Margie 43 – Zwischen Bett und Couch

Ich schielte zu ihm rüber, konzentriert steuerte er den Mini durch die Nacht. Sollte ich ihm jetzt schon einfach so stecken, dass ich absolut keine Lust auf eine Nummer mit ihm hab? Nicht nur jetzt, sondern überhaupt nicht? „Haste wirklich keinen Bock? Das kostet nix. Und macht Spaß. Angelo muss das ja nicht wissen.“ „Nein. Gerade wegen ihm tu ich’s nicht.“

Dummerweise stellte sich keine Abneigung ein, gar nicht. Vielleicht war ich auch einfach nur zu müde dafür. Weitaus bedenklicher war jenes Gefühl, das mein kleiner Freund immer dann zutage fördert, wenn ihm etwas in dieser Richtung gefällt. Nun, war es nur bedenklich, oder nicht schon ein Grund zur berechtigten Sorge? Ah was, das war eine völlig natürliche Reaktion. Abgesehen davon durfte er ja wieder seine Einheit einfordern. Nur, zum wichsen würde ich an dem Abend nicht mehr kommen, da musste ich ihn bereits an dieser Stelle enttäuschen. Und außerdem: Nein, Sebastian würde mich nicht anfassen. Ich wischte die Gedanken weg, indem ich an Angelo dachte.

Irgendwie schaffte ich dann noch, die elend lange Treppen in den 5. Stock. So richtig heimisch fühlte ich mich allerdings nicht unbedingt. In mir brodelte die kommende Nacht, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten.

Später saß ich wieder im Wohnzimmer, Sebastian war im Bad verschwunden. Dorthin zog es mich allerdings auch; trotz Müdigkeit eine kalte Dusche.

Der Ventilator an der Decke wirbelte unablässig die schwülheiße Luft durcheinander, ohne Wirkung. Kampf gegen Windmühlen, fiel mir ein. Ich saß da, eher wie ein Häufchen Elend. Mir wurde das alles nämlich viel zu viel, für solche Eskapaden war mein Fahrgestell gar nicht ausgelegt. Ich hatte schlichtweg die falschen Reifen drauf für solch schnittige Kurvenfahrten. Jetzt war sowieso nur noch bremsen angesagt. Nicht nur langsam fahren, sondern anhalten. Ich sehnte mich nach meinem Zimmer, nach Gesprächen mit Felix, nach meinen Fahrstunden, meinen Eltern sogar nach meinem Job. Von Angelo mal ganz zu schweigen. Was hier um mich rum passierte, überstieg das kühnste Vorstellungsvermögen. Wenn ich’s nicht besser gewusst hätte, der absolut perfekte Alptraum.

»Möchtest du was trinken?«, fragte Sebastian, der wieder nur mit einer Short bekleidet aus dem Bad zurückkam. Er roch nach Duschgel, das würd ich auch nehmen.

»Kann ich.. erst mal ins Bad?«

»Klar. Komm, ich geb dir Handtücher.«

So taperte ich ihm nach, ständig darauf lauernd ob er was Verdächtiges anstellte. Jede klitzekleine Bewegung registrierte ich, jeden seiner Blicke die mich trafen. Aber ich konnte absolut nichts Lüsternes feststellen. Wahrscheinlich hatte die Hitze doch viel mit meinen Hirngespinsten zu tun. Logisch auch, denn Sebastian wusste doch dass ich Angelo liebe und würde schon aus dem Grund seine Finger von mir lassen. „Und wenn ihm das nun wirklich völlig egal ist?“ Ich hörte nicht hin, wollte es nicht. Nur noch kaltes Wasser und anschließend meine Ruhe. Dergestalt, dass ich ins Bett fallen würde, in welches auch immer.

Keine Ahnung wie lange ich unter dem Duschkopf stand, ich piff auf die Wasserrechnung. Sebastian konnte sie mir ja nachreichen falls sie zu hoch ausfallen würde. Mein kleiner Freund blieb klein, ich spülte sämtliche miesen Gedanken der letzten Stunde in den Abfluss. Hinfort mit ihnen. „Wenn Angelo dich in den Wind schreibt.. was dann?“ „Wie, was dann?“ „Na, du hast alle Chancen auf eine anregende Nacht hier. Komm nachher ja nicht und heule herum, dass du sie nicht wahrgenommen hast.“ „Ich bin nicht Notgeil.“ „Das hast du am Felle auch schon mal gesagt.“ Mann, immer wieder diese Vorhaltungen. „Du wirst ja nicht ernsthaft behaupten, Felix und ich hätten Sex gehabt. Das waren Spielereien, wie sie an Schulen jeden Tag stattfinden. Und trotzdem ist in der Hölle noch jede Menge Platz. Also, immer schön halblang.“

Ich frottierte meine Haare und betrachtete mich im Spiegel. Nein, Felix war die einzig große Ausnahme. Ich würde hinter Angelos Rücken keinen anderen mehr anfassen. Nur nach dem Tag, an dem mir Angelo gesagt hätte, er möchte mich nie wieder sehen. So lange lief nichts. Und damit Schluss.
Ich kramte eine Boxer und ein T-Shirt aus meinem Rucksack. Egal ob das zerknittert war, ich hatte ja nicht mehr vor auf eine Modenschau zu gehen. Das Wasser hatte mich auch wieder einigermaßen munter gemacht.

Unschlüssig stand ich dann an der Tür. Was würde da draußen noch passieren? Noch mal nen Blick in der Spiegel, zum anbeißen sah ich an dem späten Abend wirklich nicht mehr aus. Allerdings war das lediglich mein Eindruck. Wer wusste schon, ob Sebastian auf so halb verpennte Typen stand. „Blödsinn. Der ist Ästhet, keine Bange.“

Ich holte noch einmal tief Luft und verließ das Badezimmer. Sebastian saß in einem der Sessel und zappte sich durch den TV. War mir mein Anblick peinlich, als er zu mir unter die Tür sah? Gab’s da nicht doch etwas in seinem Blick, das mich nachdenklich machen sollte? Gut, ich war ja nicht Notgeil, aber vielleicht er? Ich sah an mir herunter. »Nicht die neueste Mode«, versuchte ich abzulenken.

»Oh, das macht überhaupt nichts«, sagte er, schaltete den TV aus und legte die Fernbedienung auf den Tisch. Hatte ich ihn jetzt total abgelenkt? »Also wie ist es, möchtest du noch etwas trinken?«, wiederholte er seine Frage.

In Anbetracht der Umstände hätte ich ihn beinahe gefragt, ob er was zum Saufen auf Lager hat. „Wenn du zugedröhnt bist ist dir alles egal. Dann hat er leichtes Spiel mit dir.“ Undenkbar war es nicht. „Du willst dich ja jetzt nur zusaufen, damit du später eine Ausrede hast.“ Oh, jetzt wurde es spannend. War das grade der Moralapostel in mir? „Ich bin keine Hure!“ „Noch nicht..“ „So ein Blödsinn.“ »Ja, ich würd schon noch was trinken.«

»Was? Cola, Wien, Bier, Schnaps, Wasser.. ich hab eigentlich so ziemlich alles da.«

Schnaps gegen den Durst.. das wär’s ja dann.

»Aber ich kann uns auch eine Flasche Sekt aufmachen. Der ist schön kalt und gut für den Kreislauf.«

Nun ja, Kreislauf. Nach einer Flasche wär’s mit dem dann zwar auch nicht mehr weit hin, aber allmählich wurde mir eh so ziemlich alles egal. »Ein Glas Wohlstandsbrause wäre vielleicht nicht so verkehrt«, und mit dieser Entscheidung ließ mich in einen der Sessel fallen. Meine Beine drohten nämlich nun endgültig, ihren Dienst zu versagen. Der Rest allerdings auch.
Sebastian stand auf, stellte das Radio an und machte sich in der angrenzenden Küche zu schaffen. Ich schloss derweil meine Augen und zwang mich zur Ruhe.
Alles halb so schlimm, alles halb so schlimm.. Das summen des Deckenventilators und die unaufdringliche Schmusemusik eines Hausfrauensenders wirkten wie Schlaftabletten. Mann, war ich geschafft. Nicht mal nach der Arbeit war ich schon mal so dringehangen. Aber egal, noch ein paar Minuten, dann würde ich wegtreten. Wahrscheinlich sogar im Stehen.

Das klirren der Gläser zwang mich dann, meine Augen einen Spaltbreit zu öffnen. Sebastian stand vor mir, die Flasche in ein Handtuch gewickelt, dann folgte ein dezentes „Plopp“. Das war auch nicht die erste Flasche die er aufmachte. Kein Knall, kein Spritzen in der halben Wohnung. Das alles registrierte ich so quasi im Halbschlaf. Nur soviel drang zu meinem Bewusstsein durch: dass ich wahrscheinlich schon jetzt gar nicht mehr in der Lage war, mich gegen irgendwelche Zärtlichkeiten zu wehren. Angelos Gesicht schwebte so vor mir herum. Sah es so aus als stünde sowas wie Sorge darin geschrieben? Klar, das war das typische schlechte Gewissen. Nur, worüber? Ich hatte nichts getan und nicht vor, etwas zu tun.

Sebastian schenkte ein. Ich hörte das Glucksen, dann beobachtete ich die Kohlensäureperlen, wie sie sich in eleganten Schlangenlinien ihren Weg durch die bernsteinfarbene Flüssigkeit nach oben suchten. Gleichzeitig beschlugen die Gläser und der Perlentanz wurde undeutlicher. Träumte ich schon?

»So, denn mal Prost. Auf Angelo und dich und vor allem auf gutes Gelingen.«

Doch kein Traum. Spätestens als ich das kalte Glas erst in meiner Hand und dann an meinen Lippen spürte, kamen einige Lebensgeister zurück. Hatten wir angestoßen? Keine Ahnung. Aber diese Dinge waren eh unrelevant. Das prickelnde Getränk rann meine Kehle hinunter und satt einem dezenten Schlückchen, wie sich das nun mal geziemt, war mit einem Mal das Glas leer. Ich setzte mir sozusagen den finalen Rettungsschuss. Alles was ich noch wollte, war eine Scheißegal – Stimmung. Wenigstens die Nacht gut schlafen; was am anderen Tag kommen sollte, konnte ich eh noch nicht absehen.

Sebastian schenkte nach. »Angelo.. es macht dir ziemlich zu schaffen, wie?«

Ich ließ meinen angelehnten Kopf zur Seite fallen und sah ihn an. »Ich hab im Augenblick gar nichts mehr im Kopf.«

»Ich denke, wir sollten jetzt schlafen gehen. Du hast ja den reinsten Marathon hinter dir.«

Oh, wie recht er hatte. Und nun war es wohl soweit. Ein erneutes, kurzes Aufbäumen meiner restlichen Lebensgeister. Gleich würde ich erfahren, wo ich den Rest der Nacht verbringen sollte.

Und in der Tat: »Also, ich kann dir hier auf der Couch ein Bett machen, kein Problem. Aber wenn du willst, ich hab ein ziemlich großes Bett.. ebenfalls kein Problem.«

Aha. Immerhin hatte ich die Wahl. Dennoch vermisste ich einen äußerst wichtigen Zusatz: „..ich tu dir auch nichts.“ Aber spielte es überhaupt eine Rolle? Befummeln konnte er mich auch auf der Couch, die war keine Sicherheitsgarantie. Und mit Couchen hatte ich mir ab und an schon so recht unliebsame Kreuzschmerzen eingefangen. Also mir war noch keine begegnet, auf der man richtig gut pennen konnte. Und Nachts das Lager wechseln weil’s wirklich unmöglich wird, das zählte ich schon unter die Strafen Gottes. »Egal«, entfleuchte es mir müde.

Sebastian lachte. »Egal, so was hab ich leider nicht. Du musst schon konkreter werden.«

Na gut, bevor wir die verbleibenden Stunden mit einer Diskussion über die Runden brachten und damit am Ende in gar kein Bett mehr brauchten, gab ich nach. Ich mein, es war mir wirklich Piepegal. Wobei man ja auch schon mal vorsorgen könnte: Sollte ich ihm nicht doch vorsichtshalber gleich die Rote Karte schwenken? Ah was, er ist ein erwachsener Mann. Nur wollte ich nicht „in deinem Bett“ von mir geben. Das klang schon mal etwas anzüglich. »Ein richtiges Bett wär mir irgendwie lieber.« Was immer ich damit auch provozieren könnte, auf die Finger hauen konnte ich ihm bestimmt noch, trotz ohnmächtiger Müdigkeit.

»Ja, kein Problem. Du musst nur noch selber dahin«, grinste er und stand auf. »Ich geh schon mal, kann mich ja kaum noch auf den Beinen halten. Und morgen früh ist die Nacht um.«

Ich wurde wieder etwas wach. »Musst du arbeiten?«

Sebastian machte das Radio aus. »Nun, ich bin leider noch nicht im Rentenalter und eine reiche Erbtante ist auch nicht in Aussicht. Von daher bleibt mir momentan keine andere Wahl.«

Das durfte ja alles nicht wahr sein. Erst tauchte Andreas so mir nichts dir nichts ab und nun ließ mich dieser Kerl auch noch alleine. Panik. »Und.. ich?«

Er kam zu mir und kniete sich vor mich auf den Teppich. »Ralf, ich habe versucht eine Lösung zu finden, das weißt du. Aber ich glaube, es liegt ganz allein an dir. Du bist bereit um Angelo zu kämpfen, das spürt jeder der dich ein bisschen kennt. Geh hin. Rede mit ihm. Wenn er dich wirklich zum Teufel jagen sollte, was ich ehrlich gesagt nicht glaube, dann hast du es wenigstens versucht. Ich will und kann mich nicht einmischen.«

So. Das saß. Ich war also derjenige alleinige, der sämtliche Kohlen aus dem Feuer holen musste. Scharf nachgedacht hatte Sebastian recht, aber meine Zweifel überwogen doch bei weitem. Nur, ich brauchte gar nicht auf Hilfe von außen hoffen. Es lag offenbar wirklich allein in meiner Hand.

»Wenn du noch was trinken willst, bedien dich. Ich richte dir Frühstück her, denn ich mute dir nicht zu, um Sechs aufzustehen. Du kannst dir den Tag einteilen, ich bin gegen Siebzehn Uhr zurück.«

Der Blick.. Woher hatte dieser Mensch plötzlich diesen Blick? Es reichte nicht für eine angenehme Gänsehaut, aber gelogen wäre es gewesen, wenn ich gesagt hätte, ich mochte Sebastian nicht. Bereits nach diesem Tag stellte ich ihn auf die Ebene, auf der sich auch Felix befand. Ein Freund, ja, Sebastian war der Typ Freund. Wahrscheinlich hätte ich noch um diese Zeit mit ihm Pferde stehlen können. Gut, irgendwie ließ er mich ja nun auch im Stich, aber vielleicht war es wirklich nur meine Angelegenheit. Sebastian war jemand, den man einfach gern haben musste. Egal wie das mit Angelo ausging, ihn wollte ich schon jetzt nicht einfach wieder vergessen. Nicht wie eine Sternschnuppe an meinem Horizont; nein, das nicht. Dennoch war alles Spekulation. Mehr so meine Interpretation irgendwie, nicht unbedingt seine. „Wusste gar nicht dass du aufs reifere Alter stehst.“ „Ich steh nicht auf ihn, Arschloch. Ich mag ihn. Das sind zweierlei Stiefel, kapiert?“ „Aber beim mögen fängt es doch an, oder? Sieh ihn dir doch an. Hässlich ist er nicht, doof auch nicht. Was willst du mehr?“ „Angelo!“

»Also, ich drück dir die Daumen. Das klappt schon. Das Schlafzimmer ist hinten rechts.« Mit diesen Worten stand Sebastian auf und entschwand.
Das war alles an Instruktionen? Kein Hinweis, dass es sich nicht lohnen würde die Bude auf den Kopf zu stellen, weil’s eh nichts zu klauen gab? Immerhin, der Fernseher war nicht alt, die Stereoanlage auch nicht. Woher wurde ich mit solch grenzenlosem Vertrauen bedacht? Also, ob ich das so machen würde.. Egal. Ich hatte eh nicht die Absicht, hier herumzustöbern. Bin ja immerhin ein anständiger Mensch. Und die Sachen nachher verhökern, zu so etwas hätte ich überhaupt keine Nerven. Und auch keinen Schimmer, wie man das macht. Völlig abgesehen von einem nötigen Transportmittel.

Da saß ich, allein mit dem nun einzig lebhaften Objekt in dem Raum, diesem Deckenpropeller. „Hinten rechts“, mehr hatte Sebi nicht gesagt. Nein, der würde keinen Finger nach mir rühren.
Ich schenkte mir noch ein Glas ein, diese paar Minuten und Meter würde ich sicher auch dann noch schaffen. Wobei es richtig gut tat, endlich wirklich alleine zu sein.

Mein Blick fiel dann zur offenen Balkontür hinaus in die Nacht. Ein Lichtermeer war so Ausschnittsweise zu erkennen und seufzend erhob ich mich. Mir war außerdem nach einer Zigarette, trotz meines todesähnlichen Zustands.
Also trat ich hinaus auf den Balkon. Schöner Ausblick, das musste ich zugeben. Scharf links, gerade noch eben im Blickfeld, die grandios beleuchtete Skyline der Bankenstadt und voraus, so in halber Höhe, die Blinklichter eines dahineilenden Düsenriesen. Leben pur eigentlich und auch als Dorfkind kann man sich an solchen Sachen manchmal erfreuen. Besonders, wenn man weiß, dass man wieder heimkehren wird.
Ich lehnte mich auf das Geländer und sah nach unten. Welch Gottesgabe, Schwindelfrei zu sein. Tja, und wer hier hinunterfiel, der würde etwa fünf Meter rechts neben den Müllcontainern aufschlagen. Platsch. So denkt man halt, wenn man oben arbeitet, über den Köpfen anderer Leute.

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