Tagebuch, Teil 5

Montag
Gestern Morgen konnte ich mich Fortschleichen, bevor es wieder dieses Frühstück gab. Ich hab Klaus gesagt ich müsste mal dringend nach Hause, meine Emails checken und nach dem Hund sehen. So früh bin ich noch nie aus den Federn in den Ferien, aber ich brauch dringend ein paar Stunden für mich.
Hab mir es dann wieder auf dem Balkon gemütlich gemacht, aber mein Schnucki geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Nicht sein Gesicht, sein Körper, seine Nähe und auch nicht sein Geruch.
Eben hat er angerufen. Er sei so allein, seine Eltern wären weg und er säße auf der Terrasse. Und so schrecklich einsam ohne mich. Also gut, viel anders geht es mir ja auch nicht, ich gehe zu ihm rüber.
Dienstag
Mein Freund, es ist wie verhext manchmal. Ich wollte grade die Straße hoch, da kam ein Auto angefahren und hielt vor unserer Haustür. Ich hab das Auto nicht gekannt und dachte, der- oder diejenige wollten zu unseren Hausleuten. Aber als ich sah wer da ausstieg ist mir beinah das Herz stehen geblieben. Peter. Einen so weiten Weg war er gefahren – nur wegen mir?
Ich hab echt überlegt ob ich zu ihm gehen soll, aber ich bin weitergelaufen, er hat mich nicht gesehen.
Klausi brauchte unendlich lange bis er an der Tür war und schnell bin ich ins Haus.
» Sind Furien hinter dir her? « Er hatte meine Hektik bemerkt.
» Nein, schlimmer, viel schlimmer. Ein alter Freund ist gerade an unserem Haus vorgefahren. «
Klaus sah mich mit ernstem Gesicht an. » Was heißt schlimm und warum bist du nicht zum Haus und zu ihm zurück? «
Mir ist ganz schön heiß geworden. Ich wollte vor Klaus diese Freundschaft in jedem Fall geheim halten, auch wenn ihm das im Grunde egal sein kann. Dass Peter der erste Junge war mit dem ich Erfahrungen gesammelt hab, das sollte er nicht wissen. Meine Glaubwürdigkeit wäre dahin.
Frage war, was nun passieren würde. Meine Eltern waren zu Hause, sie würden ihm sicher sagen wo ich hinwollte. Sie hatten das zwischen ihm und mir nicht mitbekommen, damals wusste noch niemand von meiner Neigung. Darum würden sie ihn jetzt freundlich empfangen und verraten, wo ich zu finden bin.
Aber ich hab dann doch überlegt dass es das Beste sein würde wenn Klaus alles weiß.
» Schnucki, wenn es jetzt klingelt steht ein junger Mann vor der Tür. Er sieht gut aus, aber er hat unsere damalige Freundschaft verraten – ähnlich wie bei Lutz und dir. Lass ihn nicht herein, sag ich bin nicht da und schick ihn weg, Okay? «
Klaus packte mich an den Armen (hab ich ja auch befürchtet) und sah mir ziemlich ernst in die Augen.
» Was ist da passiert? Du hast mir das nie erzählt. «
» Klaus, ich habe meine ersten Erfahrungen mit ihm gemacht. Also.. na ja, wir haben etwas zusammen gehabt. Aber er ist nicht schwul, er hat inzwischen sogar geheiratet. «
» Und warum hast du mir das verschwiegen? Du sagtest doch, du hättest nie etwas mit einem Jungen gehabt. «
» Ich hab Angst gehabt du bekämst ein falsches Bild von mir. Ich hätte es dir vielleicht erzählt, später, irgendwann einmal. Ich dachte nicht dass das so wichtig wäre, im Moment jedenfalls. «
Ich hab anfangen zu zittern. Ich kenne Klaus ja noch nicht so lange, als dass ich seine Reaktion darauf hätte einschätzen können. Ihn jetzt wegen diesem blöden Peter zu verlieren, das war meine größte Angst.
Er sah mich an, lange und eindringlich. » Gut, ich schick ihn weg. Aber ich will alles über euch wissen. «
Ich nickte nur und verschwand im Garten.
Kurz darauf klingelte es wirklich und Klausi humpelte zur Tür.
Ich hörte Stimmen, leise, verhalten, mit großen Pausen dazwischen. Und plötzlich stand Peter unter der Terrassentür. Mir ist fast das Herz stehen geblieben als ich ihn sah.
» Hallo Dario « sagte er und schien mir mehr als verlegen.
Ich hab mich sofort zusammen gerissen, denn er sah immer noch verdammt gut aus. In Sekunden zog unsere Zeit an mir vorbei. Ich versuchte, standhaft zu bleiben und ging zu ihm auf die Terrasse.
» Peter, was willst du? « Ich unterdrückte meine noch immer existierende Zuneigung zu ihm, er durfte das nicht spüren.
» Ich, äh, also ich wollte dich wieder sehen. Einfach so. «
Klaus stand hinter ihm und hörte angespannt zu.
» Du? Mich? Ist ja was ganz neues. «
» Entschuldige, ich hab… ich hab große Probleme und ich dachte wir könnten mal wieder zusammen reden, so wie damals. «
Ich hatte mich wieder im Griff.
» Du hast Probleme? Und reden wie damals? In welcher Welt lebst du eigentlich? Ich meine, wir hätten uns überhaupt nichts mehr zu sagen, kein Wort. Deine Probleme interessieren mich nicht, ich hab nämlich zufällig meine eigenen. Falls du mit mir ins Bett willst weil es zu Hause nicht mehr klappt – sorry, aber dafür bin ich mir zu schade.
Und zudem – mein Freund hat dir die Tür geöffnet. Ich denke es wird an der Zeit, dass er das wieder tut – damit du gehen kannst. Ich will dich nicht mehr sehen, nie mehr, hörst du? «
Inzwischen war ich auf gut 100. Peter war nie ein Meister der Debatte, er würde bestenfalls anfangen zu winseln.
» Dario, bitte, nur ein paar Minuten, unter vier Augen… «
» Vergiss es. Geh und sag deiner lieben Frau, dass ich sie hasse. So wie dich, weil ihr unfähig seid, mit mir und meinen Gefühlen angemessen umzugehen. Denk an deine letzten Worte damals und als du mich hast stehen lassen wie der letzte Dreck. Das habe ich euch nie verziehen – dir ganz besonders nicht. Deine Heuchelei was unsere Freundschaft betrifft – weißt du wie ich mich die ersten Tage danach gefühlt habe? Ich dachte beinahe an Selbstmord, so weit war ich. Ich habe am selben Abend alle unsere Bilder verbrannt und in der Nacht die Asche in den Rhein geschüttet. Ich war am Ende, sehr lange sogar. Und nun wagst ausgerechnet du es, mit mir sprechen zu wollen? Was denkst du dir dabei? «
Ich war so auf 200 in dem Moment und suchte jede Kleinigkeit in meiner Erinnerung, mit der ich ihn demütigen konnte.
Er stand wirklich da wie ein Häufchen Elend und schien nach Worten zu suchen.
Dann nahm er sich zusammen. » Dario, ich hab viel über diesen Abend und die Worte nachgedacht. Ich wäre dir am liebsten zum Bus nachgelaufen, aber Marianne hat mich zurückgehalten… «
» Soso, der Herr war damals nicht fähig ein Machtwort zu sprechen? Ich denke, das ist heut noch so. Weiß sie wo du bist? Mit wem du dich gerade triffst? Sie wird dir den Hals umdrehen so wie ich sie kenne. «
Er starrte mich an, ziemlich wütend wie mir schien. Aber das war mir echt egal. Als er ihr an jenem Abend locker unterbreitete dass sein bester Freund schwul sei und wir auch mal zusammen im Bett waren– da war sie ausgerastet. Verbot ihm jeglichen Umgang mit mir, und das ziemlich deutlich. Peter schwieg als sie mich so quasi aus dem Haus warf.
» Ich weiß dass ich einen Fehler gemacht habe. Und ich habe mich von Marianne getrennt, ich bin gestern ausgezogen. «
Ich war einen Moment lang baff.
» Ausgezogen? Wie lange wart ihr verheiratet? Ein Jahr? Na toll, dann hat sich das alles für dich voll rentiert. Denn zu mir kannst du nicht zurück, du musst dir schon einen anderen Depp suchen. Einen, der das Wort Freundschaft so versteht, wie du. «
Irgendwie begann er mir dann aber leid zu tun. Ein Mensch macht Fehler, irgendwann auch einen großen.
So standen wir uns gegenüber. Ich weiß, dass ich mich noch immer stark zu ihm hingezogen fühle und da stand Klaus im Hintergrund und konnte sich sein eigenes Bild von der Sache machen.
» Tut mir leid, Peter, du kommst zu spät. Du musst selbst zusehen wie du damit fertig wirst. Ich habe den besten Freund gefunden den es für mich gibt auf der Welt – und er ist ehrlich.«
Trotz allem reichte ich ihm die Hand. » Ciao Peter, und mach’s gut. «
Er sah mich an und die feuchten Augen waren nicht zu übersehen. Ich war auch beinahe nah dran, aber die Erinnerung tut noch immer weh. Ich hab ihm verziehen in dem Moment, aber ich wollte es ihm nicht sagen.
Er drehte sich nur um, ging an Klaus vorbei und verließ das Haus.
Klaus sah mich eine Weile an. Ich bekam jene weiche Knie die ich so hasse, aber ich hab nichts dagegen machen können.
» Verzeihst du mir dass ich es dir nicht erzählt habe? Ich wollte über diese Sache nie wieder ein Wort verlieren. Es wühlt so schrecklich auf.. «
Er nahm mich in die Arme. » Vergiss es, ich hab genug gehört und ich kann verstehen wenn du das endlich für immer vergessen willst. «
» Warum hast du ihn überhaupt ins Haus gelassen? «
» Er sagte, es wäre ganz wichtig dass er mit dir sprechen kann, lebenswichtig. «
» Das hat er gesagt? «
» Ja, genau so. Und da hab ich es nicht fertig gebracht ihn einfach wegzuschicken. Zumal das ziemlich ernst geklungen hat. «
Ich ließ mich stöhnend in einen Stuhl fallen. » Ich brauch jetzt dringend was zu trinken. Was anständiges. «

Dienstag, eine Woche später
Ich versuche, dir die vergangene Woche zu schildern, obwohl ich keine rechte Lust dazu habe. Es ist viel passiert, zuviel.
Als Peter vor einer Woche gegangen war bin ich bei Klaus geblieben, ich wollte in dieser Nacht nicht allein sein. Die ganzen Erinnerungen kamen wieder hoch und das war wie eine Lähmung. Wir haben in der Nacht auch wieder nur im Bett gelegen, passiert ist nichts. Ich konnte einfach nicht.
Am frühen Morgen dann weckte uns Andreas durch die Sprechanlage, und zwar ziemlich aufgelöst.
» Dario, die Polizei möchte dich sprechen. «
Das muss man sich morgens um halb acht mal vorstellen. Der erste Gedanke waren meine Eltern. Ich sprang aus dem Bett, schlüpfte in meine Shorts und rannte, gefolgt von Klaus’ ungläubigen Blicken, zur Haustür.
Da standen zwei Beamte in Uniform und sahen ziemlich zerknirscht aus.
» Guten Morgen « brachte ich trotz meines ausgetrockneten Mundes grade noch heraus.
» Dario Monero? «
» Ja? Was ist passiert? «
» Kennen Sie einen Peter Hausberger? «
Ich muss ziemlich verdutzt dagestanden haben. Was sollte das bedeuten?
» Ja, den kenn ich. «
» Es tut uns leid, aber Ihr Freund hat sich gestern Nacht das Leben genommen. «
» Wie…? « Ich hab nichts mehr sagen können.
» Er ist absichtlich gegen einen Baum gefahren. «
Wie unter Trance nahm ich ein Couvert entgegen, das mir einer der Polizisten reichte.
» Wir mussten es aus ermittlungstechnischen Gründen öffnen. Es tut uns wirklich Leid. «
Die beiden sahen sich an, tippten mit ihren Fingern an die Mütze und verabschiedeten sich.
Da stand ich nun. Frag nicht wie. Ich hielt den Umschlag in der zitternden Hand, beobachtete wie die beiden Beamten in den Wagen stiegen und langsam davonfuhren.
Immer wieder sah ich mir das Couvert an, unfähig etwas damit anzufangen. Mein Name und meine Aderesse standen da drauf.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter und es tat gut, Andreas in dem Moment in meiner Nähe zu haben.
» Mein Gott, Dario, was ist denn los? «
Ich zögerte einen Moment. » Andreas, würdest du das bitte lesen? Ich kann das jetzt nicht.. «
» Sicher. «
Dann lief er langsam ins Wohnzimmer und setzte sich in einen der Sessel. Er nahm den Brief aus dem Umschlag und begann zu lesen.

Nachdenklich ließ er den Brief sinken. »Du solltest das lesen, Dario. Es tut mir aufrichtig leid.. Aber.. Komm, lies das, bitte. «
Ich setzte mich ihm gegenüber, in dem Augenblick kam Klaus ins Zimmer.
» Was ist…? «
Andreas gab ihm ein Zeichen dass er schweigen sollte.
Ich nahm also dieses Schreiben.
„Lieber Dario.
Wenn du diesen Brief in deinen Händen hältst werde ich nicht mehr am Leben sein. Also mach dir keine Gedanken was werden könnte, es ist vorbei.
Bevor ich diese Welt verlasse, möchte ich dir aber noch ein paar Worte über uns beide schreiben.
Erinnerst du dich, als wir uns an diesem wunderschönen Maiabend in der Kneipe im Wald kennen gelernt haben? Na ja, eigentlich kam es ja von dir. Du hast mich angesprochen und ich war sogleich fasziniert von dir. Noch nie hatte ich einen Menschen kennen gelernt der so war wie du. Wie du reden konntest, was du alles weißt und überhaupt – ich hatte einen echten Freund gefunden.
Und dann Monate später jene Nacht da draußen im Wald, in meinem Auto, wo du mir sagtest dass du schwul bist und dich in mich verliebt hast. Einerseits war das ein Schock für mich, andererseits fand ich es toll dass du dich mir gegenüber geoutet hast. Denn du hast gesagt, dass niemand außer mir das jetzt wüsste.
Ich habe viele Nächte darüber nachgedacht. Wie das wohl ist, wenn ein Junge einen anderen liebt. Welche Gefühle das sein mögen und wie man sich fühlt, wenn man sich damit seinem besten Freund anvertraut hat.
Jene Nacht, als du mich im Auto auf „unserem“ Parkplatz im Wald gefragt hast, ob du mich mal anfassen darfst. Ich war zu überrascht und aufgeregt um nein zu sagen. Es war das erste Mal für mich dass ich so etwas gemacht habe, und ich hab danach lange gebraucht um damit fertig zu werden. Dass ich schwul sein könnte habe ich dann vergessen, ich habe in dieser Nacht nicht so viel empfunden wie du. Wir haben leider nie wieder darüber geredet – weil ich es nicht wollte. Ich denke heute, ich hätte es tun sollen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.
Dann die Nacht bei mir zu Hause. Wir hatten einiges getrunken und ich fand dich an diesem Abend so anziehend, ich kann es mir noch heute nicht erklären wieso ich dich plötzlich geküsst habe und wir dann zusammen – na du weißt schon. Es war schön, ich gebe es zu. Es war so etwas ganz anderes als mit einem Mädchen. Du warst so zärtlich, ohne Forderung, ohne etwas zu tun was ich nicht gewollt hätte. Ich habe mir Schwule in dieser Situation immer ganz anders vorgestellt. Brutal, fordernd, Gefühllos. Aber genau das Gegenteil ist mir begegnet und ich habe diese Nacht bis heute weder vergessen noch bereut.
Als Marianne in mein Leben trat habe ich gespürt dass du unglücklich warst, was ja auch völlig verständlich ist. Ich wollte dich auf keinen Fall verlieren, das musst du mir glauben und als du dich allmählich zurückgezogen hast von uns, da war ich auch sehr traurig. Aber Marianne gab mir Halt, sie fing mich an vielen Tagen auf wenn ich dich vermisst habe.
Da kam dann der Geburtstag meines Vaters. Marianne war gereizt an dem Abend und ich weiß nicht, wieso. Du und ich, wird waren doch so gut drauf, haben getrunken und gelacht. Und als die Gäste gegangen waren sind wir drei noch auf der Terrasse sitzen geblieben und haben über Gott und die Welt diskutiert.
Ja, dann kam vielleicht mein Fehler. Du weißt ja noch, ich hab ihr freimütig erzählt dass du, mein bester Freund, nur Jungs mag und dass wir beide das auch schon mal ausprobiert hätten. Glaub mir, Dario, ich hätte nie mit einer solchen Reaktion von ihr gerechnet. Bis dahin kannte ich Marianne als tolerante, moderne junge Frau, die über die Dinge des Lebens Bescheid weiß. Dass sie dermaßen zornig wurde hatte ich nie erwartet.
Und ich habe eigentlich unter Schock gestanden als sie dich hinausgeworfen hat. Ehrlich, ich war wie gelähmt, konnte nicht fassen was da geschah. Aber du hast unter der Tür gesagt, dass du für immer gehst und den Blick in deine Augen habe ich nie mehr vergessen.
Du bist zum Bus gelaufen und ich wollte hinter dir her. Wollte alles richtig stellen zwischen uns. Aber Marianne hat mich regelrecht festgehalten. Sie sagte, wenn ich dir jetzt nachlaufe, dann wäre es aus zwischen ihr und mir.
Unsere Heirat war schön, ausgelassen, viele Gäste, schönes Wetter – alles was sich ein Mann erträumen kann. Aber dass du nicht da warst an diesem Tag, das war für mich wirklich schlimm.
Ein halbes Jahr verstand ich mich mit Marianne sehr gut, aber dann fing es allmählich an. Sie begann zu nörgeln, mich zu kommandieren, kein Tag ohne Streit. Wir schliefen bloß noch sporadisch miteinander, Gefühle gab es keine mehr. Und ich war so traurig, das glaubst du nicht. Wie oft hatte ich deine Telefonnummer in der Hand, sogar meine Finger schon auf den Telefontasten – aber ich habe es einfach nicht geschafft, dich anzurufen und zu fragen, ob wir uns nicht wieder vertragen sollten.
Gestern bin ich ausgezogen, ich habe das nicht mehr ausgehalten. Marianne hatte mir verboten, irgendwelche Freundschaften anzufangen, wohl aus Angst, sie könnte mich verlieren. So habe ich bis heute niemandem zu dem ich gehen kann wenn das Leben nur noch ein einziges Problem ist.
Dass du mich heute abgewiesen hast kann ich verstehen, ich hätte wahrscheinlich nichts anderes getan.
Dario, ich habe dich vermisst und ich glaube.. ich denke ich habe dich geliebt. Nicht so wie du mich, aber Liebe ist auch unter reinen Freundschaften ein Wort.
Ich habe unsere Freundschaft nicht geheuchelt – es war nicht alles meine Schuld. Es freut mich dass du einen Freund gefunden hast und ich drück euch zwei ganz fest die Daumen.
An dieser Stelle bitte ich dich um Verzeihung, denn alles was zwischen uns passiert ist, war auch meine Schuld. Ich alleine hatte es in der Hand und ich habe versagt.
Leb wohl, Dario, ich hoffe dass wir uns wieder sehen.

Ich kann die ersten Minuten danach nicht beschreiben. Von der einen auf die andere Sekunde war nichts mehr wie es war. Ich bin Schuld an Peters Tod, das war alles was ich denken konnte. Ich und sonst niemand. Weil ich unfähig war, Peters Situation richtig einzuschätzen. Überheblichkeit und Rachegefühle – das führte zu diesem Ende.
Ich stand auf, drückte Klaus den Brief in die Hand und bin aus dem Haus gegangen.
Erst da draußen lösten sich die Tränen und ich begann zu heulen und zu laufen. Ich weiß nicht wohin ich wollte, was ich wollte, wie ich es wollte. Ich musste allein sein, kein Mensch hätte ich da an mich heran gelassen. Immer wieder tauchte Peters Bild vor mir auf, unsere Zeit. Und alles in Tränen verschwommen. Ich versuchte mir keine Schuld zu geben, aber es gelang mir nicht. Hätte ich nur einen Funken Verstand gehabt wäre das nicht passiert.
Ich weiß nicht wann ich nach Hause kam, ich bin durch den ganzen Ort gelaufen. Mein Kopf dröhnte und jede Zeile aus Peters Abschiedsbrief lief wie in einer Werbung immer wieder vor mir ab.
Irgendwann bin ich mein Bett und habe die Decke angestarrt. Klaus. Ich bekam grausame Angst vor dem, was aus uns werden könnte. Ich bin ein Versager, der nicht fähig ist zu erkennen, wenn Freunde in Bedrängnis geraten. Das waren die einzigen Gedanken in dieser Nacht.
Ich hab mich dann total abgeschottet. Hab mein Handy ausgeschaltet, schob eine Sommergrippe vor und vergrub mich die meiste Zeit in meine Kissen. Ich hab Klaus noch nicht einmal vermisst. Zuviel stürzte auf mich ein, jede Minute änderte sich meine Laune. Selbst als ich einsehen wollte, dass ich richtig gehandelt hatte – immer wieder diese Zweifel.

Am Samstag stand Klaus plötzlich unter meiner Zimmertür. Und er sah sehr schlecht aus.
» Sag mal, spinnst du? Du kannst doch nicht den Rest deines Lebens hier drin verbringen. «
Er setzte sich zu mir auf das Bett – das erste Mal übrigens dass er in meinem Zimmer war.
» Dario, ich hab Peter kennen gelernt, ich kenne eure Geschichte und ich habe den Brief gelesen. Dich trifft doch keine Schuld, verdammt noch mal. Er hat sich das alles selbst zuzuschreiben. Niemand hätte ihm wirklich helfen können. Er ist an sich selbst verzweifelt. «
Ich sah ihn an. Warum musste ich ihm das antun?
» Klaus, du verstehst das nicht. Ich habe ihn geliebt, so wie jetzt dich. Und ich habe versagt. War nicht da wo er mich gebraucht hätte. Hab dummes Zeug von mir gegeben, nur um ihm noch mehr wehzutun. Und es hat mir Spaß gemacht ihn in die Enge zu treiben, ihn zu demütigen wo ich nur konnte. Und jetzt? Ich habe ihm den Rest gegeben. Wäre ich nur einen Schritt auf ihn zugegangen, dann wäre das nicht passiert. «
Klaus starrte mich an. » Was willst du damit eigentlich sagen? Dass du ihn in den Tod getrieben hast? «
Endlich konnte ich wieder weinen. » Ja, das ist so. «
Klaus stand auf und sah zu mir herab.
» Aha. Dein letztes Wort in dieser Sache? Schön, wenn du der Meinung bist, die Menschheit ins Elend zu stützen – dann will ich dich dabei nicht aufhalten. Weißt du eigentlich, dass du der liebenswerteste Mensch bist? Einer, der sich um seine Freunde kümmert und sich um sie sorgt? Der zudem mein bester Freund ist, noch dazu einer, den ich liebe, und der sich hier von einem Selbstmitleid ins andere stürzt? Gut. Überlege es dir jetzt. Ich habe keine Lust mit einem solchen Typen durchs Leben zu gehen. Entweder du siehst ein, dass du das nicht hättest ändern können oder du siehst mich nie wieder. Ich kann weinerliche Jungs nicht ertragen.
Wenn dir besser ist melde dich bei mir, ansonsten – viel Glück in der Welt der Tränen. «
Ich hörte ihn noch mit meinen Eltern reden bevor er das Haus verließ.
Da lag ich nun. Im Grunde hatte er recht, aber ich kam von diesem Trip nicht runter. Meine Eltern redeten auf mich ein (Klaus hatte ihnen den Brief gezeigt) – ohne Erfolg.
Ich war richtig Seelenkrank.
Ich versuchte dann auch, mich innerlich von Klaus zu trennen. Keiner hat mich verdient, das allein ging in meinem Kopf herum. Und ich wollte das auch Klaus genauso sagen. Ich würde das alles nie mehr mitmachen wollen.
Am Sonntag, ich saß dann immerhin auf dem Balkon und versuchte den Sommer zu genießen, kam Andreas zu Besuch. Er sah besorgt aus und versuchte auf mich einzureden. Aber auch ihm gelang es nicht, mich aus meinem selbst gebastelten Gefängnis zu befreien.
Ich wies ihn ab, wollte allein sein. Peter war der einzig dominierende Gedanke in meinem Kopf und auch zu diesem Zeitpunkt wollte ich all das immer noch nicht wahrhaben.

Gestern dann stand Klaus wieder in meinem Zimmer – in der Hand seinen Gips. Normalerweise hätte ich ihm um den Hals fallen und sofort auf Tour mit ihm gehen sollen, aber ich hatte die Kraft nicht.
» Dario, das ist mein wirklich letztes Angebot. Ich liebe dich, du mich – so hoffe ich – und du kommst jetzt mit mir mit. Ich brauch Lauftraining und ich brauche jemanden der mir dabei hilft. Und ich habe nur dich. Bis jetzt jedenfalls. «
Es ist mir nicht viel anderes übrig geblieben. Ich zog mich an und ging mit ihm hinaus. Zum ersten mal verließ ich das Haus seit der Sache mit Peter und versuchte, andere Gedanken in meinen Kopf zu bekommen.
Wir liefen langsam hinaus auf die Felder, und es ist noch immer heiß. Die Sonne durchflutete meinen Körper, der Wind zauste die Haare und Sammy tollte übermütig an der Leine. Und neben mir lief derjenige, der mich mit Gewalt aus der Umklammerung lösen wollte. Ich hielt Klaus an seiner Taille fest, so dass er sich auf mich stützen konnte und lange liefen wir so schweigend nebeneinander her. Irgendwann stellte sich Klaus vor mich und hielt mich an den Armen fest.
» Und, wie geht es dir? «
Ich hab mich nicht getraut in seine Augen zu sehen, es kamen Schuldgefühle auf. Ich hatte ihn vernachlässigt, ignoriert, sogar an Trennung gedacht.
» Ich weiß nicht… ich denke einfach, dass du so einen wie mich nicht verdient hast. «
Klaus ist dann richtig laut geworden.
» Hör zu, du Querkopf. Das ist so ein fürchterlicher Schwachsinn.. Ich finde einfach keine Worte. Erstens hoffe ich noch immer, dass du mich liebst – so wie ich dich. Zweitens wirst du auf der Stelle diese Sache mit Peter vergessen. Das ist vorbei, ein für alle Mal. Drittens: Sieh mir in Augen. «
Nur langsam kam ich seiner Bitte nach. Diese hellen, wachen Augen. Der sinnliche Mund, die frechen Locken in der Stirn. Dummerweise bestätigte das alles meine Meinung, ihn nicht verdient zu haben.
Er versuchte ein Lächeln. » Es ist so schön mit dir, bitte mach jetzt keinen Scheiß. Ich will dich nicht verlieren und ich habe dich verdient. Wir beide müssen jetzt da durch, verstehst du? Wir beide, nicht nur du allein. Ich gehe mit dir, egal wohin und so einfach wirst du mich nicht los. «

» Hältst du es für möglich, dass Peter diesen Brief nur geschrieben hat um genau das zu provozieren was jetzt mit mir und uns passiert? « fragte ich etwas später.
Klaus legte seinen Arm um meine Hüfte und lehnte seinen Kopf an meine Schulter. » Wenn ich richtig darüber nachdenke – warum nicht? Das kann ein Ja oder auch ein Nein bedeuten, aber ausschließen? Nein, ausschließen kann man es nicht. «
Er streichelte über meinen Bauch unter dem T-Shirt.
» Dann nehme ich an dass er es wollte. Dich und mich trennen, das war sein Ziel « sagte ich.
Klaus sah mich an und ein Lächeln stand in seinem Gesicht. » Ja, ich glaub auch dass er eifersüchtig war. Aber es ist ihm nicht gelungen uns zu trennen. Niemand wird das schaffen. «
Die Sonne versank am Horizont, der Himmel leuchtete in flammenden Farben.
» Sieh mal, es kommen Wolken auf. Ich glaube, der Sommer geht zu Ende « sinnierte ich.
» Ja, irgendwann ist jeder Sommer zu Ende, aber unserer – der nicht. «
Langsam gingen wir den Weg zurück, versunken in unsere Gedanken. Ich werde Klaus nie mehr loslassen, das hab ich da beschlossen. Die erste Prüfung haben wir bestanden und wie viele es noch geben wird weiß ich nicht. Aber wir werden sie bestehen.

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