Die zweite Chance – Teil 9

Florian saß zusammen mit Arne unter einen kleinen überdachten Grillplatz. Beide starrten in den Regen obwohl kaum etwas zu erkennen war.

„Und was ist das?“ fragte Florian. Nach Arnes Ankündigung ihm etwas sagen zu wollen kam doch nichts mehr.

„Das ist nicht so einfach.“

Arne schien reichlich nervös zu sein und knetete seine Finger.

„Marcus meinte, dass du vor dem Umzug einiges mitgemacht hast. Und auf deinem Geburtstag war das ja dann auch für uns zu sehen.“

„Bei mir gibt es auch was, was ich noch niemandem erzählt habe.
Weißt du, dass ich nur mit meiner Mutter zusammenlebe?“

Florian nickte leicht. Erst las ihm klar war, dass dies in der Dunkelheit kaum zu sehen war antwortete er damit Arne weiter redete.

„Selbst die Anderen wissen nicht warum ich meinen Vater seit fast sieben Jahren nicht mehr gesehen habe.“

Erstaunt fuhr Florian zusammen. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Mit großen Augen sah er zu Arne, der seine Verwirrung auch zu bemerken schien.

„Nein! Nicht was du jetzt wahrscheinlich denkst. Er hat mir nie etwas getan.
Aber er hat unsere Familie zerstört.“

„Was ist denn passiert?“

„Ich hab damals noch Fußball gespielt.
Mein Training war ausgefallen und ich bin früher nach Hause gekommen.
Ich wusste, dass meine Mutter nicht in der Stadt und mein Vater arbeiten war.
Und so ganz ohne Aufsicht wollte ich den ganzen Nachmittag Fernsehgucken und so viel Cola trinken bis ich Bauchschmerzen habe.“

Arne machte bei seiner Erzählung wieder eine Pause. Nervös spielte er weiter mit seinen Fingern.

„Aber die Wohnung war nicht leer.
Aus dem Wohnzimmer waren Stimmen zu hören.
Also schlich ich näher und sah um die Ecke.
Auf dem Sofa sah ich meinen Vater.
Er lag nur in seinen Hosen da.
Und…
…und bei ihm war ein anderer Mann den…
…den er…“

„sie haben sich geküsst“, brachte Arne den Satz schließlich zu Ende.

Florian schwieg betreten, damit hatte er nicht gerechnet. Erst nach einer Pause, während der nur der Regen auf dem See zu hören war, brach Florian ihre Stille.

„Arne, ich bin nicht dein Vater.“

„Ja. Irgendwie weiß ich das auch. Aber… irgendwie…“

„…waren mit mir die Bilder auf einmal wieder da“, beendete Florian den Satz.

„Ja.“

„Hast du ihn danach noch mal gesehen?“

„Nur einmal als er seine Koffer gepackt hat. Ich will ihn aber auch nicht sehen!“

„Glaubst du nicht, dass es für ihn genauso schwer war? Er hat seine Familie aufgeben.“

„Das wollte er doch so! Wir waren ihm doch egal! Er hat doch alles kaputt gemacht.“

„Sicher, aber denkst du es ihm leicht gefallen dich einfach im Stich zu lassen. Warum ist er nicht einfach schon früher gegangen wenn du ihm nichts bedeutet hast?“

„Ich weiß nicht…“

Eine Weile saßen sie noch schweigend nebeneinander. Erst als der Regen deutlich nachließ machten sie sich wieder auf den Rückweg.

„Arne, danke, dass du es mir gesagt hast. Auch wenn ich dir nicht dabei helfen kann, ich bin aber auch nicht daran schuld.“

„In meinem Kopf weiß ich das ja auch.
Aber wenigstens weißt du jetzt woran es liegt wenn ich dir mal wieder blöd komm.“

„Aber lass das nicht zur Gewohnheit werden.“

Florian gab Arne einen Stoß mit dem Ellbogen. Als sie wieder in die Nähe ihrer Zelte kamen liefen die Anderen ihnen lautstark entgegen. Mittlerweile waren auch die vier, die vorher noch nicht an der Suche beteiligt waren, durchnässt. Ihre Schuhe verursachten ein matschendes Geräusch auf dem mittlerweile völlig durchweichten Boden.

„Wo wart ihr denn? Wir dachten schon, wir müssten euch beide jetzt suchen und retten!“

„Wir haben uns nur ausgesprochen.“

War jedoch der einzige Kommentar von Arne. Allerdings wäre es erstaunlich gewesen wenn sich die Anderen mit dieser kurzen Antwort zufrieden gegeben hätten. Und so sah Florian nur eine Möglichkeit sie zu Schweigen zu bringen.

„Wenn ihr es unbedingt wissen wollt“, fing er an, den drohenden Blick von Arne ignorierend.

„…er hat sich unglücklich in mich verliebt. Und ihr kennt ja eigentlich seine Meinung zu so ´nem Chaoten wie mir…“

Grinsend ließ er seine sprachlosen Freunde zurück. Arne folgte ihm leise kichernd.

„Du bist echt unmöglich, Florian.“

„Danke, ich geb’ mein Bestes.“

*-*-*

Am nächsten Morgen waren alle gezwungener Maßen in Aufbruchstimmung.
Ein Teil ihrer Sachen waren durch den Regen völlig durchnässt. Besonders Michael und Sabine hatte es getroffen. Ihr Zelt schien zu ihrem Leidwesen nicht mehr ganz dicht zu sein. Nach einer kurzen Beratung wurde beschlossen schon einen Tag früher als geplant nach Hause zu fahren.
Ein kurzer Umweg brachte sie jedoch erst einmal zum Bahnhof wo Sascha wieder in den Zug steigen wollte. Der Abschied, besonders von Kathrin fiel allerdings etwas länger aus. Die beiden hatten sich wohl wirklich gefunden.
Selbst Marcus schien sich mit Sascha arrangiert zu haben und warf ihm sein früheres Verhalten nicht mehr vor.

Einige Stunden später verabschiedete sich Florian von den restlichen Freunden und bog in seine Straße ein.
Auch hier hatte der starke Regen des Vortages für einige Schäden an den Pflanzen gesorgt. In einigen Gärten waren die Besitzer schon dabei abgeknickte Pflanzen aufzubinden und die verkrustete Erde wieder zu lockern.
Vor dem Haus gegenüber war ebenfalls eine Frau, die Florian noch nicht kannte, im Garten mit einer Harke beschäftigt. Ein Junge in seinem Alter sah nur kurz zu ihm rüber und verschwand dann im Haus.
Er wollte der Frau eigentlich nur kurz zunicken um sich um seine Sachen zu kümmern, als diese ihn auch schon ansprach.

„Hallo, gehörst du auch zu den Neumanns?“

„Ähh… ja, ich bin Florian.“

„Ach ja, der zweite Sohn, freut mich dich kennen zu lernen. Ich bin Barbara Richter.“

„Freut mich. Ich muss jetzt aber weiter, meine Sachen sind gestern beim Zelten nass geworden.“

„Oh, da hast du aber wirklich Pech mit dem Wetter gehabt. Seit ihr früher gefahren? Ich glaub deine Eltern rechnen auch noch nicht mit dir. Sie sind vorhin weggefahren.“

„Ähm… ja. Aber ich muss jetzt wirklich.“

„Du hast ja Recht, nasse Sachen sollte man gleich trocknen. Dann bis später mal, wir werden uns ja bestimmt noch häufiger sehen.“

„Ja sicher. Schönen Tag noch.“

Florian fand seine neue Nachbarin schon ein wenig aufdringlich. Aber etwas anderes als höflich bleiben würde nur zu unnötigen Ärger führen, und das wahrscheinlich vor allem mit seinen Eltern.
Er entlud schnell sein Fahrrad um es im Schuppen zu verstauen. Seine Sachen brachte er anschließend direkt auf die Terrasse um sein Zelt auf dem Rasen auszubreiten. Den Rucksack platzierte er erst einmal auf einem Gartenstuhl um dann sein Zelt zum Rasen zu schleppen.
Dieser war jedoch nicht so leer wie er erwartet hatte.

„Hallo Tom.“

„Florian was machst du denn schon hier. Du wolltest doch erst morgen wieder kommen.“

„Dass du mich nicht erwartet hast sehe ich…“

„Oh… ähm… das ist Marion.“

Tom lag auf einer Picknickdecke auf dem Gras. Neben ihm lag die besagte Marion und strahlte Florian an. Ihre dunkelbraunen Haare lagen in Locken auf ihren Schultern.

„Hallo ich bin Florian.“

„Ah, der kleine chaotische Bruder.“

Dabei erklang jedoch ein angenehmes Lachen von Marion.

„Schön dich mal kennen zu lernen. Tom hat schon viel von dir erzählt.“

„Was hast du gesagt?“ wandte sich Florian an diesen.

„Was soll ich denn schon erzählt haben? Musst du nicht dein Zelt ausbreiten anstatt uns hier zu stören?“

„Wobei stör ich euch denn?“ fragte Florian mit einem breiten Grinsen.

„Mach einfach dass du wegkommst.“

Tom warf das Papier einer Schokolade nach seinem Bruder. Florian war jedoch schon auf dem Weg zu seinem durchnässten Zelt. In einer Ecke des Gartens breitete er es aus, um sich danach um den Rest seiner Sachen zu kümmern.
Eine Stunde später war Florian fertig. Die Campingutensilien waren in Kisten verstaut, die Wäsche im Korb und die restlichen Sachen in eine Ecke in seinem Zimmer geschoben.

*-*-*

„Hi Marcus.“

Florian wollte grade sein Fahrrad vor der Schule anschließen als Marcus mit quietschenden Bremsen neben ihm zu stehen kam.

„Du solltest was mit den Bremsen machen“

„Ach was die machen es noch eine Weile. Die betteln nur um Aufmerksamkeit.
Hallo Laura, gehst du jetzt auch hier zur Schule?“

„Jaaa!“

Laura hatte ihr Fahrrad neben Florians gestellt. Der stolz in ihrer Stimme, jetzt auf die gleiche Schule wie ihr großer Bruder zu gehen, war nicht zu überhören.

Zu dritt gingen sie zu ihrem Ahornbaum. Dort mussten sie jedoch nicht lange auf ihre Freunde warten. Niemand schien es riskieren zu wollen am ersten Schultag nach den Ferien zu spät zu kommen. Und obwohl sie sich eineinhalb Wochen nicht mehr gesehen hatten war keiner wirklich in Gesprächslaune.
Mit dem ersten Klingeln liefen alle Schüler auf die Eingänge zu. Nicht zu ersten Mal erinnerte Florian dieses Verhalten an Lemminge die kurz davor waren sich von der Klippe zu stürzen.

„Komm mit, ich zeig dir noch wo du hinmusst.“

Laura folgt Florian zu einem anderen Eingang. Vor einem der zahlreichen Türen in ersten Stock blieb er stehen. In dem Gang waren auffällig viele Erwachsene unterwegs. In diesem Gang schienen die neuen Klassen untergebracht zu sein.

„Hier ist deine Klasse. In der Pause bin ich wieder unter dem Baum falls du mich suchst.“

Laura nickte nur stumm. Die große Schule schien sie nun doch ein wenig einzuschüchtern.

„Morgen Florian, was machst du denn hier?“

„Morgen Herr Peters. Ich habe Laura, meine Schwester hergebracht. Sie ist ihn ihrer Klasse.“

„Hallo Laura. Hat dir dein Bruder hier denn schon alles gezeigt?“

„Nein…“

„Dann muss ich das wohl machen. Geh am besten schon mal in die Klasse und such dir einen Platz.“

„Viel Spaß Laura“, verabschiedete sich Florian, „Und denk dran, dass Mama dich nach der vierten Stunde abholt.“

Doch seine Schwester lief schon in das Klassenzimmer und er war sich nicht einmal sicher ob sie es noch gehört hatte.
Zeit sich darüber Gedanken zu machen hatte er jedoch auch nicht. Immerhin musste er auch noch zu seiner eigenen Klasse.
Er lief die Treppe wieder herunter. Rannte dann über den Hof und auf der anderen Seite wieder in die Schule rein.
Er schaffte es grade noch vor seinem Lehrer ins Zimmer.
Florian setzte sich ohne groß darüber nachzudenken auf einen freien Platz. Erst dort viel ihm auf, dass es der gleiche wie im letzten Jahr war. Doch nachdem er sich umsah bemerkte er, dass dies scheinbar für jeden anderen in der Klasse auch galt.

„Guten Morgen.“

Ohne auf eine weitere Reaktion der Schüler zu warten ging ihr Klassenlehrer durch den Raum zu seinem Pult. Ein paar Meter hinter ihm lief ein neuer Schüler der von allen neugierig gemustert wurde.
Florian erkannte in ihm den Sohn der neuen Nachbarn. Aber noch nie hatte er ihn in der letzten Woche vom Nahen gesehen. Und auch noch nie so lange.
Er schätzte ihn auf circa ein Meter fünfundachtzig. Seine kurzen braunen Haare hatten etwas Verwegenes wie sie nach oben abstanden. Eine Jeans und ein bedrucktes T-Shirt rundeten das Bild ab.
Den Blick hielt er auf den Boden gesenkt.

Ein Tritt gegen sein Bein ließ Florian hochfahren.

„Starr ihn nicht so an“, flüsterte Lars ihm leise zu.

Mit leicht rotem Gesicht wandte Florian sich wieder ab und achtete Wieder auf das, was ihr Lehrer vor der Klasse erzählte.

„Nachdem uns Tanja und Gabriel verlassen haben, haben wir in diesem Jahr einen neuen Schüler. Dies ist Sven Richter. Ich hoffe ihr werdet ihm den Einstieg etwas erleichtern.“

Sven wurde auf einen der freien Plätze verwiesen, auf dem er ohne ein Wort zu sagen Platz nahm. Die Selbstvorstellung, die Florian vor einigen Monaten noch machen musste, blieb ihm erspart.
Ihr Lehrer verteilte währenddessen die Stundenpläne für das nächste Halbjahr und eine Liste mit Unterrichtmaterialien der einzelnen Lehrer. Jeder der einen ersten Blick auf den Plan werfen konnte fing augenblicklich eine Diskussion über den Sinn und Zweck der Fächerverteilung an.
Nur mit Mühe konnte er wieder Ruhe in die Klasse bringen, um dann gleich den Unterrichtsstoff des nächsten Halbjahres und die relevante Literatur bekannt zu geben. Florian versuchte so gut es geht dem Gesagten zu folgen. Aber irgendwie hatte er, bei dem Gesagten, das Gefühl wieder in der ersten Klasse gelandet zu sein.

Nach zwei Stunden wurden sie schließlich von der Schulklingel erlöst.

„Die können einem doch nicht schon am ersten Tag den ganzen Kopf vollstopfen.“

„War das an deiner alten Schule nicht so?“

„Was ist denn mit dem ganzen im Kreis sitzen und von den Ferien erzählen geworden? Und dem anschließenden Malen vom Urlaub?“

„Ich glaub du verwechselst das mit der Grundschule.“

Wie im letzten Jahr trafen sie sich auch in den Pausen wieder wie selbstverständlich unter ihrem Baum. Im Gegensatz zum Morgen waren sie nun jedoch um einiges ausgelassener.
Nicht nur für Florian ging die Pause viel zu schnell vorbei.
Getrennt gingen sie auf die verschiedenen Eingänge der Schule zu. Den Rest des Tages hatten sie wieder unterschiedlich Kurse.

Erleichtert bemerkte Florian, dass Laura in der Pause nicht zu ihm gekommen war. Scheinbar kam sie gut in ihrer neuen Klasse zurecht.

In Sozialwissenschaften war Florian in einen besonders chaotischen Kurs geraten. Die meisten waren scheinbar völlig desinteressiert und saßen nur in dem Klassenzimmer weil man mit dem Fach ein Pflichtbereich abdecken konnte. Dementsprechend verbreiteten die meisten eine ziemliche Unruhe.
Nach den zwei Stunden war Florian froh wieder aus der Klasse raus zu kommen.

Die nächste Pause unterschied sich eigentlich nicht groß von der ersten. Unter dem Baum stehen, unterhalten und in Lars Fall Kekse essen.
Bis Florian auf einmal einen Stoß von Marcus in die Rippen bekam.

„Warum starrst du eigentlich die ganze Zeit den Neuen an? Hat es dich etwa erwischt?“

Augenblicklich verstummten die Anderen um sie herum. Ihre Blicke wechselten neugierig von Florian zu Sven und wieder zurück.
Sven saß einige Meter entfernt auf einer kleinen Mauer. Die Arme auf die Knie gestützt starrte er auf den Boden vor sich und ignorierte das Geschehen um ihn herum komplett. Und eigentlich hatte er auch im Unterricht nichts anderes getan. Als würde ihn das ganze nichts angehen.

„Äh…nein hat es nicht.“

„Ach du findest also nicht, dass er gut aussieht.“

„Das hab ich nicht gesagt.“

„Und weshalb starrst du nun so?“

„Ich überleg die ganze Zeit, woher ich ihn kenne.“

„Vielleicht weil er dein Nachbar ist?!“

„Das weiß ich selbst. Nein, ich hab ihn schon mal irgendwo gesehen. Aber ich komm nicht drauf.“

„Deine alte Schule?“ fragte Marcus leicht besorgt.

„Ich glaub nicht. So groß war die Schule ja nicht, da sollte ich mich eigentlich erinnern können.“

„Wird dir schon wieder einfallen.“

Für die Anderen war damit das Thema erst einmal erledigt. Florian konnte jedoch nicht anders als Sven den restlichen Schultag möglichst unauffällig zu beobachten.

Nach zwei weiteren Stunden konnte Florian endlich nach Hause. Als er die Hälfte der Strecke hinter sich hatte verabschiedete er sich bis zum Nachmittag von Marcus und fuhr den Rest alleine.
Noch immer in Gedanken versuchte er seine Schulsachen zu ordnen, was ihm jedoch nicht richtig gelang. Ständig wanderten seine Gedanken zu seinem neuen Nachbarn.
Selbst die irritierten Blicke seiner Eltern während des Essens bekam er nicht wirklich mit. Aber die waren sowieso fast die ganze Zeit von Laura und ihren Erzählungen eingespannt.

Am Nachmittag traf er dann Marcus auf dem Weg in die Innenstadt in der S-Bahn. Mit dem Rest wollten sie sich erst am Bahnhof treffen. Zusammen wollten sie dann nach den benötigten Schulsachen suchen.
Für Florian war es das erste Mal, dass er in dieser Stadt die Schulsachen kaufen musste.

„Du weißt wo wir die ganzen Sachen bekommen?“

„Klar, meist bekommt man alles in zwei oder drei Geschäften.“

„Gut dann sollte das ja nicht so lange dauern. Machen wir danach noch was?“

„Glaub nicht mehr viel. Meine Mutter bringt mich um wenn ich direkt am ersten Schultag die halbe Nacht durchmache.“

„Davon war auch nicht die Rede.“

Florian wartete an der Tür bis der Zug zum stehen kam. Danach mussten sie sich nur noch durch die draußen wartenden Menschen kämpfen.
Als sie auf dem Bahnhofsvorplatz ankamen wurden sie schon erwartet und konnten sofort in das erste Geschäft weiter.
Nach einer dreiviertel Stunde hatte Florian fast alles bekommen was er benötigte. Nur eine Lektüre für Englisch musste er bestellen.
Zu siebt setzten sie sich schließlich in eins der zahlreichen Cafés.

„Ist dir es eigentlich mittlerweile wieder eingefallen?“

„Was eingefallen?“

„Woher du den Neuen kennst.“

„Nein! Und danke, dass du mich daran wieder erinnerst.“

Florian hatte durch die Ablenkung die letzte Stunde nicht mehr darüber nachgedacht woher er Sven kannte. Jetzt war er wieder in seinem Kopf und irgendwie gefiel ihm das gar nicht.

Selbst als er wieder zu Hause war kreisten seine Gedanken noch immer um Sven.
Viel zu früh für seine Verhältnisse ging er schließlich ins Bett, zog sich sein Kissen über den Kopf und versuchte an etwas anderes zu denken.

Völlig übermüdet traf Florian am nächsten Morgen wieder in der Schule ein. Obwohl er erst zur dritten Stunde Unterricht hatte war die Nacht viel zu kurz gewesen. Das letzte Stück des Weges hatte er zusammen mit Marcus hinter sich gebracht, den er unterwegs getroffen hatte.

„Du siehst nicht besonders gut aus.“

„Vielen dank auch. Ich hab einfach schlecht geschlafen.“

„Und was hat dich davon abgehalten“, fragte Marcus mit einem Grinsen das zeigte, dass er eigentlich „Wer“ hätte fragen wollen.

Mit einem Seufzen ließ sich Florian auf eine Bank fallen. Sie hatten noch einige Minuten bis sie in die Klasse mussten.

„Sven…“

„Überlegst du noch immer woher du ihn kennst?“

„Ja…auch.“

„Also hast du dich doch ihn verguckt.“

„Nein… obwohl… ach, ich weiß auch nicht.“

„Ich find das schon recht eindeutig, so wie du dich aufführst.“

„So schlimm? Was mach ich denn jetzt?“

„Du stellst Fragen. Wie wäre es mit anspringen, anstatt ihn nur anzustarren.“

„Idiot! Du weißt was ich meine.“

„Dann versuch als erstes herauszufinden woher du ihn kennst. Vielleicht wissen deine Eltern ja was.“

Weiter in Gedanken saß Florian schweigend neben Marcus.
Mit der Schulklingel ging er mechanisch auf dem Eingang zu. Marcus zog vor ihm die Tür auf, nur um anschließend Florian zur Seite zu ziehen.
Irritiert sah dieser auf.

„Du solltest zumindest darauf achten welche Seite ich aufhalte. Ist bestimmt nicht lustig gegen die Glastür zu laufen.“

„Oh… ich bin wohl etwas in Gedanken.“

„Etwas ist gut.“

Den gesamten Schultag erging es Florian ähnlich. Er bekam einen Stoß in die Rippen wenn er wieder zu sehr die Wand anstarrte. Und einen Tritt wenn er nicht mitbekam, dass ihn ein Lehrer angesprochen hatte.

„Noch so ein Tag mache ich das aber nicht mit.“

„Tut mir Leid.“

Wo Lars Anfangs noch über Florians Verhalten amüsiert war, ging es ihm später doch ziemlich auf die Nerven als es nicht besser wurde.
Sie warteten nur noch auf Marcus um gemeinsam zur Sporthalle zu gehen.
Einige Meter entfernt, ebenfalls an seiner üblichen Stelle saß Sven wieder auf der Mauer.

„Hey Leute, ich hab ne gute Nachricht. Sport fällt aus.“

Mit dieser Nachricht wurde Marcus wenig später freudig begrüßt.

Aber Florian achtete nicht weiter auf ihn. Er war von einer Sekunde zur Anderen wieder in Gedanken und schlug sich dann plötzlich mit der flachen Hand vor die Stirn.

„Ich bin so ein Idiot!“

Durch den Einwurf aus dem Konzept gebracht starrten ihn alle sechs Freunde an. Doch Florian ignorierte seine völlig irritierten Freunde und ging auf Sven zu.
Mit jedem Schritt wurde er nervöser.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
Bei ihm angekommen setzte er sich zu ihm auf die Mauer.

„Ähm… Hi.“

„Was willst du?“

Sven guckte nicht mal auf.

„Weiß nicht. Vielleicht mit… mit dir reden. Du äh… scheinst von uns anderen nicht viel zu halten oder?“

„Und wenn schon.“

„Findest du es wirklich so schlimm hier?“

„Was geht dich das an.“

„Eigentlich nichts. Ich dachte nur, weil du gesagt hast, du willst nicht herziehen.“

„Woher weißt du das?“

Florian hatte Svens Neugierde geweckt. Anstatt wie üblich auf den Boden zu starren sah er ihn nun an. Florian schluckte schwer als ihn der Blick der grünen Augen traf.

„Die Autobahnraststädte bei Trier, in den Toiletten. Du hast dich mit deinem Vater gestritten als ich reingekommen bin.“

Sven sah ihn ungläubig an.

„Das warst du?“

„Ich hab den ganzen letzten Tag überlegt, woher ich dich kannte. Und grade ist es mir wieder eingefallen.“

„Und was willst du jetzt.“

„Die Frage ist was willst du? Findest du es hier wirklich so schlimm?“

„Ich weiß nicht. Ich kenn hier niemanden. Ich wollte nur nicht weg.“

„Bei mir war es anders. Ich wohn auch noch nicht so lange hier. Aber ich wollte vorher unbedingt weg.“

„Wie meinst du das?“

„Erzähl ich dir vielleicht später.“

„Okay.“

„Und was ist mit dir?“

„Vielleicht auch später“, entgegnete Sven mit einem Lächeln.
„Müssen wir nicht so langsam zum Sport?“

„Nein, Sport fällt aus.“

„Das ist nicht dein ernst oder? Warum Sport? Warum nicht Mathe oder Englisch?“

„Doch ist mein ernst!“

„Und warum sind wir dann noch hier?“

„Weil du total deprimiert auf der Mauer gesessen hast.“

Lachend ging Florian wieder zu seinen Freunden rüber.
Sven saß unsicher auf der Mauer und schien nicht so recht zu wissen, ob er dort auch willkommen war.

„Du hast dich gut gehalten“, flüsterte Marcus ihm zu.

„Halt bloß die Klappe!
Sven kommst du mit?“

Erleichtert ging er auf sie zu.

„Klar, wo müsst ihr den lang?“

„Das ist nicht dein ernst oder?“

„Wieso?“

„Weil du die Ehre hast Florian nach Hause zu bringen“, mischte sich nun Lars in das Gespräch ein.

Florian merkte wie er rot wurde. Ein Knoten blockierte seine Stimmbänder als er antworten wollte.

„Er ist dein Nachbar, er wohnt im Haus gegenüber.“

Scheinbar hatte Marcus seine Notlage erkannt.

„Oh, dann bist du Florian.“

Florian bekam nur ein Nicken hin.

„Ja ist er“, half Marcus wieder aus.

Sven sah etwas verdutzt zuwischen Florian und Marcus hin und her.

„Meine Mutter von dir erzählt. Sie hat dich wohl mal vorm Hausgetroffen.“

„Das muss nach dem Zelten gewesen sein.“

Diesmal wartete Marcus nicht einmal ob Florian reagiert. Sven schien dies nur noch mehr zu verwirren.

„Kann ich meinen Spruch wieder einbringen?“ freute sich Arne, und ergänzte danach: „Die zwei sind immer so!“

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