Engelchen und Teufelchen – Tür 12

tuer-12Peter

Beide saßen am Esstisch und aßen zu Abend, was mich doch sehr wunderte, da sie unter der Woche eigentlich so gut wie nie da waren um diese Zeit.

„Du kommst spät…“, kam es von meiner Mutter.

Kein Hallo, kein Nichts.

„Hallo…, ich war noch im Kinderheim.“

Nichts wurde darauf erwidert. So setzte ich mich auf meinen Platz und nahm mir ein Stück Brot. Ich spürte beider Blicke auf mir, aber ich traute mich nicht aufzusehen.

„Peter…“

Die Stimme meines Vaters.

„… es tut mir Leid.“

Oh kam jetzt eine Entschuldigung? Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Ich schaute auf, direkt in seine Augen. Ein kurzer Blick zu meiner Mutter zeigte mir, dass sie wie er aufgehört hatten zu essen.

„Ich weiß nicht, was mich geritten hat, dir eine her runter zu hauen.“

„Das kenne ich irgendwo her…“, erwiderte ich.

Verwirrt schaute er mich an. So erzählte ich von Rafael und was mir mit ihm passiert war.

„Du hast ihn geschlagen?“, fragte Mutter entsetzt.

„Leider und er lief ein paar Tage mit geschwollenen Gesicht herum.“

Mein Vater ließ sein Besteck fallen.

„Ich weiß, mir steht es, nach dem heut Morgen nicht zu, dich zu kritisieren, aber musste das sein?“

„Ich weiß wie du nicht, warum ich das überhaupt gemacht habe“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Ist unsere Familie wirklich so kaputt, wie du es mir heute Morgen aufgezählt hast, bist du wirklich der Meinung?“

Ich biss von meinem Brot ab und nickte leicht.

„Wie kommst du da drauf?“

Mein Vater wurde wieder lauter.

„Kurt…, bitte… du hast es mir versprochen…“

Aha, man hatte also schon darüber geredet. Vater hob die Hand und nickte. Ich schaute ihn an.

„Denkst du wirklich“, begann ich zu reden, „dass ein gemeinsames Abendessen schon eine Familie ausmacht? Weißt du was deine Frau macht, wie sie ihre Termine gestaltet, weiß du wie ich in der Schule stehe, oder was mich privat interessiert? Ich weiß, deine Arbeit ist wichtig, aber deine Familie auch!“

Ich wusste, ich hatte mich im Ton vergriffen.

„Was deine Mutter betrifft, ich weiß eigentlich immer, was sie macht und sie kennt meine Termine. Was dich betrifft…“

Er stockte.

„… dass ich dich sehr vernachlässigt habe ist ein Fehler und tut mir ebenso Leid, wie dass ich dich geschlagen habe. Aber ich muss gestehen, ich weiß auch nicht, wie ich das ändern soll…“

„Weniger arbeiten“, kam es von Mama, „Kurt…, die Firma läuft doch fast von selbst, dass hast du mir erst letzte Woche gesagt. Kannst du nicht einen Gang zurück schalten?“

„Ungern…, aber bevor ich diese Familie durch mein Handeln völlig zerstöre…, es wird irgendwie schon gehen.“

„Warum habe ich eigentlich keine Geschwister…, wolltet ihr nur EIN Kind?“

Meine Eltern schauten sich an.

„Nein… so ist das nicht“, kam es von meinem Vater.

Ich sah, dass meine Mutter feuchte Augen bekam. War ich zu weit gegangen?

„… bei deiner Geburt…, gab es Komplikationen… und ich kann keine Kinder mehr bekommen…“

Das war jetzt heftig.

„… tut mir Leid, ich wollte dich daran nicht erinnern…“

Sie sah mich lange an.

„Dich beschäftigt doch mehr, Peter, sonst würdest du das alles hier nicht machen?“, fragte sie.

Ich sank zusammen. Mein Vater legte seine Hand auf meine.

„Was ist mit dir los…, was stimmt nicht?“

„Es…, es sind so viele Dinge. Eine Woche… eine ganze Woche haben gereicht und alles hat sich verändert. Ich weiß nicht mehr was ich denken soll…“

„Was hat sich geändert“, flüsterte Mama fast.

Ich spürte, wie der Kloss in meinem Hals immer dicker wurde, wie erste Tränen über meine Wangen rannen.

„… da ist Ulf…, er ist fünf. Er lebt im Kinderheim, was ihm passiert ist und warum er dort lebt, dass weiß ich nicht“, ich schaute auf und die beiden an, „aber er ist so ein Energiebündel, so aufgeweckt… als ich ihn sah, heute auch wieder, kam der Wunsch auf, so einen hätte ich gern als Bruder…“

Ich wischte mir die Tränen ab.

„… und da ist Rafael…“, meine Eltern schauten sich an, „… wenn ich bei ihm bin… da fühl ich mich wohl… sicher, da geht es mir gut… nicht so wenn ich zu Hause sitze und euch vermisse… ich empfinde etwas für einen Jungen, versteht ihr, dass ist doch verrückt…, oder?“

Mein Vater ließ meine Hand los und lehnte sich zurück.

„… ich weiß nicht mehr was ich denken soll…, werde ich verrückt?“

Die Tränen liefen nun ungehindert über meine Wangen, meine Eltern verschwammen leicht vor mir.

„Nein… du bist nur verliebt…“, kam es von Mama.

„In einen Jungen!“, kam es enttäuscht von meinem Vater.

„Ja“, fuhr ihn Mama an, „in einen Jungen, na und? Was ist daran falsch? Du hast selbst in deiner Firma Homosexuelle angestellt, gegen die hast du auch nichts, oder hat der Wert eines Menschen damit zu tun, wen sie lieben oder was sie leisten?“

Vater schüttelte den Kopf.

„Wenn Peter… diesen Rafael liebt, dann soll es so sein… von mir hat er auf alle Fälle meine vollen Unterstützung.

Mein Vater sagte nichts darauf.

„Kurt, durch meine soziale Arbeit habe ich einiges mitbekommen, sogar…, dass sich ein Junge genau aus diesem Grund umgebracht hat, weil er KEINE Unterstützung bekam. Soll dass unserem Sohn auch passieren?“

Er schaute erst mich dann wieder sie an, dann schüttelte er wieder den Kopf.

„Kann ich auf mein Zimmer? Mir ist plötzlich so schlecht“, meinte ich und hob mir den Magen.

Ich sprang auf und rannte auf die Toilette und wenige Sekunden später sah ich, wie der Inhalt meines Magen, ein zerkautes Brot sich in die Toilette ergoss.

Als nichts mehr kam, spürte ich eine Hand die mich hochzog mich in den Arm nahm und die Treppe hinaufführte. Durch meine verheulten Augen sah ich meinen Vater an.

„Wir packen das… irgendwie“, vernahm ich seine Worte.

Rafael

Na super, wenn kein Bus fuhr, musste ich in die Schule laufen und das bei dem Wetter. So drehte ich die Dusche wieder ab, denn die konnte ich vergessen. Schnell wusch ich mir das Gesicht, putze die Zähne und wuschelte mir durch die Locken.

Mehr war nicht drin. Ich stürmte in mein Zimmer und zog mir neue Klamotten aus dem Schrank. Mein Bett konnte ich erst nach der Schule machen, denn bis ich alle Decken so hingelegt hätte, wie sie gehörten, dazu hatte ich keine Zeit.

Fertig angezogen, schnappte mir den Rucksack und lief in die Küche.

„Tut mir Leid, Rafael, aber bei dem Schnee lass ich lieber das Auto stehen. Im Radio brachten sie gerade, dass keine Busse fahren.“

Ich griff nach meinem Brot, das Mama schon gerichtet hatte.

„Wird schon, ich bin dann weg“, sagte ich und düste aus der Küche.

„Rafael pass auf dich auf…“, rief sie mir hinter her.

„Ja…“

Ich hüllte mich in meine Wintersachen und verließ die Wohnung.

„Tschüss!“

Unten angekommen, bekam ich erst einmal einen Schreck. Soviel Schnee hatte ich hier noch nie gesehen. Ich zog die Tür zu und stampfte Richtung Gehweg. Hier hatte schon mal jemand gekehrt, denn es lagen nur wenige Zentimeter auf dem Bürgersteig.

So lief ich los in Richtung Schule. Eine dreiviertel Stunde würde ich schon brauchen, wenn nichts dazwischen kam. Auf halber Strecke hörte ich jemand rufen.

„Jetzt warte doch!“

Ich drehte mich um und konnte Torsten entdecken, der bei diesem Schneetreiben die Straße überquerte.

„Krass oder?“, rief er, als er fast bei mir war.

„Morgen…“

„Morgen. Hätten die, die Schule nicht auch ausfallen lassen können?“

„Nein… da müsste er alles komplett von Schnee bedeckt sein.“

„Alter, dass ist es doch schon.“

„Komm, lass uns weiter laufen, sonst kommen wir zu spät.“

„Als wäre das wichtig…“

*-*-*

Die Klasse war nur zur Hälfte anwesend, der Rest hatte sich nicht die Mühe gemacht. Auch einige Lehrer fehlten, so fiel der Unterricht aus. Doch durch Anordnung der Rektorin, sollten wir bis zur fünften Stunde im Haus bleiben und dann erst nach Hause gehen.

So saß ich eine Weile auf dem Fenstersims, über der Heizung und wärmte mich.

„Das hört heut gar nicht mehr auf zu schneien“, meinte plötzlich Torsten neben mir.

Ich nickte und Torsten seufzte.

„Ich wollte zu dem Thema ja nichts mehr sagen…“

„… welches Thema?“

Ich schaute ihn an.

„Peter…“

„Komm… anderes Thema, der hat mich schon meinem Schlaf gekostet…“

„Deinen Schlaf…, war Peter die Nacht bei dir?“

„Nein, wie kommst du darauf?“

„So wie du redest?“

„Nein, ich habe nur über ihn nachgedacht, mehr nicht.“

„Aha…, mehr nicht und das hat dir den Schlaf geraubt.“

„So ungefähr…“

Torsten fing an zu kichern.

„Was?“, fuhr ich ihn leicht genervt an.

„Mein bester Freund hat sich unsterblich verliebt.“

Erschrocken schaute ich mich um.

„… sei ruhig! Wenn das jemand mitkriegt.“

„Na wenn schon, kann doch jeder mitbekommen.“

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