Margie 73 – Zwei Leben

Ich steckte das Handy wieder zurück und begab mich zur Tür. Dabei musste ich zwangsläufig an einem zweiten Stuhl vorbei. Und da lagen Sandros Klamotten. Was war das plötzlich für ein seltsames Gefühl, als ich sie mir betrachtete? Bin zwar wie schon mal erwähnt kein Kleiderfetischist, aber mir war auch nicht so ganz klar wie sich denn eine solche Manie äußert.
Ich drehte mich ein paar Mal um, besah mir den Raum näher. Schlicht und einfach. Nicht mal ein Poster überm Bett. Ich mein, da gibt’s ganz tolle, mit so richtig schönen, nackten Männern drauf. So war’s halt auf die ersten Blicke ein Schlafzimmer, worin man sich tatsächlich nur zum schlafen aufhält.
Gespannt, wie der Rest der Wohnung aussieht, trat ich in den Flur. Mein kleiner Freund hatte sich inzwischen dazu entschlossen, eine Pause einzulegen, was mir bei einer Begegnung mit Sandro Erklärungen ersparte.
Dann wie erwartet – auch das Bad rein Zweckmäßig, nichts was Staub fängt und unnötig ist.

»Du kannst alles benutzen, was da rum liegt. Handtücher und Duschzeug, nimm einfach was du findest«, hörte ich Sandro rufen.

Okay, eine Dusche war auch nicht so das verkehrte, zudem würde mir das noch ein Stück weiter auf die Sprünge helfen. Denn richtig gut ging’s mir natürlich wirklich noch nicht.
Als das Wasser an mir herunter lief und den Kater Scheibchenweise zurückdrängte, geisterte Angelo wieder durch meinen Kopf. Mir wurde sehr schnell klar, dass da noch lange nicht das letzte Wort gesprochen war. Ich musste auf ein letztes, klärendes Gespräch bestehen. Von mir aus gingen wir halt im Streit auseinander, so eklig diese Dinge auch sind. Aber sang- und klanglos wollte ich nicht von dieser Bühne. Ich nicht.
Ich begann bereits, mir die passenden Fragen zurechtzulegen, als ich darin auf amüsante Art unterbrochen wurde.

»Ich verdiene nicht schlecht«, rief Sandro ins Bad, »aber ich möchte das ganze Geld nicht in die Wasserrechnung stecken. «

Mir war sofort klar, dass er das nicht ernst gemeint hatte, aber es drang sofort etwas anderes in mein Hirn: Dieser Junge ist nicht nur hübsch, sondern auch witzig. Etwas, das ich an Angelo oft vermisst hatte. Passte mein Fahrer doch so viel besser zu mir? Ich bekam richtigen Zorn, weil ich mich noch immer nicht an Details der letzten Nacht erinnern konnte. Es war richtig verflucht, denn mit dieser Lücke wollte ich wirklich nicht leben.

Wenig später betrat ich die Küche. So eine mit kleiner Frühstücksbar. Auf den ersten Blick sehr sauber. Kein meterhoher Geschirrhaufen, auf dem man in die langen Schimmelpilze Lockenwickler drehen konnte. Das Fenster ging nach Norden, also bleib gleißendes Sonnenlicht auch erst mal kein Thema. Trotzdem schön hell und auch groß genug.

Sandro saß – immer noch in diesem unmöglich aufreizenden Slip – an dem kleinen Tisch auf dem Hocker und schenkte mir Kaffee ein. »Setz dich. «

Auch wenn ich Sandro bis dahin nur sehr wenig kannte – ich hörte sofort heraus, dass ihn irgendetwas beschäftigte. »Du kannst die Wasserrechung mit den Getränken zusammenstellen«, sagte ich und setzte mich neben ihn.

Er lachte. »Mal sehen, irgendwo fliegt der Taschenrechner herum.. «

Ich nahm einen Schluck Kaffee und ließ den zunächst mal auf mich wirken. Wahnsinn. Genau meine Stärke und der kam eigentlich genau im richtigen Augenblick.

Sandro beobachtete mich dabei auf eine Art, die mich stutzig machte. Er musterte mich eher und das ohne Hehl. Ich schnaufte und riss mich zusammen. »Ich möchte nicht unhöflich sein, Sandro, aber bitte – was war heute Nacht? Ich bin dir nicht im Geringsten Böse, ganz egal was da passiert ist. Nur, ich wüsste es halt gern. «

Er nahm seine Tasse in beide Hände und begann zu ihr zu reden, so quasi.
»Ralf, ich hab nur ein paar letzte Stunden geschlafen heute Nacht. «

Es fiel mir schwer zu glauben, dass ich in meinem Zustand so lange durchgehalten hatte. Also an mir dürfte es demnach kaum gelegen haben. »Und warum? «, wollte ich deswegen wissen.

Jetzt sah er mich wieder an. Verflucht, so darf man mich nicht ungestraft ansehen. Nicht mit einem solchen Blick, mit solchen Augen.. »Ich hab nachgedacht. «

Okay, es war nicht zu vermuten, dass er für verknupsern ein solches Wort benutzte. »Und worüber? «

»Die letzten Stunden, sozusagen. «

»Welche Stunden denn? «

»In denen wir uns kennen. «

Worauf wollte er denn bloß hinaus? Warum redete er überhaupt so daher? Ich durfte annehmen, dass er meine Frage sehr genau verstanden hatte und erwartete nun eine Antwort. »Und zu welcher Erkenntnis hat dich dein Nachdenken gebracht? «

Plötzlich stand er auf, tapste auf seinen nackten Füßen hinaus und kam nach einigen Augenblicken wieder zurück. Er legte das Päckchen mit den Kondomen auf den Tisch und setzte sich wieder.
Ich spürte, dass ich jetzt rot wurde. Über Inhalt und Zweck dieser Dinger wollte er mich ja jetzt bestimmt nicht aufklären und ich war gespannt, was nun folgen würde.

»Die Packung liegt immer dort, nicht erst seit heute Nacht«, sagte er wieder zu seiner Tasse. »Es ist nicht die erste und sicher auch nicht die letzte. «

Peng. Mein Kopf war zumindest soweit wieder in Ordnung, so dass sich ganz langsam ein gewisser Verdacht ausbreiten konnte. Aber anstatt wild zu spekulieren, wollte ich Sandro reden lassen. Vielleicht war das besser, als sich irgendwas zusammen zu spinnen. »Und was möchtest du mir damit sagen? «

Sandro räusperte sich und mir kam es so vor, als wäre ihm das Gespräch nicht gerade angenehm. »Du.. kannst es dir scheinbar nicht denken, oder?«, sagte er leise.

»Sorry, nein. Außerdem ist meine Denkmaschine noch nicht wieder voll einsatzfähig. Sag’s mir einfach. «

Zitterte sein Körper leicht? Ich bekam plötzlich das überaus dumme Gefühl, dass das, was er mir sagen sollte, nicht so einfach war. Meine Güte, er tat mir auf einmal richtig leid. Weiß der Geier warum, aber so war es halt. »Sandro.. auf der anderen Seite.. wenn du nicht möchtest, dann lass es. Im Grunde hab ich ja kein Recht, in deinem Privatleben herumzuschnüffeln. «

Er winkte ab. »Schon gut. Es ist ja egal, ob du es weißt. «

Diese Worte.. es musste ja was ganz besonderes sein so wie das klang. Trotzdem, ich bremste meine Neugier. Am allerliebsten hätte ich ihn einfach nur in den Arm genommen, danach war mir sowieso schon eine Weile. Und ich wagte es. Legte meinen Arm um seine nackte Schulter und schwieg.
Doch schon ein paar Sekunden später wich er zurück, worauf ich meinen Arm sofort wieder da wegnahm.

»Ralf, bitte nicht. «

Obwohl mir die Reaktion seltsam vorkam, legte ich meine Arme auf den Tisch. Wieso ich dann plötzlich Herzklopfen bekam, keinen Schimmer. Hatte ich was falsch gemacht? Oder war das einfach viel zu anzüglich?

»Bitte, versteh das jetzt nicht falsch«, sagte er leise.

»Sandro, ich versteh im Moment nur Bahnhof, für Abfahrt reichts aber noch nicht. «

Er schluckte und wenn mich nicht alles täuschte, schniefte er sogar ein bisschen. Ja, und als er mich plötzlich ansah, so mitten in meine Augen, bestätigte sich das. Er hatte glasige Augen, so, als würde er gleich anfangen zu heulen. Es war echt verdammt schwer, ihn nicht anfassen zu dürfen, zu trösten, über was auch immer. Allerdings hatte ich dann das Gefühl, er würde gleich anfangen zu reden. Da hatte sich was angestaut, garantiert, und das musste raus.

Er stand auf. »Komm mal mit«, sagte er dabei und ich folgte ihm. Hinein in sein Wohnzimmer. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass wir in einem Haus waren, nicht in einer Mietwohnung im 5. Stock. Eine riesige Fensterfront, vom Boden bis zur Decke, draußen ein wunderschöner Garten mit Liegestühlen um einen Swimming-pool. Bäume, Sträucher, Blumenbeete. Und das Zimmer selbst – riesig in meinen Augen, ein Fernseher so groß wie eine Kinoleinwand, von der Stereoanlage mal ganz zu schweigen.

Sandro sagte nichts, er ließ mich einfach nur schauen. Meine Blicke schweiften die bestimmt sündhaft teuren Ledermöbel, den geschmackvollen Glastisch, die schmuckvollen Lampen und unter mir spürte ich den flauschigen Teppich. An den Wänden dann doch Bilder, die nirgends besser passten als in dieses Ambiente. Die Wohnung war nicht hübsch, sie war einmalig und hier hätte ich bleiben wollen.
Der Junge wollte mir etwas damit sagen, und ich äußerte mich dann auch. »Sehr schön, Sandro, gefällt mir hier. «

Er lächelte mich an. Sicher, weil ich eine so triviale Bemerkung losließ.

»Du.. wohnst hier allein? «, fragte ich dann.

»Wie man es nimmt«, antwortete er und in dieser Antwort schwang etwas mit. Ich mein, das war nicht alles was er sagen wollte.

»Dein Freund auch? Manchmal?« Okay, eine dümmliche Frage.

»Kein Freund. «

Oh Mann, jetzt wurde ich wacklig auf den Füßen. Aber warum sollte Sandro nicht zu jenen Bisexuellen gehören, die mit beiden gut können? Trotzdem schien mir das zu einfach. »Eine Freundin also? «

Sandro schob die riesige Terrassentür auf und frische, noch etwas kühle Luft wehte herein.
»Keine Freundin. «

Gut, wir kannten uns echt kaum, abgesehen von einer Nacht, an die ich mich immer noch nicht erinnern konnte, aber nun wollte ich es doch genau wissen. »Deine Eltern? « Mir liegt so ein Rätselspiel nicht unbedingt, aber so erhoffte ich, irgendwann ins Schwarze zu treffen. So sehr viele Möglichkeiten gab es ja nun nicht mehr.

»Nein Ralf. Niemand von all denen. «

»Und.. du wirst mir jetzt aber sicher sagen, wer hier noch wohnt? «

Sandro ging hinaus auf die Terrasse, gefolgt von meinem Blick, insbesondre auf seinen Hintern. Bilderbuch, mehr fiel mir nicht ein. Ein knackiger Popo, der wiederum einen Versuch startete, wenigstens einen kleinen Lichtblick in die letzte Nacht zu bringen. Hab ich am Ende dieses Schmuckstück.. ? Sollte es mir wirklich nicht mehr einfallen, dann musste da eine Wiederholung der Nacht her. Nüchtern, damit ich ja keine einzige Sekunde verpasse.
Im Grunde durfte das alles sowieso nicht wahr sein. So freizügig wie Sandro da vor mir auftritt, keine noch so kleine Anstalten machte sich was anständiges anzuziehen. Okay, ich hatte mit meinen Shorts ja auch nicht die passenden Besuchsklamotten an, aber das schien Sandro in keinster Weise zu stören.

Ich trat hinaus, stellte mich neben den Jungen und legte mir ein paar Worte zurecht. Ich spürte, dass Sandro immer noch etwas sagen wollte und Lust, das Rätselraten weiter mitzumachen, hatte ich dann keine mehr. »Aber das Haus.. gehört schon dir, oder? «

Er nickte. »Ja… ich hab das zwar geerbt, aber alles was drin ist .. verdammt, Ralf.. ich hab mir das selbst verdient. «

Ups. »Ja und? Was ist so schlimm daran? « Gut, als Fahrer konnte er unmöglich so viel Kohle scheffeln, das wollte er sicher auch so rüberbringen. Also musste da noch was anderes sein und dieses andere schien er mir grade klar machen zu wollen. Mir fielen die Kondome ein. Er sagte, sie würden immer dort liegen. Und es wären weder die ersten noch die letzten. Obwohl in meinem malätrierten Kopf noch kaum logische Zusammenhänge zustande kamen, mein Verstand versuchte mir die einzig mögliche Lösung einzuhämmern.
»Also machst du noch was anderes als Fahren, stimmt’s? «

Er nickte. »Du hast es erfasst. «

»Aber du kannst es mir nicht sagen, stimmt’s auch? «

Es war so ein Gespür, dass durch Sandro sowas wie ein Erdbeben ging. Mir wurde es nun fast peinlich, obwohl ich ja nichts angestellt hatte. Glaubte ich wenigstens nicht.

Sandro starrte hinüber, über den Pool in die Bäume. Mann, das war so schön, so ruhig und friedlich. Warum war das denn alles jetzt so schrecklich kompliziert?

»Ralf.. ich.. ach. « Er drehte sich um und sah mir wieder in Augen. Warum kann ich keine Gedanken lesen? Dann hätte ich in der Sekunde alles gewusst, alles. Mir wurde aber nur immer rätselhafter, warum Sandro so ein Geheimnis aus all dem machte. Es gab nur eine Erklärung für mich: In seiner Brust schienen zwei Leben zu wohnen. Das eine, witzig, lebensfroh, lustig. Das andere: Ernst, vielleicht sogar verzweifelt? Er gab mir wirklich Rätsel auf, dieser hübsche Kerl.

Dann senkte er seinen Kopf und ging an mir vorbei, hinein ins Haus. »Warte, ich bin gleich wieder da. «

Einige Sekunden später stand er schon wieder neben mir, in der Hand ein Ledereinband oder sowas.
»Ich habe übrigens heute Nacht noch das Auto in die Firma zurückgebracht und mir ein paar Tage frei genommen«, meinte er dann wie nebenbei.

Ich schluckte. »Warum das denn? «

»Ich brauch jetzt ne Auszeit, deshalb. «

»Und das geht so einfach? «

»Sagen wir mal so: ich kann’s mir leisten. «

»War denn jemand da? «

»Die Zentrale ist ständig besetzt, man weiß ja nie wann den Leuten einfällt, dass sie nen Chauffeur brauchen. «

Ich grübelte einen Moment. »Dann warst du.. gar nicht die ganze Nacht hier? «

Er lächelte wieder so süß und zog den Unschuldigen mimend die Schultern hoch. »So muss es wohl gewesen sein. «

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