Zauberwald – Teil 3

»Das nächste Mal kappt es«, flüsterte ich Paula ins Ohr und versuchte dabei ein Lächeln.
Meine Gedanken kreisten um Marcus, David und Andreas. Was hatte ich in meinem Leben bisher falsch gemacht? Alles, ein Teil oder gar nichts? War das alles hier weiter nichts als Schicksal? Mein Blick wanderte durch den düsteren Stall. Schwalbenkinder schwatzten in ihren Nestern unter der Decke im Stall und Sammy schnüffelte neugierig zwischen meinen Füßen herum, drüben auf der Mauer schlichen unsre Katzen entlang. Untermalt vom muhen der Kühe versuchte ich, mir etwas anderes vorzustellen als das Leben hier, aber es gelang mir einfach nicht.

Ich blieb so lange im Stall, bis die Lichter drüben im Haus ausgegangen waren. Mir war nicht nach reden, nicht danach, angesehen zu werden. Marcus wollte ich nicht wieder sehen, ich würde wohl eher schon längst auf den Feldern sein wenn er aufsteht, um abzureisen. Es donnerte noch in der Ferne und die Luft war rein und frisch. Wäre ich nicht so entsetzlich müde gewesen, hätte ich noch einen Spaziergang gemacht.
Die schwüle Luft der letzten Tage hing noch in meinem Zimmer, und so legte ich mich nackt auf mein Bett. Wann hatte ich mich das letzte Mal befriedigt? Vor drei, vier, fünf Tagen? Letzte Woche? Ich wusste es nicht, aber ich bekam Angst dass das so bleiben könnte. Dass die doch schönste Sache der Welt für mich zur absoluten Nebensache wurde. Wozu brauchte ich das Ding da zwischen den Beinen eigentlich noch? Konnte ich es nicht jemanden spenden, der es durch Unfall zum Beispiel verloren hatte? Zuerst grinste ich über diesen Gedanken, dann wurde mir klar dass es ein Gedanke war, entstanden aus tiefster Verzweiflung.
Die Nacht war unruhig, ich wachte oft auf, immer in Erinnerung an schlechte Träume. Irgendwann schien die aufgehende Sonne in mein Zimmer und mahnte mich zum aufstehen. Kurz vor sechs, höchste Zeit.
Ich packte meine Sachen, öffnete meine Tür und erschrak fast zu Tode, als mir ein Körper direkt auf meine Füße fiel.
»Marcus«.
Da lag er unter der Türschwelle, eingehüllt in den Pyjama, mit total verschlafenen Augen sah er mich an.
»Was um Gottes Willen machst du denn an meiner Tür?«
Er rappelte sich auf. »Ich wollte noch mal mit dir reden, aber ich hab mich nicht in dein Zimmer getraut. Bin wohl eingeschlafen.«
Wie er wieder aussah mit diesen verstrubbelten Haaren, dem zerknautschten Gesicht, was aber über seine Schönheit nicht hinwegtäuschen konnte.
»Über was wolltest du mit mir reden?«
Er sah an mir herunter und erst jetzt merkte ich, dass ich ja nichts anhatte. Zum Glück hielt ich meine Klamotten vor meinen Körper.
Er sah mir wieder ins Gesicht. »Nichts, ich weiß gar nicht mehr was ich sagen wollte«, antwortete er und ging gegenüber in sein Zimmer und schloss die Tür. Wie verdattert stand ich eine Weile da.
Mein Vater saß wie immer am Frühstückstisch. »Mein Sohn, es gibt was zu tun.«
Wenn er so anfing konnte es nur Arbeit bedeuten, ich kannte ihn. »Was liegt an?«
»Der Klinglhofer Robert liegt seit drei Tagen im Krankenhaus.«
»Und?«, fragte ich wenig interessiert.
»Sein Gerstenfeld ist überfällig.«
Ich fragte „ja und?“ obwohl ich wusste was kommt.
»Er ist einer der Wenigen hier die wirklich loyal sind. Ich möchte, das heißt, es ist mein Wunsch, dass du sein Feld mähst.«
Ich wusste es ja schon als er damit anfing. Aber warum nicht, ich mochte diese beiden auch. Die Ehe war Kinderlos geblieben und seine Frau schon länger kränklich. Sie waren vor ewigen Zeiten aus dem bayerischen hierher gezogen und wir halfen ihnen oft. Es waren die dankbaren Augen dieser alten Leute, die uns niemals eine Bitte abschlagen ließen.
»Klar.«
Wenig später fuhr ich zu den Klingelhofschen Feldern. Ich kannte ihre Gemarkung gut und wusste, was ich zu tun hatte.
Der Sommer war zurückgekehrt und ich ließ mich einfach treiben. Während ich den Mähdrescher durch die Gerste fuhr, hingen meine Gedanken wieder bei Marcus. War er noch da oder schon fort? Was wollte er mir sagen?
Plötzlich schreckte ich auf und trat in die Bremse, stoppte sofort den Mäher. Mit einem Satz sprang ich hinunter auf das Feld.
Direkt vor mir lag das Rehkitz, aber es war, das erkannte ich sofort, am rechten Vorderlauf durch den Mäher verletzt worden. Keine Chance, es zurück zu lassen.
Ich rief Dr. Beier übers Handy an und der machte sich sofort auf den Weg. Aber bis er hier war musste ich mich um das verletzte Tier kümmern.
Ich beugte mich zu dem Kitz hinunter und es fiepte ganz laut, rief nach seiner Mutter. Panik kam in mir auf, als es versuchte aufzustehen. Immer wieder knickte es ein, seine Augen waren vor Schreck ganz weit aufgerissen.
Vorsichtig nahm ich es hoch, spürte den rasenden Herzschlag und betrachtete mir die Wunde genauer. Es sah nicht gut aus, aber es blutete wenigstens kaum. Tränen stiegen in meine Augen.
Hofmann war auch für diesen Teil der Felder zuständig und er wusste, dass ich heute hier mähen sollte, Papa hatte ihn letzten Abend noch angerufen und ihn eindringlich gebeten. Jetzt war das Maß voll. Mein Zorn stieg ins Unermessliche.
Eine halbe Stunde später kam Dr. Beier über das Feld zu mir gelaufen.
»Tja, das muss ich mitnehmen, so kommt es hier in der Natur nicht durch.«
Ich wusste, dass er das sagen würde, aber mir war auch klar welche Überlebenschance das Kleine hatte. Nur ganz wenige der Kitze überlebten die ersten Tage und ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Dennoch, ich war trotz meinem Mitleid auch sehr wütend.
»Dieser Hofmann ist ein schmieriger Sack. Wenn er hier wäre würde ich ihn mit dem Mäher über das Feld jagen. Und wenn das Kleine stirbt, dann..«
Dr. Beier nahm mich am Arm. »Beruhige dich, der macht das nicht mehr lange.«
Ich fragte nicht wieso, aber so wie es klang schien da schon einiges zu laufen. »Wo werden Sie es hinbringen?«
»Erst werde ich es mal verarzten, es sieht nicht so sehr schlimm aus. Und dann wird sich wohl meine Frau darum kümmern, sie hat da ja schon Erfahrung.«
Stimmt, da fiel es mir ein. Frau Beier hatte schon fünf oder sechs verletzte Kitze großgezogen.
»Wird es durchkommen?«
»Wegen der Verletzung mache ich mir keine Sorgen, aber du weißt ja.. 60 zu 40 dass es überlebt. Warten wir es ab.«
Als ich auf den Hof zurückkam spürte ich sofort, dass etwas anders war. Tief in meinem Herzen wusste ich längst was es war, aber ich ließ den Gedanken nicht zu. Immerhin war es zu erwarten.
»Ist Marcus noch da?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort wusste, und setzte mich an den gedeckten Küchentisch.
»Vor einer Stunde hat ihn sein Vater abgeholt.«
Ohne sich zu verabschieden.. Ich wurde traurig. Hatte ja nichts mit ihm, wir sahen uns nicht oft, aber er war da. Allein dieser Gedanke war irgendwie schön gewesen.
»Hätte wenigstens Wiedersehen sagen können.«
»Er wusste nicht wann du zurückkommst und sein Vater war auch in Eile.«
Jaja, in Eile. Das sind sie alle, diese wichtigen Großstadtmenschen. Ich erzählte meinen Eltern von dem Kitz und wie immer wenn solche Sachen passieren waren sie geschockt.
»Hofmanns Tage sind gezählt«, sagte mein Vater während er sich Suppe in den Teller nachfüllte.
»Und woher weiß man das? Dr. Beier hat auch schon so geredet.«
»Du weißt doch, dass wir einen guten Draht zum Fortsamt haben. Sein Nachfolger steht auch schon fest. Sofern man ihn hier haben möchte.«
»Ach, und wer?«
»Michael Weber.«
Das gefiel mir. Oder besser, der gefiel mir. Hatte vor einigen Jahren die Jägerprüfung gemacht und sah aus wie auf der Titelseite eines Bergromans. Ich schüttelte unbemerkt den Kopf über die Gedanken, die in meinem Gehirn herumsausten. Michael und ich waren auf der letzten Versammlung der Landwirte auf das Du gekommen, auch wenn wir uns eigentlich nie sahen zwischendurch. Wir mochten uns auf Anhieb, das war es wohl. Michael betreute das Nachbarrevier, aber er wollte den Job hier haben. Die Leute wären anders.. meinte er.
Es kühlte kaum ab in dieser Nacht und ich lag nackt auf meinem Bett. Marcus, David, Michael.. Sie drehten sich im Kreis um mich herum. Sollte ich..? Nein, ich würde mich sicher keinem offenbaren. Meine Eltern lauerten schon dauernd auf eine Freundin, denn der Hof sollte ja anständig weitervererbt werden. Welche Enttäuschung, wenn ausgerechnet ich diese Tradition unterbrechen würde. Hätte ich doch wegziehen sollen wie David es getan hatte? Einfach gehen und alles dem Schicksal überlassen? Keine lästigen Fragen, kein Coming Out, einfach nur fortsein? Nein, das konnte ich nicht. Zu sehr hing ich an diesem Hof.
Ich stand auf, zündete mir eine Zigarette an und sah hinaus ins Dunkel. Ein Kauz rief, unzählige Grillen zirpten. Für Sekunden sah ich mich an einem Fenster einer Mietskaserne stehen, hörte die Autos, die üblichen Großstadtgeräusche. Sie waren immer da, egal um welche Uhrzeit. Der Himmel nie dunkel, keine Sterne sichtbar. Nein, ich würde niemals tauschen wollen, auch wegen meiner Gefühle nicht. War es eigentlich unmöglich, mit einem Freund zusammen den Hof zu führen? Wir lagen ziemlich weit vom nächsten Gehöft, in den Ort kam ich nur selten. Die könnten sich doch die Mäuler zerreißen wegen „so nem Schweinskram“. Hinter meinem Grinsen standen ernsthafte Gedanken.
Plötzlich piepste mein Handy.
Ich sah nur eine Nummer, keinen Namen. Naja, außer Gerlinde, David und Peer sowie meine Eltern war eh niemand abgespeichert. Ungeduldig öffnete ich die SMS.
„Entschuldige dass ich mich nicht verabschieden konnte, aber mein Vater hatte es eilig. Es war trotz allem schön bei euch. Mir ist eingefallen was ich dir sagen wollte heute Nacht: Ich hab dich sehr gern, wie einen Bruder. Machs gut, Stefan, und wir sehen uns sicher noch einmal wieder. Tschau, Marcus.“
Immer wieder las ich die Zeilen. „Wie einen Bruder“. Immerhin, er mochte mich. Sollte ich ihm antworten? Ja, ich musste. Er konnte nichts dafür dass man ihn hier sein Praktikum machen ließ. Und er konnte nichts dafür dass er nicht schwul war, wie ich es erhofft hatte.
Ich sah auf die Uhr, es war schon halb eins. Sollte ein 16-jähriger da nicht schon längst schlafen? Warum war er noch wach? Ich beschloss, ihn zu fragen.
„Hallo Marcus. Danke für deine Zeilen, aber wieso bist du noch auf? Geht es dir nicht gut? Wir sehen uns sicher mal wieder. Jetzt schlaf schön. Gruß, dein Stefan“
Bewusst hatte ich „dein“ geschrieben, vielleicht würde ich etwas in ihm wecken. Genau überlegt war es gemein, aber ich konnte nicht anders.
Eine Antwort bekam ich nicht.
Am anderen Tag war Technik angesagt. Sprich, die Maschinen warten. Es war ungewöhnlich heiß für einen Juni und ich setzte mich zu einer Pause grade in den Schatten unserer Birke am kleinen Teich, um eine Zigarette zu rauchen und eine Flasche Mineralwasser abzustürzen, als ich das Brummen eine Motors hörte. Ohne sie zu sehen, erkannte ich darin Davids Maschine.
Wie konnte man es bei der Hitze in diesem Kombi bloß aushalten? Er fuhr mir bis fast vor die Füße, stieg ab, riss sich förmlich den Helm vom Gesicht und sah mich an.
Was wollte er schon wieder hier? Sicher, er hatte Urlaub, aber gab es nicht etliche andere Ziele die man ansteuern konnte? Ich würde bestimmt irgendwo an einem einsamem Badesee liegen und mir die Sonne auf den Bauch brennen lassen.
David stieg ab, stützte seine Maschine und kam langsam auf mich zu.
Sein eleganter Gang, diese durch den engen Kombi betonte, schlanke Figur mit dieser schmalen Taille.. David hatte mir in dem Augenblick gerade noch gefehlt.
Er starrte mich an. Wie mochte ich ausgesehen haben mit dem Schweiß verklebten T-Shirt, mein Gesicht und die Hände voller Ölflecken? Meine Hose sah nicht besser aus. Ich stand verlegen auf, so wollte ich eigentlich nie jemandem gegenübertreten, selbst wenn David das natürlich kannte. Ich roch nach Schweiß, das fiel mir in dem Moment auf und am liebsten wäre ich weggerannt.
Aber David stand nur da und sah mich an.
»Du bist wieder da?« fragte ich recht blödsinnig.
»Wie du siehst.«
»Und, gibt’s dafür einen Grund?«
»Muss es denn einen geben?«
»Nein, nicht wirklich.«
Er grinste mich frech an. »Na also.«
»Falls du auf Marcus zu sprechen kommen willst, er ist abgereist.«
»Und, habt ihr miteinander gesprochen?«
»Nein, er ist einfach fort.« Von der SMS erwähnte ich nichts.
Schweiß rann David von der Stirn, seinen Schläfen.
»Ist dir nicht zu warm in dem Ding?«
»Schon, aber nur wenn man nicht fährt.«
Sollte ich ihn auffordern sich auszuziehen und in den Teich zu springen? Lust dafür hatte ich schon, aber dahinter standen auch andere Gedanken. David einmal nackt zu sehen nämlich. Aber da war Andreas. Und ich wollte mich nicht einmischen in diese Freundschaft.
»Ist das Wasser kalt?«, fragte David.
»Kommt drauf an was du unter Kalt verstehst. Für mich persönlich ist es Eiskalt. Nicht mal ne Zehe steck ich da rein. Aber du kannst unter die Dusche, drüben im alten Gesindegebäude.«
»Stefan, du weißt wie ich dieses Wort hasse.«
»Tu ich ja auch, aber damals war das ein ganz normaler Ausdruck.«
»Damals..«
»Wollen wir uns jetzt hier in der Gluthitze über Sachen unterhalten die kein Mensch mehr interessiert oder willst du duschen gehen?«, fragte ich ihn almmählich missmutig.
Sein Blick war nicht zu deuten. »Kommst du mit? Scheint mir, du könntest auch ein paar Wassertropfen brauchen.«
»Eher nicht. Ich muss den Mäher noch durchchecken.«
»Geht das nachher nicht auch noch?«
»Und dann.. bin ich in fünf Minuten wieder so verschwitzt wie jetzt. Geh mal ruhig, Duschzeug und Handtücher sind vorhanden.«
Wortlos drehte er sich um und steuerte auf das kleine Nebengebäude zu, in dem früher die Knechte und Mägde gewohnt hatten. Heute war das mehr oder weniger Gerümpelkammer, nur die sanitären Anlagen hielten wir in Schuss.
Ich machte mich wieder am Mähdrescher zu schaffen. Alle beweglichen Teile mussten geölt, von in den Gelenken fest gepresstem Heu befreit werden. Es war Routinearbeit und ließ mir viel Zeit zum nachdenken. Was wollte David wirklich hier? Es war kein Zufall, konnte gar keiner sein. Eifersucht wohl auch nicht, er hatte seinen Andreas. Aber was, wenn er es auf Marcus abgesehen hatte? So Abwegig waren diese Gedanken gar nicht. Marcus war ein hübscher Kerl, dem würden so ziemlich alle Schwulen nachlaufen. Warum also nicht auch David?
Gerade war ich dabei, mich in all das hineinzusteigern, als David in die Scheune kam. Er trug seinen Lederkombi unter dem Arm und hatte ein Badetuch um seine Hüften gewickelt. Mann, was hatte er sich verändert in den Jahren. David war kein Junge mehr, er war ein Mann geworden. Und was für einer. Ich starrte auf seinen makellosen Körper und wurde rot. In diesem Moment hätte er alles mit mir anstellen können, alles. Mir fiel der Schraubenschlüssel aus der Hand, mit dem ich die Schrauben am Mähgestänge nachziehen wollte.
»Nervös?«, fragte David.
»Nein, eher keine Lust mehr.«
»Keine Lust?»
Jetzt wurde mir David unheimlich. Und ich musste wissen was er wirklich hier wollte.
»Keine Lust, genau. Sag mal, warum bis du hier? Hattest du erwartet, Marcus sei noch da? Was ist mit Andreas? Weiß er dass du hier bist und halbnackt vor mir stehst? David, was ist los?«
Er kam mit langsamen Schritten auf mich zu, kniete sich schließlich neben mich.
»Nein, weder hab ich Marcus erwartet noch weiß Andreas wo ich bin.«
»Und was soll das dann?«
Er nahm meinen Kopf in die Hände und sah mich an. Augenblicklich ließ ich mich fallen, hinein in dieses wunderschöne Gefühl. David roch nach Duschgel, seine Haare standen nass und wild von seinem Kopf, diese langen Wimpern die mich zu faszinieren begannen.
»Wegen dir bin ich hier..«
Ich wollte mich gegen diese Berührung wehren, aber ich konnte nicht. Seine Hände auf meinen Ohren, Finger tasteten sich an meinen Schläfen entlang und David kam mir immer näher.
»Du riechst gut«, sagte er leise.
»Ich…«
»Sag nichts. Du riechst nach Mann und du machst mich verrückt..«
Ich drückte ihn dann doch von mir. »David, dein Andreas..«
Er lächelte mich an. »Ist seit gestern vorbei. Wir sind nicht mehr zusammen.«
Hätte er mir eine schallende Ohrfeige gegeben, wäre die Wirkung die selbe gewesen.
»Warum?«, fragte ich total verblüfft und schob ihn von mir.
»Es geht schon eine Weile. Wir haben uns immer mehr auseinander gelebt. Er seinen Job, ich meinen. Zu Hause gab es immer weniger zu sagen, wir haben schon vor Wochen beschlossen uns zu trennen, nun ist er Gestern zurück zu seinen Eltern.«
Ich war echt baff. Und verstand natürlich, dass er nun hier war. »Gehst du zurück zu deinem Vater, auf den Hof?«
»Nächste Woche komm ich zurück.«
»Und dein Job?«
Er zog nur die Schultern hoch.
Wieder fuhr er mir durch die Haare. Es war so schön und unwirklich, ich ließ ihn. Und plötzlich spürte ich seine Lippen an den meinen. Sofort fiel mir sein Kuss ein, den er mir vor Jahren gegeben hatte. Damals hatte er sich entschuldigt und ich war perplex. Beides passierte in diesem Moment nicht mehr. Ich genoss die Berührung seiner weichen Lippen und ich ließ zu, dass David unter mein T-Shirt fuhr, seine Hand meine schweißnasse Haut streichelte.
»Ich will dich, jetzt«, hauchte er mir ins Ohr, was eine großflächige Gänsehaut auf meiner Haut hervorrief.
David wollte mit mir schlafen. Und ich wollte es auch.
»Aber nicht so, David, du wirst doch nicht mit einem Schwein..«
»Du bist kein Schwein. Du bist jetzt grade so, wie du bist.«
Schweiß stand auf meiner Stirn als ich aufwachte. Wieder schien die Sonne in mein Zimmer an jenem Morgen, kündigte erneut einen heißen Tag an.
Ich sah an mir herunter, betrachtete meine Hände. Sie waren sauber und ich roch nicht eklig. Hatte ich noch geduscht letzte Nacht? Auf dem Boden stand eine leere Flasche Sekt.
Plötzlich ein leises Schnaufen neben mir. Ich brauchte einige Sekunden bis mir klar wurde was letzte Nacht passiert war. David lag neben mir. Vollkommen nackt lag er da auf dem Bauch und atmete nun wieder ruhig.
Ich schloss die Augen. Das konnte nur ein Traum gewesen sein und war es immer noch. Langsam tastete ich meine Hand auf Davids Hals, um sie sofort wieder wegzunehmen. Das war kein Traum. Wie bedeppert setze ich mich auf, betrachtete das Geschöpf neben mir.
Was für eine Figur. Wie lange kannte ich sie schon? Ewig, seit ein paar Jahren, seit heute Nacht? Was war passiert zwischen uns?
Ich suchte auf der Decke nach Spuren der vergangenen Nacht, aber ich konnte keine finden. Wir hatten zusammen geschlafen, ohne Tabus und ohne viele Worte. Hingabe einfach nur. Der eine dem anderen. Es musste passieren, nachdem was in der Scheune abgelaufen war. Wie er mich ansah, seine leisen Worte und dass er eben nicht mehr mit Andreas zusammen war. Marcus war auch fort, es gab keinen Grund es nicht zu tun.
Konnte ein Junge wie David noch zärtlicher sein? Ich war mir sicher, davon gab es auf dem Erdball nur eine Handvoll. Und einer davon lag neben mir. Ich ließ mich zurückfallen und drehte mich zu ihm hin. Näherte meinen Kopf seiner Achselhöhle, sog den geheimnisvollen Duft, der davon ausging, in mir auf. Wagte es, meinen Arm um seinen Rücken zu legen und mich noch näher an ihn heranzuziehen. War das der Auftakt zu einer neuen, wunderbaren Freundschaft? Oder schliefen wir nur zusammen, weil es sich so ergab? Weil jeder Mann einmal sein Auskommen in Sachen Sex haben möchte und haben muss? Ein ONS?
Ich drehte mich zurück, nachdem David sich nicht rührte. Wahrscheinlich würde er nach dem aufwachen einfach gehen. Sicher war, ich würde ihn nicht aufhalten und auch nie mehr auf diese Nacht ansprechen. Es war passiert, einfach so. Es war wunderschön und schade, wenn es das letzte Mal gewesen war. Aber ich würde damit leben können. Leben müssen.
Wie gerne wäre ich jetzt so ewig neben ihm liegen geblieben, aber ich musste raus. Die Tiere warteten schon, ich war sowieso schon viel zu spät.
Ich zog mich rasch an, beobachtete David dabei ständig, aber der schien mir fast schon ohnmächtig.
Ich musste grinsen als die Nacht noch einmal vor meinem geistigen Auge vorbeizog. Was hatten wir nicht alles ausprobiert.. Und David schmeckte so herrlich..
Ich musste rasch das Zimmer verlassen, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Ich sah noch einmal zurück und küsste ihm durch die Luft zu. Er würde fahren, da war ich mir sicher. Aber ich würde nicht traurig sein, er lebte sein Leben, ich meines.
Wenn wir zusammenkommen sollten, dann würde es geschehen.

Die Kirche war fast bis auf den letzten Platz besetzt an diesem Sonntag. Selten war sie so voll, aber es gab eine Taufe und die wollte sich natürlich kaum einer entgehen lassen.
Schön so eine Taufe, ja. Und erst die mitreißenden Worte von Pfarrer Vogt. Aber ich war nur halb bei dieser Sache. Mein Blick fiel auf meine Eltern neben mir, dann wieder zu Jesus am Kreuz neben der Kanzel. Ich hatte so viele Fragen, aber eine Antwort bekam ich nicht. Soll auf mein Herz hören, meinte ich hören zu können.
Die Erinnerung kam zurück. David frühstückte mit mir an dem Morgen danach, mein Vater kümmerte sich derweil um die Tiere. Ich mochte das nicht, weil er sich eher schonen sollte, aber natürlich war mein nächtlicher Besucher nicht verborgen geblieben. Auch nicht, dass er in meinem Zimmer schlief. Und wohl auch nicht, dass Dinge in meinem Zimmer passierten die aus Sicht meiner Eltern besser nur mit einer Frau stattfanden. David war ab und zu ein gewisser Laut entwichen, der nichts mit normaler Unterhaltung zu tun hatte..
Er setzte sich später auf sein Motorrad und spitzte seinen Mund. »Kuss, Stefan, bis bald.«
Ich sah dem Gefährt hinterher wie einem Geist. Nichts, was die letzen Stunden passiert war, konnte Wirklichkeit gewesen sein. Mit der Staubwolke verschwand alles. Die letzte Nacht, Davids sanfte Haut, sein süßer Geruch, die zarten Küsse. Vorbei. Nie da gewesen.
»David war heute Nacht bei dir?«, fragte mich Papa dann auch als ich in den Stall kam.
»Ja, klar, er hatte was getrunken und wollte nicht mehr fahren.«
Mein Vater sah mich an und ich kenne seine Blicke, von Klein auf. Ich setzte mich auf die Mauer, die die Boxen der Kühe voneinander trennt und spielte mit meinen Fingern. Dieser Tag musste kommen und meine Eltern ahnten es möglicherweise sowieso, sonst hätte Papa nicht damit angefangen.
»Du hast noch nie verschlafen, noch nie die Tiere vernachlässigt.. Was ist passiert?«
»Papa, es ist nicht so einfach…«
»Was ist nicht einfach?«
»Dir oder Mama das zu erklären.«
»Dass ein junger Mann bei dir übernachtet hat oder was?«
»Es geht nicht darum, dass er bei mir übernachtet hat.«
»Aha, sondern?«
Da wurde es wirklich brenzlig. Meine Eltern waren streng katholisch, niemals wäre so ein Thema auf den Tisch gekommen. Nun stand ich da, hatte keine Ahnung wie ich es ihm beibringen sollte. Wusste ich doch welche Hoffnungen sie auf mich gesetzt hatten. Musste ich es überhaupt sagen? Verraten hatte mich ja nur, dass ich nicht wie immer aufgestanden war, sonst nichts. Und das konnte ja mal passieren.
»Also, was ist so schwer es mir oder deiner Mutter zu erklären?«
Nun saß ich doch in der Falle, hatte einfach zu viel gesagt.
Ich sah meinen Vater genau an. Er war fast Fünfzig, sah aus wie Siebzig. Die Arbeit, das Wetter, die Schinderei überhaupt hatten sowohl bei ihm wie auch bei meiner Mutter Spuren hinterlassen. Auch der Tod meines Bruders vor zehn Jahren hatte dazu beigetragen. Er war gerade 11 Jahre alt, als er in den alten Brunnen auf dem verlassenen Nachbargrundstück stürzte. Ich denke, sie werden nie darüber hinwegkommen.
Und nun keine Enkelkinder.. Ich wollte weglaufen. Fort und nicht mehr zurück kommen. Ihnen die Schmach ersparen. Und Lügen? Es wäre immerhin eine Notlüge wenn ich sie dabei schützen konnte. Schützen vor Vorwürfen und Verzweiflung, vor den Blicken der Nachbarn. Nein, keine Wahrheit, niemals. Sie würden darüber zerbrechen.
»David hat einen sehr unruhigen Schlaf und schlecht geträumt hat er auch. Möglicherweise hat sich das anders angehört.. Jedenfalls hab ich die ganze Nacht kaum ein Auge zugemacht und deswegen verpennt.«
Direkt gelogen war das allerdings nicht.
»Und das ist so schwer zu erklären gewesen?«
Papa wuschelte meine Haare. »Komm, wir haben noch zu tun.«
Das war ein Tag zuvor und nun saß ich in der Kirche und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Es gelang mir nicht. Plötzlich vibrierte mein Handy in meiner Jackentasche. Da ich praktisch nie eine SMS bekam, wurde ich auf der Stelle neugierig. Aber jetzt, kurz vor der Predigt aufstehen? „Bleib ruhig und bleib sitzen“ befahl ich mir.
„Was bedeutet das Wort Freundschaft?“ begann Pfarrer Vogt seine Predigt. „Für viele ist es der Inbegriff wahren Lebens. Ich traf neulich einen Nachbarn und wir unterhielten uns. Auf einmal meinte er, wenn wir unsere Freunde nicht hätten, wäre das Leben nicht einmal halb so schön. Was er damit meinte, fragte ich ihn. Nun, sagte er, sie sind da wenn wir sie brauchen. Und wir sind da wenn sie uns brauchen. Wir sind schon fast eine Gemeinschaft, in der einer auf den anderen nicht verzichten kann.“
Und irgendwann kam der Schluss.
„Echte Freunde sind selten heute. Wir sollten die Augen offen halten und erkennen, welches die echten und welches die falschen Freunde sind. Ein echter Freund ist ein Geschenk Gottes, und wir sollten sorgsam mit diesem Geschenk umgehen.“
Das hatte gesessen. Alles hätte ich gebraucht nachdem was passiert war, aber das nicht. War David nun mein Freund, nur weil wir miteinander geschlafen hatten? War Marcus mein Freund, nur weil ich es mir so sehr gewünscht hatte? Konnte Michael ein Freund werden, nur weil wir per Du waren? Mein Blick fiel erneut zu dem Kruzifix. Aber Jesus schwieg. Oder doch nicht?
Kaum aus der Kirche lief ich zum angrenzenden Park und stellte fest, dass ich keine SMS, sondern eine MMS bekommen hatte.
Hastig öffnete ich die Bildmitteilung und sah – Frau Beier, die dem Rehkitz die Flasche gab. Sofort schossen mir die Tränen in die Augen. Verschwommen las ich:
„Das ist Tine. Es geht ihr gut und wir kriegen sie durch. Gruß.“
Ich setzte mich auf eine Steinmauer. Schön, solche Sachen waren wirklich wichtig für mich, sonst nichts. Kein David, kein Marcus, kein Michael. Ich beschloss, noch an diesem Vormittag zu Beiers zu fahren und teilte ihnen das in einer Antwort mit.
Auf der Heimfahrt schwiegen meine Eltern. Papa setzte ich wie jeden Sonntag vor der Dorfkneipe „Zum Ochsen“ ab und war froh, dass er dort seine Gesellschaft hatte. Gesellschaft.. Ich sah den Jeep stehen. Michaels Jeep. Und Hofmanns alten VW-Iltis. Wie gern wär ich jetzt da mit rein, diesem alten, versoffnen Sack die Meinung geigen, aber ich hatte ja noch einen anderen Besuch zu machen.

Nachdem ich Mutti auf dem Hof abgesetzt hatte fuhr ich zu Dr. Beier. Er wohnte etwas außerhalb des Ortes und vor seinem Haus befand sich ein riesiges, eingezäuntes Grundstück, auf denen etliche Tiere ihr Gnadenbrot bekamen.
Mein Herz machte Luftsprünge als ich Tine sah. Sie humpelte etwas unsicher, aber sonst schien sie ganz munter zu sein.
»Und sie wird durchkommen?«, fragte ich Frau Beier.
»Die kritischste Zeit ist vorbei. Man kann es nicht genau sagen, aber ich denke, sie wird es schaffen. Nur, sie wird für immer bei uns bleiben müssen, ihr Bein wird nicht mehr so in Ordnung kommen.«
»Dann hab ich ja immer einen Grund, einen Besuch abzustatten«, grinste ich.
Seit ewigen Zeiten hatte ich meine E-Mails mehr gecheckt, und so saß ich am Abend eine gute Stunde vor dem PC und sortierte sie aus. Natürlich waren 95% Werbung und sonstiger Müll, aber zwei Mails fielen mir auf.
Ich öffnete die eine, dessen Absender mir zwar unbekannt war, aber die Betreff-Zeile ließ mich neugierig werden.. „Hallo Stefan“.
„Ich habe deine Adresse von einer ausgedruckten Mail, die auf deinem Schreibtisch lag, entschuldige meine Spionage. Aber warum ich dir schreibe ist, dass ich dauernd an dich denken muss. Und dass ich dir eigentlich nur Probleme bereitet habe so lange ich bei dir war. Es ist nur, ich hatte so große Schwierigkeiten mit meiner Freundin, weil ich drei Wochen von ihr getrennt sein sollte. Es hat alles nicht zusammen gepasst und deswegen war ich wohl auch etwas durch den Wind. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Wir sehen uns doch hoffentlich mal wieder, oder? Liebe Grüße, Marcus.“
Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich auf meinem Chefsessel zurückfallen. Alles umsonst, die ganzen Aufregungen um ihn waren für die Katz. War ich froh, mich nicht geoutet und ihn in etwas reingezogen zu haben. Ein Luftschloss zerplatzte in diesem Augenblick. Ich saß eine ganze Weile da, dachte auch über Davids Ratschläge nach. Wie gut, dass man bisweilen nichts überstürzte.
„Hallo Marcus. Kein Problem, du hättest darüber ja nur zu reden brauchen. Aber Ok, wenigstens hat es dir ja ein bisschen gefallen. Übrigens, wenn du wieder kommen solltest, es gibt neuerdings ein kleines Rehkitz, dessen Pate ich wohl werde. Wir freuen uns.. Gruß Stefan.“
David war fort, wie schon einmal, obwohl ich aus seinem Luftkuss nicht schlau geworden war und Marcus war auch kein Thema mehr. An Michael dachte ich kurz, bevor ich ihn wie eine lästige Fliege aus meinem Kopf scheuchte. Nichts. Niemand. Keiner.
Endlich hörte ich Donner in der Ferne. Es war höchste Zeit dass es regnet und diese Hitze ein Ende hatte.
Ich öffnete die zweite Mail, dessen Absender mir ebenfalls unbekannt war und im Betreff stand nur „Adresse geändert“
„Hallo Stefan, bevor ich wieder nach Hause umziehe noch ein Wort – ich hab dich unheimlich gern. Dein David“
Im PS schrieb er, dass er seine E-Mail-Adresse geändert hätte weil er von Andreas in Ruhe gelassen werden wollte und sonst nichts.
Nun hatte ich einen Knoten im Gehirn. Ausgerechnet David, dieser.. Ich wurde mutig und in dem Augenblick war mir alles egal. „Hallo David, ich hab dich nicht gern.. das ist mir zu billig. Ich liebe dich. Dein Stef.“
Mit einem Klick war die E-Mail fort und ich konnte nichts mehr daran ändern.
Langsam sank ich wieder zurück und wippte in meinem Sessel. Was würde er mit dieser Antwort anfangen? Immerhin zog er wieder hier her, in meine Nähe.

Regen prasselte herunter, als ich am Morgen zum Frühstück nach unten ging. Auf den Feldern konnte man also nichts tun, die Maschinen waren gewartet. Mein Vater war schon irgendwo auf dem Hof, Mutter stand am Herd. »Was liegt an?«, fragte ich sie.
»Dein Vater ist bei den Hühnern und Schweinen. Er meinte, du könntest dir heute ja mal einen Tag frei nehmen.«
Ich verschluckte mich fast an dem Brötchen. »Was?«
»Ach Kind, er ist stolz auf dich, nur sagt er dir das nie. Er ist zufrieden, weiß dass du den Hof eines Tages ohne Probleme übernehmen wirst. Er ist ja nicht groß, aber dafür brauchst du dich auch nicht abrackern wie die anderen ringsum. Er sagt, irgendwann wird unserem Jungen die Richtige über den Weg laufen und dann..«
»..Mama, bitte.«
»Junge, du kannst nicht ewig alleine bleiben.«
»Will ich ja auch nicht.«
»Aber?«
Wie lange musste ich mich dem noch stellen? Wie oft sollte ich sie noch anlügen? Mich selbst jedes Mal in Bedrängnis bringen? Im Grunde wartete ich doch jeden Tag auf diese Fragen, auf die Diskussionen. Wann war der richtige Zeitpunkt? Gab es überhaupt einen? Mir verging der Appetit.
Mutter sah mich an, nahm dann eine Tasse Kaffee und setzte sich zu mir.
»Junge, was ist denn los? Immer wenn man mit dir über deine Zukunft spricht wirst du Abweisend. Warum nur?«
»Mama…«
Plötzlich konnte ich nicht mehr. Was würden sie auch tun? Mich vom Hof werfen? Klar, aber dann war da keiner mehr der ihn übernehmen würde. Und ich dürfte nach dem Studium sicher eine Stelle finden. Aber mein Leben – das musste mir gehören, so gerne ich den Hof auch übernommen hätte.
Das Telefon läutete.
»Lass mal, ich geh schon ran«, sagte ich und lief in den Flur.
»Stefan Schilling?«
»Hallo Stefan, David hier.«
Seine Stimme. In Sekunden war alles wieder da. »Hallo David.«
Schweigen. Ein unheimliches Schweigen, ich hörte nur Davids leises atmen. Hatte er vergessen warum er anrief?
»Schön dich zu hören«, sagte ich daraufhin.
Wieder Schweigen. Er wollte mir etwas sagen, das spürte ich. Mir fiel meine E-Mail ein, die ich ihm geschickt hatte. Was würde er gleich sagen?
»Stefan, ich muss dir etwas sagen..«
Es klang nicht gut, was da von ihm kam. Ich spürte wie sich alles in mir zusammenzog. Was immer es auch war, eine gute Nachricht sicher nicht. »Ist etwas passiert?«
Diese Pausen begannen mich verrückt zu machen.
»Naja, ich bin wieder zu Hause.«
»Weiß ich ja, du hast es mir erzählt.«
»Ja, aber.. Andreas kommt morgen.«
Nun bekam ich einen Kloß in den Hals, alles begann vor meinen Augen zu verschwimmen. Andreas kam sicher nicht nur, um Davids neue Behausung zu inspizieren.
»Und, weiter?«, fragte ich, wobei sich meine Tonlage natürlich entsprechend verändert hatte.
»Wir wollen es noch mal zusammen versuchen.«
»Auf dem Hof?«
»Ja.«
»Andreas auf dem Hof? Wie soll das denn gehen?«
»Sieh es einfach als Aussteigerprogramm. Wir wollen raus aus dem Einerlei.«
Ich begriff es zwar nicht, aber es war ab dieser Sekunde auch nicht mehr wichtig. »Schön für euch«, sagte ich, wobei ich versuchte nicht weinerlich zu wirken. Und zum heulen war mir wirklich zumute.
»Wir können uns ja treffen, ab und zu oder?«
»Mal sehen.«
»Nun komm, Stef, sei nicht böse.«
»Bin ich nicht«, sagte ich barsch. »Bis dann.«
Ich legte einfach auf. Konnte das denn wirklich sein? Bedeutete ich ihm überhaupt nichts? Diese Zärtlichkeiten zwischen uns waren weiter nichts als das, was ich befürchtet hatte. Wir hatten Sex, sonst nichts. Er schrieb mir ja auch, dass er mich gern hatte, von Liebe keine Spur. Ich atmete tief durch.
»Wer war es denn?«, fragte mich Mama, als ich in die Küche zurückkam.
»Falsch gewählt«, murrte ich.
»Soso, dafür hat es aber reichlich lange gedauert.«
Ich setzte mich neben sie und plötzlich griff sie meinen Arm.
»So, Stefan, auf der Stelle will ich wissen was mit dir los ist. Und lüg nicht, du weißt dass ich das merke.«
Irgendwie passte das Donnergrollen und der Regen da draußen zu meiner Stimmung.
Es klopfte an der Tür und mir war egal wer das sein könnte, Hauptsache ich musste jetzt nicht reden.
Mama stand auf und ging in den Flur, ich hörte Stimmen.
»Gott, Sie sind ja ganz nass«, hörte ich sie sagen. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Wer konnte das denn sein? Plötzlich stürmte ein brauner Jagdhund in die Stube und schüttelte sich so vor mir, dass ich nass wurde. Neugierig schnüffelte der Rüde in der Stube umher, bis er sich schließlich vor mich setzte.
Sekunden später kam Mama in die Stube, gefolgt von einem völlig durchnässten Michael. Endlich heiterte sich mein Gesicht auf. Er nahm seinen Jägerhut vom Kopf und schüttelte sich die halblangen, leicht gelockten schwarzen Haare.
»Tach Stefan. Arcos, was hast du gemacht? Die ganze Stube ist nass..«, rief er mit einem umwerfenden Lächeln und reichte mir die Hand. Spontan stand ich auf.
»Lass doch den Hund. Ist was passiert?«, fragte ich völlig perplex.
»Mein Auto hat den Geist aufgegeben, drüben im Heugraben.«

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