Adventskalender – Ein anderes Leben – 6. Türchen (Teil 16)

Jack

Die Suche nach den beiden hatte nichts gebracht. Nachdem man Lucas Handy und die Schlüssel vom Wagen gefunden hatte, war man sicher, dass die beiden entführt worden waren.

Verzweifelt saß Hyun-Woo in der Nähe des Parkplatzes auf einer Bank und hatte das Gesicht in seine Hände vergraben. Er machte sich Vorwürfe, weil er gestattet hatte, dass er die beiden alleine zum Wagen gehen lassen hatte.

Er war sich sicher, dass ohne seine Zustimmung nichts passiert wäre. Als er dann noch ins Krankenhaus fahren wollte, weil er sich Hundert Prozent sicher war, dass dieser Professor vom Krankenhaus etwas damit zu tun hatte, hielt ihn Police Officer Park Min-Chul zurück.

Lucas Onkel, der mit dem ganzen Aufgebot von Wagen ebenso eingetroffen war, fand seine Idee dort hinzufahren verrückt, zu dem würde er in laufende Ermittlungen eingreifen.

Nun saß er eben auf dieser Bank, zur Untätigkeit verdonnert und weinte. So-Woi, der die ganze Zeit bei Park Min-Chul gestanden hatte, schaute zu mir und nickte. Dann liefen wir gemeinsam zu Hyun-Woo.

Er zuckte zusammen, als So-Wois Hand plötzlich auf seinem Nacken zu massieren begann. Langsam schaute er auf und bemerkte So-Woi vor sich, der dort kniete.

„Hyun-Woo wir fahren nach Hause…“

„Aber…“

„Hyun-Woo es bringt nichts hier zu bleiben“, fuhr er So-Woi an, „wir können nichts machen. Grandma hat angerufen, wir sollen zu ihr kommen.“

Ich wollte So-Woi ausbremsen, weil ich den Ton unpassend fand, aber ließ es dann doch.

„Aber können wir nicht irgendwie nach Lucas suchen…?“, fragte Hyun-Woo verzweifelt.

Seine Tränen liefen ungehindert über sein Gesicht.

„Kannst du mit bitte schön sagen wo. Im Krankenhaus? Du hast Lucas Onkel gehört, wir können hier nichts ausrichten, du kommst jetzt und wir fahren zu Grandma.“

Jack zog mich hoch.

„… er hat sicher Angst…, wäre ich doch nur mitgegangen…“

„Und was dann?“, fragte So-Woi verärgert, „dann müssten wir wahrscheinlich auch nach dir suchen. Oder du würdest hier irgendwo mit zertrümmertem Schädel liegen. Zudem ist Juen bei ihm! Schon vergessen…, siehst du ihn hier irgendwo? Nein! Komm jetzt, bevor ich richtig sauer werde…, du bist nicht schuld daran, das Lucas entführt wurde!“

So aufbrausend hatte ich So-Woi schon lange nicht mehr erlebt, Das letzte Mal war es wegen Back In Jook. Grandma hatte einen Wagen geschickt, weil wir den Van natürlich nicht nutzen konnten. Der wurde nach Spuren untersucht.

Ich schob Hyun-Woo einfach auf den Rücksitz des Wagens und wartete bis mein So-Woi endlich eingestiegen war, bevor ich selbst vorne beim Fahrer meinen Platz einnahm. Als der Fahrer den Wagen in Bewegung setzte, bemerkte ich noch zwei weitere Wagen, die mit uns losfuhren.

Man hatte wohl Angst, uns könnte auch etwas passieren. Schniefend und zusammengekauert saß Hyun-Woo nun neben So-Woi und machte sich weiter Vorwürfe. Das Gewimmer hörte sich fast schon hysterisch an.

Plötzlich hörte ich ein klatschendes Geräusch und drehte mich nach hinten. Selbst der Fahrer neben mir zuckte zusammen. Hyun-Woo saß mit weit aufgerissenen Augen da und hielt sich die Wange.

„Ich weiß, dass das jetzt schlimm für dich jetzt ist, aber es bringt uns allen nichts, vor allem Lucas nicht, wenn du uns hier jetzt durchdrehst!“

Im Nachhinein überlegte ich, ob es gut war, die beiden nebeneinander zu setzten. Ich kannte So-Wois Temperament nur zu gut, wenn er sich aufregte, ich hatte es oft genug am eigenen Leib zu spüren gekriegt.

Das hatte sich erst gelegt, als So-Woi Lucas kennen gelernt hatte. Von diesem Zeitpunkt an, wurde So-Woi viel ruhiger. Aber es war nicht nur das, was sich geändert hatte. Er stand nun plötzlich für unsere Liebe ein, die wir bis dahin versteckt hatten.

Ich durfte So-Wois Liebe nur spüren, wenn wir ganz alleine waren. Sonst war ich sein Untergebener und hatte seinen Anordnungen zu folgen. Aber seit dem Gespräch mit seiner Grandma änderte sich das abrupt.

Das war für mich sehr gewöhnungsbedürftig, So-Woi öffentlich mit seinem Vornamen anreden zu dürfen, ebenso seine Grandma. Und wenn ich ehrlich war, fiel mir das jetzt immer noch schwer.

Deshalb hatte ich vorhin auch nichts gesagt, als er Hyun-Woo angefahren hatte. Aber nach meinem Empfinden ging das mit der Ohrfeige doch jetzt ein wenig zu weit. Ich nahm mir fest vor, später in einer ruhigen Minute, mit ihm darüber zu reden.

*-*-*

So-Wois Grandma

Ich stand am Fenster und sah die Wagen vorfahren. Gegen meine Gewohnheit war ich wieder aufgestanden, denn um diese Zeit schlief ich schon lange. Aber So-Woi hatte so verängstigt am Telefon geklungen, dass ich sofort hell wach war.

Ich atmete tief durch und lief zu meinem Sessel zurück. Als ich Platz genommen hatte, hörte ich Stimmen vor der Tür. Es klopfte leise und Mr. Ri schaute herein.

„Ihr Enkel ist eingetroffen…“

Ich nickte Mr. Ri zu, der meine Gäste anwies, einzutreten. Er selbst verschwand sofort wieder. Ich war mir aber sicher, dass er sich nicht weit entfernte. Aber dies war nicht wichtig, ich wollte mich jetzt um die Jungs kümmern, die alle drei sehr mitgenommen aussahen.

„Wo ist Jae-Joong?“, fragte ich, ohne die drei, wie üblich zu grüßen.

„Der ist bei Lucas Onkel geblieben, er wollte sich melden, sobald man etwas Neues weiß“, antwortete So-Woi, „hallo Grandma…“

Er umarmte mich und gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange. Mein Blick fiel auf Hyun-Woo, der wie ein kleines Häufchen Elend hinter Jack stand. Der Lebenspartner meines Enkels selbst verneigte sich nur kurz.

„Wie konnte dass nur passieren?“, fragte ich, bereute es aber sofort wieder.

Hyun-Woo fiel auf die Knie und entschuldigte sich weinend. Ich verstand fast keines seiner Worte.

„Jack, bitte tu mir den Gefallen und geht hinaus zu Mr. Ri. Der soll einen Arzt rufen, denn ich denke unser junger Freund braucht dringend ein Beruhigungsmittel!“

„Sehr wohl, Ce… Grandma“, meinte Jack, verneigte sich kurz und verließ das Zimmer.

Ich musste lächeln. Es fiel ihm immer noch schwer mich mit Grandma anzureden. Mein Lächeln verschwand aber sofort wieder, als mein Blick auf Hyun-Woo fiel, der nun in So-Wois Armen hing und bitterlich weinte.

Ich stand auf und lief zu So-Woi.

„So-Woi, komm versuchen wir, Hyun-Woo hinauf in das Gästezimmer zu bringen. Ich habe es herrichten lassen, weil ich mir schon fast so etwas dachte.“

„Aber Grandma, sollen wir nicht lieber auf den Arzt warten?“

Ich überlegte kurz, während Jack auch wieder ins Zimmer zurück kam.

„Der Arzt ist verständigt!“

Ich nickte und sah die beiden an.

„Ich glaube es ist besser, wenn Hyun-Woo im Bett liegt, wenn der Arzt kommt“, sagte ich.

Ohne etwas zu sagen, lief Jack zu ihm hin und hob ihn auf, als wäre Hyun-Woo ein Federgewicht, was er bei der Figur sicher nicht war. Ich war immer wieder überrascht, wie kräftig dieser junge >Mann doch war.

So-Woi lief zur Tür und öffnete sie und Jack trug Hyun-Woo nach draußen. Ich folgte langsam den drein und traf Mr. Ri im Flur an.

„Mr. Ri, wenn es möglich ist, könnten sie uns bitte oben einen Tee servieren…, vielleicht bringen sie noch einen Cognac mit, vielleicht brauchen die Jungs auch etwas Stärkeres. Ich weiß nicht recht…“

Etwas ratlos stand ich da und wusste nicht genau, was zu tun war. Sonst wusste ich immer genau, was ich wollte oder tat. Nun spürte ich aber, wie sehr dies an meinem Nervenkostüm zehrte. Ich schaute wieder zu Mr. Ri.

„Wenn der Arzt kommt, bringen sie ihn bitte umgehend nach oben.“

„Wie sie wünschen, Ceo“, meinte Mr. Ri und verschwand Richtung Küche.

Ich sah die Treppe hoch und konnte noch die drei erblicken, wie sie gerade um die Ecke verschwanden. Ich schloss kurz die Augen, bevor ich mich in Bewegung setzte, um den drein zu folgen.

*-*-*

Juen

Als ich erwachte, dachte ich, mein Kopf würde es zerreisen. Der stechende Schmerz nahm mir fast den Atem. Ich wollte nach meinem Kopf greifen, stellte aber fest, dass ich gefesselt war, auch an den Beinen.

Ich musste Husten, denn der Boden, auf dem ich lag, war dreckig und kalt. Ich versuchte mich in der Dunkelheit zu orientieren, konnte aber nichts richtig erkennen. Was das hier sollte, verstand ich nicht.

Jemand musste uns am Wagen aufgelauert haben. Ich konnte mich noch erinnern, dass ich den Wagen aufgeschlossen hatte und als ich mich zu Lucas umdrehen wollte, spürte ich einen starken Schmerz am Kopf und es wurde mir schwarz vor Augen.

„…Lucasss…?“, rief ich und fing wieder an zu husten.

Meine Stimme hallte nach, so war ich wohl in einem größerem Raum oder Saal. Ich lauschte in die Stille, konnte aber nichts weiter hören. Mühsam versuchte ich mich aufzurichten und es dauerte eine Weile bis ich endlich saß.

Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich konnte schwache Schatten war nehmen, durch das wenige Licht, dass über die großen Fenster herein drang. Es musste also eine Halle oder Ähnliches sein, in der ich mich befand.

Da keine Geräusche von draußen herein drangen, war diese Halle, oder dieses Gebäude wohl etwas abgelegen. Ein leises Geräusch ließ mich zusammenfahren, dass von der linken Seite zu mir drang.

Ich blickte auf meine Hände, das hieß, ich schaute in die Richtung, wo sie lagen, sehen konnte ich sie nicht. Mir wurde plötzlich klar, dass der, der mich gefesselt hatte, wohl nicht sehr bewandert war.

Ungehindert konnte ich mich nach vorne beugen und mit den Händen an meinen Beinen entlang tasten, bis ich an den Füßen angekommen war. Das dicke Seil war verknotet und ich machte mich daran, diese mit meinen freien Fingern zu lösen.

Als ich das endlich geschafft hatte, strampelte ich etwas mit den Beinen, bis ich endlich frei war. Nun versuchte ich aufzustehen, was mit noch verbundenen Händen, sich als etwas schwierig heraus stellte.

Zwar versuchte ich durch drehen der Handgelenke und Arme, das Seil zu lockern, aber das gelang mir nicht. Ich drehte meinen Kopf und schaute in alle Richtungen. Bis auf die Fenster war alles stockdunkel.

Mein Kopf drehte sich in die Richtung, aus der ich das Geräusch gehört hatte. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und rutschte mit dem linken Schuh etwas nach vorne, um zu ertasten, ob etwas vor mir stand oder lag.

So bewegte ich mich langsam nach vorne und die Hände nach vorne gestreckte, um ebenfalls sofort zu spüren, wenn ein Hindernis kam. Da meine Schuhe mühelos über den Boden rutschten, vermutete ich, dass dort Sand und kleinere Steinchen lagen.

Es hört sich auf alle Fälle so an. Trotz meiner Vorsichtsmaßnahmen, schrie ich laut auf, als ich gegen etwas prallte.

*-*-*

So-Wois Grandma

Das Zimmer war leicht verdunkelt, als ich es betrat. Jack war gerade dabei, Hyun-Woo die Schuhe auszuziehen, um ihn anschließend zu zudecken. Mein Enkel dagegen, stand am Fenster und schaute in die Dunkelheit.

Er erinnerte mich stark an meinen Mann, wenn er so da stand, sie beide waren sich sehr ähnlich, als sein Großvater noch jung war. Langsam bewegte ich mich zu ihm hin und er drehte sich, als ich bei ihm ankam.

„Möchtest du dich nicht setzten, Grandma, du siehst etwas blass aus.“

Ich schaute ihm in die Augen und sah, dass sie feucht waren. So zog ich ihn an mich heran und umarmte ihn.

„Warum muss Lucas immer so etwas passieren, er hat doch niemand etwas getan?“

So-Woi vergrub dein Gesicht auf meiner Schulter und begann leise an zu weinen. Natürlich ließ mich das nicht kalt. Ich hatte So-Woi schon lange nicht mehr weinen sehen. Eher das Gegenteil.

Seit ich wusste, dass mein Enkel dem gleiche Geschlecht zugetan war und Jack als seinen Partner erwählt hatte, war er wie ausgewechselt. Ich hatte ihn lange nicht so viel Lächeln sehen.

„…wäre es nicht besser, wenn wir uns alle setzten?“, hörte ich Jacks Stimme hinter mir.

Ich schaute zu ihm und sah, dass er ebenso glasige Augen hatte. Er hob die Hände, Richtung So-Woi und so ließ ich meinen Enkel los und reichte ihn an Jack weiter. Er führte ihn zu der kleinen Couch, dass neben dem Bett stand.

Ich selbst ließ mich auf dem Sessel neben dem Fenster nieder. Ich zog meinen Morgenrock etwas zu recht, denn es war mir kühl geworden. Plötzlich stand Jack mit einer Decke vor mir.

„Wenn ich darf…?“, lächelte er mich an.

„Danke“, meinte ich nur und ließ meine Beine von im zudecken.

Danach lief er zu So-Woi zurück, setzte sich und nahm ihn in seinen Arm. Ein Geräusch ließ mich aufhorchen und ich sah, wie Jack versuchte etwas aus seinem Jacket herauszuziehen, ohne aber dabei So-Woi loszulassen.

Ein Handy kam zum Vorschein. Er tippte etwas ein und lass dann irgendetwas. Etwas später ließ er das Handy neben sich auf Sofa gleiten und sah dann zu mir.

„Jae-Joong schreibt mir, dass dieser Professor wohl heute Abend das Haus nicht verlassen hat und auch keinerlei Anrufe getätigt hat.“

„Woher weiß man, dass er nicht telefoniert hat?“, fragte ich nach.

„Er wird seit zwei Tagen überwacht und seine Telefone werden abgehört.“

Ich verstand und nickte. Das konnte aber alles heißen, wenn er jemand im Krankenhaus die Anweisung gab, hatte es niemand mitbekommen. So-Woi schien sich beruhigt zu haben, er wischte sich über seine Augen.

„Das verstehe ich nicht, er müsste doch irgendwie jemand Anweisungen gegeben haben, von seinen Leuten handelt doch niemand einfach so.“

„So-Woi, du weißt nicht wo und wann er den Befehl gegeben hat, Lucas zu entführen.“

„Doch Grandma, seit er überwacht wird, ist er fast keine Sekunde alleine, das hat mir Lucas Onkel versichert.“

Ich dachte kurz nach. Konnte man einen Menschen wirklich so lückenlos überwachen? Vor allem unbemerkt. Das Wimmern von Hyun-Woo hatte nach gelassen. Er schien wohl eingeschlafen zu sein.

Mir fiel der junge Mann ein, der Lucas beschützen sollte. Über ihn hatte noch keiner ein Wort verloren. Meine Befürchtungen hatten sich bewahrheitet, denn ich war die einzige, die Bedenken hatte, den Kollegen von Lucas Onkel als Schutz abzustellen. Mir wäre ein richtiger Sicherheitsbeauftragter lieber gewesen.

Aber meine Zweifel wurden damit zerstreut, dass ein junger unauffälliger Typ wohl am besten dafür geeignet war. Ich hob meine Hand, denn ich musste gehen.

„Grandma, willst du dich nicht lieber zurück ziehen?“

„Nein mein Junge, lass mich noch kurz warten, bis der Arzt da war…“

Es klopfte an der Tür.

 

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