Lebensverändernde Entscheidungen

Stur schaut Nino immer noch aus dem Fenster hinaus, auf die mittlerweile nassen Straßen, wo noch vor wenigen Stunden Tom entlang ging. Der Regen perlt am Fenster lang, Tropfen für Tropfen hinterlässt  

er nasse Spuren, als würde das Fenster weinen. Stände es offen, dann wäre der Raum in den Geruch von frischem Regen gehüllt.

Wasser hat sich auf den Straßen gebildet und fließt zielstrebig seinen Weg Richtung Gulli. Ab und an fährt mal ein Auto entlang, mit wild schwenkenden Scheibenwischern und spritzt das Regenwasser empor. Menschen sind keine mehr auf den Straßen, sie warten ab bis sich der Platzregen gelegt hat oder zumindest weniger geworden ist.

Weniger?

Weniger ist Ninos Liebe zu Tom nicht geworden und dennoch hat er sich für diesen Schritt entschieden. Immer und immer wieder sieht er Toms Blick vor sich, dabei wollte er ihn nie verletzen. Er wollte ihn beschützen, denn so ist es besser für beide.

Tom ist zwölf Jahre jünger als er, gerade mal siebzehn Jahre alt und hat das halbe Leben noch vor sich. Er kann durchaus noch eine hübsche Frau finden, heiraten und Kinder kriegen.

Seine Eltern mögen Nino sowieso nicht, da sie der Meinung sind, er wäre der falsche Umgang für Tom. Alles Quatsch, das weiß auch Nino, so unterdrückt er den aufkeimenden Schmerz und schluckt die Tränen runter. Weinen will er jetzt nicht, lieber erinnert er sich noch einmal an die letzten Stunden mit Tom:

Tom kam wie jeden Samstagmorgen zu Nino, um mit ihm zu Frühstücken. Seinen Eltern hatte er vorgelogen, dass er eine Freundin hätte und immer zu ihr ging. Nino wusste, dass das nicht richtig war und so musste dieser Tag kommen.

Sie frühstückten ausgiebig wie immer, redeten über Gott und die Welt und genossen das Beisammensein. Während sie anschließend gemeinsam den Küchentisch abräumten, fingen sie an rumzualbern.

Ein Teller fiel zu Boden und Nino sagte in gespielt ernstem Ton: „Na warte, das wirst du büßen.“

 Tom lachte laut, wobei seine himmelblauen Augen aufblitzten und seine kleinen Grübchen zum Vorschein kamen.

„Du bist ein schlechter Schauspieler“, kicherte er.

Nino fixierte seinen Schatz mit seinen braunen Augen und fuhr gekonnt durch seine dunklen Haare.

„Und ich dachte wo ich schon wie ein Schauspieler aussehe“, sprach er hochnäsig, wobei seine andere Hand mit abgespreizten Fingern für noch mehr Ausdruck sorgte.

Tom bog sich vor Lachen und hielt sich seinen Bauch, da dieser schon schmerzte.

„Du machst mich fertig“, sagte er, während ihm schon die Tränen in den Augen standen.

Nino ging nun auf Tom zu und nahm ihn in den Arm. Fest hielt er ihn und strich durch seine mittellangen, blonden Haare, bevor er sanft sein Gesicht in beide Hände nahm.

Sie hielten direkten Augenkontakt und dann folgte ein langer, intensiver Kuss. Langsam wanderte Ninos Hand unter Toms Shirt, noch ein letztes Mal wollte er ihn spüren, ihm nah sein.

Sie stolperten aus der Küche, durch den Flur und landeten im Schlafzimmer, auf dem großen Bett. Ihre Berührungen wurden intensiver und ihre Küsse heißer, wobei sie schon ganz genau wussten, wie sie den anderen am Besten verwöhnten.

Ihr wildes Treiben wurde von lautem, lustvollem Stöhnen begleitet, wobei sie sich nie an Zimmerlautstärke hielten. Den Höhepunkt erlebten sie fast gleichzeitig und brachen anschließend keuchend zusammen.

Eng aneinander gekuschelt spürte Nino, wie sich Toms Herzschlag langsam wieder normalisierte. Dicht an seinem Hals vernahm Nino Toms Atem, spürte den Schweiß seines Schatzes und sog seinen Geruch ein.

Ein letztes Mal wollte er ihn ganz fest an sich drücken, um es so lange wie möglich in Erinnerung zu behalten. Bevor Nino Tom sanft von sich schob, sagte er: „Zieh dich bitte an.“

 „Was? Aber wieso denn? Ich dachte wir kuscheln noch ein bisschen?“, kam es verwundert von Tom.

„Bitte tue, was ich dir sage“, bat Nino seinen Schatz, während er sich bemühte, dass sich seine Stimme so normal wie möglich anhörte.

„Okay. Ich verstehe dich aber trotzdem nicht. Die Küche können wir doch auch später zusammen aufräumen“, sagte Tom zu Nino, während er sich

anzog.

„Darum geht es hier doch gar nicht“, versuchte Nino zu erklären.

„Worum denn dann?“, wollte Tom wissen.

„Es geht um uns!“, kam es nun von Nino.

„Wie meinst du das?“, fragte Tom perplex.

„Wir sollten uns trennen“, sagte Nino, wobei ihm die Worte gewiss nicht leicht fielen.

„WAS?“, brachte Tom nur noch raus.

„Wieso?“

„Glaube mir, es ist besser für dich“, erklärte Nino sein Verhalten.

„Du bist noch jung und wirst schnell eine hübsche Frau finden und wer weiß, vielleicht bekommt ihr ja viele Kinder.“

„Ich will aber keine Frau. Ich will dich!“, schluchzte Tom und Nino musste mit sich kämpfen seinen Schatz nicht einfach in die Arme zu nehmen.

„Deine Eltern denken aber auch anders darüber“, brachte Nino nun noch als letzte Möglichkeit zur Ansprache.

„Meine Eltern sind mir scheißegal“, fluchte Tom, wobei ihm Tränen über die Wangen liefen.

„Glaube mir, es ist besser so“, wiederholte Nino und wandte sich von Tom ab.

Dieser ging nun zur Tür und ohne ein weiteres Wort zu sagen, zog er Schuhe und Jacke an. Als er im Türrahmen stand, blieb er für einen Moment stehen und blickte ein letztes Mal zurück zu Nino.

„Ich…ich werde…werde dich immer… LIEBEN!“, stotterte er sich schluchzend zurecht.

Nino brach dieser Anblick das Herz und er wollte schon einen Schritt auf Tom zu gehen, doch riss er sich zusammen.

„Irgendwann wirst du mich verstehen.“

Tom strich mit dem Jackenärmel über sein Gesicht, um die Tränen zu trocknen und ging anschließend ohne ein weiteres Wort zu sagen. Nino rannte zum Fenster, kämpfte mit sich, es nicht zu öffnen und Tom einfach wieder zu sich rauf zu rufen.

Dort steht er auch jetzt noch, hat sich unterdessen keinen Millimeter mehr bewegt, die Küche ist immer noch wie sie war und dennoch regt sich etwas bei ihm.

Eine kleine Träne hat sich durchgemogelt und rollt jetzt seine Wange entlang. Nino schüttelt sich, sträubt sich, denn er will nicht weinen, keine Schwäche zeigen, schließlich war er in dieser Geschichte der Böse.

Nur für einen kleinen Moment hat er die Straße aus den Augen gelassen, einige Sekunden, die ganz entscheidend waren, denn auf einmal klingelt es an der Tür.

Es wird der Postbote sein, der wie jeden Samstag die Briefe bringt und heute ein Päckchen für Nino hat. Vielleicht ja sogar etwas zum Aufmuntern, denn das wäre jetzt sehr nützlich.

Nino öffnet die Tür und reibt sich die Augen, da er kaum glauben kann, wer vor ihm steht. Sein Blick mustert die zierliche Gestalt von Kopf bis Fuß, die schwer bepackt mit einem Rucksack und einer großen Reisetasche vor ihm steht.

Durchtränkt vom Regen tropfen seine Sachen und die Haare hängen ins Gesicht, wo trotzdem eine rote, geschwollene Wange hervorsticht. Nino kann die Tränen nun nicht mehr länger zurück halten, lässt seinen Gefühlen freien Lauf und seine Hand gleitet vorsichtig zu der geschundenen Wange.

Er streicht sanft die Haarsträhnen weg und ehe er sich versieht, fallen auch schon die Taschen zu Boden und zwei dünne Arme umklammern seinen Hals.

„Es tut mir so leid, mein Schatz“, sagt Nino zu Tom, während sie eng umschlungen in der Tür stehen.

 

 

This Post Has Been Viewed 309 Times

Rating: 5.00/5. From 2 votes.
Please wait...

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.