Ein anderes Leben – Teil 1

Nun war ich also hier. Ich zog meinen Koffer hinter mir her und folgte dem Strom der anderen Leute. Jetzt würde es sich heraus stellen, ob die Mühe des vielen Lernens gelohnt hatte.

Seit einem Jahr hatte ich eifrig koreanisch gelernt, aber auch mein Englisch aufgebessert. Klar waren meine Eltern dagegen, dass ich für ein Jahr nach Korea gehe, aber jetzt mit achtzehn, konnten sie es mir eigentlich nicht mehr verbieten.

Das gute Zureden meines Kunstlehrers, der selbst aus Korea stammte, tat sein Übriges, am Schluss hatten sie nichts mehr dagegen. Durch seine guten Beziehungen bekam ich auch eine Gastfamilie, bei der ich jetzt für ein Jahr leben durfte.

Klar hätte ich auch bei der Familie meiner Mutter leben können, aber da sie gegen den Willen ihrer Familie einen Deutschen geheiratet hatte, wurde sie schlichtweg aus dem Clan ausgeschlossen.

So hatte ich Onkel, Tanten, Cousin, Cousinen und vielleicht auch Großeltern, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Ich lief an einer großen Spiegelfläche vorbei und hielt kurz inne.

Enganliegende drei viertel Jeans, dazu rote Converse, die ich mir extra für hier geleistet hatte. Darauf ein weißes Hemd mit schwarzer Weste. Auf Wunsch meiner Mutter hatte ich meine recht langen blondgefärbten Haare schneiden lassen, ich sollte doch einen guten Eindruck machen.

Jetzt standen sie, zwar kurz, aber in alle Richtungen ab. Das Aussehen hatte ich von meiner Mutter geerbt. Das typische asiatische Gesicht. Schmale Augen und Nase und diese süßen Schmolllippen, wie die Mädchen meiner Klasse immer sagten. Doch eins unterschied mich zu meinen asiatischen Urahnen. Da schlugen die Gene meines Vaters durch.

Statt braunen Augen hatte ich grüne. Was machte ich eigentlich hier? Ich begutachtete mein Aussehen. Grinsend lief ich weiter. Langsam sollte ich mich umschauen, ob da jemand ist, der mich abholte.

Ich stand zwar in den letzten Monaten, per Internet, mit dieser Familie in Verbindung, aber so richtig ausgemacht hatten wir nicht, wie der heutige Tag ablief. Lediglich meine Ankunftszeit war bekannt. Ich sollte mich überraschen lassen.

Die Familie bestand aus sieben Familienmitgliedern. Hier war es anscheinend öfter so Gang und Gebe, dass viele Mitglieder einer Familie zusammen wohnten. Ich wusste nur von der Großmutter, den Eltern, Sohn und Tochter, eines Onkel und dessen Ehefrau.

Bisher hatte ich nur Kontakt mit dem Vater und ein kleines Bild, dass er mir gemailt hatte, es zeigte mir ungefähr, wie sie zusammen aussahen. So sah ich mich weiter um, ob ich nicht eines der Gesichter wieder erkannte.

Aber es war zwecklos, da waren einfach zu viele Gesichter, die sich auch noch alle unheimlich ähnlich sahen. Lediglich in Haarfarbe und Frisur unterschieden sich bei vielen.

Gut ich hatte natürlich viel Zeit im Internet zu schauen. Mittlerweile gefiel mir die Musik, einige Gruppen hörte ich sogar gerne. Doch in Deutschland war es schwierig an deren CDs heran zukommen und wenn, dann waren sie richtig teuer. So erhoffte ich mir hier einiges kaufen zu können.

Plötzlich sah ich ein Schild mit meinem Namen. Lucas Dremmler. Sie hatten Lukas mit C geschrieben, aber das war eigentlich egal. Bisher konnte ich aber nur das Schild sehen, dass in die Höhe gehalten wurde, nicht den, der es hielt.

So drückte ich mich an den Massen von strömenden Menschen vorbei, bis ich an die Absperrung kam. Dort standen ein Mann und ein Mädchen. Ich stellte mein Koffer ab und verbeugte mich.

„An-nyeong-ha-se-yo! Jeo-neun Lukas Dremmler ra-go ham-ni-da.“ (Guten Tag! Ich heiße Lukas Dremler)

Puh, mein erster koreanischer Satz, die Begrüßung, im Lande und ich hatte ihn zu meiner Freude fehlerfrei ausgesprochen.

„An-nyeong-ha-se-yo, Lucas”, begrüßte mich der Mann und verbeugte sich ebenfalls.

*weiter im Text natürlich in Deutsch*

„Hallo“, sagte das Mädchen, „ich bin Choi Kang-hee.“

Sie hob mir ihre Hand entgegen, die ich schüttelte.

„Ich bin überrascht, dass du so gut koreanisch sprechen kannst“, sprach Mr. Choi weiter.

„Ich hatte mit Mr. Park einen guten Lehrer, von ihm soll ich schöne Grüße sagen.“

„Danke!“, sagte Mr. Choi und verbeugte sich wieder leicht.

Etwas, an das ich mich ganz schnell gewöhnen musste, mit dieser Verneigerei.

„Hast du alles?“, fragte er, „meine Frau wartet zu Hause, du hast doch sicher viel Hunger.“

Ich hatte etwas im Flugzeug gegessen und hatte eigentlich wenig Hunger, aber ich wollte meinen Gastgeber nicht gleich verärgern, so nickte ich. Wenig später hatten wir das große Gebäude des Flughafens verlassen und befanden uns auf einem riesen Parkplatz.

Ich hatte keine andere Wahl und lief den beiden hinter her.

„War dein Flug angenehm?“, wollte Kang-Hee wissen.

„Ja…, ich habe sogar etwas geschlafen.“

„Ich bin noch nicht geflogen, aber wenn ich alt genug bin, möchte ich in Deutschland studieren.“

„Darüber reden wir noch, wenn es soweit ist“, warf ihr Vater ein und blieb vor einem Geländewagen stehen.

Er öffnete den Kofferraum und so konnte ich meinen Koffer und meine Tasche hineinstellen. Als die Türen geöffnet wurden, wollte ich mich schon nach hinten setzten, als mich Kang-Hee nach vorne neben ihren Vater bat.

So stieg ich vorne ein. Wir verließen den Gimpo International Airport. Was mir gleich auffiel, die Straßen waren hier breiter und hatten viel mehr Spuren. Der Verkehr war sehr hoch und es wunderte mich, dass es hier nicht sofort krachte.

Aber alles schien sehr diszipliniert abzulaufen. Mr. Choi ordnete sich in den Verkehr ein. Geredet wurde wenig, so hatte ich Zeit genug mir die Gegend anzuschauen. Eigentlich hätte man meinen können, ich hätte das eigene Land überhaupt nicht verlassen, es sah so aus wie bei uns, wenn da nicht andere Pflanzen oder Bäume am Rand stehen würden.

Natürlich waren die Verkehrsschilder ebenso anders.

„Wenn du dein Fenster etwas öffnen möchtest, das kannst du gerne tun“, meinte Mr. Choi neben mir und ich nickte ich lächelnd zu.

*-*-*

Wir waren fast eine Stunde unterwegs, als wir vor einem großen Tor anhielten. Es öffnete sich langsam nach beiden Seiten und gab sein Inneres Preis. Eigentlich hatte ich jetzt die Villa schlecht hin erwartet, nachdem dass Grundstück von so einer großen Mauer umgeben war.

Aber da stand ein einfaches zweistöckiges Haus ohne jenen großen Schnörkel, im typischen Baustil der hiesigen Gegend. Mr. Choi hatte das Auto noch nicht zum Stehen gebracht, da ging bereits die Haustür auf. Heraus kamen zwei Frauen.

Der Wagen kam zum Stehen. Kang-Hee stieg als erstes aus und lief zu den beiden Frauen. Ich tat es ihr gleich und verbeugte mich erst einmal, bevor ich die beide auf Koreanisch begrüßte.

„An-nyeong-ha-se-yo!”

Hallo Lukas!”, sagte die jüngere Frau, „ich bin Han Hyo-Joo, die Ehefrau und dass ist meine Schwiegermutter Lee Yoo-n.“

Ich verbeugte mich noch einmal und gab der Schwiegermutter ebenso die Hand. Einfach die Hand zu geben, war auch eben nicht „einfach“. Dies bläute mir meine Mutter ein. Wenn ich einer älteren Person begegnete und ihr die Hand schüttelte.

Man musste die rechte Hand nehmen und mit der linken Hand unterstützen, das hieß im Klartext, ich reichte die rechte Hand und griff mit meiner linken Hand an meinen Ellenbogen, als würde ich den Arm stützen wollen.

„Hast du Hunger? Wir haben zu Ehren von dir sehr viele Sachen gekocht.“

„Dass ist sehr nett von ihnen.“

Wieder deutete ich eine kleine Verbeugung an. Etwas, was mir meine Mutter noch am Flughafen sagte, dies wirklich ja nie zu vergessen. Auch noch andere Regeln hatte ich zu beachten, die mir sicher während meines Aufenthaltes wieder einfielen.

„Hyo-Joo, lass doch den Jungen erst einmal ankommen. Ich würde vorschlagen, wir bringen zu erst sein Gepäck auf sein Zimmer, da kann er sich etwas frisch machen. Danach können wir dann essen.“

„Ein guter Vorschlag“, meinte die Schwiegermutter und drehte sich wieder Richtung Hauseingang.

So lief ich mit Mr. Choi zurück zum Wagen und wir holten meinen Koffer und meine Tasche. Danach folgte ich allen ins Haus. Dort angekommen, war ich wiederum überrascht, wie schlicht alles hier eingerichtet war

„Dein Zimmer ist oben“, meinte Kang Hee und lief die Treppe weiter hinauf.

Wie die anderen hatte ich ebenfalls meine Schuhe im Eingangsbereich ausgezogen. Mit dem Koffer und der Tasche war es kein leichtes Unterfangen, die schmale Treppe hinauf zukommen, aber dennoch bekam ich es hin. Noch einmal links abbiegen, durch die offene Tür und ich war in meinem neuen… was war das?

Vor mir tat sich ein großes möbliertes Zimmer auf und… bewohnt.

„Das ist das Zimmer meines Bruders, der zurzeit seinen Militärdienst macht.“

„Militärdienst?“

„Ja, in Korea besteht Wehrpflicht“, hörte ich eine Stimme hinter mir.

Mr. Choi.

„Zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr kann man sich freiwillig melden und seinen Wehrpflicht ableisten. Jae-Joong hat noch zwei Wochen vor sich.“

„Und es macht ihm nichts aus, dass ich mit in seinem Zimmer für ein Jahr wohne?“

„Nein, es war sogar sein Vorschlag und wie du siehst, ist das Zimmer groß genug. Jae-Joong hat vorgeschlagen dass du da oben auf der Empore dein Reich einrichten sollst.“

Ich nickte und blickte zurück ins Zimmer. Erst jetzt fiel mir auf, dass das Zimmer zwei geteilt war und man über eine kleine Treppe die obere Empore erreichte.

„Hinter der Tür befindet sich ein kleines Bad, wenn du dich frisch machen möchtest, in einer halben Stunde essen wir dann.“

Erneut nickte ich und Mr. Choi und seine Tochter ließen mich alleine. Ich nahm meinen Koffer und schleppte ihn die Treppe hinauf. Oben angekommen war ich überrascht, wie geräumig es doch war.

Unter dem Fenster stand ein großes Bett, das bereits bezogen war. An der einen Wand stand ein Schreibtisch und gegenüber ein Schrank und ein großes Regal. Ich ließ meine Tasche auf das Bett gleiten und den Koffer stellte ich auf den Boden ab.

Ich lief zurück ans Geländer und betrachte mir das restliche Zimmer. Ein Jahr war das nun mein Zuhause. Jae-Joong Zimmer gefiel mir. Es war gemütlich eingerichtet. Ich besann mich darauf, dass ich bald zum Essen kommen sollte.

Ich öffnete meine Tasche und als erstes prangte mir ein Bild meiner Familie entgegen. Meine Eltern, meine Schwester und ich. So zog ich es heraus und stellte es auf den Schreibtisch. Ebenso zog ich mein Notebook heraus.

Ob ich etwas anderes anziehen sollte? Die Kühle an meinen Füßen brachten die Erinnerung zurück, dass immer noch in Socken herum lief. Hier war es Brauch an der Wohnungstür die Schuhe auszuziehen.

So standen meine Schuhe unten und ich bekam kalte Füße. Ich wuchtete meinen Koffer aufs Bett und öffnete ihn. Irgendwo hatte ich meine Hauslatschen hingesteckt. Sie waren zwar alt, aber dennoch gut genug sie immer noch zu tragen.

Mein Blick fiel auf den Anzug, den ich widerwillig, aber auf Wunsch meiner Mutter mitgenommen hatte, man wusste ja nie, was so alles anfiel. Ich zog ihn heraus und hängte ihn an den Schrank.

Da kamen auch meine Latschen in Sicht. Ich zog sie aus der Tüte und ließ sie zu Boden fallen. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, ich sollte vielleicht noch einmal kurz ins Bad und mich dann unten Blicken lassen.

Die Treppe wieder hinunter und kurz in das Bad.

*-*-*

Das Essen war reichlich und es schmeckte alles einfach super. An die Essgeräusche der anderen musste ich mich ebenso gewöhnen, wie auch an die Gespräche, das jeder durcheinander redete und ich Schwierigkeiten hatte, dem Ganzen zu folgen.

Dass das Essen schärfer war, als gewohnt, war kein Problem für mich, da meine Mutter oft koreanische Gerichte auf den Tisch brachte. Während Kang-Hee und ihre Mutter den Tisch abräumten, kam Mr. Choi mit einer Flasche und kleine Gläsern zurück.

„Auch einen Soju?“

„Soju?“

„Bei euch glaube würde man Branntwein sagen.“

Er stellte die grüne Flasche auf dem Tisch ab und setzte sich wieder zu mir.

„Wird hauptsächlich aus Reis hergestellt.“

„Ein Reiswein?“

„Nein. Soju wird mit Kartoffeln und Weizen vermischt und dann destilliert.“

Er goss erst mein Glas voll und dann seins. Auch etwas, was ich mir merkte musste, sich nie selbst das Glas einzuschenken, immer erst seinem Gegenüber. Dann prostete er mir zu und trank das Glas in einem aus. Ich tat es ihm nach und begann zu husten. Das schmeckte eher wie Schnaps, aber unheimlich gut.

„Gewöhnungsbedürftig?“, fragte Mr. Choi.

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, das schmeckt sehr gut.“

Er nahm mein Glas und befüllte es wieder.

„Seung-Woo, willst du den Jungen betrunken machen?“, hörte ich die Stimme seiner Frau.

„Von zwei Gläsern Soju wird man doch nicht gleich betrunken“, wehrte er sich.

Sie schüttelte den Kopf und setzte sich neben ihn.

„Mein Mann hat mir erzählt, du suchst nach deinen Wurzeln, wie bist du auf die Idee gekommen?“

Ich schaute sie an und mir war klar, dass die Frage kommen würde. Zu oft wurde sie auch Zuhause gestellt. So versuchte ich es ihr zu erklären.

„Ich weiß nicht wie es hier bei ihnen ist. Irgendwann kommt man in das Alter, wo man sich fragt, wer ist man. Ich kenne eben nur meine Seite in Deutschland.“

„Und dann hast du dich entschlossen einfach nach Korea zu reisen um die andere Seite deines Daseins kennen zu lernen? Ich meine es liegt ja nicht gerade um die Ecke von deinem Zuhause.“

„Einerseits ist es eben das Geburtsland meiner Mutter, aber mehr noch ist wohl Mr. Park, mein Kunstlehrer schuld. Er hat mir viel von diesem Land erzählt und gezeigt. Als wir auf meine Zukunft zu sprechen kamen, machte er mir den Vorschlag, doch erst mal hier ein Art kleines Studium zu machen, oder so.“

„Ja In-Jeu hatte schon früher verrückte Ideen, als er noch hier lebte.“

Ich sah Mrs. Choi lange an, sie sagte das irgendwie wehmütig.

„Sie kennen Mr. Park schon so lange?“

„Ja, er stammt ebenso aus dieser Gegend und ging mit mir gemeinsam auf die Middleschool.“

Davon hatte mir mein Kunstlehrer nichts gesagt. Mr. Choi stellte sein Glas ab.

„Lukas, es ist zwar Wochenende, aber wir dachten, anstatt der üblichen Besichtigungstouren, die man hier mit Gästen macht, wollten wir uns nach deinen Wünschen richten.“

„Meinen Wünschen?“, fragte ich verwundert.

„Ja, wir machen das, was du möchtest. Vielleicht deine Familie hier besuchen.“

Meine Augenbraun wanderten nach oben und meine Stirn zeigten Falten.

„Ich habe… eigentlich keine direkten Wünsche und wollte mich da ganz nach ihnen richten. Was meine Familie betrifft, die kenne ich nicht, sie hat den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen, nachdem sie meinen Vater, einen Deutschen geheiratet hat.“

Mr. Choi sah seine Frau kurz an und sie nickte.

„Dann möchte ich zu aller erst dir eine Vorschlag unterbreiten. Du wirst jetzt ein Jahr bei uns wohnen und ein Teil dieser Familie sein. Deshalb dachten wir uns, dass du uns mit Vornamen anredest und dieses Mr. und Mrs. weglässt.“

Ich nickte verlegen und schaute kurz auf den Boden meines Glases.

„Gerne…“, gab ich von mir und prompt wurde mein Glas wieder gefüllt.

So hatte ich das eigentlich nicht gemeint, aber das Zeugs schmeckte wirklich verdammt gut. So stieß ich nun mit Seung-Won und Hyo-Joo an.

*-*-*

Das wir an diesem Abend nicht mehr viel unternahmen war klar. So lag ich nun auf meinem Bett und starrte zur Decke. Hyo-Woo hatte recht, ich spürte den Soju heftig. Aber es ging mir gut.

Neugierig wie ich war, stand ich auf und wankte die Treppe hinunter in Jae-Joongs Reich. Meine Bettlampe brachte genug Licht um mich in seinem Bereich etwas umzuschauen. Im Regal standen jede Menge wissenschaftliche Bücher, deren Titel schon kompliziert auszusprechen waren.

Hier und da hingen vereinzelt Fotografien, die ausschließlich Landschaften oder das Meer zeigten. In einer kleinen Schüssel lagen eine Menge Ringe. Probeweise zog ich zwei an und merkte, dass Jae-Joong viel schlankere Finger als ich haben musste.

Auch der Geschmack, der Farben und Formen war ein anderer als meiner. Ich legte die Ringe zurück und mein Blick fiel auf ein paar Ketten, die an der Wand hingen. Die trafen schon eher meinen Geschmack und sagte mir, dass mein Zimmergenosse wohl gerne Schmuck trug.

Unten machten sich laute Stimmen breit, jemand schien gekommen zu sein. Langsam lief ich zur Zimmertür. Leise öffnete ich sie einen Spalt.

„Ja er ist oben…, jetzt lass mich dich doch erst mal richtig begrüßen, Jae-Joong“, hörte ich Mrs. Choi sagen.

Ihr Sohn war hier, ich dachte der wäre bei der Armee oder so etwas.

„Danke Bruder, dass du ihn abgeholt hast“, das war Mr. Chois Stimme.

Also schien die Familie nun komplett versammelt zu sein. Sollte ich nach unten gehen und mich vorstellen? Das Getrampel auf der Treppe nahm mir die Entscheidung ab. Aber ich stand in Jae-Joongs Bereich.

So schloss ich schnell die Tür und rannte so schnell ich konnte wieder meine Treppe hinauf. Mit diesem Alkoholpegel, den ich nicht gewohnt war, kamen mir die Stufen plötzlich unheimlich klein vor.

So blieb es nicht aus, dass ich an der letzten Stufe hängen blieb und vor meinem Bett auf dem Boden landete. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür.

„Jae-Joong, mach doch langsam, vielleicht schläft Lukas.“

„Wieso? Da oben brennt Licht, aber es scheint niemand da zu sein?“

Mist! Verlegten richtete ich mich auf und stellte mich unsicher an das Geländer.

„Das ist Lukas“, meinte Mr. Choi, Seung-Woo zu seinem Sohn Jae-Joong.

Ich nickte.

„Hallo“, gab ich von mir.

„Hallo Lukas“, sagte Jae-Joong und warf seinen Rucksack auf sein Bett.

Danach erklam er meine Treppe und stand wenige Sekunden später mir gegenüber. Er hatte ungefähr meine Größe, kurz geschorene, fast schwarze Haare.

„Freut mich dich endlich kennen zu lernen“, sprach er weiter und schüttelte wie ein Wilder meine Hand, „mein Vater hat so viel von dir erzählt, als würde er dich schon ewig kennen. Sag mal… sind solche Kontaktlinsen teuer… Ich überlege schon die ganze Zeit, ob ich nach meinem Wehrdienst nicht auch mal meine Augenfarbe ändern sollte.“

Kontaktlinsen… Augenfarbe? Ach so, jetzt verstand ich.

„Ähm…, das sind keine Kontaktlinsen… ich habe grüne Augen…, nur meine Haare sind gefärbt.“

„Vater hast du gehört? Er hat grüne Augen…, gibt es so etwas?“

Er nickte.

„Wie ich sehe, werdet ihr euch gut verstehen, ich geh dann mal wieder hinunter.“

Seung-Woo schloss hinter sich die Tür und so war ich mit Jae-Joong alleine. Er stand immer noch direkt vor mir und strahlte mich an, als würde er mich schon ewig kennen und sich freuen, dass ein guter Freund gekommen wäre.

Er ließ sich auf mein Bett fallen und fing zu lachen an.

„Ist das geil, endlich kommt mal Leben in diese Bude und es ist nicht mehr so langweilig.“

Ich ließ mich neben ihm auf mein Bett nieder.

„Wieso? Hast du keine Freunde?“

Er richtete sich auf, so saßen wir nun direkt neben einander.

„Nicht wirklich. Der Beruf meines Vaters lässt dich zum Einsiedler werden.“

„Wieso der Beruf deines Vaters?“

„Wusstest du nicht, dass mein Vater beim Fernsehen ein hohes Tier ist?“

„Öhm… wenn ich genau darüber nachdenke…, nein! Er sagte etwas mit Medien, aber ich machte mir da eigentlich keine weitere Gedanken.“

„Mein Vater ist einer der Manager bei KBS World.“

„Um ehrlich zu sein, ich kenne mich in eurer Medienwelt noch nicht so aus. Gut über unser Kabelfernsehen empfängt man sicherlich einige koreanische Sender, aber die habe ich nicht geschaut.“

„Na ja, egal. Auf alle Fälle hat man sich als Sohn von diesem Vater sehr zu benehmen und darf nicht auffallen.“

„So streng? So kam mir dein Vater nicht vor.“

„Strenger.“

Er sagte das mit einem Lächeln und ich wusste nicht ob es ernst nehmen konnte.

„Und wie gefällt es dir hier?“

„Öhm… ich habe noch nicht viel gesehen. Aber dein Zimmer ist erste Sahne.“

„… erste Sahne?“

„Das sagt man bei uns so“, lächelte ich, „wenn etwas wirklich gut ist.“

„Ach so… Danke! Aber ich gehe erst mal duschen und raus aus diesen Klamotten.“

„…, das wollte ich noch fragen. Deine Schwester sagte, du wärst bei der Armee…, wieso bist du zu Hause?“

„Es ist Wochenende und ich habe Freigang bekommen.“

„So kurz vor deinem Ende.“

„Na ja… mein Vater hat da schon etwas gedreht, einfach so hätte ich nicht frei bekommen.“

„Also doch einen Vorteil so einen Vater zu haben.“

„Ja, ab und zu, ich will das aber nicht zur Gewohnheit werden lassen“,

Er rannte die Treppe hinunter und schneller als mir lieb war, hatte er sich seiner Uniform entledigt. Da unten stand ein durch trainierter Typ, der mich schwach werden ließ. Für ihn schien das ganz normal zu sein.

Er schaute kurz hoch, lächelte mich an und verschwand im Bad. Ich ließ mich nach hinten fallen. So eine Frohnatur sollte ich ein ganzes Jahr ertragen? Sorry, gut aussehende Frohnatur, was das Ganze auch nicht leichter machte.

Eine viertel Stunde später stand er wieder, nur mit einem Handtuch um die Hüften im Zimmer.

„Unternehmen wir noch etwas?“, rief er nach oben.

Ich richtete mich auf, denn ich hatte mich in den letzten fünfzehn Minuten nicht vom Platz gerührt.

„Jae-Joong, ich kenne mich hier absolut nicht aus, weder wo ich hier bin, noch was ihr hier so macht.“

„Kein Problem, Lukas. Wir können auch einfach nur sparzieren gehen“, meinte er, während er auch noch die letzte Hülle fallen ließ, um sich gleich wieder eine Boxershorts zu bemächtigen.

Ich seufzte innerlich. Da stand der absolute Traumboy. Boy war gut, Jae-Joong war mindestens drei Jahre älter als ich, also konnte man fast schon Traummann sprechen. Aber bisher hatte ich mir über einen Freund keine Gedanken gemacht.

Wobei so war das nicht richtig, klar träumt jeder von einem Partner, von wegen, dass man nicht so alleine ist, jemand zum Reden oder Kuscheln hat, oder eben noch mehr. Wie der Partner aber sein sollte, Charakter und Aussehen, darüber hatte ich noch nie viel nach gedacht.

„Und? Willst du?“, weckte mich Jae-Joong aus meinen Gedanken.

„Ja, klar, ein bisschen frische Luft tut mir auch gut.“

Mittlerweile war er völlig angezogen. Ich ging an meinen Koffer, den ich immer noch nicht voll ausgepackt hatte und zog mir einen dicken Wollpulli heraus. Wenige Minuten später standen wir im Wohnzimmer der Chois.

„Vater…, Mutter ich gehe mit Lukas noch etwas sparzieren.“

„Eine gute Idee“, antwortete seine Großmutter, die neben den beiden saß.

„Aber kommt nicht zu spät zurück“, meinte sein Vater.

Ich verbeugte mich leicht, automatisch mit Jae-Joong zusammen. Die Sprüche der Erwachsenen waren überall gleich.

*-*-*

Die Luft war klar und frisch, eigentlich anders, als man es von so einer großen Stadt wie Seoul denken sollte. Auch der Geruch war ein anderer. Ich lief schweigend neben Jae-Joong eine Anhöhe hinauf. Der Blick der sich vor uns auftat war atemberaubend.

Ich konnte den Han-River sehen, dessen Randbeleuchtung sich wie eine Schlange durch die Stadt zog.

„Da unten ist Gangnam“, sagte plötzlich Jae-Joong und ich folgte seinem Fingerzeig.

„Gangnam?“

„Gangnam – Style…“, sagte er und im gleichen Augenblick, wie es mir das Lied ins Bewusstsein Einkehr hielt, machte Jae-Joong schon die typische Tanzbewegung dazu.

Ich musste automatisch grinsen.

„Das ist ein Wohnviertel?“

„Ja, Psy hat mit seinem Lied eigentlich dieses Viertel auf die Schippe nehmen wollen. Es ist das Reichenviertel und die Straßen von teuren Läden gesäumt.“

„Mit Erfolg würde ich sagen, sein Video wird weltweit bei Youtube angeschaut…, in meiner Klasse sind sie ständig zum Lied herum gehüpft.“

Ja, da hat Psy einen echten Glückgriff gemacht, aber jetzt ist er traurig.“

„Wieso… und woher weißt du das?“

„Er weiß nicht, wie er an so einen Erfolg anknüpfen soll.“

„Man könnte meinen, du kennst ihn persönlich.“

„Tu ich auch, dass ist der Vorzug, wenn man so einen Vater hat, man lernt Promis kennen.“

„Echt?“

„Er versucht jetzt mit seinem neuen Lied „Gentleman“ an diesen Erfolg anzuknüpfen, aber das wirst du morgen Abend selbst sehen.“

„Morgen Abend?“

„Vater hat dir nichts erzählt?“

„Öhm… nein, er meinte zu mir, wir ließen dieses Wochenende ruhig angehen.“

„Oh, habe ich da etwas erzählt, was ich nicht sollte?“

„Weiß ich nicht, aber was ist morgen Abend?“

„Ein Benefizkonzert für Krebskranke Kinder, da ist alles da, was Rang und Namen hat.“

„Und da wollt ihr mit mir hingehen?“

„Ja“, lächelte er mich an.

„Wow…, also…, das ist cool. Ich höre schon eine Weile koreanische Musik, also KPOP.”

„Lieblingsgruppe?“

„Ja klar, einige. Super Junior höre ich gerne.“

„Auf Leeteuk wirst du morgen verzichten müssen, der hat nicht wie ich frei bekommen.“

„Stimmt, ich habe gehört, dass er seinen Militärdienst ableistet. Bevor dein Vater mir erklärte, wie das bei euch mit dem Militär ist, wunderte ich mich, dass Leeteuk das einfach so macht.“

„Ja, die Stars bleiben da auch nicht verschont, und da Leeteuk das dreißigste Lebensjahr erreicht hat, muss er jetzt gehen.“

„Ach so.“

„Aber ich denke der Rest wird auftreten.“

„Wow, echt? Ich werde Super Junior live sehen?“

„Ja! Und noch besser, wir können auch in den Backstage Bereich, wenn du möchtest.“

Noch vor zwei Wochen träumte ich von diesen Jungs, wie es wäre, sie mal live zu sehen und natürlich auch zu hören und jetzt wurde das Realität? Ich konnte ihm keine Antwort darauf geben, ich war einfach zu verblüfft.

„Gefällt es dir?“, fragte mich Jae-Joong leise.

Er hatte seinen Kopf auf seine Arme gelegt, die auf dem Geländer lehnten.

„Ich komm oft hier her, besonders, wenn ich am grübeln bin.“

Das hörte sich traurig an.

„Und über was denkst du jetzt nach?“

Er schaute mich kurz an, dann wanderte sein Blick wieder nach vorne. Er hörte sich nicht nur traurig an, auch seine Augen sagten das Gleiche aus.

„Mein Vater will, dass ich in seine Fußstapfen trete.“

„Und du willst das nicht?“

Er richtete sich auf und schüttelte den Kopf.

„Auf alle Fälle nicht so. Ich will keine Vorzüge, weil er mein Vater ist.“

„Aber das kann doch hilfreich sein.“

„Das mag schon sein, aber ich will das aus eigener Kraft schaffen und nicht nur immer als Papas Sohn überall herum gereicht werden.“

Das verstand ich, gab aber auch dazu keinen Kommentar dazu ab.

„Und was möchtest du genau machen?“

„Ich weiß noch nicht genau, es gibt so vieles, was mich interessieren würde.“

„Aber im Businessgeschäft sollte es schon sein?“

„Klar! Und… hast du schon konkrete Vorstellungen?“

„Kein Plan…“

Er sah mich an und grinste.

„Als Modell würdest du echt Chancen haben.“

Ich musste laut lachen.

„Danke, aber verarschen kann ich mich selbst!“

„Nein echt, glaub es mir. Du bist groß, gut gebaut und hast ein tolles Gesicht.“

Ich musterte ihn. Ob er sich gerade bewusst war, das er mir ein Kompliment gemacht hatte?

„In gewissen Klamotten würdest du deine volle Ausstrahlung entfalten. Glaub mir es. Hast du eigentlich etwas wie einen Anzug dabei?“

„Öhm ja, ein schlichter schwarzer Anzug, wie man ihn bei uns zu feierliche Anlässen trägt…, brauche ich das?“

Ich war jetzt etwas verwirrt.

„Vertraust du mir?“

„Warum?“

„Lass uns morgen früh shoppen gehen, ich kenne da Läden, da gibt es super Klamotten zu günstigen Preisen. Falls es doch etwas teurer sein sollte, helfe ich aus, so als Begrüßungsgeschenk oder so…“

„Ich weiß nicht…“

Er lachte.

„He, du kannst uns doch als unser Gast nicht in Misskredit bringen, weil du nicht passend angezogen bist.“

Okay, das war jetzt unfair, mich indirekt auf diese Tour zu erpressen.

„Also abgemacht, morgen gehen wir für dich etwas suchen.“

*-*-*

Eigentlich hätte ich nach dieser Aufregung am Abend, dem Flug, die Zeitumstellung wach in meinem Bett liegen müssen. Aber der Soju hatte es in sich. Friedlich wie ein Baby war ich schnell eingeschlafen und wachte am Morgen auf, als ein Geräusch aus dem Zimmer unten zu mir hoch drang.

Ich richtete mich auf und sah Jae-Joong in seinem Zimmer herum laufen. Die leichte Unordnung, die gestern Abend noch herrschte, war beseitigt worden, bestimmt auf Anweisung von mütterlicher Seite.

Es blieb nicht aus und ich musste gähnen. Anscheinend etwas laut, denn im gleichen Augenblick schaute Jae-Joong nach oben und lächelte wieder.

„Guten Morgen…, habe ich dich geweckt?“

„… auch guten Morgen, nein, du hast mich nicht geweckt“, log ich.

„Das Bad ist frei, du kannst dich fertig machen, wenn du willst. Meine Mutter hat uns schon ein Frühstück gerichtet.“

Und schon hatte er das Zimmer verlassen. Ich ließ mich wieder in mein Kissen fallen. Was tat ich mir da nur an, plötzlich war die Idee hier ein Jahr zu verbringen, nicht mehr so prickelnd. Die Tür wurde aufgerissen und ich schreckte auf.

„Lukas, trinkst du Tee, oder willst du Kaffee?“

„… ähm, was trinkst du?“

„Tee!“

„Dann schließe ich mich dir an.“

„Okay“, und weg war er wieder.

Ich stand auf und schlüpfte in meine Schlappen, da der Boden doch etwas kalt war. Gestern Abend hatte ich noch etwas von meinem Koffer ausgeräumt, so lag ein Teil im Schrank, der Rest noch in dem Ungetüm aus Leder.

Ich klopfte mein Kopfkissen auf, ließ die Decke darüber fallen und zog sie gerade. Schnell waren die Sachen aus dem Koffer auf das Bett gelegt. Ich überlegte kurz und griff mir einige Sachen daraus und machte mich dann auf den Weg ins Bad.

Etwas später lief ich leise die Treppe hinunter, wo ich schon Jae-Joongs Stimme hören konnte.

„Da hast du Vaters Überraschung schon vorweg genommen“, hörte ich seine Mutter sagen.

Mittlerweile war ich unten angekommen und betrat den Raum, wo wir gestern gegessen hatten.

„Guten Morgen“, sagte ich leise und verbeugte mich leicht.

„Guten Morgen, Lukas, setz dich, dass Frühstück ist schon fertig.

„Danke“, meinte ich, verbeugte mich erneut und setzte mich zu Jae-Joong.

Eine andere Tür im Raum ging auf und ein Mann betrat den Raum.

„Guten Morgen, Onkel, darf ich dir Lukas unseren Gast für ein Jahr vorstellen?“

Sofort erhob ich mich. Mutter kam ebenfalls zurück.

„Ah Seung-Hyun, schön dass du es einrichten konntest, doch noch zu kommen.“

„Ja, ich wollte doch Lukas kennen lernen, nach dem mir mein Bruder so viel von ihm erzählt hat.“

Ich wurde leicht verlegen, was hatte Jae-Joongs Vater nur über mich erzählt?

„Hallo Lukas“, meinte der Onkel namens Seung-Hyun und streckte mir die Hand entgegen.

„Hallo Mr. Choi“, antwortete ich artig und gab Patschhand mit Verbeugung.

„Netter Junge…“, meinte er zu Jae-Joongs Mutter und wandte sich dann zu mir, „du kannst ruhig Seung-Hyun zu mir sagen.“

„Danke!“

Ich wartete bis er sich setzte und setzte mich wieder neben Jae-Joong.

„Bist du und Tae-Hee zum Mittagessen da?“, fragte Hyo-Joo.

Ich vermutete, dass Jae-Joongs Mutter, seine Frau meinte.

„Nein, dein Mann hat uns ordentlich mit Arbeit eingedeckt, aber ich denke die Cateringgesellschaft wird genug auffahren, verhungern werden wir ganz bestimmt nicht.“

Hyo-Joo seufzte.

„Beruhig dich Schwägerin, du weißt dein Mann will immer alles Hundert Prozentig haben, aber so ist er nun mal.“

„Ich weiß. Und ihr Jungs, was habt ihr vor?“

„Ich möchte Lukas in die Stadt entführen, bisschen etwas zeigen und eventuell Klamotten für heute Abend anschauen.“

„Hast du denn keinen Anzug dabei?“, fragte nun Hyo-Joo mich.

„Doch, aber Jae-Joong meinte, ein schwarzer Anzug wäre zu einfach.“

 „Lass dir von meinem Sohn keine Flausen in den Kopf setzten, natürlich reicht ein schwarzer Anzug.“

Seung-Hyun lachte.

„Lass doch die Jungs, du weißt, wie sehr sie heute auf Mode fixiert sind. Ich denke, Lukas wird der Modestil, der zurzeit in Korea herrscht, sicher gefallen.“

„Ich möchte aber nicht, dass Lukas wegen uns große Ausgaben machen muss, nur…“

„… und auch da kann ich dich beruhigen, liebe Schwägerin. Jae-Joong, du weißt doch, das wir über einen großen Fundus an Klamotten verfügen, warum bedient ihr euch nicht dort, dein Vater wird sicher nichts dagegen haben.“

Jae-Joong Mutter nickte.

„Ich werde meinen Mann gleich anrufen und verständigen und in die Stadt könnte ihr dann immer noch, wenn ihr möchtet!“

Es war mir etwas peinlich, dass wegen meiner Person so ein Aufwand betrieben wurde. Auch Jae-Joong schien es nicht zu gefallen, sein Gesicht war nicht mehr fröhlich. Aber seine Mutter hatte ein Machtwort gesprochen und er schien sich daran halten zu wollen.

*-*-*

Wenig später, Jae-Joongs Onkel hatte uns mitgenommen, fuhren wir nach Seoul zurück. Wie schon am Vortag benutze Seung-Hyun die breite Straße. Aber nicht wie erwartet, fuhren wir nicht zum KBS Sendehaus, sondern zum World Cup Station von Seoul.

Es war ein riesiger Bau, mit viel Glas und Stahl. Ich lass etwas von Fußball und wunderte, wo mich die beiden hinbrachten. Seung-Hyun bog die große Einfahrt ein und steuerte einen seitlichen Parkplatz an.

Nun sah ich die ersten Werbebanner von diesem Konzert. Ich bekam den Mund nicht mehr zu, als ich die Namen lass, die heute Abend auftraten.

„Die kommen wirklich alle?“, fragte ich leise, eigentlich mehr mich, als die anderen im Auto.

Der Wagen hielt und wir stiegen aus. Das mein Besuch in diesem Land gleich zum Anfang, wie sollte ich es ausdrücken, so aufregend wird traf es nämlich nicht, denn alleine schon, dass ich hier in Korea war, war aufregend genug.

Doch das hier, war schon einmal die Krönung meines bisher kurzen Daseins in Korea. Total fasziniert folgte ich den beiden anderen. Seung-Hyun sagte irgendetwas zu dem Security Menschen, der uns drei dann einließ.

Ich durch lief die Glastür und kam aus dem Staunen nicht heraus. Klar war ich schon in Deutschland in einem Stadion, aber dies hier übertraf schon alles Gesehene. Seung-Hyun kam zu mir und pfriemelte ein Schildchen an meine Jacke.

Ich hob es leicht an und konnte Visitor lesen und meinen Namen Lucas, wieder mit C geschrieben. Jae-Joong lächelte mich die ganze Zeit an. Ständig verbeugten sich Leute vor uns leicht und wir erwiderten den Gruß.

„Kommt, wir besuchen noch kurz deinen Vater Jae-Joong, dann könnt ihr euch umschauen“, kam es von Jae-Joongs Onkel Seung-Hyun,

So folgten wir Seung-Hyun durch die Gänge, in denen ich mich schon hilflos verloren hätte. Schon jetzt hatte ich sämtliche Orientierung verloren und wusste weder, wo Süden noch Norden war.

Zielsicher öffnete Seung-Hyun eine Tür, in die wir drei eintraten. Vor mir tat sich so etwas wie ein Studio auf. Unzählige Monitore und Mischpulte konnte ich ausmachen und davor ein wildes Treiben vieler Menschen.

Überall Technik, wo ich hinschaute. Plötzlich konnte ich auch Jae-Joongs Vater Seung-Won entdecken, der zur gleichen Zeit auch uns bemerkte. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht richtig deuten, als er uns zulief.

Sein Bruder hielt ihn kurz auf und sprach leise mit ihm, soweit dies bei diesem Treiben der anderen möglich war. Plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck und er begann zu lächeln.

„Lukas!“, rief er, „hallo und die erste Nacht bei uns gut geschlafen?“

Er streckte die Hand aus, die ich sogleich schüttelte.

„Guten Morgen Seung-Won, ja danke der Nachfrage.“

„Das sollte zwar heute eine Überraschung für dich werden, aber wie ich erfahren habe, hat mein Ältester“, er legte seine Hand auf Jae-Joongs Schulter, „nicht den Mund halten können.“

„Wir haben uns gestern Abend kurz über meinen Musikgeschmack unterhalten, so auch über die berühmten KPOP Gruppen und er erwähnte kurz das heutige Konzert“, verteidigte ich Jae-Joong, dessen Gesicht Bände schrieb.

„Mein Bruder sagte auch, dass du eventuell etwas zum Anziehen finden möchtest.“

Ich nickte, auch wenn mir dies jetzt peinlich war, man könnte ja meinen, ich hätte nichts zum Anziehen mitgenommen.

„Jae-Joong kennt sich ja einigermaßen hier aus, er soll dich zu unserem Fundus bringen, da wirst du sicher etwas Passendes finden.“

„Danke“, sagte ich leicht verbeugend.

„Seung-Hyun, da gibt es noch Probleme mit der Verkabelung zum Backstagebereich, dass muss bis heute Abend laufen“, kam es energisch von Seung-Woo.

Ich hatte das Gefühl, dass wir somit entlassen waren, was mir Jae-Joong an meinem Arm ziehend bestätigte. Schnell waren wir wieder auf dem Flur.

„Uffz, dass ging ja noch mal gut.“

„Was meinst du?“, fragte ich Jae-Joong.

„Mein Vater ist bekannt für seine Jähzornigkeit, aber du scheinst einen guten Einfluss auf ihn zu haben, bei dir ist er recht nett.“

„Danke, aber ich weiß nicht, ob dies an mir liegt.“

„Doch, das kannst du dir schon zu Gute halten, denn er ist sonst nie so umgänglich, schon gar nicht am Morgen eines abendlichen Konzertes.“

„Okay…“

„Komm, wir gehen in den Fundus“, sagte Jae-Joong und zog mich durch den Flur.

*-*-*

Ich schaute auf die Uhr. Mittlerweile waren wir schon eine Stunde hier und ich war es leid etwas anzuprobieren, denn Jae-Joong kam ständig mit etwas Neuem an. Ebenso eine Assistentin, die er dafür aufgegabelt hatte.

Was sie mir nun brachte, gefiel mir aber auf Anhieb, nur musste es passen. Dass ich ein weißes Hemd heute Abend trug und dazu eine schwarze Jeans, war schon mal entschieden, nur mit dem Jackett hatte bisher keiner meinen Geschmack getroffen.

Entweder es passte nicht, oder es sah mir schlichtweg zu glamourös aus. Die meisten funkelten schon heftig und hier waren nur Neonröhren an der Decke. Doch das jetzt gebrachte gefiel mir auf Anhieb.

Die Ärmel, der Kragen und die aufgesetzten Taschen waren in einem tollem Blau, der Rest in schwarz. Ich schlüpfte hinein und es passte wie angegossen.

„Na also“, kam es von Jae-Joong, „und ich dachte schon wir finden überhaupt nichts mehr. Erst jetzt bemerkte ich, dass er eine ähnliche Jacke trug, nur das ihr Grundtenor rot war.

Ich wollte etwas darauf erwidern, als es vorne am Eingang laut wurde. Ich schaute auf und ich konnte sehen, dass eine Gruppe von Jungs den Raum betrat. Meine Knie wurden weich, denn einer der Jungs war Dong-Hea von Super Junior, den ich natürlich sofort erkannte.

Jae-Joong ließ mich einfach stehen und lief zu den anderen.

„Jae-Joong altes Haus, ich dachte du bist beim Militär?“, rief ihm einer der Jungs entgegen.

War das Si-Won, ebenfalls von Super Junior? Wow, der Schönling der Truppe so dicht bei mir. Eine wilde Begrüßung folgte, wo jeder Jae-Joong umarmte. Er schien hier wirklich bekannt zu sein und es wunderte mich, dass er keine Laufbahn als Sänger oder Schauspieler eingeschlagen hatte, dass Aussehen hatte er ja.

Alle Gesichter kamen mir irgendwie bekannt vor, irgendwann hatte ich sie in meinen Streifzügen bei You Tube schon gesehen. Plötzlich drehte sich Jae-Joong zu mir um und winkte mich wild zu sich.

„Darf ich euch Lukas vorstellen. Er kommt aus Deutschland und ist für ein Jahr, also seit gestern,  Gast bei meiner Familie.“

Zögerlich lief ich auf die Gruppe zu.

„Hallo Lukas, herzlich Willkommen in Korea!“, meinte ein bildhübscher Kerl und streckte  mir die Hand entgegen.

Ich hob schüchtern meine Hand.

„Hallo“, erwiderte ich und war mir sicher, diesen Kerl zu kennen.

„Das ist Minho, von Shinee“, erklärte mir Jae-Joong neben mir, als würde er meine Gedanken lesen.

Nacheinander stellte mir Jae-Joong jeden vor und ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

„Leute, in einer viertel Stunde müssen wir in der Schminke sein“, kam es von Siwon ermahnend.

„Tja, da müssen wir uns wohl neu einkleiden“, sagte Minho, der die ganze Zeit neben mir gestanden hatte, „und übrigens cooles Outfit.“

Verdattert ließen mich die Jungs stehen.

„Na, habe ich zu viel versprochen?“, fragte mich Jae-Joong.

Ich schüttelte den Kopf, kaum eines Wortes fähig.

„Lass uns unsere Sachen holen, dann gehen wir hinaus die Bühne anschauen“, meinte er.

*-*-*

Wir hatten unsere Sachen wieder gewechselt und waren gerade auf der Bühne angekommen. Das erste Mal in meinem Leben stand ich auf einer Bühne. Jae-Joong wurde ständig gegrüßt, so hatte ich etwas Zeit für mich, das alles auf mich wirken zu lassen.

Heute Abend würde das Stadion gefüllt sein und unheimlich laut. Wie viele Plätze hat das Stadion wohl hatte? Die Lichtbatterie wurde ausprobiert und ich schaute kurz direkt in einen Scheinwerfer.

Stark geblendet wendete ich mich ab. Wie machten dass die hier auf der Bühne bei ihren Auftritten standen, denn ich sah nur noch Sternchen, aber mehr nicht mehr.

„Beeindruckend…, nicht?“

Ich wandte mich zur Seite, da stand ein junger Mann, mit Headset auf und Unterlagen in der Hand. Ich nickte.

„Ich habe gehört, sie sind mit Jae-Joong hier und Gast bei den Chois.“

„Ja.“

„Ich bin Hyun-Woo, Assistent von Mr. Choi“, meinte er und streckte mir seine Hand entgegen und verbeugte sich leicht.

„Lukas…“, erwiderte ich und verbeugte mich Hand schüttelnd.

„Das erste Mal auf einer Bühne?“

„Ja.“

„Eigentlich sollte es für mich mittlerweile normal sein, aber ich bin jedes Mal von neuem fasziniert. Wir müssen aber jetzt herunter von der Bühne, die Generalprobe beginnt gleich. Komm sie bitte, ich bring sie an einen Platz, wo man alles gut sehen kann.“

Ich nickte ihm kurz zu und schaute mich nach Jae-Joong um, den ich auf der anderen Seite der Bühne entdecken konnte. Rufen war bei dem Geräuschpegel zwecklos, so folgte ich Hyun-Woo.

Wir liefen eine Treppe hinunter, durchliefen einen kleinen Flur und kamen unterhalb der Bühne wieder heraus.

„Danke“, meinte ich.

Hyun-Woo blieb bei mir stehen und schaute zur Bühne hinauf.

„Ah, da seid ihr ja“, kam es aus der anderen Richtung und ich konnte Jae-Joong entdecken, „Hallo Hyun-Woo.“

„Hallo Jae-Joong!“

„Na, mit welcher Aufgabe hat dich dieses Mal mein Vater beauftragt?“

„Er meinte, ich soll mich etwas um Lukas und sie kümmern.“

Erstaunt schaute ich Hyun-Woo und Jae-Joong an.

„Du meinst, du sollst auf uns aufpassen, damit wir nichts anstellen können“, sagte Jae-Joong lächelnd.

„Nein, ihr Vater meinte es Ernst, auch in Zukunft soll ich mich etwas um Lukas kümmern, wenn er irgendwie Probleme haben, oder Hilfe brauchen sollte.“

„Uhhhhh, Lukas, du stehst sehr hoch in der Gunst meines Vaters, wenn du gleich am Anfang einen persönlichen Assistenten bekommst.“

„Ähm…, dass ist sicher ein Missverständnis, wieso brauche ich einen Assistenten, ich arbeite hier ja nicht einmal, ich bin lediglich Gast bei euch.“

„Gegen die Entscheidungen meines Vaters solltest du keine Widersprüche hegen, was er beschließt, ist Sache!“

Ich schaute zu Hyun-Woo, der mich schüchtern anlächelte. Das war mir jetzt sehr arg. Hyun-Woo war bestimmt sieben oder acht Jahre älter als ich und sollte hier für mich da sein? Ich glaube, ich musste doch ein Gespräch mit Jae-Joongs Vater führen.

„Es fängt an“, meinte Hyun-Woo und stellte sich etwas abseits von uns.

Ich beugte mich zu Jae-Joong.

„Jae-Joong, dass ist mir gar nicht Recht, was dein Vater da macht, ich will kein Aufsehen hier erregen“, flüsterte ich ihm ins Ohr.

Jae-Joong sah mich an.

„Weißt du jetzt, was ich damit meinte, der Sohn dieses Vaters zu sein?“

*-*-*

Die Generalprobe war vorüber und ich war aufgedreht. Einige Lied, hatte ich sogar gekannt und so gut es ging begeistert mitgesungen. Jae-Joong unterhielt sich schon wieder mit irgendwelchen Leuten, während ich einfach nur dastand und ein Dauergrinsen auf den Lippen hatte.

„Hat es ihnen gefallen?“, fragte Hyun-Woo, der nicht von meiner Seite gewichen war.

„Ja, klar…, Hyun-Woo, sie müssen nicht die ganze Zeit bei mir bleiben, sie haben sicher noch andere Arbeit…“

„Verzeihung Lukas, aber es ist mein Auftrag von Mr. Choi, bei ihnen zu bleiben und sie hinzubegleiten, wohin sie auch möchten.“

„Aber ich werde sicherlich jetzt gleich mit Jae-Joong nach Hause fahren.“

Er lächelte weiter so schüchtern und rückte seine Brille zurecht. Seine braunen Augen blinzelten aufgeregt hinter den Gläsern.

„Ich werde sie nach Hause fahren, wenn sie wünschen.“

„Sagen sie bitte du zu mir…, ich bin erst achtzehn…“

„Das steht mir nicht zu…“

Ich atmete tief durch und ließ mein Blick über die Bühne gleiten, bis sie wieder auf Hyun-Woo zur Ruhe kamen. Er war ein halben Kopf kleiner als ich, seine schwarzen Haare waren leicht strähnig nach unten gekämmt und hingen wirr auf dem Kopf.

„Ich bin es nicht gewohnt, wenn jemand Älteres sie zu mir sagt…“

„Ich bin einundzwanzig, also nicht viel älter als sie.“

„Okay…, wir werden uns ja sicher noch ab und zu sehen und…“

„Lukas, ich glaube, sie haben da etwas missverstanden. Mr. Choi hat mich extra für sie abgestellt, um ihnen bei allem behilflich zu sein, nicht nur heute, sondern für die Dauer ihres Aufenthaltes.“

„Was…, für ein ganzes Jahr?“, fragte ich fassungslos und auch etwas laut, die Leute, die um uns herumstanden blickten zu uns.

Hyun-Woo nickte.

„Aber…, aber das geht doch nicht…?“, sprach ich leiser weiter.

„Habe ich etwas falsch gemacht…, wenn ja tut es mir Leid…“

„Nein Hyun-Woo, sie haben nichts… ach man… du hast nichts Falsches gemacht und du sagst du zu mir… bitte! Ich komm mir so…, komisch vor, ich kenne so etwas nicht.“

Hyun-Woo wurde leicht rot und seine Augen blinzelten noch mehr als zu vor. Er beugte sich leicht zu mir.

„Ich kann das nicht machen, Lukas, ich bin ihnen unterstellt. In Korea macht man so etwas nicht, seinen Vorgesetzten duzen.“

„Hyun-Woo, ich bin nicht dein Vorgesetzter…, ich bin zu Gast bei den Chois, niemand Besonders…, ganz normal…“

Ich gab es auf. Jae-Joong kam wieder zu uns.

„Was ist denn mit euch los?“

„Dein Vater hat wohl beschlossen, dass Hyun-Woo hier das ganze Jahr zu meiner Seite steht, er darf nicht du zu mir sagen und…“

Jae-Jong zog mich zur Seite.

„Ich weiß, du kennst sicherlich nicht viele Gepflogenheiten hier in Korea, aber bitte wehre dich nicht gegen Entscheidungen meines Vaters, du beleidigst nämlich damit auch Hyun-Woo, denn dass hier ist ein Job und versucht ihn mit besten Wissen auszuführen.“

Fassungslos schaute ich Jae-Joong an, dann wandte ich mich zu Hyun-Woo, der etwas betreten hinter mir stand.

„Entschuldige Hyun-Woo, ich wollte dich nicht irgendwie beleidigen oder so etwas, in Deutschland gibt es so etwas nicht.“

Hyun-Woo verbeugte sich kurz vor mir und lächelte. Dann beugte ich mich zu ihm vor.

„Könnten wir wenigstens wenn wir alleine sind… du sagen?“, flüsterte ich.

Er nickte lächelnd.

*-*-*

Hyun-Woo hatte uns wie versprochen nach Hause gefahren, wo bereits Jae-Joongs Mutter mit einem tollen Essen auf uns wartete. Den Mittag über stöberten wir in Jae-Joongs Musiksammlung und dann war es endlich so weit.

Cool angezogen und hergerichtet verließen wir das Haus. Jae-Joong hatte mir noch kurz zuvor eine scharfe Gelfrisur verpasst, die mir ehrlich gesagt zu gewagt war, aber ich ließ sie so, weil ich Jae-Joong nicht beleidigen wollte.

Vor dem Haus, wartete wie versprochen schon Hyun-Woo mit dem Wagen. Auch er war etwas besser angezogen, aber nicht so wie wir. Er hielt uns die Wagentür auf und wir stiegen ein.

Ich verstand es nicht, dass er solche Dienste tat, dass er nicht etwas Besseres machen wollte. Aber ich wusste auch nicht, ob ich das verstehen sollte. Ein Gespräch während der Fahrt kam nicht auf, währenddessen schaute Jae-Joong und ich aus dem Fenster.

Eine drei viertel Stunde später fuhr unser Wagen vor. Mittlerweile dämmerte es und das Stadion war in verschiedenen Farben hell erleuchtet. Bevor wir ausstiegen, gab uns Hyun-Woo unsere Ausweise, damit wir unbehelligt hinein kamen.

Als ich die Wagentür öffnete, wurde mir bewusst, wie sehr gedämmt der Wagen war, denn lautes Gekreische schlug mir entgegen. Irgendwer tänzelte von den Promis an den Fenstern über dem Eingang herum, was natürlich für Aufsehen sorgte.

Ich konnte nicht erkennen, wer es war, aber wir konnten dadurch schneller das Gebäude betreten. Wir waren wenige Minuten vor dem Einlass gekommen, denn die Leute, hauptsächlich Jugendliche drängten sich vor den Türen.

„Gehen wir nach oben, auf die Empore und schauen uns das Spektakel an?“, fragte Jae-Joong.

„Gerne“, lächelte ich.

In diesen Klamotten fühlte ich mich wohl und ich bemerkte auch, wie sich einige Mädchen, die hier schon herum liefen, sich nach uns herum drehten.

„Bei so einem Spektakel hast du alle Chancen bei den Mädchen, wenn du einer dieser Ausweise anhängen hast. Ausweis heißt gleich, du bist wer. Für die Mädchen meist egal, ob du auf der Bühne stehst oder nicht. Jemand mit Ausweis hat Beziehungen, die vielleicht hilfreich wären.“

So hatte ich das noch nie gesehen. Gut ich war schon öfter bei Veranstaltungen, wo mir Leute mit Vip Ausweisen entgegen kamen, aber der Gedanke kam mir nie, mich an diese zu heften, weil ich mir einen Vorteil daraus versprach.

Ich entgegnete nichts auf seinen Spruch, weil mir, was er nicht wusste, die Mädchen recht egal waren. Leider waren keine Jungs dabei, die uns nachschauten, was Jae-Joong wahrscheinlich auch nicht aufgefallen wäre.

So wäre das Thema, für welches Geschlecht er sich interessierte vom Tisch. Wir liefen gemeinsam die breite Treppe hinauf und gleichzeitig beobachtete ich, wie mehrere Securitys ihre Plätze einnahmen.

„Pass auf, gleich geht es los!“, meinte Jae-Joong.

Wir lehnten uns an die Brüstung und schauten zu, wie die Securitys gleichzeitig die Türen aufschlossen. Plötzlich wurde es richtig laut, ich hielt mir sogar die Ohren zu. Laut kreischend drängten sich die Mädchen in die Vorhalle an die Schalter.

„Wow“, konnte ich nur von mir geben.

„Lustig, nicht?“

„Ja.“

„Komm, wir gehen noch kurz in die Garderobe, ich habe Taecyeon versprochen noch Hallo zusagen und Glück zu wünschen.“

Taecyeon? Jae-Joong wollte schon etwas sagen, aber ich hielt die Hand hoch, um ihn zu bremsen.

„Halt!, warte… sag nichts“, ich überlegte, Taecyeon…, „nein, nicht Shinee…, ja 2pm oder?“

„Hundert Punkte!“

Ich strahlte. Taecyeon war auch so ein Schönling. In der Gruppe 2pm, war er der Rapper, sehr muskulös, groß gewachsen und immer Hammermäßig hauteng gekleidet. Ich folgte Jae-Joong wieder die Treppe hinunter, um in einer bewachten Seitentür zu verschwinden.

Hier war jetzt noch mehr Gedränge, als heute Morgen. Auch schwirrten neben den bekannten Boys, nun auch von den Girlsgroups Mitglieder herum. Jae-Joong blieb laufend stehen, um die Mädels zu begrüßen, stellte mich noch großzügig vor, bevor wir weiter gingen.

Eine davon kam mir bekannt vor. Sie kam uns in einem knappen weißen Kleid entgegen, gespickt mit Glitzerperlen.

„Hallo Ailee“, rief Jae-Joong, stimmt Ailee, eines ihrer Lieder hatte mir gut gefallen.

Man umarmte sich, was eigentlich für hier untypisch war, da dieses Völkchen im allgemeinen recht schüchtern war, also musste hier eine ganz besondere Freundschaft bestehen. Ailees Blick wanderte zu mir.

„Wenn hast du denn da mitgebracht?“, fragte sie.

„Das ist Lukas, unser Gast aus Deutschland.“

„Oh, hallo Lukas, ich habe schon von dir gehört. Die Jungs sprechen laufend von dir. Der mit den grünen Augen.“

„Ja, irre nicht und die sind echt, keine Kontaktlinsen“, warf Jae-Joong ein.

Ich lächelte verlegen. Man sprach also schon über mich. Die zwei unterhielten sich noch über den bevorstehenden Auftritt, während ich mich etwas umblickte. Ich konnte in sicheren Abstand Hyun-Woo entdecken.

Als er sah, dass ich ihn anblickte, kam er gleich gelaufen.

„Brauchen sie etwas?“, fragte er.

„Öhm…, wo ist denn hier die Toilette?“, fragte ich aus Verlegenheit, da mir auf die Schnelle nichts anderes einfiel.

„Dort vorne, ich zeige es ihnen.“

So ließ ich die Jae-Joong mit Ailee stehen und folgte Hyun-Woo. Er öffnete mir sogar die Tür auf der 화장실 stand, was ich als Toilette entziffern konnte.

„Danke.“

„Bitte schön, Lukas.“

Ich schien alleine zu sein. So lief ich ans Waschbecken, wusch mir die Hände und benetzte mein Gesicht etwas mit Wasser.

Als sich das Wasser wieder automatisch abstellte, nahmen meine Ohren ein leises Wimmern war. Ich schien doch nicht alleine. Leise zog ich ein Trockenpapier aus der Halterung und trocknete Gesicht und Hände ab.

Augenblicklich verstummt das Wimmern. Mein Blick fiel auf die Toilettentüren, aber keiner der Schlösser war verriegelt. Was ging mich hier das an? Das Beste war, ich ging wieder hinaus, ohne weiter nach zu schauen, woher dieses Wimmern kam.

Andererseits war es nicht meine Art, wenn es jemand nicht gut ging, nicht zu helfen. Ich wollte mich gerade bücken, um nach zuschauen, ob in irgendeiner Toilette jemand saß, als die Tür zum Flur aufging und zwei Männer hereinkamen.

Ich verbeugte mich kurz und verließ die Räumlichkeiten. Vor der Tür stand nicht anders zu erwarten Hyun-Woo.

„Jae-Joong ist schon vorgegangen.“

Ich schaute mich um, ob jemand in unserer Nähe stand.

„Meinst du, es wäre arg unhöflich, ihm nicht zu folgen?“, flüsterte ich leise.

Hyun-Woo schaute mich kurz an.

„Es wäre unhöflich seinen Gastgeber nicht zu folgen“, kam es ebenfalls leise zurück.

Irgendwie war ich jetzt froh, Hyun-Woo an meiner Seite zu haben. Die Umgangsformen hier waren mir zwar von meiner Mutter eingebläut worden, aber ab und zu war ich mir eben unsicher, was ich machen sollte.

„Danke“, meinte ich leise.

Hyun-Woo strahlte und wies mir den Weg. Als wir losliefen, öffnete sich erneut die Tür zur Toilette und ich schaute mich automatisch um. Ein Typ in meinem Alter, oder älter, ich hatte schon gemerkt, dass die Leute hier im Allgemeinen schlecht zu schätzen waren, lief an uns vorbei.

Deutlich konnte ich seine roten Augen sehen. Hyun-Woo verbeugte sich leicht.

„Das war der Sohn des Präsidenten von KBS“, flüsterte er leise.

Ich hielt Hyun-Woo am Arm, der darauf stehen blieb.

„Du hast seine Augen gesehen?“, fragte ich ungeniert.

„Ja…, aber es wäre unhöflich sich einzumischen. Ich habe nicht die Stellung So-Woi einfach anzusprechen.“

„Das ist mir zu kompliziert! Wenn es jemand nicht gut geht, sollte man doch helfen, egal welcher Stand er angehört.“

„Lukas“, flüsterte Hyun-Woo wieder, „ein gut gemeinter Rat. Hier in Korea, aber generell auch in Asien, muss man sein Gesicht wahren. Wenn ich ihn, als Unterstellter aus diesem Grund anspreche, könnte er vor den anderen sein Gesicht verlieren.“

„Und das soll nicht sein…, ich verstehe.“

„Aber, wenn sie…“

„Ich?“

„Sie können sich als Gast mehr heraus nehmen, weil sie aus einem anderen Land stammen. Ihnen wird niemand krumm nehmen, wenn sie so etwas machen.“

„Aha.“

Mittlerweile war dieser So-Woi verschwunden und die Sache hatte sich vorerst erledigt.

„Hier entlang“, meinte Hyun-Woo und ich folgte ihm weiter.

Wenig später, einige verwirrende Gänge weiter, öffnete Hyun-Woo mir eine Tür und ich trat ein. Es war die Garderobe für die männlichen Teilnehmer der Show. Der Raum war lang. Eine Seite war mit Spiegeln besetzt, davor Tische, die voll mit allerlei Kosmetika standen, davor jede Menge besetzte Stühle. Gegenüber standen Sofas, ebenfalls voll besetzt.

Ich konnte Jae-Joong im hinteren Drittel entdecken und beschloss einfach zu ihm zu gehen. Doch je mehr ich mich umschaute, umso mehr mir bekannte Gesichter tauchten auf. Mir wurde bewusst, dass ich gerade hier im Raum der bekanntesten Showgrößen der männlichen Gattung von Korea war.

Leicht eingeschüchtert, zwängte ich mich zu Jae-Joong, immer wieder leicht verbeugend und Sil-lye-ham-ni-da (Entschuldigung) sagend, bis ich endlich direkt neben ihm stand. Vor ihm saß in Leder bekleidet, Taecyeon.

Taecyeon schaute zu mir, worauf Jae-Joong seinem Blick folgte.

„Hi Lukas, darf ich dir Taecyeon vorstellen?“

Der Genannte stand sogar auf und überragte mich um einen halben Kopf.

„Hallo“, meinte ich leicht verschüchtert, verbeugte mich leicht und streckte meine Hand aus, die dann kräftig geschüttelt wurde.

„Du bist also der Deutsche“, sagte Taecyeon und lächelte dabei, Jae-Joong hat mir schon einiges von dir erzählt.“

Erzählt? Was denn? So lange kannten wir uns doch noch gar nicht. Jae-Joong schien zu merken, dass es mir peinlich war, hier zu sein.

„Wir gehen dann mal zu unseren Plätzen“, meinte er.

„Sehen wir uns nachher noch?“, fragte Taecyeon.

„Ja, kein Problem.“

„Ach Lukas, ich möchte dir noch meine Tante vorstellen, Seung-Hyuns Frau. Er zog mich zu einer Frau, die gerade Dong Hea das Gesicht puderte.

„Tae-Hee, das ist Lukas, du hast ihn noch nicht gesehen.“

Tae-Hee drehte sich zu uns um. Sie schüttelte mir die Hand, verbeugte sich leicht.

„Wir werden uns sicher morgen zu Hause sehen“, meinte sie, bevor sie wieder ihre Arbeit aufnahm.

Wir verabschiedeten uns, was bei der Menge an Menschen eine Verneigerei nach sich zog, dass es mich schon fast nervte. An der Tür stand Hyun-Woo, der uns auch dann die Tür öffnete.

*-*-*

Ein Moderatorenpaar führte durch die Sendung, sagte Gruppen und Sänger an, interviewte Gäste und rief immer wieder zu Spenden auf. An das Gekreische, wenn Boys oder Girls Groups auftraten konnte ich mich nicht gewöhnen.

Ständig wurden die Namen der singenden Personen gerufen. So wusste ich zwar gerade, wer da sang und tanzte, aber ab und zu war es so laut, dass ich die Musik fast nicht mehr hörte. Der Abend neigte sich dem Ende und es hatte sich eine stattliche Summe gesammelt.

Ein großer Scheck wurde obligatorisch einem Professor der hiesigen Universitätskliniken überreicht. Zum Schluss kamen noch einmal alle Mitwirkenden auf die Bühne. Eine Menge Blumensträuße wurden verteilt und die Moderatoren sagten ihre letzten Worte.

Unter tosendem Beifall ging die Sendung zu Ende. Auf den großen Monitoren lief der Abspann. Das Licht im Stadion wurde hoch gefahren und die Leute begannen zu gehen. Auch die Bühne leerte sich.

Mein Kopf war voller neuer Eindrücke und nicht mehr ganz aufnahmefähig. So merkte ich auch nicht recht, dass mich Jae-Joong zum Ausgang zog. So rempelte ich mit jemand zusammen und kippte auf einen der Sitze.

„Entschuldigung“, hörte ich hinter mir.

„So-Woi, ich habe dich gar nicht gesehen“, hörte ich Jae-Joongs Stimme.

„Hallo Jae-Joong.“

Mittlerweile hatte ich mich wieder aufgerichtet.

„Es ist nicht passiert“, meinte ich und zupfte mein Jackett zu recht.

„Lukas, das ist So-Woi, Sohn des Präsidenten von KBS.“

Wir schüttelten uns die Hände und verbeugten uns leicht. Ich sah ihm an, dass es ihm nicht recht war, da ging es ihm wie mir. Ob er wusste, dass ich es war, der ihn in der Toilette hörte. Aber das konnte nicht sein, denn er hatte mich nicht gesehen.

Doch als Hyun-Woo mir die Tür der Toilette aufhielt hatte er meinen Namen laut und deutlich gesagt.

„Kommst du noch mit?“, fragte Jae-Joong, „die Jungs und Mädels machen noch ein Party.“

„Ich weiß nicht, ob das meine Vater recht wäre“, antwortete Si-Woi.

„Ach komm, dein Vater wird mit den anderen Managern ihren Erfolg feiern, warum solltest du dich dann nicht auch amüsieren.“

Jae-Joong hängte sich bei So-Woi unter und zog ihn einfach zum Ausgang, ohne dessen Entscheidung abzuwarten. Es kam wohl nicht jeder mit diesem Energiebündel von Frohnatur zu recht.

Hyun-Woo machte eine einladende Bewegung, den beiden zu folgen. So tat ich es.

*-*-*

Ich saß etwas abseits an einem Tisch und schaute dem bunten Treiben zu. Die Tanzfläche war voll und laut schallte die Musik durch den Raum. Und Jae-Joong mittendrin. Ihm schien das sehr zu gefallen.

Zwischenzeitlich tauchte er immer wieder mal am Tisch auf, um etwas zu trinken, aber gleich wieder danach auf die Tanzfläche zurück zukehren. Hyun-Woo konnte ich nirgends entdecken, dafür aber So-Woi am Nachbartisch, ebenfalls alleine sitzend.

Ich nahm allen Mut zusammen, schnappte mir mein Glas und wollte aufstehen, um zu ihm zu gehen. Da kamen aber zwei Girls, die sich zu ihm setzen und auf ihn einredeten. Unsere Blicke trafen sich und ich bemerkte seinen flehenden Blick.

Ich atmete tief durch und stand auf. Zwei Schritte und ich stand an seinem Tisch.

„He, So-Woi, du wolltest mir noch etwas zeigen“, sagte ich, als würden wir uns schon ewig kennen.

„Ja, klar… ihr entschuldigt“, sprach er zu den Mädchen, stand ebenfalls auf und zog mich aus dieser Musikhölle.

Als die schwere Stahltür hinter uns ins Schloss fiel, lehnte sich So-Woi erst einmal gegen die Wand.“

„Ist alles in Ordnung?“, fragte ich höflich, aber auch besorgt.

„Ja…, danke dass du mich da heraus geholt hast.“

„Nicht dafür!“, lächelte ich.

Er schaute mich an, griff nach meiner Hand und zog mich aus dem Gebäude. Frische Luft schlug mir entgegen, was gut tat, aber es fröstelte mich auch etwas. Auf dem Parkplatz konnte ich Hyun-Woo ausmachen, der an unserem Wagen stand.

„Entschuldige, ich bin solche Menschenaufläufe nicht mehr gewohnt.“

„Müsstest du, als Sohn des Präsidenten, das nicht gewohnt sein?“

Er schaute mich etwas vorwurfsvoll an.“

„Sorry, ich wollte dir nicht zu Nahe treten“, entschuldigte ich mich gleich.

„Nein…, ich war bis vor kurzen in Amerika und habe dort ein sehr zurück gezogenes Leben geführt.“

„Amerika?“, fragte ich einfach um das Gespräch am Laufen zu halten.

„Ja, ich studiere dort Betriebswirtschaft, …oder studierte…“, schob er leise nach.

Fragend schaute ich ihn an.

„… ich habe abgebrochen…“

„Warum, wenn ich fragen darf?“

„Weil es nicht das ist, was ich machen möchte.“

„Und was möchtest du gerne machen?“

„Modedesigner…“

„Dann studier doch das.“

Wieder kam ein vorwurfsvoller Blick. Ich sah das Problem nicht, man konnte doch alles studieren.

„Du kennst meinen Vater nicht…“

Wieder dieses leidige Thema Vater. Also ich verstand mich mit meinem Vater eigentlich recht gut. Schien hier eine Volkskrankheit zu sein, böse Väter zu haben.

„Weiß er, dass du abgebrochen…“

„Nein…!“

Darauf sagte ich nichts.

„Er will, dass ich in seine Fußstapfen trete…“

„Und das willst du nicht.“

Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Der Zeitunterschied zu nach Hause machte sich bemerkbar und ich musste gähnen.

„Langweile ich dich?“

„Sorry, aber ich habe mich noch nicht so recht an die Zeitumstellung gewöhnt, ich bin erst gestern aus Deutschland angekommen.“

„Aha.“

Wie als hätte Hyun-Woo gehört, was ich sagte, tauchte er plötzlich neben mir auf.

„Soll ich sie nach Hause bringen?“

Ich spürte, dass es besser war und Jae-Joong war mir im Augenblick egal. Bei diesem Energiebündel konnte ich nicht mithalten, noch nicht. So nickte ich Hyun-Woo zu.

„Willst du mitfahren?“, fragte ich So-Woi.

„Nicht nötig“, meinte er und hob nur kurz die Hand.

Sekunden später fuhr wie aus dem nichts eine schwarze Limousine vor.

„Man trifft sich vielleicht wieder…und danke noch mal, gute Nacht“, meinte er, lief zu dem Wagen und stieg ein.

Als der Wagen losfuhr, schaute mich Hyun-Woo fragend an.

„Ist vielleicht besser so“, meinte ich und folgte ihm zu unserem Wagen.

*-*-*

Eingeschlafen war ich schnell, ich bekam auch nicht mit, dass Jae-Joong nach Hause kam, dafür wachte ich recht früh auf, draußen wurde es gerade hell. Ich hörte leise Schnarchtöne, die von Jae-Joong stammen mussten.

Langsam aufrichtend, fuhr ich mir durchs Gesicht und die Haare. Der Abend kam mir wieder in den Sinn und an das komische Verhalten von So-Woi erinnerte ich mich auch wieder. Ich schüttelte den Kopf.

Halt dich daraus, dass ist nicht deine Angelegenheit. Ich atmete tief durch und merkte, dass ich leicht roch. Eine Dusche war angesagt. Mühsam kroch ich aus meinem Bett, griff mir mein Handtuch und Shampoo und schlich leise die Treppe hinunter.

Ich stockte kurz, als mein Blick auf Jae-Joong fiel. Er lag auf dem Bauch, seine Decke war bis zu seinem Hintern herunter gerutscht, der mir nackt entgegen prangte. Ich spürte, wie dieser Anblick mich erregte und es in meiner Shorts enger wurde.

Ich schluckte hart und zwang mich ins Bad zu gehen. Dort angekommen, atmete ich erst mal tief durch. Ich wusste nicht, was plötzlich mit mir los war. Im Schwimmunterricht der Schule, sah ich ständig nackte Jungs und es erregte mich nicht.

Ich ließ meine Shorts fallen und entleerte erst einmal meine Blase, deren Druck sich auch inzwischen bemerkbar gemacht hatte. Danach stellte ich mich unter die Dusche. Das heiße Wasser lief an meinem Körper herunter und ich genoss es in vollen Zügen.

Ich schloss die Augen und ließ meine Gedanken einfach treiben. So hörte ich nicht, wie die Tür aufging.

„Nicht schlecht“, hörte ich plötzlich Jae-Joongs Stimme und fuhr zusammen.

„Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.“

Mein Blick fiel verschüchtert durch die Glastür, die Jae-Joong und mich noch trennten. Er stand direkt vor der Dusche und schaute mich frech grinsend, mit funkelnden Augen an. Das ließ meine untere Region nicht unbeeindruckt und ich spürte, wie Sturzbäche an Blut sich stauten.

Dieser Anblick ließ wohl auch Jae-Joong nicht kalt. Zaghaft öffnete er die Glastür und trat ein. Ich war außer Stande mich zu rühren. Das Klicken der Tür ließ mich aus meiner Starre erwachen.

Jae-Joong hob seine Hand und fuhr mir sanft über die Brust.

„Wow!“

„… hm?“

„Deine Haut…, sie ist so weich…“

Ich konnte nicht anders und musste lächeln. Dies schien wohl ein Zeichen für Jae-Joong zu sein, denn plötzlich legte er beide Arme um mich, zog sich zum sich und begann mich wild zu küssen.

Wohlfühlend brummend wanderten auch meine Hände auf seinen Rücken und streichelten ihn sanft. Aber was machte ich hier? Langsam drückte ich Jae-Joong von mir weg.

„Was ist?“, fragte er verwundert, „gefällt es nicht…?“

„Doch…!“

„Und warum machen wir nicht weiter?“, fragte er frech grinsend.

„Du bist schwul?“

„Ähm…, nein…, mir macht beides Spaß.“

„Aha…“

„Und du, auch vielseitig orientiert?“

Ich seufzte.

„Nein…, ich bin schwul.“

„Wow.“

Fragend schaute ich ihn an.

„Ähm…, du bist mein erster richtiger Schwuler.“

„Wie meinst du das jetzt?“

„Naja, beim Militär bleibt es nicht aus, dass man ab und zu zusammen duscht und sich gegenseitig befriedigt, passiert aber nicht oft.“

„Dafür küsst du aber sehr gut.“

„Öhm…, du bist der erste, den ich küsse…“

„Ich? Warum?“

„Weil ich einfach das Gefühl hatte, dass es richtig ist“, meinte er und begann wieder an mich zu streicheln.

„Und was sagt dir dieses richtige Gefühl noch?“, fragte ich total erregt und fordernd.

Er schaute mich mit seinen großen schwarzen Augen durchdringend an.

„Das ich dich in mir spüren will“, hauchte er leise.

Ich hatte bisher noch nie mit keinem anderen männlichen Wesen geschlafen, geschweige denn überhaupt irgendwelche sexuellen Handlungen gehabt. Um so mehr war der Gedanke verlockend es mit Jae-Joong zu tun.

„Was überlegst du?“, fragte er und drückte sich dich an mich, so dass unsere Erregung hart zwischen uns stand.

„Ich habe noch nie…“

„Ich auch nicht…“

„… also ich meine…, du bist der erste Mann…“

„Ich bin dein Erster? Wow! Cool!“

Ich lächelte verlegen. Jae-Joongs Hand wanderte tiefer und umschloss mein wild pochendes heiße Stück Fleisch, was mich leise aufstöhnen ließ. Meiner Erregung erliegend gingen auch meine Hände wieder auf Wanderschaft.

Mutiger fuhren sie den Rücken hinunter, kamen an die Rundung, die vorher noch nackt auf dem Bett bewundern durfte. Meine Finger tasteten sich an die tiefste Stelle und forderten am Eingang Einlass.

Jae-Joong bäumte sich leicht auf und stöhnte mir im hohen Ton ins Ohr. Nach einem Kuss drehte er sich herum und streckte mir seinen Hintern entgegen. Mein Gehirn schaltete ab und mein Körper übernahm die Führung.

Ich suchte Einlass in seine Pforte und das warme Wasser, das unsere Körper einhüllte, tat das übrige. Ohne Schwierigkeiten glitt ich in den Tunnel meiner Begierde, was Jae-Joong erneut sich aufbäumen ließ und mit einem leisen Quicken quittierte.

„Geil“, hörte ich ihn sagen, während er sich regelrecht mir entgegen presste.

Langsam begann ich mit den Bewegungen, fuhr ein und aus. Jae-Joong drehte seinen Kopf, seine Hand wanderte zu mir und zog meinen Kopf zu einem Kuss heran. Meine Hände, die bisher auf seinem Bauch und seiner Brust ruhten, wandern nach unten, wo sie hart pochend empfangen wurden.

Ich begann zu reiben, was Jae-Joong weiter Töne der Geilheit entlockten. Meine Sorge, es könnte uns jemand hören, oder jemand kam ins Bad, ließ mich mein Tempo erhöhen. Ich spürte tief in mir das Gefühl aufkommen, wie ich es aus einsamen Stunden her kannte, aber dieses Mal war es viel intensiver.

Heftig entlud ich mich in Jae-Joong, der seinerseits zur gleichen Zeit sich gegen die Glastür entleerte. Ich weiß nicht wie lange wir so da standen, heftig atmend. Irgendwann löste sich Jae-Joong von mir und drehte sich wieder zu mir.

„Danke!“, hauchte er und besiegelte seine Dankbarkeit mit einem langen Kuss.

*-*-*

Schweigend, nur in Handtücher gehüllt, saßen wir auf Jae-Joongs Bett. Dass ihn etwas beschäftigte, bemerkte man an seinem grimmigen Gesichtsausdruck.

„Ist alles in Ordnung?“

Er schaute auf.

„Du Lukas…, es war zwar sehr schön…“

„… du willst es nicht wiederholen, weil du nicht schwul bist!“

„Nein…, so meinte ich das nicht…, es ist nur… irgendwie fühl ich mich jetzt schlecht, weil ich das mit dir gemacht habe.“

„Warum das denn?“

„Du bist schwul…“, er schaute mich an, „… wenn ich dir jetzt irgendwie Hoffnung gemacht habe…“

„Jae-Joong, wenn ich es nicht gewollt hätte, dann hätte ich dich gar nicht erst in die Dusche gelassen.“

„Aber es war dein erstes Mal…“

„Ja und?“

„Wolltest du das nicht mit jemandem machen, den du liebst?“

Ich atmete tief aus.

„Das weiß ich nicht, weil ich mir in die Richtungen noch nie Gedanken gemacht habe.“

„Du hast dir nie vorgestellt, wie dein erstes Mal ist?“

Ich schüttelte den Kopf und Jae-Joong lächelte wieder.

„Wow…, Lukas du bist ein besonderer Mensch…, ich mag dich!“

Er streckte sich zu mir herüber und umarmte mich. Nun musste ich auch lächeln.

*-*-*

„Auch einen Tee?“, fragte Jae-Joong, der sich in der Küche seiner Mutter nützlich machte.

„Ja, gerne!“

Er kam mit einer Kanne und zwei Becher zurück und setzte sich neben mich. Dabei schaute er auf die Küchenuhr.

„In zwei Stunden muss ich wieder los“, meinte er und schlürfte an seinem Tee.

„Hallo ihr zwei, ihr seid ja schon auf“, kam es plötzlich von hinten.

Wir drehten unsere Köpfe und Jae-Joongs Mutter tauchte auf.

„Nach dem Abend gestern, dachte ich, ich bekomme euch nicht aus dem Bett. Dein Vater schläft noch tief und fest, Jae-Joong.“

„Ja, ich weiß, er hat mich heute Morgen um drei mit nach Hause genommen.“

„So spät? Ich habe gar nicht mitbekommen, dass ihr um die Zeit heimgekommen seit.“

„Das wundert mich, denn Papa war sehr laut.“

Verwundert schaute ich ihn an.

„Er hat wohl etwas zu viel getrunken und ist die Treppe hinauf gestolpert.

Hyo-Joo kicherte leise, hinter vorgehaltener Hand.

„Oje, da werde ich mich heute auf etwas gefasst machen müssen, wenn er wieder Kopfschmerzen hat, da werde ich gleich eine leichte Porreesuppe kochen.“

Sie öffnete einen Schrank und setzte einen Topf auf. Ich wandte mich wieder an Jae-Joong.

„Und wie kommst du in die Kaserne?“

„Ich muss zum Bahnhof und dann mit dem Zug nach Wonju.“

„Dauert das lange?“

„Nein, ich bin eine Stunde unterwegs und zur amerikanischen Militärbasis Camp Eagle ist es dann nicht mehr weit.“

„Du bist bei den Amerikanern?“, fragte ich verwundert.

„Ja, auch ein Vorzug durch meinen Vater, es macht richtig Spaß dort und ich kann mein Englisch aufbessern.“

„Kann ich dich zum Bahnhof begleiten?“

„Hyun-Woo kann euch doch fahren“, kam es von Hyo-Joo am Herd.

„Es ist Sonntag, hat Hyun-Woo denn nicht frei heute?“, fragte ich, weil mir das wieder unangenehm war.

„Darauf musst du keine Rücksicht nehmen“, sagte Hyo-Joo.

Jae-Joong bemerkte mein Unwohlsein.

„Mutter, Lukas kennt das nicht, bei ihm zu Hause gibt es das nicht, dass sich jemand so um ihn kümmert.“

„Und wenn du irgendwo hinmusst?“, fragte sie mich.

„Es gibt Busse, oder wenn es nicht anders geht, fährt mich mein Vater, oder meine Mutter.“

„Deine Mutter hat einen Autoführerschein?“

Ich nickte.

„Sogar einen eigenen Wagen, ein kleiner, aber der reicht ihr, meint sie immer“, erklärte ich stolz.

„Aha“, kam es von Hyo-Joo.

„Ich habe dir gesagt, du sollst den Führerschein machen Mutter.“

„Ach was. Da hat dein Vater etwas dagegen.“

„Warum?“, rutschte es mir heraus, was ich sofort bereute.

„Ach mein Vater meint, dass wäre unnötig, wenn sie wohin möchte, wird sie gefahren.“

Darauf konnte ich nichts sagen. Mir wurde nur bewusst, wie frei meine Mutter sich fühlen musste, denn dies hier war ihr sicher nicht unbekannt.

„Ich geh dann mal hoch und packe meine Sachen“, meinte Jae-Joong.

„Warte, ich komme mit.“

*-*-*

Wir umarmten uns zum Abschied. Etwas lange, denn es hüstelte hinter uns. Hyun-Woo natürlich, aber er hatte Recht, denn es kamen noch andere Soldaten auf den Bahnsteig. Jae-Joong schulterte seinen Kleidungssack und bestieg den Waggon.

Im Abteil angekommen, öffnete er das Fenster.

„Meinst du, du kommst die nächsten zwei Wochen ohne mich aus?“, fragte er grinsend.

„Klar, ich habe ja Hyun-Woo, der passt schon auf mich auf!“, grinste ich zurück.

„Na dann…“

„Ist noch etwas?“

„Hättest du Lust mich in zwei Wochen aus der Kaserne abzuholen, denn ich denke meine Eltern haben keine Zeit.“

Ich schaute kurz zu Hyun-Woo, der mir zunickte.

„Wenn ich dir damit einen Gefallen tun kann, selbstverständlich.“

„Danke, das wäre toll.“

„Dann bis in zwei Wochen!“

Er streckte seinen Arm aus und schüttelte mir nochmals die Hand.

„Bis in zwei Wochen!“

Ein Pfeifton ertönte und der Zug setzte sich in Bewegung. Jae-Joong winkte uns zu und wir schauten ihm nach. Ich stand noch eine Weile und sah dem Zug nach. Ich musste mir eingestehen, dass ich Jae-Joong zwar erst ein Wochenende kannte, er mir aber schon sehr ans Herz gewachsen war.

Er fehlte mir jetzt schon.

„Soll ich sie zurück bringen?“, hörte ich Hyun-Woos Stimme hinter mir.

Ich atmete tief durch, drehte mich zu ihm herum.

„Wir sind alleine!“

„Äh… ja?“

„DU!“

„Was?“

„Wir haben abgemacht, wenn wir alleine sind, sagst du, du zu mir!“

„Ach so… jetzt verstehe ich. Soll ich DICH nach Hause bringen.“

„Nein!“

„Hä…?“

Ich musste über Hyun-Woos fragenden Gesichtsausdruck lachen.

„Ich habe im Internet zu Hause einiges an Musikvideos euer Gruppen gesehen und da gibt es eine Stelle in Seoul, am Han-River unter einer großen Brücke…“

„Ah, ich weiß welche Stelle du meinst…, da möchtest du hin?“

„Gerne, wenn es möglich ist.“

„Klar“, meinte Hyun-Woo und wies mir den Weg zur Treppe.

*-*-*

„Ist das schön hier!“, meinte ich und lehnte mich an das Gatter.

Mein Blick wanderte am gegenüberliegenden Ufer entlang und ich glaubte mich zu erinnern, diesen Ausblick wirklich zu kennen. Im Hintergrund über der Stadt sah ich einen Flieger aufsteigen und ich erinnerte mich an eine Meldung im Radio, die ich zuvor gehört hatte.

„Liegt Seoul wirklich knappe fünfzig Kilometer von Nordkorea weg?“

„Ja, bis zur demilitarisierte Zone sind es ungefähr fünfzig Kilometer.“

„Hattet ihr da keine Angst…, die letzten Wochen, meine Eltern wollten mich fast nicht fliegen lassen, bis sie mein Lehrer beruhigte.“

„Eigentlich nicht, wir sind es gewohnt, dass die Kim-Familie immer wieder sich aufspielt und gerade der Sohn Kim Jong-un, will sich wieder mal beweisen, obwohl er es nicht nötig hat, denn an den wichtigsten Stellen der Führung sitzen ebenfalls Familienmitglieder…, Onkel und Tanten, die er nicht zu beeindrucken braucht.“

„Aber die ganze Waffen, es wurde sogar von Atomwaffen gesprochen.“

„Die sie nie einsetzten werden können, sonst wäre es irgendwie… Selbstmord.“

„Wie meinst du das?“

„Der große Bruder China, versorgt Nordkorea zu 75% mit Nahrungsmitteln und fast 95% des Energiebedarfs, wird durch China abgedeckt. Du hast sicher mitbekommen, das China über dieses Aufbegehren nicht begeistert war.“

Ich nickte.

„Wenn China also den Hahn zudrehen würde, wäre es um Nordkorea geschehen.“

„Und warum hat China das nicht gleich gemacht, dann wäre es doch nie so weit gekommen.“

„Ganz einfach…, wegen den Amerikanern.“

„Das verstehe ich jetzt nicht, was hat das mit den Amerikanern zu tun?“

Hyun-Woo lehnte sich neben mich ans Geländer und schaute aufs Wasser hinaus.

„Ganz einfach, wenn China, den Hahn zudrehen würde, könnte Nordkorea dicht machen und Südkorea würde dann zur Hilfe eilen.“

„Das wäre doch gut, oder?“

Hyun-Woo grinste.

„Wo ist Jae-Joong gerade hingefahren?“

„In die Kaserne…, aber was hat das jetzt mit Nordkorea zu tun?“

„In was für eine Kaserne?“

„In die amerikanische…, ich weiß nicht mehr, wie sie heißt.“

„Eben, die Amerikaner sind bei uns im Land und wenn die Südkoreaner, den Nordkoreaner helfen…“

„… ach so, dann würde Amerika natürlich auch helfen.“

„Ja und China hätte die Amerikaner direkt an seiner Grenze, was bisher Nordkorea unterbindet.“

„Man ist das kompliziert!“

Hyun-Woo nickte. Ich schaute ebenfalls wieder aufs Wasser.

„Soll ich Mrs. Choi in Kenntnis setzten, dass du zum Mittagessen nicht da bist?“

Ich schaute zu ihm.

„Wieso?“

„Weil es bald Zeit ist und wir sicher nicht mehr pünktlich zurück kommen.“

„Meinst du, sie ist arg verärgert, wenn ich nicht da bin?“

„Ich denke nicht, sonst hätten sie mich ja nicht dir zur Seite gestellt.“

„Okay…, dann möchte ich noch etwas hier bleiben.“

„Gibt es noch etwas, was du gerne sehen möchtest?“

„Ich weiß nicht, ich kenne mich in Seoul nicht aus.“

„Da wüsste ich etwas, was dir gefallen könnte.“

„Okay, ich vertraue dir da voll und ganz.“

Wenig später saßen wir wieder im Wagen und dieses Mal saß ich bei ihm vorne. Wir überquerten die Banpo – Brücke, wie ich lesen konnte und kamen auf die andere Seite des Han-Rivers.

„Hier musst du unbedingt einmal abends herkommen. Die Brücke verfügt über ein Düsensystem und ist mit über einem Kilometer, das längste Wasserspiel der Welt, wir stehen sogar im Guinness Buch der Rekorde.“

„Sieht sicher cool aus.“

„Ja besonders nachts, da werden die Fontänen angestrahlt, das wirkt dann wie ein Regenbogen.“

Wir waren eine Weile unterwegs und mir wurde bewusst, wie groß Seoul wirklich war.

„Wie viele Einwohne hat Seoul eigentlich?“

„Die Stadt selbst knapp zehn Millionen, mit der verbunden Region ca. vierundzwanzig Millionen.“

„Wow! Und wo bringst du mich jetzt hin?“

„Zum Namsan Berg, der mitten in Seoul liegt.“

„Was gibt es da Besonderes zu sehen?“

„Auf dem Namsan-Berg liegt der Fernsehturm von Seoul und mit seinen 218 Metern kannst du ganz Seoul überblicken.“

Hyun-Woo hatte nicht zu viel versprochen. Ich hatte einen atemberaubenden Rundumblick über Seoul und heute hatte ich besonders Glück, weil man durch das schöne Wetter weit sehen konnte.

Am späten Mittag trafen wir vor dem Haus der Chois ein. Hyun-Woo liefert mich vor der Eingangstür ab. Er verabschiedete sich mit einer Verbeugung und war schnell verschwunden. Später, am Abend, erzählte ich von meinen Eindrücken und was ich alles gesehen hatte.

Mir fiel gleich auf, dass der Herr des Hauses nicht zu gegen war, aber keiner verlor ein Wort darüber.

*-*-*

Warum ich am Morgen wieder recht früh wach wurde, wusste ich nicht. Ich richtete mich etwas auf und schaute zum Fenster hinaus. Hier konnte ich einen Garten sehen, von dem ich bisher nichts wusste, auch nicht von dem kleinen Pool in Mitten des Gartens.

Ich hatte Einblick in die Gärten der Nachbarhäuser und da das Haus etwas erhöht stand, auch über das ganze Viertel. Ich raufte mir durch die Haare und beschloss aufzustehen. Nach dem ich das Bad durchlaufen hatte, zog ich mich an.

In Deutschland musste es jetzt so elf Uhr abends sein, wir hatten ja sieben Stunden Unterschied. So holte ich mein Laptop hervor und fuhr es hoch. Ich suchte nach dem Zettel, den mir Jae-Joong dagelassen hatte, damit ich das Passwort zum häuslichen Internet nutzen konnte.

Schnell war eine Verbindung hergestellt. Ich öffnete meinen Messenger und sah gleich, dass meine Schwester online war. Ich tippte sie an und es dauerte nur Sekunden, da antwortete sie schon, besser gesagt, es öffnete sich ein Fenster und ein Bild mit ihrem Gesicht baute sich auf.

„Lukas, bist du es wirklich?“, dröhnte es aus meinen Lautsprechern, so dass ich gleich die Lautstärke herunter regelte, um niemand im Haus zu stören.

„Ja, bin ich, hallo Mia.“

„Mama… Papa… kommt schnell, Lukas ist on!“

Ich musste lachen.

„Warum bist du noch nicht im Bett?“, fragte ich Mia.

„Hallo? Ich bin sechzehn Jahre alt und soll schon um elf im Bett liegen? Wie viel Uhr ist es bei euch eigentlich?“

„Sechs Uhr morgens.“

„Bist du krank, oder warum bist du so früh wach?“

Im Hintergrund sah ich meine Eltern ins Zimmer kommen.“

„Weiß nicht, bin einfach aufgewacht. Hallo Mama… hallo Papa“, sagte ich winkend.

„Hallo mein Junge. Bist du gut angekommen und aufgenommen worden?“, fragte meine Mutter besorgt.

„Keine Sorge Mum, die Chois sind sehr nett, ich habe hier ein Zimmer mit dem Sohn des Hauses zusammen und gestern war ich sogar schon auf einer Benefizveranstaltung für Krebskranke Kinder und habe lauter Berühmtheiten persönlich kennen gelernt.“

„Respekt Sohnemann, da hast du ja schon einiges erlebt. Und das ist wirklich in Ordnung für dich, mit dem Zimmer des Sohnes?“

Klar wussten meine Eltern über mich Bescheid, deswegen war die Frage meines Vaters auch verständlich.

„Ja, kein Problem, das Zimmer ist zwei geteilt. Ich habe hier oben auf der Empore mein Reich, während Jae-Joong unten den Teil bewohnt, besser gesagt, zurzeit ist er noch bei der Armee und somit alles mein Reich“, grinste ich.

„Freut mich, dass es dir gefällt und wie sind die Chois?“

„Sehr, sehr nett und die Küche ist auch hervorragend, schmeckt fast so gut wie zu Hause.“

Meine Mutter musste grinsen.

„Mister Choi hat sogar extra, nur für mich jemand abgestellt, der mich überall hin bekleidet und mir weiter hilft, wenn ich Probleme haben sollte.“

„Boah Mum, der hat einen Diener, wo gibt es denn so etwas?“

„Also ich würde Hyun-Woo nicht als Diener bezeichnen!“, meinte ich ernst, während meine Eltern grinsten.

„Und dir geht es wirklich gut?“, fragte meine Mutter erneut.

„Ja Mum, keine Sorge, mir geht es wirklich gut. Wenn ich von der Veranstaltung Bilder bekommen sollte, schicke ich sie euch per Email. Ich mach jetzt wieder Schluss, bevor hier im Haus noch jemand von Mias Gebrüll wach wird.“

„Wach wird?“ Wie viel Uhr ist es bei euch denn?“

„Sechs Uhr morgens“, antworte anstatt meiner, meine liebe Schwester.

„Du? So früh wach?“, kam es lachend von meinem Dad.

„Da habe ich auch schon gefragt“, sagte Mia.

„Ich bin halt einfach aufgewacht, hab mich fertig gemacht und da kam mir die Idee mal nach zuschauen, ob ich jemanden von euch im Internet antreffe.“

„Das ist lieb mein Junge.“

„Du Mum, die Chois haben schon nach meiner Familie hier gefragt…“

„Lukas, ich habe dir schon gesagt, du kannst sie ruhig ausfindig machen, wenn du möchtest, erwarte aber nicht zu viel von ihnen…, ich weiß nicht wie sie auf dich reagieren werden.“

„Kein Problem Mum, notfalls kann ich ja Hyun-Woo vorschicken.“

„Wen?“

„Seinen Diener!“, war mein Schwesterchen ein.

„Er ist nicht mein Diener, er ist ein Assistent von Mr. Choi, der für mich abgestellt wurde…, so ist es mir auf alle Fälle erklärt worden.“

„Okay, Sohnemann, wir verabschieden uns, ich wünsch dir was und benimm dich!“

„Ich heiße ja nicht Mia!“

Während sich meine Schwester künstlich aufregte, verabschiedete ich mich lachend von meinen Eltern. Ich verließ das Programm und durchstöberte noch meine Mailbox.

*-*-*

Am Frühstückstisch wurde heute nichts gesprochen, was mich bei dem Mitteilungsbedarf dieser Familie wunderte. Auch das Seung-Won, wie gestern Abend, nicht zu gegen war, empfand ich als komisch.

Nach und nach verabschiedeten sich die Familienmitglieder am Frühstückstisch und ich war mit Jae-Joongs Mutter alleine.

„Hast du heute schon etwas Besonderes geplant?“, fragte sie mich, während sie das Geschirr abräumte.

Ich stand auf und half ihr dabei.

„Oh Lukas, das brauchst du nicht zu tun.“

„Zu Hause helfe ich meiner Mutter auch sehr oft in der Küche.“

„Fehlt sie dir?“

„Etwas, wie meine ganze Familie, aber ich hatte die Möglichkeit mich heute Morgen mit ihnen kurz zu unterhalten.“

„Du hast mit ihnen telefoniert?“

„Nein“, meinte ich, „per Internet konnte ich meine Schwester erreichen, die die beiden dann dazu rief und per Camverbindung konnte ich sie auch sehen.“

„Das ist schön.“

Ich dachte kurz an das, was meine Mutter gesagt hatte, in Bezug auf meine hiesige Familie.

„Meine Mutter meinte, ich könne, wenn ich wollte, ruhig nach meinen Familienangehörigen suchen.“

Hyo-Joo hielt inne und sah mich an.

„Willst du denn?“

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Meine Mutter meinte auch, dass die Familie auch mit mir vielleicht nichts zu tun haben will.“

„Wie lange ist deine Mutter nun schon weg von Korea?“

„Fast neunzehn Jahre, wie ich das verstanden habe. Meine Eltern müssen unmittelbar vor meiner Geburt nach Deutschland gegangen sein.“

„Denkst du nicht, dass sich in neunzehn Jahren nicht etwas verändert haben könnte?“

„Das ist es, was ich eben nicht weiß. Ihr Land hat so viele Traditionen und Regeln, die sehr hoch gehalten werden, deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass sich etwas geändert hat und ich vielleicht ebenso unwillkommen bin.“

„Wenn du es nicht ausprobierst, wirst du es nicht wissen.“

Ich nickte, halb im Gedanken versunken.

„Ich…, ich weiß ja nicht mal wo ich anfangen soll zu suchen. Meine Mutter konnte, oder wollte mir keine Daten geben.“

„Probier es auf dem Registeramt, da kannst du nach ihnen suchen.“

„Registeramt?“

„Ja, da kannst du sehen wer wo lebt, verheiratet… Kinder hat, alles ist dort eingetragen.“

„Kann ich da einfach so hingehen? Ich meine, es gibt doch sicher Datenschutz und es ist nicht alles zugänglich.“

„Du suchst nach deiner Familie…, wie vorhin gesagt, probiere es einfach.“

*-*-*

„Guten Morgen, Hyun-Woo.“

„Guten Morgen Lukas, ich hoffe sie konnten gut schlafen.“

Ich stellte den Kopf schräg und schaute Hyun-Woo durchdringend an. Er atmete tief durch.

„Entschuldige, hast … DU gut geschlafen.“

„Ja danke“, lächelte ich.

Er öffnete mir die Tür des Wagens und ich stieg ein. Danach umrundete er das Fahrzeug und gesellte sich zu mir in den Wagen.

„Wo soll es heute hingehen?“

„Mrs. Choi sagte etwas von einem Registeramt, wo ich über den Verbleib meiner hiesigen Familie erfahren könnte.

„Mr. Choi hat mir schon so etwas angedeutet“, er startete den Motor, „wir brauchen den vollen Namen deiner Mutter, dann könnten wir vielleicht etwas heraus bekommen.“

Mir wurde bewusst, dass hier im Land, so wie wo anders, es nur mit Verbindungen ging. Ich hatte das Glück, die Verbindung zu Mr. Choi zu haben, was mir vielleicht die eine oder andere Tür öffnen würde.

„Min-jia Park heißt… hat sie vor ihrer Heirat mit meinem Vater geheißen.“

„Okay, das ist doch schon ein Anfang.“

Er drückte einen Knopf am Lenkrad und erst jetzt sah ich, dass Hyun-Woo verkabelt war. Er sprach so leise, dass ich fast nicht verstehen konnte, was er sagte. Nur als der Namen meiner Mutter fiel, schaute ich ihn direkt an.

Zum ersten Mal schaute ich ihn mir genauer an. Seine Ohren schienen recht groß und abstehend, aber durch die etwas länger getragenen Haare waren sie verdeckt und es schien so als würde es so gehören.

Die schwarzen Haare waren leicht nach vorne ins Gesicht gekämmt und die Spitzen zogen dicht über den Augenbraun eine leichte Kurve nach rechts, was die tiefbraunen Augen sehr betonte, die aufgeregt hinter der schmalen, der Augenform angepassten Brille blinzelten.

Gegen die etwas größere Nase wirkte sein Mund schmal und auch etwas blass. Seine Haut hatte einen leicht dunklen Teint und war glatt. Das Gespräch schien beendet, denn erneut drückte Hyun-Woo den Knopf und schaute zu mir herüber.

„Hong-Lee wird uns verständigen, wenn er etwas gefunden hat.“

„Wer ist Hong-Lee.“

„Ähm, so zusagen ein weiterer Assistent deines Gastgebers.“

„Hyun-Woo, ich möchte nicht, dass ihr alle zu meinen Zwecken eingespannt werdet, ihr habt bestimmt Besseres zu tun.“

„Lukas, gewöhne dich bitte daran. Du bist hier in Korea und unsere Gastfreundschaft ist sehr hoch angesiedelt. Einen Wunsch zu erfüllen, bedeutet uns sehr viel.“

„Ja, das verstehe ich ja auch, aber trotzdem ist es mir irgendwie peinlich, dass ihr das macht.“

„Wie gesagt, es ist für uns normal, so etwas zu tun. Also bitte mach dir darüber keine Gedanken. Hast du irgendeinen Wunsch, wohin du möchtest, es wird sicher etwas dauern, bis Hong-Lee sich wieder bei uns meldet.“

Mir fiel So-Woi ein, dessen schnellen Abgang nach dem Fest sich bei mir eingebrannt hatte.

„Einen Wunsch direkt nicht, ich sehe hier auch so sehr viel.“

„Das hört sich an, als würdest du doch etwas auf dem Herzen haben.“

Ich wusste nicht, ob ich es einfach direkt sagen sollte. Ich atmete tief durch und sah zu ihm hinüber.

„Es ist wegen So-Woi gestern, dass geht mir nicht aus dem Kopf. Wir haben uns ein wenig unterhalten und erfuhr den Grund, warum er so traurig war.“

„Konntest du ihm helfen?“

„Ehrlich gesagt…, ich wüsste nicht mal Ansatzweise, wie ich bei so einem Problem helfen könnte.“

„Mir steht es nicht zu, danach zu fragen, welche Probleme So-Woi hat, aber wie meine Großmutter immer sagt, es gibt immer eine Lösung, man muss nur lange genug danach suchen.“

„Was sagt dein Vater zu deiner Arbeit?“

„Mein Vater ist leider gestorben, als ich zehn Jahre alt war.“

„Das tut mir Leid, Hyun-Woo, entschuldige, dass ich gefragt habe.“

„Kein Problem, aber um deine Frage zu beantworten, ich denke, mein Vater wäre stolz auf mich, dass ich es so weit gebracht habe. Du musst wissen, ich komme vom Land, da sind die Chancen, einen solchen Beruf zu bekommen, nicht sehr rosig. Aber, wenn eine Gegenfrage erlaubt ist, warum frägst du nach meinem Vater?“

„Weil es hier generell irgendwie um die Väter geht. Jae-Joong will nicht im Schatten seines Vaters stehen. So-Woi hat…, er hat sein Studium abgebrochen.“

„Er ist nicht auf Besuch da?“

Deutlich hörte ich die Überraschung in Hyun-Woos Stimme.

„Nein, ist er nicht…, das bleibt aber bitte unter uns, denn sein Vater weiß noch nichts davon.“

„Ich verstehe. Lukas, bitte glaube mir, was zwischen uns besprochen wird, dringt nicht nach außen, außer du wünscht es.“

„Ich glaube dir das, aber es hilft mir nicht weiter.“

Hyun-Woo hatte mittlerweile einen Parkplatz angesteuert. Beide stiegen wir aus und entfernten uns beide vom Auto.

„Seit meiner Ankunft merke ich, wie verschieden unsere Kulturen doch sind. Klar hat mein Vater auch seine Wünsche für mich, aber er respektiert auch meine Meinung. Wenn es um etwas Wichtiges geht, dann reden wir darüber.“

„Aber das wird doch hier auch gemacht.“

„Naja, ich habe eher das Gefühl, das, was die Oberhäupter der Familie sagen, das gilt.“

„Das liegt an der Ehrerweisung den Älteren gegenüber.“

„Das alles hilft aber So-Woi nicht weiter…, du weißt nicht zufällig, wo man So-Woi antreffen kann?“

„Wahrscheinlich zu Hause, es ist bekannt, dass er ein Einzelgänger ist und selten das Haus verlässt, umso mehr war es verwunderlich, ihn gestern bei der Party anzutreffen.“

„Ihn besuchen…“

„Einfach so ist unhöflich, normalerweise meldet man sich vorher telefonisch an.“

„Gibt es bei euch keine Überraschungsbesuche?“

Hyun-Woo schüttelte den Kopf.

„Bei diesem Stand nicht, da ist es besser sich vorher anzumelden.“

Hyun-Woo fing plötzlich an breit zu grinsen.

„Was?“

„Ganz zufällig weiß ich, wo sich So-Woi aufhält, wenn du möchtest, kann ich dich hinbringen.“

Ungläubig schaute ich ihn an. Er senkte leicht den Kopf.

„Sein Assistent und ich sind sehr gut befreundet…“

„Aha“, meinte ich, weil ich nicht wusste, was ich entgegnen sollte.

Hyun-Woo umrundete den Wagen und hielt mir, ohne weiter danach zu fragen, einfach die Tür auf. Ich nahm seine Einladung an und bestieg den Wagen wieder. Wenig später waren wir wieder auf der Straße.

Noch ein Zeitraum später, befuhr Hyun-Woo den Parkplatz eines Parks. Dort stand noch eine weitere Limousine. Er hielt, ließ den Motor ersterben und stieg aus. Ich tat es ihm gleich. Erst jetzt merkte ich die Person an der anderen schwarzen Limousine, auf die nun Hung-Woo zusteuerte.

Ich beobachtete die beiden, wie sie sich kurz unterhielten, zu mir schauten und Hyun-Woo wieder zurück kam.

„Jack sagte mir, sein Herr befindet sich am See.“

„Jack?“

„Ja, Jack ist So-Woi’s persönlicher Bodyguard“, sagte Hung-Woo mit einem Lächeln, „die Stellung seines Vaters macht dies erforderlich.“

„Ich meinte jetzt eher den Namen Jack, er ist doch Koreaner wie du.“

„Jack ist in Amerika aufgewachsen, daher sein Name, den Koreanischen benutzt er nicht.“

„Okay und wo finde ich So-Woi, wie du ja weißt, ich kenne mich hier nicht aus, also weiß ich nicht, wo der See ist.“

„Den Weg dort entlang“, zeigte mir Hyun-Woo auf den Eingang, „und du kannst den See überhaupt nicht verfehlen.“

„Danke… öhm… müsste Jack nicht als Bodyguard bei Si-Won sein?“

„Sie sind per Funk verbunden…“

„Aha…, dann bin ich wohl nun auch angemeldet.“

Hyun-Woo nickte.

*-*-*

Wie erklärt, fand ich den See am Ende des Weges. Nach kurzer Orientierung fand ich So-Woi auf einer Bank sitzend. Ich lief auf ihn zu, als er den Kopf anhob und mich ansah. Kurz vor ihm blieb ich stehen.

„Hallo So-Woi“, sprach ich leise und verbeugte mich leicht.

„Hallo… Lukas, wenn ich mich recht erinnere.“

„Ja…, kann ich mich zu dir setzten?“

„Lässt sich ja nicht vermeiden.“

Oh, da war einer mächtig angepisst, der Ton gefiel mir nicht.

„Wenn es dir lieber ist, kann ich auch lieber wieder gehen“, meinte ich und drehte mich bereits um.

„Halt…, warte… Entschuldigung, so war das nicht gemeint.“

„… und wie war es gemeint?“

Mit leicht feuchten Augen schaute er mich an. Ich machte kehrt, zog ein Tempopäckchen aus meiner Jacke und reichte es ihm.

„Danke.“

„Bitte…“, entgegnete ich und setzte mich neben ihn.

Eine Weile schaute ich auf den See, auf dem ein paar Enten ihre Bahn zogen.

„… warum bist du hier?“, fragte er plötzlich.

„Sagen wir mal…, weil ich mir Sorgen mache?“

„Du kennst mich doch gar nicht.“

„Ist das ein Grund nicht zu helfen?“

„Du kannst mir nicht helfen…, weiß ja nicht mal selbst, was ich tun soll.“

„Ist es wegen dem Abbruch deines Studiums?“

So-Woi lachte kurz auf.

„Das ist doch noch das kleinste Problem…“

„Okay…“

Er setzte sich auf und drehte sich zu mir.

„Warum kann ich nicht normal sein wie alle anderen?“

„Sorry, auf mich wirkst du ganz normal.“

„Das kann nicht normal sein… eher abstoßend.“

Meine inneren Alarmglocken ging an, diesen Wortlaut kannte ich nur zu gut, den gebrauchte ich vor zwei Jahre ebenso. Aber ich konnte mich auch irren.

„Abstoßend? Du wirkst auch nicht abstoßend auf mich, abstoßend ist nur das, was andere Leute daraus machen.“

Er schaute mich an und ich hielt seinem Blick stand.

„Nein, das kann nicht sein“, sprach er schüttelnd den Kopf.

„Was kann nicht sein.“

„Ach nichts…“

„So-Woi, ich denke, bei so einem ernsten Gespräch ist es wichtig ehrlich zu bleiben…“

„Tut mir leid, ich kann da nicht darüber reden.“

Ich atmete tief durch.

„Könnte es sein…, dass du… nicht gut mit Mädchen auskommst?“

Mir fiel im Augenblick dooferweise keine bessere Umschreibung des Problems ein. Aber ich löste eine Reaktion aus. Sein Kopf fuhr ruckartig herum.

*-*-*

Noch immer saß ich auf der kleinen Bank. Ich sah Hyun-Woo auf mich zu kommen. Nach meiner Bemerkung war So-Woi aufgesprungen und weggerannt.

„Was ist passiert?“, fragte Hyun-Woo, als er mich erreichte.

Ich seufzte laut.

„Ich glaube, ich war zu direkt und bin ihm zu Nahe getreten.“

Hyun-Woo sah mich fragend an, aber darüber wollt ich jetzt wirklich nicht mit ihm reden. Langsam liefen wir gemeinsam schweigsam Richtung Ausgang des Parks. Auch später, als wir wieder mit dem Auto unterwegs waren, fiel kein Wort.

Plötzlich ging Hyun Woos Handy los.

„Hyun Woo hier? Ja? Ja kein Problem…, ja bis gleich!“

Er drückte das Gespräch weg.

„Si-Woi möchte dich sprechen“, meinte Hyun-Woo und wendete waghalsig den Wagen.“

„War er eben das, am Handy?“

„Nein Jack…, er meinte Si-Woi wäre sehr aufgelöst und bat mich dich zu ihnen zu bringen.“

„Ich will Si-Woi nicht noch mehr kränken… weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, ich komm mir eh schon schlecht vor… war eine blöde Idee.“

„Nein, denke ich nicht Lukas…“

„Wenn du meinst, ich vertrau dir mal weiterhin!“

*-*-*

Vor einem gläsernen Hochhaus kam der Wagen zum Stehen, als Hyun-Woo und ich ausstiegen, kam gleich ein Mann gerannt, dem Hyun-Woo die Schlüssel gab. Wir betraten das Haus und Hyun-Woo lief direkt zum Fahrstuhl.

„So-Woi hat hier eine eigene Wohnung“, kam es flüsternd von Hyun-Woo.

Der Fahrstuhl öffnete sich wie von Zauberhand alleine und wir bestiegen ihn gemeinsam. Wieder machte sich Hyun-Woos Handy bemerkbar.

„Ja, Hyun-Woo hier? Ja…, danke…, ich werde es ihm mitteilen… vielen Dank! Bye.“

„Wer war das jetzt? Jack nochmal?“

„Nein das war Hong Lee, er hat die Informationen über deine hierverbliebene Geschichte zu einem Dosier zusammen gestellt und wird es ihnen nach Hause liefern.“

„OH, daran hab ich gar nicht mehr gedacht.“

Der Fahrstuhl fuhr recht zügig nach oben. Ich spürte deutlich, wie es meinen Magen nach unten drückte und erinnerte mich daran, dass ich etwas essen sollte, bevor sich eben dieser Magen lautstark bescherte.

Der Fahrstuhl bremste hat und ich schloss meine Augen, denn dieses Gefühl mochte ich nicht.

„Ist alle okay mit dir?“, fragte mich ein besorgter Hyun-Woo.

„Ich mag diese Art von schnellen Aufzügen nicht…“

„Das tut mir Leid, Lukas.“

„Muss es nicht, es geht schon wieder.“

Die Tür öffnete sich und Hyun-Woo machte eine einladende Bewegung, den Fahrstuhl vor ihm zu verlassen. Vor mir tat sich ein langer Flur auf. Alles war in weißen Farben. Nur die Pflanzen stachen mit ihrer grünen Farbe heraus.

Eine Tür wurde geöffnet und ich erkannte Jack, den Bodyguard von So-Woi. Erst jetzt fiel mir auf, wie gut der Mann gebaut war. Vom Gesicht her hätte ich ihn für zwanzig gehalten, aber er war gewiss älter.

Er verbeugte sich kurz vor uns. In seinem schwarzen Anzug sah er streng aus, was seine leise Stimme aber wieder aufhob.

„So-Woi erwartet sie“, kam es von ihm und er wies mit seiner Hand den Weg.

Hyun-Woo folgte uns. Jack blieb vor einer der wenigen Türen stehen und klopfte. Wenige Sekunden später öffnete er die Tür und wies mich an, hinein zugehen. Unsicher blickte ich zu Hyun-Woo, der mir aber nickend freundlich zulächelte.

So betrat ich unsicher das Zimmer, halt Zimmer, es war ein sehr großer Raum, abteilt durch Möbelstücke und verschiedenen Emporen. Das Klacken der schließenden Tür ließ mich leicht zusammen fahren.

Ratlos schaute ich mich um und lief Schritt für Schritt tiefer in den Raum. Er war modern eingerichtet und überaus sauber. Nichts schien dort zu liegen, wo es nicht hingehörte.

„Lukas…“, hörte ich eine Stimme und fuhr herum.

Vor mir stand So-Woi. Er hatte seine Kleidung gegen eine weite weiße Hose getauscht, über die ein viel zu großes weißes Hemd locker herunter hing. Dieses Hemd hätte ich von der Größe her, eher Jack gepasst.

„Lukas…, es tut mir Leid…!“

„Hä…“, rutschte mir heraus.

So-Woi sah mich mit großen Augen an.

„… warum entschuldigst du dich bei mir…, ich bin dir zu Nahe getreten, mich in Dinge gemischt, die mich nichts angehen.“

„Du… wolltest helfen.“

Ich senkte den Kopf.

„Ich denken, ich bin keine große Hilfe.“

„Du bist außer Jack, der einzige Mensch, der sich anscheinend Gedanken um mich macht. Ich entschuldige mich deswegen bei dir, weil ich vor dir weggerannt bin und so etwas tut man nicht…“

„Du hast einen Grund gehabt.“

„… aber es gehört sich eben nicht, so zu reagieren, wie ich reagiert habe.“

Deutlich sah ich an seinen Augen, dass er geweint haben muss.

„Lassen wir es einfach dabei…, bitte?“, bat ich.

Er nickte und lief an mir vorbei, an die große Sitzgruppe. Dort angekommen, drehte er sich wieder zu mir.

„Woher…?“

„Was“, fragte ich verwundert, „was woher…, was meinst du?“

„Woher du es weißt…?“

Es machte klack in meinem Kopf.

„Ich habe es vermutet…“

„Vermutet?“, er setzte sich und winkte mich zu sich, „das verstehe ich nicht.“

Ich lief zu ihm und setzte mich auf eines der Couchelemente ihm gegenüber.

„Mag sein…, dass du jetzt irgendwie geschockt bist, oder mir nicht glaubst…, aber dass, was du jetzt durch machst, habe ich vor einem Drei Viertel Jahr auch durch gemacht.“

Ich bemerkte, dass er nicht verstand, was ich gerade sagte. Lag ich doch total daneben? Ich setzte alles auf eine Karte und atmete tief durch.

„Ich bin schwul…So-Woi…“

Seine Augen weit aufgerissen starrte er mich an. Lief er jetzt wieder weg? Sein Körper wurde bewegte sich kaum, nur seine Brust hob und senkte sich aufgeregt.“

„Schwul… du…“, zischte es aus ihm heraus.

Ich nickte zaghaft.

„Das…das glaube ich jetzt nicht.“

„Sorry, ich kann es dir schlecht beweisen.“

Mir kam in den Sinn, was ich gerade gesagt hatte und musste lächeln.

„Warum lächelst du jetzt?“

„Weil ich mir gerade vorstellte, wie ich dir beweisen könnte, dass ich schwul bin.“

Nun kam auch von So-Woi ein zaghaftes Lächeln.

„… ich verstehe immer noch nicht, wie du das vermuten konntest.“

„Meinst du, ich habe so wie du nicht auch gedacht…, abnormal zu sein?“

Er schüttelte, immer noch ungläubig, den Kopf.

„Jeden Tag dieses Versteckspiel vor den anderen, normal zu tun, die Interessen der anderen teilen, obwohl es nicht meine sind.“

„Das… das ist bei mir genauso…“

Ein Geräusch ließ mich rot werden. Mein Magen grummelte laut. Verlegen schaute ich zu Boden.

„Hast du nichts gegessen?“, fragte So-Woi und schaute auf die Uhr.

Ich schüttelte den Kopf und schielte zur Uhr. Es war Mittagszeit.

„Als Jack anrief…, sind wir direkt hier hergefahren…“, antwortete ich leise.

So-Woi griff nach einem Hörer, der mir bisher nicht aufgefallen war.

„… nein, alles gut! Könnten wir etwas zu essen haben… weiß nicht… klar kannst du Hyun-Woo einladen…“

Er lachte. Ein Lachen dass sich auf mich übertrug. Ich begann zu lächeln, obwohl ich nicht wusste, warum er lachte. Ich hatte in kürzester Zeit mehrere Launen, oder besser Gefühlregungen von So-Woi erlebt und war irgendwie angetan.

Er legte den Hörer auf und schaute wieder zu mir.

„Kann ein wenig dauern, Jack will mit Hyun-Woo einkaufen gehen.“

Plötzlich saß ein ganz anderer So-Woi vor mir. Sein Gesicht war entspannter, seine ganze Haltung viel ausgeglichener.

„Darf ich dir eine Frage stellen?“

Aus den Gedanken gerissen, nickte ich.

„Hast du einen Freund?“

„Ich?“

Ich schüttelte heftig den Kopf.

„Zuhause bin ich der Mädchenschwarm schlecht hin…“

„Wundert mich nicht“, unterbrach mich So-Woi, „du siehst auch gut aus! Schon mal an eine Modelkarriere gedacht, da gibt’s Outfits, in denen du unheimlich gut rüber kommen würdest.“

„… ähm danke“, meinte ich verlegen, „das meinte Jae-Joong auch schon.“

„Jae-Joong? Seit wann macht der anderen Komplimente?“

Wo war ich hier nur hinein geraten. Modell, auf so eine verrückte Idee, wäre ich nie gekommen.

„Auch auf die Gefahr hin, dass ich deine gute Laune wieder mindere, aber Jae-Joong leidet genauso unter seinem Vater wie du.“

So-Woi lächeln verschwand abrupt. Das hatte ich befürchtet.

„… So-Woi…, ich weiß, hier in Korea läuft einiges anders, als bei mir zu Hause, aber für alles gibt es eine Lösung, man muss nur lange genug danach suchen.“

Innerlich musste ich grinsen, weil ich die Worte von Hyun-Woo benutzt hatte. Die Großmutter blieb natürlich auch unerwähnt. Er kauerte sich ins Sofa. Ich stand auf und setzte mich neben ihn.

„Ich würde dir sehr gerne helfen, soweit ich das kann. Viele Möglichkeiten habe ich hier nicht, dazu kenne ich mich in eurem Land zu wenig aus.“

Er ließ sich leicht nach hinten gleiten und lehnte sich an mich.

„Das ist sehr lieb von dir“, sprach er leise, „aber ich wüsste nicht, wie du mir helfen könntest.“

„…für dich da sein?“

Er drehte leicht den Kopf und schaute mich mit seinen feuchten Augen an.

„Danke…“

Ich bemerkte nicht, wie lange ich in die tiefbraunen Augen schaute und ich merkte auch nicht, wie sich unsere Köpfe immer langsamer aufeinander zubewegten. Ich spürte schon seinen Atem in meinem Gesicht, als es plötzlich klopfte und wir auseinander fuhren.

„Ja?“

Die Tür öffnete sich und Jack streckte seinen Kopf herein. Er hielt uns Tüten entgegen.

„Hunger?“, fragte er.

*-*-*

Still saß ich neben Hyun-Woo, der mich nach Hause fuhr. Es hatte bereits begonnen zu dämmern, was ich aber nur halb wahrnahm. Meine Gedanken hingen bei So-Woi. Er war die letzten Stunden so losgelöst, so lustig.

Jack hatte sich sogar dafür beim Hinausbringen bedankt. Irgendetwas hatte So-Woi an sich, dass ich anziehend fand. Klar er sah gut aus, war wie Jack recht hoch gewachsen. Trotz seiner legeren Kleidung war sein gut trainierter Körper deutlich zu sehen.

Aber das war es nicht, jedenfalls nicht alleine. Irgendetwas zog mich an ihm magisch an. Hyun-Woo hielt den Wagen direkt vor dem Haus der Chois.

„Ich wünsche dir einen schönen Abend, Lukas.“

„… ähm danke Hyun-Woo, wünsche ich dir ebenfalls.“

„Pass auf dich auf!“

Ich nickte und verließ den Wagen. Auch So-Woi hatte mir schon gesagt, dass ich auf mich aufpassen soll. Ich drückte die Klingel am Tor. Das Licht der Einfahrt erhellte sich und wenige Sekunden später hörte ich ein Surren.

Ich drückte die eine Hälfte des Tores auf und betrat das Grundstück. An der Tür erwartet mich schon Kang-Hee.

„Hallo Lukas, wie war dein Tag… wo warst du überall?“

Kang-Hees Mutter trat heraus.

„Kang-Hee, jetzt löchere doch Lukas nicht so, das ist unfreundlich.“

„Entschuldigung, Mum.“

„Komm Lukas, ich hoffe dein Tag war erfolgreich. Ein Bote hat etwas für dich abgegeben.“

„Ja, mein Tag war schön. Hyun-Woo sagte mir, ein Bote würde Unterlagen über meine hiesige Familie bringen.“

„Ja, die sind drinnen, komm herein, es wird langsam kühl hier draußen.“

So betrat ich mit den beiden das Haus und entledigte mich meiner Schuhe. Meine Hauslatschen standen schon bereit, bei den anderen, der hier im Haus wohnenden Personen. Ich schlüpfte hinein und folgte Hyo-Joo in den Wohnbereich.

Kang-Hee reichte mir einen Umschlag. Eigentlich hätte ich das lieber alleine angeschaut, aber ich sah Kang-Hees neugierige Augen. So setzte ich mich an den Tisch und öffnete den Briefumschlag.

Ein Stapel Papiere kam zum Vorschein, den ich vor mir ausbreitete. Kang-Hees Mutter setzte sich nun ebenso an den Tisch.

„Oje, das ist aber viel“, stöhnte ich, „sieht kompliziert aus.“

„Darf ich?“, fragte Hyo-Joo.

„Ja, das wäre nett.“

Sie nahm den Stapel an sich und begann zu lesen. Nach ein paar Blättern schaute sie auf und schien angestrengt nach zudenken. Dann stand sie auf und lief ins Wohnzimmer. Zurück kam sie mit einer Zeitung.

Sie setzte wieder, faltete die Zeitung auf, suchte etwas und schob sie mir dann zu.

„Das ist deine Familie“, meinte sie und tippte auf die Zeitung.

Ich nahm die Zeitung und sah eine große Werbeanzeige.

„Sie handeln mit Obst?“

Hyo-Joo nickte.

„Sie sind berühmt, für ihr gutes und frisches Obst. Ich glaube du hast auch schon von ihnen etwas gegessen, wir kaufen dort fast nur unser Obst.“

„Du weißt also, wo sie wohnen.“

„Nicht nur das, ich kenne deinen Großvater persönlich. Ein sehr netter und hilfsbereiter Mann.“

„Naja, ob er nett zu mir ist, wird sich noch heraus stellen.“

„Das können wir morgen heraus finden, wenn du möchtest, dann begleite ich dich dort hin, denn ich möchte wieder frisches Obst besorgen.“

„Danke, das wäre nett, denn ein bisschen Unterstützung wäre nett. Man trifft nicht alle Tage seine Familie und mir ist ehrlich gesagt, etwas flau im Magen.“

„Das wird schon, keine Sorge.“

*-*-*

Die Nacht schlief ich eher unruhig. Immer wieder wachte ich auf. Bilder stürmten auf mich ein. Alles lief ab wie im Film, was in den vergangenen Tagen, seit meiner Ankunft, geschehen war.

Es war noch dunkel, als ich erneut aufwachte. Ich konnte mich nun zwar nicht erinnern, was ich eben träumte, aber meinem Keuchen zu entnehmen, war es heftig. Die Decke zurück schlagend, stand ich auf und lief nach unten ins Bad.

Als ich mich im Spiegel sah, erschrak ich ein wenig. Meine Augen waren rot unterlaufen und der Rest sah auch nicht gut aus. So entschloss ich mich eine Dusche zu nehmen. Heiß rann das Wasser über meinen Körper, während mein Kopf an der Wand gelehnt ruhte.

Es waren einfach zu viele Eindrücke in den ersten Tagen und nun sollte ich auch meinen anderen Teil meiner Familie kennen lernen. Ich spürte, trotz der Hitze des Wassers, wie meine Beine leicht zitterten.

Vielleicht hatte ich mir einfach zu viel zu gemutet. Ich drehte das Wasser ab, griff nach dem Handtuch und trocknete mich ab. Da ich keine Wäsche zum Wechseln mitgenommen hatte, band ich mir das Handtuch um die Hüften und verließ das Bad wieder.

Ich schaute zu Jae-Joongs Bett und vor meinen Augen erschien das Bild, wie wir beide nur mit Handtüchern nach unserem kleinen Abenteuer dalagen und uns unterhielten. Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

Ich stieg meine kleine Treppe hinauf. Im Schrank holte ich meinen Jogginganzug heraus und frische Wäsche. Als ich fertig angezogen war, ließ ich mich auf Bett fallen. Mein Bauch füllte sich komisch an un das Zittern meiner Beine war mittlerweile auf den ganzen Körper übergegangen.

Ich verkroch mich unter meine Decke, die ich bis zur Nase hochzog. Was war nur mit mir los? Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn irgendwer rüttelte mich sanft an der Schulter.

„Lukas?“, hörte ich eine Stimme, die bei Aufnahme der Tätigkeit meines Gehirns, als die von Hyun-Woo erkannte.

Leicht öffnete ich meine Augen und aus dem verschwommenen Bild, welche ich zuerst sah, sich langsam das Gesicht von Hyun-Woo deutlich abzeichnete.

„Lukas? Ist dir nicht gut?“

Wir schienen alleine zu sein, sonst hätte er das du nicht verwendet.

„Ich… ich weiß nicht was mit mir los ist…“

„Mrs. Choi hat mich gebeten, dich zu wecken.“

Ich versuchte mich etwas aufzurichten.

„Du siehst wirklich nicht gut aus. Du bist ganz blass um die Nase, hast du etwas Falsches gegessen?“

„… glaube ich nicht…, habe das gegessen, was alle anderen auch in ihrer Schüsseln hatten.“

Hyun-Woo griff mir zaghaft an die Stirn.

„Du glühst ja…, ich hole jetzt Mrs. Choi“, und bevor ich dagegen halten konnte, war Hyun-Woo aus meinem Blickfeld verschwunden.

*-*-*

„Er scheint sich nur etwas viel zu gemutet zuhaben“, hörte ich den Arzt sagen, als er mit Hyo-Joo unterhielt, „einen Tag Ruhe und ein guter Schlaf und morgen wird er wieder fit sein.“

„Danke Doc“, meinte Hyo-Joo und verneigte sich leicht.

Hyun-Woo stand etwas abseits und schaute besorgt zu mir. Hyo-Joo verließ das Zimmer gemeinsam mit dem Doktor und Hyun-Woo war mit mir alleine. Er kam zu mir ans Bett ließ sich vor mir auf die Knie fallen und senkte tief seine Kopf.

„Lukas, entschuldige, ich hätte besser auf dich aufpassen sollen, es tut mir Leid, dass du jetzt wegen mir krank bist.“

„Hyun-Woo, rede doch nicht so blödes Zeug. Ich bin alt genug um auf mich selbst aufzupassen… ich hab mich dieses Mal einfach überschätzt…“

„Nein Lukas, meine Aufgabe ist es, für dein Wohlbefinden zu sorgen und ich habe versagt…“

Ich streckte meine Hand unter der Decke hervor und streichelte leicht über Hyun-Woos Haare, der erschrocken darauf zurück fuhr.

„Hyun-Woo, ich weiß in eurem Land läuft vieles anders, aber glaube mir bitte, ich bin dir weder böse, noch habe ich Ambitionen, dich hier irgendwie zu verjagen oder abzustrafen, dass bin ich nicht… Lassen wir es bitte dabei, dass ich mich einfach übernommen habe, okay?“

Hyun-Woo nickte, obwohl ich mir sicher war, dass es ihm nicht Recht war. Ich hörte unten erneut die Tür gehen und wenige Augenblicke später kam Hyo-Joo wieder in Sicht.

„Es tut mir Leid, Lukas, dass ich…“

Ich ließ sie nicht ausreden und fiel ihr ins Wort, auch wenn dies unhöflich war.

„… es tut mir Leid, dass ich ihnen so viele Umstände mache, Hyo-Joo. Ich werde mich bemühen besser auf mich aufzupassen!“

Hyo-Joo schaute kurz zu Hyun-Woo, bevor sie wieder zu mir sah und nickte. Ich wusste, dass ich mit meiner Art die anderen leicht verwirrte, aber das war mir egal. Ich wollte einfach nicht, dass wegen mir so viel Aufhebens gemacht wird.

„Wenn etwas ist Hyun-Woo, dann melde dich bei mir“, sagte Hyo-Joo, verneigte sich leicht vor uns beiden und verschwand wieder.

Als die Tür sich unten schloss, setzte sich Hyun-Woo wieder neben mir auf den Boden.

„Hyun-Woo, du brauchst jetzt nicht die ganze Zeit bei mir bleiben, du hast doch sicher etwas Besseres zu tun.“

Hyun-Woo lächelte leicht.

„Ich habe nichts Besseres zu tun…, ich bin alleine nur für dich an.“

Ich schaute zur Decke, schloss die Augen und seufzte laut.

*-*-*

Als ich wieder erwachte, saß Hyun-Woo immer noch bei mir. Er war in irgendwelchen Unterlagen vertieft und merkte nicht, dass ich aufgewacht war. Mein Blick wanderte an ihm vorbei. Dort sah ich einen Korb stehen, mit Blumen darin und verschiedenen Sorten Obst.

„… was ist das?“

Hyun-Woo schaute auf.

„Ah, du bist wieder aufgewacht, wie fühlst du dich?“

„Besser…, was ist das für ein Korb?“

Hyon-Woos Kopf drehte sich zum Korb.

„Der ist von So-Woi, mit besten Grüßen und baldiger Genesung.“

„So-Woi?“

„Ja Jack hat mich heute Morgen angerufen, ob es möglich wäre, wenn wir etwas gemeinsam unternehmen könnten, mit So-Woi. Darauf habe ich erzählt, dass du dich heute nicht so wohl fühlst und wenig später wurde der Korb hier abgeliefert. Hast du Hunger?“

Ich hörte in mich und nickte. Hyun-Woo erhob sich und stieg wortlos die Treppe hinunter. Dann hörte ich die Zimmertür. Was sollte Mrs. Choi denken, dass ich diesen Korb von So-Woi geschenkt bekam.

Sie würde sich sicher wundern. Unten ging wieder sie Tür und wenig später tauchte Hyun-Woo mit einem Tablett auf.

„Mrs. Choi war so freundlich und hat dir Juk  gekocht, ich hoffe sie schmeckt dir.“

„Juk?

„Ein Art Reisbrei in Hühnerbrühe, mit etwas Gemüse und Fleisch. Soll ich dich füttern.“

„Hyun-Woo!“, sagte ich entnervt, doch sein Lächeln war entwaffnend.

Ich setzte mich auf und lehnte mich an die Rückseite von meinem Bett. Hyun-Woo stellte das Tablett auf meine Beine und ließ sich, neben dem Bett, auf dem Boden nieder. Ich nahm den Löffel auf und tunkte ihn in die Schale, der wohlduftende Suppe. Sie schmeckte auch so gut, wie ich wenig später fest stellte.

„Sie ist gut“, meinte ich und Hyun-Woo strahlte.

„Was liest du da?“, versuchte ich das Thema von mir abzulenken.

„Mrs. Choi hat mir deine Unterlagen deiner Familie gereicht und ich habe mir erlaubt sie zu studieren, damit ich dir besser Auskunft geben kann.“

Darauf sagte ich zunächst nichts, es war irgendwie sinnlos, etwas dagegen zu sagen, so nahm ich es einfach hin. Ich entschloss mich zu versuchen, mir darüber keine weiteren Gedanken zu machen.

„Und was hast du heraus gefunden?“, fragte ich.

„Deine Mutter hat noch eine Schwester und einen Bruder, beide verheiratet, doch der Mann deiner Tante ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und sie hat ihre zwei Kinder, einen Junge und ein Mädchen alleine aufgezogen.“

Das war traurig zu hören.

„Dein Onkel hat einen Sohn. Alle Kinder sind in unserem Alter und studieren. Desweiteren gibt es anscheinend noch einen Onkel, aber außer dessen Geburtsdaten ist nichts über ihn verzeichnet. Deine Mutter steht als verheiratet und im Ausland lebend darin.“

„Danke. Mr. Choi sagte etwas von einem Großvater?“

„Ja, dein Großvater und Großmutter leben beide noch. Er ist das Oberhaupt der Familie.“

Mittlerweile hatte ich den Brei komplett gegessen und ich fühlte mich richtig gestärkt. Ich griff nach dem Tablett und reichte es Hyun-Woo, der mich verwirrt anschaute. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es am späten Mittag war.

„Was hast du vor?“, fragte Hyun-Woo.

„Ich werde aufstehen…“

„…, aber der Arzt sagte, einen Tag Bettruhe…“

„Ich habe es gehört, Hyun-Woo und es ist lieb von dir, dass du so um mich besorgt bist. Aber ich muss aufstehen, an die frische Luft, wenn du nichts dagegen hast.“

Klar hatte er was dagegen, aber er äußerte sich nicht dazu.

„Ist diese Obsthandlung meiner Familie in der Nähe?“

„Ja…, aber du willst doch da nicht jetzt etwa hin?“

„Warum nicht, ein kleiner Abstecher wird mir schon nicht schaden.“

„… können wir das nicht auf morgen verschieben?“

Ich grinste Hyun-Woo nur an, erhob mich und freute mich darüber, dass mein Körper ganz normal reagierte, sprich mir weder schlecht noch schwindlig wurde. So lief ich an meinen Schrank, zog eine Jeans und ein Hemd heraus.

Hyun-Woo legte die Papiere zusammen, die er neben meinem Bett verstreut hatte.

„Ich kann ja nur einfach mal schauen, mir vielleicht Obst kaufen.“

„Obst? So-Wois Korb ist voll davon.“

„Ich weiß, aber in einen Laden gehen und nichts zu kaufen, wäre doch unfreundlich?“

„Punkt für dich!“, lächelte Hyun-Woo.

*-*-*

Wie mich Hyun-Woo an Mrs. Choi vorbei schleuste, war schon bewundernswert. Das erste Mal sah ich die Häuser der Nachbarschaft, besser gesagt, die hohe Mauern oder Büsche.

„In diesem Viertel wohnen meist die bessergestellten Einwohner von Seoul“, sagte Hyun-Woo, als hätte er meine Gedanken gelesen.

„Und wo wohnst du, wenn ich fragen darf?“

„Ich habe eine kleine Einzimmerwohnung in einem Vorort von Seoul…, kleine aber mein!“, sagte er stolz.

„Weit weg?“

„Etwas mehr als eine Stunde.“

„Du fährst jeden Tag mehr als eine…, sorry, ich wollte, was das betrifft nichts mehr sagen.“

Hyun-Woo grinste und wir liefen weiter die Straße entlang. Vor uns tat sich ein kleiner Platz auf, an dessen Rand ich mehrere kleine Geschäfte ausmachen konnte. Vor einem Schuhladen blieb ich kurz stehen, weil mir ein paar rote Stoffschuhe ins Auge fielen.

„Möchtest du hinein gehen?“

„Nein Hyun-Woo, die Schuhe gefallen mir zwar, aber die sind mir viel zu teuer.“

„Ich könnte…“

„Nein rede nicht weiter!“, meinte ich, hob kurz abwehrend die Hände und lief grinsend weiter.

Nach verschiedenen Boutiquen kamen wir an einen größeren Obstladen. Ich schaute zu Hyon-Woo und er nickte, wusste wohl was ich fragen wollte. So betrat ich den Laden und er folgte mir.

Dass der Obstladen so groß war, konnte man von außen nicht sehen. Mehrere Regale und Tische waren mit allerlei Obst und Gemüse beladen. Ich hatte zwar gerade den Reisbrei gegessen, aber ich hatte schon wieder Hunger.

Ich deutete das mal als ein gutes Zeichen.

„Darf man sich das gerade nehmen, oder muss ich Bescheid geben“, fragte ich leise Hyun-Woo.

„Da drüben liegen Tüten“, flüsterte Hyun-Woo leise.

Ich ging also zu den Tüten. Die Frau hinter der Theke lächelte mich an. Ich verneigte mich kurz und lächelte ebenso. War sie meine Tante, Mamas Schwester? Ich lief zurück zu Hyun-Woo und nahm mir vier von den herrlich aussehenden Nektarinen.

Ich zog meinen Geldbeutel hervor und lief zur Theke.

„Guten Abend, sie möchten diese Nektarinen kaufen?“

Dieses Mal stand ich direkt vor der Frau und ich sah die Ähnlichkeit zu meiner Mutter, auch ihre Stimme war ähnlich. Die Frau wartete auf eine Antwort. Hyun-Woo stieß mich sanft von hinten an.

„… ähh ja bitte.“

Sie nahm mir die Tüte ab und legte sie auf die Waage.

„Darf es noch etwas sein? Wir haben hier herrliche Nashi-Birnen…“

„Nashi-Birnen?“, fragte ich, weil ich die Frucht nicht kannte.

Hyun-Woo trat zu mir.

„Eine Art Apfelbirne…“

„Oh ja, die möchte ich probieren, können sie mir da eine dazu packen?“

„Gerne“, meinte die Frau und lief zu einem der Regale.

Ein älterer Mann kam aus der hinteren Tür gelaufen.

„Haejong, hast du die Zwiebeln schon eingeräumt?“

„Ja Vater!“

„Gut!“

Das also war mein Großvater. Seine Haare waren fast weiß und hinter einer kleinen Nickelbrille schauten nun zwei wache braune Augen zu mir.

„Guten Abend, junger Mann.“

Meine Tante kam zurück und ich sah zum ersten Mal eine Nashi-Birne.

„Möchten sie zuerst eine probieren?“, fragte mich die Frau.

„Gerne.“

„Sie kennen die Nashi-Birne nicht“, mischte sich der alte Mann ein, „sie sind nicht von hier?“

„Nein, ich bin hier für ein Jahr Gast bei einer Familie, ich stamme aus Deutschland.“

Die Augen des alten Mannes verengten sich.

„Deutschland…“, kam es aus dem Mund des Mannes abwertend, drehte sich weg und ging.

Er hatte meiner Mutter immer noch nicht verziehen, das war eindeutig. Plötzlich fühlte ich mich nicht mehr so wohl und die Idee meine Familie hier kennen zu lernen, erschien mir plötzlich so bescheuert.

„Ist ihnen nicht gut?“, fragte mich die Frau.

„Lukas?“, fragte Hyun-Woo hinter mir.

„Vielleicht hätte ich doch liegen bleiben sollen“, meinte ich leise und spürte wie meine Knie weich wurden.

Hyun-Woo griff nach mir und stützte mich.

„Ist das wegen meinem Vater, sie müssen entschuldigen…, er ist auf Deutschland nicht gut zu sprechen.“

„Ich weiß…“, rutschte mir heraus.

Hyun-Woo legte ein Geldschein auf die Theke und griff nach der Tüte.

„Lukas, wir gehen besser.“

„Sie wissen das? Woher?“

Angelehnt an Hyun-Woo und wackligen Beinen sah ich zu dieser Frau.

„… entschuldigen sie bitte, mir ist nicht so gut, ich möchte an die frische Luft…, danke für das Obst…“

Ich drehte mich leicht und Hyun-Woo führte mich hinaus.

„Ich glaube, du hattest wieder einmal Recht, das war keine gute Idee hier her zu kommen.“

„Glaubst du, du schaffst es bis zurück…?“

„Lass uns kurz zu der Bank da drüben gehen…okay?“

„Wie du wünschst…!“

Ich lief langsam neben Hyun-Woo her, hielt mich an seinem Arm fest, denn sicher waren meine Schritte nicht. Langsam ließ ich mich auf die Bank nieder und Hyun-Woo setzte sich neben mich.

„Soll ich dir etwas zu trinken holen?“, fragte Hyun-Woo besorgt.

Ich schüttelte leicht den Kopf und verneinte. Mein Blick fiel zum Laden auf der anderen Straßenseite. Meine Tante stand da schaute zu uns herüber.

„Tja ich und meine spontanen Entscheidungen, mein Vater hat mir schon oft gesagt, ich soll vorsichtiger werden.“

„Hast du zu Hause auch so etwas gemacht?“

„Naja, nicht gerade solche Sachen…, ähnliche und nicht so weittragende…“

„Mrs. Park steht immer noch an der Tür… nein, sie kommt auf uns zu.“

Ich lehnte mich mehr an Hyun-Woo, als wollte ich bei ihm Schutz suchen. Die Frau kam vor uns zu stehen.

„Entschuldigt bitte, darf ich fragen wer du bist…, dein Gesicht kommt mir sehr bekannt vor.“

Ich atmete tief durch.

„Ich heiße Lukas…“

„Lukas…? Der Name ist mir nicht bekannt.“

„Lukas Dremler… Sohn von Jochen Dremler und… Min-Jia…“

Ich brach ab, weil die Augen meiner Tante groß wurden.

„Min-Jia…?“

*-*-*

Jae-Joongs Mutter hatte das Zimmer verlassen und Hyun-Woo war auch auf dem Weg nach Hause. Hyo-Joo hatte mir zwar ordentlich, aber auf freundliche Art den Kopf gewaschen. Es zeigte Wirkung, denn ich hatte ein schlechtes Gewissen.

Meine Tante, war nach meinem kleinen Geständnis wortlos in den Laden verschwunden und Hyun-Woo, ebenfalls schweigend, mich zurück gebracht. Nun lag ich hier und wusste nicht mehr, was ich machen sollte.

Heimweh kam auf und das Gespräch mit meinem Vater fehlte mir, der mir immer ein guter Freund war. Ich griff nach meinem Handy und tippte eine SMS an meinen Vater. Im Augenblick war es mir egal, was mich das kostete.

Ich sendete und griff nach meinem Laptop, fuhr es hoch und öffnete das Programm zum Chatten. Mich wunderte, dass niemand anders da war, war aber auch gleichzeitig froh, nicht mit jemandem reden zu müssen.

Plötzlich öffnete sich der Account meiner Schwester.

„Hallo Lukas, was ist los? Deine SMS hat sich nicht gut angehört.“

„Hallo Papa…, ich habe glaub einen riesen Fehler gemacht…“

In der nächsten viertel Stunde schrieb ich mir die Finger wund und erzählte ihm alles, was in den vergangenen Tagen, seit meiner Ankunft, geschehen war.

„Möchtest du nach Hause kommen?“, war seine erste geschriebene Frage, nach meiner Erzählung.

„Nein, das will ich nicht, ich brauch bloß jemand zu reden und da bist nur du mir eingefallen.“

„Das ehrt mich Sohnemann, aber wie kann ich dir helfen in fast 9000 km Entfernung.“

„Es hilft schon, dass ich mit dir schreiben kann.“

„Und dir geht es gut? Was sagt der Doktor?

„Er sagte, ich habe mich nur übernommen und mein Körper braucht Ruhe.“

„Lukas ich habe dir den Rat gegeben, alles langsam anzugehen, bitte hör auf diesen Rat, okay!

„Ja Papa.“

„Du hast wieder ohne zu überlegen gehandelt, auch davor habe ich dich gewarnt.“

„Ja, hast du…, aber Papa du kennst mich ich kann das nicht so gut.“

„Ja und deswegen auch die Warnung.“

„Weißt du… was ich jetzt machen soll?“

„Erst mal wieder fit werden, Lukas. Ich möchte nicht nach Korea fliegen müssen, damit ich dich nach Hause holen kann, weil du im Krankenhaus liegst.“

„Jetzt übertreibe nicht.“

„Ich und übertreiben? Wie war das, als du dich vor uns outen wolltest, dein kleines Köpfchen hat das nicht mitgemacht und du bist im Krankenhaus aufgewacht. Du bist eben ein sehr emotionaler Kerl und reagierst auf alles sehr sensibel.“

„Du hättest Psychiater werden sollen!“, schrieb ich leicht kichernd.

„Das hat deine Mutter auch schon sehr oft geäußert.“

„Du hast aber Mama nichts erzählt… oder?“

„Von deiner SMS? Glaubst du, ich wäre dann jetzt hier? Ich hätte sie umgehend zum Flughafen fahren müssen.“

„Danke…“

„Nichts zu danken, du weißt ich bin immer für dich da.“

„Trotzdem Papa, danke schön.“

„Okay, nach meiner Uhr ist es bei dir jetzt später Abend, so wünsche ich dir eine gute Nacht und gute Erholung. Und Lukas, wenn etwas ist, melde dich bei mir.“

„Werde ich machen.“

„Hab dich lieb, Sohnemann!“

„Ich dich auch Papa bye!“

„Bye!“

Er verließ das Chat und ich atmete tief durch. Jetzt ging es mir wirklich besser. Ich fuhr den Laptop herunter, kuschelte mich in meine Decke und schlief bald darauf ein.

*-*-*

Als ich meine Augen öffnete, war es bereits hell. Kein Hyun-Woo in Sicht, ich war alleine. Langsam kam ich unter meiner Decke hervor. Ich horchte kurz in mich und stellte fest, dass ich zwar etwas müde war, aber mich sonst gut fühlte.

Mein Blick fiel auf meine Uhr, es war sieben Uhr morgens. Im Haus war es ebenfalls ruhig. Ein Gedanke kam mir. Jae-Joongs Vater hatte ich seit ein paar Tagen nicht gesehen, seit der Show eigentlich nicht mehr.

Aber ich wollte auch nicht fragen, denn das war sicher unhöflich. Ich dachte darüber nach, ob es gut wäre schon aufzustehen, der Gedanken verflog schnell, denn So-Woi machte sich breit. Den zärtlichen Kuss den er mir zum Abschied gab, ohne dass es Jack und Hyun-Woo sehen konnten.

Automatisch griff ich nach meinen Lippen und fuhr mit meinem Finger darüber. So-Wois Lippen waren so weich. Geräusche in Haus kündeten an, dass ich nicht der einzige Erwachte im Haus war.

Meine Gedanken hafteten noch eine Weile an So-Woi. Seine braunen Haare waren strähnig geschnitten und hingen wild ins Gesicht. Auch das Funkeln seiner tief braunen Augen hatte ich nicht vergessen.

Mein Handy ging, gab laut und ich wunderte mich, wer mir eine Message schickte. Außer Jae-Joong hatte niemand meine Nummer. Natürlich noch die Chois für Notfälle. Ich streckte mich und zog das Handy aus meiner Jacke, die über dem Stuhl hing.

Ich tippte mich durch die Ordner und die Message öffnete sich.

Hallo Lucas,

ich hoffe dir geht es besser und würde mich freuen, dich bald wieder sehen zu dürfen. Es ist nur ein Tag vergangen, seit wir uns gesehen haben, aber ich vermisse dich sehr. Ich weiß, das hört sich schnell an, aber ich merke, wie wichtig du für mich bist.

Lieben Gruß So-Woi.

Ich lass den Text noch einmal, weil ich nicht glauben konnte, was da stand. Eben dachte ich noch an ihn und nun schrieb er mir, dass er mich vermisste. Ich überlegte und kam zum Entschluss, dass ich dringend eine Ablenkung nötig hatte, nach dem Desaster gestern.

So tippte ich eine kurze Meldung zurück, dass es mir so weit gut ginge, was eigentlich nicht stimmte und mich sehr freuen würde ihn wieder zu sehen. Ort und Zeitpunkt sollte er aussuchen, da er in der Stadt sich eh besser auskannte.

Nach dem Aufstehen, durchlief ich wie gewohnt das Bad, um eine halbe Stunde später frisch eingekleidet da zu stehen. Ich steckte meine Sachen in die kleine Umhängetasche, griff nach der Jacke und verließ wenige Sekunden später das Zimmer.

Zu meiner Überraschung konnte ich ohne Ermahnungen seitens Hyo-Joo, das Haus verlassen und es dauerte auch nicht lange, da kam auch schon Hyun-Woo angefahren. Er stieg aus, umrundete den Wagen und schaute sich um.

„Guten Morgen Lukas, geht es dir besser?“

„Morgen Hyun-Woo… es geht…!“

„Eine Bitte hätte ich an dich, bevor wir losfahren…“

Ich schaute ihm direkt in die Augen.

„Die wäre…?“

„Wenn irgendetwas ist, dich schlechter fühlst, dann sag es mir bitte. Ich möchte nicht, dass es dir wieder schlechter geht…“

„Das will ich auch nicht und ich verspreche dir, es dir gleich zu sagen.“

„Danke“, meinte er und öffnete mir wie immer die Tür.

Ich stieg ein und Hyun-Woo schloss die Tür wieder, bevor er auf seine Seite lief.

„Jack hat mir Order gegeben, wo ich dich hinbringen soll.“

„Praktisch…“

„Was?“

„Dass Jack und du immer in Verbindung steht und man sich um nichts kümmern braucht.“

Hyun-Woo grinste. Wir durchquerten Seoul und ich bekam wieder einiges zu sehen.

„Wo fahren wir hin?“

„Gebäude 63.“

„Was ist Gebäude 63?“

„Siehst du da vorne den Wolkenkratzer?“

„Ja.“

„Das ist Gebäude 63!“

„Aha und was ist so besonderes an diesem Gebäude?“

„Lass dich überraschen, denn ich möchte So-Woi die Überraschung nicht wegnehmen.“

So hielt ich einfach den Mund und dachte nicht weiter darüber nach, was Hyun-Woo gesagt hatte. Mein Blick wanderte über den Han-River, der parallel zur Straße floss. Das besagte Gebäude vor uns wurde immer größer und ich stellte schnell fest, dass es wohl einer der höchsten Gebäude in Seoul war.

Dort angekommen, fuhren wir eine kleine Auffahrt hinauf und Hyun-Woo hielt den Wagen an. Wie schon bei So-Woi kam jemand angelaufen und Hyun-Woo übergab die Schlüssel. Ich schaute nach oben.

„249 Meter hoch…, 63 Stockwerke…“, hörte ich Hyun-Woo neben mir sagen.

„Beeindruckend…“

„Komm, So-Woi wartet sicher schon auf uns.“

Ich folgte Hyun-Woo und wir betraten den Wolkenkratzer.

*-*-*

„Geh ruhig hinunter, So-Woi wartet dort auf dich“, meinte Hyun-Woo zu mir, was Jack mit einem Nicken bestätigte.

Ich betrat unsicher die Rolltreppe und fuhr hinunter in den Kellerbereich. Langsam kam ein neuer Eingangsbereich in Sicht. Sea World. Also das wollte mir So-Woi zeigen. Am Eingang stand eine Dame, die einladend ihre Hand Richtung Eintritt wies und sich dabei verbeugte.

Von So-Woi selbst war noch nichts zu sehen. Ich verbeugte mich ebenso leicht und lief an ihr vorbei. Kein Mensch war zu sehen. Vor mir tat sich einige riesige Wasserwelt auf. Vorbei an Aquarien lief ich immer tiefer hinein.

„Gefällt es dir?“, hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir.

Ich drehte mich herum und So-Woi stand vor mir.

„Hallo So-Woi…, ja es ist atemberaubend schön…“

„Gut, dann lass uns weiter laufen.“

Er griff nach meiner Hand und zog mich weiter. Wir liefen in einen Art Glastunnel, der von  Wasser umgeben war. Hautnah schwammen die Fische über unsere Köpfe hinweg. Hier stoppte So-Woi und drehte sich zu mir.

„Ich… ich habe dich heute hierher gerufen, weil ich dir etwas Wichtiges sagen wollte.“

Ich spürte seine Nervosität. Was wollte er mir jetzt sagen? Ein Liebesgeständnis? Doch bevor ich mich weiter mit dem Gedanken beschäftigen konnte, drehte sich So-Woi weg und begann einfach zu reden.

„Lukas, du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin, dass du dich in mein Leben gemischt hast…“

„Ich…“, weiter kam ich nicht, denn So-Woi stoppte mich mit vorgehaltener Hand.

„… das war jetzt nicht böse gemeint Lukas, ich bin dir wirklich dankbar. Ich habe mich dazu entschlossen, meinem Vater alles zu sagen…“

„Wirklich alles?“, fragte ich nun erstaunt.

„Ja, alles. Dass ich das Studium abgebrochen habe und dass er wohl nie eine Schwiegertochter von mir erwarten kann.“

„… ich weiß jetzt nicht, was ich darauf sagen soll…, mein Angebot bleibt aber trotzdem bestehen, ich bin für dich da…“

„Danke Lukas, anders hätte ich das auch nicht erwartet. Ich denke, nein ich weiß, mein Vater wird nicht davon begeistert sein und alle Mittel zur Hilfe ziehen, mich von dem abzubringen, aber das ist mir schlicht weg egal.“

„Was meinst du mit… allen Mitteln?“

„Er wird mir mit Enterbung drohen, das Geld sperren wollen…“

„Aber du brauchst doch das Geld um zu studieren und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du auf deine tolle Wohnung verzichten möchtest.“

„Muss ich auch nicht und werde ich nicht, es gehört alles mir.“

„Was?“

„Das Geld ist von meiner Großmutter, so bin ich von meinem Vater unabhängig und die Wohnung war ein Geschenk, als ich die Schule abgeschlossen hatte.“

„Dann kann dir ja rein theoretisch nichts passieren“, meinte ich und schaute einen Haiähnlichen Fisch hinterher, der gerade seinen Weg dicht über meinem Kopf bahnte.

„Deshalb will ich ihm es auch sagen, ich möchte keine Versteckspiele mehr.“

Er näherte sich mir und legte seine Hand auf meinen Bauch. Seine Augen glänzten feucht.

„Lucas…, würdest du mir ein Gefallen tun?“

„… ähm ja natürlich. Was denn?“

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4 Kommentare

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    • claus auf 29. Oktober 2013 bei 12:40
    • Antworten

    Hallo Pit,

    eine sehr interessante Geschichte, ein klasse Anfang.
    Bin gespannt wie es weitergeht…

    LG Claus

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    • sandro auf 12. November 2013 bei 22:19
    • Antworten

    Hi,

    bisher eine klasse Geschichte, es ist wieder viel Spannung aufgebaut worden und man kann nur hoffen das Du genug Zeit hast unsere Neugier schnell zu befrieden.

    Ich hoffe Du hast auch weiterhin noch viel Spass am schreiben und kannst bald wieder einen neuen Teil einstellen.

    Gruß
    sandro

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    • nala auf 2. September 2014 bei 08:51
    • Antworten

    Wan wird diese Geschichte fortgestezt, warte schon lange auf eine Fortsetzung…

    Lieben Gruss,

    nala.

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  1. Hallo Pit,

    Korea, mal etwas anderes. Bin neugierig was Dir dazu noch einfällt.

    Gruß
    Lissi

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