Alles was bleibt – Teil 5

5. Unverhofft kommt oft

Der Freitag war da. Es war siebzehn Uhr und wir waren kurz vor Stuttgart. Fred schnarchte neben mir und grunzte im Schlaf. Ich mochte diesen Kerl und ich konnte mir

ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. Benn saß mit Bärbel vorne. Sie unterhielten sich leise.
Ich sah aus dem Fenster, sah Bäume und Felder sich abwechseln. Was wird mir das bringen sie zu sehen und zu wissen wie sie lebten und wo. Ich wusste, dass ich zwei weitere Geschwister habe.
Einen Bruder Lars, vierzehn Jahre alt und eine Schwester, Lisa und fünfzehn Jahre alt. Wie würde sie reagieren, wenn sie mich je sehen würden. Bärbel hatte mir heute bevor wir losfuhren gesagt, dass meine Eltern mich gerne sehen und sprechen würden.
Ich hatte nur gesagt, dass ich mir das überlegen werde. Aber wollte ich das? In eine Familie einbrechen, zu der ich nicht gehörte.
Die Beerdigung meiner Mutter war nächste Woche am Mittwoch. Ich wusste, dass ich dahin gehen musste, um endgültig Abschied zu nehmen. Von ihr und von einem Leben, das auf einer Lüge beruhte.
Bruno hatte ich auch heute angerufen und er hatte mir Glück gewünscht, sowie Stärke das Richtige zu tun. Ich werde mich auch mit ihm nächste Woche treffen, um ihm alles zu erzählen.

„Jungs aufwachen, wir sind bald in Stuttgart und fahren zuerst ins Hotel.“

Fred gähnte neben mir und streckte sich.

„Na endlich, dann gibt’s Futter!“

Ich traf eine Entscheidung.

„Lass uns beide zu dem Haus fahren, wo sie wohnen. Bitte…“

Luka sah kurz zu Bärbel. Diese nickte zustimmend.

„Ich und Fred werden uns um die Zimmer kümmern.“

Bärbel dreht sich zu mir und zwinkerte mir aufmunternd zu.

„Och menno, aber wenn du es so willst dann ok. Aber du erzählst mir alles?“

Fred wieder. Er lehnte sich gegen mich und zwinkerte mir auch zu.

„Leute ich bin nicht aus Porzellan… Ich werde das schon schaffen.“

Daraufhin war es wieder still im Auto und Benn fuhr von der Autobahn. Zwanzig Minuten später standen wir vor dem Hotel. Bärbel und Fred stiegen aus und holten mit Benn, der ebenfalls ausgestiegen war, das Gepäck aus dem Kofferraum.
Ich blieb hinten sitzen und war jetzt nervös. Nachdem das Gepäck raus war, es war nicht viel, da wir am Sonntag schon zurückfuhren, setzte sich Benn wieder auf den Fahrersitz und schnallte sich an.

„Und bereit Luka?“

„Jep, ich will es hinter mir bringen. Ich will sehen, wie sie leben und eventuell habe ich Glück, sie zu sehen. UND nur sehen Benn!“

„Klar, du bleibst hinten sitzen, dann sieht man dich nicht gleich. Du weißt, das Kennzeichen kann uns verraten. Deine Eltern wissen, dass wir in Stuttgart sind.“

Ich nickte. Luka fuhr langsam los und ich sah zu Fred der beide Arme hoch hielt und symbolisch seine Daumen drückte. Danke mein Freund, dass du bei mir bist, dachte ich und hob kurz die Hand.

*-*-*

Einige Zeit später fuhr Benn in eine kleine Straße. In dieser Straße standen Einfamilienhäuser aneinandergereiht, vor einem Haus hielt Benn und machte den Motor aus.

„Wollen wir gehen? Das Haus deiner Eltern ist noch etwas entfernt. Ich dachte nur etwas die Beine vertreten wäre gut. Zum anderen würden wir so nicht ganz auffallen, als wenn ich dort direkt parke.“

Nervös nickte ich und schnallte mich ab. Luka tat dies ebenfalls. Bevor ich die Tür öffnete, kamen einige Jugendliche am Auto vorbei. Sie lachten und alberten herum.

„Echt Lisa, ich freu mich schon auf den Grillabend. Ist dein Bruder auch da?“

„Lars der zockt bestimmt wieder mit seinem besten Kumpel das neueste Spiel.“

„Echt Tom stimmt’s mit dem treibt er sich ja überall rum.“

„Ja wie…“

Mehr bekam ich nicht mehr mit denn sie hatten sich ein Stück schon entfernt. Ok tief einatmen. Das war also meine Schwester. Was ich sah gefiel mir sie hatte meine Haarfarbe mehr konnte ich nicht sehen. Lange braune Haare und einen wirklich tollen Körper. Das passte ja schon mal. Ich öffnete die Tür und Ben auch und wir stiegen aus.

„Das war jetzt echt knapp.“

Ben grinste mich an und kam um das Auto herum und wir gingen langsam den Weg entlang. Die Gruppe vor uns war in einem Garten verschwunden. Ben legte seinen Arm um meine Schultern und wir gingen weiter.
Jeder Schritt war für mich die Hölle. Wenn sie mich sahen und erkannten, was dann? Ben merkte wohl dass ich ziemlich durch den Wind war.

„He es wird schon!“

Daraufhin nickte ich und sah mich um. Nicht schlecht die Häuser standen ziemlich nah an der Straße. Die Gärten waren gepflegt und es sah echt gut aus. Hier wäre ich aufgewachsen, wenn nicht alles bei mir anders verlaufen wäre.
Trotzdem hatte ich noch eine Woche vorher auch ein schönes Leben. Gut nicht mit Garten aber ein tolles Heim, eine Mutter die mich liebte. Nun gut das lag dann jetzt hinter mir. Wir gingen weiter und kamen dem Garten mit dem Haus immer näher. Musik war zu hören und Lachen.
Als ich das Haus sah, traten mir Tränen in die Augen. Das hätte hier mein Leben sein sollen. War es aber nicht. Das Haus sah wunderschön aus. Für mich war es etwas Besonderes. Am Gartentor angekommen sah ich beim Vorbeigehen auf das Namensschild.
Klaussen stand da. Luka Klaussen so war mein Name, oder hatten meine Eltern mir einen anderen Vornamen gegeben?

„Benn ist mein Vorname Luka, oder ist das nicht mein richtiger Vorname?“

„Mhhh Luka nein. Jetzt lach nicht, dein richtiger Name ist Bennie. Wie meiner!“

Ich schaute hoch zu ihm und grinste. Ich hatte nicht gemerkt, dass wir kurz hinter dem Gartentor angehalten hatten. Meine Augen brannten und Tränen flossen mein Gesicht herunter. Nicht einmal mein Name war echt.

„Nichts hat sie mir gelassen, nicht einmal meinen richtigen Namen.“

„Ja Luka, nicht mal das eine hat sie dir gelassen.“

„Bruno sagte mir, es wird hart, aber je mehr ich die Wahrheit begreife, umso mehr tut es hier weh.“

Ich fasste mir dahin, wo mein Herz pochte,

„Nicht mal das…“, flüsterte ich.

Benn nahm mich in die Arme und drückte mich.

„Hee du bist sowas von stark. Ich glaube ich hätte das hier nicht geschafft. Du bist so tapfer Luka. So und jetzt lass uns weitergehen.“

Er nahm meine Hand und zog mich weiter.

„Vorsicht …“

Da rumste es schon und ich saß mit meinem Hintern auf dem Boden.

„“Sorry.. Geht es dir gut? Kann ich dir helfen?“

Ich sah auf und sah in zwei Augen die die Farbe meiner hatten. Braun, genauso Schokobraun wie meine und die Haare genau wie meine. Braune Locken die wild umher schwankten. Auch wie meine.

„Ist schon gut ihm geht’s gut. Luka komm wir müssen zurück.“

Ich nickte und ergriff Bens Hand, die dieser mir zu streckte.

„Luka? Den Namen haben meine Eltern erwähnt…“

„Lars ist alles ok… Geht es dem Jungen gut?“

Eine Frauenstimme erscholl vom Gartentor. Ich sah auf und sah eine Frau im Gartentor stehen.

„Mam alles ok… Nichts passiert.“

Die Frau kam auf uns zu und sah zu Lars, dann zu mir, dann zu Lars.

„Oh mein…“

Sie hielt sich die Hand vor dem Mund. Wie in Zeitlupe kam sie weiter auf mich, Ben und Lars zu. Panik machte sich in mir breit. Sie hatte mich erkannt! Dass sie mich erkannt hat sah ich in Ihrem Blick.
Was sollte ich machen, stehen bleiben oder rennen? Was hatte Bruno gesagt, sei stark es wird nicht einfach und irgendwann muss man sich dem allem stellen.

„Mama was ist denn? Warum weinst du? Mir ist nichts passiert und dem Jungen geht’s gut!“

Ben nahm mich in den Arm.

„Wollen wir gehen? Oder willst du bleiben?“, flüsterte Ben in mein Ohr.

Ich schluckte. Sei stark Luka. Sei stark.

„Wir bleiben, jetzt ist es egal.“

Die Frau stand vor mir, sie hob langsam die Hand in meine Richtung. Kurz zuckte ich zurück.

Sie begriff sofort und zog die Hand zurück.

„Bennie. Mein Bennie. Du bist es stimmt’s?“

„Bennie? Mam aber so hieß doch mein Bruder?“

„Ähmm sorry das ist Luka und mein Name ist Benn…“

Verstehend nickte die Frau.

„Mam???“

Lars sah verwirrt zu ihr und dann zu mir.

„Schatz gehe bitte rein, ich komme gleich nach.“

„Ja wie immer, keiner sagt einem was…“, damit stampfte ein ziemlich wütender Lars an mir vorbei.

Ihm folgte ein anderer Junge, den ich erst jetzt bemerkte.

„Luka…“, kam es zögernd von ihr.
Ich sah sie an und sah so viel Verzweiflung und so viel Liebe, Hoffnung und noch mehr Liebe in ihren Augen. Komisch aber wie automatisch löste ich mich von Benn und ging den einen Schritt auf sie zu und dann war es als ob man heim kam.
Zwei Arme umfingen mich und ich konnte nicht anders, ich ließ mich in diese Umarmung fallen.

„Oh mein Baby.. Mein Bennie…“, sie drückte mich an sich und wir beide weinten lautlos.

„Ilse …“, eine Männerstimme war zu hören, aber ich konnte mich nicht lösen.

Es fühlte sich so gut an.

„Ilse, Lars sagte…“, die Stimme stockte, „… Ilse ist das Bennie?“

Ich löste mich von der Frau, die sich nicht wie eine Fremde anfühlte und wischte mit meinem Ärmel die Tränen weg und sah zu dem Mann der hinter der Frau stand. Die Frau drehte sich zu ihm.

„Es ist Bennie… Ich meine Luka..“

„Luka???“

„Ja, so nannte die Frau ihn, die ihn aufzog!“, Benn sprach leise.

„ohh…“, sprachlos starrte der Mann mich an.

„Er sieht wie Du aus…“, sagte die Frau.

„Wie Lars und Lisa. Schau nur, er hat die gleichen Haare wie Lars…“, sprach sie weiter.

„Er ist groß geworden und wunderschön. Mein kleiner Bennie.“

Unbewusst war er auf mich zugetreten und plötzlich lag ich in seinen Armen.

„Wir haben immer gewusst dass du lebst. Das du irgendwo da draußen bist, oh mein Bennie…“, schluchzte er in mein Haar und drückte mich noch heftiger.

Ich fing wieder an zu weinen, weil auch das sich so gut anfühlte. Es war wie heimkommen, aber ich wusste das ich jetzt an meine Grenzen kam. Schluchzend löste ich mich von dem Mann und sah hilflos zu Benn.

„Ich glaube wir gehen jetzt.“

Benn übernahm das reden für mich, denn ich war nicht in der Lage zu sprechen. Ich nickte.

„Luka wollen wir morgen wieder hierherkommen und mit ihnen reden?“

Ich nickte wieder.

„Oh, das wäre so schön… ich… wir… haben dich so vermisst…, so vermisst..“

„Es wäre schön wenn du morgen zu uns kommst… Wir alle würden uns freuen…“, dies kam von dem Mann der genauso verschnupft wie seine Frau anhörte.

Stark sein Luka. Wie ein Mantra betete ich es runter.

„Ja morgen komm ich wieder. Ich bringe meinen besten Freund mit, ist das OK?“

„Alles…! Du darfst alles und jeden mitbringen. Hauptsache wir sehen dich wieder. Mein kleiner B… Luka!“, die Frau schluchzte und Benn zog mich von den beiden weg und wir gingen zum Auto zurück.

Beim Auto angekommen, machte ich automatisch die Tür auf und setzte mich nach vorne zu Benn. Er setzte sich in den Fahrersitz und wir schlossen die Türen.

„Geht’s Luka?“

„Benn, ich habe das erste Mal gefühlt, wie sich heimkommen anfühlt! Wie sich die richtigen Hände und Umarmungen anfühlen.“

„Ich hab echt gedacht Bärbel spinnt!“

„Wieso?“

„Sie sagte, wenn in dir noch Erinnerungen schlummern, dann würden diese sich anfühlen wie heimkommen.“

„Woher will sie das wissen?“

„Weil sie das gleiche wie du durchgemacht hat! Deswegen hat sie Psychologie studiert um denen zu helfen, die wie sie der Familie entrissen wurden.“

„Oh, ich wusste nicht…“

Wir sahen beide nach vorne, dort standen noch immer die Frau und der Mann und sie versprachen so viel.

*-*-*

HEIM KOMMEN…

PS… die Geschichte ist nicht vorbei, es geht weiter…! Denn es gibt noch mehr zu berichten und zu erzählen und glaubt mir beim schreiben, leide ich sowas von… Joerschi

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5 Kommentare

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  1. Hallo Joerschi,

    sehr gut geschrieben, bin gespannt wie es weitergeht.
    Bin erst jetzt dazu gekommen alles Teile zu lesen.

    Ja, sicher kein einfacher Stoff, aber sehr gut rübergebracht.

    Grüße Claus

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    • Smiley auf 12. Januar 2016 bei 19:44
    • Antworten

    Wow. Ich freue mich schon drauf, weiter Teile lesen zu dürfen. Schön geschrieben die Geschichte, momentan sitze ich hier vorm Rechner, mit Tränen in den Augen. Bin gespannt, wie es weitergeht mit Luka aka. Bennie.

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  2. Es macht so nachdenklich …

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  3. Nachdenklich… vor allem weil so etwas in der Realität immer mal wieder passiert und keine Ämter und Behörden es je merken, wie soviele Missstände bei Kindern und Jugendlichen.

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  4. Hallo Joerschi,

    kann mir vorstellen, dass das zu Schreiben nicht leicht ist…

    ja, macht sehr nachdenklich…

    gruß
    Claus (Ostalbkreis)

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