nach und nach das Gefühl der Machtlosigkeit. Keinen Plan, was ich machen sollte. Irgendwie schien ich die Kraft zu verlieren. Das alles auszuhalten war ziemlich anstrengend geworden und immer wieder stellte ich mir die Frage, warum.
„Du solltest klären ob er das überhaupt ist auf dem Foto.“ „Und wenn er einfach sagt, er ist es nicht, obwohl das gar nicht stimmt?“ „Dann lügt er dich an und du kannst ihn endgültig in die Tonne treten.“
„Und wie, bitte, beweise ich ihm das Gegenteil?“ Schweigen in mir. Ich hatte gar keine Chance den Gegenbeweis anzutreten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte mich Angelo ja noch nicht angelogen. Nicht mal eine Antwort gegeben auf die Frage, ob ich ihm etwas bedeute.
Alles offen gelassen. „Vielleicht spielt er mit dir.“ Mein Gott, wie oft habe ich mich das schon gefragt? Und nie, nie bekam ich eine Antwort. Wenn das so weiterging würde ich selbst im Altersheim nicht mehr wissen als zu dem Zeitpunkt.
Darum musste eine Endlösung auf den Tisch. Mir blieb nach langem Grübeln nur eins: Um so schnell wie möglich eine Antwort zu bekommen musste ich zu ihm hin. Anrufen würde wieder nichts bringen und länger warten kam überhaupt nicht in Frage.
Eine Möglichkeit gab es, auch wenn die Chancen nicht auszurechnen waren. Ein Versuch war es wert und an dem hielt ich fest.

Am anderen Tag waren Werner und ich weiter mit einer Reparatur des letzten Unwetters beschäftigt, mitten im Ort. Ich zwang mich regelrecht dazu an nichts als meine Arbeit zu denken und bisweilen gelang mir das auch. Aber meine gelegentliche Abwesenheit blieb
meinem Ausbilder mal wieder nicht verborgen.

»Mir scheint, du bist nicht viel weitergekommen mit deinem Freund«, unterbrach Werner denn auch seine Leselektüre in der Frühstückspause, die wir in unserem Kombi machten.

»Ich kann nicht behaupten dass er mein Freund ist. Nicht mal ob es ein Freund ist.«

»Ich sag ja, da liegt noch alles im Argen. Aber, Ralf, das musst du endlich mal bereinigen. Noch merkt man an deiner Arbeit nichts, aber wenn du so weitermachst wird genau das passieren was du selbst befürchtest. Dann wird deine Leistung nachlassen, und was viel schlimmer ist, du bist ständig in Gefahr. Hier oben, auf dem Dach mein ich. Du weißt dass du dir das nicht leisten kannst.«

Werner hatte Recht. Wir waren natürlich abgesichert da oben, aber der Teufel ist ein Eichhörnchen und was paukten wir das Thema Leichtsinn. Wie eine Gebetsmühle rauf und runter. Aber über Einzelheiten darüber wollte ich nicht nachdenken.

»Ich weiß, Werner, aber es ist verdammt nicht einfach«, heulte ich ihm vor.

»Ich komm einfach nicht an ihn ran.«

Die Sache mit dem Foto im Internet wollte ich ihm nicht erzählen, sonst hätte er gleich gesagt ich soll ihn laufen lassen.

»Wie meinst du das? Räumlich, körperlich…?«

Ups, er wollte es genau wissen. Aber er stellte diese Frage nicht im Spott oder so, er meinte sie ernst. Das sah ich auch an seinem Blick.

»Räumlich«.

Gab ich zu Protokoll.

»Also geht er dir aus dem Weg?«

»Ich weiß nicht. Von außen gesehen würde ich sagen ja, aber genau betrachtet hab ich einfach das Gefühl, uns würde dauernd etwas daran hindern.«

»Etwas? Daran hindern?«

»Ja. Immer wenn der entscheidende Moment kommt – zack – kommt etwas dazwischen. Ein Anruf, ein Aufruf, .. „oder ein Kuss“, aber das behielt ich für mich. Meine Einlage mit Felix zählte ich mittlerweile unter die Rubrik Provokation, aber dazu hatte mich Angelo ja fast schon getrieben.
Noch immer wusste ich nicht, ob ich das abschließend gut finden sollte oder nicht. Aber egal, das spielte im Augenblick keine Rolle.

»Und was willst du jetzt machen?«

»Ich hab keine Ahnung. Ich soll ja, wenn’s nach Onkel Herbert geht, mit in den Osten, auf diese Montage.«

»Und nach mir.«

Werner sprach in Rätseln.

»Was heißt, und nach mir?«

»Im Grunde war es meine Idee, dich mitzunehmen.«

Gut, das konnte ich verstehen. Werner mochte mich und ich ihn, wir wären da drüben ein perfektes Team gewesen.

»Klar. Aber ich hab meinen Onkel erst mal vertröstet.«

»Wegen Angelo, nicht wahr?«

»Ja. Nur, das weiß der Chef das nicht. Vielleicht ahnt er Ähnliches, aber im Augenblick denke ich ist es besser, wenn er nichts darüber weiß.«

Werner nickte.

»Aber das ändert ja nun mal nichts an deinem momentanen Zustand. Wenn du meine Meinung hören willst: Klär das ab, irgendwie und komme mit. Ich würde mich echt freuen wenn wir zusammen auf die Montage gingen.«

Er drückte nicht auf die Tränendrüse, fiel nicht vor mir auf die Knie und bettelte wie um einen letzten Atemzug. Aber so wie er das gesagt hatte, ging es mir durch Mark und Bein. „Du kannst ihn enttäuschen, einfach in dem du wegen Angelo hier bleibst.“ Ich hab das registriert.
Die Frage war doch bloß, wie klären? »Ich hab keine Gelegenheit ihn zu treffen«, rückte ich dann raus.

»Keine Zeit oder wie?«

»Ja, keine Zeit. Wenn er nach Frankfurt geht ist er weg, dann kann ich gar nichts mehr machen. Es ist nur zu dumm dass ich nicht weiß, wann das sein wird.«

»Du kannst gern früher weg. Allerdings unter einer Vorrausetzung.«

Die musste mir Werner nicht groß unterbreiten. Ich wusste ganz genau was er gleich für eine Bedingung stellen würde und ich hatte nur eine einzige Möglichkeit. Nein sagen würde heißen, ganz so schlimm ist das alles nicht und ich könnte so leicht unter Verdacht geraten, da ein bisschen zu schauspielern.
Also das würde ich dann denken. Mir blieb nur, früher zugehen und am nächsten Tag mit einem handfesten Ergebnis kommen. Aber ich musste mich absichern.

»Und wenn er gar nicht zu Hause ist?«

»Dann ruf ihn an.«

Ausgerechnet das, was ich nicht wollte. Keine Vorwarnung, ihm keine Möglichkeit geben ein
Schlupfloch zu finden.

»Kann’s ja mal versuchen.«
Ich nahm mein Handy und rief die Nummer auf. Etwas zittrig drückte ich „Anrufen“ und wartete. Was mir bei den ersten Freizeichen so alles durch den Kopf ging..

»Kassini?«

„Hallo, hier ist Ralf Bach. Ist Angelo zu sprechen?«, fragte ich seine Mutter.

»Angelo ist nicht hier. Er ist heute Morgen nach Frankfurt gefahren.«

Ich stockte zunächst. Klar, ich hätte damit rechnen müssen, aber irgendwie war da doch die Hoffnung stärker. Jetzt suchte ich nach Worten.

»Ähm, und wann kommt er wieder?«

»Er hat eine Wohnung gefunden, Sie wissen ja dass er nun in Frankfurt arbeitet.«

Ich schluckte und mein Mund wurde wieder mal trocken.

»Wohnt er denn nun schon dort?«

Mittlerweile war ich aus dem Auto ausgestiegen. Irgendwie kann ich freier reden wenn keiner so genau zuhört.

»Er richtet die Wohnung zwar erst ein, aber er möchte schon dort bleiben. Ein Bett hat er bereits und den Rest kaufen er und sein Vater zusammen ein.«

Ich hatte nichts mehr im Mund zum schlucken. War weggefahren ohne einen Ton zu sagen. Ich spürte wie sich Tränen ihren Weg suchten. Es kam mir vor als wäre er weg, für immer und ewig. „Frankfurt ist nicht Sydney“, versuchte mich meine Stimme zu beruhigen. Aber das war in dem Augenblick sehr schwierig.

»Gut.. ähm.. vielen Dank.«

»Haben Sie nicht seine Handynummer?«, drang in mein Ohr.

»..nein, leider nicht.«

Ich wollte ihr nicht sagen dass ich sie gelöscht hatte, denn dann sanken meine Chancen sie noch einmal zu bekommen. Zudem, ich hätte j auch selbst drauf kommen können.

»Haben Sie was zum schreiben?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete ich, wobei das nicht stimmte.

Ich musste diese Nummer nur noch einmal hören, dann war sie wieder in meinem Kopf.

Nachdem sie sie durchgegeben hatte, legten wir mit einem Tschüs auf.
Da stand ich nun, ziemlich belämmert musste ich ausgesehen haben. Aber das war egal, ohne lange zu warten oder fragen tippte ich die Zahlen ein. Mir war wurscht was er grade machte, ich musste mit ihm reden, auf der Stelle.

»Hallo?«

»Hallo. Ich bin’s, Ralf.«

Es folgte die scheinbar schon obligatorische Pause am anderen Ende.

»Oh, Ralf.«

Ja oh. Damit hast du halt nicht gerechnet.

»Ich hab gehört du bist jetzt nach Frankfurt gezogen?«

»Ja, seit heute.«

Ich nahm mich zusammen.

»Und du hast nicht mal was gesagt.«

Wieder eine Pause.

»Du Ralf, ich hab im Moment echt keine Zeit. Kannst du später.. noch mal anrufen?«

Er spielt auf Zeit, schoss es mir durch den Kopf. Sucht in Ruhe nach einer Ausrede.

»Eigentlich wollte ich jetzt mit dir reden.«

»Sorry, aber wir sind am einkaufen.. ich.. meld dich später noch mal, okay?«

Was hätte ich machen sollen?

»Gut. So gegen.. Fünf?«

»Versuchs mal. Bis dann. Ciao.«

Klick.

Klick im Handy und Klick im Kopf. Mir war klar, dass er entweder nicht mehr dran ginge wenn er sah dass ich ihn anrief oder er ließ sich ne ganz abenteuerliche Ausrede einfallen. Er ging mir aus dem Weg, schon wieder.
Dabei wollte ich doch nur wissen ob er eifersüchtig war und was es mit diesem Foto auf sich hatte. Das wäre in drei Minuten mit Ja oder Nein zu beantworten gewesen.
„Nicht über Telefon. Du musst ihm in die Augen sehen.“ Klasse, und wie? Sollte ich mich nach Mainhattan beamen lassen?
Werner sah zu mir herüber, die Pause war zu Ende. Innerhalb weniger Sekunden versuchte ich eine passable Lösung zu finden, aber dazu war noch zu viel durcheinander in meinem Kopf.

»Und? Hast du ihn gesprochen?«, fragte Werner.

»Ja.«

Da war ne Menge Trotz dabei. Und Wut. Und all diese Sachen wieder.

»Aber es ist wieder dabei nichts rumgekommen..«

Ich warf mein Handy auf den Beifahrersitz.

»Komm, lass uns arbeiten. Ich hab keinen Bock mehr.«

Werner blieb ganz gelassen sitzen.

»Was heißt, du hast keinen Bock mehr?«

»So wie ich es gesagt hab.«

»Komm, setz sich mal her«, sagte er plötzlich und tätschelte auf den Beifahrersitz.

Gut, wie auch immer, es war sowieso schon alles egal.

Ich schwang mich ins Auto und knallte die Tür zu.

»Er ist heute nach Frankfurt gezogen. Einfach so. Ohne einen Ton. Das sagt doch alles, oder?«, giftete ich.

Werner blieb immer noch ruhig. Er sah mich an und schien darauf zu warten, dass ich wieder ein Stück runterkam. Das passierte denn auch, nach einer Weile des Schweigens.

»Ich denk, du bist verliebt, bis über beide Ohren. Ohne dass du mit ihm geredet hast wird sich mit dir nichts ändern.«

»So weit so gut«, gab ich etwas ruhiger zurück.

»Die Frage ist ja nur, wie ich mich ändern kann. Er will nichts von mir wissen und ich sollte jetzt endlich Schluss machen.«

»Klar, Vogel-Strauß-Politik. Aber den Kopf in den Sand stecken, das ist keine gute Lösung. War’s noch nie.«

»Und, welche Tierart soll ich nachahmen?« Ich überlegte eine Weile. »Maulwurf..?«

»Ja, eingraben.. Nein, im ernst, Ralf. Weißt du denn wo er dort wohnt?«

Ich sah ihn an, weil ich diese Frage niemals erwartet hätte. »Nein. Und ich will es auch überhaupt nich wissen.«

Werner lächelte.

»Ich frage mich, wer dir das glauben soll. Ich jedenfalls tu es nicht.«
»Nein?«

»Nein.«

»Und?«, kam es dann wieder trotzig von mir.

»Was hab ich davon wenn ich es weiß?«

»Nun, ich würde sie an deiner Stelle wissen wollen.«

Ich grübelte nach, was er mit dieser Fragerei eigentlich bezwecken wollte.

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