Ein anderes Leben – Teil 9

Erschrocken riss ich die Augen auf. Mit voller Wucht wurde In Jook nach hinten gerissen. Die Waffe fiel in den Sand. Meine Beine versagten ihren Dienst und ich fiel ebenso in den Sand. Hinter mir hörte ich es fluchen. Mein Blick wanderte langsam, von einem röchelnden In Jook vor mir, zu Jack hinter mir.

Neben seinem Liegestuhl auf dem Bauch liegend, versuchte er sich aufzurichten. Aber interessanter war, dass er eine Waffe in der Hand hielt.

„Woher hast du die?“, stammelte ich.

Jack hielt in seiner Bemühung sich aufzurichten inne.

„Was?“, fuhr er mich leicht an.

„Woher du die Waffe hast?“, sagte ich fast genauso fahrig,

Jack schaute mich eine Weile durchdringend an, bevor er tief durchatmete. Meine Atmung normalisierte sich auch langsam wieder.

„Was glaubst du denn? Natürlich besitze ich eine Waffe. Ich bin schließlich So-Wois Bodyguard! Deswegen habe ich eine Ausbildung an der Schusswaffe genießen dürfen, bezahlt von So-Wois Vater.“

Ich hob kurz die Augenbraun, weil mich dies überraschte. Der Sohn schien dem Vater wohl doch nicht ganz egal zu sein. Ich spürte, dass langsam Leben in meine Beine zurück kehrte und krabbelte zu Jack.

Mühsam half ich ihm auf, so dass er wenigstens, an mich gelehnt, sitzen konnte. Die Waffe verschwand unter seinem Shirt.

„Trägst du die, die ganze Zeit bei dir?“

„Erst seit ich wieder aus dem Krankenhaus zurück bin.“

Das Wimmern von der anderen Seite, richtete mein Interesse wieder auf In Jook. Zusammengekrümmt hielt er sich den Arm und seine Hand war Blut verschmiert.

„Keine Sorge, ich habe nur auf seinen Arm gezielt, daran wird er nicht sterben“ meinte er trocken.

Leicht entsetzt fuhr mein Kopf herum und ich starrte Jack an. So abgebrüht hatte ich ihn noch nie sprechen gehört. Ich musste feststellen, dass ich über Jack wirklich nicht viel wusste. Bisher hatte er sich eben immer im Hintergrund gehalten.

Mittlerweile kamen die Männer in Schwarz vom Grundstück gerannt und umringten mit gezogener Waffe In Jook. Etwas spät dachte ich. Einer von ihnen hob die Waffe auf.  Sie zerrten ihn hoch und schleppten ihn Richtung Haus. Seine Schmerzensschreie waren dabei nicht zu überhören.

Sun-Wong kam vom Grundstück, dicht gefolgt von Mr. Ri.

„Alles in Ordnung, Master Jack?“, rief Sung-Wong und ging neben ihm in die Knie.

Genervt atmete Jack tief durch.

„Was soll das Sun-Wong, bisher war ich auch nur Jack, lass gefälligst das Master weg!“

Ich konnte nicht anders und musste kichern, da mir dieses Problem gut bekannt war. Unterdessen hatte uns Mr. Ri erreicht. Japsend versuchte er nach Luft zu ringen.

„Lucas…, ist alles… in Ordnung mit Ihnen?“, fragte er schwer atmend.

Da war einer wohl doch nicht so sportlich, wie er aussah.

„Bis, dass jemand versucht hat, auf mich zu schießen, fehlt mir nichts.“

Es lag wohl an Jacks direkter Nähe, dass ich so ruhig wurde und gelassen antwortete. Mr. Ri reichte mir die Hand, die ich dankend entgegen nahm und er mich hoch zog. Bei Jack gestaltete sich dies etwas schwieriger.

Zu dritt gelang es uns dann endlich, ihn wieder in die stehende Position zu bekommen. Sun-Woo reichte ihm seine Krücke. Ihn stützend liefen wir langsam zum Grundstück. Dort konnte ich So-Wois besorgte Grandma erkennen.

„Mein Gott, Junge, ist dir etwas passiert, bist du verletzt“, wollte Grandma Shin-Sook wissen.

„Nein, mir fehlt nichts, ich bin nur etwas wackelig auf den Beinen.“

„Und dir Jack?“, fragte sie.

„Den Umständen entsprechend.“

„Mr. Ri, helfen sie bitte Sung-Woo, Jack zum Haus zu bringen und du Lucas kommst mit mir“, sagte Grandma Shin-Sook und griff nach meinem Arm.

Ich musste lächeln, denn die Frau war zwei Kopf kleiner, wie wollte sie mich halten, wenn ich umkippte. So folgten wir Jack und den beiden anderen zum Haus zurück.

*-*-*

Meine Hände zitterten immer noch, als ich an meinem heißen Tee nippte. Mr. Ri kam aus dem Haus gelaufen.

„Senior Inspector Kim und Lucas Onkel sind soeben eingetroffen“, sagte er im gewohnt leisen Ton.

„Bitten sie, die beiden zu uns“, erwiderte ihm Grandma Shin-Sook, im ernsten Ton.

„Wie sie wünschen…“

Wenig später kam er zurück, dicht gefolgt von den eben genannten Personen.

„Lucas? Alles in Ordnung mit dir?“, rief Onkel Min-Chul.

Der Senior Inspector zog ihn am Arm und er blieb ruckartig stehen.

„Verzeihen sie meinem Junior seine aufbrausende Art…“, meinte er und verbeugte sich, auch Onkel Min Chul verbeugte sich.

„Kein Problem, Senior Inspector Kim, er ist sein Onkel, das ist nur verständlich!“

Als wären diese Worte ein Zeichen gewesen, kniete Onkel Min Chul neben mich.

„Onkel, mir ist nichts passiert, dank Jack…, er hat In Jook außer Gefecht gesetzt.“

„Guter Schuss“, meinte Senior Inspector Kim und nickte Jack anerkennend zu.

Jack verbeugte sich leicht, soweit es ihm eben möglich war, veränderte dabei aber nicht die Mimik seines Gesichtes.

„Setzen sie sich doch meine Herren.“

„Danke“, sagte Senior Inspector Kim und ließ sich neben Jack nieder.

Onkel Min Chul setzte sich zu mir. Sung-Woo, der die ganze Zeit hinter Jack gestanden hatte, schenkte den zwei Männer Tee ein, die sich beide nickend bedankten.

„Meine Herren, wie konnte Back In Jook unbemerkt dieses Grundstück betreten?“, fragte Grandma Shin-Sook in einem leicht verärgerten Ton, „ich dachte er wäre unter Beobachtung.“

Mr. Ri lächelte verlegen.

„Entschuldigen sie, Chairwoman. Wir bekamen gestern Abend die Nachricht, dass die Polizei Back In Jooks Spur verloren hatte. Ich wollte sie aber nicht unnötig beunruhigen, deswegen habe ich sie nicht aufgeweckt und informiert.“

„Mr. Ri, ihre Sorge um mich in allen Ehren, wenn es aber um meinen Enkel, oder seine Freunde geht, möchte ich immer umgehend informiert werden!“

„Entschuldigen sie nochmals, Chairwoman, es wir nicht wieder vorkommen.“

Er verbeugte sich tief vor ihr und sie nickte leicht.

„Auf meine Frage zurück zu kommen“, sprach Grandma Shin-Sook weiter“, wie konnte er unbemerkt auf unser Grundstück kommen…, wir haben hier nicht umsonst ein Heer von Aufpassern herum laufen.“

Das war eine gute Frage. Ich hatte mich deswegen eigentlich sicher gefühlt.

„Er ist der Sicherheitschef ihrer Sohnes und mich würde es nicht wundern, wenn er sich mit ihrem Sicherheitssystem im und am Haus und auch den Begebenheiten den Grundstücks bestens auskennen würde“, antwortete Senior Inspector Kim ihre Frage.

Deshalb kamen die Männer in Schwarz so spät gelaufen, jetzt wunderte mich gar nichts mehr. Grandma Shin-Sook sagte nichts darauf und schaute dann zu Mr. Ri.

„Ich werde mich darum kümmern“, meinte dieser, ohne dass sie etwas zum ihm gesagt hatte.

Kurze Zeit später war er wieder im Haus verschwunden.

„Was geschieht nun mit In Jook“, wollte ich wissen.

„Er wird wohl einige Zeit im Krankenhaus verbringen und danach wird er sicherlich lange im Gefängnis verweilen“, antwortete mir Senior Inspector Kim.

„Irgendwie tut er mir jetzt leid.“

„Lucas, wie kann dir dieser… Mensch leidtun“,  kam es entsetzt von Grandma Shin-Sook,  „er hat versucht dich umbringen und das mehrfach.“

Ich spürte die fragenden Blicke von Onkel Min Chul und dem Senior Inspector.

„Ich weiß nicht recht, wie ich das erklären soll, mich verwirrt, was In Jook vorhin zu mir sagte. Er wollte wissen, was er mir angetan hat, dass ich sein Leben ruiniere will.“

„Das hast du sicher falsch verstanden“, meinte Grandma Shin-Sook.

„In Jook hat Lucas das wirklich gefragt“, warf Jack leise neben mir ein.

„Ich dachte, du kennst In Jook gar nicht“, sprach mein Onkel.

„Das tu ich auch nicht. Dass er und So-Woi sich nicht mehr verstanden, daran kann ich nicht schuld sein, das war lange vor meiner Zeit und…“

„… noch bevor So-Woi nach Amerika ging“, unterbrach mich Jack und blickte zu mir, „er hat auch versucht So-Woi in Amerika nachzustellen…“

„Warum weiß ich davon nichts?“, fragte So-Wois Grandma empört.

„So-Woi wünschte es so, ich sollte niemandem davon erzählen“, erklärte Jack tonlos.

„Und wie seid ihr mit dem Problem dann fertig geworden?“, wollte ich wissen.

„Das Problem löste sich von selbst…, irgendwann verschwand er von der Bildfläche und wir hatten unsere Ruhe.“

Niemand sagte nun etwas darauf. Noch immer umklammerte ich krampfhaft meine Tasse und spürte eine plötzliche Müdigkeit in mir aufkommen.

„Wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich mich gerne etwas hinlegen, das war… alles etwas viel für mich…“

„Aber natürlich Lucas, du musst nicht bei uns sitzen, oder Senior Inspector?“, fragte Grandma Shin-Sook.

„Nein, es ist alles so weit geklärt, mein junger Kollege wollte sich nur persönlich über das Befinden seines Neffen erkundigen.“

Onkel Min Chul wurde rot. Für dass, das wir uns noch nicht so lange kannten, war er unheimlich besorgt um mich.

„Ich werde auch mit nach oben gehen“, meinte Jack neben mir.

So-Woi Grandma nickte. Sung-Won half Jack auf und gemeinsam verließen wir den Tisch auf der Terrasse.

*-*-*

Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen hatte, aber ich hörte Stimmen aus Jacks Zimmer. So blickte ich auf meine Uhr und stellte fest, dass wohl vier Stunden vergangen waren, seit ich mit Jack hochgegangen waren.

Ich stand auf und tapste zur Verbindungstür, die Jacks und mein Zimmer trennte. Bei Jack fand ich So-Woi neben ihm auf dem Bett, Hyun-Woo davor stehend und Jae-Joong bequem im Sessel sitzend vor.

„Hallo zusammen“, sagte ich, als ich feststellte, dass mich noch niemand bemerkt hatte.

Hyun-Woo fuhr herum, er war mit dem Rücken zu mir gestanden, lief auf mich zu und fiel mir um den Hals.

„Lucas…“, war alles, was ich verstand, er fing an zu weinen.

Jack, Jae-Joong und So-Woi fingen an lächeln, während ich Hyun-Woo in meinen Arme nahm.

„Es ist alles gut…“, sagte ich leise und strich ihm dabei über den Rücken.

Er schaute auf.

„Ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht und die drei haben mir verboten, mich an dein Bett zu setzten…“

„Verboten?“, fragte ich, schaute dabei die drei an.

„Er hätte dich nur aufgeweckt. Hyun-Woo war so durch den Wind und du hast so schön tief und fest geschlafen, deshalb haben wir beschlossen, er muss bei uns bleiben“, kam es von Jae-Joong.

Hyun-Woo schaute mich immer noch an und dicke Tränen rannen über seine Wangen.

„He, es ist alles gut! Wirklich Hyun-Woo… ich war vorhin nur etwas müde. Du hast selbst gesagt, ich soll auf mich aufpassen und mich nicht überanstrengen.“

Hyun-Woo erwiderte nichts darauf und vergrub sein Gesicht wieder in meinem Shirt.

„Seid ihr schon lange da?“, wollte ich wissen.

„Hyun-Woo und ich sind gleich losgefahren, nachdem dein Onkel Min-Chul uns über den Vorfall mit In Jook unterrichtet hat, Jae-Joong und dein Vater kamen kurze Zeit später an.“

„Mein Vater war hier?“

„Er ist noch hier, er sitzt gemeinsam mit deinem Großvater unten bei meiner Großmutter.“

„Großvater auch?“, fragte ich erstaunt.

So-Woi nickte und ich drückte, besser gesagt ich versuchte es, Hyun-Woo von mir wegzudrücken, doch hielt mich fest umarmt.

„Hyun-Woo, würdest du mich bitte loslassen, ich möchte gerne zu meinem Vater.“

Er zuckte zusammen und ließ augenblicklich los.

„Entschuldige…“

„He, du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, meinte ich lächelnd und gab ihm einen kleinen Kuss.

„Ich bring dich runter“, meinte So-Woi und erhob sich von Jacks Bett.

*-*-*

„Papa…“, sagte ich nur.

Er stand auf und wir fielen uns in die Arme.

„Gott sei Dank ist dir nichts passiert“, hörte ich ihn leise sagen.

Er ließ mich los und ich sah im in die Augen. Sie waren feucht.

„Es tut mir leid, dass du dir viele Sorgen machen musst“, sprach ich genauso leise.

Er schüttelte den Kopf.

„So darf du nicht denken.“

Hinter mir räusperte sich mein Großvater. Gegen alle Gewohnheit und wohl auch gegen alle Regeln beugte ich mich zu ihm vor und umarmte ihn ebenso. So gut es eben ging, weil er immer noch im Sessel saß.

Ich glaubte eine Hand zu spüren, die mir sanft auf den Rücken klopfte.

„Setz dich bitte zu uns“, meinte er.

Ich setzte mich neben Papa aufs Sofa. Großvater hatte dabei meine Hand nach meiner Hand gegriffen.

„Shin-Sook hat uns erzählt, du hast Mitleid mit diesem Mann?“

Großvater schien leicht verärgert. Ich nickte.

„Du sagst nichts dazu, Schwiegersohn, dass dein Sohn… etwas verwirrt ist?“

Ich schaute zu Papa, der begann den Kopf zu schütteln.

„Ich kenne meinen Sohn gut genug, um zu wissen, dass er in keinster Weise verwirrt ist. Er meinte das aus vollem Herzen. Und wenn er sagt, dass ihm dieser Mann leid tut, dann hat er seine Gründe dafür.“

„Das bezweifle ich nicht, aber dieser Mensch wollte meinen Enkel umbringen…, wie kann man da noch so empfinden?“

„Das ist eben Lucas, du hast ihn ja selbst erlebt, wie ihr euch kennen gelernt habt…“

Dazu Großvater schwieg nun und Grandma Shin-Sook schwieg schon die ganze Zeit, Papa dagegen wandte sich zu mir.

„Ich kann mir gut vorstellen, dass du diesen… Herrn gerne besuchen würdest.“

Leicht entsetzt schauend, ließ Großvater meine Hand los.

„Ähm… du kennst mich wirklich gut“, lächelte ich verlegen.

„Das haben Väter so an sich.“

„Nicht alle…“, kam es von Großvater.

*-*-*

„… und du willst wirklich, dass ich mit hinein komme.“

Ich weiß nicht wie oft mir Hyun-Woo, auf der Fahrt ins Krankenhaus, diese Frage gestellt hatte. So sah ich ihn nur an, sagte aber nichts. Mr. Ri war so freundlich uns zu begleiten, damit wir ohne Probleme zu In Jook Zutritt bekamen.

Etwas anderes beschäftigte mich aber mehr. Die Frage, wie es zu diesem Missverständnis kommen konnte. Je länger ich darüber nachdachte, kam ein Gedanke immer wieder zurück, aber diesen wollte ich von In Jook erst bestätigt wissen.

Direkt vor dem Krankenhaus kam der Wagen zum stehen. Wir folgten Mr. Ri durch verschiedene Gänge und Stockwerke, bis wir endlich auf In Jooks Flur ankamen. Vor seinem Zimmer standen zwei Polizisten.

Mr. Ri redete mit einem von den Beiden, während Hyun-Woo und ich in einigen Abstand warteten. Ich griff nach Hyun-Woos Hand.

„Hyun-Woo…, ich möchte dich einfach bei mir haben. Du bist der Mensch, in den ich mich verliebt habe und dass kann ruhig jeder wissen, auch In Jook.“

„Lucas…?“, hörte ich Mr. Ri rufen.

Er winkte uns zu sich.

„Du hast eine halbe Stunde Zeit, mehr hat Senior Inspector Kim nicht erlaubt.“

„Danke, Mr. Ri.“

Er verbeugte sich leicht und entfernte sich. Ich atmete noch einmal tief durch und klopfte an die Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten, schob ich die Tür auf und betrat den Raum. Mein erster Eindruck war, dass In Jook doch sehr nobel untergebracht war, auch wenn er unter Bewachung stand.

„Was willst du hier?“, kam es vom Bett.

Mein Blick wanderte zu In Jook, dessen rechte Schulter einen dicken Verband zierte.

„Mit dir reden!“, antworte ich ihm im ruhigen Ton, griff nach einem Stuhl und setzte mich damit direkt neben ihm ans Bett.

Hyun-Woo zog die Tür zu und gesellte sich hinter mich.

„Wo hast du So-Woi gelassen?“

„Wieso sollte ich ihn mitbringen?“

„Hat er keine Angst, ich könnte seinem Freund doch etwas antun?“

„Wie lange denkst du, geht das schon?“, fragte ich ohne auf sein Gesagtes einzugehen.

Fragend schaute er mich an.

„Du hast gesagt, ich habe dir So-Woi weggenommen, also wie lange denkst du, kenne ich So-Woi schon.“

„So innig ihr miteinander umgegangen seid, habt ihr euch sicherlich schon in Amerika kennen gelernt, aber warum stellst du mir diese Frage, was soll das bringen?“

Ich schaute kurz zu Hyun-Woo. Es war, wie ich vermutet hatte. Deshalb auch dieses Missverständnis.

„Ich bin enttäuscht. Als Sicherheitschef von KBS dachte ich eigentlich, dass du mehr auf dem Kasten hast…“

Ich spürte Hyun-Woos Hand an meiner Schulter, wie er leicht daran zog. Er wollte mich wohl zurück halten.

„… was soll die Scheiße?“, unterbrach mich mein Gegenüber, „bist du nur hier her gekommen, um mich weiter fertig zu machen…?“

Die Tür wurde aufgezogen und ein Beamter schaute herein. In Jook war laut geworden.

„Schon gut, es ist nichts passiert, wir unterhalten uns nur!“, meinte ich und winkte abwehrend mit meinen Händen.

Der Offizier sagte nichts, nickte nur und schob die Tür wieder zu. Natürlich fiel mir auf, dass die Tür nun einen Spalt offen stand. Ich griff nach In Jooks Hand, die er natürlich versuchte zurückzuziehen. Aber ich hielt sie fest umschlossen.

„Hör mir bitte zu! Danach kannst du immer noch alles sagen, was du willst, aber lass mich dieses ein Mal aussprechen!“

Sah ich Angst in seinen Augen? Er nickte.

„Zum einen, ich war noch nie in Amerika, diese Reise hier her, ist mein erster, größerer Aufenthalt im Ausland. So-Woi habe ich hier bei dem Benefizkonzert kennen gelernt.“

Ungläubig schaute mich In Jook an.

„… und wir sind uns nur näher gekommen, weil ich es irgendwie schaffte, So-Woi bei einem großen Problem zu helfen, danach bat ich ihm meine Freundschaft an, nicht mehr oder weniger. Ich bin ein Freund für So-Woi und nicht sein Freund.“

In Jook schüttelte zweifelnd den Kopf.

„Das kann nicht sein…“, kam es leise von ihm.

„Doch es ist so, da ist dir ein grober Fehler unterlaufen.“

„… aber ich dachte…, du bist zu ihm gezogen…“

„Falsch gedacht. So-Woi ist für mich nur ein sehr guter Freund, der sich meiner angenommen hat, weil ich hier fremd bin. Dass ich bei ihm untergekommen bin, lag nur daran, weil du die Wahrheit verdreht hast, sonst würde ich immer noch bei den Chois wohnen und Hyun-Woo hätte seinen alten Job noch.“

Immer noch schüttelte er nicht glaubend den Kopf, Tränen rannen über seine Wangen.

„Und das andere, was ich dir sagen wollte. Es gibt nur einen Menschen, der mein Herz erobert hat und das ist nicht So-Woi!“

„… wer…?“

Ich ließ seine Hand los und griff nach der, die immer noch auf meiner Schulter ruhte.

„Ich bin Hyun-Woos Freund, oder Lover… ach egal du weißt schon was ich meine…“

Durchdringend schaute ich In Jook an.

„Du hättest dir das alles sparen können…“

Ich stand auf und wollte ohne mich zu verabschieden einfach gehen. Doch kurz vor der Tür hielt ich inne und drehte mich noch einmal zu ihm.

„… noch etwas…, von mir wird keine Anzeige kommen, ich habe absolut keine Lust auf so etwas. Teilweise verstehe ich dich sogar, warum du das alles gemacht hast… Du hast nur den falschen Weg gewählt, So-Woi deine Liebe zu zeigen!“

Mit diesen Worten ließ ich ihn alleine. Ich zog die Tür auf und Hyun-Woo und ich verließen den Raum, um aber gleich wieder total überrascht stehen zu bleiben. Der Beamte neben mir schob die Tür zu, während ich immer noch überrascht in Senior Inspector Kims Augen schaute.

„Respekt junger Mann, nicht jeder wäre so gelassen wie du.“

Ich suchte nach Hyun-Woos Hand. Jeder schien wohl wirklich zu glauben, dass ich cool wäre. Aber in mir drin, sah es ganz anders aus. Ich wollte dem Chief Inspector nichts vorspielen.

„Der Schein trügt Chief Inspector…, ich bin weder ruhig noch gelassen…, können wir bitte wo anders reden?“, fragte ich leise.

„Kein Problem…“

*-*-*

Ich saß erschöpft auf einer Bank vor dem Krankenhaus, während Hyun-Woo in der Nähe stand und telefonierte. Der Senior Inspector hatte mich zuvor in einen Raum gebeten, wo ein Herr auf uns wartete.

Dieser Herr stellte sich als Anwalt der Staatsanwaltschaft vor und wollte mich davon überzeugen, doch eine Anzeige gegen In Jook zu erstatten. Doch ich blieb bei meiner Entscheidung und ließ mich nicht umstimmen.

Der Mann schien dies nicht hinnehmen zu wollen und drohte mit einer Vorladung. Aber ich blieb stur und rückte nicht im Geringsten von meiner Einstellung ab. Ich würde für Fragen gerne zur Verfügung stehen, aber nicht eine Anzeige aufgeben.

Ungläubig und nicht verstehend stand dieser Mann vor mir. Senior Inspector Kim bekräftigte ihm auch noch mal, dass er ihm dies schon vorher gesagt hatte, dass ich meine Meinung sicher nicht ändere.

Mit Hilfe von Onkel Min-Chul konnte ich dann auch gehen. Dies alles hatte mich doch sehr geschafft. Müde sah ich zu Hyun-Woo an, der gerade sein Gespräch beendete.

„Jae-Joong ist mit deinem Vater unterwegs, der eine Unterkunft sucht…, So-Woi ist mit Jack bei seiner Großmutter, also zu weit um uns jetzt abzuholen. Dein Onkel Sung-Ja kommt gefahren und bringt uns zurück.“

„Warum sucht denn mein Vater eine Unterkunft? Er wohnt doch bei Großvater.“

„Deine Mutter kommt und bringt deine Schwester mit, da wird es wohl zu eng.“

„Meine Mutter… und Mia auch… die hat doch Schule?“

„Sie scheint für den Rest der Woche wegen familiärer Probleme befreit worden zu sein, sie sitzt jetzt mit deiner Mutter bereits im Flieger hier her. Sie werden Morgen recht früh hier eintreffen.“

Ich atmete tief aus und schüttelte den Kopf. Alles wegen mir. Hyun-Woo setzte sich neben mich und nahm mich in den Arm.

„Ist alles in Ordnung? Du bist ganz blass im Gesicht.“

„Sorry, das ist echt alles etwas viel für mich. Nie hätte ich gedacht, dass wegen mir, so ein Wirbel gemacht wird. Meinst du mein Onkel braucht noch lange?“

„Sicher nicht, er hat sich schon auf den Weg gemacht.

*-*-*

Viel Hunger hatte ich nicht und so verabschiedete ich mich schnell nach dem Abendessen und ging in mein Zimmer. Erschöpft kuschelte ich mich in meine Bettdecke. Schlafen konnte ich aber nicht, zu viel wanderte in meinem Kopf umher.

Neben an hörte ich Stimmen und Gelächter, die anderen schienen wohl meinem Handeln gefolgt zu sein und waren ebenso hoch gegangen. Die Verbindungstür öffnete sich und Hyun-Woo trat ein.

Ohne etwas zusagen hob ich meine Arme und verlangte nach ihm. Er schloss die Tür, lächelte und kam zu mir ins Bett. Fest umschlag ich ihn und wollte ihn nicht mehr loslassen.

„Kann ich mich wenigstens noch Bettfertig machen?“, fragte Hyun-Woo.

„Du bleibst hier?“, fragte ich verwundert.

„Da So-Woi heute Nacht bei Jack bleiben will, werde ich auch hierbleiben. Wenn du aber möchtest, kann ich fragen, ob ich ein anderes Zimmer…“

„… ein Teufel wirst du!“, unterbrach ich ihn.

Hyun-Woo lächelte mich verliebt an.

„Danke!“

„Für was?“, fragte er.

„Dass es dich gibt, dass du mich liebst, dass du für mich da bist, dass du…“

Weiter kam ich nicht, Hyun-Woo hinderte mich mit einem Kuss am weitereden.

*-*-*

„Lucas…, Lucas… aufwachen.“

„Hm…?“

„Du wolltest geweckt werden.“

Leicht irritiert öffnete ich ein Auge und schaute in Hyun-Woos strahlendes Gesicht.

„Die Maschine mit deiner Mutter und deiner Schwester kommt in einer Stunde an.“

Plötzlich war ich hell wach und richtete mich auf.

„Langsam! Mr. Ri hat uns einen Wagen zur Verfügung gestellt, wir können also das Tempo selbst bestimmen.“

„Danke!“, meinte ich und umarmte ihn kräftig.

Eine viertel Stunde später saßen wir beide bereits im Wagen. Im Haus war es noch ruhig. Es war nur einer der Männer in Schwarz Vorort und übereichte uns die Schlüssel für den Wagen. Recht zügig hatte Hyun-Woo das Grundstück verlassen und wir befanden uns jetzt Richtung Flughafen.

„Irgendwie freue ich mich auf Mia, auch wenn sie ganz schön nervend sein kann.“

„Ist sie dir ähnlich?“

„Wenn du auf meine Größe anspielst, nein, sie ist etwas größer, als meine Mutter, aber man sieht, dass wir Geschwister sind.“

„Und auch immer mit dem Kopf durch die Wand…?“

Ich legte meinen Kopf schief und schaute Hyun-Woo gespielt empört an. Ich verdrehte die Augen und atmete tief durch.

„… in gewisser Weise schon, aber sie verträgt es besser als ich.“

„Vielleicht… solltest du sie fragen, wie sie das macht“, kam es lächelnd von Hyun-Woo.

Ich schüttelte den Kopf und ging nicht weiter darauf ein. Eine halbe Stunde später waren wir bereits am Flughafen und Hyun-Woo ließ den Wagen langsam die Abfahrt zur Tiefgarage hinab rollen.

„Mr. Ri hat uns einen Platz reservieren lassen, dass wir nicht lange suchen müssen.“

Irgendwann sollte ich Mr. Ri noch mal danken, für das, was er alles schon für mich gemacht hatte. Schnell war der Parkplatz gefunden und wenig später trottete ich Hyun-Woo zum Aufzug hinter her.

Oben angekommen schaute ich zuerst auf die große Anzeige, um den Flug meiner Mutter zu finden. Finden konnte ich nichts und gähnte.

„Komm, ich weiß wo es hingeht!“

Ich schaute ihn nur an und lächelte. Dann griff ich nach seiner Hand.

„Okay.“

So liefen wir Hand in Hand weiter. Ich spürte, dass Hyun-Woo sichtlich unruhiger wurde. Ich stoppte.

„He, was ist los? Fühlst du dich nicht wohl, weil wir Hand in Hand laufen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein…, das ist es nicht.“

Er senkte den Kopf.

„Was dann?“

„Deine Schwester…“

„Meine Schwester?

„… wird sie mich akzeptieren?

Fassungslos schaute ich Hyun-Woo an.

„… wie…, wie kommst du jetzt darauf? Mia ist ein sehr umgänglicher Typ und freundet sich schnell mit anderen an, schneller als ich. Sie ist nicht so schüchtern, wie die Mädchen hier. Aber ich sollte dich vielleicht auch warnen, sie kann sehr direkt sein. Hör auf dir darüber Gedanken zu machen. Du bist mein Schatz und daran wir sie nichts ändern.“

Mein Schatz nickte, war aber wohl nicht so richtig überzeugt. So liefen wir weiter. Bald kamen wir an diese Förderbänder und wir ließen uns einfach zu dem Terminal bringen. Am Ende dieses Bandes sah ich vertraute Gesichter. Dort standen Papa und Onkel Min-Chul.

„Hallo ihr beiden“, begrüßte ich sie, ohne dabei Hyun-Woo loszulassen.

„He hallo ihr zwei, aus dem Bett gefallen?“, fragte mein Vater und lächelte.

„Ich werde doch nicht die Ankunft meiner Schwester verpassen.“

Papa wuschelte mir grinsend durchs Haar.

„Du hättest sie doch anketten sollen…“, sagte ich.

„Was?“

„Du wolltest doch Mama im Keller anketten, hättest du das mal getan,  dann müssten wir jetzt nicht hier stehen.“

Es dauerte kurz, dann fing Papa schallend laut an zu lachen, so dass die wenigen anwesenden Personen sich alle umdrehten. Davon angesteckt lachten wir dann alle vier. Es dauerte etwas, bis wir uns wieder beruhig hatten.

Eine Ansage kam und kündigte die Landung der erwarteten Maschine vor.

„Ich konnte vor dem Abflug noch kurz mit deiner Mutter telefonieren. Mia scheint völlig neben sich zu sein.“

„Warum das denn?

„Deine Mutter hat ihr anscheinend einiges über die Familie erzählt und was sie erwartet. Danach war sie wohl völlig aus dem Häuschen.“

„Verstehe ich irgendwie, man bekommt ja auch nicht alle Tage so eine tolle Familie dazu“, meinte ich und klopfte Onkel Min-Chul auf die Schulter.

„Pass auf, so versucht er dich nur um seinen kleinen Finger zu wickeln“, meinte Papa grinsend zu Min-Chul.

„Papa, wie kannst du so etwas nur behaupten“, spielte ich den Empörten.

„Weil ich dich gut genug kenne.“

Ich streckte ihm die Zunge raus. Min-Chul und Hyun-Woo grinsten um die Wette.

„Junger Mann, werde nicht frech, für eine Ohrfeige bist du mir nicht zu schade!“

„Du würdest doch deinen armen, kleinen, zierlichen Sohn nicht hauen.

Jetzt fing auch Hyun-Woo neben mir an zu lachen.

„Was denn…?“

„Zierlich… klein…“, Hyun-Woo prustete los.

„Ich weiß nicht was ihr habt…“, meinte ich süffisant und posierte in der typischen Teekannenstellung.

Fast hätten wir durch das Lachen die Ankunft unserer zwei Damen verpasst, doch Mias Stimmen war doch noch etwas lauter.

„…LUKAS…!

Natürlich schaute ich in die Richtung, aus der mein Name klang. Dort sah ich Mama hinter einem Wagen schiebend neben Mia laufen, die wild winkte.

„Sie sieht dir wirklich sehr ähnlich“, hörte ich Hyun-Woo leise neben mir sagen.

Ich reagierte nicht auf ihn, sondern lief los. Dort, wo die Absperrung endete, flog mir regelrecht Mia entgegen und ich wirbelte sie herum.

„Hallo Schwesterherz!“, meinte ich auf Deutsch.

Fest drückte ich sie an mich.

„Lukas…, he cool, neue Lederjacke, ist die neu?“

Ich ließ sie wieder runter.

„Bist du gewachsen?“, fragte ich grinsend, weil ich sie damit immer aufzog.

„Bah, gerade wollte ich noch sagen, wie sehr ich dich vermisst habe, aber das kannst du jetzt vergessen!“

„Ich hab dich auch lieb“, meinte ich grinsend und nahm sie wieder in den Arm.

Inzwischen hatte auch unsere Mutter uns erreicht.

„Hallo Lukas…“, sie sprach Koreanisch.

„Hallo Mama“, begrüßte ich sie ebenso auf Koreanisch und umarmte sie.

„Dir geht es gut?“

Sie musterte mich von oben bis unten.

„Klar geht es mir gut, wenn ich meine ganze Familie um mich habe.“

„Hallo Schatz“, meinte Papa, der neben mich getreten war und gab seiner Frau einen Kuss.

Bevor meine Mutter nun sich in Wortflüsse ergoss, richtete sich unsere Aufmerksamkeit auf Mia. Sie stand die ganze Zeit ruhig neben mir und starrte zu Onkel Min-Chul und Hyun-Woo.

„Mia“, begann ich wieder auf Deutsch, „darf ich dir deinen Onkel Min-Chul vorstellen?“

„Du kannst ruhig koreanisch reden, wohl vergessen, dass ich genauso die Sprache gelernt habe.“

Mama lächelte mich stolz an. Also wiederholte ich mein gesagtes auf Koreanisch und Onkel Min-Chul trat zu uns heran.

„Hallo Mia, du siehst aus wie deine Mutter, als sie in deinem Alter war“, meinte er und streckte ihr seine Hand entgegen.

Anscheinend hatte Mama auch Mia während des Fluges Benimmregeln eingehämmert. Sie verbeugte sich leicht und schüttelte ihm die Hand.

„Hallo Min-Ja“, sagte Onkel Min-Chul.

„Hallo großer Bruder“, meinte Mama lächelnd.

Beide umarmten sich.

„Und der junge Mann der hinter Onkel Min-Chul steht ist Hyun-Woo, mein Schatz!“

Hyun-Woo wurde rot, verbeugte sich leicht und streckte ebenso Mia seine Hand entgegen.

„Geschmack hast du“, meinte sie leise, lächelnd und schüttelte Hyun-Woo die Hand.

Hyun-Woo nun noch mehr verlegen, drehte sich auch zu meiner Mutter.

„Hallo Mrs. Dremmler, darf ich ihnen das Gepäck abnehmen?“

„Danke Hyun-Woo, freut mich dass du auch hier bist, aber du darfst ruhig Min-Ja zu mir sagen, du bist schließlich der Freund meines Sohnes.“

Hyun-Woo kam vor Verbeugungen und verlegen sein, gar nicht mehr heraus und schaute mich hilflos an.

„Danke Mama“, meinte ich nur und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

Sie lächelte mich an und wandte sich an ihren Mann.

„Was habt ihr geplant?“

„Zuerst ins Hotel euer Gepäck hinbringen und dann zu deiner Familie, die wartet schon sehnsüchtig auf dich“, grinste er.

Mama schaute auf ihre Uhr.

„So früh, schlafen die nicht noch alle?“

„Nein“, mischte sich Onkel Min-Chul ein, „dein Vater hat extra betont, euch umgehend zu ihm zu bringen. Er will ja schließlich auch seine Enkelin kennen lernen.“

Mia wurde tief rot und wüsste ich es nicht besser, hätte ich behauptet, sie versteckte sich wie früher hinter ihrem Vater, wenn sie Angst hatte. Hyun-Woo schnappte sich den Wagen mit dem Gepäck.

„Am besten ihr fahrt voraus und wir folgen euch“, meinte ich.

„Seid ihr denn nicht gemeinsam gekommen?“, fragte Mama.

„Nein, denn ich wohne im Augenblick bei So-Wois Grandma Shin-Sook.“

„Wieso das denn?“

„Können wir das später klären?“, fragte mein Vater und drängte uns Richtung Ausgang.

Anscheinend wollte er hier weg. So setzten wir uns in Bewegung und waren etwas später unten in der Tiefgarage.

„Darf ich bei Lukas mitfahren?“, rief Mia, was hier unten, doch etwas laut nachhallte.

„Mia, etwas leiser bitte!“, mahnte Mama.

„Darf ich…, darf ich…?“, bettelte sie nun etwas leiser.

„Da musst du deinen Bruder und Hyun-Woo fragen.

Mia fuhr herum und sah nun mich mit ihrem berühmten Bettelblick an. Ich dagegen schaute zu Hyun-Woo.

„Irgendwelche Einwände?“

Er hob abwehrend seine Hände.

„Wieso sollte ich?“, lächelte er.

Er schien sich wohl etwas gefangen zu haben. Er ging an die Hintertür unseres Wagens und öffnete sie. Dann machte er einen leichten Diener und wies Mia an einzusteigen.

„Wir sehen uns dann am Hotel“, meinte ich nur und stieg ebenso ein.

Als letztes folgte uns Hyun-Woo und starrte den Wagen. Er wartete bis Onkel Min-Chul ausgeparkt hatte und fuhr ihm dann Richtung Ausgang hinter her.

„Dir geht es wirklich gut?“, hörte ich meine Schwester besorgt hinter mir sagen, die nun etwas vorgerutscht kam.

„Ja, sagte ich doch.“

„Zu Hause hast du dass auch immer zu Mama gesagt, auch wenn es nicht stimmte.“

Hyun-Woo neben mir grinste.

„Um ehrlich zu sein liebes Schwesterlein, ich habe nicht groß darüber nachgedacht. Ich freue mich im Augenblick nur, dass ihr beide hier seid und wenn es dich beruhig, ich habe dich ebenso vermisst.“

„Das beruhigt mich nicht, ich mach mir riesige Sorgen um dich…, Mama hat mir sicher nicht alles erzählt, auch nicht den Grund, warum ich plötzlich von der Schule befreit wurde und mit ihr hier her fliegen durfte.“

Ich schaute zu Hyun-Woo, der zur gleichen Zeit zu mir blickte. Sollte sie Mia nichts erzählt haben?

„Was hat dir Mama nicht erzählt?“, wollte ich wissen.

„Die ganze Aufregung um dich, war doch sicher nicht nur wegen Opa und der Rest der Familie, du hast doch sicher irgendetwas Haarsträubendes angestellt?“

Hyun-Woo neben mir zog die Stirn in Falten und fing an zu kichern. Natürlich zog dies vollends meine Aufmerksamkeit auf ihn.

„Was denn, ich hab nichts angestellt! Das weißt du ganz genau“, meinte ich zu ihm.

Nun grinste er breit.

„Ich habe es doch gewusst“, kam es von meiner Schwester.

„Dein Koreanisch ist gut“, meinte ich nur und schaute wieder nach vorne auf die Straße.

„Du bist gemein, lenk nicht vom Thema ab!“

Etwas genervt, atmete ich tief durch und schaute zu Hyun-Woo, der aber nur mit den Schultern zuckte. Dann drehte ich meinen Kopf wieder zu Mia.

„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich dir das erzählen soll.“

„Warum denn das?“

„Mama wird schon ihren Grund gehabt haben, die nichts von hier zu sagen.“

„Hallo, ich bin fast volljährig!“

„Du bist sechszehn und was hier passiert ist…, naja ist schon sehr heftig.“

„Och Lukas, bitte, behandle mich nicht auch noch du, wie ein kleines Mädchen!“

Wieder seufzte ich und schaute hilflos zu Hyun-Woo, der weiter Onkel Min-Chul folgte.

„Das kannst nur du entscheiden, Lucas…“, meinte er.

„Okay…“, meinte ich und richtete mich wieder an Mia.

„Es vereinfacht auszudrücken, ein liebeskranker, eifersüchtiger Typ, hat versucht deinen Bruder umzubringen…“

„…was?“, entfuhr es etwas laut aus Mias Mund, dass sogar Hyun-Woo neben mir zusammenzuckte und der Wagen etwas schlingerte.

„… sehr vereinfacht…“, fügte er noch leise hinzu.

Mit weitaufgerissenen Augen schaute Mia nun zu Hyun-Woo.

„… was…, was meinte Hyun-Woo.

Ich wusste nicht warum ich so gelassen war. War es, weil ich noch müde war, nach dieser kurzen Nacht, oder die Nähe von Hyun-Woo, oder weil es mich so faszinierte Mia so geschockt zu sehen.

„Naja…, erst sperrte er mich in eine Dusche und legte Feuer, dann schubste er mich in ein Hafenbecken und zum Schluss stand er mit gezogener Waffe vor mir.“

„… ähm du hast das… Auto vergessen“, kam es von Hyun-Woo.

„Ja stimmt, überfahren wollte er mich auch noch, aber es hat… leider jemand anderen erwischt.“

Mia schloss ihren offenen Mund und begann zu grinsen.

„Hör auf Lukas, du willst mich nur verarschen.“

Ich versuchte ein ernstes Gesicht zu machen.

„Leider nicht Mia, das ist alles so geschehen, wahrscheinlich der Grund, warum Mama dir das nicht erzählen wollte, um dich nicht zu ängstigen.“

„…, aber… warum…?“, sie schaute zu Hyun-Woo.

Ich folgte ihrem Blick und verstand plötzlich ihre Denkweise.

„Nein, Hyun-Woo hat nichts zu tun, ich bin sein erster Freund, so wie er der meinige, also kein wütender Exfreund.“

Hyun-Woo war schon wieder am rot werden.

„Ich kann das nicht glauben…“

„Darfst du ruhig, Schwesterherz, ich denke, du wirst später noch mehr mitbekommen, weil die anderen werden sicher nicht, wegen dir dieses Thema auslassen.“

Sie hatte sich zurück gelehnt und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ob das gut war?“, fragte Hyun-Woo leise.

„Irgendwann würde sie es doch erfahren…, so ist es glaub ich am besten.“

„Bekommst du denn kein Ärger mit deiner Mutter?“

„Warum sollte ich? Nach meiner Ansicht ist Mia alt genug, es ist ja nicht so, dass ich aus einem Land komme, wo alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, auch bei uns gibt es Mord und Totschlag, kommt fast täglich in den Nachrichten…, wie gesagt, später bei der Familie wird sicher darüber gesprochen, da erfährt sie es sowieso.“

„Soll ich da mitkommen?“

Ich schaute ihn an.

„Blöde Frage! Klar kommst du mit, du bist mein Freund und gehörst zur Familie. Gewöhn dich bitte daran!“

Verlegen lächelte er mich an.

„Wo hast du Hyun-Woo kennen gelernt?“, meldete sich nun Mia wieder zu Wort, die unsere Unterhaltung sicher mit verfolgt hatte.

„Ich sag nur Diener…“

„Diener?“, fragte sie.

„Erinnerst du dich an unser erstes Videogespräch, nach meiner Unterkunft, als du den Mann, den man mir zu meiner Seite stellte, Diener nanntest?“

Mias Augen wurden groß und sie hielt ihre Hand vor den Mund.

„Das war Hyun-Woo…“, grinste ich.

„… äh… entschuldige Hyun-Woo…, so war das nicht gemeint“, versuchte sich Mia heraus zureden.

„Kein Problem“, meinte Hyun-Woo lächelnd, ohne sich herum zu drehen.

„Warum bringst du mich immer in so peinliche Situationen, Lukas?“

„Weil es Spaß macht“, antwortete ich kichernd.

„Blödmann!“

„… und das hast du vermisst?“, wollte Hyun-Woo grinsend wissen.

*-*-*

Am Hotel angekommen, fiel mir gleich auf, dass mich Mama böse anschaute. Es dauerte aber noch bis wir im Zimmer waren, bevor sie explodierte..

„Bist du noch ganz gescheit, zu diesem Mann ins Krankenhaus zu gehen, da hätte was weiß ich passieren können!“

Da stand die 1,57m Frau vor mir und hatte wütend ihre Hände in die Seite gepresst. Abwehrend hob ich die Hände.

„Halt, lass mich bitte erklären…aussprechen“, sagte ich und ging einen Schritt zurück.

„Auf die Erklärung bin ich gespannt!“

„Ich war im Krankenhaus, weil ich eine Vermutung hatte und das wollte ich klären.“

„…Vermutung…?“

„Du wolltest mich aussprechen lassen!“

„Min-Ja!“, meinte mein Vater und nahm sie in den Arm.

„Okay, okay, ich bin ruhig!“

Sie entspannte sich etwas, aber schaute mich immer noch durchdringend an. So holte ich tief Luft und begann zu erklären. Wie auch In Jook erzählte ich, wie ich So-Woi kennen gelernt hatte und dass Hyun-Woo eben mein Freund ist und nicht So-Woi.

„Was meinte er dazu?“, wollte mein Vater wissen.

„Nichts…, als Hyun-Woo und ich ihn verließen, da weinte er“, antwortete ich.

„So langsam verstehe ich deine Denkweise und weiß warum er dir leid tut.“

„Der Typ tut dir leid?“, fragte nun meine Schwester.

Etwas geschockt sah nun meine Mutter zu Mia.

„Mama bevor du etwas sagst, ich habe Mia alles erzählt und ja Mia, er tut mir leid. Er ist verliebt, hat es aber leider auf die falsche Art gezeigt… und bevor wir hier jetzt in eine große Diskussion verfallen, würde ich vorschlagen zu Großvater zu fahren, der wartet auf uns.“

Onkel Min-Chul grinste.

„Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich stolz bin, so einen Neffen zu haben?“, fragte er.

Leicht verlegen lächelte ich ihm zu.

*-*-*

Natürlich war es mittlerweile hell geworden und Großvaters Laden schon geöffnet. Als der Wagen hielt, kam auch schon Tante Min-Sun heraus gelaufen.

„Min-Ja“, rief sie und die beiden Frauen umarmten sich.

„Hallo Min-Sun, so schnell sieht man sich wieder“, meinte Mama.

„Boah, die sehen sich ja voll ähnlich“, flüsterte Mia neben mir.

„Sie ist ja auch deine Tante“, antwortete ich und schob sie vor mich.

Sie wollte schon protestieren, aber Mama fiel ihr ins Wort, „darf ich dir meine Tochter Mia vorstellen?“

„Hallo Mia, du bist aber hübsch“, sagte Tante Min-Sun.

Das war etwas viel für mich und ich begann laut an zu lachen, was mir ein Tritt meiner Schwester ans Schienbein einbrachte und ein mahnendes „Lukas“ von meiner Mutter kam.

„Lass den Jungen doch, war Min-Chul nicht auch so?“

Onkel Min-Chul stellte den Wagen gerade zu Hyun-Woo auf den Parkplatz. Ich drehte mich von den Damen weg und lief zu Hyun-Woo, der gerade unseren Wagen verschloss. Etwas verdeckt vom Wagen drückte ich ihn gegen die Wagentür und küsste ihn innig. Hinter uns hüstelte es leicht, denn Onkel Min-Chul war ebenso ausgestiegen.

„Jungs, ich glaube, das solltet ihr auf später verschieben, die Familie kommt zuerst“, grinste er uns an.

„Die Hormone…“, meinte ich ebenso grinsend und er lief kichernd zu den anderen.

Hyun-Woo wusste anscheinend nicht, wie ihm geschah, sein Gesicht war wieder tiefrot.

„Ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich dich liebe“, flüsterte ich ihm zu, schnappte mir seine Hand und folgte Onkel Min Chul.

Nach und nach kamen andere Familienmitglieder aus dem Haus und dies schien nicht unbemerkt zu bleiben. An den Nachbarhäusern sah man Leute aus den Fenstern zu uns herüber schauen.

Auch meine Cousine und Cousins waren da. Sie waren wohl wie Mia von der Schule befreit worden. Großmutter kam zu mir. Noch immer hatte ich Hyun-Woo Hand in meiner. Sie griff danach und schaute uns beide an.

„Ich bin so froh, dass euch beiden nichts passiert ist und es euch gut geht“, meinte sie, ließ unsere Hände aber nicht los und wandte sich direkt an Hyun-Woo.

„Hyun-Woo, du musst mir versprechen, dass du immer gut auf meinen Enkel aufpasst! So etwas wie in den letzten Tagen möchte ich nie wieder erleben.“

Hyun-Woo verneigte sich verlegen.

„Versprochen, Großmutter Kil-Soon!“

„Danke Junge!“, meinte sie und tätschelte seine Wange.

Dann wandte sie sich zu mir.

„Und du hörst auf das, was Hyun-Woo dir sagt! Er ist ein anständiger junger Mann.“

„Ja, Großmutter“, antwortete ich.

„Lass uns hinein gehen, ihr habt sicher noch nichts gegessen.“

Passenderweise knurrte mein Magen und Hyun-Woo grinste. Großmutter drehte sich um und wir folgten ihr.

„Ich sagte dir doch, du gehörst zur Familie…“, flüsterte ich Hyun-Woo ins Ohr.

„…danke“, meinte er mit glasigen Augen.

*-*-*

Am Tisch war es laut. Natürlich wurde zwischen drin immer wieder gegessen, was aber nicht davon abhielt sich weiter mit zu unterhalten. Onkel Sung-Ja war der einzige Leidtragende. Er stand ja im Laden, weil der schon offen war.

Natürlich, vielleicht von der Neugier getrieben, schien der Laden voll zu sein, denn einige Nachbarn hatten sich im Laden eingefunden. Erst sein Rufen, ließ es am Tisch ruhiger werden. Hinter ihm konnte ich So-Woi entdecken, der nun vor ihn trat.

„Entschuldigung, wenn ich die Familie störe…“, begann er, aber ich unterbrach ihn.

„Du störst doch nie“, meinte ich grinsend und stand auf.

Aber noch etwas konnte ich zu meiner Freude entdecken. Hinter Onkel Sung-Ja erschien nun Jack. Keinen Gips am Bein, nur noch einen Stock, auch der Arm war vom Gips befreit worden, befand sich aber noch in einer Schleife.

„He, Jack“, meinte ich und ging zu ihm.

„Meine Großmutter meinte“, redete So-Woi weiter, „ich solle das hier vorbei bringen.“

Er hielt meinem Vater zwei Umschläge entgegen.

„Der eine beinhaltet die Informationen über einen Doktor Lee Young-Sung, den sie suchten und das andere soll der Kaufvertrag für das Nachbarhaus sein.“

„Das Haus steht zum Verkauf?“, fragte Hung-Sik.

„Schon lange, du bekommst auch gar nichts mit“, kam es von Un-Sook.

Bevor Papa auch etwas sagen konnte und die Umschläge entgegen nahm, hörte ich ein Glas klingen. Großvater war aufgestanden.

„Kinder, ich habe etwas zu sagen…, setzt ihr euch bitte alle, auch du So-Woi und Jack.“

„Vater ich gehe zurück in den Laden“, meinte Onkel Sung-Ja.

„Nein Sung-Ja, bitte bleib, das betrifft auch dich und die Kunden können auch mal kurz warten.“

Das waren mal ganz neue Töne von Großvater und ich setzte mich wieder zwischen Hyun-Woo und Mia. Stühle wurden gerückt und als alle saßen wurde es ganz ruhig am Tisch. Großvater atmete tief durch, ich spürte, dies musste ihm sichtlich schwerfallen, was er jetzt vorhatte.

„Heute ist ein besonderer Tag für mich. Seit langer Zeit ist es das erste Mal, dass die ganze Familie an diesem Tisch vereint sitzt. Ich will jetzt nicht davon reden, wer Fehler gemacht hat und wer keine…, belassen wir es einfach so. Ein Herzenswunsch eurer Mutter ist in Erfüllung gegangen.“

„Dir nicht?“, wollte ich wissen und wurde sofort von vielen bösen Augen angeschaut, weil ich Großvater unterbrochen hatte.

„… Entschuldigung…“, meinte ich leise, sah aber, dass mich Großvater anlächelte.

„Bleib so, Lucas! …, aber dazu später“, meinte er zu mir, bevor er sich wieder an den Rest wandte.

„Eure Mutter und ich haben uns entschlossen, dieses Haus neben unserem zu kaufen. Damit hat Min-Chul und auch Min-Ja mit ihrer Familie ein Platz, der in der Nähe ihrer Familie ist und wir zukünftig auch in diesem Kreis zusammen sein können.“

Alle fingen an zu klatschen und jubelten. Papa war aufgestanden und war zu Großvater gegangen.

„Wird das euch nicht zu viel…?“

Großvater klopfte Papa freundschaftlich auf die Schulter.

„Keine Sorge mein Junge, wir können uns das leisten. Wir haben da einen besonderen Posten, den wir dafür verwenden werden“, erklärte er und zwinkerte seiner Gattin zu.“

Mir fiel das erste Treffen bei So-Wois Großmutter wieder ein, da hatten sie doch über eine Erbschaft geredet, Geld, das Opa nie in Anspruch genommen hatte. Aber egal, jetzt freute ich mich darüber, dass Papa und Opa sich so gut verstanden, die Vergangenheit war wohl wirklich vergessen.

„Ich bin noch nicht fertig“, rief Opa laut und alles verstummte wieder.

„Vor ein paar Wochen stand mir im Laden ein junger Mann gegenüber, der mir sagte, man solle jedem Menschen Respekt zollen, der auch einem selbst respektiert.“

Damit war wohl ich gemeint, ich spürte, wie mein Gesicht zu glühen begann und versuchte mich kleiner zu machen. Hyun-Woo lächelte mich an, auch er war bei diesem Streit anwesend gewesen.

„Diese Worte beschäftigten mich lange und mittlerweile habe ich diesen jungen Mann näher kennen gelernt… und auch schätzen gelernt. Meine Worte, dass man sich Respekt erst verdienen muss, treffen auch ihn zu.“

Mit diesen Worten wandte er sich nun wieder zu mir.

„Lieber Lucas, du hast meinen vollen Respekt verdient. Du hast in kürzester Zeit das geschafft, was viele in achtzehn Jahren nicht fertig gebracht haben.“

Ich konnte mich dagegen nicht wehren, es trieb mir die Tränen in die Augen. Aber es ging mir wohl nicht alleine so, den anderen schien es ebenso zu ergehen.

„Du hast einem alten Mann gezeigt, dass wenn man nur fest daran glaubt und daran festhält, alles schaffen kann. Dafür danke ich dir und deswegen… bleib so wie du bist, Lucas.“

Mittlerweile liefen meine Tränen ungehindert über meine Wangen. Ich stand auf und fiel meinem Großvater um den Hals.

„Danke mein Junge“, wiederholte er nochmal seine Worte und klopfte mir dabei sanft auf den Rücken.

Am Tisch fingen die anderen wieder an zu klatschen.

*-*-*

Mit Hyun-Woo zusammen stand ich bei So-Woi und Jack im Garten und diskutierten über In Jook.

„Meine Hochachtung, Lucas“, meinte So-Woi, „ich glaube ich hätte ihn angezeigt, oder besser noch, Grandma hätte ihn sicher nieder gemacht.“

„Ich denke, es ist besser so“, sagte ich, „es ist ja nicht so, dass er Straffrei ausgehen wird. Zwar kenne ich mich nicht aus in Rechtssachen, bei euch schon gar nicht, aber dieser Staatsanwalt, der mit mir sprach wird ihn sicher nicht ungeschoren davonkommen lassen.“

„Ich fass das immer noch nicht, dass der dir gedroht hat“, meinte Jack.

Ich zuckte mit den Schultern, weil ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte.

„Darf ich die jungen Herren kurz unterbrechen?“, hörte ich es hinter mir sagen, so drehte ich mich um.

Oma, geführt von Mia, war zu uns gestoßen.

„Hier ist eine junge Dame, die sich nicht recht traut, zu euch zu gehen“, sprach sie lächelnd weiter.

„Das is ja mal was ganz Neues, meine Schwester und schüchtern?“

„Dann lass ich deine Schwester mal in deiner Obhut und geh zurück zu den anderen.“

Grinsend zog ich Mia zu mir und wandte mich wieder zurück zu den Jungs.

„So-Woi… Jack, darf ich euch meine kleine Schwester Mia vorstellen.“

„Ist gutes Aussehen in eurer Familie Pflicht?“, wollte So-Woi grinsend wissen, was natürlich Mia tief rot werden ließ.

„Die zwei im Doppelpack, das gibt Tote am Freitag“, kam es von Jack.

„Freitag?“, fragte ich unwissend.

„Man Jack, das sollte eine Überraschung sein“, kam es vorwurfsvoll von Hyun-Woo.

„Ups… sorry…“

„Könnt mich mal jemand bitte aufklären…?“

„Hyun-Woo, er ist noch nicht aufgeklärt…?“, fragte So-Woi spitzbübisch.

Doch bevor Hyun-Woo antworten konnte, fing Mia neben mir laut an zu lachen. Strafend schaute ich zu So-Woi, der aber wie Jack nur kicherte. Genervt seufzte ich kurz.

„… also was ist jetzt am Freitag?“

„Das Herbstkonzert von KBS und So-Woi hat uns eingeladen“, meinte Hyun-Woo neben mir, immer noch grinsend.

„Ein Konzert? Wer singt da?“, kam es Mia, die sich mittlerweile wieder beruhigt hatte.

„Niemanden den du kennst“, rutschte mir heraus, was ich sogleich bereute.

Ihr spitzer Ellenbogen fand sich in meiner Flanke ein, was mich zusammenzucken ließ. Ich wandte mich empört an Hyun-Woo.

„He du bist mein Bodyguard…“

„… ich? Das hast du aufgebracht, bisher war ich nur dein Assistent…, mehr nicht“, ließ Hyun-Woo recht eingebildet vom Stapel und schaute weg, was Jack und So-Woi nun nur noch mehr zum Lachen brachte. Mia umrundete mich und henkte sich bei Hyun-Woo ein.

„Also ich finde Hyun-Woo jetzt schon cool, endlich einer der dir Paroli bietet“, sagte sie und grinste Hyun-Woo dabei an.

Empört schnappte ich nach Luft.

„Ich werde zu Mama gehen und ihr sagen, sie soll dich in den nächsten Flieger setzten und heim schicken…“

„Keine Chance, wir fliegen erst Sonntag zurück.“

So-Woi und Jack lachten Tränen.

„Hört auf bitte, ich kann nicht mehr, kam es von Jack der sich an So-Woi festhielt.

Etwas besorgt, befreite sich Hyun-Woo aus Mias Fängen und lief zu dem kleinen Holzeck, wo die kleine Sitzgruppe stand. Er schnappte sich einen Stuhl und kam mit ihm zurück.

„Du bist genauso unvernünftig wie Lucas, setz dich!“

Jack ließ sich auf den Stuhl fallen. Etwas betroffen schaute ihn So-Woi an.

„Was denn…, es geht schon, ich bin nur nicht mehr das lange stehen gewohnt.“

„Das ist es nicht…, eigentlich hätte ich den Stuhl holen sollen… verzeih…“

„So-Woi bitte, dass musst du doch nicht…“

Mia sah mich fragend an. Ich zog Mia etwas zur Seite und beugte mich zu ihr hinunter.

„Jack ist offiziell So-Wois Bodyguard, fast niemand weiß dass sie zusammen sind und ein Chef würde hier in Korea normalerweise nie seinem Untergebenen einen Stuhl bringen“, flüsterte ich ihr ins Ohr.

Mia kratzte sich am Kopf, dass machte sie immer, wenn sie etwas nicht richtig verstand.

„Hier ist vieles anders, als bei uns zu Hause Mia, daran wirst du dich gewöhnen müssen…“

Sie seufzte.

„Mama hat mir schon so vieles im Flugzeug erzählt, was ich nicht richtig verstanden habe“, gab sie leise zurück.

„Du wirst schnell merken, es gibt hier Dinge, die du sicher nicht richtig findest, lass sie einfach geschehen… und sag nichts dagegen, es bringt nichts, du kommst nicht dagegen an.“

„Das muss ich jetzt nicht verstehen.“

„Keine Sorge, du wirst es schon verstehen. Versprich mir nur eins, überlege bitte genau, was du sagst, wenn wir bei jemanden stehen den du nicht kennst, es könnte peinlich sein.“

„Für dich?“

„Das meinte ich nicht Mia. Hier in Asien, gibt es viele Regeln die wir nicht kennen oder unser Gerechtigkeitssinn nicht verstehen lässt…“

„Ach so, so etwas Ähnliches hat Mama auch schon gesagt und ich hab ihr versprechen müssen, versuchen still zu sein.“

„Das ist gut, denn schnell hast du jemanden verletzt und kannst es nicht mehr zurück nehmen, also bitte erst nachdenken, dann reden.“

„… und das von dir“, kam es trocken von Hyun-Woo, was die anderen natürlich wieder zum Lachen brachte.

Auch ich grinste. Mama hatte also schon mit ihr geredet, klar es war ihre Heimat, sie kannte sich hier aus. Mir war nie klar, wie Mama sich bei uns fühlen musste, war doch unsere Kultur, so ganz anders als ihre.

„Was haltet ihr von Shoppen?“, warf So-Woi ein, der neben Jack in der Hocke saß und gerade wieder aufstand.

„Shoppen? Cool!“, kam es von Mia.

Vorwurfsvoll schaute ich sie an.

„Sorry…“, sagte sie leise.

„Wieso shoppen? Ich denke, ich kann hier jetzt nicht einfach weg.“

Ich schaute Richtung Haus, wo meine Eltern mit Min-Chul bei den Großeltern saßen. Der Rest war irgendwie verschwunden.

„Was für Kleider hat deine Schwester dabei?“, kam es von So-Woi.

Ich drehte mich zu ihm.

„Kleider? Da suchst du bei meiner Schwester umsonst, sie ist eher der Hosentyp…, warum fragst du überhaupt, sie wird nicht mitgehen!“

„Lukas…“

„Du weißt genau, Mama wird dir das nie erlauben.“

„Wenn du dabei bist, wird sie das sicher.“

So-Woi und die anderen grinsten sich eins.

„Wer sagt denn, dass ich dich überhaupt dabei haben will?“

„Du bist unfair, Lukas. Jetzt hätte ich mal die Möglichkeit, meine Lieblingsstars aus der Nähe zu sehen und du verdirbst mir das!“

„Woher kennst du überhaupt jemand von Kpop?“

„Meinst nur du hast deren Musik gehört.“

Ich atmete tief durch und gab mich geschlagen.

„… unter einer Bedingung, Mama muss 100% zustimmen, ich überrede sie nicht!“

Mia jubelte neben mir, was die Aufmerksamkeit, der am Haus sitzenden Erwachsenen auf uns zog.

„Geh hin und frag sie.“

„Ich? Bitte frag du sie… bitte, bitte, bitte!“

„Komm sei ein guter großer Bruder!“, grinste mir So-Woi entgegen.

„… das wird lustig am Freitag“, meinte Jack zu Hyun-Woo.

*-*-*

Natürlich entbrannte eine heiße Diskussion am Tisch und hätte Oma nicht so auf Mama eingeredet, wäre Mia schön brav hier geblieben. So hatte ich sie am Hals. Etwas wunderte mich.

Der Einkauf neuer Kleidung wurde dagegen sofort genehmigt, man sollte ja bei solchen Anlässen gut aussehen. Auch dass meine Eltern sofort bereit waren, die Unkosten der Kleidung zu übernehmen, was eine neue Diskussion aufbrachte.

Eltern gegen Großeltern, die wollten nämlich auch die Kosten bezahlen. Bevor dies aber eskalierte, mischte sich So-Woi ein, dass bereits alles geregelt sein und niemand etwas bezahlen müsste, was auch immer er damit meinte.

So saß ich nun zwischen So-Woi und Mia auf der Rückbank, während Hyun-Woo fuhr und Jack neben ihm verweilte. Ich hatte es aufgegebenen überhaupt noch etwas zu sagen, denn Mia hatte die drei bereits total in ihren Bann gezogen.

Zu meiner Überraschung trafen wir in der Boutique auf Jae-Joong, der wohl ebenfalls von So-Woi einbestellt wurde. Es interessierte mich wirklich, wann die Herren das alles ausgeheckt hatte.

In den letzten Tagen hatte ich nicht viel mitbekommen, was aber auch nicht sehr verwunderlich war. So-Woi lief zu der jungen Dame am Tresen und fragte sie etwas. Diese nickte nur und verschwand kurz darauf hinter einem Vorhang.

„Hier gibt es ja nur Männersachen“, meinte Mia enttäuscht.

„Keine Sorge Mia, für dich haben wir auch etwas“, meinte So-Woi.

Der Vorhang bewegte sich und die junge Dame kam zurück. Sie zog einen Kleiderständer hinter sich her, wo mehrere Sachen in Plastikfolie eingepackt waren. Eine weitere Dame erschien und hat solche Dinger über dem Arm hängen.

Sie hängte sie zu den anderen Sachen auf den Ständer. So-Woi betrachte die Teile und nahm eins heraus.

„Das ist für dich Lucas, du kannst es gleich anprobieren.“

Ich schaute ihn fragend an.

„Das ist einer der ersten Anzüge nach meinen Entwürfen, die sind heute fertig geworden.“

„Wirklich?“, fragte ich verwundert.

„Du hast die selbst entworfen?“, schien sich Mia zu interessieren.

So-Woi reichte mir das Teil und die junge Dame zeigte auf die Umkleidekabine. Ich zog den Vorhang hinter mir zu und hängte das Teil an den Haken. Da war ich ja mal gespannt, was er da für mich entworfen hatte.

Mühsam versuchte ich die Plastikfolie zu entfernen, während So-Woi draußen weiter verteilte.

„Du hast auch etwas für mich entworfen? Woher weißt du meine Größe?“, hörte ich Mia fragen.

„Nein Mia, ich entwerfe nur Kleidung für Männer und deine Mutter war so freundlich Hyun-Woo die Maße zu geben.“

„… ähm, wenn Hyun-Woo meine Mutter gefragt hat, muss sie doch schon vorher gewusst haben, dass wir auf ein Konzert gehen.“

„Tja…“, war alles So-Woi darauf antwortete.

Ich musste grinsen, dafür dass sie angeblich nichts wusste, hatte Mama die Unwissende überzeugend gespielt. Endlich befreite ich den Anzug von Plastik und hielt fasziniert inne. War ja schon der Anzug, den ich auf dem Benefizkonzert aus dem Fundus von KBS trug unheimlich cool, aber das, was da vor mir hing, war atemberaubend. Noch nie hatte ich so ein edles Teil gesehen.

„Wow…“, entfuhr es mir.

„Alles klar, Lucas?“, hörte ich Hyun-Woo sagen.

„Ja…, ja klar!“

Schnell hatte ich mich meiner wenigen Sachen entledigt und stand nur noch in Shorts da. Ich nahm die lange Mantelartige Jacke herunter und zum Vorschein kam ein schwarzes Hemd mit kurzem Stehkragen.

Dieses zog ich zuerst an. Passgenau lag es auf dem Körper und fühlte sich fast an wie eine zweite Haut. Dann schlüpfte ich in die Lederhose, was mir schon mehr Probleme einbrachte, denn sie war an den Beinen wirklich eng.

Als ich diese Hürde überwunden hatte, nahm ich die Jacke, deren Kragen und die Klappen für die Taschen mit einem Barocken Muster bestickt waren, ebenso der Saum der Ärmel. Trotz des gedimmten Kabinenlichtes, funkelten die bronzefarbenen Stickereien.

Auf der Innenseite der Jacke prangte ein Label. „NewSoWoi“, ich musste lächeln, denn das war einfach cool. Ohne Mühe zog ich dieses edle Teil über das Hemd. Da ich keine Schuhe hatte, beschloss ich eben strümpfig die Kabine zu verlassen. Ich zog den Vorhang zurück und fand außer den zwei Damen erst mal niemanden vor. Eine davon stand direkt an einer Kabine.

„Seid ihr alle beim Umziehen?“, rief ich.

Aus verschiedenen Richtungen  wurde hinter wackelten Vorhängen meine Frage bejaht. Einer der jungen Damen kam zu mir und hielt mir einen Karton entgegen. Dies schienen wohl die Schuhe zu sein.

„Und Lucas, wie gefällt er dir?“, hörte ich So-Woi rufen.

„Einfach genial…“, strahlte ich.

Ich ließ mich auf einer der in Leder bezogenen Sessel nieder und öffnete den Karton, unter dessen Deckel schwarze Schnürstiefel zum Vorschein. Ich musste grinsen, denn es war sicher nicht leicht, Schuhe in meiner Größe zu bekommen, denn hier waren fast alles Sachen den Koreanern angepasst und die waren zum größten Teil recht klein.

So schlüpfte ich etwas umständlich in die Stiefel, denn die Enge meiner Lederhose machte sich bemerkbar. Während ich die Teile zuband, wurde der erste Vorhang aufgezogen und Hyun-Woo kam heraus getreten.

Meine Augen wurden groß und mein Mund formte sich zu einen Lächeln. Hier passte – Kleider machen Leute – wirklich. Ebenso in Schwarz waren Hose und Hemd, beides in Stoff, darüber trug Hyun-Woo einen schwarzen Blazer mit ähnlichen Stickereien wie ich sie hatte, nur funkelten seine grün.

Es war aber nicht ein einfaches Grün, es erinnerte mich stark an meine Augenfarbe. Er schaute in meine Richtung.

„Nicht gut?“, fragte er leicht irritiert.

„Wahnsinn…“, war das einzige, was ich heraus brachte, hatte ich Hyun-Woo vorher ja noch nie im Anzug gesehen.

„Echt?“

Ich nickte wild und stand auf. Er sah mich an und hielt die Hand vor den Mund. Dann kam er auf mich zu und beugte sich zu mir.

„Du siehst übelst gut aus, Lucas… am liebsten würde ich sofort über dich herfallen“, flüsterte er mir ins Ohr.

Wir waren beide am Rot werden und begannen zu kichern.

„Schade, dass du nicht schon früher mit entwerfen angefangen hast, So-Woi“, hörte wir Jae-Joong rufen, „das sieht so geil aus!“

Ein weiterer Vorhang wurde aufgezogen und Jae-Joong kam zum Vorschein. Er hatte eine enge schwarz-weiß getigerte Jeans an und darauf trug er eine Lederjacke mit einem großen weiten Kragen.

So posierte er vor mir und ich musste grinsen. Wie ich bekamen Jae-Joong und Hyun-Woo ihre Schuhe gebracht. Ein weiterer Vorhang wurde zurück gezogen und meine Schwester kam zum Vorschein.

Während ich sie geschockt anschaute, pfiff Jae-Joong laut.

„Was denn?“, fragte sie in meine Richtung.

Mia hatte sich total verändert, sie wirkte irgendwie erwachsener. Ihre langen schwarzen Haare waren behelfsmäßig hochgesteckt. Auch ihr Teil war in schwarz gehalten.

„Deine Mutter wird dich so nie aus dem Haus lassen, dass weißt du“, grinste ich.

Sie hatte eine extrem kurze Stoffhose an und darüber trug sie eine Jacke, die in der Bauchgegend und an den Armen aus Stickereien bestand, also durchsichtig.

„Das träg man heute hat So-Woi gesagt.“

„Sie aber gut aus an ihr“, meinte Jae-Joong und hob seinen Daumen.

„Danke, der Herr!“, meinte Mia lächelnd und leicht verlegen.

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich gebe es ja nicht gerne zu“, sprach sie einfach weiter, „Bruderherz, du siehst übelst gut aus.“

Ich musste kichern, hatte Hyun-Woo vor wenigen Minuten doch das Gleiche gesagt.

„Danke, ebenso!“, meinte ich und verbeugte mich leicht.

Jae-Joong hatte wie ich schwarze Schürstiefel an, während Hyun-Woo blendend weiße Basketballturnschuhe trug. Ich sah zu ihm und spielte den leicht in Ohnmacht Fallenden. Er kicherte verlegen und er tomatisierte erneut.

„Geht es?“, hörte ich So-Wois Stimme.

„Ja, geht schon…, machst du dich fertig ich warte draußen…“, antworte Jack.

Da waren beide wohl in der gleichen Kabine. Jack brauchte sicher Hilfe beim umziehen, so war das ganz praktisch. Der Vorhang öffnete sich leicht und Jack kam zum Vorschein.

Er trug eine schlichte Stoffhose und eine ebenso schwarze Jacke, nur die Ärmel und der Kragen waren weiß. Auch bei ihm hob ich den Daumen, ohne ein Wort zu sagen. Er lächelte mich an.

Jack bekam schwarz-weiß gemusterte Basketballturnschuhe gebracht und die Dame war so freundlich ihm behilflich zu sein, da er mit seinem Arm in der Schlinge seine Schwierigkeiten hatte.

Mia dagegen bekam Stiefel in die Hand gedrückt, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie waren so lang, das sie sicher erst kurz vor der Hose aufhörten. Die junge Dame war nun auch Mia behilflich und man merkte, dass Mia noch nie in solchen Dingern gestanden hatte.

Etwas wackelig versuchte sie einige Schritte zu laufen. An der Kabine, aus welcher Jack gekommen war, wurde nun der Vorhang komplett zurück gezogen und So-Woi erschien. Wie ich trug er eine enganliegende Lederhose.

Die Ärmel seines Blazers waren ebenso aus Leder und darunter trug er ein schwarzes Hemd mit normalem Kragen und ähnliche Stickereien, wie ich sie auf der Jacke hatte.

„Und?“, fragte er.

Alle hoben wir den Daumen.

„Dann zieh ich noch meine Schuhe an und dann können wir“, meinte er und wandte sich die jungen Damen, „packen sie bitte unsere privaten Sachen ein, damit wir sie mitnehmen können?“

Die beiden nickten.

„Wie… können wir?“, fragte ich.

„Fotos machen!“

„Fotos machen? …ähm…, ist das dein Ernst?“

„Klar, das wird mein erster Auftritt mit meinen Klamotten, da brauche ich Fotos!“

„Aha…“, meinte ich nur und fühlte mich etwas unwohl dabei.

Die Damen flitzen durch die Kabine und kamen wenig später mit großen Tüten zurück. Hyun-Woo nahm sie ihnen ab und so verließen wir die Boutique. Mia hatte sich bei mir eingehängt, denn es war ihr wirklich unmöglich normal in diesen Stiefeln zu laufen.

„Ich glaube, da muss ich bis Freitag üben…“

„Stimmt!“, grinste ich.

Natürlich blieb unser Gang zum Wagen nicht unbemerkt. Sämtliche Leute, die uns in der Einkaufspassage entgegen kamen, drehten sich nach uns um, oder blieben sogar stehen, um Fotos zu schießen.

„Irgendwie ist das peinlich“, flüsterte ich Mia zu.

„Stimmt, die starren so…, aber gewöhne dich daran, wenn du mit So-Woi oder Jae-Joong unterwegs bist, fällst du fast immer auf.“

Endlich kamen wir zum Aufzug und als sich die Fahrstuhltür schloss, war ein einheitliches Aufatmen zu hören. Nur Jae-Joong grinste über beide Wangen. Da fiel mir ein, dass wir zu sechst, nicht in den Wagen passten.

„Ähm Leute, wie machen wir das jetzt mit dem Wagen?“, wollte ich wissen.

„Jae-Joong fährt uns“, antwortete So-Woi, „und ihr beide werdet von Hyun-Woo gefahren.“

*-*-*

Wenig später folgte unser Wagen, Jae-Joong. Schon lange hatte ich es aufgeben, mich hier irgendwie zu recht zu finden. Seoul war einfach zu groß, um sich in der kurzen Zeit, in der ich schon hier war, sich auszukennen.

Jae-Joong und Hyun-Woo dagegen wussten anscheinend immer genau, wohin sie fuhren. Es dauerte eine halbe Stunde als Jae-Joong den Blinker setzte und wir durch eine Hauseinfahrt in einen Hinterhof kamen.

Hier standen mehrere Wagen und Gestänge, komische Aufbauten, also recht voll. Der Wagen kam zum stehen und wir stiegen aus. Ich half Mia, denn sie hatte so ihre Schwierigkeiten. An meinem Arm hängend, betraten wir das Haus.

Zielsicher lief So-Woi durch die Flure und mehrere Türen, bis wir wenig später in einem großen Raum standen. Wie ich es schon aus dem Fernseher kannte, waren hier größere Aufbauten für Fotoaufnahmen.

In einer Ecke standen mehrere Schminktische mit Stühlen, auf der anderen Seite war ein kompletter Computer und anderen Geräten aufgebaut. Eine Sitzgruppe war ebenso vorhanden. So-Woi wurde von einem jungen Mann begrüßt, den er uns als unseren Fotografen vorstellte.

Aber zuerst, sollten wir noch zu recht gemacht werden.

Zuerst musste ich etwas warten, denn es waren nicht genug Tische da, aber ich kam dann doch noch schnell dran. Ich bekam eine ähnliche Frisur verpasst, wie ich sie schon beim Benefizkonzert hatte.

Das Schminken war gewöhnungsbedürftig, hatte ich so etwas im Vorfeld noch nie getan. Erst wurde ich etwas eingepudert, was mich niesen ließ. Dann waren meine Augen dran und wenig später sogar mein Mund.

„Lucas?“, hört ich Mia rufen.

Ich schaute in den Spiegel und sah sie hinter mir stehen. Ich hob die Hand, um den Mann zu hindern mich weiter zu schminken und drehte mich mit dem Stuhl. Vor mir stand eine wunderschöne junge Dame.

Nichts an Mia erinnerte daran, dass sie erst sechszehn war, sie wirkte eher wie fünfundzwanzig. Mein Mund stand offen und ich schüttelte dabei den Kopf.

„Nicht gut?“

„Doch…“

„Aber?“

„Du siehst so … so erwachsen aus und … richtig hübsch!“

„Wow, so ein Kompliment von meinem Bruder, ich hätte das aufnehmen sollen, das glaubt mir keiner.“

Ich musste grinsen. Der Mann neben mir forderte mich auf, sein Werk beenden zu können. So drehte ich mich wieder zum Spiegel und ließ ihn gewähren. Was dann folgte war heftig.

Zwei Stunden knipste der Fotograf uns von allen Richtungen. Alleine, als Gruppe, oder paarweise. Wenigstens wurden wir in den kleinen Pausen, die auftraten, mit Essen und trinken versorgt.

Nie war mir bewusst, dass man so beim Trinken und Essen aufpassen musste, wenn man so geschminkt und gekleidet war. Als gerade Mia mit Jae-Joong vor dem weißen Hintergrund standen, wanderte mein Blick durch den Raum.

An der Tür blieb er hängen, denn dort kam jemand durch die Tür.

„Mama… Papa, ihr hier?“, fragte ich verwundert und hätte mich fast an meinem Wasser verschluckt.

Hyun-Woo nahm mir die Flasche ab.

„Sohn, bist du das wirklich?“, lächelte mir Mama zu.

„Ähm ja…, aber wie kommt ihr hier her?“

„So-Woi hat uns angerufen und meinte, hier würde es etwas Interessantes zusehen zu geben und Min-Sun war so freundlich uns herzubringen“, antworte Papa und Min-Sun erschien ebenso durch in der Tür.

„Wow, Lucas, du bist aber schick! Hallo!“

Ich lächelte verlegen.

„Du Lucas, wo ist denn Mia“, wollte Mama wissen.

„Und wer ist die junge Dame bei Jae-Joong“, fragte Papa.

Ich lachte laut auf, hielt mir dann aber die Hand vor den Mund, weil sie die anderen zu mir herum drehten.

„Schämt euch!“, meinte ich nur.

„Wieso?“, fragte Mama.

„Die junge Dame bei Jae-Joong ist MIA!“

„Das ist MIA?“, kam es gleicheitig so laut aus Papas und Mamas Mund, dass sich wieder alle herum drehten, sogar der Fotograf.

„Machen wir eine halbe Stunde Pause“, rief dieser dann und gleichzeitig wurden die Lichter runter gefahren.

„Das ist wirklich unsere Mia?“, wollte Papa deutlich leiser wissen.

„Ja“, kicherte ich.

Ich schaute zu Mama, aber ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. War sie sauer, oder freute sie sich? Mia kam zu uns gelaufen, dieses Mal deutlich sicherer in ihren Schuhen.

„Mama…, Papa hättet ihr das gedacht, dass ich nach Korea komme und gleich zu einem Fotomodel gekürt werde?“

„Wow…, bist du es wirklich, Mia?“, sagte Papa lächelnd.

Wieder fiel mein Blick zu Mama, deren Gesichtszüge sich dieses Mal gerade versteinerten.

„Zieh das sofort aus“, flüstert sie streng, aber leise, „… was sollen denn die Leute denken?“

Bevor die Stimmung weiter kippte, schnappte ich mir Mamas Hand und zog sie zur Tür hinaus.

„Was soll das, Lucas?“, meckerte sie mich an.

Ich hob abwehrend die Hände vor mich.

„Mama, hör mir bitte zu, bevor du noch mehr böse wirst. Das sind Werbefotos für So-Woi erste Modekollektion und es passt so schön, dass Mia dabei ist.“

Mama wollte etwas erwidern, aber ich sprach einfach weiter.

„Für So-Woi ist das sehr wichtig und Mia kennt hier niemand und muss sich nicht schämen, sie sieht einfach hinreißend aus.“

Mama starrte mich an.

„… und das aus deinem Mund… Du hast die Verantwortung für deine Schwester…, ich bin enttäuscht, Lukas!“

Ich zog meine Stirn in Falten, weil ich jetzt nicht verstand, warum sie so verärgert war.

„Ich habe ihr gesagt, dass du sie nie so aus dem Haus gehen lassen würdest, aber ich finde, warum kann sie nicht zeigen, wie hübsch sie ist. Es ist alles verdeckt, man sieht nichts Peinliches!“

„Die kurze Hosen…

„Mama, zu Hause im Freibad läuft Mia auch im Bikini herum und da sind auch Jungs. Jungs die sie von sogar von der Schule her kennt, das stört dich auch nicht.“

Sie ließ die Schultern hängen und atmete tief durch.

„Ich muss mich wohl daran gewöhnen, dass meine Kinder erwachsen werden.“

Ich nahm sie in den Arm und drückte sie.

„Bitte mach Mia keine Vorwürfe. Es ist das erste Mal, dass ich sie so strahlen sehe… okay? … alles in Ordnung?“, fragte ich.

Sie nickte.

„Gut lass uns zurück gehen.“

Drinnen saßen alle auf den Sesseln und waren in Unterhaltungen vertieft. Mia saß umarmt von Tante Min-Sun bei ihrem Vater und schaute uns traurig entgegen. Sie stand auf und kam auf uns zu.

„Mama…“

Mama winkte ab, und nahm ihre Hände.

„Gut siehst du aus…“

Leicht verwirrt schaut mich Mia an und ich nickte ihr lächelnd zu.

„Du hast die Haare noch nie hochgesteckt.“

„… ich… ich wusste nicht, dass das gut aussieht.“

Ich ließ die beiden stehen, lief zu meinem Vater und Tante Min-Sun und ließ mich neben zwischen den beiden nieder.

„Alle Achtung“, meinte Papa.

Ich winkte ab.

„Ich hab Mama, nur etwas gut zugeredet, mehr nicht.“

„Das meinte ich nicht.“

„Hä…?“

Er lachte dann schaute er mir wieder in die Augen. Hyun-Woo trat zu uns heran und reichte mir eine Wasserflasche.

„Ich bin stolz einen so gut aussehenden Sohn zu haben, du könnest mir fast Konkurrenz machen.“

Tantchen und auch Hyun-Woo hielten ihre Hand von dem Mund und fingen an zu lachen, während Papa mich spitzbübisch angrinste.

„Ja, fast…“, antworte ich und ließ mich nach hinten fallen.

*-*-*

Dass wir in So-Wois Wohnung zurück kehrten, stimmte Grandma Shin-Sook etwas traurig, aber die mitgebrachten Fotografien, beschwichtete sie ein wenig. Da jetzt meine Eltern mit Mia bis Ende der Woche hier in der Stadt waren, war es einfach praktischer wieder bei So-Woi zu wohnen.

Er und Hyun-Woo hatten bis Freitag auch noch alle Hände voll zu tun, und die viele Pendelei wäre einfach zu umständlich gewesen. Jae-Joong bot sich an, mich zu fahren, wenn ich irgendwo hinwollte, da die beide nun selten da waren.

Und dass Jack, während dieser Zeit, nicht die Decke auf den Kopf fiel, nahm ich ihn meistens mit. So auch, als ich den nächsten Tag meinen Großvater mittags besuchte. Er war wie immer in seinem Garten und hackte irgendetwas in den Beeten, als wir eintrafen.

„Hallo Großvater“, rief ich.

Er richtete sich auf und sah zu uns.

„Hallo Lucas“, sagte er lächelnd.

Er legte die Hacke ab und lief auf uns zu.

„Hallo Jack, wie geht es dir?“

Jack verneigte sich leicht.

„Danke der Nachfrage… jeden Tag etwas besser.“

„Das freut mich zu hören. Hallo Jae-Joong.“

„Hallo Großvater Sung-Min“, erwiderte dieser und verneigte sich leicht.

„Du kannst deiner Mutter nachher noch ihre Bestellung mitnehmen, dann braucht mein Schwiegersohn nicht extra zu euch gehen.“

„Mach ich gerne“, erwiderte Jae-Joong und verneigte sich erneut.

„Hat ihr einen großen Empfang zu Hause? Es ist sehr viel.“

„Nein, sie wollte, dass ich alle, die gestern bei der Fotosaison dabei wahren, zum Essen einladen.“

„Davon weiß ich ja gar nichts“, warf ich ein.

„Ich bin auch noch nicht dazu gekommen euch zu fragen.“

„Du hast es eher vergessen“, kicherte ich.

Beschämt sah er zu Boden. Jack zog sein Handy heraus und tippte etwas ein.

Was verschafft mir eigentlich die Ehre eures Besuches?“

„Kein besonderer Großvater, ich wollte dich einfach wieder sehen.“

Er hob die Augenbraun und lächelte noch breiter.

„Trinkt ihr einen Tee mit mir?“

„Natürlich… gerne“, meinte ich und die beiden anderen nickten.

Und als hätte er ein Kommando gegeben kam Tante Min-Ri mit einem Tablett herausgelaufen, dicht gefolgt von meiner Großmutter.

„Hallo Lucas“, begrüßte mich Tante Min-Ri.

„Hallo mein Junge, das ist aber eine Freude dass du vorbei schaust.“

„Hallo Großmutter“, sagte ich und umarmte sie.

Sie schaute zu Jack.

„Passt ihr auch gut auf Jack auf, er muss langsam machen, dass seine Wunden gut verheilen?“, fragte sie Jae-Joong

Jack lächelte verlegen und während Jae-Joong zu lachen begannen.

„Wenn er es zulässt, Großmutter. Er ist fast nicht zu bremsen.“

Jack wurde rot.

„Setzt euch“, meinte Großvater, während Tante Min-Ri schon den Tee eingoss.

Ich wartete artig bis meine Großeltern saßen, bevor ich mich ebenso setzte.

„Deine Mutter hat uns vorgeschwärmt, dass ihr tolle Bilder gemacht habt“, sprach Großvater weiter.

„Ja, warte… hier…“, meinte ich und zog mein Handy heraus.

Ich suchte das Gruppenfoto heraus, das mir Hyun-Woo freundlicherweise zugeschickt hatte und reichte Großvater mein Handy.

Er betrachtete es lange.

„Mit so etwas kann man wirklich Geld machen?“, fragte er und gab mir mein Handy zurück, dass ich gleich an Großmutter weiterreichte.

„Ja kann man, aber ich mach nur mit, weil mich So-Woi als Freund gebeten hat, mitzumachen. Beruflich wäre das aber nichts für mich.“

Täuschte ich mich, oder war Großvater plötzlich erleichtert.

„Ihr seid alle sehr hübsche junge Männer und Mia sieht einfach toll aus“, kam es von Großmutter, „gibt es eine Fotografie von dir und deiner Schwester alleine?

„Ja, auch von uns beiden wurden Bilder gemacht.“

„Meint ihr So-Woi könnte auch eine Fotografie für mich machen?

„Sicher Großmutter Kil-Soon, So-Woi wird sich freuen, ihnen welche anfertigen zu lassen“, kam es lächelnd von Jack, dann richtete er sich an Jae-Joong, „So-Woi schreibt gerade, er würde sich über die Einladung zum Essen freuen, du musst nur noch sagen wann.“

Wenn So-Woi Zeit hatte, dann natürlich auch Hyun-Woo, da brauchte ich nicht nachfragen.

Moment, ich rufe meine Mutter an“, sagte er und stand auf.

„Mir scheint, ihr seid immer sehr beschäftigt“, sagte Großvater.

Ich lächelte ihn an.

„Ich kann jedenfalls nicht klagen, mir wird nie langweilig. Bei den Jungs bekomme ich so einiges geboten und nebenbei lerne ich auch noch mehr vom Land kennen.“

„Das ist wichtig mein Junge.“

Ich nickte ihm zu. Jae-Joong kam zu Tisch zurück.

„Jack, könntest du bitte So-Woi informieren, dass das Essen gegen sieben stattfindet?“

Nickend zog er wieder sein Handy zum Vorschein.

„Meine Mutter fragte auch nach deinen Eltern, Lucas. Sie würde sie gerne kennen lernen.“

„Da muss ich auch erst nachfragen“, meinte ich und wandte mich an Großmutter.

„Großmutter, könnte ich dir kurz mein Handy entreißen?“

Lächelnd gab sie es mir wieder. Von drinnen drangen Geräusche nach draußen und es wurde lauter. Das Jungvolk kam nach Hause und erschienen hier draußen, um wohl erst die Großeltern zu begrüßen. Die drei verneigten sich kurz und Un-Sook und Hong-Sik verschwanden wieder in Haus. Tae-Young dagegen kam an den Tisch.

„Großvater, hättest du nachher etwas Zeit für mich?“

„Um was geht es denn?“

„Wir hatten heute das Thema Heilpflanzliche Medikamente, da habe ich einiges nicht verstanden und dachte, dass du mir vielleicht weiterhelfen kannst.“

„Sicher doch, wenn einer über Kräuter Bescheid weiß, dann ich“, sagte er lächelnd.“

„Danke Großvater, ich komme nachher zu dir. Ich muss kurz hoch, noch Dinge für Morgen heraus suchen.“

Und schon war er verschwunden.

„Hast du das alles in der Schule gelernt?“, fragte ich,

„Nein, das habe ich mir nach und nach, alles angeeignet, mir war es leider nur vergönnt, bis zur Mittelschule das Bildungssystem zu genießen, dann musste ich arbeiten. Du musst wissen, wie So-Wois Großmutter, habe auch ich meine Eltern früh verloren und wuchs bei Onkel und Tante auf.“

Das hatte ich nicht gewusst.

„Und wie es schon immer war, musste ich meinen Teil, damit die Familie leben konnte, meinen Teil einbringen, sie hatten auch drei eigene Kinder zu ernähren.“

„Es tut mir leid, wenn ich dich an etwas Trauriges erinnert habe…“

„Lucas, das ist das Leben, da muss dir nichts leidtun.“

„Bei eurem Besuch bei So-Wois Großmutter habt ihr von einem Lehrer gesprochen und einer Erbschaft.“

„Du wolltest deine Eltern anrufen“, erwiderte er und trank seinen Tee.

Oh, da hatte ich wohl das falsche Thema angeschnitten.

„Könntet ihr mir bitte bei etwas helfen?“, fragte Großmutter Jack und Jae-Joong.

Sie stand auf und beide erhoben sich ebenso, wenige Minuten später war ich alleine mit Großvater. Ich starrte auf mein Handy, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte.

„Lehrer Quinn Jenn war ein guter Mann, nur seine Fürsorge war oft etwas übertrieben“,  begann Großvater plötzlich an zu sprechen.

„Er wusste über mich und So-Wois Großmutter Bescheid und da er selbst seine Familie im Krieg verloren, also auch keine eigenen Kinder mehr hatte, dachte er wohl sich um uns besonders kümmern zu müssen.“

Stumm saß ich da und lauschte seinen Worten.

„Als er starb, wurde uns mitgeteilt, dass wir bei unserer Volljährigkeit seine Hinterlassenschaften erben würden. Zu diesem Zeitpunkt waren Shin-Sook und ich einfach noch zu jung, um das zu verstehen.“

Wer würde so etwas in dem Alter schon verstehen.

„Und später, als ich alt genug war, wollte ich das Geld nicht mehr, seither liegt es auf dem Konto einer Bank hier in Seoul.“

Da hat es sich sicher schön vermehrt, dachte ich für mich.

„Doch seit du in mein Leben getreten bist, hat sich vieles geändert…, auch der Entschluss dieses Geld nie anzurühren. Mit dem Geld wird das Haus gekauft, in dem ihr dann Leben könnt, wenn ihr uns in Korea besucht.“

Ich wollte etwas dazu sagen, traute mich aber nicht, aus Angst, ich könnte mit meinen Worten Großvater irgendwie verletzten. Plötzlich spürte ich Großvaters Hand auf meiner.

„Bedrückt dich etwas, mein Junge?“

Ich sah ihm lange in die Augen, suchte nach Worten. Dann wanderte mein Blick wieder auf den Tisch zurück.

„Ich war zu Hause nie so…, ich war ruhig, für mich alleine. Ich bin nicht der Mensch der gerne auffällt, bin lieber im Hintergrund. Aber hier schlittere ich von einem Schlamassel in den anderen. Alles dreht sich um mich, das bin ich nicht gewohnt. Früher habe ich über alles genau nachgedacht, weil ich wusste, wenn ich das nicht mache, dann kann dies schnell ins Auge gehen. Und jetzt… seit ich hier bin, ist so viel geschehen. Ich habe Dinge gemacht, ohne an die Konsequenzen zu denken, die es für mich haben könnte.“

„Bereust du sie?“

Ich schaute auf.

„Das ist es ja, ich würde mit aller Wahrscheinlichkeit genauso wieder handeln. Ich kann dir aber nicht sagen, warum ich so handle, wie ich handle. Dann stelle ich oft meinen eigenen Gerechtigkeitssinn in Frage.“

„Liegt es nicht einfach daran, dass du mit den Sitten und Bräuchen hier im Land einfach überfordert bist?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Es ist…“, ich schüttelte den Kopf, „ Mama hat uns von klein auf so erzogen, um genau zu wissen, was richtig oder falsch ist und ich denke, sie hat viel von zu ihrem zu Hause mit einfließen lassen…“

„Und doch ist dir hier vieles fremd.“

„Fremd…, würde ich nicht so sagen, eher ungewohnt. Es ist nicht so, dass es in Deutschland keine Gastfreundschaft gäbe, hier ist es oft etwas zu heftig. Jeder scheint mir das Gefühl geben zu wollen, ich wäre etwas Besonderes.“

„Du bist etwas Besonderes, Lucas! Wie lange bist du hier? Du redest von Schlamassel…, aber denke auch daran, was du alles zu Stande gebracht hast. Du hast einigen Leuten die Augen geöffnet, deinen Freunden geholfen… eine Familie zusammen geführt…“

„Ich habe einfach nur das gemacht, was ich für richtig hielt.“

„Und das hast du sehr gut gemacht!“

Das war die Stimme meines Vaters. Mein Kopf fuhr herum.

„Mach dich nicht kleiner, als du bist, Lucas. Du hattest schon immer das Talent, Leute zu vereinnahmen, auf deine Seite zu ziehen. Du schaffst es in kurzer Zeit, dass sich Leute dir gegenüber öffnen, dir Vertrauen schenken… das ist eine Gabe! Mein Vater meinte einmal, als du noch klein warst,  …wenn er älter wird, wird er zwar oft anecken, aber immer richtig handeln…wer ihn zum Freund bekommt, wir nie enttäuscht werden!“

„Das…das hat Opa gesagt? Aber warum überkommen mich dann oft Zweifel?“

„Weil du es allen Recht machen willst!“

„Da gebe ich deinem Vater Recht und du kannst es nicht jedem Recht machen. Wir haben da eine alte Frau, als Kundin, der kannst alles Mögliche anbieten, aber nie ist sie damit zufrieden.“

Ich musste lächeln.

„Ich glaube, die kenne ich.“

„Lucas“, redete mein Großvater weiter, „ ich kann meine Worte nur wiederholen, bleib wie du bist, bleib dir selbst treu!“

Auch darauf wusste ich nicht, was ich sagen sollte und nickte verlegen.

„Warum ich eigentlich hier bin“, riss mein Vater mich aus meinen Gedanken, „Lucas hättest du Lust mich zu meinem Studienkollegen zu bekleiden?“

„Ähm gerne…, aber ich bin mit Jae-Joong und Jack da, was mach ich mit denen?“

„Die nehmen wir einfach mit, denn ich habe keinen Fahrer…“

„Und wie bist du her gekommen?“

„Deine Mutter und ich sind mit dem Taxi gekommen, auch hier in Seoul gibt solch eine Erfindung.“

Großvater grinste. Drinnen war Mias Stimme zu hören und ein Lachen folgte.

„Gehen die beiden auch mit?“, fragte ich, weil ich mir schon wieder über das mangelnde Platzangebot im Wagen Gedanken machte.

„Nein die beiden bleiben bei deinen Großeltern, wir Männer bleiben unter uns.“

„Aus einen bestimmten Grund?“, wollte ich wissen, weil ich Papas Gesichtsausdruck nicht richtig deuten konnte.

„Das werden wir dann sehen…“

 

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5 Kommentare

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  1. Hey Pit, ey ist sehr schön, wieder mal was von dir zu lesen, dazu noch etwas sehr gelungenes. Hat mir sehr gefallen und ich hoffe doch sehr, dass es noch weiter geht, sonst wär das Ende doch recht merkwürdig. Bin jedenfalls gespannt.

    Alles Gute und liebe Grüße

    Andi

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    1. Hsllo Andi,
      es ist nicht das Ende, es wird noch einiges passiern, Versprochen! Liebe Grüße Pit

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    • Markus auf 28. Oktober 2017 bei 00:07
    • Antworten

    Hallo Pit.
    Ich habe die Geschichte verschlungen ich liebe sie. Aber ich muss meinem Vorredner recht geben das es ein sehr apruptes Ende nimmt.

    Vielleicht gibt es ja noch nen Teil?

    Alles liebe

    Markus

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    • sandro auf 7. November 2017 bei 00:52
    • Antworten

    Hallo,

    schön das es Dir endlich besser geht und Du die Freude am Schreiben nicht verloren hast.

    Ich verschlinge jeden neuen Teil immer schnellsmöglich und bin gespannt was uns noch alles erwartet.

    mit grossem Dank und der Hoffnung auf eine baldige Fortsetzung

    Gruß
    sandro

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    • Helmut Stettner auf 14. Dezember 2017 bei 15:23
    • Antworten

    Hallo Pit,
    Ich habe deine Geschichte mit viel Vergnügen geradezu verschlungen.
    Wunderbar erzählt – man sieht die Landschaft, Häuser und Personen geradezu plastisch vor sich. Ein Extrasternchen für deinen Einblick in die Koreanische Kultur, Sitten und Gebräuche. Du verstehst es Spannung aufzubauen und bei aller dichterischen Freiheit trotzdem Realitätsnah zu bleiben.
    Und was mir noch besonders gefällt ist das eindrückliche Eintreten für
    ethische Werte wie Freundschaft, Liebe und Familie.
    Ich freue mich auf die Fortsetzung(en)
    mit lieben Grüssen Helmut

    PS: Deine Korrekturleser sind leider ein bisschen nachlässig beim
    Redigieren.
    Vor allem fehlende Bindeworte erkennen sie nicht so gut 🙂 was aber
    deiner Erzählkunst keinen Abbruch tut.

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