Okay, bis dahin glaubte ich ihm jedes Wort. Warum auch sollte er jetzt eine Story erzählen.
»Dann blieb mir ja nichts anderes übrig, als dich mit hierher zu nehmen. «
»Und du hast mich sicher auch.. ausgezogen? «
Er lachte, so dass sein völlig haarloser Brustkorb bebte. »Klar, dazu warst du absolut nicht mehr fähig. «
»Aber ich hab gesehen – in deinem Wohnzimmer steht ne Riesencouch. So eine für mehrere Familien. Wieso dann.. «
».. in mein Bett? «, ergänzte er.
»Ja. «
»Weil mir nicht klar war, ob du die ganzen scharfen Sachen bei dir behalten würdest. «
»Ähm.. also hab ich dann nicht.. gekotzt? «
»Nein. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass daran jemand erstickt. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. «
Echt lieb von ihm, wenn auch trotzdem reichlich peinlich. »Aber vorhin hast du gesagt, du hast das Auto zurückgebracht. Demnach war ich dann doch ohne deine fürsorgliche Aufsicht? Und zudem – woher wusstest, dass ich keine Alkoholvergiftung habe? Hätte ja auch sein können. «
Sandro setzte sich wieder hoch, leider. »Ja, du hast Recht. Das ist mir auch durch den Kopf gegangen, als ich neben dir lag. Drum hab ich aber auch kein Auge zugemacht und losgefahren bin ich dann erst gegen Fünf heut morgen. Da konnte ich sicher sein, dass nichts mehr passieren kann. «
Auch das leuchtete ein. »Aber definitiv würdest du jetzt sagen – wie hatten heute Nacht nichts miteinander? «
Er lachte. »Also in deinem Zustand.. du hättest ja nicht mal deinen kleinen Finger hochgebracht.. « Aber sofort wedelte er mit seinen Händen. »Ähm, Tschuldige.. das wollt ich jetzt so gar nicht sagen. «
Jetzt prustete ich los. Ich fand’s nämlich gar nicht blöd oder so, er hatte mit Sicherheit den Nagel auf den Kopf getroffen.
Dieser süße Lausebengel begann dann auch zu lachen und irgendwie war es vorprogrammiert, dass ich ihn mit einem Schubs in die kühlen Fluten des Pools beförderte. Er schrie auf, wie sich das eben so gehört, nur Augenblicke später jedoch bekam er meine Beine zu fassen und Sekunden später klatschte mein Körper ebenfalls ins Wasser.
Zunächst dachte ich, mein letztes Stündchen hat geschlagen, das war nämlich wirklich kalt, aber nach ein paar Schwimmzügen war es fast schon eine Wohltat.
Da lehnte Sandro mit Armen auf dem Beckenrand abgestützt und sah mich an. Ein Wassertropfen glitzerte an seiner Nase, viele winzige davon zierten seine Wimpern und das Wasser an sich zauberte ein ganz wundervolles Lichtspiel auf seinen Körper. Wenn einer den Namen Adonis tragen durfte, dann war es Sandro.
Ich schwamm auf ihn zu und stellte mich vor ihn, so quasi zwischen seine Beine.
Nein, ich war ihm nicht böse wegen der vielen Männer, die er schon im Bett hatte. Das war seine Sache und ich besaß nicht das recht, ihm Vorwürfe deswegen zu machen. Er verdiente damit gutes Geld und diese Leute waren auch wichtig für ihn. Hatte er ja so gesagt.
Etwas ganz anderes gewann da nämlich die Oberhand. Angelo bekam eine sehr diffuse Struktur, so, als könne ich mich nur noch vage an ihn erinnern. Vielleicht tat ich ihm Unrecht, vielleicht gab es für all das, was passiert war, eine Erklärung. Aber das zählte in dem Moment nicht. Verlor an Gewicht, bis hinunter zu ein paar Gramm, die nicht mehr belastend waren.
Etwas ungemütlich drückte mir jedoch dieser Willard aufs Gemüt. Wenn es sich ergeben sollte, musste mir Sandro alles über diesen Menschen erzählen. Und im Geheimen betete ich, dass er tatsächlich mit allem Trubel um Angelo und Margie nichts zu tun hatte.
„Du bist recht nah an deinem Ziel“, hörte ich jemand sagen.
„Ralf, du wirst doch nichts mit dem anfangen wollen? Der ist eine männliche Hure und glaub ja nicht, dass er das bleiben lässt, nur weil du jetzt da bist“, sagte jemand anderes gleich drauf.
»Sandro, sind es eigentlich immer die gleichen Männer, mit denen du.. also.. «
».. ins Bett gehe, sag das doch. Nein, bisher war keiner dabei, der zweimal gekommen ist. «
»Aber so viele.. ich meine, einmal die Woche oder wie? Entschuldige wenn ich dich all das frage, aber.. es interessiert mich halt. «
»Frag ruhig, ich hab damit kein Problem. Eigentlich ist es so, dass Willard meine Fotos auf Anfrage und gegen Geld anbietet. Entweder man nimmt mich, oder eben nicht. Normalerweise werden dann auch meine Daten weitergegeben, wegen dem Urheberrecht und diese Sachen. Das sind Daten über mein Alter, Körpergröße, Gewicht, Augenfarbe. Was die nicht bekommen ist meine Adresse oder Telefonnummer. Ich agiere auch unter einem Künstlernamen. Hab ich auf Willards Anraten im Vertrag so festgelegt. Aber irgendwer ist wohl doch mal an meinen echten Namen gekommen. Meine Telefonnummer war da nur ein Griff. Tja, und seitdem kursiere ich eben in diesen Kreisen. Unter vorgehaltener Hand. «
»Und Willard? Was sagt der dazu? «
Er lachte. »Nichts, er weiß nicht was ich da für ein Spielchen treibe und das soll auch so bleiben. «
»Wie gut kennst du ihn denn? «
»Willard? Zwei, dreimal gesehen, am längsten bei der Einstellung. «
Dann erübrigte sich meine Frage, ob Sandro auch schon mit dem im Bett gewesen war. Nun, selbst wenn, was hätte das schon geändert? Ich geb nämlich zu, dass ich nicht wusste, ob mir diese Freizügigkeit gefallen sollte. Und meine gute Stimme ging mir im Kopf herum. Er würde wegen mir sicher nicht damit aufhören. Und ertragen, dass da dauernd andere.. nein, im Leben nicht.
In meine Grübeleien erklang der unüberhörbare Türgong. Schlagartig stand Sandro auf und sah auf die Uhr. »Wer soll das denn jetzt sein? «
Ich verbiss mir den Satz „Vielleicht ein Freier“, obwohl das nach dem soeben gehörte so schrecklich Abwegig gar nicht war. Für mich zumindest nicht. »Erwartest du jemanden? «
»Nein, sonst würd ich das ja wissen. Warte einen Moment, ich bin gleich wieder zurück. «
Da ging er hin. Ich sah, dass er im vorübergehen einen Morgenmantel von einem der Sessel im Wohnzimmer fischte und sich überzog. Dann verschwand er im Dunkel des Hauses.
„Schon mal dran gedacht, dass es die Zeit für den Postboten ist?“
Meine in Sandro verliebte, innere Stimme irrte sich diesmal. Es war Sonntag… Dabei wurde mir schon mehr als anders. Morgen war demnach Montag. Arbeiten. Normales Leben führen. Zumindest eine Zeitlang ohne irgendeine männliche Begleitung. Okay, ich war auf dem besten Weg, mich in Sandro zu vergucken, aber sein Lebensstil war nun doch nicht der, mit dem ich mich hätte bedingungslos anfreunden können.
Noch war der Tag nicht um, bestimmt würde ich noch zu einer Entscheidung kommen.
Durch den dunklen Flur sah ich zwei Schatten unter der Haustüre sehen. Hände gingen auf und ab, hin und wieder drangen unverständliche Wortfetzen heraus auf die Terrasse.
Wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben, steuerte ich auf das Haus zu, ging hinein und tapste auf dem Teppich durchs Wohnzimmer. Die Stimmen wurden deutlicher, einige Worte konnte ich dann verstehen. Normalerweise bin ich nicht neugierig, nicht sehr jedenfalls, aber meine Ohren richteten sich wie eine Antenne zu der Tür hin.
Die andere Stimme klang so ähnlich wie eine, die ich schon einmal gehört hatte, so kam es mir jedenfalls vor. Und die beiden unterhielten sich schon recht kontrovers, auch das nahm ich dann am Tonfall gemessen an.
»Nein, ich sagte doch, ich habe Besuch, das geht jetzt nicht. «
Dieser eine Satz von Sandro reichte mir. Aber man kann seine Ohren nur zuhalten wenn man nicht mithören will, und das tat ich nicht.
»Hör zu, ich bin die halbe Nacht gefahren und ich werde jetzt nicht wieder so einfach umkehren. «
»Das tut mir leid, aber daran kann ich auch nichts ändern «, keifte Sandro regelrecht zurück.
»Gut, dann pass mal auf. Ich habe reichlich Einfluss und wenn du mich nicht rein lässt, werde ich den spielen lassen. Ich hoffe, du verstehst. «
Es ist gut, wenn man im rechten Augenblick Halt finden kann, so wie ich an dem Schränkchen, das zufällig neben mir stand. Die Wäscheschleuder ging mal wieder in Betrieb und sofort leuchteten alle roten Lampen. Die Tür zum Schlafzimmer lag neben mir, unentdeckt konnte ich da hineinhuschen. Noch immer lamentierten die beiden, sie wurden sogar lauter. Derweil kramte ich meine Siebensachen zusammen, Sandro hatte nichts im Wagen zurückgelassen. Ich warf mir nur das T-Shirt über, alles andere stopfte ich in die Tasche, drückte sie mit Gewalt zu und ging zurück zur Tür.
Die beiden waren etwas weiter nach draußen gegangen und mir schien, als würden sie sich bald in den Haaren liegen. Die arme Nachbarschaft.. sowas kriegt man doch mit.
Nein, das war nicht meine Welt, ganz und gar nicht. Mir fiel das Wort Asozial ein, obwohl es gerade hier überhaupt nicht hingepasst hat.
Aber so konnte ich ohne gesehen zu werden zurück ins Wohnzimmer, durchquerte es, eilte am Pool vorbei über den gepflegten Rasen und suchte in den Hecken und Büschen Schutz bis zum anderen Ende des Gartens. Der Zaun war nicht hoch, jedenfalls für mich nicht unbezwingbar und so warf ich die Tasche auf das Nachbargrundstück und schwang mich dann ebenfalls hinüber.
Noch ein paar Sätze in den Hecken, dann ließ ich mich einfach auf den Boden fallen. Hier war ich zunächst völlig unsichtbar und nutzte die Gelegenheit, mein Herz ausschlagen zu lassen und Luft zu holen.
Schweiß floss von meiner Stirn in Strömen, an anderen Stellen auch, aber ich störte mich nicht dran. Kam bei der Arbeit ja auch öfter vor.
Ich konnte von da aus wirklich nichts sehen, aber das wollte ich auch nicht. Angestrengt lauschte ich durch das Pochen in meinen Schläfen hinüber, aber nichts rührte sich. Man würde meine Abwesenheit noch gar nicht bemerkt haben. Nun, in diesem Moment war mir das viel mehr recht als schlecht.
Ich drehte mich um, einfach um festzustellen wie ich jetzt weiter vorgehen konnte. Dem Mann, den ich bei Sandro wieder erkannt hatte, wollte ich jedenfalls nicht zwingend begegnen.
Doch mein Umdrehen eröffnete mir eine andere, nicht ganz erwartete Perspektive.
Ich mein, ich hab im allgemeinen keine Angst vor Hunden, gar nicht. Komme immer gut mit ihnen klar, aber ob das für den Köter, der plötzlich zwei Meter von mir stand und mich anstarrte, auch zutraf, wagte ich in dem Moment zu bezweifeln. Die Rasse kannte ich nicht, er war aber etwa fünf Meter lang und zwei hoch. So jedenfalls hab ich ihn in Erinnerung.
Aug’ in Aug’, Zahn um Zahn. Dabei waren seine gut hundert Mal so lang wie meine.
Also blieb ich völlig erstarrt da sitzen, meine Tasche fest im Griff. Man braucht dann sowas zum festhalten, auch wenn die nichts zur Verteidigung hätte beitragen können.
Man soll sich tot stellen hab ich mal gelesen. Also versuchte ich, mich keinen einzigen Millimeter zu bewegen. Dabei ließ ich den nicht aus den Augen, obwohl man das grade auch nicht machen sollte. Oder doch? War mir egal, ich stand unter Schock und außerdem bekam ich schon fast eine richtige Todesangst. Mit einem Biss wäre ich in zwei Teile geflogen, da war ich mir sicher. Rufen.. schreien.. all das hätte meine Lebenszeit um wenige Minuten verkürzen können.
Doch irgendwer hatte Einsehen mit mir, nehm ich jetzt mal an. Durch meine brennenden Augen sah ich, dass der Schwanz des Köters langsam hin- und herwedelte. Tut das ein Hund, bevor er zum Mörder wird? So viel konnte ich noch denken: Das eher nicht. Also verzog ich meinen Mund zu einem sehr gequälten Lächeln. »Hallo Hund «.
Plötzlich wedelte sein Schwanz noch stärker und im Wechselspiel senkten und hoben sich seine Ohren. Nein, kein Mörder, auch kein Köter. Oder will er jetzt mit seinem Futter erst spielen?
Dann machte er einen gewaltigen Satz auf mich zu, eine Reaktion meinerseits war völlig überrumpelt und so landete dieses riesige Fellbündel auf mir, warf mich um und dann schlabberte mich eine feuchte Zunge ab, bis ich schier keine Luft mehr bekam.
Ich weiß nicht wie lange ich dieses Spielchen mitgemacht hab, irgendwann konnte ich mich den Begrüßungsfreuden entziehen und kam sogar zum stehen. Ein braver Hund, was ich ihm auch sagte und seinen Kopf tätschelte.
Aber es änderte dann nichts, ich musste weg von dort. Irgendwie war mir dann egal was passieren würde, ich durchschritt das fremde Grundstück, den Hund an meiner Seite als würde er mir gehören. Im Haus, das auf dem Gelände Stand, schien niemand zu sein, was mir ein paar Nerven sparte.
Wenig später stand ich auf der Straße, den braven Hund ließ ich hinter dem Gartenzaun zurück. Rasch fummelte ich mit noch immer zitternden Händen mein Handy aus der Tasche und mir fiel ein, dass es schon seit dem Tag zuvor abgeschaltet war.
Fünf verpasste Anrufe, drei SMS, das war die Botschaft, die mir das Display nach dem einschalten vermittelte. Ein Anruf von Mutter, einer von Felix – und drei von Angelo. Von ihm stammten auch die drei SMS.
Ich ignorierte die Liste und drückte eine Kurzwahlnummer.
»Papa? Ja, ich bin’s… nein, ja, du… alles später, okay? Kannst du mich abholen? «