Adventskalender – Ein anderes Leben – 9. Türchen (16 Teil)

Jack

Während Lucas Onkel von einer der Fahrer zur Polizeistation zurück gebracht wurde, saßen wir drei im Wagen Richtung Firma. Ich schaute mehrfach in den Rückspiegel, denn ich machte mir wirklich Sorgen um Hyun-Woo.

Ich hatte ihn noch nie so verzweifelt gesehen, vielleicht abgesehen, als ihm bei Jae-Joongs Vater gekündigt wurde. Ich kannte Hyun-Woo schon lange, wusste, dass er sehr loyal und hilfsbereit war.

Das Wort Nein gab es bei ihm nie, bis vielleicht Lucas auftauchte. Da taute er auf und zeigte sein wahres ich, dass nur wenige kannten. Ich hätte nie gedacht, dass er einen Menschen so lieben konnte, wie er das bei Lucas tat.

Nun saß er hinter mir, ein kleines Häufchen Elend und war nicht mehr wieder zu erkennen. Dass ihn So-Woi in die Firma schleifte, verstand ich nicht. Unsere Arbeit lenkte Hyun-Woi sicher nicht ab.

Ein Gutes hatte es vielleicht, so hatte ich ihn im Auge und er konnte keinen Blödsinn anstellen. Etwas anderes machte mir mehr Sorgen. Nicht nur dass keiner etwas über Lucas seiner Familie erzählen wollte, niemand schien sich Gedanken wegen Juen zu machen.

Der Junge war frisch von der Akademie gekommen und gleich mit so etwas großen beauftragt worden. Dass er sich wären konnte, wusste ich mittlerweile, aber trotzdem war die Entführung geschehen.

Es wurde ja auch nur für Lucas Lösegeld verlangt und Juen war mit keinem Wort erwähnt worden. Ich konnte nur hoffen, dass es beiden den Umständen entsprechend gut ging. Dieses zum Nichtstun verdonnert worden zu sein, machte mich fast zurück.

Ich war mir mittlerweile sicher, dass dieser Gwang-jo seine Finger drin hatte. Ihn anzustellen war ein Fehler. Ich hatte mich wahrscheinlich von seinem Bewerbungsbogen blenden lassen. Die Firma kam in Sicht und ich bremste den Wagen ab.

So-Woi neben mir schien ebenso in seinen Gedanken versunken zu sein. Er hatte nicht einmal den Blickkontakt gesucht, noch zu Hyun-Woo etwas gesagt. Die zwei Männer am Tor nickten mir zu, als ich es durchfuhr.

Der Wagen kam vor dem Haus zu stehen, das Brummen des Motors erstarb. Auch jetzt zeigte So-Woi keinerlei Reaktion. So stieg ich aus, öffnete Hyun-Woos Tür und zog ihn langsam aus dem Wagen.

„Möchtest du bei So-Woi bleiben…?“

„Nein, ich gehe in mein Büro…“

„So-Woi kommst du?“, rief ich ins Wageninnere.

„Hm… ja!“

Ich wusste nicht wo er mit den Gedanken war. Als So-Woi ausgestiegen war, verschloss ich den Wagen. Ich hielt beiden die Eingangstür auf und wartete bis beide im Aufzug verschwunden waren.

Als ich gerade mein Büro betreten wollte, kam Fu-Chen aus den Umkleideräumen.

„Ah Fu-Chen, gut dass ich dich treffe. Wenn ich mich richtig erinnere, hast du doch mit diesem Gwang-jo zusammen trainiert.“

„Aber nicht lange Chef. Nach dem wir hier angefangen haben, mutierte er privat zum Arschloch…, Entschuldigung, wenn ich so offen spreche…, ich bin froh, dass er weg ist.“

„Kein Problem, deswegen wurde er ja auch entlassen.“

„Dann kann er ja jetzt seinen eigenen Sicherheitsdienst aufziehen, wie er immer angekündigt hatte. Die Stelle hier wäre nur zum Übergang, lange würde er nicht bleiben.“

„Für einen Sicherheitsdienst braucht man Leute, denen man vertraut.“

„Die hat er… seine Freunde und auch sein jüngerer Bruder, war auch oft beim Training dabei. Aber Chef, wenn ich ehrlich bin, ich habe mich dort in dem Fitnesscenter nicht mehr wohl gefühlt, deshalb habe ich auch gewechselt.“

Das war interessant zu hören. Fu-Chen verschwand in der Küche und ich schloss meine Bürotür hinter mir.

*-*-*

Lucas

Seit ich hier im Dreck lag, musste ich ständig husten. Warum der eine mir eine noch herunter gehauen hatte, verstand ich nicht. Meine Wange brannte fürchterlich und meine Tränen bahnten sich ungehindert ihren Weg durch das staubige Gesicht.

Juen lag auf meiner Rückseite, so konnte ich nicht sehen, wie es ihm ging. Rufen war auch unmöglich, der Knebel war einfach zu fest. Ein scharrendes Geräusch ließ mich zusammen fahren.

Kamen die Männer wieder zurück. Ängstlich schaute ich Richtung Steinmauer, hinter der sie verschwunden waren.

„Lucas…?“, hörte ich plötzlich Juens hustende Stimme.

Ich konnte ja nichts sagen, so sehr ich es auch versuchte, es kamen nur komische Geräusche heraus. Das scharrende Geräusch kam näher.

„Lucas, ist alles… hust… in Ordnung mit dir?“

Ich nickte.

„Ich versuche dich loszubinden…“

Wie wollte er das in dem Zustand machen? Mir war es ja jetzt schon ein Rätsel, wie er bis zu mir geschafft hatte, so gefesselt wie er war. Plötzlich wurde mein Kopf sanft nach vorne gestoßen.

„Boah ist das fest…“, hörte ich Juen direkt hinter mir.

Konnte er seine Hände doch noch so weit bewegen, dass er den Knoten aufbekam? Immer wieder wurde mein Kopf leicht nach hinten gezogen und Juen gab komische Laute von sich, immer wieder unterbrochen vom Husten.

Plötzlich lockerte sich der Knebel und ich schaffte es mit Mühe ihn aus zu spucken. Ich drehte meinen Kopf, soweit es mir möglich war nach hinten und sah Juen direkt mit seinem Kopf an meinem lag.

Sein Gesicht war voll Dreck und er hustete immer wieder.

„Wie hast du das jetzt hinbekommen?“

Er lächelte mich an. In diesem Zustand noch lächeln zu können, alle Achtung.

„Wie haben in der Akademie… hust… immer unsere Spielchen mit Entfesselungskünsten… hust… gemacht und darin war ich recht gut!“

In dieser Haltung tat mir schnell der Nacken weh und mein Kopf glitt wieder nach vorne.

„Du bist echt verrückt, weißt du das?“

„Vielleicht hat mich gerade deswegen… hust… dein Onkel für diese Stelle vorgeschlagen?“

Ich schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Der Kiefer tat weh und sonst auch alles an meinem Körper.

„Es tut mir leid, dass du da mit hinein gezogen wurdest, Juen.“

„Lucas, bitte, sag so etwas nicht.“

„Doch, doch! Du hast dir deinen Dienst bei der Polizei doch sicherlich anders vorgestellt?“

Wieder hörte ich die scharrenden Geräusche und schaute nach hinten. Yuen wand sich fast wie ein Aal und brachte es so fertig sich fortzubewegen. Er machte sich an den Fesseln an meinem Rücken zu schaffen.

„Und was machen wir, wenn die beiden zurück kommen“, fragte ich.

„Ich hoffe, dass wir dann weg sind!“

*-*-*

Hyun-Woo

Ich überflog die Aktennotiz und stellte fest, ich las zwar, aber verstand kein Wort was dort stand. Ich rieb mir durchs Gesicht und versuchte mich zu konzentrieren. Aber immer wieder sah ich Lucas ängstliches Gesicht vor mir.

Er hatte sicher Angst, davon war ich felsenfest überzeugt. Meine Tür zum Büro wurde aufgezogen und ich schaute auf. Dort tauchte Jack auf.

„Hyun-Woo kommst du bitte rüber zu So-Woi?“

Dann verschwand er wieder aus meinem Blickfeld. Mühsam stand ich auf und folgte ihm. Als ich So-Wois Büro betrat, stand Jack neben So-Woi und tippte irgendetwas an dessen Laptop ein.

„Ich habe mich etwas umgehört und von den Kollegen unten gehört, dass Gwang-jo den Plan hatte, einen eigenen Sicherheitsdienst aufzuziehen“, erklärte Jack.

Ich schloss hinter mir die Tür und gesellte mich zu den beiden.

„Dann habe ich noch mit Mr. Ri kurz geschlossen und etwas später erfahren, dass Gwang-jos Vater einmal eine Firma, die Sportartikel herstellte, am Rande der Stadt führte.“

„Nicht mehr?“, fragte So-Woi.

Ich hatte den Schreibtisch umrundet und stand nun auf der anderen Seite neben So-Woi. So konnte ich auch auf So-Wois Laptop schauen.

„Nein, der Vater ist gestorben und die Firma wurde geschlossen. Aber das Gebäude, oder besser gesagt, die Halle gibt es noch…“

Auf So-Wois Laptop erschien ein Bild dieser Firma aus besseren Tagen.. Jack zeigte auf einen Hallenkomplex, neben dem Hauptgebäude.

„Dort vermute ich, sind Lucas und Juen, denn das Grundstück gehört immer noch der Familie Jo. Gwang-jo hat wohl damit geprahlt, dort eine Sportschule eröffnen zu wollen.“

„Große Pläne, der gute Mann, die man mit dem Lösegeld verwirklichen könnte“, meinte So-Woi nachdenklich.

„Seid ihr euch wirklich sicher, dass es dieser Gwang-jo ist, der meinen Lucas entführt hat und hast du schon Onkel Min-Chul davon in Kenntnis gesetzt, was du heraus gefunden hast?“, fragte ich aufgeregt.

„Es passt alles irgendwie zusammen und von diesem Professor hast du deine Mitteilung nicht bekommen.“

Die Tür wurde aufgerissen und Jae-Joong kam herein gestürmt.

„Boah…, jeder frägt mich nach Lucas und ich muss ständig lügen…, gibt es schon etwas Neues?“

*-*-*

Lucas

Meine Arme waren lahm, ich konnte sie fast nicht bewegen. Da ich jedes Zeitgefühl verloren hatte, wusste ich nicht, wie lange ich gefesselt gewesen war. Juen hatte es doch tatsächlich geschafft, meine Fesseln am Rücken zu öffnen.

Er selbst lag immer noch zusammengeknotet. Trotz der Hände ohne Gefühl, machte ich mich daran, meine Beine loszubinden, damit ich mich wieder komplett bewegen konnte. Doch das erwies sich als schwieriger, als ich dachte.

Die tauben Finger gehorchten nicht so wie sie sollten, so dauerte es doch recht lange, bis ich irgendetwas lockerte. Die Angst, dass die Männer wieder kamen, trieb mich jedoch an und so war es ein cooles Gefühl, als der Druck auf meinen Waden endlich nachließ und ich mich auch von der letzten Fessel befreien konnte.

Sofort machte ich mich daran, Juen zu befreien.

„Lucas, hört mir bitte zu! Geh und versuch Hilfe zu finden!“

„Ich kann dich doch hier nicht alleine liegen lassen!“

„Doch du kannst!“

„Nein Juen, das kannst du nicht von mir verlangen! Entweder wir marschieren hier gemeinsam heraus, oder gar nicht!“

„Bitte Lucas…, sei doch vernünftig.“

„Ich bin vernünftig!“

Der erste Erfolg stellte sich ein und einer der zahlreichen Knoten ließ sich öffnen. Auch wich langsam das taube Gefühl der Finger. Juen streckte sich, obwohl Hände und Beine noch immer mit dem Seil umwickelt waren.

Woher dieser kleine Kerl seine Kraft nahm, wusste ich nicht. Als ich dann mit Mühe und Not auch seine Hände befreien konnte, hörte man draußen erneut einen Wagen. Wir beide sahen uns geschockt an.

„Lucas, geh!“, befahl mir Juen.

„Einen Teufel wird ich…“, fluchte ich und zog mit aller Kraft am letzten Knoten. Da auch Juen seine Freiheit fast wieder erlangt hatte, zogen wir gemeinsam an dem letzten Seil herum.

Das Wagengeräusch war verschwunden. Jede Sekunde würden die Männer sicher wieder auftauchen.

Yuen brachte es fertig die letzte Fessel an seinen Beinen zu lösen. Fast panisch zog ich an dem Seil, das seine Beine zusammenhielt. Nun waren Stimmen und Schritte zu hören und Juen endlich frei.

Aber wie ich, hatte er genauso kein rechtes Gefühl in seinen Beinen. So halfen wir uns gegenseitig aufzustehen.

„Da hinüber!“, flüsterte mir Juen zu und zeigte auf einen Mauervorsprung.

Gemeinsam wankten und humpelten wir Richtung Mauer.

 

 

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2 Kommentare

    • Gerdsc auf 9. Dezember 2018 bei 00:13
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    Wieder spannend bis zum geht nicht mehr

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  1. Wieder Spannung pur👍

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